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II. Fachdidaktik und Unterrichtspraxis: Hilfen für den Unterricht

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<strong>II</strong>. <strong>Fachdidaktik</strong> <strong>und</strong> <strong><strong>Unterricht</strong>spraxis</strong>: <strong>Hilfen</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Unterricht</strong>Wo aber findet der fachdidaktisch interessierte sozialk<strong>und</strong>liche ‚Jäger <strong>und</strong>Sammler‘ Publikationen mit direkt unterrichtlich verwertbaren Materialien?Mit Ausnahme weniger Titel aus dem Wochenschau-Verlag scheint derzeit nurein wirklich f<strong>und</strong>ierter gr<strong>und</strong>legender Titel vorzuliegen.Der von Kerstin Backhaus, Klaus Moegling <strong>und</strong> Susanne Rosenkranz verfasste -im Schneider Verlag Hohengehren erschienene - Band „Kompetenzorientierungim Politikunterricht“ erhebt je<strong>den</strong>falls <strong>den</strong> Anspruch (S.5), „die erstepolitikdidaktische Publikation (zu) sein, im Rahmen derer ein kompetenzorientiertespolitikdidaktisches Konzept entwickelt, in der Praxis umgesetzt <strong>und</strong>in einigen wesentlichen Aspekten evaluiert wird.“ Den Autoren der innovativenPublikation geht es in ihrem pragmatischen Ansatz nach eigenen Angaben (S. 5)„darum, herauszufin<strong>den</strong>, was Schüler leisten können, wenn sie kompetenzorientiertgefordert <strong>und</strong> gefördert wer<strong>den</strong>.“ Dieses Vorgehen dürfte nicht zuletztauch darauf zurückzuführen sein, dass aussagekräftige Studien zur Leistungsfähigkeitvon Schülerinnen <strong>und</strong> Schülern weiterhin ein politikdidaktischesForschungsdesiderat (vgl. Weißeno 2008 / Detjen 2008) darstellen!Ausdrücklich zugestimmt wer<strong>den</strong> muss dem Anliegen des Trios (S.5f.) auf dieEtablierung umfassender Kompetenz- <strong>und</strong> Standardlisten zu verzichten, wie siebeispielsweise im B<strong>und</strong>esland Ba<strong>den</strong>-Württemberg vorliegen.„Dichte indikatorenbezogene <strong>und</strong> themenbezogene Beschreibungen von Standards auf mehrerenLeistungsniveaus, die überregional verordnet wer<strong>den</strong>, z. B. durch kultusministerielleVerfügung, können aufgr<strong>und</strong> ihrer Komplexität <strong>und</strong> Vielschichtigkeit einerseits <strong>und</strong> andererseitsaufgr<strong>und</strong> der Abgehobenheit von der schulischen Situation, d. h. konkreten <strong>Unterricht</strong>sverläufen<strong>und</strong> spezifischen Lernausgangsniveaus von Lerngruppen, nicht zur sinnvollen Regulationdes eigenen <strong>Unterricht</strong>shandelns dienen. Sie wür<strong>den</strong> zu einem didaktischen Zwangskorsettwer<strong>den</strong>.Letztendlich müssen die Lehrer/-innen selbst die Kompetenz erwerben, vor dem Hintergr<strong>und</strong>der übergeordneten <strong>und</strong> themenunabhängigen Vorgaben themenspezifische <strong>und</strong> lerngruppenabhängigeStandards <strong>für</strong> ihren <strong>Unterricht</strong> zu formulieren. Dies kann ihnen nicht durchkultusministeriell bestellte Expertengruppen abgenommen wer<strong>den</strong>.“Die GPJE-Standards wer<strong>den</strong> von <strong>den</strong> Autoren um eine „politische Wissenskompetenz“ergänzt <strong>und</strong> um <strong>den</strong> Aspekt der Indikatoren erweitert (vgl. Mat. 1-2),5


