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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 183Erleichterung in ihrem eigenen Leiden? Gewiß begriff sie, jedoch nur mit dem Verstand, mitdem Kopf, denn es gibt Ideen, die man auch mit Seele und Leib erleben muß, um sie ganz zuverstehen, und die man nicht aus Büchern studieren kann. Was Tatjana von dieser neuen Weltder Schmerzen aus Büchern kennengelernt hatte, war daher für sie zwar gewiß eine Offenbarung,aber diese Offenbarung hinterließ ihr einen bedrückenden, freud- und fruchtlosen Eindruck;er versetzte sie in Angst und Schrecken, ließ sie in den Leidenschaften den Untergangdes Lebens sehen und brachte sie zu der Überzeugung, daß es notwendig sei, sich der Wirklichkeit,so, wie sie war, zu unterwerfen, und daß man ein Leben aus vollem Herzen nur fürsich allein leben könne, tief in der eigenen Seele, in der Stille der Einsamkeit, im Dunkel derNacht, ganz schluchzender Sehnsucht hingegeben. Der Besuch im Hause Onegins und dieLektüre seiner Bücher machten Tatjana bereit zur Verwandlung aus einem Landmädchen ineine Weltdame, jener Verwandlung, die Onegin später so in Staunen ver-[305]setzte und betroffenmachte. Wir haben bereits im vorhergehenden Aufsatz über den Brief Onegins anTatjana und über das Ergebnis aller seiner leidenschaftlichen Sendschreiben an sie gesprochen.„Da endlich, unter FürstlichkeitenAuf einem Ball erblickt er sie:O wie sie ausweicht, kühl ihn schneidet,Ihn keines Wortes würdigt, meidet!In ihrer Haltung ihm so feind,Von eis’gem Hauch umgeben scheint!Wie dieser stolze Mund BewegungUnd innern Unmut meistern kann!Onegin starrt sie sprachlos an:Wo sind die Spuren von Erregung,Von Mitleid, Tränen, Zorn? – Nein, nein,Dies Angesicht ist kalt wie Stein!Wie, oder spielt sie nur die Rolle,Damit ihr Mann und dieser KreisNichts von Vergangnem ahnen solle,Davon nur er, Onegin, weiß? ...Gehn wir jetzt direkt zu der Aussprache Tatjanas mit Onegin über. In dieser Aussprache findetdas ganze Wesen Tatjanas vollendeten Ausdruck. In dieser Aussprache ist alles gesagt,was das Wesen einer russischen Frau ausmacht, in der die Gesellschaft eine tiefe Natur zurEntfaltung gebracht hat – alles: glühende Leidenschaft, von Herzen kommende, einfache,echte Gefühle, heiligsaubere, naive Regungen einer edlen Natur, Gescheitheit, gekränkte Eigenliebe,zur Schau getragene Tugendhaftigkeit, hinter der sich eine sklavische Angst vordem Urteil der Gesellschaft verbirgt, spitzfindige Verstandesschlüsse, die den großmütigenRegungen des Herzens die Fesseln weltmännischer Moral anlegen Tatjanas erste Worte enthalteneinen Vorwurf, in dem sich der Wunsch nach Rache für die einst gekränkte Eigenliebeverrät:„Onegin, denken Sie der Zeit,Als damals ich voll SchüchternheitIm Garten dort mich Ihren Lehren,Den bittren, schweigend unterwarf?Nun, heut bin ich’s, die sprechen darf.Onegin, einst in jüngern TagenHab’ offen, in der Jugend Zier,Mein Herz ich Ihnen angetragen;Doch welche Antwort wurde mir? [306]Sie zogen vor, mich abzulehnen.Ach, scheuer Mädchen Liebessehnen,OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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