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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 162Wege sind verschieden, aber das Resultat ist das gleiche: beide Romane sind ebenso ohneSchluß, wie sowohl das Leben als auch die Tätigkeit der beiden Dichter ...Was wurde aus Onegin hernach? Lebte seine Leidenschaft für ein neues, mit der Menschenwürdebesser zu vereinbarendes Leid auf? Oder tötete sie alle seine Seelenkräfte ab, und verwandeltesich sein freudloser Gram in tote, kalte Apathie? – Wir wissen es nicht, und wozusollten wir es wissen, wo wir doch wissen, daß die Kräfte dieser reichen Natur keine Verwendungfanden, daß sein Leben ohne Sinn und der Roman ohne Schluß blieb? Es genügt,dies zu wissen, um nichts weiter wissen zu wollen...Onegin ist ein wirklichkeitsnaher Charakter in dem Sinne, daß er nichts Schwärmerisches,Phantastisches an sich hat, daß er nur in der Wirklichkeit und durch die Wirklichkeit glücklichoder unglücklich sein konnte. In Lenski hat Puschkin einen dem Charakter Onegins völligentgegengesetzten, einen völlig abstrakten, völlig wirklichkeitsfremden Charakter dargestellt.Damals war das eine völlig neue Erscheinung, und Menschen dieser Art begannen damalswirklich in der russischen Gesellschaft in Erscheinung zu treten.„... ein im BusenGöttingisch freier Sohn der Musen,· · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · ·Anhänger Kants, dazu Poet.Er brachte aus Germaniens NebelnDie Früchte reifer Wissenschaft:Verstand, sehr tief, doch rätselhaft,Freiheitsbegeistrung, kaum zu knebeln,Beredsamkeit, höchst wunderbar,Und langes, schwarzes Lockenhaar.· · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · ·Er sang von demutsvoller Liebe,Und harmlos war sein Lied und reinWie eines Mägdleins Unschuldstriebe,Wie Kindestraum, wie Mondenschein,Dem, wenn er nachts so friedlich leuchtet,Die Sehnsucht ihren Kummer beichtet;Er sang von Wehmut, Trennungsharm,Von Nebelduft und andrem Schwarm,Von Rosen, die romantisch sprossen; [272]Er sang von Ländern fern und weit,Wo in verschwiegner EinsamkeitEinst bitter seine Zähren flossen;Er sang von frühem Tod sogar –Ein halbes Kind von achtzehn Jahr!“Lenski war sowohl seiner Natur wie dem Geist der Zeit nach Romantiker. Es braucht nichterst gesagt zu werden, daß er ein für alles Schöne und Erhabene offenes Wesen, eine reine,edle Seele war. Aber zugleich war er „ein herzlich lieber, reiner Tor“, der, ewig vom Lebenredend, es nicht kennengelernt hatte. Die Wirklichkeit hatte keinen Einfluß auf ihn: seineFreuden und seine Leiden waren Geschöpfe seiner Phantasie. Er war in Olga verliebt – undwas machte es ihm weiter aus, daß sie ihn nicht verstand, daß sie, einmal verheiratet, zurzweiten, verbesserten Auflage ihres Mamachens geworden wäre, daß es für sie ganz dasselbewar, einen Dichter, den Gefährten ihrer Kinderspiele, oder einen mit sich und seinem Pferdzufriedenen Ulanen zu heiraten. – Lenski stattete sie mit Vorzügen und Vollkommenheitenaus, schrieb ihr Gefühle und Gedanken zu, die sie gar nicht hatte und um die sie sich auch garkeine Mühe gab. Olga – ein gutes, liebes, fröhliches Wesen – war bezaubernd wie alle „gnädigenFräulein“, solange sie nicht zur „gnädigen Frau“ geworden sind, und Lenski sah in ihrOCR-Texterkennung Max Stirner Archiv Leipzig – 23.12.2013

W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 163eine Fee, eine Sylphe * , einen romantischen Traum, ohne von der zukünftigen gnädigen Fraueine Ahnung zu haben. Er schrieb ein Madrigal als Epitaph ** für den alten Larin, an dem er,sich selbst getreu, ohne jede Ironie, eine poetische Seite zu finden verstand. In der einfachenAbsicht Onegins, sich einen Scherz mit ihm zu machen, sah er sowohl Verrat als auch Verführungund tödliche Beleidigung. Das Resultat von alledem war sein Tod, den er bereitsvorher in nebelhaft-romantischen Versen besungen hatte. Wir wollen durchaus nicht Oneginrechtfertigen, von dem der Dichter sagt:„Er durfte nicht aus WankelmutSich gleich nach Knabenart erregen,Gleich blindlings raufen wollen – nein,Er mußte männlich, maßvoll sein“,aber die Tyrannei und der Despotismus der Vorurteile der großen Welt und des Alltagslebenssind derart, daß man ein Held sein