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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 188Um da und dort ein Herz zu rühren;Daß, vom Geschick bewahrt, fortanMein Lied im Strom sich nicht verlieren,In Lethes Nacht versinken kann;Ja, daß vielleicht (o schönstes Hoffen!)Einst noch der dümmste Narr betroffenVor meinem Bilde stille stehtUnd staunend ausruft: ‚Welch Poet!‘Dir aber sag’ ich treuverbunden,O Freund der Musen, wärmsten Dank,Wenn mein bescheidner, flücht’ger SangIn deiner Brust Asyl gefundenUnd gönnerhaft dein Finger rührtDen Lorbeer, der das Haupt mir ziert. [313[315]Rezensionen1842–1845Geschichte Kleinrußlands von Nikolai MarkewitschMoskau, 1842, 4 Bände 1(Bruchstück)Es gehört zu den charakteristischsten Zügen unserer Zeit, daß die bisher voneinander getrenntenElemente des geistigen Lebens die Tendenz zeigen, sich zu vereinigen und zu verwachsen.Das Leben strebt jetzt offensichtlich danach, zu einem einheitlichen Ganzen zu werden.Und wenn es bisher in Tausende von Einseitigkeiten, in eine endlose Menge verschiedenerSeiten zertrennt und zersplittert in Erscheinung trat, wobei jede von ihnen auf ideologischemGebiet das Recht eines ausschließlichen Monopols beanspruchte, sich allen andern überlegenfühlte und ihnen stolz jede Bedeutung absprach, so war diese der organischen Einheit entgegengesetzteTendenz eine Notwendigkeit für eben diese organische Einheit, deren Morgenrötesich bereits am Horizont der Menschheit abzeichnet. Es war erforderlich, daß jedes Elementdes geistigen Lebens sich voll ausbildete und entwickelte, und dazu war es notwendig,daß jedes Element des Lebens sich gesondert entwickelte. So ist die Getrenntheit eine unvermeidlicheVorbedingung der Einheit – das erste Moment im Prozeß der Einheit. Nur getrenntentstandene Elemente konnten sich voll entwickeln, und nur voll entwickelte Elemente konntenzum Bewußtsein ihrer Verwandtschaft kommen und erkennen, daß sie nicht Feinde waren,sondern Freunde, die einer des anderen in gleicher Weise bedurften und in gleicher Weisefüreinander von Nutzen waren. Den Beweis für diese Wahrheit liefert die Geschichte derVölker, die Geschichte der Gesellschaft, die Chronik der Wissenschaft, der Kunst und selbstder Handwerke. Jedem einzelnen Volk war die Aufgabe zugefallen, irgendeine Seite des Lebenszur Entwicklung zu bringen, und deshalb wies das eine Volk große Erfolge im [316]Kriege auf, das andere – in der Wissenschaft, ein drittes – in der Kunst, ein viertes – im Handelusw. Und jedes dieser Völker blickt vor seiner Reifeperiode voller Haß und Verachtungauf alle andern Völker, hält nur sich allein für klug, für gut und tüchtig. Von hier stammt allerNationalhaß, von hier die an Wut gemahnende Konkurrenz und der an Neid gemahnendeWettstreit der Völker. So war zum Beispiel in der Geschichte Europas drei Jahrhunderte langdas treibende und lenkende Element der Gedanke eines politischen Gleichgewichts, welcher1 Zum erstenmal abgedruckt im Jahre 1843 in den „Otetschestwennyje Sapiski“. In der vorliegenden Ausgabe istder Schluß fortgelassen, da er philosophisch belanglos ist.OCR-Texterkennung Max Stirner Archiv Leipzig – 23.12.2013

W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 189darin bestand, daß keinem Staat erlaubt wurde, stärker zu sein als die anderen, auch wenndiese Stärke eine rein innerliche war und auf Erfolgen im Handel, in der Industrie, der Zivilisationund der Bildung beruhte, und daß, sobald ein Staat zu größerem Wohlstand gelangteund politisch gesundete, alle anderen sich beeilten ihn zu schwächen; als Mittel hierzu dientenmeist kräftige Aderlaß, und der Krieg endete gewöhnlich mit allgemeiner Ermattung undErschöpfung sowohl des beneideten Gegners als auch der Neider selbst... Dieser Gedankeerscheint heute lächerlich und kindisch, aber damals hat er der Menschheit viel Blut und vieleTränen gekostet! ... Es war ein Moment der Krise, der Moment des Übergangs aus dem Kindes-zum Mannesalter. Der Gedanke, daß die Staaten einander eifersüchtig kontrollierenmüssen und das Recht besitzen, einander im Zaum zu halten – bereits in diesem bloßen Gedankenläßt sich der Beginn einer, wenn auch falsch verstandenen Einheit erkennen. Heutzutagewird diese Einheit anders verstanden und liegt in der Unterordnung der großen Idee dernationalen Individualität unter die größere Idee der Menschheit. 