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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 226der gerade machen; aber die bestechlichen Beamten haben ebensogut Kinder wie die unbestechlichen:die einen wie die andern sehen noch keinen Grund, die eindringliche Darstellungder Bestechlichkeit für unsittlich zu halten, begeistern sich deshalb für diese Darstellung undnehmen, ohne daß sie es merken, Eindrücke in sich auf, die für ihr späteres Leben, wenn sieselbst zu tätigen Mitgliedern der Gesellschaft werden, nicht immer ohne Folgen bleiben. DieEindrücke, die man in der Jugend erhält, sind stark, [382] und die Jugend nimmt eben das alsunbedingte Wahrheit an, was den ersten starken Eindruck auf ihre Einbildung gemacht undihren Geist lebhaft beschäftigt hat. Das ist die Art und Weise, wie die Literatur bereits nichtmehr allein auf die Bildung, sondern auch auf die Verbesserung der Sitten der Gesellschafteinwirkt. Man mag sagen, was man will, aber es ist eine unbezweifelbare Tatsache, daß erstin jüngster Zeit bei uns in merklicher Zahl Leute zu finden sind, die sich bemühen, entgegenihrem persönlichen Vorteil und zum Schaden ihrer gesellschaftlichen Stellung ihre moralischenÜberzeugungen in die Tat umzusetzen...Ebenso unbestreitbar ist auch die Tatsache, daß die Literatur bei uns zu dem Punkt wird, woMenschen, die in jeder andern Hinsicht innerlich voneinander getrennt leben, sich zusammenfinden.Der Kleinbürger Lomonossow bringt es dank seinem Talent und seiner Gelehrtheitzu hohen Posten, und der Hochadel nimmt ihn in seinen Kreis auf. Andrerseits bringt ihndie Literatur in Beziehung zu Leuten, die in staatsbürgerlicher Hinsicht arm und unbedeutendsind. Der arme Landedelmann Dershawin stieg dank seinem Talent selbst in den Hochadelauf und fand unter den Menschen, mit denen ihn die Literatur in Verbindung brachte, nichtallein Mäzene, sondern auch Freunde. Der Kasaner Kaufmann Kamenew, der die Ballade„Gromwal“ geschrieben hatte, suchte in Moskau gelegentlich einer Geschäftsreise Karamsinauf und lernte durch dessen Vermittlung den ganzen literarischen Kreis Moskaus kennen. Dasgeschah vor vierzig Jahren, als die Kaufleute in den adligen Häusern nur zum VorzimmerZutritt hatten, und auch dann nur in geschäftlichen Angelegenheiten, wenn sie mit Warenkamen oder zur Eintreibung einer kleinen Schuld, an deren Bezahlung sie untertänig zu mahnenwagten. Die ersten russischen Zeitschriften, von denen man heute nicht einmal mehr dieNamen kennt, wurden von Gruppen junger Männer herausgegeben, die einander durch diegemeinsame leidenschaftliche Liebe zur Literatur nähergekommen waren. Bildung macht dieMenschen einander gleich. Und in unseren Zeiten trifft man gar nicht mehr selten einenFreundeskreis, zu dem ebensogut wohlbestallte adlige Herren wie Kaufleute, Kleinbürger undAngehörige der verschiedenen Mittelschichten gehören – einen Zirkel, dessen Mitgliedervöllig alle trennenden äußeren Unterschiede vergessen haben und einander einfach als Menschenschätzen. Da haben wir wahrhaft den Beginn eines gebildeten Gesellschaftslebens vor[383] uns, der das Werk unserer Literatur ist! Muß nicht jeder, der Anspruch darauf erhebt,sich Mensch zu nennen, von ganzem Herzen wünschen, daß dieses Gesellschaftsleben nichtnur täglich, sondern stündlich wächst und kräftiger wird wie die Recken des russischen Märchens?Wie alles Lebendige muß die Gesellschaft organisch sein, das heißt, sie muß aus einerVielzahl von Menschen bestehen, die innerlich miteinander verbunden sind. Finanzielle Interessen,Handel, Aktien, Bälle, Abendgesellschaften, Tanzvergnügen – auch sie stellen Bindungendar, aber nur äußerliche und mithin nicht lebendige, nicht organische, wenn auch sowohlnötige wie nützliche. Was die Menschen innerlich miteinander verbindet, sind gemeinsamemoralische Interessen, ähnliche Begriffe, gleiche Bildung, im Bunde mit gegenseitigerAchtung ihrer Menschenwürde. Alle unsere moralischen Interessen, unser ganzes Geisteslebenhaben sich jedoch bisher ausschließlich in der Literatur konzentriert, und so wird es auchwohl noch lange bleiben: sie ist die lebendige Quelle, aus der alle menschlichen Gefühle undBegriffe in die Gesellschaft einsickern...Anscheinend ist nichts leichter, im Grunde aber ist nichts schwerer, als über die russischeLiteratur zu schreiben. Das kommt daher, daß die russische Literatur noch immer ein Wik-OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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