13.07.2015 Aufrufe

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 241ten, daß man das Auftreten Peters des Großen, seine Reform und die auf sie folgenden Ereignissein Rußland (vielleicht gar bis zum Jahre 1812 – bis zu der Epoche, mit der für Rußlandein neues Leben begann), für etwas Zufälliges, für eine Art schweren Traum hält, der aufhörtund verschwindet, sobald der Mensch im Erwachen die Augen öffnet. Sich so etwas einzubilden,sind nur die Herren Manilow fähig. Derartige Ereignisse im Leben eines Volkes sindzu bedeutsam, als daß sie zufällig sein könnten, und das Leben eines Volkes ist kein morscherKahn, dem jeder Hergelaufene mit einem leichten Ruderschlag eine willkürliche Richtunggeben könnte. Statt an Unmögliches zu denken und alle Welt auf eigene Kosten durchselbstverliebtes Eingreifen in die historischen Geschicke zu erheitern, sollte man lieber dieunwiderstehliche und unveränderliche Wirklichkeit des Bestehenden anerkennen und aufseiner Grundlage handeln, geleitet von Vernunft und gesundem Verstand, nicht aber von ManilowschenPhantasien. Nicht an eine Abänderung [407] dessen, was ohne unser Zutun zustandegekommen ist und unserer Willenskraft spottet, sollten wir denken, sondern daran, aufdem uns von einem höheren Willen gewiesenen Weg uns selbst zu ändern. Es geht darum,daß wir endlich aufhören, etwas zu scheinen, und anfangen, etwas zu sein, daß wir die dummeAngewohnheit ablegen, uns mit Worten zufrieden zu geben und äußerliche europäischeFormen für Europäismus zu halten. Wir wollen noch mehr sagen: wir müssen endlich aufhören,uns für alles Europäische nur deshalb zu begeistern, weil es nicht etwas Asiatisches ist,wir müssen es vielmehr nur deshalb lieben und verehren, nur deshalb nach ihm streben, weiles etwas Menschliches ist, müssen von hier aus alles Europäische, das nichts Menschlichesenthält, mit der gleichen Energie ablehnen wie alles Asiatische, das nichts Menschliches enthält.Es sind so viele europäische Elemente in das Leben und die Sitten Rußlands eingegangen,daß wir es durchaus nicht nötig haben, uns immerfort an Europa zu wenden, um unsereBedürfnisse kennenzulernen: auch auf Grund dessen, was wir bereits von Europa übernommenhaben, können wir zufriedenstellend beurteilen, was wir brauchen.Wir wiederholen: die Slawophilen haben in vieler Hinsicht recht; dennoch ist ihre Rolle reinnegativ, wenn auch zeitweilig nutzbringend. Ihre sonderbaren Schlußfolgerungen gehen inder Hauptsache daraus hervor, daß sie der Zeit willkürlich vorauseilen, daß sie den Prozeßder Entwicklung für deren Resultat halten, daß sie die Frucht vor der Blüte sehen wollen und,wenn die Blätter ihnen nicht schmecken, die Frucht für faul erklären und dann vorschlagen,den riesigen, auf einem unübersehbaren Raum aufgeschossenen Wald an einen andern Platzzu verpflanzen und ihm eine andere Pflege angedeihen zu lassen. Das ist, nach ihrer Meinung,nicht leicht, aber möglich! Sie haben vergessen, daß das von Peter geschaffene neueRußland ebenso jung ist wie Nordamerika, daß es eine Zukunft vor sich hat, die viel größerist als seine Vergangenheit. Sie haben vergessen, daß einem oft, wenn ein Prozeß in vollemGange ist, besonders gerade jene Erscheinungen in die Augen springen, die nach Beendigungdes Prozesses wieder verschwinden müssen, und daß sich oft gerade das nicht erkennen läßt,was in der Folge als Resultat des Prozesses hervortritt. In dieser Hinsicht hat es keinen Sinn,Rußland mit den alten Staaten Europas zu vergleichen, deren Geschichte einen der unserendiametral entgegengesetzten Verlauf genommen und längst [408] sowohl Blüte wie auchFrucht hervorgebracht hat. Ohne jeden Zweifel ist es für einen Russen leichter, sich die Anschauungeneines Franzosen, eines Engländers oder eines Deutschen anzueignen, als selbständig,auf russische Art, zu denken, denn dort handelt es sich um fertige Anschauungen, mitdenen ihn sowohl die Wissenschaft als auch die zeitgenössische Wirklichkeit gleichermaßenleicht bekannt machen können; für sich selbst dagegen ist er noch ein Rätsel, weil für ihn dieBedeutung und das Schicksal seines Vaterlandes noch ein Rätsel ist, seines Vaterlandes, woalles noch Ansatz und Keim und nichts bestimmt ist, wo alles noch in Entwicklung, in Gestaltungbegriffen ist. Gewiß liegt hierin etwas Betrübliches, aber wieviel Tröstliches hat auchgerade das an sich! Die Eiche wächst langsam, lebt dafür aber Jahrhunderte. Der Mensch hatdas angeborene Verlangen, seine Wünsche schnell erfüllt zu sehen, aber Frühreife ist nichtOCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!