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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 157Was für ein Leben! Da haben wir es, dieses Leid, von dem so viel in Versen und in Prosa geschriebenwird, über das sich so viele beklagen, als kennten sie es wirklich; da haben wir es,das Leid, das wahre, ohne Kothurne * , ohne Stelzen, ohne Drapierung, ohne Phrasen – dasLeid, das einen zwar oft weder um den Schlaf noch um den Appetit oder die Gesundheitbringt, dafür aber um so furchtbarer ist! ... Nachts schlafen, tagsüber gähnen, zusehen, wie allesich um irgend etwas sorgen, mit irgend etwas beschäftigt sind: der eine mit Geld, der andremit einer Heirat, der dritte mit seiner Krankheit, der vierte mit seiner Not und dem blutigenSchweiß der Arbeit – rings um sich auch Fröhlichkeit sehen und Trauer, Lachen und Tränen,das alles sehen und sich all dem fremd fühlen, gleich dem Ewigen Juden, der sich mitten imbewegten Leben um ihn herum dem Leben entfremdet weiß und vom Tode als der höch-[264]sten Seligkeit für ihn träumt; das ist ein Leid, das nicht für jedermann verständlich, aberdeshalb nicht weniger furchtbar ist... Jugend, Gesundheit, Reichtum im Bunde mit Geist undHerz: was braucht es, scheint’s, mehr für Leben und Glück? So denkt der stumpfe Pöbel undnennt solches Leid – Modenarrheit. Und je natürlicher, einfacher das Leid Onegins, je weiteres von jeder Effekthascherei ist, um so weniger konnte es von der Mehrheit des Publikumsgewertet und verstanden werden. Mit sechsundzwanzig Jahren so viel erleben, ohne auf denGeschmack des Lebens gekommen zu sein, so entkräftet, so müde sein, ohne etwas getan zuhaben, zu so absoluter Verneinung gelangen, ohne durch irgend. eine Überzeugung hindurchgegangenzu sein – das ist der Tod! Doch es war Onegin nicht bestimmt, zu sterben, ohne vomBecher des Lebens gekostet zu haben: eine starke, tiefe Leidenschaft mußte endlich die gramvolldahindämmernden Kräfte seines Geistes wecken. Als Onegin Tatjana in Petersburg aufdem Ball begegnete, konnte er sie kaum erkennen, so hatte sie sich verändert!„Sie glitt durch all die HuldigungenNatürlich, frei und ungezwungen,Sie hatte nichts von jener Art,Die Dreistigkeit mit Hochmut paart.Und nichts in Worten, Blick und Wendung,Was reizen soll und leicht besticht...An ihr war alles vornehm-schlicht,Sie war das Muster, die VollendungDu comme il faut ** ...· · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · · ·Sie war kaum schön; doch Fluß und FormenDer eleganten PrachtfigurVerrieten nicht die kleinste SpurVon dem, was nach GesellschaftsformenIn Londons strenger OberschichtMan ‚vulgar‘ nennt...“Tatjanas Mann, den der Dichter so prächtig und vollständig vom Kopf bis zu den Füßen indiesen zwei Zeilen charakterisiert hat:„... und merklich höherAls alle andern trug im SaalSein stolzes Haupt der General.“Tatjanas Mann stellt ihr Onegin als seinen Verwandten und Freund vor. Viele Leser erwartetenbeim ersten Lesen dieses Kapitels ein lautes Och und eine Ohnmacht bei Tatjana, diedann, wieder zu [265] sich gekommen, nach ihrer Meinung, Onegin an den Hals fliegen muß.Aber wie groß war ihre Enttäuschung!* Bestandteil des Kostüms der Schauspieler der griechischen Tragödie; die Sohlen wurden aus Kork gefertigtund so dick, dass sie, vor allem in römischer Zeit, fast Stelzen glichen.** wie es sich gehört, mustergültig, vorbildlichOCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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