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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 215einst über ihn außer sich war vor Begeisterung, völlig gleichgültig, nicht nur, ob er jetzt nochexistiert, sondern auch, ob es ihn je gegeben hat. 2Bei alledem hat wohl keine einzige Epoche irgendeiner Literatur das Beispiel eines Erfolgesaufzuweisen, der sich auch nur entfernt mit dem vergleichen kann, der in unseren Tagen dievielbesprochenen „Geheimnisse von Paris“ gekrönt hat. Wir wollen nicht davon reden, daßdieser Roman oder, besser gesagt, diese europäische Tausendundeine Nacht, die stückchenweiseunter dem Strich einer Tageszeitung erschien, das Publikum von Paris und damit auchdas Publi-[362]kum überall in der Welt gefesselt hat, wo französische Zeitungen gelesenwerden (und wo werden sie nicht gelesen?) – auch nicht davon, daß dieser Roman nach seinemErscheinen in Buchform in kürzester Zeit vergriffen, gelesen, wiedergelesen, zerlesen,abgegriffen und zerfetzt war, auch das an allen Enden der Welt, wo immer man Französischspricht (und wo spricht man es nicht?), daß er in alle europäischen Sprachen übersetzt ist,unendlich von sich reden gemacht hat, mehr noch in nichtliterarischen als in literarischenKreisen, und mächtig Nachahmung anregte – auch nicht davon, daß jetzt in Paris eine Prachtausgabedes Romans mit Illustrationen der besten Zeichner in Vorbereitung ist. Alles das istin unserer Zeit kein Maßstab für wahren, wirklichen Erfolg. In unserer Zeit wird das Ausmaßdes Genies, des Talents, der Gelehrtheit der Schönheit, der Tugend und folglich auch desErfolgs, den unser Jahrhundert höher stellt als Genie, Talent, Gelehrtheit, Schönheit und Tugend–dieses Ausmaß wird am besten mit einem Maßstab gemessen, der alle anderen bedingtund einschließt: mit – GELD. In unserer Zeit ist man genial, gelehrt, schön und tugendhaftnur, wenn man gut verdient hat und reich geworden ist. In den guten, aber finsteren alten Zeitenbeendete das Genie seine große Laufbahn entweder auf dem Scheiterhaufen oder im Armenhaus,wenn nicht in der Irrenanstalt; die Gelehrsamkeit starb Hungers; die Tugend teiltedas Schicksal des Genies, und die Schönheit galt als gefährliches Geschenk der Natur. Heuteliegen die Dinge anders. Heute hat man es mit solchen Eigenschaften manchmal schwer zuBeginn seiner Laufbahn, beendet sie aber um so besser: mager, schlank und blaß in der Jugend,ruht man sich in den Jahren vielerfahrener Männlichkeit dick, fett, rotwangig, stolz undsorglos auf Säcken Goldes aus. Anfangs ist man gewöhnlich Misanthrop und Byronist, aberdann wird man zum Spießer, der mit sich und der Welt zufrieden ist. Jules Janin begann seineLaufbahn mit „dem toten Esel und der guillotinierten Frau“ und beschließt sie als Verfasserkäuflicher Feuilletons im „Journal des Débats“, in dem er einen einträglichen Laden aufgemachthat, wo Lob und Tadel an den Meistbietenden verkauft werden. Eugène Sue betrachtetezu Anfang seiner Laufbahn das Leben und die Menschheit durch eine schwarze Brille undlegte Wert darauf, zur satanistischen Literaturschule gerechnet zu werden: damals war ernoch nicht reich. Jetzt hat er es mit der Moral, denn er ist reich geworden... Nach den großenSummen, die er für die „Geheimnisse [363] von Paris“ bekommen hat, bietet jetzt ein neuerZeitungsmann, der seine Zeitschrift auf die Beine bringen will, dem Autor der „Geheimnissevon Paris“ hunderttausend Francs für seinen neuen Roman an, der noch nicht geschriebenist... Das nenn’ ich mir Erfolg! Und wer Eugène Sue an Genialität übertreffen will, der mußeinen Roman schreiben, für den ein Zeitungsmann zweihunderttausend Francs zu geben bereitwäre. Dann wird jeder, auch wenn er nicht lesen, dafür aber rechnen kann, verstehen, daßder neue Romanschriftsteller genau doppelt so genial ist wie Eugène Sue ... Die ästhetischeKritik ist, wie man sieht, sehr einfach: jeder bärtige russische Bauunternehmer mit einemRechenbrett in der Hand kann zum größten Kritiker unserer Zeit werden ...Damit wäre, scheint es, das Problem der „Geheimnisse von Paris“ kurz und befriedigend gelöst;doch getreu unseren Überzeugungen, die allen über ein ausreichendes Kapital an Moral2 Balzac ist von Belinski nicht nach Verdienst gewürdigt worden. In dieser Hinsicht teilte er das Schicksal einerReihe anderer französischer Romanciers.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.11.2013

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