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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 247der Welt, aber bei jedem von ihnen hat dieses Gefühl seinen eigenen Charakter, seine Besonderheit.Wie viele geistreiche Menschen gibt es auf der Welt, und dabei hat jeder von ihnenseinen eigenen Geist. Das bedeutet nicht, daß die Menschen verschiedenen Geist haben: dannwürden sie einander nicht verstehen können; aber es bedeutet, daß auch der Geist seine Individualitäthat. Darin liegt seine Beschränktheit. Und deshalb ist selbst der Geist des größten Geniesstets unermeßlich geringer als der Geist der ganzen Menschheit. Aber eben darin liegtauch seine Wirklichkeit, seine Realität. Ein Geist ohne Körperlichkeit, ohne Physiognomie,ein Geist, der nicht auf das Blut einwirkt und keine Ein-[417]wirkung von ihm empfängt, istein logischer Traum, ein totes Abstraktum. Der Geist ist der Mensch im Leib oder, besser gesagt,der Mensch durch den Leib, kurz, die Persönlichkeit. Deswegen gibt es auf der Weltebenso viele Geister wie Menschen, und nur die Menschheit hat einen Geist. Man sehe sicheinmal an, wie viele moralische Nuancen in der menschlichen Natur stecken: bei dem einen istder Geist vor lauter Herz kaum zu bemerken, bei dem andern scheint sich das Herz ins Gehirnverlagert zu haben; dieser hier ist schrecklich klug und fähig zu Taten, bringt aber nichts zustande,weil er keinen Willen hat; dagegen hat jener dort einen furchtbaren Willen, aber einenschwachen Kopf, und sein Tun bringt entweder Unfug oder Böses zustande. Alle diese Nuancenaufzuzählen, ist ebenso unmöglich, wie die Unterschiede der Physiognomien aufzuzählen:wie viele Menschen, so viele Gesichter, und zwei völlig gleiche zu finden, ist noch wenigermöglich, als zwei einander völlig gleiche Baumblätter zu finden. Wenn man eine Frau liebt,soll man nicht sagen, man sei bezaubert durch die schönen Eigenschaften ihres Geistes undihres Herzens: andernfalls wird man, wenn man auf eine andere aufmerksam gemacht wird,die höhere moralische Eigenschaften hat, gezwungen sein, sich neu zu verlieben und den erstenGegenstand der Liebe um des neuen Gegenstandes willen aufzugeben, wie man ein gutesBuch für ein besseres aufgibt. Man soll den Einfluß der moralischen Eigenschaften auf dasGefühl der Liebe nicht leugnen, aber wenn man einen Menschen liebt, liebt man ihn ganz,nicht als Idee, sondern als lebendige Persönlichkeit, liebt an ihm besonders das, was man wederdefinieren noch nennen kann. Wie wollte man wirklich z. B. jenen ungreifbaren Ausdruck,jenes geheimnisvolle Spiel seiner Physiognomie, seiner Stimme, kurz, alles das definieren undnennen, was seine Besonderheit ausmacht, was ihn anderen Menschen unähnlich macht undwofür man ihn – das kann man mir glauben – auch vor allem liebt? Warum sollte man sonstüber der Leiche eines geliebten Wesens verzweifelt schluchzen? Mit ihm ist ja das, was dasBeste, das Edelste an ihm war, was man das Geistige und das Sittliche an ihm genannt hat,nicht gestorben – gestorben ist vielmehr das grob Materielle, Zufällige... Aber über ebendiesesZufällige schluchzt man so bitterlich, weil einem die Erinnerung an die schönen Eigenschafteneines Menschen nicht den Menschen selbst ersetzt, ebenso wie ein Mensch, der vor Hungerstirbt, nicht satt wird durch die Erinnerung an den reichgedeckten [418] Tisch, an dem er sichkurz zuvor erfreut hat. Ich bin gern einverstanden mit den Spiritualisten, daß mein Vergleichgrob ist, dafür ist er aber richtig, und das ist für mich die Hauptsache. Dershawin hat gesagt:„So sterbe ich nicht ganz: ein Stück von meinem WesenWird leben unverwest, der Nachwelt einverleibt.“Gegen die Wirklichkeit einer solchen Unsterblichkeit läßt sich nichts sagen, obschon sie fürdie Menschen, die dem Dichter nahestanden, keinen Trost bedeutet; aber was hinterläßt derDichter in seinen Werken der Nachwelt, wenn nicht seine Persönlichkeit? Wenn er nicht mehrPersönlichkeit wäre als irgendein beliebiger Jemand, nicht vorwiegend Persönlichkeit, so würdenseine Werke farblos und blaß sein. Deswegen bilden die Schöpfungen jedes großen Dichterseine ganz besondere, originelle Welt, und Homer, Shakespeare, Byron, Cervantes, WalterScott, Goethe und George Sand haben nur das gemeinsam, daß sie große Dichter sind...Aber was ist nun diese Persönlichkeit, die sowohl dem Gefühl und dem Geist wie auch demWillen und dem Genie Realität verleiht und ohne die alles entweder ein phantastischer TraumOCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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