13.07.2015 Aufrufe

AUS DEM INHALT - Zeitschrift Jura Studium & Examen

AUS DEM INHALT - Zeitschrift Jura Studium & Examen

AUS DEM INHALT - Zeitschrift Jura Studium & Examen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013(SEITEN 418 BIS 566)HER<strong>AUS</strong>GEBERVerein der <strong>Zeitschrift</strong> JSE e. V.c/o Prof. Dr. Christian F. MajerKonrad-Adenauer-Str. 9D-72072 TübingenVereinsvorstand:Prof. Dr. Christian F. Majer (Vorsitzender)RA Marian Wieczorke (Stellvertretender Vorsitzender)Gabriel Schmidt (Schatzmeister)Richter Guido Philipp Ernst (Ressortleiter Strafrecht)<strong>AUS</strong> <strong>DEM</strong> <strong>INHALT</strong>BEIRATRA Dr. Felix E. BuchmannProf. Dr. Jörg EiseleRAin Dr. Tabea Yasmine GlemserProf. Dr. Volker HaasRA Dr. Roland Haberstroh, LL. M. (Boston University)RD Jochen HeinzProf. Dr. Antonios Karampatzos, LL. M. (Tübingen)RA Prof. Rainer KirchdörferProf. Dr. Alexander ProelßProf. Dr. Joachim RenzikowskiProf. Dr. Gottfried SchiemannProf. Dr. Jan SchürnbrandRichter Dr. Dominik SkauradszunRiOLG a. D. Prof. Dr. Dr. h. c. Rolf StürnerRiLG Dr. Felix Tausch, Mag. rer. publ.PD Dr. Christian TraulsenRA Dr. Werner WalkRA Dr. Andreas Wax, Maître en droit (Aix-Marseille)RA Prof. Dr. Gerhard Wegen, LL. M. (Harvard)MR Prof. Dr. Rüdiger WulfISSN 2195-044Xwww.zeitschrift-jse.deredaktion@zeitschrift-jse.deBEITRÄGEPhilipp KauffmannDie Bekämpfung des globalen Terrorismus –Anti-Terror-Gesetze, Strategien und RechtsstaatStanyo DinovMaßnahmen gegen die Schuldenkrise in Europaund die Finanzkrisen in Deutschland und JapanKL<strong>AUS</strong>URENJoachim RenzikowskiStrafrecht: „Schwierige Familienverhältnisse“Richard BaderZivilrecht: „Zwei Grundstücke und ein Todesfall“RECHTSPRECHUNGBVerfGWaffengesetz und Schutzpflicht vor AmokläufenBGHAutokomplettierung von SuchanfragenBGHStraßenverkehrsgefährdung bei Trunkenheitsfahrt


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________InhaltsverzeichnisBeiträgePhilipp KauffmannDie Bekämpfung des globalen Terrorismus – Anti-Terror-Gesetze,Strategien und RechtsstaatSeite422Stanyo DinovMaßnahmen gegen die Schuldenkrise in Europa und dieFinanzkrisen in Deutschland und JapanSeite438KlausurenJoachim Renzikowski<strong>Examen</strong>sklausur Strafrecht:„Schwierige Familienverhältnisse“Seite455Richard BaderHausarbeit Zivilrecht:„Zwei Grundstücke und ein Todesfall“Seite470Rechtsprechung ZivilrechtUnterlassungsanspruch gegen Autokomplettierung von SuchanfragenBGH, Urteil vom 14.05.2013 (Julius Forschner)Seite497Winterräumdienst als Werkvertrag und AGBBGH, Versäumnisurteil vom 06.06.2013 (Julius Forschner)Seite503Die Rügeobliegenheit gemäß § 377 Abs. 1 HGB gilt auch für RechtsmängelOLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.12.2012 (Steffen Follner)Seite510419


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________AGG – Diskriminierung eines Bewerbers – AufwendungsersatzBAG, Urteile vom 04.01.2013 und 12.03.2013 (Nikolaus Polzer)Seite520Rechtsprechung Strafrecht„Crash-Kurs“ zu § 315c Abs. 1 StGB: Straßenverkehrsgefährdung beiTrunkenheitsfahrtBGH, Beschluss vom 04.12.2012 (Guido Philipp Ernst)Seite536Rechtsprechungsänderung: Zum Erfordernis eines Absatzerfolgs für einevollendete Hehlerei durch AbsetzenBGH, Beschluss vom 14.05.2013 (Guido Philipp Ernst)Seite542Rechtsprechung Öffentliches RechtDas Waffengesetz und die staatliche Schutzpflicht vor AmokläufenBVerfG, Entscheidung vom 23.01.2013 (Moritz Stilz / Jonas Ludwig)Seite548Zulässigkeit von Mobilfunkanlagen im AußenbereichBVerwG, Urteil vom 20.06.2013 (Jochen Heinz)Seite554Eröffnung des VerwaltungsrechtswegsVGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.05.2013 (Jochen Heinz)Seite561420


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Editorial„<strong>Jura</strong>“, „<strong>Zeitschrift</strong>“, „Download“ und „Tübingen“ sind einige der Stichwörter, die den Nutzern automatischals Ergänzungen vorgeschlagen werden, wenn sie das Kürzel der <strong>Zeitschrift</strong><strong>Jura</strong> <strong>Studium</strong> & <strong>Examen</strong> in eine bekannte Suchmaschine eingeben. Manch anderen Zeitgenossenerwischt es mit „Scientology“ und „Betrug“ hinter seinem Namen dagegen weit weniger schmeichelhaft.Mit der Frage, ob derartige Vorschläge im Rahmen der Autokomplettierung von SuchanfragenPersönlichkeitsrechte verletzen und einen Unterlassungsanspruch begründen können, hatsich der BGH befasst und dazu ein Urteil gefällt. Diese und acht weitere Entscheidungen verschiedenerGerichte aus dem Zivilrecht, Strafrecht und Öffentlichen Recht werden in der vorliegendenAusgabe der JSE vorgestellt und ausführlich besprochen.Ihrem Anspruch, sich mit Fragen von aktueller politischer Bedeutung zu befassen, wird die JSE inihrem Beitragsteil diesmal in besonderem Maße gerecht. Die beiden Arbeiten behandeln zwei derganz großen Themen unserer Zeit: den globalen Terrorismus und die Eurokrise. KAUFFMANN untersuchtin seinem Aufsatz die europäischen und internationalen Regularien zur Terrorismusbekämpfungsowie deren Implementierung im deutschen Strafrecht und Strafprozessrecht im weltweitenVergleich. Der Beitrag von DINOV befasst sich mit der Finanz- und Schuldenkrise, die Deutschlandund Europa seit Jahren in Atem hält, und unterzieht die Gegenmaßnahmen von Gesetzgebern undRegierungen ebenfalls einem internationalen Vergleich, nämlich dem mit Japan. Politisch interessierteLeser sowie Freunde der funktionalen Rechtsvergleichung werden bei der Lektüre auf ihreKosten kommen.In der <strong>Examen</strong>sklausur von RENZIKOWSKI geht es um einen tragischen Fall einer tödlichen Kindesmisshandlungdurch einen Stiefvater und die strafrechtliche Verantwortung von Täter, Kindsmutterund Sozialarbeiter. Ebenfalls zur Lösung unter <strong>Examen</strong>sbedingungen empfohlen wird die Hausarbeitvon BADER aus dem Bereich des Zivilrechts. Sie behandelt ein komplexes Bürgschaftsverhältnisim Rahmen eines Hypothekengeschäfts, in das zusätzlich familien- und erbrechtliche Aspektehineinspielen.Prof. Dr. Christian F. MajerSchriftleiterPhilipp LouisStellvertretender Schriftleiter<strong>Zeitschrift</strong> <strong>Jura</strong> <strong>Studium</strong> & <strong>Examen</strong>421


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Dr. Philipp Kauffmann *Die Bekämpfung des globalenTerrorismus – Anti-Terror-Gesetze, Strategien undRechtsstaatDer Bombenanschlag in Boston 1 hat die spezifischeMischung allgemeiner Beunruhigungüber den weltweiten Terrorismus auchin Deutschland neu aufgewirbelt und zu einerSicherheitsdebatte innerhalb der Bevölkerungund der Politik geführt. 2 ObwohlDeutschland von Anschlägen wie in Bostonbislang verschont geblieben ist, scheint esnur eine Frage der Zeit zu sein, wann etwaspassieren wird. 3 Dies liegt nicht zuletzt ander Erkenntnis, dass die Bedrohung zunehmendvon terroristischen Einzeltätern undKleinstgruppierungen ausgeht. Statt großerOrganisationen werden Deutschland undEuropa von terroristischen Einzeltätern radi-* Der Autor ist Rechtsanwalt im Fachbereich Wirtschaftsstrafrechtbei Kullen Müller Zinser in Sindelfingen.1 Nach den jüngsten Terrorwarnungen im November2010 geht die Debatte um schärfere Sicherheitsgesetzeweiter. So werden entsprechende Forderungenlaut, unter anderem die Vorratsdatenspeicherungwieder einzuführen; zu den aktuellen Terrorbedrohungenvgl. „Boston-Bomber lösen deutscheSicherheitsdebatte aus“, www.handelsblatt.devom 14.04.2013.2 So etwa die Forderung nach einer Aufstockung desEtats für Videoüberwachung in Deutschland: „Debatteüber Videoüberwachung“,www.sueddeutsche.de vom 22.04.2013.3 „Die Furcht vor Einzeltätern“, www.abendblatt.devom 20.04.2013.kalisiert, 4 deren Erfassung aufgrund fehlenderVerflechtungen mit terroristischen Organisationennur schwerlich gelingt. DiesesPhänomen hat nunmehr auch der Verfassungsschutzerkannt und mit Blick auf dieSicherheitslage in Deutschland vor der unveränderthohen Gefährdungslage gewarnt. 5Denn wie die Beispiele Anders Breivik, BeateZschäpe oder auch Arid Uka 6 zeigen, scheinenterroristische Einzeltäter und fanatischeExtremisten teilweise miteinander zu verschmelzenund gleichzeitig vom Rechtsstaatunbemerkt zu bleiben. 7Der vorliegende Beitrag behandelt daher dieFragen nach bestehenden europäischen(Teil I) und internationalen Regularien(Teil II) im Kampf gegen den globalen Terrorismusund deren Implementierung in derBundesrepublik Deutschland im Überblick.Sodann stellt sich die Frage, inwieweit derdeutsche Gesetzgeber auf die wachsende Be-4 So der Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrichin einem Interview mit Spiegel Online vom25.04.2013, abrufbar unterhttp://www.focus.de/politik/deutschland/innere-sicherheit-nach-boston-anschlag-warnt-friedrichvor-terror-einzeltaetern_aid_971192.html.5 Vgl. die Aussagen des Präsidenten des Bundesamtsfür Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen vom28.04.2013, abrufbar unterhttp://www.verfassungsschutz.de/print/de/oeffentlichkeitsarbeit/interviews/int-2013-04-28-weltonline.6 Arid Uka hatte am 02.03.2011 auf dem FlughafenFrankfurt zwei US-Soldaten erschossen und zweiweitere schwer verletzt, vgl. Pressemitteilung desGeneralbundesanwalts Nr. 9/2011 vom 04.03.2011.7 So genannte „Einsame-Wolf-Terroristen“, vgl. auch h t t p : / / w w w. t h e e u r o p e a n . d e / f l o r i a n -hartleb/11876-terroristische-einzeltaeter.html vom05.08.2012.422


