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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 175stand endlich erwählt, Die Komödie beginnt – und los geht das Gaudium! In dieser Komödiegibt es alles: Seufzer und Tränen, Schwärmereien und Mondscheinpromenaden, Verzweiflungund Eifersucht, Seligkeit und Liebeserklärung – alles, nur keine echten Gefühle. ... Ist es verwunderlich,wenn der letzte Akt dieser Narrenposse stets mit einer Enttäuschung endet – undzwar worüber? Über das eigene Gefühl, über die eigene Fähigkeit, zu lieben? ... Dabei hatdiese aus Büchern kommende Tendenz etwas ganz Natürliches: hat nicht ein Buch den guten,edlen und klugen Rittergutsbesitzer von La Mancha zum Ritter Don Quichotte gemacht, ihneine Papprüstung anlegen, die magere Rosinante besteigen und auf die Suche nach der schönen[293] Dulcinea in die weite Welt ziehen lassen, wobei er unterwegs gegen Hämmel undWindmühlen kämpfte? Wie viele verschiedene Don Quichottes hat es nicht unter den Generationenvon den zwanziger Jahren bis auf diesen Augenblick gegeben? Wir hatten und habenDon Quichottes der Liebe, der Wissenschaft, der Literatur, der Überzeugungen, der Slawophilieund, Gott weiß, wessen sonst noch – alles läßt sich gar nicht aufzählen! Weiter oben habenwir von den idealischen Jungfrauen gesprochen; und wieviel Interessantes könnte man überdie idealischen Jünglinge erzählen! Aber dieser Stoff ist so reich und unerschöpflich, daß manihn besser nicht erst anrührt, um Puschkins Tatjana nicht ganz aus den Augen zu verlieren.Auch Tatjana ist nicht dem traurigen Geschick entgangen, zur Gruppe der idealischen Jungfrauengezählt zu werden, von denen wir gesprochen haben. Allerdings haben wir gesagt, daßsie eine kolossale Ausnahme in der Welt derartiger Erscheinungen darstellt – und wir bleibenauch jetzt bei dieser Meinung Tatjana reizt nicht zum Lachen, sondern ruft lebendiges Mitgefühlhervor – jedoch nicht deshalb, weil sie überhaupt keine Ähnlichkeit mit den „idealischenJungfrauen“ hätte, sondern weil bei ihr eine tiefe, leidenschaftliche Natur alles überdeckt,was die Idealität dieser Gattung Komisches und Triviales an sich hat, und weil Tatjana selbstin der verkünstelten und verkrüppelten Form, die die sie umgebende Wirklichkeit ihr aufzwangnatürlich-einfach geblieben ist. Einerseits –„Solch alten, dunklen VolksgebräuchenGalt Tanjas scheue Sympathie:An Mondeszauber, WunderzeichenUnd Kartenlegen glaubte sie,Auch daß die Träume Aufschluß bringen,Daß in den unscheinbarsten DingenGeheime Vorbedeutung steckt –Und ward von Ahnungen erschreckt.“Andrerseits liebte es Tatjana, durch die Felder zu wandern, wo der Dichter sie, wie er sagt,„... bedrückt und stummAls Fräulein aus LandadelskreisenIn meinem Garten auf dein Land,Französisch lesend, wiederfand.“Diese köstliche Vereinigung grober, vulgärer Vorurteile mit einer leidenschaftlichen Liebefür französische Bücher und mit der Ver-[294]ehrung für die tiefsinnigen Werke Martin Sadekasist nur bei einer russischen Frau möglich. Hunger nach Liebe bestimmte die ganze InnenweltTatjanas; nichts anderes sprach zu ihrem Herzen; ihr Geist schlief noch, und nur einschwerer Kummer war imstande, ihn im späteren Leben zu wecken, und auch das nur dazu,um die Leidenschaft im Zaum zu halten und sie wohlüberlegten, vernünftigen Moralrücksichtenunterzuordnen... Ihre Mädchentage kannten keine Beschäftigung, es fehlte ihnen jenerWechsel von Arbeit und Muße, jene geregelte Folge von Beschäftigung und Zerstreuung, diezum Leben der Gebildeten gehört und die sittlichen Kräfte des Menschen im Gleichgewichterhält. Wild aufgewachsen und ganz sich selbst überlassen, hatte Tatjana sich ihr eigenesLeben geschaffen, in dessen Leere das verzehrende innere Feuer desto hemmungsloser brannte,je weniger ihr Geist beschäftigt war.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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