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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 178Von dreizehn Jahr. Die Muhme * gingZwei Wochen lang bei beiden TeilenMit Werbung um; zuletzt in Ruh’Gab Vater seinen Segen zu,Und ich bekam vor Schreck das Heulen.Mit Tränen löste man mein Haar,Und mit Gesang ging’s zum Altar.So lernt’ ich denn die Fremde kennen...‘“Das sind die Worte eines Dichters, der wahrhaft vom Volksgeist, vom Nationalgeist durchdrungenist! Die einfachen, volkstümlichen und dabei ganz untrivialen Worte der Amme gebenein vollkommenes, klares Bild vom Innenleben des Volkes im Alltag, zeigen seine Auffassungenvon den Beziehungen der Geschlechter, von Liebe und Ehe ... Und dieses Bild hatder große Dichter mit einem einzigen, im Vorübergehen und beiläufig hingeworfenen Federstrichgezeichnet! ... Wie schön sind diese gutherzigen, einfältigen Verse:„‚Ei Kind! Man hat in unsern JahrenNach Liebe nicht erst viel gefragt;Sonst hätte, wenn sie das erfahren,Mich auch die Schwieger schön geplagt.‘“Wie schade, daß grade solche Volkstümlichkeit vielen unserer Dichter, die so viel Wesensvom Volksgeist machen und es dabei nur zu Jahrmarkts-Trivialitäten bringen, so gar nichtgelingen will...Tatjana faßt den plötzlichen Entschluß, an Onegin zu schreiben: [298] in naiver, edler Aufwallung– aber diese Aufwallung entsprang nicht dem Bewußten, sondern dem Unbewußten:das arme Mädchen wußte nicht, was es tat. Später, als sie zur Dame der höchsten Kreise aufgestiegenwar, wäre sie zu solchen naiv-großzügigen Herzensregungen völlig unfähig gewesen.Als das dritte Kapitel des „Onegin“ erschien, war die ganze russische Leserschaft außersich vor Entzücken über den Brief Tatjanas. Wie allen andern erschien der Brief auch unsdamals als vollendetes Vorbild einer Offenbarung des weiblichen Herzens. Es sah so aus, alshabe der Dichter diesen Brief ohne jede Ironie, ohne jeden Hintergedanken sowohl geschriebenals auch gelesen. Doch seither ist viel Wasser den Berg hinabgelaufen... Tatjanas Brief istauch jetzt noch schön, wenn er auch schon ein wenig kindlich, irgendwie „romantisch“ anmutet.Anders konnte es auch nicht sein; die Sprache der Leidenschaften war für die moralischnoch unerschlossene Tatjana so neu, lag ihr so fern: sie hätte ihre eigenen Empfindungenweder verstehen noch ausdrücken können, wenn sie nicht zu den Eindrücken Zufluchtgenommen hätte, die wahllos und ohne Nutzen gelesene schlechte und gute Romane in ihremGedächtnis hinterlassen hatten... Der Beginn des Briefs ist wundervoll: er ist durchtränkt voneinfachem, ehrlichem Gefühl. Hier haben wir die ganze Tatjana:„‚Ich bin so kühn, an Sie zu schreiben –Ach, braucht es mehr als dies allein?Nun wird gewiß – was soll mir bleiben? –Verachtung meine Strafe sein!Doch wenn, wo Angst und Qual mich treiben,Ein Fünkchen Mitleid für mich spricht –O dann verwerfen Sie mich nicht!Erst wollt’ ich schweigen, hätte nimmer,Was nun zu Schmach und Schande ward,Dem strengen Auge offenbart,Ach, bliebe nur ein winz’ger SchimmerVon Hoffnung, Sie von Zeit zu ZeitIn unsrer Abgeschiedenheit* TanteOCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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