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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 218des heutigen Frankreichs tut es der Aristokratie nur an Luxus und Eitelkeit gleich, die bei ihmgrob und gemein herauskommen wie bei Molières „Bürger als Edelmann“ („Le bourgeoisgentilhomme“).Und für solche Leute hat das Volk sein Leben eingesetzt! Nach der französischenVerfassung kann nur ein Eigentümer wählen und gewählt werden, der für seine unbeweglicheHabe nicht weniger als vierhundert Francs jährlich Abgaben zahlt. Damit ist dieganze Staatsgewalt, der ganze Einfluß auf den Staat in den Händen der Besitzer vereint, dienicht einen einzigen Tropfen [367] Blut für die Verfassung geopfert haben, während das Volkvon den Rechten der Verfassung, für die es gelitten hat, völlig ausgeschlossen blieb. Bei unsin Rußland, wo der Ausdruck „Hungers sterben“ als Hyperbel [Übertreibung] gebraucht wird,weil in Rußland nicht nur der fleißige arme Mann, sondern auch der ausgekochte Faulpelzund Bettler gar nicht die Möglichkeit hat, Hungers zu sterben – bei uns in Rußland wird mansich nur schwer vorstellen können, daß in England und Frankreich der Hungertod für die armenLeute durchaus möglich und ganz und gar nicht ungewöhnlich ist. Ein paar Wochen,zwei, drei Monate Krankheit oder Arbeitslosigkeit – und der arme Proletarier muß mit seinerFamilie sterben, wenn er seine Zuflucht nicht zu einem Verbrechen nehmen will, das ihndann aufs Schafott bringt. Das ist der Grund, warum wir uns so über diesen Gegenstand ausgelassenhaben, der so eng mit dem Inhalt der „Geheimnisse von Paris“ verknüpft ist. DasElend des Volkes geht in Paris über alles Maß und übersteigt die kühnste Phantasie.Aber die Funken des Guten sind in Frankreich noch nicht erloschen – sie liegen nur unter derAsche und warten auf einen günstigen Wind, der sie in eine helle, reine Flamme verwandelt.Das Volk ist ein Kind; aber dieses Kind wächst und verspricht, zum kräftigen, vernünftigenManne zu werden. Der Kummer hat es verständig gemacht und ihm gezeigt, was der konstitutionelleFlitter in Wahrheit wert ist. Es schenkt den Schwätzern und Gesetzesfabrikantenkeinen Glauben mehr und wird nicht mehr sein Blut vergießen für Worte, deren Sinn ihmdunkel bleibt, und für Männer, die ihm nur dann von Liebe reden, wenn sie jemanden brauchen,um sich die Kastanien aus dem Feuer holen zu lassen und sich so eine Gratisspeise zuverschaffen. Das Volk eignet sich schnell Bildung an und hat bereits eigne Dichter, die ihmseine Zukunft zeigen, während sie seine Leiden teilen und sich weder durch Kleidung nochdurch Lebensweise von ihm unterscheiden. Es ist noch schwach, aber in seiner Hut alleinliegen das Feuer des Lebens der Nation und die frische Begeisterung der Überzeugung, die inden „gebildeten“ Schichten der Gesellschaft erloschen sind. Aber auch heute hat es wahreFreunde; das sind die Männer, die ihre Gelübde und ihre Hoffnungen mit den Geschicken desVolkes verknüpft haben und freiwillig darauf verzichten, an dem Handel um Macht und Geldteilzunehmen. 3 Viele von ihnen sind als Gelehrte und Schriftsteller europäische Berühmtheitenund besitzen alle Voraussetzungen, um auf [368] dem konstitutionellen Jahrmarkt in derersten Reihe zu stehen, leben und wirken aber in freiwilliger, anständiger Armut. Ihre ehrliche,energische Stimme ist der Schrecken der Händler und der Aktionäre in den Verwaltungsbehörden– und diese Stimme, die für das arme, betrogene Volk erklingt, ertönt in denOhren der behördlichen Entrepreneure [Unternehmer] wie die Trompete des Jüngsten Gerichts.Das klagende Stöhnen des Volkes, das mit dieser Stimme zu aller Ohren dringt, rütteltdie öffentliche Meinung auf und bringt damit die Staatsspekulanten in Aufregung. Nebendiesen ehrlichen Stimmen ertönen andere, zahlreichere, die im Eintreten für das Volk einesichere Spekulation, ein zuverlässiges Mittel sehen, das Ministerium zu stürzen und an seineStelle zu treten. Auf diese Weise ist das Volk in Frankreich zum Problem geworden, mit demsich die öffentliche Meinung, die Politik und die Verwaltungsbehörden beschäftigen. Es verstehtsich, daß in solchen Zeiten ein literarisches Werk, dessen Held das Volk ist, Erfolg habenmuß. Und man kann sich nur darüber wundern, wie der Geist der Spekulation, der die3 Mit „wahre Freunde“ des französischen Volkes meinte Belinski natürlich die französischen utopistischen Sozialisten.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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