die – wie Sie aus meinen früheren Artikeln wissen - in <strong>den</strong> GPJE-Ausführungennoch fehlten. Unter Kompetenzen verstehen die Verfasser (S. 32) „kognitive<strong>und</strong> psychosoziale Fähigkeiten zur Problemlösung in relevanten Situationen.Dieses Verständnis wendet sich gegen die Kumulierung anwendungslosen (‚toten‘)Wissens.“ Mit der politischen Wissenskompetenz bezeichnet Moeglingdie Fähigkeit (S. 15), „Wissen – sei es Faktenwissen oder konzeptuelles Deutungswissen,also auch Kernbestände von Theorien – aufzunehmen, zu verknüpfen,zu integrieren <strong>und</strong> zu erinnern.“ Letztlich soll hiermit der Gefahr einer unpolitischenBildung (vgl. S. 177), in der zentrale politische Wissensbeständevernachlässigt wer<strong>den</strong>, entgegengearbeitet wer<strong>den</strong>. Mittels der Kompetenzorientierungwerde der handlungsorientierte Ansatz in der Politikdidaktik (S.18) „in seinen Umsetzungsmöglichkeiten systematisiert <strong>und</strong> konkreter bzw.handhabbarer“ gestaltet.Welche Niveauansprüche sollen nun im Politikunterricht gelten?Zunächst einmal unterschei<strong>den</strong> die Autoren zwischen Kompetenzen (Fähigkeitenin einem bestimmten Bereich) <strong>und</strong> Standards (Maßstäbe, die <strong>den</strong> Ausprägungsgradder Kompetenzen darstellen). Die drei Verfasser konzentrieren sichnicht auf die Inhalte (content standards), <strong>den</strong> Lernprozess (process standards)oder die Eröffnung von Lernangeboten (opportunity to learn standards), sondernauf die leistungsbezogenen Standards (performance standards). Wie siesich eine sinnvolle Vorgehensweise bei der Formulierung von Standards vorstellen,zeigt Material 3 im Anhang. Im späteren Praxisteil wer<strong>den</strong> anhand derkonkreten Beispiele <strong>für</strong> drei Niveaus (Minimal-, Regel- <strong>und</strong> Optimalstandard)Indikatoren entwickelt, anhand derer die Kompetenzen – bezogen auf <strong>den</strong> jeweiligenGegenstandsbereich (vgl. Mat. 4) – diagnostiziert wer<strong>den</strong> können. ZuRecht warnt Moegling vor einer überbürokratisierten Regelungswut <strong>und</strong> möchtedie entschei<strong>den</strong><strong>den</strong> Planungsaufgaben, die im Anschluss an die Etablierungeines Kerncurriculums zu leisten seien, von <strong>den</strong> Fachkonferenzen erbringen lassen.Ein wenig verw<strong>und</strong>ern muss aber die Tatsache, dass das Autorentrio keineStellungnahme zu <strong>den</strong> bisherigen Kerncurriculumsvorschlägen abgibt, obgleichdiese im Literaturverzeichnis erwähnt wer<strong>den</strong>. Dieses Kerncurriculum wäre imSinne Klafkis auf gegenwärtige <strong>und</strong> zukünftige Schlüsselthemen der Politik zubeziehen (kritisch hierzu Sander 2008). Konträr zur Beschränkung des GPJE-Entwurfs auf die kognitive Ebene möchte der Marburger Professor Moegling imAnschluss an die kritische Kommentierung des GPJE-Entwurfs durch Herrmann6


