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W. G. Belinski – Ausgewählte philosophische Schriften – 106verschlafenen Augen? Weißt Du, mich hat sein Gesicht entzückt – es liegt so viel Adel, soviel Menschlichkeit in ihm, besonders in den Augen, die er bei Dir gestohlen zu habenscheint. Seine Stimme und seine Manieren sind so zart und einschmeichelnd wie bei Dir inDeinen guten Augenblicken. Ja, das ist eine Wiedergeburt, ein Wunder des Geistes, das ichmit eignen Augen zu sehen bekommen habe.Auf Deinen Rat hin habe ich mir den Plutarch in der Ausgabe von Destunis gekauft und ganzgelesen. Das Buch hat mich ganz verrückt gemacht. Herrgott, was steckt in mir doch für einLeben, das unnütz verkommen muß! Von allen Helden des Altertums haben drei meine ganzeLiebe, Verehrung, meinen Enthusiasmus auf sich gezogen – Timoleon und die Gracchen. DieBiographie Catos (des von Utica, nicht die des Viechs, des Älteren) hat mich mit der [178]düsteren Größe der Tragödie angeweht: was für eine durch und durch edle Persönlichkeit.Perikles und Alkibiades habe ich meinen vollen und reichlichen Tribut der Bewunderung undder Begeisterung gezollt. Und Cäsar, fragst Du? Leider habe ich mich, lieber Freund, jetztganz in eine Idee verrannt, die mich völlig verschluckt und aufgefressen hat. Du weißt, daß esmir nicht gegeben ist, ins Zentrum der Wahrheit zu treffen, von wo aus man alle Punkte anihrer Peripherie in gleichem Abstand sieht, nein, ich befinde mich stets irgendwie ganz amRande. So ist es auch jetzt: ich lebe ganz in der Idee der Bürgertugend, ganz im Pathos derWahrheit und der Ehre, und sehe außer ihnen keine wie immer geartete Größe. Jetzt verstehstDu, warum Timoleon, die Gracchen und Cato von Utica (nicht der Ältere, das fuchsigeViech) in meinen Augen sowohl Cäsar als auch den Mazedonier verdecken. In mir ist solcheine wilde, wütende, fanatische Liebe zur Freiheit und Unabhängigkeit der menschlichenPersönlichkeit zur Entwicklung gekommen, Eigenschaften, die nur in einer auf Wahrheit undTugend begründeten Gesellschaft möglich sind. Als ich mich über den Plutarch machte,dachte ich, die Griechen würden mir die Römer verdecken – es ist anders gekommen. Ichgeriet außer mir über Perikles und Alkibiades, aber Timoleon und Phokion (diese Gräko-Römer) nahmen mir durch ihre rauhe Kolossalgröße die Sicht auf die schönen, graziösen Gestaltender Vertreter Athens. Aber in den römischen Biographien schwamm meine Seele imOzean. Plutarch ließ mich vieles verstehen, was ich nicht verstanden hatte. Auf dem BodenGriechenlands und Roms ist die Menschheit der Neuzeit erwachsen. Ohne sie hätte das Mittelalternichts zustande gebracht. Ich verstand sowohl die Französische Revolution als auchihren römischen Pomp, über den ich früher gelacht hatte. Ich verstand auch die blutige FreiheitsliebeMarats, seinen blutigen Haß gegen alles, was sich von der Verbrüderung mit derMenschheit absondern wollte, und sei es auch nur durch eine wappengeschmückte Equipage.Bezaubernd ist die Welt des Altertums. In seinem Leben liegt das Samenkorn für alles Große,Edle, Tugendhafte, denn diesem Leben liegt der Stolz der Persönlichkeit, die Unantastbarkeitder persönlichen Würde, zugrunde. Ja, die griechische und die lateinische Sprache müssenden Eckstein jeder Bildung, das Fundament der Schulen ausmachen.Es ist sonderbar: mein Leben ist ganz Apathie, Nichtstun, Faulheit, ein stehender Sumpf, aberauf dem Grunde dieses Sumpfes [179] glüht ein feuriges Meer. Ich hatte immer gefürchtet, ichwürde mit den Jahren lahm werden – das Gegenteil ist eingetreten. Ich mache mir über nichtsmehr Illusionen, glaube an nichts, liebe nichts und niemanden, und dennoch beschäftigen michdie Interessen des prosaischen Lebens immer weniger, und ich werde mehr und mehr zumWeltbürger. Ein irrsinniger Durst nach Liebe verzehrt mehr und mehr mein Inneres, und dieSehnsucht wird bedrückender und hartnäckiger. Das bin ich, und nur das bin ich. Aber michbeschäftigt stark auch das Nicht-Ich. Die menschliche Persönlichkeit wird zu dem Punkt, überden ich den Verstand zu verlieren fürchte. Ich beginne die Menschheit nach der Art Marats zulieben: um ihren kleinsten Teil glücklich zu machen, würde ich, glaube ich, den ganzen Restmit Feuer und Schwert austilgen. Was für ein Recht hat ein Mensch, der mir gleich ist, sichüber die Menschheit zu stellen, sich von ihr abzusondern durch einen eisernen Kronreif undOCR-Texterkennung <strong>Max</strong> <strong>Stirner</strong> <strong>Archiv</strong> <strong>Leipzig</strong> – 23.12.2013

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