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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 222Ausgewählte Aufsätze, Rezensionen und Briefe1846-1848[375]Gedanken und Bemerkungen über die Russische Literatur 1Mag unsere Literatur sein, wie sie will, sie hat jedenfalls für uns eine weit größere Bedeutung,als es scheinen mag: in ihr, und in ihr allein, liegt unser ganzes geistiges Leben und dieganze Poesie unseres Lebens. Nur in ihrer Sphäre hören wir auf, Iwan und Pjotr zu sein, undwerden wir einfach zu Menschen, reden und verkehren mit Menschen.In unserer Gesellschaft herrscht der Geist der Spaltung vor: jeder unserer Stände lebt auf seineeigene, besondere Art – hat seine eigene Kleidung, eigene Manieren, eine eigene Lebensweise,eigene Gebräuche und selbst seine eigene Sprache. Um sich hiervon zu überzeugen,genügt es, an einer Abendgesellschaft teilzunehmen, bei der sich zufällig ein Beamter, einOffizier, ein Großgrundbesitzer, ein Kaufmann, ein Kleinbürger, ein Prokurist oder ein Verwalter,ein Geistlicher, ein Student, ein Seminarist, ein Professor und ein Künstler zusammengefundenhaben; in eine solche Gesellschaft versetzt, kann man auf den Gedanken kommen,der babylonischen Sprachverwirrung beizuwohnen... So tief ist die Spaltung, die unterden Repräsentanten der verschiedenen Klassen ein und derselben Gesellschaft herrscht! DerGeist der Spaltung ist ein Feind der Gesellschaft: die Gesellschaft vereint die Menschen, dieKaste spaltet sie. Man ist vielfach der Meinung, es sei der Dünkel, dieser Überrest aus derZeit der alten Slawen, was bei uns der Hang zur Gesellung (sociabilité) unterbindet. Das magwahr sein, aber höchstens teilweise. Zugegeben, der Mann von Adel macht sich ungern mitLeuten niederen Rangs gemein; aber die Leute niederen Rangs zu welchen Opfern sind sienicht bereit, um dem Adel näherzukommen? Sie kennen kein leidenschaftlicheres Verlangen!Das Unglück ist nur, daß dieses Näherkommen stets äußerlich, formal bleibt – man steht wieauf dem Grüßfuß; der reiche Kaufmann fühlt sich schon in seiner Eigenliebe geschmeichelt,wenn er auch nur mit einem [376] armen Adligen bekannt ist, bleibt aber, auch wenn er einenreichen Adligen näher kennengelernt hat, den Gewohnheiten, den Begriffen, der Sprache undder Lebensweise des eigenen, das heißt des Kaufmannsstandes, treu. Dieser Geist der Absonderungist bei uns so stark, daß selbst die neuen Stände, die aus der von Peter dem Großenbegründeten neuen Ordnung der Dinge hervorgegangen sind, sofort ihre eigene besondereTönung angenommen haben. Warum soll man sich darüber wundern, daß der Adlige und derKaufmann einander so gar nicht ähnlich sind, wenn fast der gleiche Unterschied manchmalzwischen einem Gelehrten und einem Künstler besteht? Bei uns gibt es immer noch Gelehrte,die ihr ganzes Leben lang dem edlen Entschluß treu bleiben, nicht begreifen zu wollen, wasdie Kunst ist und wozu sie taugt; wir haben noch viele Künstler, die auch nicht mal eine Ahnungvon der lebendigen Verbindung ihrer Kunst mit der Wissenschaft, der Literatur unddem Leben haben. Deshalb braucht man nur einen solchen Gelehrten und einen solchenKünstler zusammenzubringen – und man wird sehen, daß sie entweder schweigen oder einpaar allgemeine Redensarten austauschen werden, und selbst das wird für sie keine Unterhaltung,sondern eine Mühe sein. Manch einer unserer Gelehrten blickt, besonders wenn er sichden exakten Wissenschaften gewidmet hat, mit einem ironischen Lächeln auf die Philosophieund die Geschichte und auf die Leute, die sich mit ihnen abgeben – in der Dichtung, der Literatur,der Journalistik gar sieht er einfach Unsinn. Unser sogenannter „Literat“ blickt voller1 Dieser Aufsatz wurde zum erstenmal in dem von N. A. Nekrassow herausgegebenen „Peterburgski Sbornik“(St. Petersburg, 1846) abgedruckt. Für die Bekanntschaft mit den Anschauungen Belinskis ist er von größterBedeutung.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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