Abs (vgl. Abs 2005) auch psychosoziale Kompetenzen (vgl. Mat. 5) formulieren,die aber nicht benotet wer<strong>den</strong> dürfen. Indikatoren zeigen an, ob <strong>und</strong> inwieweitdie Umwandlung des Könnens in beobachtbares Verhalten gegeben ist.Zur Vermeidung der Gefahr einer „Indikatorenbürokratie“ schlägt der Autoreine exemplarische Entwicklung der Indikatoren durch <strong>den</strong> Lehrer vor, die anschließendim Sinne des Transparenzgebotes mit <strong>den</strong> Schülern abzusprechenseien. Hieraus ergibt sich eine generell kritische Einstellung gegenüber Aufgabenstellungen,die im Zentralabitur seitens der Bildungsadministration vorgegebenwer<strong>den</strong>.Abschließend (S. 177) verdeutlichen die Autoren ihre pädagogischen Intentionen<strong>und</strong> das ihnen zugr<strong>und</strong>e liegende Bürgerleitbild:„Die zentrale pädagogische Intention ist in der Berücksichtigung des Kompetenzgedankensangelegt – das Können der Schüler sollte im Vordergr<strong>und</strong> stehen, das sich auf aktuelle <strong>und</strong>zukünftige gesellschaftspolitische Anforderungssituationen richten sollte. Es geht darum, inder politischen Bildung der Schulen im Zusammenspiel von außerunterrichtlichen Prozessenin der Polis Schule <strong>und</strong> systematischen Bildungsprozessen im Politikunterricht überdauerndeFähigkeiten zu fördern, welche die Gr<strong>und</strong>lage zur erfolgreichen Partizipation <strong>und</strong> Problembewältigunginnerhalb demokratischer Strukturen sind. Die Gefahr des Zurückfallens deskompetenzorientierten Ansatzes hinter ein anspruchsvolles Bildungsverständnis wurdedurch <strong>den</strong> Anschluss an niveauvolle politikdidaktische Bildungsansprüche zu verhindern gesucht.Im Rahmen dieses Bildungsverständnisses ist der kompetente Bürger nicht derjenige,der bei der Demokratie zuschaut – selbst wenn er dies mit einem gewissen Interesse <strong>und</strong> mitKenntnissen vollzieht – sondern das hier gemeinte Bürgerleitbild ist im ‚Citoyen` enthalten,also dem republikanisch engagierten <strong>und</strong> an der Demokratie – über Wahlen hinaus – teilnehmen<strong>den</strong>Bürger, der sich mit kritischem Sachverstand <strong>und</strong> geschärfter Urteilskraft in diegesellschaftspolitischen Prozesse einmischt.“Es ist ein Verdienst des Bandes, Ansätze zur Ermöglichung sinnvoller Lernsituationenzum Kompetenzaufbau bei Schülern in verschie<strong>den</strong>en <strong>Unterricht</strong>sprojektenvorzustellen <strong>und</strong> die damit verb<strong>und</strong>enen Kompetenz- <strong>und</strong> themenbezogenenStandardanforderungen (vgl. Mat. 6) zu verdeutlichen. Deshalb wer<strong>den</strong>einige Zusammenfassungen aus dem Praxisteil der Publikation auch im Materialteildokumentiert, die alle Jahrgangsstufen der SEK I <strong>und</strong> SEK <strong>II</strong> berücksichtigen.7


Detailliert im Buch vorgestellt <strong>und</strong> z. T. auch evaluiert wer<strong>den</strong> folgende Praxismodellezur Kompetenzorientierung im Politikunterricht: Projekt „Reiches Land – arme Kinder“ – Kinder entwickeln an ihrer Lebenssituationanknüpfend erste sozialpolitische Kompetenzen (6. Klasse) Planspiel POL&IS – Schüler simulieren Entscheidungsprozesse im internationalenKontext (10. Klasse) (vgl. Mat. 7/8) Was können Schüler lernen, wenn sie Landratskandidaten befragen? (11.Klasse) (vgl. Mat. 9/10) Das WeDemoFlex-Projekt: Politikwerkstatt-Arbeit zum Thema „Demokratiein Deutschland“ – Kompetenzzuwächse über Forschen, Präsentieren<strong>und</strong> Inszenieren von Öffentlichkeit (12. Klasse) (vgl. Mat. 11/12) Möglichkeiten des Kompetenzerwerbs durch ein Online-Klassenzimmer(Oberstufe)Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer müssen in Zukunft stärker da<strong>für</strong> qualifiziert wer<strong>den</strong>,Kompetenzen, Standards <strong>und</strong> Indikatoren <strong>für</strong> eigene <strong>Unterricht</strong>sreihen zu entwerfen<strong>und</strong> – wie es der Didaktikprofessor Rainer Lersch (2008, S. 47) betont,„<strong>Unterricht</strong> von seinem angezielten Ende her zu konzipieren.