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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 177lebendiges, leidenschaftliches Wort gefunden, um sie von dem bedrückenden Überschwangder Gefühle zu erleichtern. Und obwohl ihre Leidenschaft zu Onegin unmittelbar ihrer eigenenleidenschaftlichen Natur entsprang, ihrem überschäumenden Drang nach Mitgefühl –begann diese Leidenschaft doch ein wenig idealisch. Für Lenski konnte Tatjana keine Liebeempfinden und noch weniger für irgendeinen von den Männern, die sie kannte: sie kannte sienur zu gut, und sie gaben ihrer exaltierten, asketischen Phantasie so wenig Nahrung... Undplötzlich [296] erschien Onegin auf der Bildfläche. Er war ganz von Geheimnissen umgeben:sein aristokratisches Wesen, seine weltmännische, offensichtliche Überlegenheit über dieseganze unbewegte, triviale Welt, in der er wie ein Meteor auftauchte, seine Gleichgültigkeitgegen alle und alles, seine sonderbaren Lebenswege – alles dies ließ geheimnisvolle Gerüchteaufkommen, die nicht ohne Wirkung auf Tatjanas Phantasie bleiben konnten und Tatjana fürden entscheidenden Eindruck der ersten Begegnung mit Onegin empfänglich und bereit machenmußten. Und sie sah ihn, und er erschien vor ihr –jung, schön, gewandt, blendend,gleichgültig, gelangweilt, rätselhaft, unnahbar, ein einziges, unlösbares Rätsel für ihren unentwickeltenGeist, eine einzige Verführung für ihre scheue Phantasie. Es gibt Wesen, beidenen die Phantasie einen viel größeren Einfluß auf das Herz ausübt, als man im allgemeinenmeint. Tatjana gehörte zu diesen Wesen. Es gibt Frauen, denen gegenüber man sich nur hingerissen,leidenschaftlich zu geben braucht, um sie zu erobern; aber es gibt Frauen, derenAufmerksamkeit der Mann nur durch Gleichgültigkeit, Kühle und Skeptizismus weckenkann, Eigenschaften, die hohe Ansprüche an das Leben verraten oder das Resultat eines bewegtenund erfüllten Lebens sind: die arme Tatjana gehörte zu den Frauen dieser Art ...„Nun ist‘s um Tanjas Ruh’ geschehen;Sie irrt im Garten trüb umherUnd bangt und seufzt, bleibt sinnend stehen,Starrt vor sich hin und atmet schwer:Ihr Busen wogt, die Wangen flammen,Der Kummer preßt ihr Herz zusammen,Es rauscht und hämmert ihr im Ohr,Den Blick verhüllt ein Tränenflor...Schon breitet Nacht die dunklen Schwingen;Von droben schaut mit mildem ScheinDer Mond herab; im FliederhainBeginnt die Nachtigall zu singen.Nur Tanja findet keine Ruh’Und flüstert ihrer Amme zu...“Das Gespräch Tatjanas mit der Amme ist ein Wunderwerk künstlerischer Vollkommenheit! Esist ein ganzes Drama voller tiefer Wahrheiten. Mit erstaunlicher Treue ist hier das Bild einerrussischen „Baryschnja“ (eines gnädigen Fräuleins) im Sturm sehnsüchtiger Leidenschaft gezeichnet.Das nach innen gedrängte Gefühl bricht [297] ständig an die Oberfläche durch, besondersin der ersten Periode der noch neuen, unerfahrenen Leidenschaft. Wem soll sie ihrHerz auftun? – der Schwester? – aber die würde sie nicht richtig verstanden haben. Die Amme– sie wird überhaupt nichts verstehen; aber ebendeshalb teilt ihr Tatjana ihr Geheimnis mit –„... Ach, gute Alte,Besinn dich, was es sonst noch gibt –Sag, warst du selber mal verliebt?‘‚Ei Kind! Man hat in unsern JahrenNach Liebe nicht erst viel gefragt;Sonst hätte, wenn sie das erfahren,Mich auch die Schwieger schön geplagt‘ –‚Wie wurdest du denn Braut?‘ – ‚Ach, Tanja,Das kam, wie’s Gott so fügt. Mein WanjaWar jünger noch als ich, das DingOCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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