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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 140Genialität des Dichters. Es ist wahr, es gab in russischer Sprache ein (für seine Zeit) schönesWerk, eine Art Erzählung in Versen: wir meinen „Eine moderne Gattin“ von Dmitrijew; abersie hat mit dem „Onegin“ schon allein deshalb nichts gemein, weil man die „Frau à la mode“ebenso leicht für eine freie Übersetzung oder eine Bearbeitung nach dem Französischen haltenkann wie für ein russisches Originalwerk. Wenn von den Werken Puschkins wenigstenseins einiges Gemeinsames mit dem schönen, witzigen Märchen Dmitrijews haben kann, so istdas, wie wir bereits im letzten Aufsatz bemerkt haben, der „Graf Nulin“. Doch auch hier liegtdie Ähnlichkeit durchaus nicht in den poetischen Vorzügen der beiden Werke. Die Form derRomane von der Art des „Onegin“ ist von Byron geschaffen worden; zum mindesten die Erzählungsweise,die Mischung von Prosa und Poesie in der dargestellten Wirklichkeit, die Abschweifungen,die Anreden des Dichters an sich selbst und besonders die gar zu spürbareGegenwart der Person des Dichters in dem von ihm geschaffenen Werk – alles das ist dasWerk Byrons. Gewiß ist, sich eine fremde, neue Form für einen eigenen Inhalt anzueignen,durchaus nicht dasselbe, wie sie selbst zu erfinden – dennoch läßt sich bei einem Vergleichvon Puschkins „Onegin“ mit Byrons „Don Juan“, „Childe Harold“, „Beppo“ außer der Formund der Schreibweise [237] nichts Gemeinsames finden. Nicht nur der Inhalt, sondern auchder Geist der Poeme Byrons schließt jede Möglichkeit einer wesentlichen Ähnlichkeit zwischenihnen und dem „Onegin“ Puschkins aus. Byron schrieb über Europa für Europa; dieserso mächtige und tiefe subjektive Geist, diese so kolossale, stolze und unbeugsame Persönlichkeitstrebte nicht so sehr danach, die gegenwärtige Menschheit darzustellen, als über ihrevergangene und ihre gegenwärtige Geschichte Gericht zu halten. Wir wiederholen: hier läßtsich auch nicht der Schatten irgendeiner Ähnlichkeit finden. 4 Puschkin schrieb über Rußlandfür Rußland – und wir sehen ein Kennzeichen seines originellen, genialen Talents darin, daßer, als er einen russischen Roman schrieb, getreu seiner der Natur Byrons völlig entgegengesetztenNatur und getreu seinem künstlerischen Instinkt, sich weit der Versuchung fernhielt,irgend etwas in Byronscher Art zu schaffen. Er hätte es nur zu tun brauchen – und die Mengehätte ihn über die Sterne erhoben; ein momentaner, aber gewaltiger Ruhm wäre die Belohnungfür seinen falschen „tour de force“ * gewesen. Doch Puschkin war, wir wiederholen es,als Dichter zu groß für einen derartigen Narrenstreich, der so verführerisch für ein gewöhnlichesTalent gewesen wäre. Er bemühte sich nicht darum, Byron zu ähneln, sondern darum, erselbst zu sein und jener Wirklichkeit treu zu bleiben, die, vor ihm noch von niemandem angetastetund angerührt, nach seiner Feder verlangte. Und deswegen ist sein „Onegin“ ein imhöchsten Grade originelles und nationalrussisches Werk. Zusammen mit der gleichzeitigengenialen Schöpfung Gribojedows – „Verstand schafft Leiden“ ** – hat der Versroman Puschkinseiner neuen russischen Poesie, einer neuen russischen Literatur das feste Fundamentgeschaffen. Bis zu diesen zwei Werken verstanden die russischen Dichter noch, wie wir bereitsoben bemerkt haben, Dichter zu sein, wenn sie Dinge besangen, die der russischenWirklichkeit fremd waren, und verstanden es fast nicht, Dichter zu sein, wenn sie sich an dieDarstellung des russischen Lebens machten. Eine Ausnahme bildete nur Dershawin, in dessenPoesie, wie wir bereits mehrmals gesagt haben, Funken der [238] Elemente des russischenLebens aufblitzen; ferner Krylow und schließlich Fonwisin, der übrigens in seinenKomödien mehr ein begabter Kopist der russischen Wirklichkeit als ihr schöpferischer4 Eine im wesentlichen gleiche Auffassung hat Belinski bereits, wenn auch in anderer Formulierung, in den„Literarischen Träumereien“ ausgesprochen.* Gewaltaktion; mit Mühe, Anstrengung verbundenes Handeln** Gribojedow schrieb sein „Verstand schafft Leiden“ während seines Aufenthaltes in Tiflis, vor 1823, jedoch imRohentwurf. Bei seiner Rückkehr nach Rußland im Jahre 1823 nahm Gribojedow wesentliche Korrekturen anseiner Komödie vor. Zum erstenmal wurde ein größeres Bruchstück aus ihr in dem Almanach „Thalia“ im Jahre1825 abgedruckt. Das erste Kapitel des „Onegin“ erschien im Jahre 1825 im Druck, als Puschkin wahrscheinlichbereits mehrere Kapitel dieses Poems fertig hatte.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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