“ Hieraus ergibtsich nach Moegling massiver Fortbildungsbedarf, der auf professionelle Unterstützungssystemeangewiesen ist, die – das sei an dieser Stelle nicht verschwiegen– nicht nur in Rheinland-Pfalz nicht im ausreichen<strong>den</strong> Maße vorhan<strong>den</strong>sind!Einen wichtigen ersten Beitrag zur individuellen Fortbildung von interessiertenLehrpersonen leistet der hier vorgestellte praxisorientierte Band, der in keinerLehrerbibliothek fehlen sollte! Ähnlich positiv sehen es auch andere Rezensentenwie etwa Jessica Schattschneider (2008, S. 130):„Das vorliegende Buch zeigt mit seinen Projekten auf, dass sich <strong>Unterricht</strong>sprinzipien wieSchüler-, Handlungs-, Problemorientierung <strong>und</strong> Kontroversität sehr gut mit einem kompe-8


tenzorientierten <strong>Unterricht</strong> in Einklang bringen lassen <strong>und</strong> dadurch die Balance zwischenWünschenswertem <strong>und</strong> Machbarem gelingen kann.“Sowohl Schattschneider (2008, S. 129) als auch Bernd Overwien (2008, S.33)weisen allerdings zu Recht darauf hin, dass die „Politische Wissenskompetenz“etwas mehr präzisiert wer<strong>den</strong> sollte.In der aktuellen politikdidaktischen Debatte in der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschlandwurde ein erstmals 2008 in Österreich veröffentlichtes Kompetenzmodell zurPolitischen Bildung, das im Rahmen der Demokratie-Initiative der österreichischenB<strong>und</strong>esregierung von einer u. A. von Reinhard Krammer geleiteten Expertengruppeentwickelt wurde (vgl. Mat. 33), bisher kaum zur Kenntnis genommen.Es ist der Redaktion der Zeitschrift Informationen zur Politischen BildungHeft Nr. 29 da<strong>für</strong> zu danken, neben der Vorstellung dieses Modells auchMöglichkeiten eines kompetenzorientierten politischen <strong>Unterricht</strong>s an Einzelbeispielenaufzuzeigen. Ergänzend zu <strong>den</strong> Heftbeiträgen bietet die Onlineversionzusätzliche Materialien <strong>für</strong> Lehrer <strong>und</strong> Schüler. Den Anspruch des Heftesskizzieren die Autoren auf S. 4 wie folgt:„Die <strong>Unterricht</strong>sbeispiele sind im Besonderen <strong>für</strong> die SchülerInnen ab der 7./8. Schulstufekonzipiert. Beispielsweise zeigt ein Beitrag auf, wie SchülerInnen politische Sachkompetenzerlernen, indem sie Staatsutopien entwerfen. Simulations- <strong>und</strong> Rollenspiele zum ThemaWahlen sowie zu Verhaltensvereinbarungen <strong>und</strong> Konfliktmanagement vermögen politischeUrteils- <strong>und</strong> Handlungskompetenz zu vergrößern. Angesichts der bedeuten<strong>den</strong> Rolle derMedien in der Vermittlung politischer Inhalte wird thematisiert, wie SchülerInnen die nötigeMetho<strong>den</strong>kompetenz zur Dekodierung politischer Lieder, Filme, Nachrichtensendungen <strong>und</strong>der Werbung im Rahmen der Politischen Bildung erwerben können beziehungsweise wiediese zielgruppengerecht <strong>und</strong> praxisnah vermittelt wer<strong>den</strong> kann.