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Nachhaltige Entwicklung für alle

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ProblemstellungStiftungWissenschaft undPolitikDeutsches Institut<strong>für</strong> InternationalePolitik und SicherheitSWP-Aktuell<strong>Nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> <strong>für</strong> <strong>alle</strong>Endspurt zu den Millenniumszielen und Roadmap <strong>für</strong> die Post-2015-AgendaMarianne BeisheimDie Generalversammlung der Vereinten Nationen und zwei Sondergipfel befasstensich Ende September 2013 mit den Millenniumsentwicklungszielen (MDGs) und demnoch auszuhandelnden Nachfolgeabkommen, der Post-2015-Agenda. Außerdem tagtedas neu eingerichtete Hochrangige Politische Forum <strong>für</strong> <strong>Nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> zumersten Mal. Während des Gipfelreigens wurde deutlich, welche Aktivitäten und Verhandlungsprozessein den nächsten zwei Jahren anstehen: zum einen der Schlussspurtbis zum Jahr 2015, der Ziellinie <strong>für</strong> die MDGs, und zum anderen die Formulierung derPost-2015-Ziele sowie die noch näher zu bestimmende Rolle, die das neue Forum dabeispielen soll. Die Auseinandersetzung über die inhaltlichen Schwerpunkte der Post-2015-Agenda nimmt Fahrt auf. Deutschland wird gefordert sein, <strong>für</strong> die eigene Nachhaltigkeitspolitikinnen- und außenpolitische Ziele zu definieren und dabei Zielkonflikteund Inkonsistenzen zwischen Ministerien zu überwinden.In seinem Bericht »Ein Leben in Würde <strong>für</strong>Alle« (»A Life of Dignity for All«) zieht derGeneralsekretär der Vereinten Nationen(VN), Ban Ki-moon, Bilanz zu den Millenniumsentwicklungszielenund präsentiertVorschläge <strong>für</strong> die neue Post-2015-Agenda.MDGs: Eine gemischte BilanzBis 2015 hätten die acht Millennium DevelopmentGoals (MDGs) mit ihren 21 Unterzielenerreicht sein sollen, doch laut Weltbankwird dies nur bei vier Unterzielengelingen. So konnte der Anteil derjenigenMenschen weltweit halbiert werden, diemit weniger als dem Gegenwert von 1,25US-Dollar pro Tag auskommen müssen undkeinen Zugang zu sauberem Trinkwasserhaben. Auch die Lebensbedingungen vielerSlumbewohner und der Zugang von Mädchenzu Schulbildung wurden verbessert.Dennoch kann man mit dem Ergebnisnicht zufrieden sein, leben doch nach wievor 1,2 Milliarden Menschen in extremerArmut, haben 780 Millionen Menschenkeinen Zugang zu sauberem Trinkwasser,steigt die Anzahl jener, die in Elendsviertelnleben, erhalten noch immer nicht<strong>alle</strong> Kinder eine Primärschulbildung. AndereZiele werden trotz großer Fortschritteverfehlt werden, so die Senkung der Kindersterblichkeitund der Sterblichkeitsrate vonMüttern sowie ein verbesserter Zugang zuSanitärversorgung. Auch regional fällt dieDr. Marianne Beisheim ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Globale Fragen SWP-Aktuell 56Oktober 20131


Bilanz unterschiedlich aus: In China undIndien wurden viele Ziele erreicht, in Subsahara-Afrikadagegen nicht.Beim ersten Sondergipfel zu den Erfolgenbei der Umsetzung der MDGs am23. September 2013 lag daher der Schwerpunktauf der Frage, wie sich die Vorgabenbis 2015 doch noch einhalten ließen. Sozialeund technische Innovationen, befördertdurch Partnerschaften mit Wirtschaftund Zivilgesellschaft, so hieß es, könntenhelfen, jenseits von Wohltätigkeitsinitiativenund Einzelprojekten strukturellenWandel und Breitenwirkung zu erzielen.In seinem Bericht empfiehlt der VN-Generalsekretär den Mitgliedstaaten, ihreBemühungen während der kommendenzwei Jahre auf drei Feldern zu verstärken:Erstens müsse Wachstum inklusiv gestaltetwerden und mit menschenwürdiger Arbeitund sozialen Sicherungssystemen einhergehen.Zweitens sollten die Ressourcen <strong>für</strong>den Zugang zu lebensnotwendigen Dienstleistungensichergestellt