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________drohung reagiert hat (Teil III) und zu welchemErfolg die Normansätze geführt haben(Teil IV).I. Terrorismusbekämpfung in EuropaBesonders auf europäischer Ebene hat diezunehmende Globalisierung des Terrorismuszu verschiedenen Reformansätzen geführt. 8Bereits 1988 hatte der Europäische Rat einEuropäisches Justizielles Netz, das so genannteEJN, zur Bekämpfung terroristischer8 Vgl. beispielsweise zur Rechtslage in den USA: Federle,ZStW 110 (1998), 767-795, der einen Überblickzu dem in den USA zur Bekämpfung der organisiertenKriminalität eingeführten „Racketeer Influencedand Corrupt Organizations Act“ der USA(RICO) gibt und zudem der Frage nachgeht, ob diesesGesetz auf das deutsche Recht übertragbar ist;dazu ferner Pallasky, DuD 2002, 221-225, dessenBeitrag die in den USA vorgenommenen Änderungenim Bereich der Überwachungsbefugnisse US-amerikanischerBehörden durch den „Uniting andStrengthening America by Providing AppropriateTools Required to Intercept and Obstruct TerrorismAct of 2001“ (USA PATRIOT ACT) beschreibt. InGroßbritannien bildet das Kernstück der Anti-Terror-Gesetzeder „Terrorism Act“ von 2000. Nachdem Anschlag vom 11. September 2001 wurden imselben Jahr im „Anti-Terrorism, Crime and SecurityAct“ weitere Maßnahmen ergriffen, die 2005 durchden „Prevention of Terrorism Act“ noch erweitertwurden. Zusätzlich hat die Regierung als Antwortauf die Bombenanschläge von London im März2006 einen weiteren „Terrorism Act“ verabschiedet.In Italien wurde 2005 ein neues Anti-Terror-Gesetzverabschiedet. Es ermöglicht den Einsatz von Spezialeinheiten,um geplante Terroranschläge aufzudecken.Die französische Regierung hat seit 2001zusätzliche Gesetze verabschiedet, die die Verfolgungvon Terroristen erleichtern und mit mehr als33 Artikeln die Anwendung von Überwachungstechnikenregeln und Geldquellen von Terroristenaustrocknen sollen. Vgl. zu den Anti-Terror-Paketender EU von Bubnoff, NJW 2002, 2672 ff.Handlungen errichtet. 9 Bedingt durch diestetige Zunahme terroristischer Gruppierungenwurde die Kompetenz des JustiziellenNetzes zehn Jahre später deutlich erweitert,wonach speziell die Beteiligung an einer terroristischenVereinigung in den Mitgliedsstaatender Europäischen Union im Vordergrundstand. 10 Angesichts der sich überschlagendenEreignisse vom 11. September 2001setzte sich allerdings auch bei dem EuropäischenRat die Erkenntnis durch, dass die zunehmendeVeränderung terroristischerStrukturen neuer Maßnahmen bedurfte. 11 Inkürzester Zeit wurden folglich mehrere Terrorismusbekämpfungsstrategienvorangetrieben.12 Nicht zuletzt die Einrichtung des „Eurojust“als Schaltzentrale des EuropäischenRats sollte zur Eindämmung des Terrorismusbeitragen. Erheblichen Einfluss auf Europa9 ABl. C 26, 22 vom 30.01.1999. Vgl. als weitere Maßnahmedie Empfehlung des Rates betreffend die Bekämpfungder Finanzierung von terroristischenGruppierungen, ABl. C 373, S. 1 vom 23.12.1999.10 ABl. EG L 351 vom 29.12.1998, S. 1. Vgl. ferner dengemeinsamen Standpunkt vom 29.03.1999, der vomRat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrages über dieEuropäische Union festgelegt wurde – über das geplanteÜbereinkommen der Vereinten Nationen gegendie organisierte Kriminalität (1999/235/JI),ABl. EG L 087, S. 1.11 Vgl. den 64 Seiten umfassenden „Aktionsplan zurTerrorismusbekämpfung“, der darauf ausgerichtetwar, insbesondere die polizeiliche und justizielleZusammenarbeit voranzutreiben, dazu ausführlichdie Schlussfolgerungen des Vorsitzes der Sondertagungdes Europäischen Rates von Brüssel am21.09.2001, Rats-Dokument Nr. SN 140/01.12 Z. B. Verordnung über spezifische, gegen bestimmtePersonen gerichtete restriktive Maßnahmen zurBekämpfung des Terrorismus, ABl. EG Nr. L 344,S. 70; zuletzt geändert durch Beschluss des Rates2007/445 vom 28.06.2007, ABl. Nr. L 169, S. 58.423


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________und das nationale Recht hatten jedoch dieVorgaben zweier Rahmenbeschlüsse, die imFolgenden dargestellt werden.1. Der Rahmenbeschluss zur Erfassungterroristischer VereinigungenZunächst stellt der Rahmenbeschluss des Ratesvom 13.06.2002 zur Terrorismusbekämpfungdas Kernstück der Bekämpfung terroristischerOrganisationen auf europäischerEbene dar. 13 Zwar handelt es sich bei diesemRahmenbeschluss nicht um die einzige europäischeMaßnahme zur Terrorismusbekämpfung,sonstige Maßnahmen hatten allerdingsnicht annähernd eine solche Auswirkung aufdie nationale Gesetzgebung. Essentiell warendie einschneidenden Veränderungen hinsichtlichder Neugestaltung des § 129a StGBund somit der strafrechtlichen Erfassung derBeteiligung an einer terroristischen Vereinigung.Die Vielfältigkeit terroristischer Handlungendurch Organisationen wie Al Qaidasollte durch eine Erweiterung des Straftatenkatalogsdes § 129a StGB sowie der Einfügungneuer subjektiver und objektiver Tatbestandmerkmaleerfasst werden. Durch die Einfügungdes § 129b StGB 14 wurde zudem dieStrafanwendung des § 129a StGB vergrößert,indem auch Auslandssachverhalte mit deutschemBezug nunmehr strafrechtlich erfasstwurden. Bemerkenswert ist zugleich, dass13 ABl. EG Nr. L 164, S. 3 vom 22.06.2002; EU-Dok.-Nr. 3 2002 F 0475.14 Schon vor der Umsetzung war § 129b StGB durchdas 34. StrÄndG vom 22.08.2002 (BGBl. I 3390) eingeführtworden.sich in Art. 2 Abs. 1 des Rahmenbeschlusseserstmals eine Definition des Begriffs „Terrorismus“in seiner adjektivischen Form „terroristischeVereinigung“ findet, die in § 129aStGB übernommen wurde. 152. Die Bekämpfung terroristischer EinzeltäterTrotz der geänderten Fassung des § 129aStGB und der Einfügung des § 129b StGB sahdie EG-Kommission bei der Bekämpfung desTerrorismus in Europa weiterhin erheblicheDefizite. Dies lag zum einen daran, dass derRahmenbeschluss durch die Mitgliedsstaatennur unzureichend umgesetzt wurde. 16 Zumanderen musste auf die neue Fülle an Informations-und Kommunikationstechnologienreagiert werden, die zu einer Veränderungund gleichfalls Globalisierung des Terrorismusführte. Insbesondere die Verwendungdes Internets verstärkt zunehmend den Radikalisierungs-und Rekrutierungsprozess unddient (potenziellen) Terroristen nach wie vorals „virtuelle Trainingscamps“. 17 Durch dieMöglichkeit, terroristische Propaganda imInternet zu verbreiten, wird ferner die Indok-15 Vgl. Kauffmann, Auslegung des Begriffs Terrorismusim Lichte des GVVG, <strong>Jura</strong> 2011, 257 ff.16 Vgl. Ratsdokument 11687/2/04 REV, DROIPEN 40vom 12.10.2004. Die Kommission forderte insbesonderediejenigen Mitgliedsstaaten, bei denen hinsichtlichder Umsetzung noch Handlungsbedarfbestand (dies galt auch für die Bundesrepublik),auf, für die rasche und vollständige Umsetzung desRahmenbeschlusses in das innerstaatliche RechtSorge zu tragen, die Kommission unverzüglich zuunterrichten und ihr als Nachweis hierüber denWortlaut der einschlägigen Rechts- und Verwaltungsvorschriftenzu übermitteln.424


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________trinierung von Personen erzielt und Sympathisantenterroristischer Aktivitäten gewonnen.Der Nachweis der Zugehörigkeit zu einerterroristischen Vereinigung ist dabei immerschwieriger zu erbringen. Vielmehrscheinen sich die „Schläfer“ selber via Internetund soziale Medien zu radikalisieren undAnschläge professionell vorzubereiten.Die Abkehr von organisierten Terrornetzwerkenhin zu individuell operierenden terroristischenEinzeltätern erkannte auch der EuropäischeRat. 18 Aus diesem Grund wurde derursprüngliche Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfungvon 2002 geändert undergänzt. 19 Neue Straftatbestände 20 zur Aufforderungterroristischer Straftaten (Art. 3Abs. 2 lit. a RB) sowie zur Anwerbung (Art. 3Abs. 2 lit. b RB) und Ausbildung von Personen(Art. 3 Abs. 2 lit. c RB) für terroristischeZwecke sollten als eigenständige terroristi-17 Vgl. KOM (2007) 650 endg., S. 2; beachte insbesonderedie heutigen Salafisten, die über das Internetneue Anhänger rekrutieren, www.spiegel.de vom10.05.2012.18 Vgl. den Europol-Trendreport unterwww.europol.europa.eu, S. 20 ff., 38.19 KOM (2007) 650 endg.: Vorschlag für einen Rahmenbeschlussdes Rates zur Änderung des Rahmenbeschlusses2002/475/JI zur Terrorismusbekämpfung– vorgelegt von der Kommission. ZumBeratungsergebnis des Rates vgl. Ratsdok. 8707/08;ferner auch BR-Drs. 825/07, BT-Drs. 16/7769.20 Gemäß Art. 34 Abs. 2 lit. b EUV dienen Rahmenbeschlüssenur der Rechtsangleichung. Somit sollteklar sein, dass es sich bei den im Rahmenbeschluss2008/919/JI aufgezählten Verhaltensweisen nichtum „echte“ Straftatbestände, sondern um reine Vorgabenzur Umsetzung an die Mitgliedsstaaten handelt.Wird daher im Folgenden von „Straftatbeständen“gesprochen, so ist dies in einem „untechnischen“Sinn zu verstehen.sche Straftaten definiert werden: „Auf derKonferenz vom 20. März 2007 bestätigte sich,dass für eine Änderung des Rahmenbeschlusseszur Terrorismusbekämpfung durchdie Aufnahme neuer Straftatbestände […]eine ausreichende Unterstützung vorhandenist, soweit die Kriminalisierung nicht überdas im Europaratsübereinkommen zur Terrorismusverhütungfestgelegte Maß hinausgeht.“21Der entsprechende Rahmenbeschluss wurdesodann zeitnah am 28.11.2008 erlassen. 22 Aufvölkerrechtlicher Ebene legt dieser erstmalsverbindliche Begriffe wie „terroristische Vereinigung“,„terroristische Straftaten“ oder„Ausbildung für terroristische Zwecke“ fest.Der Begriff „öffentliche Aufforderung zur Begehungeiner terroristischen Straftat“ ist dabeiin Art. 3 Abs. 1 lit. a RB geregelt und bedeutet• das öffentliche Verbreiten oder sonstigeöffentliche Zugänglichmachen einerBotschaft• mit dem Vorsatz, zur Begehung einerunter Artikel 1 Absatz 1 Buchstaben a21 Am 20. März kamen auf einer Konferenz Vertreterder Mitgliedsstaaten, von Europol sowie Eurojustund Cepol zusammen, um die Ergebnisse aus dreiFragebögen zu erörtern, die im Jahre 2006 jeweilsan die Mitgliedsstaaten (26.06.2006), an die Medien,an betroffene Wirtschaftszweige und die Zivilgesellschaft(20.11.2006) sowie an Europol, Cepolund Eurojust (11.12.2006) ausgegeben wurde.22 Rahmenbeschluss 2008/919/JI des Rates; Amtsblattder Europäischen Union L 330/21 vom 09.12.2008.Zur kritischen Würdigung des Rahmenbeschlusses,vgl. nur Zimmermann, ZIS 2009, 1-10.425


