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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 223Verachtung auf die Mathematik, die ihm in der Schule nicht eingehen wollte. Man wird vielleichtsagen: das alles kommt nicht vom Geist der Spaltung, sondern vom Geist der Halbbildungoder der halben Aufgeklärtheit. Nun gut! Aber alle diese Leute haben ja eine, wennnicht gerade tiefe, so doch recht vielseitige Elementarbildung erhalten: der Literat hat bereitsin der Schule Mathematik gelernt und der Mathematiker Literatur studiert. Viele von ihnenkönnen sich, wenn’s drauf ankommt, recht gescheit darüber auslassen, daß die Wissenschaftennur künstlich getrennt werden, daß es aber eine wesentliche Trennung zwischen ihnennicht gibt und nicht geben kann, weil alle Wissenschaften zusammen das eine Wissen vondem einen Gegenstand – vom Sein – bilden; daß die Kunst ebenso wie die Wissenschaft auchein Bewußtwerden des Seins ist, nur in anderer Form, und daß die Literatur für alle gebildetenMenschen gleichmäßig geistiger Genuß und geistiges Vergnügen sein muß. Aber wenn esdarauf an [377] kommt, diese ausgezeichneten Erwägungen in die Tat umzusetzen – dannspalten sie sich sofort in Zünfte, die einander entweder über die Achsel oder mit einem gewissenironischen Lächeln, im Gefühl der eigenen Würde oder mit einer Art Mißtrauen, ansehen...Wie will man da Hang zur Gesellung von Leuten verschiedener Stände fordern, vondenen jeder auf seine Art sowohl denkt und redet als auch sich kleidet, ißt und trinkt?Und trotz alledem hieße es eine Unwahrheit aussprechen, wenn man sagen wollte, wir hättenüberhaupt keine Gesellschaft. Sicher ist, daß bei uns ein starkes Bedürfnis nach Gesellschaftund ein Drang zur Gesellschaft vorhanden sind, und schon das ist wichtig! Die Reform Petersdes Großen hat die Mauern, die in der alten Gesellschaft eine Klasse von der andern trennten,nicht vernichtet, nicht zerstört; aber sie hat die Grundfesten dieser Mauern unterminiert undsie, wenn auch nicht zum Einsturz gebracht, so doch sich auf die Seite neigen lassen – undjetzt neigen sie sich von Tag zu Tag immer tiefer, zerbröckeln und bedecken sich mit ihreneigenen Trümmern, ihrem eigenen Schutt und Schotter, so daß sie ausbessern soviel heißenwürde wie: ihnen eine Schwere geben, die infolge des unterminierten Fundaments ihren ohnehinunvermeidlichen Einsturz nur beschleunigen würde. Und wenn heute die durch dieseMauern voneinander getrennten Stände nicht wie über ein glattes Straßenpflaster über siehinschreiten können, so können sie doch leicht an jenen Stellen über sie wegspringen, wo dieMauern besonders verfallen sind oder Breschen zeigen. Das alles geschah früher langsam undunmerklich und geschieht jetzt sowohl schneller als auch merkbarer – und nicht mehr fern istdie Zeit, wo es sehr schnell und endgültig geschehen wird. Die Eisenbahnen werden unterMauern und durch Mauern hindurch, durch Tunnel und über Brücken hinweggehen; sie werdendurch den Ausbau der Industrie und des Handels die Interessen der Menschen aller Ständeund Klassen verflechten und werden sie zwingen, jene lebendigen, engen Beziehungenzueinander aufzunehmen, die ungewollt alle unnötigen scharfen Unterschiede verwischen.Doch der Beginn dieser Annäherung der Stände, die den Beginn der Bildung der Gesellschaftdarstellt, liegt keineswegs ausschließlich in unserer Zeit: er fällt zusammen mit dem Beginnunserer Literatur. Eine nur durch materielle Interessen zu einer Masse zusammengedrängteverschiedenartige Gesellschaft wäre eine klägliche und un-[378]menschliche Gesellschaft. Sogroß auch nach außen hin Wohlstand und Kraft irgendeiner Gesellschaft sein mögen – wennHandel, Industrie, Dampfschiffahrt, Eisenbahnen und überhaupt alle materiellen Triebkräftein ihr die ersten, hauptsächlichen und direkten, nicht aber nur zusätzlichen Hebel der Aufklärungund Bildung darstellen –‚ so kann man eine solche Gesellschaft schwerlich beneiden...In dieser Hinsicht können wir uns über unser Schicksal nicht beklagen: die Aufklärung undBildung unserer Gesellschaft floß anfangs als kleines, kaum merkbares Bächlein dahin, dasdafür aber aus der höchsten und edelsten Quelle entsprang – direkt aus Wissenschaft und Literatur.Die Wissenschaft schlägt erst jetzt hei uns Wurzel und hat noch nicht fest Boden gefaßt,während die Bildung sich nur noch nicht entfaltet hat, aber bereits tiefe Wurzeln besitzt.Ihre wenigen Blätter sind noch klein, der Stamm ist weder hoch noch dick, aber die WurzelnOCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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