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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 14Gewalt unterworfen außer der Macht der Umstände und den Erfolgen der Aufklärung. Auchder verkommenste und lasterhafteste Mensch, der alles Heilige verspottet, fügt sich den Gebräuchen,selbst wenn er sich innerlich über sie lustig macht. Man zerstöre sie plötzlich, ohnesie sofort durch Neues zu ersetzen, und man wird alle Grundpfeiler zerstören, alle Bindungender Gesellschaft zerreißen, mit einem Worte, das Volk vernichten. Warum ist das so? Ebendarum,weshalb sich der Fisch im Wasser, der Vogel in der Luft, das Säugetier auf der Erdeund der Wurm [24] im Erdreich in ihrem Element fühlen. Ein Volk, das gewaltsam in eineihm fremde Sphäre versetzt wird, gleicht einem gefesselten Menschen, den man mit Peitschenhiebenzum Laufen zwingt. Ein jedes Volk kann von einem andern etwas übernehmen,aber es drückt notwendig den Stempel des eigenen Genies auf diese Anleihen, die bei ihm denCharakter von Nachahmungen annehmen. In diesem Drang nach Selbständigkeit und Originalität,der in der Liebe zu den heimischen Gebräuchen zum Ausdruck kommt, liegt die Ursachedes gegenseitigen Hasses bei den noch im Kindesalter stehenden Völkern. Aus ebendiesemGrunde nannte der Russe den Deutschen einst einen „Unchristen“ und hält der Türkeauch heute noch jeden Franken für einen Unreinen und weigert sich, mit ihm aus einer Schüsselzu essen; die Religion spielt in diesem Fall nicht die einzig ausschlaggebende Rolle.Im Osten Europas, an der Grenze zweier Weltteile, ließ die Vorsehung ein Volk erstehen, dassich scharf von seinen westlichen Nachbarn unterschied. Seine Wiege war der lichte Süden; dasSchwert des asiatischen Reußen verlieh ihm den Namen; das verendende Byzanz vererbte ihmdie segenspendende Heilslehre; die Fesseln des Tataren verbanden die getrennten Teile diesesVolkes durch feste Bande, die Faust der Khane schweißte es mit seinem eignen Blut zusammen;Iwan III. lehrte es, seinen Zaren zu fürchten, zu lieben und ihm zu gehorchen, und brachtees dazu, im Zaren die Vorsehung, die oberste Schicksalsmacht zu sehen, die einzig kraft ihresWillens straft und Gnade walten läßt und einzig den Willen Gottes über sich anerkennt. Und esward dies Volk kalt und ruhig wie der Schnee seiner Heimat, solange es friedlich in seinen Hüttenhauste; schnell zufahrend und dräuend wie die Donnerschläge seines kurzen, aber sengendenSommers, wenn des Zaren Arm ihm den Gegner wies; unbändig und ausgelassen wie dieSchneestürme und die Unwetter seines Winters, wenn es in seiner Freiheit beim Gelage saß;schwerfällig und träge wie der Bär im undurchdringlichen Dickicht seiner Wälder, wenn esBrot und Met in Fülle besaß; findig, schlau und listenreich wie die Katze, sein Hausgott, wenndie Not es kein Gebot kennen lehrte. Wie ein Mann stand es für die Kirche Gottes ein, für denGlauben seiner Vorväter, hielt seinem rechtgläubigen Väterchen Zar unerschütterlich dieTreue; sein Lieblingsspruch war: wir alle gehören Gott und dem Zaren; Gott und der Zar, GottesWille und des Zaren Wille verschmolzen [25] in seiner Vorstellung zu einem einzigen Begriff.Es hielt sich getreulich an die einfachen, rohen Sitten der Vorfahren und sah in seinerHerzenseinfalt fremdländische Gebräuche als Teufelsspuk an. Aber darauf beschränkte sichauch die ganze Poesie seines Lebens: denn sein Geist dämmerte in stillem Schlaf dahin und tratniemals aus seinen althergebrachten Schranken; denn es beugte nicht das Knie vor der Frau,und seine stolze, wilde Kraft verlangte von ihr sklavische Unterwerfung statt süßer Minne;denn sein Leben war eintönig, und nur wüste Spiele und tolle Jagd verliehen ihm etwas Farbe;denn nur der Krieg vermochte alle Kräfte seiner eisern kalten Seele in Wallung zu bringen, undnur auf der blutigen Walstatt konnte sie sich nach Herzenslust austoben und gütlich tun. Es warein urwüchsiges und charakteristisches, aber einseitiges und isoliertes Leben. Zu einer Zeit, alssich das intensiv tätige Leben der älteren Vertreter des Menschengeschlechts mit unbeschreiblicherBuntheit vorwärtsbewegte, griff es mit keinem Rädchen in das Getriebe des russischenLebens ein. So mußte dieses Volk selbst den Anschluß an das allgemeine Leben der Menschheitsuchen, ein Bestandteil der großen Familie des Menschengeschlechts werden. Und da tratnun in diesem Volke ein großer, weiser Herrscher 18 auf, mild ohne Schwäche, furchtgebietend18 „Ein großer, weiser Herrscher“ – Belinski hat hier den Zaren Alexej Michailowitsch (1645-1676) im Sinn.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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