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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 187beiden letzten Kapitel jedoch unterscheiden sich besonders scharf von den sechs ersten: siegehören zweifellos zur höheren, reifen Epoche der künstlerischen Entwicklung des Dichters.Über die Schönheit einzelner Stellen kann man sich gar nicht genug auslassen; dabei sindihrer so viele! Zu den besten gehören: die nächtliche Szene zwischen Tatjana und der Amme,das Duell Onegins und Lenskis und das ganze Ende des sechsten Kapitels. In den letzten beidenKapiteln könnten wir gar nicht sagen, was besonders zu loben wäre, weil in ihnen alleshervorragend ist; aber die erste Hälfte des siebenten Kapitels (die Beschreibung des Frühlings,die Erinnerung an Lenski, Tatjanas Besuch im Hause Onegins) hebt sich durch ihretiefgefühlte Melancholie und ihre göttlich schönen Verse hervor... Die Abschweifungen desDichters von der Erzählung, die Zwiegespräche mit sich selbst sind von ungewöhnlicher Grazieund Intimität, zeigen Gefühl, Geist und Witz; die Persönlichkeit des Dichters tritt in ihnenso von Liebe erfüllt, so human in Erscheinung. Er hat es verstanden, in seinem Poem an soviele Dinge zu rühren, auf so vieles anzuspielen, was ausschließlich zur Welt der russischenNatur, zur Welt der russischen Gesellschaft gehört! Man kann den „Onegin“ eine Enzyklopädiedes russischen Lebens und ein ganz und gar dem Volksgeist entsprungenes Werk nennen.Ist es dann verwun-[311]derlich, daß dieses Poem vom Publikum mit solcher Begeisterungaufgenommen wurde und einen so riesigen Einfluß sowohl auf die zeitgenössische als auchauf die spätere russische Literatur gehabt hat? Und sein Einfluß auf die Moral der Gesellschaft?Das Poem war für die russische Gesellschaft ein Akt der Bewußtwerdung, fast dererste, aber dafür gleich was für ein großer Schritt in dieser Richtung! ... Das war der Schritteines Recken, und von nun an war ein Stehenbleiben auf einem Fleck nicht mehr möglich...Mag die Zeit dahinfließen und neue Bedürfnisse, neue Ideen hervorbringen, mag die russischeGesellschaft sich entwickeln und über den „Onegin“ hinauswachsen: wie weit sie auchimmer vorwärtsschreiten mag, sie wird dieses Poem stets lieben, wird ihm stets einen Blickvoller Liebe und Dankbarkeit schenken. Die folgenden Strophen, die geradezu geschaffenscheinen, den Abschluß dieses Aufsatzes zu bilden, werden durch den unmittelbaren Eindruck,den sie in der Seele des Lesers hinterlassen, am besten das aussprechen, was wir aussprechenmöchten:„Ach, hier im bunten ErdentalIst kurz Erblühn und schnell ErkaltenNach unerforschtem SchicksalswaltenDas Erbteil aller Kreatur,Und eine folgt der andern Spur...So sprießt in kurzen ErdentagenDie Menschensaat und welkt hinabZu ihrer Ahnen dunklem Grab.Auch uns wird bald die Stunde schlagen,Da unsern Leib, wie’s Gott so lenkt,Der Enkel in die Grube senkt.Drum, Freunde, schlürft in vollen ZügenDes Lebens kurzbemeßne Lust!Ich freilich kenne seine Lügen,Bin mir der Täuschung kühl bewußtUnd mag den Irrwahn nicht mehr teilen.Ein leiser Wunsch nur quält zuweilenMein Herz mit ungewisser Pein:Ich möchte nicht verurteilt sein,Ganz spurlos aus der Welt zu scheiden;Begehre keinen eitlen Ruhm –Nur soll mein ErdenpilgertumSich noch in solchen Schimmer kleiden,Daß freundlich, wenn auch matt beschwingt,Ein Schall doch von mir Kunde bringt, [312]OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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