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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 172chen Geschichten an den Winterabenden. Deshalb faßte sie auch früh eine leidenschaftlicheVorliebe für Romane und ging ganz in der Lektüre von Romanen auf.„Vor Tagesanbruch stand sie gerneSchon am Balkon, vom Schlaf erfrischt,Wenn nach und nach der Chor der SterneAm bleichen Horizont verlischt,Die fernen Hügel rot zerfließen,Frühwinde sanft den Morgen grüßenUnd dann im Glanz der Tag erwacht.Im Winter selbst, wenn tiefe NachtNoch hüben in den Tälern schlummertUnd drüben blaß und still der MondAuf dunklen Wolkenschleiern thront,Der graue Osten träge schlummert –War sie gewohnt, bei KerzenscheinSchon zeitig aus dem Bett zu sein.“[288] So waren die Sommernächte der Träumerei und die Winternächte der Romanlektüregewidmet – und dies inmitten einer Welt, die die vernünftige Gewohnheit hatte, zu dieserZeit laut zu schnarchen! Was für ein Widerspruch zwischen Tatjana und der sie umgebendenWelt! Tatjana war eine seltene, schöne Blume, die zufällig in der Spalte eines wilden Felsenserblüht war.„Im Grün versteckt, das holde Ding,Vor Bienchen wie vor Schmetterling.“Diese zwei Zeilen, die sich bei Puschkin auf Olga beziehen, passen sehr viel besser auf Tatjana.Welche Biene, welcher Schmetterling hätte diese Blume finden oder von ihr angezogenwerden können? Etwa solche häßliche Brummer, Bremsen oder Käfer wie die HerrenPychtin, Bujanow, Petuschkow und ihresgleichen? Ja, eine Frau wie Tatjana kann nur Menschenanziehen, die an den beiden äußersten Enden der sittlichen Welt stehen, oder solche,die ihrer Natur ebenbürtig waren und deren es so wenige auf der Weit gibt, oder durch unddurch triviale Leute, von denen es so viele auf der Welt gibt. Diesen letzteren hätte Tatjanagefallen können durch ihr Aussehen, ihre ländliche Frische und Gesundheit und selbst durchihren scheuen Charakter, der ihnen als Sanftmut und gehorsame Gefügigkeit einem künftigenGatten gegenüber erscheinen konnte –Eigenschaften, die für ihre tierische Grobheit vonhöchstem Wert sind, ganz zu schweigen von der Aussicht auf eine gute Mitgift, reiche Verwandtschaftund dergleichen. Menschen, die zu keiner dieser zwei Gruppen gehörten, warenam wenigsten befähigt, Tatjana zu schätzen. Die Leute der Mitte, die zwischen den höherenNaturen und dem Pöbel der Menschheit stehen, diese Talente, die das Bindeglied zwischender Genialität und der Menge bilden, sind ja meist allesamt „ideale“ Menschen, ähnlich denidealischen Jungfrauen, von denen wir oben geredet haben. Diese Idealisten bilden sich ein,von leidenschaftlichen Gefühlen und erhabenem Streben erfüllt zu sein, tatsächlich aber istbei ihnen lediglich die Phantasie auf Kosten aller anderen Fähigkeiten, besonders des Verstandes,entwickelt. Sie sind zwar gefühlvoll, aber mehr noch sentimental, vor allem abergeneigt und befähigt, ihre eigenen Empfindungen zu beobachten und ewig über sie zu reden.Sie besitzen auch Geist, aber keinen eigenen, sondern einen angelesenen, papiernen, unddeswegen ist ihr Geist oft recht blendend, aber nie eigentlich verständig. Die Hauptsache[289] jedoch, das Schlimmste an ihnen, ihre schwächste Seite, ihre Achillesferse, ist dies, daßsie keine Leidenschaften kennen außer der Eigenliebe, und zwar einer kleinlichen, die sichbei ihnen darauf beschränkt, daß sie taten- und fruchtlos in der Betrachtung der eigenen innerenWürde aufgehen. Als laue Naturen, die weder heiß noch kalt sind, haben sie wirklich dietraurige Fähigkeit, sich für Augenblicke aus jedem oder keinem Anlaß zu erhitzen. Deswegenreden sie auch ständig von nichts anderem als von ihren glühenden Gefühlen, von dem Feuer,OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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