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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 216verfügenden Leuten als vorgefaßte Meinungen erscheinen können – wollen wir die „Geheimnissevon Paris“ von einem anderen Punkt aus betrachten und sie mit einer anderen Elle messenals der des Erfolgs, das heißt der für sie bezahlten Summe Geldes. Wir halten das sogarfür unsere Pflicht, denn die „Geheimnisse von Paris“ haben auch in Rußland, wie überall,großen Erfolg gehabt. Dank der guten, wenn auch nicht vollständigen Übersetzung des HerrnStrojew kann heute auch jener Teil des russischen Publikums diesen Roman kennenlernen,der ausländische Werke nicht im Original lesen kann. Über die „Geheimnisse von Paris“ redetund debattiert man bei uns auch in der Provinz, und einige hauptstädtische Zeitschriftengeben überlaute Phrasen über die Genialität Eugène Sues und die Unsterblichkeit seiner „Geheimnissevon Paris“ zum besten, wobei sie übrigens die Gründe dieser Genialität und dieserUnsterblichkeit für ihr Publikum ein undurchdringliches Geheimnis bleiben lassen. Wir habenseinerzeit bereits unsere Meinung geäußert und in der Rubrik „Ausländisches Schrifttum“die Ansicht eines der besten modernen Kritiker Frankreichs über die „Geheimnisse vonParis“ mitgeteilt. Das hätte genügen können; aber konnten wir damals annehmen, daß die„Geheimnisse von Paris“ das russische Publikum so lebhaft interessieren würden? Über dieDinge zu reden, die Gegenstände des öffentlichen Interesses sind, ist aber Aufgabe der Zeitschrift.So werden wir also noch etwas über die „Geheimnisse von Paris“ reden.Der Grundgedanke dieses Romans ist wahr und edel. Der Autor [364] wollte der lasterhaften,egoistischen, das Goldene Kalb anbetenden Gesellschaft das Schauspiel der Leiden jener Unglücklichengegenüberstellen, die zu Unwissenheit und Armut und durch diese Unwissenheitund Armut zu Laster und Verbrechen verurteilt sind. Wir wissen nicht, ob das Gemälde, dasder Autor, so gut er konnte, entworfen hat, diese Gesellschaft dazu gebracht hat, aus ihrenOrgien von Handel und Industrie erschrocken aufzufahren; wir wissen jedoch, daß es dieseGesellschaft gereizt hat – und sie hat den Autor der Unsittlichkeit beschuldigt! In unserenZeiten sind die Worte „Sittlichkeit“ und „Unsittlichkeit“ sehr elastisch und vieldeutig geworden,und man kann sie heute leicht, wie man will, auf alles Erdenkliche anwenden. Man sehesich zum Beispiel einmal diesen Herrn da an, mit welcher Würde er seinen dicken Wanstspazieren trägt, der so viel Blut und Tränen schutzloser Unschuldiger verschlungen hat –diesen Herrn, dessen Gesicht so viel Selbstzufriedenheit ausdrückt, daß man sich auf denersten Blick von dem Umfang seiner wohlgefüllten Truhen überzeugen kann, in denen dieunbezahlte Arbeit armer Leute und das legale Erbe vieler Waisen verwahrt liegen. Er, dieserHerr mit dem Eselskopf auf dem Stierleib, redet besonders oft und besonders gern von Sittlichkeitund verurteilt besonders streng die Jugend wegen ihrer Unsittlichkeit, die in der Mißachtungverdienter (d. h. reich gewordener) Männer besteht, und wegen ihrer Freigeisterei,die sie nur Worten glauben läßt, die durch Taten bekräftigt werden. Solcher Beispiele lassensich tausende finden, und es ist durchaus nicht verwunderlich, wenn in unserer Zeit Leuteauftreten, die Sokrates einen Betrüger, einen Gauner und einen Wahnwitzigen nennen, derdie Sittlichkeit der jungen Leute gefährdete. Zu den besonderen Charakterzügen unserer Zeitgehört es auch, daß man für jede Wahrheit, für jede edle Regung, für jede anständige Handlung,die unmittelbar und praktisch zeigt, was Sittlichkeit bedeutet, und, ohne es zu wollen,die verderbten Moralisten an den Pranger stellt, immer gleich der Unsittlichkeit bezichtigtwird. Mit diesem schrecklichen Wort wurde in Paris auch der Roman Eugène Sues belegt:der Autor hatte also sein Ziel erreicht – sein Brief war an die richtige Adresse gekommen...Die „Geheimnisse von Paris“ lösten sogar eine Debatte über Verwaltungsfragen in der Deputiertenkammeraus: so groß war der Erfolg dieses Romans ...Um der Mehrheit des russischen Publikums den außerordentlichen Erfolg der „Geheimnissevon Paris“ verständlich zu machen, [365] ist es nötig, die lokalen, historischen Ursachen diesesErfolges zu erläutern. Diese Ursachen gehören heute der Geschichte an; die Politik redetnicht mehr von ihnen: sie sind mithin bereits zum Gegenstand der historischen Kritik gewor-OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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