13.07.2015 Aufrufe

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

Zur PDF-Datei... - Max Stirner Archiv Leipzig

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 159Kann ihre Macht zur Wohltat werdenWie Lenzgewitter junger Flur:Der Leidenschaften MaienregenEntsprießt ein reicher Blütensegen,Der in des Lebens ErntezeitZu voller, süßer Frucht gedeiht.Doch wehe, wen in späten TagenDer Liebeswahnsinn übermannt!Ihm hinterläßt er totes Land:Wie wenn im Herbst, vom Sturm zerschlagen,Der Wald sein welkes Laub verliertUnd Feld und Flur Morast gebiert.“Da wir nicht zu den Ultra-Idealisten gehören, lassen wir gern auch in den höchsten Leidenschafteneine Beimischung kleinlicher Gefühle zu und glauben deshalb, daß Verärgerung undEitelkeit ihren Anteil an der Leidenschaft Onegins gehabt haben. Wir sind jedoch entschiedennicht einverstanden mit der Meinung des Dichters, die er so feierlich ausgesprochen und dieeinen solchen Widerhall in der Menge gefunden hat, weil sie ihrem Niveau entsprach:„Wie töricht seid ihr Menschen doch!Euch lockt die Schlange immer nochZum Sündenbaum wie Mutter Eva:Kein Eden hat euch je erfreut,Wo nicht verbotne Frucht gedeiht!“Wir haben eine beßre Meinung von der Würde der menschlichen Natur und sind überzeugt,daß der Mensch nicht zum Bösen geboren wird, sondern zum Guten, nicht zum Verbrechen,sondern [267] zum vernünftig-gesetzlichen Genuß der Güter des Daseins; daß sein Strebengerecht, seine Instinkte edel sind. Das Böse liegt nicht im Menschen versteckt, sondern in derGesellschaft – da die Gesellschaften, im Sinne einer Form der menschlichen Entwicklungverstanden, noch bei weitem nicht ihr Ideal erreicht haben, ist es nicht erstaunlich, daß wir inihnen nichts anderes als immer wieder viele Verbrechen sehen. Hieraus erklärt es sich auch,warum das, was in der alten Welt als verbrecherisch galt, in der neuen für gesetzlich angesehenwird, und umgekehrt; warum jedes Volk und jedes Jahrhundert seine eignen Begriffe vonSittlichkeit, Gesetzlichkeit und Verbrechen hat. Die Menschheit hat bei weitem noch nichtjene Stufe von Vollkommenheit erreicht, auf der alle Menschen, als gleichartige und mit dergleichen Vernunft begabte Wesen, untereinander einig sind über die Begriffe wahr undfalsch, gerecht und ungerecht, gesetzlich und verbrecherisch, wie sie sich bereits darüber geeinigthaben, daß nicht die Sonne sich um die Erde dreht, sondern die Erde um die Sonne,und über eine Menge mathematischer Axiome. Bis dahin wird das Verbrechen nur äußerlichVerbrechen sein – innerlich, wesentlich jedoch die Nichtanerkennung der Berechtigung oderder Vernünftigkeit dieses oder jenes Gesetzes. Es gab eine Zeit, wo die Eltern in ihren Kindernihre Sklaven sahen und sich für berechtigt hielten, ihre Gefühle und ihre geheiligtstenNeigungen zu vergewaltigen. Heute: wenn ein Mädchen, das tiefe Abneigung gegen einenHerrn von respektablem Äußeren empfindet, mit dem man es gewaltsam verheiraten will, undleidenschaftlich einen Menschen liebt, von dem man es gewaltsam trennt – der Neigung seinesHerzens folgt und den liebt, den sie sich erwählt hat, und nicht den, in dessen Geldbeuteloder dessen Rang ihre werten Eltern verliebt sind: ist sie dann etwa eine Verbrecherin?Nichts ist so wenig der Strenge äußerer Dinge unterworfen wie das Herz, und nichts fordertso unbedingte Freiheit wie ebenfalls das Herz. Sogar die Seligkeit der Liebe selbst – was istsie, wenn sie äußeren Bedingungen angepaßt ist? – das Lied der Nachtigall oder der Lerche ineinem goldenen Käfig. Was ist die Seligkeit der Liebe, die nur die Macht und die Laune desHerzens anerkennt? – das Triumphlied der Nachtigall bei Sonnenuntergang im geheimnisvollenSchatten über den Fluß hängender Weiden; das freie Lied der Lerche, die, sinnlos trunkenOCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!