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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 176„Längst trieb ein scheues GlücksverlangenSie ruhelos durch Qual und Lust,Längst sehnte sich die junge Brust,Aus tiefem Wirrsal, stetem BangenIn keuschen Wonnen aufzugehn:Das Seelchen suchte – irgendwenUnd harrte... endlich kam der Rechte.‚Der ist es!‘ rief ihr Herz befreit.Ach, nun ist alles, Tag und Nächte,Der stille Traum der EinsamkeitVon ihm erfüllt, und all ihr Denken,Ihr Hoffen, Fühlen, SichversenkenGilt einzig ihm!· · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · ·Wie jetzt Romane sie beglücken,Wie eifrig sie nun liest und liest,Mit immer steigendem EntzückenDer holden Täuschung Reiz genießt!Der Phantasie geschäftig WaltenHaucht Leben in die Traumgestalten,Der Freund der Julia Volmar,Malek-Adhel und de LinarUnd Werther, dieses Herz in Flammen,Selbst Grandison in seiner Pracht(Der mich gewöhnlich schläfern macht),Sie fließen all in eins zusammen,In eines einigen herrlich Bild:Eugen, dem ihre Sehnsucht gilt. [295]Sie malt sich aus, die Heroins [Heldinnen]Der Lieblingsdichtungen zu sein,Clarissa, Julia, Delphine;Durchstreift mit ihrem Buch alleinDen stillen Wald, um dort zu träumen;Was sie bekümmert, im geheimenIhr Herz beseligt, Harm und Glück,Es spiegelt ihr das Buch zurück.Und während sie mit allen SinnenBei fremdem Leid und fremder Lust,Beginnt ihr Geist, halb unbewußt,An ihn ein Briefchen auszuspinnenHier ist die Leidenschaft nicht aus Büchern geboren, aber sie konnte doch auch nicht ganzohne Anleihen aus Büchern zum Ausdruck kommen. Warum mußte Onegin für Tatjana dieGestalt Volmars, Malek-Adhels, de Linars und Werthers annehmen (Malek-Adhel undWerther: hätten es nicht ebensogut Jerusslan Lasarewitsch und der Korsar Byrons sein können?)– deshalb, weil der wirkliche Onegin, den sie weder verstehen noch kennen konnte, fürTatjana nicht existierte; sie mußte ihm also irgendeine auf gut Glück aus Büchern und nichtaus dem Leben genommene Bedeutung beilegen, nicht aus dem Leben, weil Tatjana auch dasLeben weder verstehen noch kennen konnte. Warum mußte sie sich selbst in der Gestalt einerClarissa, Julia, Delphine sehen? Deshalb, weil sie auch sich selbst ebensowenig verstand undkannte wie Onegin. Wir wiederholen: als leidenschaftliches, tieffühlendes und zugleich unentwickeltes,in der dunklen Leere ihrer intellektuellen Existenz hermetisch abgeschlossenesWesen stellt sich uns Tatjana als Persönlichkeit nicht wie eine schöne griechische Skulpturdar, bei der sich das ganze Innere so durchsichtig und plastisch in der äußeren Schönheit widerspiegelt,sondern als ägyptische Statue, starr, schwer und gebunden. Ohne Bücher wäre sievollends stumm gewesen, und ihre vor innerer Glut verdorrende Zunge hätte kein einzigesOCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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