werden. Drittensliege es in der Verantwortung der Regierungen,Regelwerke weiterzuentwickeln,sowohl auf internationaler Ebene (unteranderem auf den Gebieten Handel, Rechtauf geistiges Eigentum und Klimaschutz)als auch auf nationaler Umsetzungsebene.Post-2015-Agenda und ZieleDie inhaltliche Ausrichtung der Agendaund des Zielkatalogs <strong>für</strong> die Zeit nach 2015wurde sowohl in der Generaldebatte derVollversammlung als auch auf den beidenSondergipfeln diskutiert. GeneralsekretärBan Ki-moon, der neu gewählte Präsidentder Generalversammlung John Ashe, dieEuropäische Union (EU) und einige andereStaaten hatten zuvor gefordert, die Post-2015-<strong>Entwicklung</strong>sagenda und die Rio+20Sustainable Development Goals (SDGs)zusammenzuführen. Es sei unsinnig undineffizient, zwei Zielkataloge auszuhandeln,die eventuell sogar inkompatibelwären. Nicht wenige <strong>Entwicklung</strong>sländeraber waren und sind besorgt, dass dadurchder Schwerpunkt Armutsbekämpfung verlorengehenkönnte. Im Schlussdokumentdes zweiten hochrangigen Sondergipfelszu den MDGs und der Post-2015-Agenda am25. September ist nun festgehalten, dassam Ende der Verhandlungen ein Zielkatalogstehen solle. Den Prioritäten und Bedürfnissen<strong>alle</strong>r Staaten sei gleichwohl Rechnungzu tragen.Der VN-Generalsekretär ruft die Mitgliedstaatendazu auf, über vier Bausteine zu verhandeln:1. eine Zukunftsvision, beruhendauf den Menschenrechten und mit denGrundelementen Universalität, nachhaltige<strong>Entwicklung</strong> inklusive Transformation derWirtschaft sowie Frieden und Governance,2. ein Set konkreter Ziele, deren Umsetzungmessbar ist, 3. eine globale Partnerschaft<strong>für</strong> <strong>Entwicklung</strong>, um Ressourcen <strong>für</strong> dieUmsetzung der Ziele zu mobilisieren, und4. Mechanismen partizipativer Beobachtungund gegenseitiger Rechenschaft.Konkrete Inhalte wurden noch nicht festgelegt.Das VN-Sekretariat hält sich zurück,haben die Staaten doch betont, dass siedazu auf einem zwischenstaatlichen Verhandlungsprozessbestehen. Einigkeitherrscht darüber, dass Armutsbekämpfungund nicht erfüllte MDGs als Basis auch derneuen Agenda dienen sollen. So könnte daserste neue Ziel sein, extreme Formen derArmut bis 2030 zu beseitigen. Expertenfordern, dass auch andere Arten von Ungleichheitund Unsicherheit thematisiertwerden. So weist etwa das hochrangigePanel des Generalsekretärs auf die Ausgrenzungmarginalisierter Gruppen hin.Zudem haben die Ziele sowie Verfahren zurErfolgsmessung innergesellschaftliche Verteilungsgerechtigkeitbislang kaum erfasst.Für die neuen Ziele könnten Indikatorendefiniert werden, mit denen sich überprüfenlässt, ob die Ziele nicht nur in derSumme, sondern auch <strong>für</strong> die unteren Einkommensgruppenerreicht wurden.Darüber hinaus ist der Kampf um die inhaltlicheThemensetzung in vollem Gange.Zwar ist man sich einig, dass vorrangigbisher vernachlässigte Ziele nachhaltiger<strong>Entwicklung</strong> und neue Herausforderungenberücksichtigt werden müssen. Doch dieSWP-Aktuell 56Oktober 20132


Liste dieser Themen ist lang. Oft genanntwerden unter anderem existenzsicherndeBeschäftigung und soziale Grundsicherung,Zugang zu Energie, Schutz von Ozeanen,Böden und Wäldern, nachhaltige Stadtentwicklung,Katastrophenprävention undResilienz gegenüber dem Klimawandel. Diein der Gruppe der G7+ organisierten fragilenStaaten, aber auch die EU und anderemachen sich <strong>für</strong> Governance-Ziele stark,unter anderem <strong>für</strong> Freiheit von Gewaltund den Ausbau von Konfliktbearbeitungsmechanismen.Gezielter berücksichtigtwerden sollen zudem die speziellen Bedürfnisseder am wenigsten entwickelten Länderund kleinen Inselstaaten.Streit gibt es auch darüber, welchenThemen eigenständige Ziele gewidmet undwelche »nur« als Unter- oder Querschnittsthemenbehandelt werden