2 In den Völkern erwacht dasBewußtsein, daß sie Glieder einer großen Menschheitsfamilie sind, und sie beginnen, ihrenationalen geistigen Schätze brüderlich untereinander zu teilen. Jeder Erfolg des einen Volkeswird schnell von den andern Völkern aufgenommen, und jedes Volk übernimmt von demanderen besonders das, was seinem eigenen Nationalgeist fremd ist, wobei es dem anderenals Gegenleistung das abgibt, was das ausschließliche Eigentum seiner historischen Entwicklungausmacht und dem Leben der anderen fremd ist. Heutzutage können nur schwache, beschränkteGeister sich einbilden, Fortschritte in der Humanität schadeten dem Fortschritt desNationalgeistes und der Nationalgeist müsse durch chinesische Mauern behütet werden. Aufgeklärte,starke Geister verstehen, daß der Nationalgeist durchaus nicht identisch ist mit dennationalen Ge-[317]bräuchen und alten Überlieferungen, die der unwissenden Mittelmäßigkeitso sehr am Herzen liegen; sie wissen, daß der Nationalgeist durch den Umgang mit Ausländernund durch das Eindringen neuer Ideen und neuer Gebräuche ebensowenig verschwindenoder entarten kann wie die Physiognomie und die Natur eines Menschen durchwissenschaftliches Studium und den Umgang mit anderen Menschen. Und nicht mehr weit istes bereits bis zu der Zeit, wo die kleinlichen, egoistischen Erwägungen der sogenannten Politikverschwinden, wo die Völker sich im triumphierenden Glanz der Sonne der Vernunft brüderlichumarmen und wo die Hymnen ertönen werden, die die Versöhnung der frohlockendenErde mit dem begütigten Himmel verkünden! Wenn die gegenwärtige historische Situationdiesem Bilde so scharf widerspricht und es als unerfüllbaren Traum einer erhitzten Phantasieerscheinen läßt, so enthält diese Situation der Menschheit, wie unerfreulich sie jetzt auch seinmag, für denkende Geister, die in das Wesen der Dinge einzudringen vermögen, alle Elementeund alle Voraussetzungen, um die kühnsten Träume der Gegenwart in Zukunft in die positivsteWirklichkeit zu verwandeln.Wenn wir unter „Gesellschaft“ die auserlesnen, d. h. die zur höchsten Aufklärung, Bildungund Zivilisation aufgestiegenen Klassen und Stände eines Staates verstehen wollen, so habendie Gesellschaften ihre humane Annäherung bereits seit langem vollzogen. Der gebildeteEuropäer lebt heute auch außerhalb seines Vaterlandes wie bei sich zu Hause, ohne dabeiseine Gewohnheiten aufzugeben, ohne aufzuhören, ein Sohn seines Landes zu sein – undfindet überall freundliche und achtungsvolle Aufnahme. Einzelne Menschen verschiedenerNationen und Glaubensbekenntnisse gehen miteinander die Ehe ein, ohne dadurch weder dieSitten und Gebräuche noch die Gesetze oder die Moralbegriffe ihres betreffenden Vaterlandeszu verletzen. Dabei bleibt der Engländer auch in Frankreich Engländer, der Franzose2 Die „Idee der Menschheit“ war in der Periode von Ende 1841 bis 1846 eine der Grundidee in der WeltanschauungBelinskis; damals war er hingerissen von den Ideen des utopistischen Sozialismus, während in derPeriode zwischen 1834 und 1840 die Idee des Volksgeists im weitesten Sinn in seinen Auffassungen den zentralenPlatz eingenommen hatte.OCR-Texterkennung Max Stirner Archiv Leipzig – 23.12.2013

