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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 143ihm jedoch nicht angehören könne – aus tugendhaftem Stolz. Das ist der ganze Inhalt des„Onegin“. Viele Leute haben gefunden und finden auch jetzt noch, daß das überhaupt keinInhalt ist, weil der Roman in nichts endet. Wirklich kommt es hier weder zu einem Todesfall(durch Schwindsucht oder durch den Dolch) noch zu einer Hochzeit – diesem privilegiertenEnde aller Romane, Erzählungen und Dramen, besonders der russischen. Darüber hinaus –wie viele Ungereimtheiten! Solange Tatjana ein junges Mädchen war, antwortete Onegin mitKälte auf ihr leidenschaftliches Bekenntnis; sobald sie aber zur Frau geworden ist, verliebt ersich, sogar ohne überzeugt zu sein, daß sie ihn wiederliebt, bis zum Wahnsinn in sie. Unnatürlich,völlig unnatürlich! Und was für einen amoralischen Charakter hat dieser Mann: erhält dem in ihn verliebten Mädchen kalten Herzens eine Moralpredigt, anstatt sich auf derStelle selbst in sie zu verlieben und sich ihr dann, nachdem er in aller Form von ihren hochverehrtenEltern ihren ewig unverbrüchlichen elterlichen Segen eingeholt und bekommen hat,durch die Bande der heiligen Ehe zu verbinden und der glücklichste Mensch auf der Welt zuwerden. Weiter: Onegin erschießt um nichts und wieder nichts den armen Lenski, diesen jungenPoeten mit goldenen Hoffnungen und freudigen Träumen – und wenn er wenigstens eineTräne über ihn vergossen oder auch nur eine pathetische Rede vorgetragen hätte, in der vonblutbeflecktem Schatten und so weiter die Rede gewesen wäre. So – oder beinahe so – urteilten,und urteilen [242] auch heute noch, viele der „ehrenwerten Leser“ über den „Onegin“,jedenfalls hatten wir Gelegenheit, viele solcher Urteile zu hören, die uns damals in Wut versetzten,uns heute aber nur noch ergötzen. Ein großer Kritiker hat sogar in der Presse ausgesprochen,der „Onegin“ sei überhaupt nichts Ganzes, er sei einfach poetisches Dahergeredeüber dieses und jenes und hauptsächlich über nichts. 7 Der große Kritiker stützte sein Urteilerstens darauf, daß das Poem weder mit einer Hochzeit noch mit einer Beerdigung schließt,und zweitens auf folgendes Zeugnis des Dichters selber:„Wie manches Jahr ist doch verrauscht,Seitdem in TraumesphantasieenTatjanens und Onegins BildZum erstenmal sich mir enthüllt –Da auch das Endziel meiner Mühen,Im Zauberspiegel festgebannt,Noch kaum im Umriß vor mir stand.“Der große Kritiker kam nicht auf den Gedanken, daß der Dichter, dank seinem schöpferischenInstinkt, ein ganzes, abgeschlossenes Werk schreiben konnte, ohne vorher seinen Plandurchdacht zu haben, und es verstand, ebenda haltzumachen, wo der Roman von selbst einausgezeichnetes Ende und seine Lösung findet – bei dem Bilde der völligen VerwirrungOnegins nach der Aussprache mit Tatjana. Aber darauf werden wir an seinem Ort zu sprechenkommen, ebenso wie darauf, daß es nichts Natürlicheres gibt als die BeziehungenOnegins zu Tatjana im Verlauf des ganzen Romans und daß Onegin durchaus kein Ungeheuer,kein liederlicher Mensch, obwohl gewiß auch kein Tugendheld ist. Zu den großen VerdienstenPuschkins gehört auch, daß er sowohl die Ungeheuer des Lasters als auch die Heldender Tugend aus der Mode gebracht und statt ihrer einfache Menschen gezeichnet hat.Wir haben unsern Aufsatz damit begonnen, daß wir den „Onegin“ ein wirklichkeitsgetreuespoetisches Gemälde der russischen Gesellschaft in einer bestimmten Epoche genannt haben.Dieses Gemälde trat zur rechten Zeit in Erscheinung, d. h. grade dann, als auch das in Erscheinungtrat, wonach es gemalt werden konnte – nämlich die Gesellschaft. Im Gefolge der7 Mit „ein großer Kritiker“ kann sowohl N. I. Nadeshdin als auch N. A. Polewoi gemeint sein. In seiner Rezensiondes „Eugen Onegin“ hatte N. I. Nadeshdin den Roman „amüsantes Geschwätz“ genannt. N. A. Polewoi warbei seiner Beurteilung des „Eugen Onegin“ zu dem Schluß gekommen, das Gedicht sei „eine Sammlung einzelner,nicht miteinander verbundener, in einen Rahmen gezwängter Bemerkungen und Gedanken über dies undjenes, aus denen der Autor nichts gemacht hat, was eigene Bedeutung besitzt“.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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