sollen. Dabeisollten Ziele stärker zusammengedachtwerden. Wenn etwa in ländlichen Gebietenmit Hilfe dezentral betriebener Solarpanelsein Zugang zu Energie geschaffen wird,könnten so nicht nur Klima, Wald undWasserressourcen geschont, sondern auchder Zugang zu neuen Informationstechnologiensowie Bildungs- und damit Verdienstmöglichkeitenbefördert werden.Institutionelle NeuerungenAm 24. September fand die konstituierendeSitzung des Hochrangigen PolitischenForums zu <strong>Nachhaltige</strong>r <strong>Entwicklung</strong>(High-level Political Forum, HLPF)statt. Kurz zuvor hatte die Kommission <strong>für</strong><strong>Nachhaltige</strong> <strong>Entwicklung</strong> (Commissionon Sustainable Development, CSD) zumletzten Mal getagt. Beim Rio+20-Gipfelim Juni 2012 hatten die Staaten beschlossen,die CSD abzuschaffen, da sie mitderen Arbeit unzufrieden waren. Stattdessensoll nun das HLPF jährlich aufMinisterebene unter der Schirmherrschaftdes Wirtschafts- und Sozialrats tagenund – um das Forum politisch aufzuwerten– <strong>alle</strong> vier Jahre auf Ebene der Staats- undRegierungschefs bei der Generalversammlung.Laut seinem Mandat soll das HLPF einepolitische Führungsrolle bei der Umsetzungnachhaltiger <strong>Entwicklung</strong> spielen.Dies wäre vor <strong>alle</strong>m dann bedeutsam, wennbeim Forum ein wirksamer Rechenschaftsmechanismusangesiedelt würde, mit dessenHilfe die nationale Umsetzung der Post-2015-Agenda verfolgt, unterstützt und überprüftwerden könnte. Im Mandat heißt esbisher nur, ab 2016 solle ein Review-Prozessden bisherigen Überprüfungsprozess (denAnnual Ministerial Review, AMR) ersetzen.Die Ausgestaltung des Nachfolgeprozessesist aber noch unklar.Um eine möglichst hohe Beteiligungam voraussichtlich freiwilligen Review zuerreichen, wäre es sinnvoll, wenn die teilnehmendenStaaten zunächst selbst entscheidenkönnten, wie sie die globalen Zielein nationale Verpflichtungen übersetzen.Damit dies nicht zu beliebig wird, sollteanschließend geprüft werden, ob die Selbstverpflichtungenehrgeizig genug und mitden vorhandenen Ressourcen auch zuerfüllen sind. Ein Anreiz zur Mitwirkungwäre, Staaten anhand dieser Bestandsaufnahmeeine maßgeschneiderte Unterstützungin Aussicht zu stellen. Sodannmüsste ein Überprüfungsprozess folgen,der <strong>alle</strong>rdings eine zuverlässige Datengrundlagebenötigt. Hier müssen in vielenLändern Kapazitäten ausgebaut werden.Ausblick und HerausforderungenWas bringen globale Ziele? Wie die Erfahrungenmit den MDGs zeigen, können siehelfen, Aufmerksamkeit zu wecken, Prioritäten<strong>für</strong> die Mittelvergabe zu setzen undjährlich Bilanz zu ziehen, wie es um denErfolg steht. Auf diese Weise lassen sich dieThemen auf der Agenda halten. Es wäredaher sehr zu begrüßen, wenn es gelänge,eine visionäre Post-2015-Agenda zu verabschieden,die anspruchsvoll und präziseformulierte Ziele nachhaltiger <strong>Entwicklung</strong>und einen starken Rechenschaftsmechanismusenthielte.Beschlossen wurde, dass bis September2014 zunächst weitere Konsultationen undSWP-Aktuell 56Oktober 20133


© Stiftung Wissenschaft undPolitik, 2013Alle Rechte vorbehaltenDas Aktuell gibt ausschließlichdie persönliche Auffassungder Autorin wiederSWPStiftung Wissenschaft undPolitikDeutsches Institut <strong>für</strong>Internationale Politik undSicherheitLudwigkirchplatz 3­410719 BerlinTelefon +49 30 880 07-0Fax +49 30 880 07-100www.swp-berlin.orgswp@swp-berlin.orgISSN 1611-6364zwischenstaatliche Vorverhandlungen zumöglichen Zielen folgen sollen, vor <strong>alle</strong>min der Generalversammlung und in deroffenen Arbeitsgruppe zu den SDGs (OpenWorking Group, OWG). Bis Ende 2014 sollder Generalsekretär einen Bericht vorlegen,der <strong>alle</strong> Eingaben würdigt. Mit der 69. Sitzungder Generalversammlung im September2014 soll auf dieser Basis ein zwischenstaatlicherVerhandlungsprozess