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________bis h aufgeführten Straftat anzustiften,• wenn dieses Verhalten unabhängigdavon, ob dabei terroristische Straftatenunmittelbar befürwortet werden,eine Gefahr begründet, dass eine odermehrere solcher Straftaten begangenwerden könnten.Im Hinblick auf die strafrechtliche Erfassungterroristischer Einzeltäter – wie etwa denBrüdern aus Boston – stellt die Strafbarkeitder „Ausbildung zu terroristischen Zwecken“in Art. 3 Abs. 1 lit. c RB die wesentliche Erneuerungdar. Danach bezeichnet der Begriff„Ausbildung zu terroristischen Zwecken“• die Unterweisung in der Herstellungoder im Gebrauch von Sprengstoffen,Feuer- oder sonstigen Waffen oderschädlichen oder gefährlichen Stoffenoder die Unterweisung in anderenspezifischen Methoden oder Verfahren• mit dem Ziel der Begehung einer unterArtikel 1 Absatz 1 Buchstaben a bish aufgeführten Straftat• in Kenntnis der Tatsache, dass die vermitteltenFähigkeiten für diesenZweck eingesetzt werden sollen.3. Das Übereinkommen des Europaratszur Verhütung des TerrorismusBereits im Vorfeld des Rahmenbeschlusses2008/919/JI hatte der Europarat signalisiert,im Kampf gegen den Terrorismus neue völkerrechtlicheInstrumente zur Verfügung zustellen. Diesbezüglich beschloss das Ministerkomiteebereits am 08.11.2001, eine „multidisziplinäreArbeitsgruppe Terrorismus“ einzurichten.Ihre Hauptaufgabe bestand darin,durch Erarbeitung eines Zusatzprotokolls 23die Terrorismuskonvention aus dem Jahre1977 24 in jeglichen Belangen zu aktualisieren.25 Relevant für die Entwicklung auf nationalerEbene ist jedoch die bei einem Gipfelder Staats- und Regierungschefs in Warschauam 16.05.2005 vom Europarat beschlosseneKonvention zur Verhütung desTerrorismus, 26 die – ähnlich wie der Rahmenbeschluss2008/919/JI – die Ausbildungfür terroristische Zwecke unter Strafe stellte23 Protokoll zur Änderung des Europäischen Übereinkommenszur Bekämpfung des Terrorismus, SE-V-Nr. 190. Trotz Beschlusses vom 13.02.2003 undUnterzeichnung seitens der BundesrepublikDeutschland vom 15.05.2003 blieb das Protokollaufgrund fehlender Ratifizierung aller Unterzeichnerstaatenbislang (und wohl noch auf Weiteres)wirkungslos.24 SEV-Nr. 90, in Kraft getreten am 04.08.1978.25 Vgl. Mitteilung des Auswärtigen Amtes „Der Europaratund die Bekämpfung des internationalen Terrorismus“vom 21.09.2009.26 SEV Nr. 196, in Kraft getreten am 01.06.2006.Deutschland hat dieses Übereinkommen am24.10.2006 unterzeichnet. Auf dieses Übereinkommenwird in dem Rahmenbeschlussvorschlag vom06.11.2007, KOM (2007) 650 endg., S. 4, und in demInterinstitutionellen Dossier des Rates der EuropäischenUnion 2007/0236 (CNS) vom 23.04.2008, Anlage,S. 4, ausdrücklich Bezug genommen.426


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________und so im Vorfeld auch terroristische Einzeltätererfassen sollte. In Artikel 7 des Übereinkommensheißt es dazu: „Im Sinne diesesÜbereinkommens bedeutet ‚Ausbildung fürterroristische Zwecke‘ die Unterweisung inder Herstellung oder im Gebrauch vonSprengstoffen, Feuer- oder sonstigen Waffenoder schädlichen oder gefährlichen Stoffenoder die Unterweisung in anderen spezifischenMethoden oder Verfahren mit demZiel, eine terroristische Straftat zu begehenoder zu deren Begehung beizutragen, inKenntnis der Tatsache, dass die vermitteltenFähigkeiten für diesen Zweck eingesetzt werdensollen. Jede Vertragspartei trifft die erforderlichenMaßnahmen, um die Ausbildungfür terroristische Zwecke im Sinne des Absatzes1, wenn sie rechtswidrig und vorsätzlichbegangen wird, nach ihrem innerstaatlichenRecht als Straftat zu umschreiben.“4. AusblickTrotz der Kritik des Europarats haben nurwenige Mitgliedsstaaten den Rahmenbeschlussesbislang umgesetzt. Die letzte Implementierungerfolgte bis dato im österreichischenStrafgesetzbuch. Im Wege des Terrorismuspräventionsgesetzesvon 2010 27 wurdedas österreichische StGB um die Vorschriften§§ 278e, 278f und § 282a ergänzt.Diese erfassen einerseits die Ausbildung fürterroristische Zwecke und die Anleitung zurBegehung einer terroristischen Straftat alsstrafwürdige Handlungen, andererseits stellensie die Aufforderung zu terroristischenStraftaten unter Strafe.Der Grund für die bislang unzulänglicheUmsetzung durch die Mitgliedsstaaten basiertallerdings nicht auf dem Unvermögender einzelnen Mitgliedsstaaten, sondern aufden Implikationen, die die Erfassung terroristischerEinzeltäter selbst mit sich bringt.Zum einen wurde davon ausgegangen, dassmit der Berücksichtigung des Übereinkommensdes Europarats zur Verhütung des Terrorismusdie neue Gesetzgebung auch mitdem Rahmenbeschluss vereinbar sei. Zumanderen liegt es an der Umschreibung der inkriminiertenInformationen im neuen Art. 3Abs. 1 lit. c RB. Die „Begriffsbestimmungen“,wonach die Ausbildungsvariante auch die„Unterweisung im Gebrauch von […] gefährlichenStoffen“ oder in „spezifischen Metho-27 Vgl. Ministerialentwurf – Vorblatt 119/ME (XXI-V.GP); Begleitschreiben des BMJ, BMJ-L 318.028/0001-II 1/2009; ebenso die Stellungnahmenzum Ministerialentwurf 1-61/SN-119/ME; zumStand der parlamentarischen Gesetzgebung: StenographischesProtokoll der 60. Sitzung des Nationalratsder Republik Österreich (XXIV.GP) vom21.04.2010; Stenographisches Protokoll der 61. Sitzungdes Nationalrats der Republik Österreich(XXIV.GP) vom 21.04.2010; Mitteilung des Parlaments,Korrespondenz Nr. 303/2010 vom29.04.2010.427


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________den oder Verfahren“ erfassen soll, solange sienur auf die Ausführung einer terroristischenTat gerichtet seien, geben den Mitgliedsstaatenkaum einen Anhaltspunkt dafür, wie weitihre Verpflichtung zur Schaffung entsprechenderStraftatbestände reicht. 28 Obwohlder Rahmenbeschluss nur zur Schaffungweitreichender Vorfeldkriminalisierung verpflichtet,ist es dennoch wie bei Fällen in Bostonvon Bedeutung, gründlichere Vorgabenan die Hand zu geben. Da der Rahmenbeschlusssolche nicht liefern kann, ist er dasbeste Beispiel dafür, „welche Schwierigkeitenes bereiten kann, für alle Amtssprachen derEU eine stimmige Fassung eines Rechtsakteszu erarbeiten“, die einheitlich umgesetzt werdenkann. 29II. Vergleich zur internationalen Terrorismus-GesetzgebungNeben den Vorgaben der EU-Rahmenbeschlüsselassen sich jedoch auch auf außereuropäischerEbene internationale Vorbilderfür die Strafbarkeit terroristischer Einzeltäterfinden. Zu nennen sind etwa das bereits 2006in Kraft getretene britische „Terrorism Act“, 30das US-amerikanische Federal Crimes U. S.Code §§ 2339 A bis 2339 D 31 sowie Section102.5 (1) des australischen Strafgesetzbu-28 Zimmermann, ZIS 2009, 5.29 Vgl. Zimmermann, ZIS 2009, 6.30 Der Terrorism Act 2006, der durch den Entwurfvom 07.07.2005 am 12.10.2005 eingeführt wurde, istam 30. März durch das „Royal Assent“ in Kraft getreten;vgl. dazu Jones/Bowers/Lodge, Blackstone'sGuide to the Terrorism Act 2006.ches. 32 Allen gesetzgeberischen Regelungenist gemeinsam, dass sie die „Ausbildung fürterroristische Zwecke“ unter Strafe stellen. Soerfasst das britische Terrorism Act 2006 inChapter 11 unter Part 1 Section 5 bis 8 Regelungenüber die Vorbereitung terroristischerHandlungen sowie die Ausbildung von Terroristen.Besonders Section 6 und 8 ähneln dabeider Normierung des § 89a Abs. 2 Nr. 1StGB. 33 Die angesprochene Relevanz desamerikanischen Federal Crimes U. S. Codefür das GVVG ergibt sich im Wesentlichenaus der Norm § 2339 D. Darin wird die Handlungeiner Person unter Strafe gestellt, diesich im Wissen um den Status einer terroristischenVereinigung in militärischen Strategienund Kampfmethoden ausbilden lässt. 34Innerhalb des australischen Strafgesetzbuchsstellt sich Section 102.5 (1) in seiner Strafan-31 § 2339A „Providing material support to terrorists“;§ 2339B „Providing material support or resources todesignated foreign terrorist organizations“; § 2339C„Provisions against the financing of terrorism“;§ 2339D „Receiving military-type training from aforeign terrorist organization“.32 Einen ausführlichen rechtsvergleichenden Überblickzwischen dem australischen Terrorismusstrafrechtund den strafrechtlichen Reglungen in GB,USA, Canada und Neuseeland sowie Südafrika findetsich bei MacDonald/Williams, Griffith Law Review16 (2007), 27 ff.33 Chapter 11 Section 2 (1) lautet: „A person commitsan offence if (a) he provides instructions or trainingin any way of the skills mentioned in subsection (3)and (b) at the time he provides the instruction ortraining, he knows that a person receiving it intendsto use the skills in which he is being instructedor trained […]. (2) A person commits an offenceif (a) he receives instruction or training in any ofthe skills mentioned in subsection (3) and (b) at thetime of the instruction or training, he intends touse the skills in which is being instructed or trained[…].”428


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________drohung zu sämtlichen anderen Regelungendeutlich distanzierend dar: Wer sich dort inAusbildungslagern von terroristischen Organisationenunterweisen lässt oder selber anderePersonen unterweist, kann mit einemStrafmaß von bis zu 25 Jahren bestraft werden.35Die aufgezeigten Kodifizierungen veranschaulichen,dass die Angst vor terroristischenAnschlägen nicht nur in DeutschlandRechtsentwicklungen in Gang gesetzt undmöglicherweise zu grundlegenden Veränderungenin den einzelnen Rechtsstaaten geführthat. Die exorbitant hohe Strafandrohungdes australischen Section 102.5 (1) verdeutlichtgeradewegs die im internationalenRaum fortschreitende Tendenz, bei der Bekämpfungdes Terrorismus „mit harten Bandagenzu kämpfen“. Insofern reiht sich dasGVVG seinem Inhalt nach – jedenfalls aufaußereuropäischer Ebene – in eine Reihe gesetzgeberischerRegelungen ein.34 § 2339D (a) lautet: „Whoever knowingly receivesmilitary-type training from or on behalf of any organizationdesignated at the time of the training bythe Secretary of State […] as a foreign terrorist organizationshall be fined under this title or imprisonedfor ten years, or both.”35 Section 102.5 (1) lautet: “A person commits an offenceif (a) the person […] provides training […] and(b) the organization is a terrorist organization and(c) the person is reckless as to whether the organizationis a terrorist organization (penalty: 25years).”III. Die Erfassung terroristischer Einzeltäterdurch das GVVG1. EinführungDie wachsende Furcht vor fanatischen Einzeltäternwar es einerseits, die den Grundsteinfür eine gesetzliche Neuregelung aufnationaler Ebene legte. Denn die Strafbarkeitvon Terrorkommandos sowie terroristischenOrganisationen, die auf Helfer, Logistik undFahrzeuge angewiesen sind, ist durch§§ 129a, 129b StGB ausreichend normiert. 36Zudem hinterlassen solche Gruppierungenausreichend Spuren, die mittels der gängigenStPO oder BKA-Gesetze ermittelt werdenkönnen. Anders ist dies jedoch bei Täternwie Arid Uka: „Wer zu Hause […] Propagandavideosschaut, sich mehr und mehr abschottetund mit Anschlagsplanungen beginnt,ist schwer zu entdecken.“ 37 Deshalbwurde anhand eines Evaluierungsberichts 38zum Terrorismusbekämpfungsgesetz geprüft,inwieweit bzw. in welchem Umfang Änderungendes Strafrechts im Bereich der Terrorismusbekämpfungerforderlich sind: „Es isteine zentrale Aufgabe des Staates, die Frei-36 Vgl. auch die Aussagen von Jörg Ziercke, Präsidentdes BKA, www.abendblatt.de vom 20.04.2013.37 So die Aussagen des Innenministers Friedrich nachdem Bombenanschlag von Boston,www.abendblatt.de vom 25.04.2013.38 Vgl. Bericht des Innenausschusses A-Drs. 15(4)218;ferner „Bundesregierung zieht positive Bilanz derAntiterrorgesetze“, www.heise.de vom 11.05.2005;weiterführend der Antrag der Fraktion Bündnis90/Die Grünen zur besseren Evaluierung derAnti-Terror-Gesetze, BT-Drs. 16/2072 vom29.06.2006 und der FDP, BT-Drs. 16/2671 vom21.09.2006.429


