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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 238machte: er hat viel dazu beigetragen, aber das zu schaffen, war er nicht imstande, weil es bisdahin noch weit war. Der erste nationale russische Dichter war Puschkin * ; mit ihm beganneine neue Etappe unserer Literatur, die in noch größerem Gegensatz zu der Karamsins alsdiese zu der Lomonossows stand. Der Einfluß Karamsins ist bis heute in unserer Literatur zuspüren, und die endgültige Befreiung von ihm wird für die russische Literatur einen großenSchritt vorwärts bedeuten. Doch das verringert nicht nur nicht um Haaresbreite die VerdiensteKaramsins sondern offenbart im Gegenteil ihre ganze Größe: schädlich wird der Einflußeines Schriftstellers, wenn er veraltet, rückständig ist, wenn er damit aber eine andere Zeit alsdie seine beherrscht, so bedeutet das, daß er zu seiner Zeit neu, lebendig, schön und groß war.In bezug auf die Literatur als Kunst, Poesie und Schöpfung ist der Einfluß Karamsins heutevöllig geschwunden ohne die geringste [402] Spur zu hinterlassen. In dieser Hinsicht hat sichunsere Literatur am meisten jener männlichen Reife genähert, mit. deren Erwähnung wir diesenAufsatz begonnen haben. Der sogenannten Naturalen Schule kann man nicht den Vorwurfder Rhetorik machen, wenn man unter diesem Wort eine absichtliche oder unabsichtlicheEntstellung der Wirklichkeit, eine falsche Idealisierung des Lebens versteht. Wir wollendamit durchaus nicht sagen, daß alle neuen Schriftsteller, die man (um sie zu loben oder zuverurteilen) der Naturalen Schule zurechnet, Genies oder ungewöhnliche Talente seien; solchekindliche Selbsttäuschung liegt uns völlig fern. Gogol ausgenommen, der in Rußland eineneue Kunst, eine neue Literatur geschaffen hat und dessen Genialität bereits längst nicht alleinvon uns, und sogar nicht allein in Rußland, anerkannt ist – sehen wir in der NaturalenSchule ziemlich viele Talente, von recht bemerkenswerten bis zu recht gewöhnlichen. Abernicht in den Talenten, nicht in ihrer Zahl sehen wir eigentlich den Fortschritt der Literatur,sondern in ihrer Richtung, in ihrer Art, zu schreiben. Talente hat es immer gegeben, aber früherpflegten sie die Natur schönzufärben, die Wirklichkeit zu idealisieren, d. h. sie stelltenetwas dar, was es nicht gab, erzählten nie dagewesene Dinge; jetzt dagegen geben sie dasLeben und die Wirklichkeit in ihrer Wahrheit wieder. Das hat die Literatur in den Augen derGesellschaft eine hohe Bedeutung gewinnen lassen. In den Zeitschriften wird ein russischerRoman einem übersetzten vorgezogen, und es genügt nicht, daß der Roman von einem russischenAutor stammt, er muß auch das russische Leben darstellen. Ohne russische Romaneund Erzählungen kann heute keine Zeitschrift mehr auf Erfolg rechnen. Und das ist keineLaune, keine Mode, sondern ein vernünftiges Bedürfnis, das einen tiefen Sinn hat und tiefbegründet ist: hier spiegelt sich das Streben der russischen Gesellschaft nach Selbstbewußtseinwider, also das Erwachen moralischer Interessen, eines geistigen Lebens. Unwiederbringlichist nunmehr die Zeit vorüber, wo selbst jede ausländische Mittelmäßigkeit über jedesrussische Talent gestellt wurde. Durchaus fähig, dem Fremden Gerechtigkeit widerfahrenzu lassen, versteht es die russische Gesellschaft bereits, auch das Eigene zu schätzen, wobeisie sich ebenso der Prahlerei wie der Herabsetzung enthält. Aber wenn sie sich mehr für einegute russische Erzählung interessiert als für einen hervorragenden ausländischen Roman, soist das ein Zeichen, daß sie einen riesigen Schritt vorwärts getan hat. Die Fähigkeit, zur gleichenZeit [403] die Überlegenheit des Fremden über das Eigene zu sehen und sich dennochdas Eigene mehr zu Herzen zu nehmen – das ist kein falscher Patriotismus, keine bornierteParteilichkeit: hier äußert sich nur das edle, berechtigte Bestreben, sich selbst zu erkennen ...* Man kann, auf unsere eigenen Worte gestützt, einwerfen: nicht Puschkin, sondern Krylow; aber Krylow wareben doch nur Fabeldichter, während es schwerfallen würde, auf gleiche Weise mit einem einzigen Wort zudefinieren, was für ein Dichter Puschkin war. Die Dichtung Krylows ist eine Dichtung des gesunden Menschenverstands,der Lebensweisheit, und für eine solche Dichtung ließ sich im russischen Leben leichter ein fertigerInhalt finden als für irgendeine andere Dichtung. Außerdem hat Krylow seine besten und mithin volkstümlichstenFabeln erst in der Epoche der Wirksamkeit Puschkins, also in der Epoche jener neuen Bewegung, geschrieben,die dieser in der russischen Dichtung ausgelöst hatte. – W. B.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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