“Einige spezifische Lernarrangements, die z. T. auch <strong>für</strong> <strong>den</strong> Bereich der Sek<strong>und</strong>arstufe<strong>II</strong> konzipiert sind, seien hier knapp skizziert <strong>und</strong> mittels zusätzlicherMaterialien im Materialteil dokumentiert.In dem von Heinrich Ammerer (2008) verfassten Artikel „Warum <strong>den</strong>ke ich, wasich <strong>den</strong>ke? Politische Teilurteile sichtbar machen <strong>und</strong> bewerten“ geht es demDozenten der Universität Salzburg um die kognitiv sehr anspruchsvolle Aufgabe(S.11), „politische Urteile im <strong>Unterricht</strong> in Teilurteile zu zergliedern <strong>und</strong> auf ihre9


Qualität hin zu untersuchen.“ Zu <strong>den</strong> drei <strong>Unterricht</strong>sthemen „Pro <strong>und</strong> KontraSchuluniformen“, „Sollen homosexuelle Paare (standesamtlich) heiraten dürfen?“<strong>und</strong> „Halten Sie es <strong>für</strong> richtig, dass Jugendliche in Österreich mit 16 Jahrenwählen dürfen?“ liegen ausgearbeitete Entwürfe (vgl. Mat. 13/14) vor, in<strong>den</strong>en die SchülerInnen prüfen sollen, ob es sich bei ihren Teilurteilen um begründeteUrteile, Vorausurteile oder Vorurteile handelt. Hierbei hebt Ammererinsbesondere die Rolle eines gemeinschaftlichen Konsenses <strong>für</strong> die Begründungeines Urteils hervor.Herbert Pichler (2008) legt in seinem Beitrag „Meinungen bil<strong>den</strong>, Interessenvertreten, Entscheidungen aushandeln“ <strong>den</strong> Fokus (S. 35) „auf <strong>den</strong> Überschneidungsbereichzwischen Handlungskompetenz, Urteilskompetenz <strong>und</strong>Metho<strong>den</strong>kompetenz“; dies wird am Beispiel des Führens von Diskussionen<strong>und</strong> des Schreibens von Leserbriefen (vgl. Mat. 15) exemplarisch konkretisiert.Im Zentrum von Christoph Kühbergers (2008) Artikel „Werben <strong>für</strong> eine Sache.Mit Printwerbung arbeiten“ steht die (S.46) „Entschlüsselung von Werbung imRahmen der politikbezogenen Metho<strong>den</strong>kompetenz.“ Neben der Analyse politischerWerbung (vgl. Mat. 16) gelte es auch, Schüler im <strong>Unterricht</strong> zur Gestaltungeigener Werbung (vgl. Mat. 17) zu motivieren <strong>und</strong> methodisch anzuleiten.Inhaltlich <strong>und</strong> methodisch ergiebig ist sicherlich auch Reinhard Krammers(2008) Beitrag „Der politische Film im <strong>Unterricht</strong>: Analyse, Interpretation, Diskussion.“Der Autor geht davon aus, dass sowohl Spielfilme als auch das Fernseheninsgesamt das politische Wissen <strong>und</strong> Interesse Jugendlicher in hohemMaße beeinflussen. Folglich müssen <strong>den</strong> jugendlichen Rezipienten Mittel an dieHand gegeben wer<strong>den</strong> (S. 51), „um die dort transportierten Botschaften zu dechiffrieren<strong>und</strong> die angesprochenen politischen Sachverhalte zu erkennen <strong>und</strong>zu diskutieren.“ Insofern sei die Filmanalyse „wesentlicher Teil politikbezogenerMedienkompetenz.“ Wesentlich sind <strong>für</strong> Krammer die in Filmen mittransportiertenKonzepte politischer Vorgänge, die mittels neuer methodischer Verfahrenins Zentrum des unterrichtlichen Fokus gestellt wer<strong>den</strong> sollten:„Es genügt nicht mehr, die Filme auf ihre historische Wahrheit oder hinsichtlich ihrer politischenAuthentizität zu überprüfen <strong>und</strong> ihre Plausibilität zu analysieren. Gegenstand des Interessessind die durch die Filme begründeten oder weitergegebenen Vorstellungen <strong>und</strong> Kon-10