W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 189darin bestand, daß keinem Staat erlaubt wurde, stärker zu sein als die anderen, auch wenndiese Stärke eine rein innerliche war und auf Erfolgen im Handel, in der Industrie, der Zivilisationund der Bildung beruhte, und daß, sobald ein Staat zu größerem Wohlstand gelangteund politisch gesundete, alle anderen sich beeilten ihn zu schwächen; als Mittel hierzu dientenmeist kräftige Aderlaß, und der Krieg endete gewöhnlich mit allgemeiner Ermattung undErschöpfung sowohl des beneideten Gegners als auch der Neider selbst... Dieser Gedankeerscheint heute lächerlich und kindisch, aber damals hat er der Menschheit viel Blut und vieleTränen gekostet! ... Es war ein Moment der Krise, der Moment des Übergangs aus dem Kindes-zum Mannesalter. Der Gedanke, daß die Staaten einander eifersüchtig kontrollierenmüssen und das Recht besitzen, einander im Zaum zu halten – bereits in diesem bloßen Gedankenläßt sich der Beginn einer, wenn auch falsch verstandenen Einheit erkennen. Heutzutagewird diese Einheit anders verstanden und liegt in der Unterordnung der großen Idee dernationalen Individualität unter die größere Idee der Menschheit. 2 In den Völkern erwacht dasBewußtsein, daß sie Glieder einer großen Menschheitsfamilie sind, und sie beginnen, ihrenationalen geistigen Schätze brüderlich untereinander zu teilen. Jeder Erfolg des einen Volkeswird schnell von den andern Völkern aufgenommen, und jedes Volk übernimmt von demanderen besonders das, was seinem eigenen Nationalgeist fremd ist, wobei es dem anderenals Gegenleistung das abgibt, was das ausschließliche Eigentum seiner historischen Entwicklungausmacht und dem Leben der anderen fremd ist. Heutzutage können nur schwache, beschränkteGeister sich einbilden, Fortschritte in der Humanität schadeten dem Fortschritt desNationalgeistes und der Nationalgeist müsse durch chinesische Mauern behütet werden. Aufgeklärte,starke Geister verstehen, daß der Nationalgeist durchaus nicht identisch ist mit dennationalen Ge-[317]bräuchen und alten Überlieferungen, die der unwissenden Mittelmäßigkeitso sehr am Herzen liegen; sie wissen, daß der Nationalgeist durch den Umgang mit Ausländernund durch das Eindringen neuer Ideen und neuer Gebräuche ebensowenig verschwindenoder entarten kann wie die Physiognomie und die Natur eines Menschen durchwissenschaftliches Studium und den Umgang mit anderen Menschen. Und nicht mehr weit istes bereits bis zu der Zeit, wo die kleinlichen, egoistischen Erwägungen der sogenannten Politikverschwinden, wo die Völker sich im triumphierenden Glanz der Sonne der Vernunft brüderlichumarmen und wo die Hymnen ertönen werden, die die Versöhnung der frohlockendenErde mit dem begütigten Himmel verkünden! Wenn die gegenwärtige historische Situationdiesem Bilde so scharf widerspricht und es als unerfüllbaren Traum einer erhitzten Phantasieerscheinen läßt, so enthält diese Situation der Menschheit, wie unerfreulich sie jetzt auch seinmag, für denkende Geister, die in das Wesen der Dinge einzudringen vermögen, alle Elementeund alle Voraussetzungen, um die kühnsten Träume der Gegenwart in Zukunft in die positivsteWirklichkeit zu verwandeln.Wenn wir unter „Gesellschaft“ die auserlesnen, d. h. die zur höchsten Aufklärung, Bildungund Zivilisation aufgestiegenen Klassen und Stände eines Staates verstehen wollen, so habendie Gesellschaften ihre humane Annäherung bereits seit langem vollzogen. Der gebildeteEuropäer lebt heute auch außerhalb seines Vaterlandes wie bei sich zu Hause, ohne dabeiseine Gewohnheiten aufzugeben, ohne aufzuhören, ein Sohn seines Landes zu sein – undfindet überall freundliche und achtungsvolle Aufnahme. Einzelne Menschen verschiedenerNationen und Glaubensbekenntnisse gehen miteinander die Ehe ein, ohne dadurch weder dieSitten und Gebräuche noch die Gesetze oder die Moralbegriffe ihres betreffenden Vaterlandeszu verletzen. Dabei bleibt der Engländer auch in Frankreich Engländer, der Franzose2 Die „Idee der Menschheit“ war in der Periode von Ende 1841 bis 1846 eine der Grundidee in der WeltanschauungBelinskis; damals war er hingerissen von den Ideen des utopistischen Sozialismus, während in derPeriode zwischen 1834 und 1840 die Idee des Volksgeists im weitesten Sinn in seinen Auffassungen den zentralenPlatz eingenommen hatte.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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