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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 201chen ohne Ideen sind für Kopf und Gedächtnis wie Müll. Der Blick des Naturforschers, derdie Naturerscheinungen beobachtet, entdeckt in ihrer Mannigfaltigkeit allgemeine, unveränderlicheGesetze, d. h. Ideen. Da er sich von der Idee leiten läßt, sieht er in der Klassifizierungder Naturerscheinungen kein künstliches Hilfsmittel für das Gedächtnis, sondern dieAllmählichkeit der Entwicklung von niederen zu höheren Gattungen, er sieht also Bewegung,Leben. Sind denn wirklich die gesellschaftlichen Erscheinungen, die die notwendige Formdes menschlichen Lebens [338] bilden, weniger interessant, weniger vernünftig als die Naturerscheinungen?Es gab und gibt Skeptiker, die behaupteten und behaupten, die Natur sei zufälligaus irgendwelchen Atomen hervorgegangen, die Gott weiß woher entstanden seien;längst jedoch sind die Skeptiker ausgestorben, die alles auf Sinnestäuschung zurückführtenund die Ordnung, die Harmonie und die Unveränderlichkeit der Gesetze leugneten, nach denendie Natur existiert. Und da soll die menschliche Gesellschaft, diese höchste Manifestationder Vernunft in der höchsten Äußerung der unbewußten Natur, dem Menschen, – da soll dieGesellschaft aus Zufall entstanden und vom Zufall regiert sein? Und dennoch gibt es Menschen,die dieser Meinung sind, ohne vielleicht selber zu wissen, daß sie so denken! Denn derGeschichte die Möglichkeit absprechen, eine Wissenschaft zu sein, heißt so viel, wie derEntwicklungsgeschichte der Gesellschaft unveränderliche Gesetze absprechen und in denGeschicken des Menschen nichts anderes sehen als die sinnlose Willkür des blinden Zufalls.Solange die exakten Wissenschaften noch in den Windeln lagen, war eine solche Auffassungverzeihlich; aber seitdem die Erkenntnis die wechselseitige Verbundenheit der Tatsachen undihre Folgerichtigkeit, und die Philosophie den Sinn und die Bedeutung dieser Verbundenheitund Folgerichtigkeit aufgedeckt haben, indem sie in ihnen Entwicklung und Fortschrittnachwiesen, können sich vor der Möglichkeit der Geschichte als Wissenschaft und vor ihrergroßen Bedeutung nur schwache Geister oder freche Scharlatane verschließen, die in mehrschamlosen als kühnen Paradoxen nach einer kläglichen Berühmtheit jagen, um ihre kleinlicheEigenliebe zu befriedigen...Die Geschichtsschreibung ist eine Wissenschaft unserer Zeit und mithin eine neue Wissenschaft.Ungeachtet dessen ist sie bereits zur herrschenden Wissenschaft der Zeit, zum A undO des Jahrhunderts geworden. Sie hat die Kunst in eine neue Richtung gelenkt, hat der Politikeinen neuen Charakter verliehen, ist in das Privatleben und die Sitten der Menschen eingedrungen.Ihre Probleme sind entscheidend geworden für Leben und Tod der Völker und derPrivatpersonen. Diese historische Richtung ist ein glänzender Beweis für den großen Schrittvorwärts, den die Menschheit in der jüngsten Zeit auf dem Wege der Vervollkommnung getanhat: sie zeugt davon, daß die einzelnen Individuen sich als lebendige Organe der Gesellschaft,als lebendige Glieder der Menschheit zu erkennen beginnen und daß folglich dieMenschheit selbst nicht mehr nur [339] objektiv, sondern als lebendige, ihrer selbst bewußtePersönlichkeit lebt.Es gibt zwei Arten von Geschichtsschreibung: die eine ist unmittelbar, die andere bewußt. Dieeine ist das menschliche Leben selbst, das sich nach den Gesetzen vernünftiger Notwendigkeitaus sich selbst entwickelt. Die andere ist die Darstellung der tatsächlichen Vorgänge desmenschlichen Lebens, die geschriebene Geschichte als die Erkenntnis der unmittelbaren Geschichte.Alles Vernünftige hat seinen Ausgangspunkt und sein Ziel: die Bewegung ist dieÄußerung des Lebens, das Ziel ist der Sinn des Lebens. Im unmittelbaren Leben der Menschheitbeobachten wir ein Streben nach vernünftigem Bewußtsein, ein Streben, das Unmittelbarezugleich auch bewußt zu machen, denn die Vernunft kommt da zum vollen Triumph, wo dasUnmittelbare und das bewußte Dasein harmonisch miteinander verschmelzen. Auch das Lebendes Tiers ist den unveränderlichen, allgemeinen Gesetzen der Natur unterworfen; dem Tier istes jedoch nicht gegeben, sich am Bewußtsein seiner Existenz zu erfreuen, es ist ihm nicht gegeben,sich nicht lediglich als etwas in sich Beruhendes zu sehen und zu erkennen, sondernOCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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