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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 229man doch sofort erkennen, daß [387] beide gleichermaßen nur in Frankreich in Erscheinungtreten konnten. Ein Clauren oder August Lafontaine sind ebenso Deutsche wie Goethe undSchiller. In jeder dieser Literaturen bringt der Schriftsteller in seinen Werken eine gute odereine schwache Seite des Geistes seiner Heimat zum Ausdruck, und der nationale Geist liegtdort wie ein Zollstempel ebensogut auf dem Werk des Genies wie auf dem Werk eines talentlosenVielschreibers. Die Franzosen blieben im höchsten Maße national, auch als sie aus allenKräften die Griechen und die Römer nachahmten. Wieland blieb Deutscher, als er dieFranzosen nachahmte. Der Nationalgeist ist für die Europäer eine unüberwindliche Schranke.Vielleicht ist es unser größter Vorzug, daß uns der Geist aller Nationen gleichermaßen zugänglichist und daß unsere Dichter in ihren Werken so leicht und frei sowohl zu Griechenund Römern wie auch zu Franzosen, Deutschen, Engländern, Italienern und Spaniern werden:aber es ist ein Vorzug für die Zukunft, ein Hinweis darauf, daß unser Nationalgeist umfassendund vielseitig werden wird. Gegenwärtig ist es wohl eher ein Mangel als ein Vorzug, einAnzeichen nicht so sehr für die Weite und die Vielseitigkeit als für die Unentwickeltheit unddie Unbestimmtheit der eigenen individuellen Anlagen.Deswegen wäre es für das Ausland interessanter, gute Übersetzungen jener Werke Puschkinsund Lermontows lesen zu können, deren Inhalt aus dem russischen Leben genommen ist. Sowäre der „Eugen Onegin“ für Ausländer interessanter als „Mozart und Salieri“, „Der geizigeRitter“ und „Der steinerne Gast“. Und aus dem gleichen Grunde ist für Ausländer der interessantesterussische Dichter Gogol. Das ist keine willkürliche Annahme, sondern eine Tatsache,und sie wird bestätigt durch den großen Erfolg, den die von Herrn Louis Viardot im vergangenenJahr in Paris herausgegebene Übersetzung von fünf Erzählungen dieses Schriftstellersin Frankreich gehabt hat. Dieser Erfolg ist verständlich: abgesehen davon, daß Gogol einriesiges künstlerisches Talent besitzt, hält er sich in seinen Werken streng an die Sphäre desrussischen Alltags. Und eben das ist für Ausländer das Interessanteste: sie wollen durch einenDichter das Land kennenlernen, das ihn hervorgebracht hat. In dieser Hinsicht ist Gogol dernationalste aller russischen Dichter, und er braucht eine Übersetzung nicht zu fürchten, obgleicheben infolge des nationalen Charakters seine Werke auch in der besten Übersetzungdas Kolorit verlieren müssen.[388] Aber auch auf einen solchen Erfolg darf man sich nicht zuviel einbilden. Für einenDichter, der will, daß sein Genie überall und von jedermann und nicht nur von seinen Landsleutenanerkannt wird, ist es zwar die erste, aber nicht die einzige Bedingung, daß seine Werkeden Nationalgeist ausdrücken: es gehört noch hinzu, daß er nicht nur den Nationalgeist,sondern zugleich auch den Weltgeist erfaßt, das heißt, daß der Nationalgeist seiner SchöpfungenForm, Leib, Fleisch, Physiognomie, persönlicher Ausdruck der geistigen, körperlosenWelt allgemein-menschlichen Ideen ist. Mit andern Worten: ein nationaler Dichter muß hohehistorische Bedeutung nicht allein für sein Vaterland haben, sondern auch eine Erscheinungvon welthistorischer Bedeutung sein. Solche Dichter können nur bei Völkern in Erscheinungtreten, die berufen sind, in den Geschicken der Menschheit eine welthistorische Rolle zu spielen,das heißt durch ihr nationales Leben Einfluß auf den Gang und die Entwicklung der ganzenMenschheit zu nehmen. Wenn man daher einerseits ohne angeborenes großes Genie nichtzum welthistorisch bedeutenden Dichter werden kann, so kann man andrerseits auch mit einemsolchen großen Genie manchmal nicht zum welthistorisch bedeutenden Dichter werden,das heißt nur für das eigene Volk von Bedeutung sein. Die Bedeutung eines Dichters hängthier bereits nicht mehr von ihm selbst ab, nicht von seiner Wirksamkeit, seiner Richtung,seinem Genie, sondern von der Bedeutung des Landes, das ihn hervorgebracht hat. Von diesemGesichtspunkt aus haben wir keinen einzigen Dichter, den wir auf eine Stufe mit denhervorragendsten Dichtern Europas zu stellen das Recht hätten – selbst dann nicht, wenn sichklar erkennen ließe, daß er es an Talent mit dem einen oder dem anderen von ihnen aufneh-OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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