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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 115Die Idee der Kunst 1Die Kunst ist unmittelbare Schau der Wahrheit oder Denken in Bildern.In der Entwicklung dieser Definition der Kunst besteht die ganze Theorie der Kunst: ihr Wesen,ihre Einteilung in Gattungen ebenso wie die Bedingungen und das Wesen jeder Gattung. *Das erste, was an unserer Definition der Kunst viele Leser sonderbar berühren muß, ist zweifellosdies, daß wir die Kunst Denken nennen und damit zwei der allergegensätzlichsten, allerunvereinbarstenVorstellungen in eins verbinden.Tatsächlich hat die Philosophie stets im Kampfe mit der Poesie gelegen – und selbst in Griechenland,der wahren Heimat sowohl der Poesie wie der Philosophie, hat der Philosoph dieDichter zur Verbannung aus seiner idealen Republik verurteilt, obwohl er sie vorher mit Lorbeergekrönt hatte. Die allgemeine Meinung schreibt den Dichtern eine lebendige, leidenschaftlicheNatur zu, die sie, Vergangenheit und Zukunft vergessend, am gegenwärtigen AugenblickGefallen finden und das Nützliche dem Angenehmen opfern läßt; eine unersättliche,durch nichts und nie zu befriedigende Sucht nach Genuß, der stets der Sittlichkeit vorgezogenwird; Leichtsinn, Veränderlichkeit und Unbeständigkeit in Geschmack und Streben undschließlich eine unruhige Phantasie, die sie ständig von der Wirklichkeit zum Ideale entführtund in ihren Augen dem sicheren Glück des Tages zugunsten eines schönen, unerfüllbarenTraums seinen Wert [192] nimmt. Den Philosophen dagegen schreibt die allgemeine Meinungdas Streben nach Weisheit als dem höchsten Gut des Lebens zu, das für die Menge unverständlichund für die gewöhnlichen Menschen unerreichbar ist; zugleich hält sie für ihreunbedingten Eigenschaften – eine unbeugsame Willenskraft, Beständigkeit im Streben nacheinem einigen, unveränderlichen Ziel, Verständigkeit in den Handlungen, Mäßigung in denWünschen, Bevorzugung des Nützlichen und des Wahren vor dem Angenehmen und demVerführerischen, die Fähigkeit, im Leben feste, wirkliche Güter zu erreichen und sich ihrer zuerfreuen und die Quelle dazu in sich selbst, in der geheimen Schatzkammer ihrer unsterblichenSeele, zu finden, statt in der gespenstischen Äußerlichkeit und der kaleidoskopischenBuntheit der trügerischen Lockungen des irdischen Lebens. Deshalb sieht auch die öffentlicheMeinung im Dichter das Lieblingskind, das verwöhnte Glückskind der parteiischen MutterNatur, ein verdorbenes, ausgelassenes, launisches, oft sogar bösartiges, aber um so bezaubernderes,liebes Kind; im Philosophen sieht sie den strengen Diener der ewigen Wahrheitund der Weisheit, die Verkörperung der Wahrheit in Worten und der Tugend in Taten.Deshalb begegnet sie dem ersteren auch mit Liebe, und wenn sie ihm, durch seine Leichtfertigkeitgekränkt, auch manchmal ihre Mißbilligung ausspricht, so tut sie es stets mit einemLächeln auf den Lippen; dem anderen begegnet sie mit ehrfürchtiger Achtung, durch die jedochAngst und Kälte hindurchscheinen. Mit einem Wort, das einfache, unmittelbare, empirischeBewußtsein sieht zwischen der Philosophie und der Poesie den gleichen Unterschied wiezwischen der lebendigen, flammenden, buntschillernden, leichtbeflügelten Phantasie und demtrocknen, kühlen, mürrischen und düsteren Vernünftler-Verstand. Aber die gleiche öffentlicheMeinung, die zwischen Poesie und Philosophie den gleichen Unterschied macht wie etwazwischen Feuer und Wasser, Hitze und Kälte – diese gleiche öffentliche Meinung oder dies1 Dieser unvollendet gebliebene Aufsatz, der in der ersten Hälfte des Jahres 1841 entstanden ist, erschien zuLebzeiten Belinskis nicht im Druck.* Diese Definition wird hier zum erstenmal in russischer Sprache ausgesprochen, und sie ist in keiner russischenÄsthetik, Poetik oder einer sogenannten Theorie der Literatur zu finden –‚ und wir müssen uns deshalb, damitsie denjenigen, die sie zum erstenmal hören, nicht sonderbar, wüst und falsch erscheint, auf die ausführlichsteErklärung aller Vorstellungen einlassen, die in dieser für uns völlig neuen Definition der Kunst enthalten sind –‚obwohl vieles hier gar nicht eigentlich zur Kunst gehören würde oder für Menschen, die mit der Wissenschaft inihrem modernen Zustand bekannt sind, unwichtig, überflüssig, kleinlich-ausführlich erscheinen könnte. – W. B.OCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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