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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 108An W. P. Botkin. 8. (20.) September 1841St. Petersburg, 8. (20.) September 1841 1Es ist schon lange her, daß ich Dir geschrieben und keine Briefe von Dir bekommen habe,mein lieber Wassili. Die Gründe sind mir klar: Mal ist man nicht in Stimmung, mal hat mankeine Zeit, bestimmt morgen, bestimmt nächste Woche, heute ist man zu faul, gestern warman unpäßlich usw. Alle Entschuldigungen sind also Gemeinplätze, die zu wiederholen sichnicht lohnt. Das aber ist neu und bestimmt schon kein Gemeinplatz: Du hast Dir, Gott weißwoher, in den kahlen Kopf gesetzt, mein Gefühl für Dich habe sich abgekühlt. Botkin –schlag ein Kreuz – Du bist wohl nicht ganz... Gott behüte! Du bist krank! Und Du hast böseTräume. Schenk diesen trügerischen Hirngespinsten einer erregten Phantasie keinen Glauben– verscheuche sie, sonst werden sie Herr über Dich. Da ich in Deinen Briefen auch zwischenden Zeilen zu lesen verstehe, habe ich so etwas irgendwie indirekt aus dem Brief vom 18. Julierraten, wo Du mir für meinen Brief dankst und dann sagst: unangenehm war nur, daß Du anunsre alten Streitereien zurückdenkst, die der dunkeln Zeit unsres Lebens angehören. Du hastmich falsch verstanden, wenn ich mich an die alten Streitereien erinnert habe – Du hast es soaufgenommen, als hätte ich Dir über Vergangenes Vorwürfe gemacht. Botkin, in ihm, in diesemVergangenen, gibt es viel Häßliches – das bestreite ich nicht; aber es läßt sich nicht vergessen,denn mit ihm ist auch untrennbar all das Beste verbunden, was in unserm Leben warund was uns ewig heilig ist. Es lohnt sich nicht, davon zu sprechen, daß keiner von uns sichrühmen oder sich den Vorwurf machen kann, den größeren Anteil an diesem Häßlichen gehabtzu haben; beide Seiten halten sich die Waage, und wir brauchen einander weder zu beneidennoch zu beschämen. Aber ich habe nicht darüber schreiben und nicht das sagen wollen:Du hast mich nicht richtig verstanden. Ich will diesen Umstand ein für allemal ins richtigeLicht setzen, damit er Dir keine Sorge mehr macht. Du kennst meine Natur: sie bewegtsich ewig in Extremen und trifft nie ins Zentrum der Idee. Ich trenne mich schwer und mitSchmerzen von einer alten Idee, negiere sie bis zum äußersten und gehe zu einer neuen mitdem ganzen Fanatismus eines Proselyten über. Und so bin ich jetzt bei einem neuen Extrem –[181] das ist die Idee des Sozialismus, die für mich zur Idee der Ideen, zum Sein des Seins,zur Frage der Fragen, zum A und O des Glaubens und des Wissens geworden ist. Alles ausdieser Idee, für sie und zu ihr hin. Sie ist die Frage und die Antwort auf die Frage. Sie hat (fürmich) sowohl die Geschichte als auch die Religion und die Philosophie verschlungen. Unddeshalb ist sie für mich jetzt die Erklärung meines Lebens, Deines Lebens und des Lebensaller, denen ich auf dem Wege des Lebens begegnet bin. Siehst Du: wir haben Freundschaftgeschlossen, haben uns gezankt und versöhnt, wieder gezankt und wieder versöhnt, habenuns bekämpft, haben einander grenzenlos geliebt, haben gelebt, uns verliebt – nach der Theorie,nach Büchern, unmittelbar und bewußt. Das ist, meiner Meinung nach, die verkehrte Seiteunsres Lebens und unsrer Beziehungen. Aber sollen wir uns daraus einen Vorwurf machen?Und wir haben uns Vorwürfe gemacht, haben geschworen, verflucht, aber besser ist esnicht geworden, und wird es auch nicht werden. Unser liebster (und vernünftiger) Traum warimmer der – unser ganzes Leben, und folglich auch unsere gegenseitigen Beziehungen, zurWirklichkeit zu erheben; und was ist daraus geworden? Der Traum war ein Traum und ist esgeblieben; wir waren Gespenster und werden als Gespenster sterben, doch nicht wir sind daranschuld, und wir haben uns nichts vorzuwerfen. Wirklichkeit entsteht auf einem Boden, undder Boden einer jeden Wirklichkeit ist die Gesellschaft. Das Allgemeine ohne das Besondereund Individuelle ist nur im reinen Denken wirklich, in der lebendigen, greifbaren Wirklichkeitist es ein onanistischer * , toter Traum. Mensch – das ist ein großes Wort, ein großes Ding,1 Zum erstenmal vollständig abgedruckt im Jahre 1914.* die Onanie betreffendOCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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