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________heit und Sicherheit seiner Bürger zu schützen.Freiheit ist ohne Sicherheit nicht denkbar.Beide Werte müssen immer wieder neu –je nach den sich ändernden äußeren Bedingungen– ins Gleichgewicht zueinander gebrachtwerden. […] In diesem Zusammenhangwerden wir auch prüfen, in welchemUmfang Änderungen des Strafrechts – etwaim Hinblick auf die Sympathiewerbung fürkriminelle oder terroristische Vereinigungen– erforderlich sind.“ 39 Tatsächlich sah sichdas BMJ aber erst nach den Anschlägen aufdie Regionalzüge in Koblenz und Dortmundsowie den vereitelten Terroranschlägen derSauerland-Gruppe im September 2007 dazuveranlasst, die Eckpunkte der strafrechtlichenRegelungen zu erweitern und erstmaligdie Vorbereitung von terroristischen Gewalttatenund die Anleitung zu solchen Taten unterStrafe zu stellen. Aktuelle Entwicklungenzeigten, dass besonders im Bereich des islamistischenTerrorismus vermehrt Reiseaktivitätenin arabische Länder zu verzeichnensind, gleichzeitig aber auch das Internet einezunehmende Rolle für Propaganda-Tätigkeitenals auch Vernetzung terroristischer Einzeltätereinnimmt: „Deutschland ist Teil einesweltweiten Gefahrenraums […]. So bedauerlichdiese Erkenntnis ist – sie ist – leider– ganz und gar nicht neu. Sie ist uns nurdurch die jüngsten Ereignisse wieder deutlichin Erinnerung gerufen worden. Tatsacheist, dass wir […] mit der Bedrohung durch39 „Gemeinsam für Deutschland – mit Mut undMenschlichkeit“, Koalitionsvertrag zwischen CDU,CSU und SPD vom 11.11.2005, S. 116.den […] Terrorismus leben müssen. Seit dem11. September 2001 arbeiten die Sicherheitsbehördenin unserem Land […] mit großenAnstrengungen dafür, dass Anschläge inDeutschland auch künftig vermieden werden.“40Andererseits diente der damalige Gesetzesentwurfdes GVVG (Gesetz zur Verfolgungder Vorbereitung schwerer staatsgefährdenderGewalttaten) – wie oben bereits ausgeführt– der Umsetzung des Übereinkommensdes Europarats zur Verhütung des Terrorismusvom 16.05.2005 sowie des hierauf basierendenRahmenbeschlusses 2008/919/JI desRates zur Änderung des Rahmenbeschlusses2002/475/JI des Rates zur Terrorismusbekämpfung.2. Das GesetzgebungsverfahrenBereits der Entwurf der §§ 89a, 89b und 91StGB wurde heftig kritisiert. Dabei lagendem Gesetzgebungsverfahren drei Gesetzesinitiativenzugrunde. Den Anfang bildete dervom Bundesrat eingebrachte Entwurf einesGesetzes zur Bekämpfung des Aufenthalts interroristischen Ausbildungslagern. 41 Der Entwurf,42 welcher eine Verschärfung der Straf-40 So die frühere Bundesjustizministerin Zypries in einerPressemitteilung des Bundesministerium derJustiz vom 18.09.2007, abgedruckt unterwww.bmj.bund.de.41 Vgl. BT-Drs. 16/7958 vom 30.01.2008.42 Vgl. BR-Drs. 827/07, Beschluss vom 20.12.2007. ZurPlenardebatte der 840. Sitzung, vgl. BR-Plenarprotokoll840, S. 443; siehe auch die Erläuterungen zur856. Sitzung des Bundesrates am 06.03.2009, S. 19,BR-Drs. 69/1/09 vom 23.02.2009.430


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________normen über die Mitgliedschaft oder Unterstützungterroristischer Vereinigungen gemäߧ§ 129a und 129b StGB vorsah, wurde jedochwegen seiner Unbestimmtheit verworfen.43 Es fehlte eine deutliche Trennung zwischenterroristischen Organisationen undterroristischen Einzeltätern. Im Januar undMärz des Jahres 2009 legten daher die Fraktionender CDU, CSU und SPD und die Bundesregierungeinen inhaltsgleichen Entwurfim Bundestag vor, 44 der die Einführung derneuen §§ 89a, 89b und 91 StGB zum Ziel hatte.Die Entwürfe beinhalteten die Möglichkeit,die Vorbereitung von Gewalttaten organisatorischnicht gebundener Terroristenstrafrechtlich zu erfassen und das Vertrauender Bürger in die Fähigkeit des Staates zurGewährleistung der inneren Sicherheit zustärken: 45 „Wir müssen […] die Bürgerinnenund Bürger wirksam vor terroristischen Anschlägenschützen. Es ist unsere Aufgabe, Sicherheitin diesem Land so weit wie möglichzu garantieren. Zu den Instrumenten, die wirdabei nutzen, gehört selbstverständlich dasStrafrecht an vorderster Stelle. Wir müssenaber zweitens sicher sein, dass wir unsererechtsstaatlichen Grundsätze bewahren. Wirhaben immer gesagt, dass es für die Terrorismusabwehrkein Sonderstrafrecht gebenkann […].“ 4643 Stellungnahme der Bundesregierung in der Anlage2 zu BT-Drs. 16/7958, S. 8.44 BT-Drs. 16/11735 vom 27.01.2009 und BT-Drs.16/12428 vom 25.03.2009, basierend auf dem Referentenentwurfdes BMJ.45 Vgl. BT-Drs. 16/11735, S. 10; BT-Drs. 16/12428, S. 12.46 Plenarprotokoll 16/202 vom 29.01.2009, S. 21.830.Dass insoweit eine Strafbarkeitslücke imdeutschen Strafrecht bestand, stellte nichtnur die damalige Justizministerin Zypries imHinblick auf die Bestrafung terroristischerEinzeltäter fest. 47 Zwar konnten beispielsweisedie Kofferbomber aus Köln auch nach damaligerGesetzeslage unabhängig des fehlendenNachweises einer terroristischen Gruppierungmit hohen Freiheitsstrafen verurteiltwerden. 48 Doch stellen die Ausweitung desinternationalen Terrorismus sowie die Ausbildungin Terrorcamps zu Selbstmordattentäterneine neue Dimension dar. 49 Somit reihensich die neuen Straftatbestände in einelange Serie gesetzgeberischer Maßnahmenzur Kontrolle neuer Formen von Terrorismusein. Vorwiegend im Vorfeldbereich – und damit„Dunkelbereich“ – tätig, beinhalten dieseein geringes Entdeckungsrisiko. 50 Die Tätermüssen zu einem Zeitpunkt erfasst werden,in dem die Zündung der Bomben unausge-47 Vgl. auch die Aussagen der Bundesanwaltschaft sowieder befragten Richter in der Evaluation desGVVG durch die kriminologische Zentralstelle vom14.08.2012, S. 113 f., abrufbar unterhttp://www.krimz.de/fileadmin/dateiablage/E-Publikationen/Endbericht_GVVG_Evaluierung.pdf.48 Der Angeklagte al-Hajdib wurde vom OLG Düsseldorfwegen versuchten Mordes an einer unbestimmtenAnzahl an Menschen in Tateinheit mitversuchtem Herbeiführen einer Sprengstoffexplosionzu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, OLGDü, Urteil vom 09.12.2008 – III – VI 5/07; BGH, Beschlussvom 24.11.2009 – 3 StR 329/09.49 So auch das Ergebnis der kriminologischen Zentralstellein dem Endbericht der Evaluation des GVVGvom 14.08.2012, S. 122, abrufbar unterhttp://www.krimz.de/fileadmin/dateiablage/E-Publikationen/Endbericht_GVVG_Evaluierung.pdf.50 Vgl. etwa den Anschlag des 11. September 2001, welcherüberwiegend durch die „Hamburger Zelle“ inHamburg geplant wurde.431


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________führt geblieben ist. Dieser Vorfeldbereich wardem bisherigen Strafgesetzbuch aber unbekannt.Die Legitimität solcher Vorbereitungsdelikteergibt sich weder aus der Heranziehungder klassischen §§ 80, 83 und 149StGB noch über § 30 StGB bzw. § 130 StGB,der mangels Aufdeckung der Tatbestandselementedie Existenz einer terroristischen Vereinigungnicht nachweisen kann: „Es kannnicht richtig sein, dass wir tatenlos zuschauen,wie Menschen, radikalisierte Islamisten,sich aus Deutschland auf den Weg ins Grenzgebietzwischen Afghanistan und Pakistanmachen, um sich in Terrorcamps ausbildenzu lassen, und dass wir sagen: das ist eben so;das nehmen wir hin; wir müssen halt schauen,dass wir sie erwischen, bevor sie zurückkommen.“51Mit Beschluss vom 19.06.2009 hat der DeutscheBundestag den von der Bundesregierungeingebrachten Entwurf eines GVVG mitmarginalen Veränderungen angenommen. Indieser Fassung wurde das GVVG am30.07.2009 im Bundesgesetzblatt verkündetund trat schließlich am 04.08.2009 in Kraft. 523. Inhalt der Regelungena. § 89a StGB – Vorbereitung einer schwerenstaatsgefährdenden GewalttatAusgehend von Bedeutung und Systematikgilt es § 89a StGB als wichtigste Neuregelungder Kernregelungen einzustufen. Mit seinensieben Absätzen ragt § 89a StGB als komplizierterStraftatbestand heraus. Nach § 89aAbs. 1 S. 1 StGB wird mit Freiheitsstrafe vonsechs bis zehn Jahren bestraft, wer eineschwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet.Eine solche schwere staatsgefährdendeGewalttat ist gemäß Absatz 1 Satz 2 eineStraftat gegen das Leben in den Fällen des§ 211 StGB oder des § 212 StGB oder gegen diepersönliche Freiheit in den Fällen des § 239aStGB oder des § 239b StGB, die nach denUmständen bestimmt und geeignet ist, denBestand oder die Sicherheit eines Staatesoder einer internationalen Organisation zubeeinträchtigen oder Verfassungsgrundsätzeder Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen,außer Geltung zu setzen oder zu untergraben.Als Handlungen, die jeweils mit dem Vorsatzvorgenommen werden müssen, eine der aufgezähltenGewalttaten vorzubereiten, werdengemäß § 89a Abs. 2 StGB51 Plenarprotokoll 16/202 vom 29.01.2009, S. 21843.52 BGBl. I, S. 2437; mit Inkrafttreten der §§ 89a, 89bund 91 StGB gingen gleichzeitig Erweiterungen undVeränderungen der § 138 Abs. 2 Nr. 1 und § 261Abs. 1 S. 2 Nr. 5 StGB einher. Beide Strafvorschriftenerweitern den Vortatenkatalog um den Tatbestandder Vorbereitung einer schweren staatsgefährdendenGewalttat nach § 89a StGB.• die Ausbildung und das Sich-Ausbilden-Lassenetwa in einem terroristischenAusbildungslager; darüber hinaussollen auch neutrale Handlungen432