zepte von politischen Vorgängen (Konflikten, Konfliktlösungen etc.), die in ihrer Bedeutung<strong>für</strong> das individuelle <strong>und</strong> kollektive Politikbewusstsein der FilmrezipientInnen von ähnlicherRelevanz sind wie die tagespolitischen Schlagzeilen <strong>und</strong> Kommentare der Zeitungen <strong>für</strong> daspolitische Bewusstsein der LeserInnen.“Praxisnahe „methodisch-didaktische Begleitmaßnahmen“, in <strong>den</strong>en unterrichtlicheLernarrangements erläutert wer<strong>den</strong>, r<strong>und</strong>en <strong>den</strong> gelungenen Artikel ab.Im Materialteil wer<strong>den</strong> die <strong>für</strong> Lehrkräfte entwickelten sehr differenzierten‚Leitfä<strong>den</strong>‘ zur Analyse unterschiedlicher Medienformate (vgl. Mat. 18/19) dokumentiert.Wie Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer „Basiskonzepte der Politischen Bildung positionieren“können, versucht Christoph Kühberger (2008) in einem weiteren Artikel zuverdeutlichen. In Anlehnung an Wolfgang Sanders Ansatz der Basiskonzeptesollen nach Ansicht des Salzburger <strong>Fachdidaktik</strong>ers die Schülervorstellungenvon Politik mittels begrifflicher Arbeit strukturiert, verbessert <strong>und</strong> weiterentwickeltwer<strong>den</strong>. Unter Basiskonzepten versteht Kühberger „strukturierende <strong>und</strong>zentrale Punkte in ‚Wissensnetzen‘“, die aber nicht einfach sozial- oder politikwissenschaftlicheKonzepte vereinfacht abbil<strong>den</strong>, weil sie eine Hilfe derSchülerInnen zur Strukturierung des Politischen darstellen sollen. Er schlägt vor,die Begriffe <strong>und</strong> ihre Bedeutung nicht in ‚Vokabelheften‘ festzuhalten, sondernsie in elektronischer Form in schulischen Lernplattformen zu dokumentieren<strong>und</strong> gegebenenfalls zu modifizieren. Exemplarisch konkretisiert wer<strong>den</strong> dieseÜberlegungen am Basiskonzept Knappheit, das mittels des Arbeitsblattes „Werbezahlt die Pensionen der Zukunft?“ (vgl. Mat. 20) konkretisiert wird, in demdie Thematik aus verschie<strong>den</strong>en Positionen erfahrbar gemacht wer<strong>den</strong> soll.In Heinrich Ammerers (2008) Ansatz „Die Siedler von Banana Bay – Der Entwurfeiner Staatsutopie als erste Annäherung an politische Systeme“ sollen„politische Konzepte (Staatsform, Regierung, Wirtschaftsordnung, Rechtsprechung(...) vermittelt wer<strong>den</strong>, die von SchülerInnen mit alltagssprachlichenInhalten aufgefüllt wer<strong>den</strong> (vgl. Mat. 21). Diese Inhalte können anschließendvon der/dem LehrerIn in die fachwissenschaftliche Begrifflichkeit überführtwer<strong>den</strong>.“ Im Sinne des Beutelsbacher Konsenses soll sich die Lehrkraft abschließenddarauf beschränken (S. 78), „zur allgemeinen Diskussion zu stellen,inwiefern der Staatsentwurf aufklärerischen Idealen folgt <strong>und</strong> ob die Kompati-11


