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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 132tagscharaktere, von denen unser Land wimmelt“ * . Diese Literatur schreibt uns keine Vorzügezu, die wir nicht haben, verhüllt uns keinen unserer Mängel, sondern bemüht sich, sie nachMöglichkeit aufzudecken und sichtbar zu machen – denn echter Patriotismus besteht nachihrer [220] Meinung nicht darin, für das Vaterland Eigenschaften in Anspruch zu nehmen, diees sich, mit schnellen Schritten der Vollkommenheit entgegengehend, noch nicht anzueignenvermocht hat, sondern in edlen, uneigennützigen Bemühungen die Zeit näherzubringen, woes wirklich die mögliche Vollkommenheit erlangt. Wie sehr muß sich diese uneigennützigeLiteratur deswegen verurteilen, wie sehr muß sie sich vorwerfen lassen, es fehle ihr an Patriotismus– und das von engstirnigen Pedanten, die sie absichtlich oder unabsichtlich nicht verstehen,die, um ihre eigene Tatenlosigkeit mit einem entschuldigenden Grund zu verdecken,behaupten, es sei bei uns schon alles getan, wir hätten uns in nichts zu vervollkommnen, wirbrauchten nur die Hände in den Schoß zu legen und die Früchte unsrer Arbeit zu genießen!Das sind die Elemente, aus denen die russische Literatur gegenwärtig besteht. Ihre Lage istnicht glänzend, aber sie enthält auch nichts, was einen an ihrer Zukunft verzweifeln lassenmüßte. Das vergangene Jahr ist gleich einigen vorhergehenden nicht reich an hervorragendenWerken, aber es bietet einige Tatsachen dar, die unwiderleglich bestätigen, daß für die russischeLiteratur die Kindheitsperiode ihrer Existenz – die Periode einer unfruchtbaren Romantik– unwiederbringlich vorüber und die Periode der Mannesreife angebrochen ist. Und wieaktiv, wie listig die literarischen Altgläubigen, die Geschäftemacher-Autoren und überhauptdie ganze literarische „Krätze“ sich bemüht, die russische Literatur von dem wahren Wegabzubringen, den sie erst seit so kurzer Zeit beschritten hat, und ihr das alte Lotterleben aufzuzwingen,das sie zurückzerren würde – die russische Literatur schreitet vorwärts. DieStimme ihrer nicht zahlreichen echten Vertreter übertönt, stark durch ihre Wahrheit und ihreEinmütigkeit, das unharmonische Geschrei der zahlreichen Menge von verschiedenem Kaliber,die sich von persönlichen Interessen leiten läßt. Heute geht es schon nicht mehr an, literarischenRuhm auf zwei, drei mehr oder weniger gelungenen, äußerlich blendenden, jedeninneren Gehalts baren Gedichten aufzubauen; heute werden wir schon nicht mehr in Tränenausbrechen, uns schon nicht mehr in Unkosten stürzen und uns darum reißen, „Abbadonna“,„Emma“ oder „Die Seligkeit des Wahnsinns“ 3 zu kaufen, werden nicht Werke zu den Standardwerkenrechnen, in denen es weder echtes Taktgefühl für Wirklichkeit noch reife, kräftigeGedanken gibt, sondern überirdische Maiden, im [221] Äther umherschwebende Traumgebilde,von Seufzern und sentimentalen Phrasen lebende Liebe und kindisches Drängennach irgendeinem verkehrt verstandenen Ideal; heute werden wir bereits nicht mehr den trivialenRäsoneur, der unsre ihm unverständlichen Sitten verleumdet, unsre Wirklichkeit entstellt,uns mit Sentenzen belehrt, die aus Abc-Büchern entnommen sind – als moralsatirischenDichter anerkennen, der Achtung und Lob verdient; wir werden den anderen Räsoneur, dersein ganzes Leben lang nicht einen einzigen gesunden, ihm selbst gehörenden Gedanken ausgesprochenhat, nicht einen „Philosophen“ nennen, „der in die Tiefe seines Geistes hinabgestiegenist“ 4 – und wenn irgendein Kritiker im Eifer gemachter oder wirklicher Begeisterungvor dem Schöpfer irgendeiner Mittelmäßigkeit im phantastischen Genre auf die Knie fällt,werden wir nur finden, daß er nicht ganz gesund ist, und werden seinem unverständigen Gefiebergegenüber kühle Zuschauer bleiben. Heute werden wir uns auch in der Kritik nicht mithochtrabend hohlem Dahergerede zufrieden geben, sondern Ideen und Urteile suchen, die aufden Gesetzen der schönen Wissenschaften, der Philosophie der Kunst begründet sind.... Ja,wir werden älter, wir werden Männer – und Gott sei’s gedankt! ... [223]* Gogol, „Die toten Seelen“, S. 257. – W. B.3 „Abbadonna“, „Emma“ und „Die Seligkeit des Wahnsinns sind Werke von N. A. Polewoi.4 Der „triviale Räsoneur“ ist F. W. Bulgarin. Der „andere Räsoneur ist O. I. Senkowski.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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