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________den Tatbestand erfüllen können, wiez. B. der Besuch einer Flugschule,• die Herstellung, das Sich-Verschaffen,Überlassen oder Verwahren u. a. vonWaffen oder bestimmten gefährlichenStoffen (z. B. radioaktiven Stoffen)oder besonderen zur Ausführung dervorbereiteten Tat erforderlichen Vorrichtungen(z. B. Zündern),• das Sich-Verschaffen oder Verwahrenvon wesentlichen Gegenständen oder„Grundstoffen“ (z. B. das von den imSauerland-Fall verurteilten Tätern beschaffteWasserstoffperoxid), um dieseWaffen, Stoffe oder Vorrichtungenherzustellen,• die Finanzierung von Anschlägen(z. B. Zur-Verfügung-Stellen von erheblichenVermögenswerten, um diezur Tat erforderlichen Sprengstoffe zukaufen,erfasst. Schon im Rahmen der Gesetzesbegründungsollte für eine Strafbarkeit nachAbsatz 1 nicht Voraussetzung sein, dass derTäter ein schon im Detail geplantes Verbrechenvorbereitet. 53 Danach muss also wederOrt noch Zeit noch die potenziellen Opferfestgelegt sein. 54 Nach § 89a StGB reicht esvielmehr aus, dass der Deliktstyp der vorbereitendenTat hinreichend bestimmt ist, essich bei dieser mithin nach der Vorstellung53 BT-Drs. 16/12428, S. 15.54 So auch Wasser/Piaszek, DRiZ 2008, 316.des Täters um eine Tat gegen das Leben odergegen die persönliche Freiheit handelt. 55 Mitdieser weiten Fassung wird es den Strafverfolgungsbehördengerade ermöglicht, die imDunkelfeld agierenden „Schläfer“ oder „Einsame-Wolf-Terroristen“zu erfassen. Hinzukommt, dass die Einzeltäter nach Absatz 3auch dann strafrechtlich belangt werdenkönnen, „wenn die Vorbereitung im Auslandbegangen wird“ (z. B. Ausbildung in Terrorcamps).Dieser Absatz enthält daher eine von§§ 3 ff. StGB abweichende Regelung zur Anwendungauf Auslandstaten. 56 Um solche Täterwie in Boston sachgerecht verfolgen zukönnen, zwingt es förmlich auf, das deutscheStrafrecht auf Vorbereitungshandlungen innerhalbund außerhalb der Mitgliedsstaatender Europäischen Union (Abs. 4) zu erstrecken.Da es sich um Vorbereitungshandlungenhandelt, beinhalten die Absätze 5 bis 7Regelungen zur Strafmilderung und Strafaufhebung.57b. § 89b StGB – Aufnahme von Beziehungenzur Begehung einer schweren staatsgefährdendenGewalttatDagegen steht § 89b StGB als Vorbereitungstatzu § 89a Abs. 2 Nr. 1 StGB sozusagen „im55 Vgl. Wasser/Piaszek, DRiZ 2008, 316.56 Die Problematik der Ausweitung des Strafanwendungsrechtswird in einem separaten Beitrag besprochen.57 Diese Regelung ist an § 83a Abs. 2 und 3 StGB ausgerichtetund trägt den Besonderheiten Rechnung,dass das Gesetz bereits eine Vorbereitungshandlungunter Strafe stellt, wodurch die Regelungendes Rücktritts mangels Versuchsmöglichkeit ausgeschlossensind.433


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Schatten seines größeren Bruders“. Danachbedroht der neue § 89b StGB die Aufnahmeund das Unterhalten von Beziehungen zu einerterroristischen Vereinigung mit Freiheitsstrafebis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe.Nach Abs. 1 wird vorausgesetzt, dassder Täter Beziehungen zu einem Rädelsführer,Mitglied oder Unterstützer einer terroristischenVereinigung im Sinne von § 129aStGB, auch in Verbindung mit § 129b StGB,aufnimmt oder unterhält. Damit werden Verhaltensweisenmit Bezug zu einer terroristischenVereinigung erfasst, die noch nicht imSinne einer Unterstützungshandlung nach§ 129a Abs. 5 StGB bewertet werden können.58 Abs. 2 enthält dagegen – anders alsdies in § 89a StGB der Fall ist – einen Tatbestandsausschlussfür solche Konstellationen,in denen die jeweilige Handlung der Erfüllungrechtmäßiger dienstlicher oder beruflicherPflichten dient. Auf diese Weise wirdder Geltungsbereich der Vorschrift auf strafwürdigeFälle beschränkt. 59Durch die Regelung des Abs. 3 wird in Anlehnungan § 89a Abs. 3 StGB der Tatbestanddes Abs. 1 auf Fälle der Kontaktaufnahme58 Eine solche Annahme kann bereits durch den imVergleich zu § 129a Abs. 5 StGB bestehenden niedrigerenStrafrahmen gerechtfertigt werden. § 129aAbs. 5 S. 1 StGB normiert dabei für die Unterstützungeiner in Abs. 1 bezeichneten Vereinigung einMindestmaß an Freiheitsstrafe von sechs Monatenbis zu zehn Jahren, im Falle des Abs. 3 bis zu fünfJahren oder Geldstrafe; im Falle des Werbens umUnterstützer bedroht § 129a Abs. 5 S. 2 StGB die Tatmit einem Strafrahmen von sechs Monaten bis zufünf Jahren.59 Vgl. bereits BT-Drs. 16/12428, S. 17.oder des Unterhaltens von Kontakten imAusland ausgedehnt. Für bestimmte, vor allemin Abs. 3 normierte Auslandssachverhaltesieht Abs. 4 einen Ermächtigungsvorbehaltvor, der im Wesentlichen dem § 89aAbs. 4 StGB und § 129b Abs. 1 S. 3 StGB nachgebildetist. Abschließend eröffnet Abs. 5dem Gericht die Möglichkeit, in denkbarenFällen geringer Schuld von einer Bestrafungnach § 89b StGB abzusehen. 60c. § 91 StGB – Anleitung zur Begehung einerschweren staatsgefährdenden GewalttatDer dritte Straftatbestand im Bunde desGVVG ist § 91 StGB, der die Anleitung zurBegehung einer schweren staatsgefährdendenGewalttat unter Strafe stellt. Im Wesentlichenwerden unter anderem die vielfach inislamistischen Kreisen ohne konkreten Tatbezugerfolgende Verbreitung von Bombenbauanleitungenund so genannten „Kochbüchern“zur Planung terroristischer Anschlägeüber das Internet und das Sichverschaffenderselben (z. B. durch Download) erfasst. 61§ 91 StGB ist gegenüber § 89a StGB wesentlichkürzer und verständlicher gefasst. NachAbsatz 1 wird als Täter nunmehr mit Freiheitsstrafebis zu drei Jahren oder mit Geldstrafebedroht, wer60 Auffallend ist somit, dass der Gesetzgeber im Vergleichzu § 89a StGB auf die Sonderregelung zur„Tätigen Reue“ verzichtet hat.61 Vgl. BT-Drs. 16/12428, S. 2 f.434


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________• eine Schrift i. S. d. § 11 Abs. 3 StGB, dienach ihrem Inhalt geeignet ist, als Anleitungzu einer schweren staatsgefährdendenGewalttat i. S. d. § 89aAbs. 1 StGB zu dienen, anpreist odereiner anderen Person zugänglichmacht, wenn die Umstände ihrer Verbreitunggeeignet sind, die Bereitschaftanderer zu fördern oder zu wecken,eine schwere staatsgefährdendeGewalttat zu begehen (Abs. 1 Nr. 1),oder• sich eine solche Schrift verschafft, umeine schwere staatsgefährdende Gewalttatzu begehen (Abs. 1 Nr. 2).Entsprechend § 89b Abs. 2 StGB enthältauch der zweite Absatz des § 91 StGB eineSozialadäquanzklausel, wonach die Anwendungdes Abs. 1 Nr. 1 ausgeschlossen ist,wenn die Handlung der staatsbürgerlichenAufklärung, der Abwehr verfassungswidrigerBestrebungen, der Kunst und Wissenschaft,der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattungüber Vorgänge des Zeitgeschehensoder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken(Abs. 2 Nr. 1) oder ausschließlich der Erfüllungrechtmäßiger beruflicher oder dienstlicherPflichten dient (Abs. 2 Nr. 1). Abschließendverhalten sich Abs. 3 und § 89b Abs. 5StGB gleich zueinander, wonach bei geringerSchuld von einer Bestrafung abgesehen werdenkann.IV. Evaluierung der GesetzeAngesichts der Veränderung des globalenTerrorismus und der steigenden Bedrohungdurch terroristische Einzeltäter ist es besonderserstaunlich, dass der von dem Bundesministeriumder Justiz im April 2008 vorgestellteReferentenentwurf trotz erheblicherKritik ohne einschneidende Korrekturendurch das Gesetzgebungsverfahren gelangtist. 62 Dennoch bescheinigt der Endberichtder kriminologischen Zentralstelle über dieEvaluation des GVVG den neu eingefügten§§ 89a, 89b und 91 StGB ein überwiegendpositives Bild. So erachten die befragten Polizeibeamten,Staatsanwälte und auch Richterin der Mehrzahl die neuen Vorschriften für„sinnvoll und notwendig“. 63 Durch die Erfassungterroristischer Einzeltäter und derenVorbereitungshandlungen würde insbesondereeine Fülle von Strafbarkeitslücken geschlossen.64 Die Sicherheitslage würde durchdie Normierungen verstärkt und ein besseresPräventiv-Strafrecht erreicht werden. Im Gegensatzzu der Richterschaft sahen insbeson-62 Begründet werden kann dies nur damit, dass dieBundesregierung angesichts des bevorstehendenEndes der 16. Legislaturperiode den Gesetzesantragmöglichst zügig und ohne große Korrekturendurchbringen wollte.63 Vgl. die Ergebnisse der Evaluierung des GVVGdurch die kriminologische Zentralstelle vom14.08.2012, S. 129 abrufbar unter:http://www.krimz.de/fileadmin/dateiablage/E-Publikationen/Endbericht_GVVG_Evaluierung.pdf.64 Vgl. die Ergebnisse der Evaluierung des GVVGdurch die kriminologische Zentralstelle vom14.08.2012, S. 129 abrufbar unterhttp://www.krimz.de/fileadmin/dateiablage/E-Publikationen/Endbericht_GVVG_Evaluierung.pdf.435


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________dere die Polizeibeamten sowie die Staatsanwälteden Vorteil im GVVG darin, Vorbereitungshandlungenfür gefährliche terroristischeHandlungen erfassen zu können, frühzeitigbei terroristischen Handlungen zuagieren und dadurch internationalen Terrorismusabzuwehren sowie durch die Ausdehnungstrafprozessualer Befugnisse den islamistischenPhänomenbereich stärker zuüberwachen.Im Hinblick auf die praktische Einschätzungdes GVVG ergibt sich dagegen ein eher gemischtesBild. Wie schwer eine Anklageerhebungund Verurteilung nach den Vorschriftendes GVVG ist, zeigt ebenso die schriftlicheAuswertung der Datenerhebung. Zwarhaben die schriftlichen Befragungen ergeben,dass seit Inkrafttreten des GVVG mindestens52 Verfahren wegen eines Verdachts nach§§ 89a, 89b oder 91 StGB eingeleitet wurden.65 Dies deckt sich im Ergebnis auch mitden Ergebnissen der Evaluierung des GVVGdurch die Bundesregierung. 66 Allerdings istes bislang lediglich in einem Fall zu einerVerurteilung nach § 91 StGB gekommen. DenErmittlungsverfahren ist gemeinsam, dasssämtliche Taten aus dem Phänomenbereichdes islamistischen Terrorismus stammen. Die65 Vgl. die Zusammenfassung des von der KriminologischenZentralstelle vorgelegten Endberichts derEvaluierung des GVVG, abrufbar unterhttp://www.krimz.de/fileadmin/dateiablage/E-Publikationen/Zsfssg_GVVG_Evaluierung.pdf.66 Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die KleineAnfrage der Fraktion DIE LINKE vom 02.07.2012,BT-Drs. 17/10214, S. 3 ff. Hierbei konnte allerdingseinzig auf die Erkenntnisse des Generalbundesanwaltsbeim BGH zurückgegriffen werden.Auswertung ergab zudem, dass sich die Ermittlungsverfahrenvorwiegend gegen Vorbereitungshandlungenaußerhalb der Mitgliedsstaatender Europäischen Union richteten.Dies liegt unter anderem daran, dass dievon den Sicherheitsbehörden ermittelten„Terrorcamps“ ausschließlich im afghanischpakistanischenGrenzbereich liegen. 67Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Ausweitungstrafprozessualer Ermittlungsmaßnahmenim Hinblick auf die Überwachungterroristischer Einzeltäter – und damit auchdem ersten Anschein nach auf unbeteiligteDritte (z. B. Schläfer) – notwendig und sinnvollist. Die bislang geringe Bedeutung der§§ 89a, 89b und 91 StGB liegt aber weiterhindaran, dass in den meisten Verfahren ein Anfangsverdachtnicht nachweisbar ist. Um daherdie „terroristische Gesinnung“ aus objektiverSicht erscheinender sozial neutralerHandlungen nachzuweisen, bleibt den Ermittlungsbehördennichts anderes übrig, alssich „überwiegend auf die verdeckte Überwachungelektronischer und telefonischerKommunikation“ zu konzentrieren. Dennochwäre aber eine Ausweitung der Videoüberwachungnach dem Anschlag von Bostonverfrüht. Denn zum einen haben dieempirischen Befunde gezeigt, dass die Sicherheitslagein Deutschland gut ist. Eine67 So die Auswertung der Aussagen des Generalbundesanwalts,BT-Drs. 17/10214, S. 6. Die Informationenwurden durch die Sicherstellung von Beweismitteln,der Auswertung von Internetverlautbarungender Deutschen Taliban Mujahedin und durchTelekommunikationsüberwachung erzielt.436