beginnen.Als Schlusspunkt ist ein Gipfel der StaatsundRegierungschefs im September 2015vorgesehen, auf dem die Post-2015-Agendasamt Zielkatalog verabschiedet werden soll.Schon heute argwöhnen Kritiker, einsolcher zwischenstaatlicher Verhandlungsprozesswerde keine ambitioniertenBeschlüsse hervorbringen, sondern lediglicheine lange, unverbindliche Wunschlisteohne handfeste Verpflichtungen. Inder Tat weisen Minimalkonsense selten dievon Experten geforderte »transformative«Qualität auf. Weitreichende strukturelleReformen in Richtung nachhaltigererGovernance hätten also kaum eine Chance,weder in der internationalen Handels- undFinanzpolitik noch mit Blick auf gute Regierungsführungoder Verteilungsfragen aufnationaler Ebene.Damit die weiteren Verhandlungenerfolgreich sein können, müssen zentraleKonfliktthemen zwischen Nord und Südbearbeitet werden. Bislang schiebt man sichnach der alten Blocklogik gegenseitig dieVerantwortung zu. Geberländer verweisenauf die Eigenverantwortung der Nehmerund die Notwendigkeit guter Regierungsführung,<strong>Entwicklung</strong>sländer auf strukturelleUngerechtigkeiten und die historischeSchuld der Industrieländer. Statt in diesemMuster zu verharren, sollte man das langfristige,gemeinsame Interesse an nachhaltiger<strong>Entwicklung</strong> in den Vordergrund rücken.Da<strong>für</strong> muss glaubwürdig gezeigt werden,dass Wohlstand auch auf nachhaltigemWege zu erzielen ist. Hier müssen dieIndustrieländer mit gutem Beispiel vorangehen,denn die neue Agenda soll universell,also auch <strong>für</strong> sie gelten. Deshalb gehtes künftig auch nicht mehr <strong>alle</strong>in um <strong>Entwicklung</strong>spolitik,sondern um eine kohärenteAußen- und Innenpolitik. DeutschlandsEnergiewende zum Beispiel wird mitgroßem Interesse verfolgt: Wenn es einemhochentwickelten Industrieland gelingt,eine solche Transformation ohne Wohlstandsverlustezu verwirklichen, lässt sichüberzeugender <strong>für</strong> diesen <strong>Entwicklung</strong>spfadwerben.Die Post-2015-Agenda wird die IndustrieundGeberländer auch im Hinblick auf dieMittel <strong>für</strong> die Umsetzung stärker in die Pflichtnehmen. 2005 gab der EU-Ministerrat denMitgliedstaaten auf, das 0,7-Prozent-Ziel(Anteil des Bruttonationaleinkommens <strong>für</strong><strong>Entwicklung</strong>szusammenarbeit) gemäßdem achten MDG bis 2015 zu erreichen.Nach dem EU-Stufenplan sollten sie mittlerweileam Zwischenziel von 0,56 Prozent angelangtsein, doch die EU liegt erst bei 0,43und Deutschland bei 0,38 Prozent. Glaubwürdigkeitsetzt voraus, dass Zusagen eingehaltenwerden müssen. Die Debatte überdie Post-2015-Agenda verdeutlicht, dassdiese Mittel keinesfalls »nur« <strong>für</strong> wohltätigeZwecke da sind. Vielmehr werden mit ihnenauch gemeinsame Interessen an einer globalennachhaltigen <strong>Entwicklung</strong> befördert.Wenn Ländern etwa ermöglicht wird, emissionsarmeInfrastrukturen aufzubauen undso die »schmutzige« Phase der Industrialisierungzu überspringen, werden auch globaleGüter wie das Klima oder die Biodiversitätgeschützt. Nur wenn diesen Ländernbesserer Zugang zu innovativen Politikenund effizienten Technologien verschafftwird, ist die Entweder-oder-Logik »<strong>Entwicklung</strong>versus Umweltschutz« zu überwinden.Will Deutschland hier Vorreiter undPartner sein und seine eigene Gestaltungsfähigkeitausbauen, ist Umdenken in denRessorts gefragt, auch jenseits des <strong>Entwicklung</strong>s-und Umweltministeriums. Mit derPost-2015-Agenda und den SDGs werdenDeutschland und die EU aufgefordert sein,nicht nur ihre <strong>Entwicklung</strong>szusammenarbeitneu zu orientieren, sondern ihregesamte Innen- und Außenpolitik kohärenterzu gestalten und sich dabei an Nachhaltigkeitskriterienmessen zu lassen.SWP-Aktuell 56Oktober 20134

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