muß, um gegen sie anzukämpfen. Die Details des DuellsOnegins [273] mit Lenski sind künstlerisch von höchster Vollkommenheit. Der Dichter liebtedas Ideal, das er in Lenski verwirklicht hatte, und beweinte seinen Sturz in schönen Strophen:„Der Ärmste dauert euch, der ebenNoch voll von Glück und Poesie,Bevor sich kaum sein schönes StrebenEntfalten durfte, ach, zu früh,Den Tod empfing! Und Jugendfülle,Sein Wissenstrieb und hoher Wille,Gelenkt von keuschem, edlem Sinn,Sein glühend’ Herz – wo sind sie hin?Wohin sein Drang nach Licht und Klarheit,Der Liebesreichtum seiner Brust,Sein Abscheu vor gemeiner LustUnd du, Begeistrung, Quell der Wahrheit,Die seiner Träume SchöpferflugZu himmlisch reinen Sphären trug?Er war vielleicht zu großen Dingen,Zum Heil der Menschheit ausersehn,Um auf der Leier goldnen Schwingen,Die nun zerbarst, in lichten HöhnUnsterblich durch sein Lied zu werden.Er hätte wohl schon hier auf ErdenDes Dichterruhms Zenit erreicht.Sein blut’ger Schatten nahm vielleichtDer Offenbarung schönste GabeIns Jenseits mit hinweg, entflohnIst seines Mundes süßer Ton,Und nimmer steigt von seinem GrabeAls tausendfält’ger JubelchorDer Nachwelt Dank zu ihm empor.Ihm konnte freilich auch im LebenEin Alltagslos beschieden sein:Er hätte Frische, Lust und StrebenGemach verloren, hinterdreinEnttäuscht die Musen satt bekommen.Im Dorf gehockt, ein Weib genommenUnd sich als Hahnrei, stillvergnügt,Im Schlafrock dieser Welt gefügt;Geschmaust, geschnarcht und, hoch an Jahren,* mythologische Naturgeister, die dem Element Luft zugeordnet sind** GrabinschriftOCR-Texterkennung Max Stirner Archiv Leipzig – 23.12.2013

W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 163eine Fee, eine Sylphe * , einen romantischen Traum, ohne von der zukünftigen gnädigen Fraueine Ahnung zu haben. Er schrieb ein Madrigal als Epitaph ** für den alten Larin, an dem er,sich selbst getreu, ohne jede Ironie, eine poetische Seite zu finden verstand. In der einfachenAbsicht Onegins, sich einen Scherz mit ihm zu machen, sah er sowohl Verrat als auch Verführungund tödliche Beleidigung. Das Resultat von alledem war sein Tod, den er bereitsvorher in nebelhaft-romantischen Versen besungen hatte. Wir wollen durchaus nicht Oneginrechtfertigen, von dem der Dichter sagt:„Er durfte nicht aus WankelmutSich gleich nach Knabenart erregen,Gleich blindlings raufen wollen – nein,Er mußte männlich, maßvoll sein“,aber die Tyrannei und der Despotismus der Vorurteile der großen Welt und des Alltagslebenssind derart, daß man ein Held sein muß, um gegen sie anzukämpfen. Die Details des DuellsOnegins [273] mit Lenski sind künstlerisch von höchster Vollkommenheit. Der Dichter liebtedas Ideal, das er in Lenski verwirklicht hatte, und beweinte seinen Sturz in schönen Strophen:„Der Ärmste dauert euch, der ebenNoch voll von Glück und Poesie,Bevor sich kaum sein schönes StrebenEntfalten durfte, ach, zu früh,Den Tod empfing! Und Jugendfülle,Sein Wissenstrieb und hoher Wille,Gelenkt von keuschem, edlem Sinn,Sein glühend’ Herz – wo sind sie hin?Wohin sein Drang nach Licht und Klarheit,Der Liebesreichtum seiner Brust,Sein Abscheu vor gemeiner LustUnd du, Begeistrung, Quell der Wahrheit,Die seiner Träume SchöpferflugZu himmlisch reinen Sphären trug?Er war vielleicht zu großen Dingen,Zum Heil der Menschheit ausersehn,Um auf der Leier goldnen Schwingen,Die nun zerbarst, in lichten HöhnUnsterblich durch sein Lied zu werden.Er hätte wohl schon hier auf ErdenDes Dichterruhms Zenit erreicht.Sein blut’ger Schatten nahm vielleichtDer Offenbarung schönste GabeIns Jenseits mit hinweg, entflohnIst seines Mundes süßer Ton,Und nimmer steigt von seinem GrabeAls tausendfält’ger JubelchorDer Nachwelt Dank zu ihm empor.Ihm konnte freilich auch im LebenEin Alltagslos beschieden sein:Er hätte Frische, Lust und StrebenGemach verloren, hinterdreinEnttäuscht die Musen satt bekommen.Im Dorf gehockt, ein Weib genommenUnd sich als Hahnrei, stillvergnügt,Im Schlafrock dieser Welt gefügt;Geschmaust, geschnarcht und, hoch an Jahren,* mythologische Naturgeister, die dem Element Luft zugeordnet sind** GrabinschriftOCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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