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________absolute Sicherheitsgarantie gibt es nur imÜberwachungsstaat. Zum anderen hat aberauch das BVerfG entschieden, dass größereVeranstaltungen mit so genannten „weichen“Zielen besonders überwacht werden können.Inhaltsverzeichnis437


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Stanyo Dinov, LL. M. (Heidelberg) *Maßnahmen gegen dieSchuldenkrise in Europa unddie Finanzkrisen inDeutschland und JapanDer vorliegende Beitrag vergleicht die Schuldenkrisein Europa mit der deutschen und japanischenFinanzkrise. Dabei wird der Fokusauf dem Bankensektor liegen. Vor diesemHintergrund werden individuelle Auswegeaus den Krisen präsentiert und kritisch analysiert.Es werden verschiedene rechtlicheund ökonomische Systeme miteinander verglichen,um notwendige Schlussfolgerungenziehen zu können.I. EinführungNach der Beruhigung der Märkte von derWeltfinanzkrise haben sich in Europa dieersten Anzeichen einer Schuldenkrise gezeigt.Die Staatsschuldenkrise im Euroraum,bekannt als Eurokrise, ist eine Finanzkrise,die es einigen Euro-Ländern schwer bis unmöglichmacht, ihre Schulden ohne Außenhilfezu begleichen. Die Schuldenkrise hatteverschiedene Faktoren, darunter die Staatsschuldeneiniger Länder; deren unterschiedlicheLeistungsfähigkeit; die institutionellen* Der Autor ist Doktorand am Lehrstuhl von Prof.Dr. Dr. h. c. mult. Peter-Christian Müller-Graff amInstitut für deutsches und europäisches Gesellschafts-und Wirtschaftsrecht der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.Eigenschaften der Eurozone, die mit demTreffen der Entscheidungen im EZB-Rat verbundensind, und die Folgen der Weltfinanzkrise.II. EurokriseDie sogenannte Euro- oder Schuldenkrisebrach im Oktober 2009 in Griechenland aus,nachdem das Defizit des Landes nicht dievorgesehenen 3 Prozent, sondern 15,9 Prozentbetrug. Dies entsprach nicht den Kriterienvon Maastricht. Eines dieser Kriteriensah einen maximalen Schuldenstand von60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts vor,um übermäßige Defizite bei den Mitgliedstaatenzu verhindern. Nach dem Bericht derKommission war eine der Ursachen derSchuldenkrise, dass die griechischen Statistikstellendas Staatsdefizit falsch angegebenhaben. 1 Die Schulden Griechenlands beliefensich auf 120 Prozent des Bruttoinlandsproduktsdes Landes, was mehr als dem Doppeltendes zulässigen Volumens entsprach. Diegestiegenen Zinsen der portugiesischenStaatsanleihen verhießen das Ähnliche fürdie wirtschaftliche Lage Portugals. Italienkündigte ebenfalls die Notwendigkeit von finanziellerHilfe an. Somit vergrößerte sichdie Liste der hochverschuldeten Euro-Länder.Die europäischen Regierungen wurden1 European commission, Brussels, 08.01.2010COM(2010) 1 final, Report on Greek Governmentdeficit and debt statistics, S. 28, unter:http://epp.eurostat.ec.europa.eu/cache/ITY_PUBLIC/COM_2010_REPORT_GREEK/EN/COM_2010_REPORT_GREEK-EN.PDF (aufgerufen am30.07.2013).438


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________somit gezwungen, in kurzer Zeit notwendigeEntscheidungen über die Krisenpräventionund -bewältigung zu treffen.III. Maßnahmen der Europäischen Uniongegen die SchuldenkriseDie entstandenen Probleme in der Eurozonestellten die Euro-Staaten vor eine große Herausforderung.Es musste ein Ausweg aus derKrise gefunden werden, da diese im Vergleichzur früheren Finanzkrise die gemeinsameWährung und daher eine der Grundlagen derEU gefährdete. Es wurde die Idee eines dauerhaftenRettungsschirms mittels eines Rettungsfondsentwickelt, der den hochverschuldetenEuro-Ländern helfen sollte. AlsEU-Organ mit entscheidendem Gewicht beiden wirtschafts- und währungspolitischenAufgaben wurde die EZB nach Art. 127 ff.AEUV aufgefordert, notwendige Entscheidungenzu treffen. Die EZB war bereit,Staatsanleihen der hochverschuldeten Euro-Länder zu kaufen, was aber die Maastricht-Vereinbarungen gefährdete und auf deutschenWiderstand stieß. 2tät (EFSF) und einer Beteiligung des IWF.Der EFSM wurde auf Grundlage desArt. 122 II AEUV eingeführt und sollte die finanzielleStabilität im gesamten Euro-Währungsgebietsichern. Die EFSF war ein Fondsin Form einer Aktiengesellschaft, der aus denBeiträgen der Euro-Mitgliedstaaten bestand. 3Die Beteiligung des IWF am Rettungsschirmbetrug mindestens die Hälfte der Summe desEFSM und der EFSF (60 plus 440 Milliarden)bzw. 250 Milliarden Euro. 4 Der maximale Garantierahmender EFSF liegt bei 780 MilliardenEuro.Die beiden Instrumente des RettungsschirmsEFSM und EFSF wurden durch das „Programmder Wertpapiermärkte“ ergänzt, womitdie EZB ermächtigt wurde, Staatsanleihender Euro-Staaten auf dem Sekundärmarktzu kaufen. 5 Bezweckt wurde damit, dieLiquidität der Banken zu sichern und mittelfristigPreisstabilität zu ermöglichen. EinVerstoß gegen Art. 123 I AEUV – „unmittelbarerErwerb von Schuldtiteln“ – wurde mit einemUmweg über den Sekundärmarkt umgangen.1. Der Euro-RettungsschirmAm 10.05.2010 beschlossen die Euro-Länder,einen Rettungsschirm im Umfang von 750Milliarden Euro einzuführen. Der Euro-Rettungsschirmbestand aus dem EuropäischenFinanzstabilisierungsmechanismus (EFSM),der Europäischen Finanzstabilisierungsfazili-2 Illing, Deutschland in der Finanzkrise, 2013, S. 88,Aussage des Direktors der Bundesbank.3 Siehe: EFSF Rahmenvertrag vom 26.08.2011, unter:http://www.nachdenkseiten.de/upload/pdf/110902_EFSF_Rahmenvertrag_Anpassung.pdf (aufgerufenam 24.07.2013).4 Siehe: die Europäischen Rettungsschirme, unter:http://www.europarl.europa.eu/brussels/website/content/modul_06/zusatzthemen_09.html (aufgerufenam 26.07.2013).5 Illing, Deutschland in der Finanzkrise, 2013, S. 89.439


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________2. SchuldenstaatenParallel zum EFSM bewilligte die „Troika“ ausEU, EZB und IWF am 02.05.2010 mit 110 MilliardenEuro die ersten Finanzpakete fürGriechenland. Anfang 2012 fiel das Land ineine starke Rezession, und um den Staat zuunterstützen, wurde am 14.03.2012 das zweiteHilfspaket auf insgesamt 189,4 MilliardenEuro vergrößert. Durch einen freiwilligenVerzicht der Gläubiger auf 53,5 Prozent wurdendie Staatsschulden von 200 auf 103 MilliardenEuro herabgesetzt und somit die Attraktivitätder griechischen Staatsanleihengesteigert. Aufgrund massiver Spekulationenund einer Immobilienblase ersuchte Irlandim November 2010 die Unterstützung durchden EFSM. Im Juli 2011 wurden durch die EZBitalienische Staatsanleihen gekauft, um dieStaatsschulden herabzusetzen. Am 17.10.2011kaufte die EZB spanische Staatsanleihen. DasLand erhielt Mitte 2012 auch 100 MilliardenEuro aus dem EFSF-Rettungsschirm. 2012entschieden sich auch Portugal und Zyperndafür, Euro-Finanzmittel in Anspruch zunehmen. Am 13.01.2012 stufte die Ratingagentur„Standard & Poor's“ die Bonität zahlreicherEuro-Staaten herab, darunter auch dieFrankreichs, Österreichs, Sloweniens und derSlowakei. Die Herabstufung Frankreichs warfür die Euro-Länder ein Problem, da der Staat20 Prozent der Gewährleistungssumme derEFSF garantierte und eine schlechte Bewertungsich auf das Vertrauen des europäischenFinanzaufsichtssystems negativ auswirkte. 66 Illing, Deutschland in der Finanzkrise, 2013, S. 115.3. Kredite der EZBUm den Schuldenstaaten zu helfen, wurdenneben den Finanzhilfen des Rettungsschirmsdurch die EZB weitere Kredite gegen Staatsanleihenvergeben. Das geliehene Geld wurdeim Target-2-System notiert. Target-2 ist einSystem, in dem die Euro-Staaten ihre Forderungenund Verbindlichkeiten durch die nationalenBanken und die EZB ausgleichen.Im gesamten System wurden 700 MilliardenEuro Volumen notiert, da die EZB eine Kreditpolitikfür die Schuldenstaaten tolerierthatte, die das Finanzsystem gefährdete. Ende2011 ergab sich Konfliktpotenzial zwischenDeutschland und der EU aufgrund der Strategieder EZB, eine Erweiterung der Liquiditätdurch einen erneuten Ankauf von Staatsanleihender Problemländer vorzunehmen. 7Das Volumen der Staatsanleihen belief sichauf 200 Milliarden Euro. Mit dieser Strategieunterstützte die EZB das Fehlverhalten einigerEuro-Staaten und monetarisierte dieStaatsschulden. 8 Die Banken sicherten dasGeld, indem sie selbst Bankanleihen vergaben.Sie nutzten diese Refinanzierung, umweitere Staatsanleihen zu kaufen. Dadurchkönnte die EZB gefährdet werden. Im Februar2012 pumpte die EZB weitere 530 MilliardenEuro in den Geldmarkt. Das Ergebniswar, dass im März 2012 die Bilanzsumme derEZB 3 Billionen Euro erreichte. Obwohl derDirektor der Deutschen Bundesbank auf dieInflationsgefahren dieser Politik hinwies,7 Illing, Deutschland in der Finanzkrise, 2013, S. 106.8 Illing, Deutschland in der Finanzkrise, 2013, S. 106.440