ilität mit <strong>den</strong> Menschen- <strong>und</strong> Bürgerrechten gegeben ist.“ Der Autor selbstverweist auf Ähnlichkeiten mit Horst Leps lehrkunstdidaktischem Ansatz,SchülerInnen Verfassungen entwickeln zu lassen, <strong>den</strong> ich Ihnen ja schon imletzten Dossier zum Projektunterricht vorgestellt habe.Unbedingt erwähnenswert ist auch Elfriede Windischbauers Artikel „Das Liedim politischen <strong>Unterricht</strong>“, in dem am Beispiel des „Ärzte“-Songs „Junge“ <strong>und</strong>weiterer anschaulicher Zusatzmaterialien der Generations- <strong>und</strong> Wertekonfliktthematisiert wird. Die Leiterin des Instituts <strong>für</strong> Didaktik <strong>und</strong> <strong>Unterricht</strong>sentwicklungan der Pädagogischen Hochschule Salzburg möchte zunächst einmalpersönliche Wertekonflikte am Beispiel des Songs (vgl. Mat 22) erarbeitenlassen <strong>und</strong> dann durch Kontextualisierung verdeutlichen (S.84), dass „derscheinbar sehr persönliche Konflikt gesellschaftliche Dimensionen aufweist.“Anschließend wird die Thematik Generationenkonflikt (vgl. Mat. 23) anhandeines „taz“-Artikels um Konflikte auf städtischen Spielplätzen (vgl. Mat. 24) ergänzt<strong>und</strong> vertieft. Abschließend sollen die SchülerInnen Handlungsalternativenin Kleingruppen spielerisch erproben.Neben jenen vorgestellten ersten <strong>Unterricht</strong>sentwürfen gilt es zur Schulung dereigenen Diagnosefähigkeit <strong>und</strong> als Hilfe zur realistischen Einschätzung vonSchülerleistungen zudem diagnostische Testaufgaben zu entwickeln, die wichtigenAnforderungen (GPJE 2005) entsprechen müssen. Bisher sind leider nursehr wenige Aufgaben veröffentlicht wor<strong>den</strong>; einige von ihnen dokumentiereich im Anhang (vgl. Mat. 27-30).Die Messung der Kompetenzen wird sicherlich auch dadurch erschwert, dasssich in <strong>den</strong> Aufgabenformaten die allgemeine Lesekompetenz <strong>und</strong> domänespezifischeFachkompetenz vermischen. Offen bleibt sicherlich auch, ob bzw. wiesich Kompetenzen im Bereich der politischen Handlungsmöglichkeiten messenlassen.12


Jenseits einer defizitorientierten Bilanzierung gilt es insbesondere Peter HenkenborgsWarnung vor einem vorschnellen Paradigmenwechsel „vom kategorialenParadigma zu Basiskonzepten“ zu beherzigen. Es muss einen Beobachterder politikdidaktischen Szene nämlich schon verw<strong>und</strong>ern, dass der offensichtlicheKonsens des Jahres 2004 (Guter Politikunterricht ist kategorialer <strong>Unterricht</strong>!)schon 2007 nicht mehr existiert!„Nur drei Jahre später hat sich die politikdidaktische Diskurswelt radikal verändert. VielePolitikdidaktiker haben ihr früheres Vertrauen in das kategoriale Paradigma verloren. In dem‚Wörterbuch zur politischen Bildung‘ aus dem Jahre 2007 kommt der Begriff ‚kategorialeBildung‘ laut Sachregister überhaupt nicht mehr vor <strong>und</strong> der Begriff ‚Kategorie‘ wird nichteinmal mehr in einem eigenen Artikel behandelt. Ein ähnliches Bild bietet ein Sammelbandzum Problem „Politikkompetenz“ (Weißeno 2008). Selbst bisherige Vertreter einer kategorialenBildung – z. B. Dagmar Richter, Peter Massing oder Joachim Detjen – wer<strong>den</strong> hier zuKritikern dieses Paradigmas der politischen Bildung (ebd.).Gleichzeitig liefert ein neues Zauberwort der Nach-Pisa-Diskussion neue didaktische Gewissheiten:Die didaktischen Hoffnungen konzentrieren sich jetzt auf Basiskonzepte. Im Wörterbuchzur politischen Bildung (Weißeno u. a., 2007) wird dieser Begriff im Sachregister bereitszehnmal erwähnt, während er im „Lexikon zur politischen Bildung“ aus dem Jahre 1999(Rich(t)er&Weißeno 1999) noch gar nicht aufgeführt wurde.