13.07.2015 Aufrufe

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 228Literatur nicht studieren und nicht kennenlernen kann. Unsere Literatur ist noch zu jung, zuunbestimmt und farblos, als daß ein Ausländer in ihr einen Faktor unseres Geisteslebens sehenkönnte. Noch vor kurzem war sie wie ein schüchterner, wenn auch begabter Lehrling, deres sich zum Ruhm anrechnete, europäische Vorbilder zu kopieren, und die Kopien nach Bilderndes europäischen Lebens für Bilder aus dem russischen Leben ausgab. Und das ist charakteristischfür die ganze Epoche unserer Literatur von Kantemir und Lomonossow bis zuPuschkin. Dann lernte sie ihre eigenen Kräfte kennen, wurde aus einem Lehrling zum Meisterund begann, statt fertige Bilder des europäischen Lebens zu kopieren und sie naiv für Originalbilderaus dem russischen Leben auszugeben, mit aller Kühnheit Bilder sowohl aus demeuropäischen wie aus dem russischen Leben zu schaffen. Aber vorerst zeigte sie sich nur injenen wirklich als Meister, in diesen blieb es beim bloßen Streben nach Meisterschaft, allerdingsmanchmal auch mit einigem Erfolg. Das ist charakteristisch für die Periode unsererLiteratur von Puschkin bis Gogol. Mit dem Auftreten Gogols wandte sich unsere Literaturausschließlich dem russischen Leben, der russischen Wirklichkeit zu. Dadurch wurde sievielleicht einseitiger und sogar monotoner, dafür aber origineller, eigenwüchsiger und mithinwahrer. Betrachten wir jetzt diese Perioden der russischen Literatur hinsichtlich ihrer Bedeutungnicht für uns, sondern für das Ausland. Es braucht nicht bewiesen zu werden, daß Lomonossowund Karamsin für uns hohe Bedeutung besitzen; aber man versuche einmal, ihreWerke in irgendeine europäische Sprache zu übersetzen – und man wird sehen, ob die Ausländersie lesen werden und ob sie, wenn sie sie lesen, besonders viel Interessantes in ihnenfinden werden. Sie werden sagen: „Wir haben das alles längst bei uns zu Hause gelesen; gebtuns russische Schriftsteller.“ Dasselbe würden sie auch von den Werken Dmitrijews, [386]Oserows, Batjuschkows, Shukowskis sagen. Aus dieser ganzen Periode wäre für sie nur eineinziger Schriftsteller interessant – der Fabeldichter Krylow; aber er läßt sich entschieden inkeine Sprache der Welt übersetzen, und nur solche Ausländer können ihn richtig würdigen,die die russische Sprache kennen und lange in Rußland gelebt haben. So existiert also eineganze Periode der russischen Literatur für Europa überhaupt nicht. Was die zweite Periodebetrifft, so kann sie fürs Ausland existieren, jedoch nur in einem gewissen Grade. Wenn solcheWerke Puschkins, wie zum Beispiel „Mozart und Salieri“, „Der geizige Ritter“, „Dersteinerne Gast“, auf eine ihrer würdige Weise in irgendeine europäische Sprache übersetztwürden – würde das Ausland sie bestimmt als ausgezeichnete poetische Schöpfungen anerkennen,und dennoch hätten diese Theaterstücke für sie als Schöpfungen der russischen Dichtungfast keinerlei Interesse. Dasselbe kann man von den besten Werken Lermontows sagen.Sowohl Puschkin wie auch Lermontow müssen bei der Übersetzung verlieren, so gut ihreWerke auch übersetzt werden mögen. Der Grund ist leicht einzusehen: obgleich in den WerkenPuschkins und Lermontows die russische Seele, der klare, positive russische Geist, dieStärke und die Tiefe russischen Gefühls deutlich hervortreten, sind diese Eigenschaften dochfür uns Russen sichtbarer als für den Ausländer, weil der russische Nationalgeist sich nochnicht genügend geformt und entwickelt hat, um dem russischen Dichter die Möglichkeit zugeben, seinen Werken das scharf geschnittene Siegel dieses Geistes aufzuprägen und allgemein-menschlicheIdeen in ihnen auszusprechen. Aber der Europäer erhebt in dieser Hinsichthohe Ansprüche. Und das ist nicht verwunderlich: der nationale Geist der europäischen Völkerspiegelt sich in ihren Literaturen so originell und ausgesprochen wider, daß ein Werk,mag es noch so hohe künstlerische Qualitäten besitzen, wenn es nicht den ausgeprägtenStempel eines nationalen Geistes trägt, in den Augen der Europäer seinen Hauptvorzug verliert.In einem Marryat, einem Bulwer oder einem noch weniger bedeutenden englischen Belletristenkann man ebenso deutlich den Engländer erkennen wie in Shakespeare, Byron oderWalter Scott. George Sand und Paul de Kock stellen Extreme des französischen Geistes dar,und obgleich die eine alles Schöne, Menschliche und Erhabene, der andere dagegen allesBornierte und Triviale zum Ausdruck bringt, was der französische Nationalgeist enthält, wirdOCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!