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________hatte die deutsche Regierung keine Einwirkungsmöglichkeiten,da sie keine Mehrheitim EZB-Rat hatte. Die Wertpapierprogrammeder EZB durch die Sekundärmärkte stießenin Deutschland auf große Kritik. Nebenzahlreichen Verfassungsbeschwerden wurdevor dem BVerfG eine Beschwerde gegen denEin- und Ausverkauf von Staatsanleihen amSekundärmarkt durch das so genannte Outright-Monetary-Transactions-Programm(OMT) der EZB, mit dem die Zinsen der italienischenund spanischen Staatsanleihenabgesenkt werden sollten, eingereicht. 9 DieLegitimation der EZB bei solchen Interventionenwurde in Zweifel gezogen. 10 Insbesonderewurde befürchtet, dass die Staatsfinanzierungmittels Geldausgaben erhebliche Risikenfür die Steuerzahler der verschiedenenEuro-Länder berge.9 Jahn, in: Das müssen Sie über die Euro-Verhandlungwissen, FAZ vom 10.06.2013, unter:http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschafts p o l i t i k / r e t t u n g s p o l i t i k - v o r - d e m -verfassungsgericht-das-muessen-sie-ueber-dieeuro-verhandlung-wissen-12216929.html(aufgerufenam 24.07.2013). Staaten, deren Anleihen imRahmen des Programms gekauft wurden, unterliegender Kontrolle des Euro-Rettungsschirms. Aufdiesem Grund kann die EZB unbegrenzt Anleihenvon diesen Staaten kaufen.10 Den europäischen Zentralbanken ist es untersagt,Staatsschulden mit Hilfe der Notenpresse zu finanzieren.Siehe: Unabhängigkeit des Eurosystems, unter:http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Themen/2012/2012_11_29_unabhaengigkeit_des_eurosystems.html (aufgerufen am 30.11.2013).4. ESMVor dem Hintergrund der griechischenSchuldenkrise verkündeten die Staats- undRegierungschefs der Eurozone am 24.03.2011das Vorhaben, einen Europäischen Stabilitätsmechanismus(ESM) aufzubauen. Mit derEinführung des ESM vom 27.09.2012 und derdafür neu geschaffenen Ermächtigungsgrundlagedes Art. 136 III AEUV wurde derEuro-Rettungsschirm eingeführt. Durch denESM-Vertrag haben sich die Euro-Mitgliedstaatenverpflichtet, zahlungsunfähigen Mitgliedernunter Einhaltung wirtschaftspolitischerAuflagen finanzielle Hilfe zu gewährenund somit gemäß Art. 3 ESM-Vertrag das Finanzsystemvor Anfälligkeit zu schützen.Bezweckt wurde die Einführung eines Fiskalpakts,der die Mitglieder zu mehr Disziplinanreizen sollte. Der neue ESM löste denEFSM Ende Juni 2012 ab. Die für Mitte 2013geplante Auflösung der EFSF wurde ausgesetzt;die EFSF wird neben dem ESM bestehenbleiben, bis die Kredite an Schuldenstaatenwie Irland und Portugal ausbezahlt sind.Danach wird die EFSF durch den ESM ersetztwerden. Als Finanzinstitution verfügt derESM über ein Stammkapital in Höhe von 500Milliarden Euro, das gemäß Art. 10 ESM-Vertragim Fünfjahrestakt geändert werdenkann. Der Vergabe von Krediten muss diesorgfältige Analyse der Schuldentragfähigkeitdes bedürftigen Staates durch die so genannteTroika vorausgehen und durch die Finanzministerder Eurostaaten als Mitgliederdes ESM-Gouverneursrates bewilligt werden.441


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________IV. Deutschland unter dem Einfluss derSchulden- und Finanzkrise1. Einfluss der EurokriseDie Ausbreitung der Eurokrise zwangDeutschland dazu, politische und finanzielleMaßnahmen zu ergreifen. Der Staat durftesich nicht isolieren und musste die gemeinsameWährung sichern. In einigen deutschenBanken gab es auch Kredite von den Schuldenländern,die gesichert werden mussten.Die deutsche Position zur UnterstützungGriechenlands war zu Beginn der Krise zurückhaltend.11 Die Verbreitung der Staatsschuldenkrisevon Griechenland auf andereEuro-Staaten war eine potenzielle Gefahrund drohte sich auf die ganze Währungsunionauszuwirken. Dadurch änderte sich auchdie deutsche Position und evolvierte von derIdee eines Europäischen Währungsfonds(EWF) für Griechenland zu einer Währungsunionund einem Finanzstabilisierungsgesetz.Die Gesetzgebung sollte an jene Änderungenangepasst werden. Durch die Verabschiedungdes StabMechG 12 wurde erst inDeutschland der rechtliche Rahmen für die11 Vgl. BT PIPr 17/30, S. 2719 vom 17.03.2010, Die Aussageder deutschen Bundeskanzlerin besagt, dassdie EU nicht nur eine Friedensunion, sondern aucheine Stabilitätsunion sei. Die Initiative muss dahervon Griechenland ausgehen. Deshalb soll es möglichsein, per Ultima Ratio ein Land aus dem Euro-Raum auszuschließen. Ebenso sollte Griechenlandeinen Antrag für finanzielle Hilfe beim IWF stellen,unter: http://www.fron l i n e . d e / s c h u l d e n k r i s e / i w f - h i l f e - f u e r -g r i e c h e n l a n d - e z b - d i r e k t o r - o h r f e i g t -merkel,1471908,2835848.html (aufgerufen am01.08.2013).Einführung der EFSF geschaffen. Durch dasGesetz wurde das Bundesfinanzministeriumermächtigt, eine von den Mitgliedstaaten desEuro-Währungsgebiets gegründete und beauftragteZweckgesellschaft zu ermächtigen,die deutschen Gewährleistungen zu übernehmen,sofern diese Maßnahmen für dieZahlungsfähigkeit des betroffenen Mitgliedstaatserforderlich sind, um zugleich die Finanzstabilitätder Währungsunion sicherzustellen.Voraussetzung für den Kredit war dieVereinbarung eines wirtschafts- und finanzpolitischenProgramms durch den Mitgliedstaatmit dem IWF und der Kommission unterMitwirkung der EZB und der Billigungdesselben von den anderen Euro-Staaten. 13Bei einer unverzüglichen Gewährleistungmusste der Haushaltsausschuss des Bundestagsunverzüglich nachträglich unterrichtetwerden. Das Gesetz sah keine Kontrollfunktiondes Parlaments vor, was vom BVerfG kritisiertewurde. Nach seiner Einschätzungmüssen die zukünftigen Finanzhilfen derBundesregierung vor der Bewilligung nach§ 1 IV StabMechG auf einen hinreichendenparlamentarischen Einfluss zurückzuführensein. Nach Ansicht des Gerichts muss jedeausgabenwirksame solidarische Hilfsmaßnahmedes Bundes mit größerem Umfang iminternationalen oder unionalen Bereich vomBundestag im Einzelnen bewilligt werden,12 Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen imRahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismusgesetzes– StabMechG, vom 22.05.2010(BGBl. I, S. 627), zuletzt geändert am 23.05.2012(BGBl. I, S. 1166).13 BGBl. I vom 22.05.2010, S. 627.442


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________sodass gesichert wird, „dass weiterhin hinreichenderparlamentarischer Einfluss auf dieArt und Weise des Umgangs mit den zur Verfügunggestellten Mitteln besteht“. 14Die Erweiterung der EFSF auf 780 MilliardenEuro (und damit des deutschen Anteils auf253 Milliarden Euro) wurde durch das Gesetzzur Änderung des StabMechG am 26.09.2011bewilligt. 15 Die Beteiligungsrechte des Bundestagswurden auf ein neunköpfiges Gremiumübertragen. Somit erzielte die Bundesregierungeine schnelle Zustimmung zu geplantenStaatsanleihen am Sekundärmarktnach § 3 III StabMechG. Das BVerfG rügteein weiteres Mal dieses Vorgehen, da dieÜbertragung der Delegation von Entscheidungsrechtenauf einzelne Gremien eine Verletzungder Parlamentarierrechte war. 16 DerBundestag reagierte mit der neuen Änderungdes StabMechG vom 27.04.2012, sodass beisolchen Entscheidungen „ein Maximum anparlamentarischer Mitbestimmung“ gewährleistetwird. 17 Das BVerfG äußerte sich einenTag nach der Beschlussfassung des Bundestagsüber das zweite Finanzpaket für Griechenlanddahingehend, dass entgegen§ 3 III 2 und 4 StabMechG parlamentarischeKompetenzen nicht einem Sondergremiumübertragen werden könnten. 18 Über solcheVerhandlungen müsse der gesamte Bundes-tag entscheiden; somit stärkte das Gerichtdie Rechte des Parlaments zum dritten Mal.Die Bundesregierung brachte am 20.03.2012den Entwurf eines Gesetzes über Stabilität,Koordinierung und Steuerung in der WWUauf den Weg. 19 Damit sollte der europäischeFiskalpakt oder SKS-Vertrag vom 02.03.2012umgesetzt werden. 20 Die Neuverschuldungeines Landes darf nach diesem Pakt 0,5 Prozentdes Bruttoinlandprodukts nicht übersteigen.Mittels automatischer Sanktionenerfolgte eine Institutionalisierung der bereitsbestehenden Maastricht-Regeln. Länder, dienicht in der Fiskalunion sind, können keineMittel vom ESM abrufen.2. Deutschland unter der FinanzkriseNach den Spekulationsblasen 2000 erlebteDeutschland 2008 die größte Finanzkrise inseiner neueren Geschichte. Die Bundesbankkonnte die Verluste der deutschen Landesbankenauf dem US-Finanzmarkt nicht ausgleichen.Um die Banken zu unterstützen,wurde von der Bundesregierung ein Finanzpaketvon 500 Millionen Euro beschlossen.Um die Krise einzudämmen und zu bewältigen,veranlasste die Regierung die folgendenMaßnahmen:14 BVerfG, 2 BvR 987/10 vom 07.09.2011, Rn. 128.15 BGBl. I vom 26.09.2011, S. 1992.16 BVerfG, 2 BvR 8/11 vom 27.10.2011, Rn. 82 f.17 BT PIPr 17/176, S. 20926.18 BVerfG, 2 BvR 8/11 vom 28.02.2012, Rn. 144.19 BT-Drs. 17/9046, S. 3.20 Der SKS-Vertrag, unter: http://europeanco u n c i l . e u r o p a . e u / m e d i a / 6 3 9 2 4 4 / 0 4 _ -_tscg.de.12.pdf (aufgerufen am 28.07.2013).443


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________a. Das erste Maßnahmenpaket – 480-Milliarden-Euro-Programmzur Unterstützungdes FinanzmarktsAls Maßnahme zum ersten Paket zur Unterstützungdes Bankensektors wurde inDeutschland am 17.10.2008 das Finanzmarktstabilisierungsgesetz(FMStG) erlassen. 21 DasFMStG war ein Artikelgesetz, das im Art. 1des Finanzmarktstabilisierungsforderungsgesetzes(FMStFG) enthalten war. NachArt. 5 FMStG wurde der Überschuldungsbegriffder InsO neu definiert. Im Rahmen desFMStG wurde ein Finanzmarktstabilisierungsfonds(SoFFin) eingerichtet. DieserSonderfonds diente zur Konsolidierung desFinanzmarktes durch Überwindung von Liquiditätsengpässenund durch Schaffung vonRahmenbedingungen für eine Eigenkapitalbasisvon Instituten. Die Fondsführung obliegtder FMS-Anstalt, die unabhängig vonder Deutschen Bundesbank agieren kann.Das Gesetz ermächtigt das Bundesfinanzministerium,den Fonds Garantien in Höhe von400 Milliarden Euro übernehmen zu lassen.Unternehmen, die Finanzmittel vom Fondsangenommen haben, müssen Auskunft überdie Verwendung der Finanzmittel geben unddürfen keine Dividenden ausschütten. 22 DerGeldfluss bleibt weitgehend geheim und dieVergabe von Krediten erfolgt auf eine intransparenteArt, was den Interessen der Anlegeram Finanzmarkt entgegenstand, da es21 BGBl. I vom 17.10.2008, S. 1982.22 Vgl. Illing, Deutschland in der Finanzkrise, 2013,S. 36, ebenso: OLG Frankfurt/M, Urteil vom07.12.2010, 5 U 29/10, Rn. 34.dem Öffentlichkeitsprinzip zuwiderlief. DieBundesregierung konnte nach § 10 FMStGauf die Gewinnausschüttung, die Vergütungder Organe und die EigenmittelausstattungEinfluss nehmen. Somit konnte der SoFFinSchuldtitel und Verbindlichkeiten von Unternehmenunterstützen, um Liquiditätsengpässezu beheben und die Refinanzierungdes Finanzmarkts zu verbessern. Parallelzum FMStFG wurde das Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetz(FMStBG)erlassen, das Anwendung auf jene Unternehmenfindet, die Unterstützung vom Fondsbekommen haben. Unternehmen, die eineAG waren, konnten bis Ende 2009 ihr Grundkapitalgegen Fondseinlagen bis zu 50 Prozentdurch Ausgaben neuer Aktien gegenFondseinlagen erhöhen. Eine Bestätigungdieser Kapitalerhöhung durch die Hauptversammlungwurde nicht benötigt und die Aktionärekonnten keine neuen Aktien erwerben.Das Gesetz ermöglichte einerseitsschnelle Eigenkapitalaufstockung von Finanzunternehmen,andererseits verringertees die Mitgliedschafts- und Vermögensrechteder Aktionäre. Beseitigt wurde das Recht derHauptversammlung, über jede Form der Kapitalerhöhungsowie der damit im Zusammenhangstehenden Ausgabe neuer Aktienzu entscheiden. Dadurch werden den AktionärenBezugsrechte und die Ansprüche aufTeilhabe am Bilanzgewinn entzogen. 23 Diesverstieß gegen Art. 25 und 29 der KapitalmarktRL24 und als Folge dessen waren die erlassenenBestimmungen nichtig. Trotz dieser23 BVerfG, 1 BvR 119/09 vom 26.03.2009 Absatz Nr. 11.444


