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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 193mich recht erinnere, Descartes zu Freunden gesagt hat, die ihn nach seiner Meinung über die TragödienRacines befragten: „Selbst angenommen, daß sie gut sind – was beweisen sie?“ DemÜberwiegen des subjektiven Prinzips haben wir in den Dichtwerken unserer Zeit jene Fülle vonAbschweifungen zu verdanken, in denen der Dichter von sich aus sowohl als Richter wie auch alsFragesteller und Antwortgeber auftritt. Kurz, Poesie und Philosophie gehen einander bereits nichtmehr aus dem Wege, sondern reichen sich sogar ständig die Hand, um sich gegenseitig zu stützen,und fließen schließlich öfters so ineinander, daß man manches philosophische Werk eher alsein poetisches und manches poetische als ein philosophisches Werk ansprechen könnte.Die Poesie dringt heute auch in die Prosa des Lebens ein, die sie früher so verabscheute – undder denkende Mensch kann nicht an der lehrreichen Tatsache vorübergehen, daß heutzutageauch die Möbel und die Kleinigkeiten der Zimmereinrichtung nicht nur höchst kunstvoll ausgeführtsind, sondern auch den Stempel schöpferischen Geistes tragen...Vor nicht langer Zeit ist eine Wissenschaft entstanden, die zugleich auch Kunst ist und in dertrockenes Fachwissen, kühle, verstandesmäßige Analyse, höchste philosophische Anschauung,sklavische Unterordnung unter die Tatsachen, lebendiges, poetisches Gefühl und schöpferischePhantasie sich zusammenfinden. Diese Wissenschaft ist die Geschichte. Ihre Voraussetzungensind so groß und so vielfältig, sie finden sich so selten in ein und derselben Personvereinigt, daß es bis heute mehr Ansätze zu einer Geschichtsschreibung und überhaupt zu historischenWerken verschiedener Art gegeben hat als das, was sich eigentlich „Geschichte“nennt. Die besten Versuche in dieser Hinsicht stammen von den Franzosen, die als Schriftsteller,von andern Gründen abgesehen, auch noch deshalb mehr als andere befähigt sind, Geschichtezu schreiben, weil sie mehr als andere als Volk durch das Leben ihrer Nation Geschichte[324] machen. Die Deutschen dagegen verstehen bedeutend mehr von der Theorie derGeschichte als von der Geschichtsschreibung selbst, weil sie mehr geistig und beschaulich alsgeschichtlich leben. Da haben wir also noch eine weitere Bedingung, die man erfüllen muß,um ein guter Historiker zu sein – eine Bedingung, die nicht von dem Historiker abhängt.Man teilt die Geschichte in eine allgemeine und eine besondere ein, wobei man unter jenerdie Geschichte des ganzen Menschenvolkes und unter dieser die Geschichte irgendeines einzelnenVolkes versteht. Diese Einteilung ist nicht so wichtig und wesentlich, wie man meint.Denn obgleich die „allgemeine“ Geschichte dem Umfang nach unvergleichlich umfassenderist und tiefer reicht als die sogenannte „besondere“ Geschichte, so sind doch die Anforderungen,die die eine wie die andere an den Historiker stellt, völlig die gleichen: Wer es nicht versteht,die Menschheit als ideelle Persönlichkeit anzuschauen, und deshalb jedes einzelneVolk, für sich genommen, als etwas Losgelöstes, ohne lebendige Verbindung mit derMenschheit Existierendes betrachtet, der ist nicht imstande, eine gute Geschichte auch eineseinzelnen Volkes zu schreiben. Infolgedessen ist es bedeutend besser, unter „besondere“ Geschichtenicht die Geschichte irgendeines einzelnen Volkes zu verstehen, sondern die Geschichteeines der vielen Elemente, aus denen sich das Leben der Menschheit und das Lebenjedes Volkes zusammensetzt. Deshalb sind die Geschichte der Religion, der Kunst, der Wissenschaft,des Rechts, des Handels, der Industrie, die politische Geschichte und die Geschichteder Kriege usw. „besondere“ Geschichte im eigentlichen Sinn. Eine solche Art von Geschichtefordert, infolge ihrer geringeren Kompliziertheit, von dem Historiker geringere Voraussetzungenund ist in bezug auf die eigentliche, die allgemeine oder die Weltgeschichte soetwas wie Material, was nicht ausschließt, daß sie zugleich auch den Wert einer voll und geschlossendurchgebildeten Geschichte haben kann. Diese Art von Geschichtsschreibung istäußerst wichtig: nur, wo sie vorhanden ist, kann es eine allgemeine Weltgeschichte geben. ** Nebenbei sei hier bemerkt, daß wir so lange keine befriedigende Geschichte Rußlands besitzen werden, bis unsereHistoriker sich daran machen, die besondere Geschichte einzelner Teilgebiete zu schreiben, deren Studium sieOCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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