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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 161Sich martern muß, in leichtem TonZu plaudern, ja – zu allem Hohn –Sie höflich lächelnd anzublicken! ...‘“Doch diese glühende Leidenschaft machte auf Tatjana keinerlei Eindruck. Nach einigen solchenBotschaften bemerkte Onegin, als er ihr begegnete, weder Verwirrung noch Leiden,noch Tränenspuren in ihrem Gesicht – nur Spuren von Zorn spiegelten sich in ihm wider ...Onegin sperrte sich einen ganzen Winter lang zu Hause ein und machte sich ans Lesen:„Doch nur sein Auge war gebunden,Die Seele schweifte weit im Raum,Verzehrt von Sehnsucht, krank an Wunden,Gequält von blindem Hoffnungstraum.Dem Schoß der engbedruckten SeitenEntstiegen andre Wesenheiten,Vom Geistesauge nur erschaut,Geheimnisvoll und doch vertraut:Vergeßne Märchen, Zaubersagen [270]Der Kindheit, Spuk und allerhandBedrohlich Dunkles, wirrer Tand,Manch krauser Wahn aus frühen Tagen,Verheißnes, das im Busen schlief –Und eines Mädchens Liebesbrief.Solch dumpfem Brüten hingegeben,Betäubt sein Geist sich mehr und mehr,Und immer neue Bilder schweben,Phantastisch wechselnd, um ihn her:Er sieht im Schnee mit starren ZügenDen Körper eines Jünglings liegen,Umstrahlt vom ersten Morgenrot,Und Stimmen flüstern: ‚Also tot!‘Vorüber wallen die Gespenster,Die Freunde, Feinde, Schar um Schar,Manch treulos blitzend Augenpaar,Ein Dorfidyll – durchs offne FensterSchwingt eine Abendmelodie:Ein Mädchen harrt – Sie, ewig sie!“Wir wollen jetzt nicht weiter auf die Szene des Zusammentreffens und der AusspracheOnegins mit Tatjana eingehen, denn in dieser Szene fällt die Hauptrolle Tatjana zu, über diewir noch viel zu reden haben werden. Der Roman endet mit der Antwort, die Tatjana Oneginerteilt, und der Leser trennt sich von Onegin für immer grade im schlimmsten Augenblickseines Lebens ... Was soll das heißen? Wo ist hier der Roman? Was ist sein Sinn? Und was istein Roman ohne Schluß? – Wir sind der Meinung, daß es Romane gibt, deren Sinn eben darinbesteht, daß sie keinen Schluß haben, denn in der Wirklichkeit selbst gibt es Ereignisse ohneLösung des Knotens, Existenz ohne Ziel, unbestimmte, für niemanden, auch für sich selbstnicht, verständliche Wesen, mit einem Wort, was man auf französisch „les êtres manqués, lesexistences avortées“ * nennt. Und diese Wesen sind oft mit großen moralischen Vorzügen, mitstarken Seelenkräften ausgestattet; sie versprechen viel, bringen wenig oder nichts zustande.Das hängt nicht von ihnen selber ab, sondern hier liegt ein Fatum vor, das in der Wirklichkeitbesteht, von der sie wie von der Luft umgeben sind und aus der sich frei zu machen, weder inder Macht noch in der Kraft des Menschen liegt. Ein anderer Dichter hat uns einen anderenOnegin unter dem Namen Petschorin vorgeführt: Puschkins Onegin überließ sich mit einer Artvon Selbstvergessenheit der gähnenden Langenweile; [271] Lermontows Petschorin führteeinen tödlichen Kampf mit dem Leben und will ihm seinen Anteil gewaltsam entreißen; die* Verpaßte Wesen, abgebrochen ExistenzenOCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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