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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 240anzuerkennen, daß irgendeine Tatsache zutrifft, sondern muß ihre Ursachen untersuchen, inder Hoffnung, in dem Übel selber auch die Mittel zu seiner Überwindung zu finden. Das habendie Slawophilen bisher nicht unternommen und nicht fertiggebracht; dafür haben sie jedochihre Gegner dazu veranlaßt, es in Angriff u nehmen, wenn auch viel-[405]leicht nicht,es fertigzubringen. Und hierin besteht ihr einziges Verdienst. Mag man träumen, wovon manwill: vom Ruhm unseres Volkes oder von unserem Europäismus – über selbstverliebtenTräumereien einschlafen, ist immer ebenso unfruchtbar wie schädlich, denn der Schlaf istnicht das Leben, sondern nur das Traumbild des Lebens; und man kann dem nur dankbarsein, der einen solchen Schlaf stört. In der Tat, das Studium der russischen Geschichte istnoch nie so ernst betrieben worden wie in jüngster Zeit. Wir befragen und verhören die Vergangenheit,um von ihr eine Erklärung unserer Gegenwart und einen Hinweis für unsere Zukunftzu erhalten. Es ist, als machten wir uns plötzlich Sorge um unser Leben, um unsereBedeutung, um unsere Vergangenheit und Zukunft und als wollten wir möglichst schnell diegroße Frage beantworten: Sein oder Nichtsein? Hier geht es gar nicht mehr darum, woher dieWaräger gekommen sind – aus dem Westen oder aus dem Süden, über die Ostsee oder überdas Schwarze Meer herüber, sondern darum, ob durch unsere Geschichte irgendein lebendiger,organischer Gedanke hindurchgeht, und wenn ja, dann welcher Gedanke – wie wir zuunserer Vergangenheit stehen, von der wir scheinbar losgerissen sind, und wie zum Westen,mit dem wir scheinbar verbunden sind. Und als Ergebnis dieser mühevollen und erregendenUntersuchungen beginnt sich zu zeigen, daß wir erstens durchaus nicht so sehr von unsererVergangenheit losgerissen sind, wie wir glaubten, und durchaus nicht so eng mit dem Westenverbunden sind, wie wir uns einbildeten. Wenn ein Russe ins Ausland kommt, hört man ihnnicht dann an und interessiert sich nicht dann für ihn, wenn er auf echt europäische Weiseüber europäische Probleme räsoniert, sondern wenn er sie als Russe beurteilt, auch wenn seinUrteil aus ebendiesem Grunde falsch, parteiisch, beschränkt und einseitig ist. Und deshalbfühlt er sich dort genötigt, sich den Charakter seiner Nationalität zuzulegen, und wird in Ermangelungeines Besseren manchmal zum Slawophilen, wenn auch nur zeitweilig und dabeinicht aus voller Überzeugung, nur um sich in den Augen der Ausländer irgendwie kenntlichzu machen. Andrerseits müssen wir, wenn wir uns unserer gegenwärtigen Lage zuwendenund sie mit den Augen des Zweiflers und Forschers betrachten, erkennen, wie lächerlich undkläglich in vieler Hinsicht unser russischer Europäismus uns hinsichtlich unserer russischenMängel beruhigt hat, die er bald weiß, bald rot geschminkt, aber keineswegs aus der Weltgeschafft [406] hat. In dieser Hinsicht sind Auslandsreisen für uns äußerst nützlich: vieleRussen verlassen unser Land als entschiedene Europäer, kehren aber von dort zurück, ohneselbst mehr zu wissen, wer sie sind, und ebendeshalb mit dem ehrlichen Wunsch, Russen zuwerden. Was bedeutet nun das alles? Haben die Slawophilen etwa wirklich recht, und hat dieReform Peters des Großen uns wirklich nur unsern Volksgeist genommen und uns zu geistigenZwittern gemacht? Und haben sie wirklich recht, wenn sie sagen, wir müßten zu den gesellschaftlichenZuständen und Sitten der Zeiten des Zaren Alexej Michailowitsch oder gardes legendären Gostomysl zurückkehren (in dieser Frage sind sich die Herren Slawophilenselbst noch nicht einig)? ...Nein, es bedeutet etwas ganz anderes, nämlich dies, daß Rußland die Epoche der Umgestaltungvoll ausgeschöpft und hinter sich gebracht hat, daß die Reform in Rußland ihr Werkvollendet und für Rußland alles getan hat, was sie tun konnte und sollte, und daß die Zeitgekommen ist, wo Rußland sich in selbständiger Eigenart aus sich selbst weiterentwickelnmuß. Aber die Epoche der Reform zu umgehen, sie sozusagen zu überspringen, über sie hinwegzusetzenund zu den vor ihr liegenden Zeiten zurückkehren: heißt das etwa sich selbständigweiterentwickeln? Dieser Gedanke wäre allein schon deswegen lächerlich, weil das ebensowenigmöglich ist wie der Versuch, den Lauf der Jahreszeiten umzukehren und den Winterauf den Frühling, den Sommer aber auf den Herbst folgen zu lassen. Es würde ferner bedeu-OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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