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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 207und andere Epochen, wo die Aufnahme neuer oder die Weiterentwicklung alter Ideen nur aufGrund der Arbeit der ersten Epoche möglich ist. Nur allzu wenige Menschen sind, wenn siedas Mannesalter erreicht haben, imstande, die allereinfachsten und in den Kinder- und Jugendjahrendurch Studium zugänglichen Wahrheiten zu verstehen. Das kommt daher, daß dasKind jene Ideen, die anfangs abstrakt erscheinen, aber dann, in reiferem Alter, den Charaktergreifbarer Wirklichkeit annehmen und durch das Bewußtsein überprüft und weiterentwickeltwerden, auf gut Glauben und unmittelbar annimmt. Wer in der Epoche der ersten Jugend Geschichtegelernt hat, der nimmt die Vorstellungen von Volk oder Menschheit als von ideellenPersönlichkeiten unmittelbar in sich auf. Für einen Menschen dagegen, der erst im Mannesalterzu denken und zu lernen beginnt, sind solche Ideen manchmal nur mit Hilfe großer Geistesanspannungund oft überhaupt nicht faßlich: denn der Geist, der nicht durch Studiumentwickelt und dadurch in den Kinder- und Jugendjahren schmiegsam geworden ist, wirdgrob und unfähig zur Aufnahme abstrakter Begriffe; er kann nur das materiell Klare und Bestimmteerfassen. Aber diese selbe Schmiegsamkeit und zarte Empfänglichkeit, die für jungeGeister zur schnellen und leichten Aufnahme von Ideen so förderlich ist und auf der die Möglichkeitder Aneignung des Inhalts der Wissenschaft – der Wahrheit – beruht, kann auch dieUrsache der Vergröberung der geistigen Fähigkeiten sein und unfähig machen, die Wahrheitzu erfassen. Das hängt davon ab, mit welchen Wahrheiten das junge Gehirn als ersten in Berührungkam und auf welche Weise sie ihm übermittelt werden. Das ist der Grund, warum einjedes Lehrbuch, und also auch ein solches der Geschichte, so große Bedeutung hat.Entgegen einer allgemein verbreiteten falschen Auffassung soll ein Geschichtslehrbuch sichdurchaus nicht aller urteilenden Betrachtungen von Seiten des Autors enthalten. Es kommtnur darauf an, daß diese Betrachtungen angebracht sind und ebenso viele Gedanken wie Worteenthalten. Sie sollen ausdrucksvoll sein, ohne weitschweifig zu werden, knapp, aber nichtdunkel, beredt, aber nicht manieriert, entschieden, aber nicht rhetorisch. Ihr Ziel muß sein,den jungen Geist dazu zu erziehen, nachzudenken, ohne ins Räsonieren zu verfallen, nachzudenken,ohne trocken zu sein, und nicht nur in den Sinn, son-[349]dern auch in die Poesie dergroßen Weltereignisse einzudringen. Aber noch mehr muß der Autor eines Geschichtslehrbuchesimstande sein, eine lebendige und zugleich einfache Darstellung der Ereignisse zu geben,die unmittelbar zum Verstand und zur Phantasie spricht und deshalb leicht im Gedächtnishaftenbleibt. Das kann er nur dadurch erreichen, daß er schon beim Aufbau des Lehrbuchsdurch die ganze Kette der Ereignisse einen lebendigen Gedanken durchführt und jedes einzelneEreignis durch Gedanken verlebendigt. Die Personen, die in den Ereignissen eine Rollespielen, dürfen nicht nur große Namen bleiben, sondern müssen auch geschichtliche Ideensein; jede von ihnen muß sowohl von der Seite ihres eigenen Denkens vorgeführt werden, ausdem heraus sie handelten, als auch in Verbindung mit der allgemeinen Idee des Volkes, indessen Mitte sie auftrat, so daß der Schüler versteht, daß eine Person, wie z. B. Alkibiades,nur in Athen und eine andere, wie z. B. Marius, nur in Rom möglich war, obwohl diese beidenPersonen ebensosehr Freunde wie auch Feinde ihres Vaterlands waren. Ein gutes Geschichtslehrbuchsoll nicht nur durch Erläuterungen (die es indessen auch enthalten muß),sondern auch durch den Ton seiner ganzen Darstellung selbst den Schüler vor allem dazuerziehen, in jedem einzelnen Volk und in der ganzen Menschheit nicht statistische Zahlen,nicht künstliche Maschinen, nicht abstrakte Ideen, sondern lebendige Organismen, ideellePersönlichkeiten zu sehen, die von dem ewigen Streben nach Selbsterkenntnis beseelt sind.Ohne diese Anschauung von Volk und Menschheit als von ideellen Persönlichkeiten gibt eskeine Geschichte als Wissenschaft; denn sie wäre dann eine Wissenschaft ohne Inhalt, eineErzählung ohne Helden, eine Ansammlung von Ereignissen ohne Verbindung und Sinn. DerBegriff des Fortschritts, als der Quelle und des Ziels der historischen Bewegung, die die Ereignissehervorbringt und entstehen läßt, muß sich als direkte und unmittelbare Folgerung ausder Auffassung von Volk und Menschheit als von ideellen Persönlichkeiten ergeben. AberOCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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