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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 123Es mag sein, daß vielen unserer Leser das Wort „unmittelbar“ als völlig gleichbedeutend mitdem Wort „unbewußt“, und „Unmittelbarkeit“ mit „Unbewußtheit“ erscheinen mag, und siewerden uns vielleicht des übereifrigen Wunsches zeihen, neue, niemandem bekannte Wörterfür alte, allen bekannte Begriffe, die bereits durch allen ebenfalls bekannte Wörter ausgedrücktsind, zu erfinden und in Mode zu bringen, und werden uns des pedantischen Vergnügens beschuldigen,uns auf überflüssige Erklärungen und unnötige Abschweifungen einzulassen, dienichts erklären und die Sache nur verdunkeln. Wenn das eintreten sollte und wenn der Grundhierfür nicht eine übereilige Unaufmerksamkeit eines oberflächlichen Lesers ist, so bedeutetdas natürlich nicht, daß seine Anschuldigung berechtigt ist, sondern höchstens, daß wir diesenGegenstand unbefriedigend erklärt haben. In der Unmittelbarkeit kann Unbewußtheit liegen,das ist jedoch nicht immer der Fall – und diese beiden Wörter sind durchaus nicht ein und dasselbeund sind nicht einmal Synonyme. Die Natur zum Beispiel ist unmittelbar und zugleichunbewußt entstanden; die historischen Erscheinungen dagegen, wie etwa der Ursprung derSprachen und der politischen Gesellschaftsverbände, sind unmittelbar, aber durchaus nichtunbewußt zustande gekommen; genau so ist die Unmittelbarkeit der Erscheinungen einGrundgesetz, eine unausweichliche Vorbedingung [205] in der Kunst, die dieser ihre hohe,mystische Bedeutung verleiht; aber Unbewußtheit bildet nicht nur kein notwendiges Zubehörder Kunst, sondern ist ihr feindlich und für sie erniedrigend. Das Wort „unmittelbar“ umfaßtund enthält einen bedeutend weiteren, tieferen und höheren Begriff als das Wort „unbewußt“;das werden wir in der weiteren Entwicklung der Idee der Kunst klar zeigen.Die Bedingung für die Unmittelbarkeit einer jeden Erscheinung ist ein inspirierter Auftrieb;das Resultat der Unmittelbarkeit einer jeden Erscheinung ist ein Organismus. Nur das Inspiriertekann unmittelbar in Erscheinung treten, nur das unmittelbar Erschienene kann organischsein, nur das Organische kann lebendig sein. Organismus und Mechanismus oder Naturund Handwerk – das sind zwei Welten, die einander feindlich, gegensätzlich sind. Die eine istfrei, ständig in Bewegung, veränderlich, ungreifbar im Schillern der Lichter und der Farben,lärmend und tönend; die andere ist erstarrt in tödlicher Unbeweglichkeit, sklavisch-richtigund leblos-bestimmt, von falschem Glanz, gemachter Lebendigkeit, stumm und tonlos. Dielebendigen, unmittelbar entstandenen Erscheinungen der erstgenannten Welt werden auchnoch inspiriert oder geschaffen genannt, die Erscheinungen der anderen Welt dagegen – mechanischeGegenstände oder Erzeugnisse von Menschenhand. Das darf man natürlich nichtbuchstäblich verstehen und die ursprüngliche lebendige Ursache mit der vermittelnden verwechseln.Alle Statuen und alle Bilder sind Werke von Menschenhand, aber ungeachtet dessen,daß es organische, inspirierte, geschaffne Statuen und Bilder gibt, gibt es auch mechanische,nicht erschaffene, sondern gemachte Statuen und Bilder.Es ist klar, daß erschaffen oder geschaffen alles genannt wird, was nicht mit Überlegung undBerechnung, mit dem Verstand und dem Willen des Menschen hervorgebracht, ja alles, wasnicht Erfindung genannt werden kann, sondern was unmittelbar aus dem Nichtsein ins Seintritt, entweder durch die schaffende Kraft der Natur oder die schaffende Kraft des menschlichenGeistes, und was, im Gegensatz zur Erfindung, Offenbarung genannt werden muß. DerOrganismus, der den wesentlichen Unterschied zwischen den geschaffenen und den mechanischenErzeugnissen darstellt, ist offensichtlich das Resultat jenes Prozesses, durch den er entsteht.Wir wollen die Natur und das Handwerk gegenüberstellen, um das an einem Beispielzu erklären. Als im Kopfe des Menschen, der die Uhr er-[206]fand, der erste Gedanke andiese Maschinerie aufblitzte, blieb es natürlich nicht bei diesem Augenblick: ganz zu schweigendavon, daß er viel nachdenken und überlegen mußte, bevor er an die Ausführung seinesGedankens ging – mußte er ihn auch noch ständig an der Erfahrung prüfen und in der Erfahrungnach Ergänzungen seines Gedankens suchen. Während des Schaffens zerstörte, zergliederte,zerlegte er ständig von neuem, denn er fand stets, daß noch irgend etwas fehlte. GeistigOCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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