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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 224reichen bereits so tief hinab, daß kein Sturm, keine Wasserflut, keine Macht der Welt sie ausdem Boden reißen kann: man rode ein Stück dieses Wäldchens – und aus den Wurzeln schießenan einer anderen Stelle neue Triebe empor, und man wird leichter die Lust am Rodenverlieren, als daß die Wurzeln aufhören, neue Triebe zu geben und in die Breite zu wachsen...Wenn wir von den Erfolgen der Bildung unserer Gesellschaft reden, so reden wir von denErfolgen unserer Literatur, denn unsere Bildung ist die unmittelbare Auswirkung unserer Literaturauf die Begriffe und die Sitten der Gesellschaft. Unsere Literatur hat die Sitten derGesellschaft geschaffen, hat bereits mehrere Generationen erzogen, die sich scharf voneinanderunterscheiden, hat die innere Annäherung der Stände eingeleitet, eine Art öffentlicheMeinung gebildet und so etwas wie eine besondere Gesellschaftsklasse hervorgebracht, diesich von dem gewöhnlichen Mittelstand dadurch unterscheidet, daß sie nicht nur aus Kaufleutenund Kleinbürgern besteht, sondern aus Menschen aller Stände, die einander durch dieBildung nähergekommen sind, was bei uns soviel heißt wie durch die Liebe zur Literatur. 2Wer den Einfluß unserer Literatur auf die Gesellschaft richtig verstehen und einschätzen will,der muß sich die Repräsentanten ihrer verschiedenen Epochen ansehen, muß mit ihnen redenoder sie dazu bringen, miteinander Zwiesprache zu halten. Unsere Literatur ist so jung, hat erstvor so kurzer Zeit begonnen, daß man auch heute [379] noch in der Gesellschaft alle ihre Repräsentantenantreffen kann. Das erste in richtigem Versmaß geschriebene russische Gedicht,das Beachtung verdient, Lomonossows „Ode auf die Einnahme von Chotin“, erschien im Jahre1739, vor genau 107 Jahren, und Lomonossow starb im Jahre 1765, also vor etwas mehr als 80Jahren. Gewiß gibt es heute schon keinen Menschen mehr, der selbst als Kind Lomonossowgesehen hat oder sich, wenn er ihn gesehen hat, an ihn erinnern kann; aber es gibt auch heutein Rußland noch viele Menschen, die aus den Werken Lomonossows die Poesie und die Literaturlieben gelernt haben und die ihn auch heute noch für den großen Dichter halten, als denman ihn zu seiner Zeit betrachtete. Noch mehr Menschen gibt es heutzutage, die sich eine lebendigeErinnerung sowohl an das Aussehen wie an die Stimme Dershawins bewahrt habenund die Epoche seines vollentfalteten Ruhms als die schönste Zeit ihres Lebens ansehen. Vieleältere Leute sind auch heute noch in tiefstem Herzen überzeugt von dem hohen Wert der PoemeCheraskows, und ist es etwa lange her, daß der hochangesehene Dichter Dmitrijew sich inder Presse darüber beklagt hat, daß die junge Generation das Talent des Schöpfers der „Rossiade“und des „Wladimir“ nicht genügend achte? Es gibt noch viele alte Leute, die sich gerührtan die Tragödien Sumarokows erinnern und bereit sind, wenn die Rede darauf kommt,die nach ihrer Meinung schönsten Tiraden aus dem „Falschen Demetrius“ auswendig vorzutragen.Wieder andere sind zwar schon damit einverstanden, daß die Sprache Sumarokowswirklich sehr veraltet ist, verweisen aber mit besonderer Hochachtung auf die Tragödien unddie Komödien Knjashnins als auf Musterbilder für dramatisches Pathos und eine reine russischeSprache. Noch häufiger trifft man Leute an, die zwar nicht mehr von Sumarokow undKnjashnin reden, aber dafür mit um so mehr Feuer und Überzeugtheit von Oserow sprechenwerden. Was schließlich Karamsin angeht – so ist ihm nicht nur die alte, sondern auch diealternde Generation mit Leib und Seele unwiderruflich verfallen, empfindet, denkt und lebt inseinem Geist, obwohl sie auch Shukowski, Batjuschkow, Puschkin, Gribojedow, Gogol undLermontow nicht nur gelesen, sondern sich mehr oder weniger für sie alle begeistert hat...Weiter gibt es jetzt Leute, die ironisch lächeln, wenn Puschkin genannt wird, und mit Ehrerbietungund Begeisterung von Shukowski sprechen, als ob die Achtung vor diesem mit Achtungvor jenem unvereinbar sei. Und wie viele Leute gibt es heute, die Gogol [380] nicht verstehenund ihre Voreingenommenheit ihm gegenüber damit zu rechtfertigen suchen, daß sie2 In diesem Absatz gibt Belinski zum erstenmal, ohne sie beim Namen zu nennen, eine Definition der „Intelligenz“als einer besonderen sozialen Gesellschaftsschicht.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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