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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 202auch als ein außerhalb des eigenen Ichs Seiendes. Das Tier empfindet seine Besonderheit gegenüberden Gegenständen, die es umgeben, empfindet seine Individualität, aber es besitztkeine Persönlichkeit, es kann nicht zu sich selbst sagen: ich denke, also bin ich. Das unmittelbareLeben hat verschiedene Stufen und ist bald niederes, bald höheres Leben, seine Gesetzejedoch sind überall die gleichen; der Mensch steht auch in seinem unmittelbaren Dasein höherals das Tier, aber im vollen Umfang Mensch sein kann er nur als bewußtes Wesen. Hegel hatgesagt, der Mensch sei ein Tier, das deshalb bereits kein Tier mehr ist, weil es weiß, daß es einTier ist. Einem oberflächlichen Geist kann diese Definition als philosophisches Wortspiel erscheinen,ein durchschnittlich gescheiter Kopf wird sie wohl noch als nebelhaft bezeichnen,und der eingebildete Ignorant wird in ihr ein dürrweises deutsches Schlagwort sehen. Mit solchenHerrschaften zu streiten, haben wir weder Zeit noch Lust. Denkende Menschen werdendie ganze Tiefe dieses Ausspruches verstehen, der dem Anschein nach ganz einfach ist, jedocheinen großen Gedanken scharf und bestimmt erfaßt. Ist doch in der Tat der Wilde, der seinengetöteten Gegner auffrißt, nicht gerade deshalb tierisch, weil er nicht weiß, daß er tierisch ist?Würde in seinem rohen Begriffsvermögen [340] das Bewußtsein aufleuchten, daß er tierischist, so würde er zwar vielleicht nicht gleich aufhören, tierisch zu sein, aber doch dazu instandversetzt werden. Das läßt sich auf viele Dinge anwenden. Welcher von zwei Missetätern hat esleichter, sich zu bessern: derjenige, der sich seiner Missetat bewußt ist, oder derjenige, der inihr eine legitime Form des Lebens sieht und sich gar mit ihr brüstet wie mit einer Tugend? Eskommt nur darauf an, daß man unter Bewußtwerden nicht allein den kalten, logischen Denkprozeßversteht, sondern die leidenschaftliche, ins Leben eindringende Überzeugung. Das Lebendes Menschen erhält seine ganze Fülle erst aus dem gleichmäßigen Zusammenwirkenaller Seiten seiner sittlichen Existenz. Im Denken ohne Gefühl und im Gefühl ohne Denkenzeigt sich nur der Drang zum Bewußtsein, ein halbes Bewußtsein, aber noch nicht da eigentlicheBewußtsein selbst: eine Maschine, die grade eben mit der Hälfte ihrer Räder und deshalbnicht mit voller Kraft und unsicher arbeitet.Wir wissen, daß es in den fernsten alten Zeiten und selbst inmitten roher, kulturloser Völkergeniale Persönlichkeiten gegeben hat, die zu einem hohen Grad von menschlicher Bewußtheitaufgestiegen sind. Aber der einzelne Mensch ist nicht Ziel an sich: er lebt unter anderen undfür andere Menschen, wie die anderen für ihn leben. Auch das Volk ist eine Persönlichkeitwie der einzelne Mensch, nur von höherer Ordnung; ebenso ist die Menschheit eine Persönlichkeitwie das Volk, nur von noch höherer Ordnung. Wenn nun für jeden einzelnen Menschendas Ziel seines Lebens das Bewußtwerden ist – was anderes, wenn nicht das Bewußtwerden,muß dann auch für jedes einzelne Volk und für die ganze Menschheit das Ziel ihrerExistenz sein? Das ist um so einleuchtender, als das Volk stets höher steht als der einzelneMensch, mag er noch so groß sein, und als die vereinten Bemühungen vieler Menschen ihremResultat nach den Bemühungen des einzelnen stets überlegen sein werden.Dabei sehen wir jedoch, daß es das Bewußtwerden bis heute nur dazu gebracht hat, vom Individuumzum Stand überzugehen. Die Menschheit hat also auf dem Weg ihrer Vervollkommnungoder Bewußtwerdung noch einen Weg zurückzulegen, der länger ist als der bisherschon durchschrittene; aber dieser Weg wird bereits grader und breiter: es will ja schon vielheißen, wenn man aus Gebüsch und Dickicht endlich auf die Landstraße hinauskommt. Dasist der Grund, warum wir in der historischen Tendenz unserer [341] Zeit einen großen Fortschrittfür die Menschheit sehen. Hat die Menschheit erst einmal begonnen, sich ihrer selbstals Menschheit bewußt zu werden, so bedeutet dies, daß die Zeit nahe ist, wo sie nicht mehrnur wie bisher unmittelbar, sondern auch bewußt Menschheit sein wird. Und den Ausgangspunktdieser Bewußtwerdung konnte sie nur in der Geschichte finden.Im Orient ist die Geschichtsschreibung bis heute noch Märchen, weil sie sich dort noch nichtvon der Dichtung losgelöst hat. Eigentlich gesprochen, kann es im Orient auch keine Ge-OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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