“ (Henkenborg 2008, S. 77)Primär Georg Weißeno hat die Idee der Basiskonzepte aus <strong>den</strong> Naturwissenschaftenin die Politikdidaktik übertragen. Mittlerweile liegen mindestens 5unterschiedliche Basiskonzepte in der politikdidaktischen Diskussion vor, derenAuswahl jeweils in unterschiedliche fachwissenschaftliche Begründungszusammenhängeeingeb<strong>und</strong>en ist (vgl. Mat. 31/32). Gegenüber <strong>den</strong> politikwissenschaftlichenAuswahlbegründungen nimmt der konstruktivistisch subjektiveAnsatz Sanders eine Sonderstellung ein. Ob es sich dabei wirklich um originäreNeuansätze handelt, kann kontrovers diskutiert wer<strong>den</strong>.Wie dem auch sei: Eine Analyse exemplarisch ausgewählter Lehrpläne belegt,dass sich die Bildungsdiskussion in <strong>den</strong> Lehrplänen des Faches Sozialk<strong>und</strong>e niederschlägt.Thomas Goll (2008, S. 37) bilanziert:„Kompetenzkataloge lassen sich in allen Lehrplänen fin<strong>den</strong>. Sie gleichen mitunter ‚Tugen<strong>den</strong>‘oder ‚Schlüsselqualifikationen‘ <strong>und</strong> sind in der Regel bildungstheoretisch abgeleitet. DieLehrpläne können <strong>und</strong> sollen allerdings nicht leisten, was in der <strong>Fachdidaktik</strong> auch noch nichtgeschehen ist. Es gibt ‚noch kein Kompetenzmodell <strong>für</strong> die politische Bildung, das die Entwicklungvon domänespezifischen Verstehensleistungen <strong>und</strong> die Bedeutung der systemati-13


schen Vernetzung von unterschiedlichen Wissenselementen beschreibt‘ (Weißeno 2007,180).Die Lehrpläne, wie weit sie auch in Hinsicht auf Output-Orientierung seien, enthalten desWeiteren keine Aussagen zu Testverfahren. Es wer<strong>den</strong> lediglich die schulüblichen Metho<strong>den</strong>der Leistungserhebung benannt.“Mit Detjen (2008, S. 26) muss hier kritisch nachgefragt wer<strong>den</strong>:„Die entschei<strong>den</strong>de Frage lautet dabei, ob in <strong>den</strong> Reihen der Politikdidaktiker genügend Expertise<strong>und</strong> Psychometrie vorhan<strong>den</strong> ist. Wenn nicht, sollte die Testentwicklung besser <strong>den</strong>Psychologen überlassen wer<strong>den</strong>.“Insofern spricht vieles <strong>für</strong> seine Abschlussprognose:„Man geht vermutlich nicht fehl in der Annahme, dass noch viel Zeit vergehen wird, bis dieangerissenen Probleme befriedigend gelöst sein wer<strong>den</strong>. Noch mehr Zeit dürfte wohl benötigtwer<strong>den</strong>, bis es zur Messung von Kompetenzen <strong>und</strong> zur Festlegung von Kompetenzstufenkommt.“ (Detjen 2008, S. 26f.)Vielleicht wer<strong>den</strong> aber auch einige Publikationen der Debatte neue Impulsegeben. Seitens des Wochenschau Verlags sind je<strong>den</strong>falls zusätzliche Titel zurThematik noch <strong>für</strong> dieses Jahr angekündigt, u. a. eine gerade im Hinblick auf dieKompetenzdebatte gr<strong>und</strong>legend überarbeite Neufassung zur ‚Leistungsbewertungim Politikunterricht‘ des Jenaer Didaktikprofessors Carl Deichmann.14

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