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Vorwürfe bestätigte das BVerfG, dass das Eigentumsrechteinzelner Aktionäre vor demHintergrund der Finanzkrise und deren Behebungdurch das Gesetz zurücktreten muss.Diese Beschränkungen wurden nachträglichaber aufgehoben.b. Das zweite MaßnahmenpaketDas FMStG legte die Rahmenbedingungenfür die Stabilisierung des Finanzmarktsfest. 25 Trotz der vorgenommenen Garantienund Auskünfte zeigten sich auf dem deutschenFinanzmarkt das Fehlen von Liquiditätsmittelnund Vertrauen sowie weitere krisenhafteErscheinungen als Folge der weltweitenFinanzkrise. 26 Das am 09.04.2009 erlasseneFMStErgG zielte darauf ab, demFonds eine flexible Handhabung von vorhandenenStabilisierungsinstrumenten zu ermöglichenund dem Bund eine Übernahmezum Zweck der Stabilisierung zu erleichtern.Die Bundesregierung setzte damit ihr zweitesMaßnahmenpaket ein, dessen Ziel es war,Kreditinstituten Geld und Garantien zur Verfügungzu stellen. Eine Regelung über dieRückzahlung der bewilligten Finanzmittel24 Zweite Richtlinie 77/91/EWG des Rates vom13.12.1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen,die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaftenim Sinne des Artikels 58 II des Vertragesim Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für dieGründung der Aktiengesellschaft und für die Erhaltungund Änderung ihres Kapitals vorgeschriebensind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten.ABl. L 26 vom 31.01.1977, S. 1.25 BT-Drs. 16/12316, S. 1.26 Vgl. Illing, Deutschland in der Finanzkrise, 2013,S. 39, ebenso: BT-Drs. 16/10600 vom 14.10.2008, S. 1.des Fonds seitens der Kreditinstitute enthältdas Gesetz nicht. Die neuen Gesetzesänderungensahen eine Überprüfung des Fondsdurch neun Parlamentarier vor, die aber keineEinspruchsmöglichkeiten besitzen sollten.Zum Zwecke der schnellen staatlichenIntervention in Krisensituationen sollte nachdem Gesetz die Hauptversammlung einesvom Bund unterstützten Unternehmens beiFragen über eine Kapitalerhöhung mit einemQuorum von 50 Prozent plus eine Stimmeentscheiden. Die Bedingungen für ein„squeeze out“ sind von 95 Prozent, wie bei§ 39a WpÜG und Art. 327a AktG, auf 90 Prozentdes Grundkapitals herabgesetzt worden.Entscheidungen der Kapitalerhöhung mitBezugsrecht dürfen nach § 7 III und 7b IIFMStErgG mit zwei Dritteln der abgegebenenStimmen oder einfacher Mehrheit getroffenwerden, wenn die Hälfte des Grundkapitalsvertreten ist. Diese Bestimmungenwidersprachen jedoch dem § 186 III 2 AktG,nach dem für solche Sonderbeschlüsse eineDreiviertelmehrheit erforderlich ist. Mit demFMStErgG wurde das Rettungsübernahmegesetzvom Bundestag (RettungsG) erlassen,welches Unternehmensübernahmen und optionaleVerstaatlichung erleichtern sollte. 27Entsprechend § 1 IV RettungsG kann eineEnteignung vorgenommen werden, wenn zurSicherung der Finanzmarktstabilität andereLösungen für die Sicherung im erforderlichenZeitraum nicht vorhanden sind. Das Finanzinstitutmuss systemrelevant sein unddie anderen vorgenommenen Maßnahmen27 BGBl. vom 07.04.2009, S. 725.445


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________des FMStG müssen ausgeschöpft sein. DieSystemrelevanz ergibt sich aus Informationender Deutschen Bundesbank, der BaFinund den Transaktions- und Bilanzdaten. DieHauptversammlung erhöhte das Kapital mitder Ausgabe neuer Aktien, die der Bundübernahm. Von einer Enteignung verschontblieben die Anteile an Unternehmen, die voneiner juristischen Person der öffentlichenHand (Sparkassen, Landesbanken) geführtoder an ihr beteiligt waren, da sie dort durchEigenmittel unterstützt sind. Nicht verstaatlichtwerden die Tochterfirmen und deren Eigenmittelsolcher Unternehmen. Der Grundfür die Differenzierung zwischen Eigenmittelnvon öffentlichen Unternehmen und denEigenmitteln ihrer Töchter lag darin, dasssich solche Enteignungen gegen die Bundesländerund Kommunen richteten und Fragender vertikalen Gewaltenteilung aufwerfenkönnten. Die Maßnahmen des zweiten Paketsgaben der Bundesregierung ausreichendeMöglichkeiten für erforderliche Verstaatlichungen,sie waren aber eine Belastung fürdie Steuerzahler.c. Das dritte MaßnahmenpaketNach vielfältigen Rekapitalisierungsanstrengungenzugunsten der Banken wollte dieBundesregierung mit dem neuen FMStFG dieProbleme der bilanziellen Belastungen derFinanzinstitute lösen. 28 Als Instrument zurLösung der Bilanzprobleme wurde das Konzeptder „Bad Bank“, eine Zweckgesellschaft,28 BGBl. vom 17.07.2009, S. 1980.in der die wertlosen und toxischen Wertpapiereausgelagert werden, angewendet. DieBundesregierung zielt mit dem neuen Konzeptauf eine Entlastung des Eigenkapitalsder Banken ab, sodass sie ihre Kreditvergabeaufrechterhalten können. Der SoFFin soll fürdiese Wertpapiere gegenüber den „BadBanks“ bürgen. Für die Finanzinstitute lagder Vorteil darin, dass sie Risikoaktiva aus ihremPortefeuille entfernen konnten und keineigenes Kapital mehr vorhalten mussten. 29Zu einem späteren Zeitpunkt und bei bessererKonjunktur könnten die „Bad Banks“ dieseWertpapiere veräußern. Für die Bankenbestand bei dieser Regulierung der Anreiz,einen hohen Buchwert anzugeben, um einenhöheren Preis beim Verkauf an die „BadBank“ zu erzielen. Die Anwendung der Lösung„Bad Bank“ hatte den Nachteil, dass derStaat 200 Milliarden Euro ausgeben musste.Das Instrument wurde eingeführt, um denSteuerzahler auf langfristige Sicht zu entlasten.Am 31.07.2009 bewilligte die EU die „BadBank“-Lösung. Seither dürfen die deutschenKreditinstitute ihre Wertpapiere mit Zustimmungder Kommission auslagern. 30d. Das vierte MaßnahmenpaketAm 09.12.2010 wurde das RStruktG erlassen, 31welches einen Restrukturierungsfonds fürKreditinstitute schuf und die Verjährungsfristder aktienrechtlichen Organhaftung verlängerte.Das Gesetz ermöglicht eine Ab-29 Illing, Deutschland in der Finanzkrise, 2013, S. 44.30 Illing, Deutschland in der Finanzkrise, 2013, S. 46.31 BGBl. vom 14.12.2010, S. 1900.446


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________wicklung von insolvenzbedrohten Banken,um einer Gefährdung der Finanzstabilitätentgegenzuwirken. Das RStruktG zielte aufeine Minimierung des Risikos für die Bankensowie deren Beteiligung an den Kosten einerBankenrettung ab, sodass der Steuerzahlernicht als erster bei der Rettung und Bankenrestrukturierungeintreten muss. Mit demGesetz wurde den Banken die Entscheidung,ob sie sich in einer Schieflage befinden, entzogenund der Bankenaufsicht zugewiesen.Um eine weitere Einwirkung auf die Kreditinstitutenach dem Ablauf des FMStFG zu erhalten,wurde parallel mit dem RStruktG dasKreditreorganisationsgesetz (KredReorgG)erlassen. 32 Durch die Sanierungs- und Reorganisationsverfahrenbei den Kreditinstitutensollte nach den Gesetzesbestimmungender Finanzmarkt besser geschützt werden.rungsmaßnahmen des Fonds genutzt werdenkönnen. 34 Somit sollte die Belastung desSteuerzahlers verringert werden, da die Verursachervon Fehlentwicklungen auf dem Finanzmarktfür die entstehenden Kosten haftensollen. Um die Rechte des Parlaments zustärken, wurde in § 9 des Gesetzes eine Sperrefür Kreditermächtigung in der Höhe von30 Milliarden Euro eingebaut, 35 die eine Bewilligungder Finanzmarktstabilisierungsanstalt(FMSA) benötigt, welche den Haushaltsausschussdes Bundestags unverzüglichinformieren muss. Um Wettbewerbsverzerrungenvorzubeugen, sollten die Maßnahmendes Fonds nach § 13 FMSA bis Ende 2012beschränkt werden, jedoch beschloss dieBundesregierung am 17.10.2012 seine Verlängerungbis Ende 2014. 36e. Das fünfte MaßnahmenpaketUm gravierende Solvenzprobleme der Bankenzu lösen und um einer Einwirkung der inEuropa bereits aufkeimenden Schuldenkriseentgegenzuwirken, wurde in Deutschlandam 12.03.2012 das 2. FMStG eingeführt. 33 Zieldes Gesetzes war, der Schuldenkrise vorzubeugenund das Finanzsystem, die Wirtschaftund die Steuerzahler zu schützen.Neuerung des Gesetzes war, dass bei eventuellenkünftigen Rettungsmaßnahmen auchdie Beiträge der Bankenabgabe für möglicheVerluste aus eventuellen künftigen Stabilisie-32 BGBl. vom 22.12.2011, S. 3044.33 BT-Drs. 17/8343, S. 1.34 Siehe: Bundesministerium der Finanzen, unter:http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Internationales_Finanzmarkt/Finanzmarktpolitik/2012-10-17-Soffin.html (aufgerufen am 30.07.2013).35 Illing, Deutschland in der Finanzkrise, 2013, S. 51.36 Nach dem RestrukFG sollen insolvenzanfällige Bankenin einem geordneten Verfahren ohne Gefährdungder Finanzmarktstabilität saniert oder abgewickeltwerden. Es fehlt bisher aber ein abgestimmtereuropäischer Rechtsrahmen für grenzüberschreitendeFälle, die erst mit der vollständigen Angleichungdes Restrukturierungsrechts auf europäischerEbene geschaffen wird. Im Oktober 2011 beschlossendie Mitgliedsstaaten die Bereitstellungnationaler Auffangmechanismen. Daher könnendie deutschen Stabilisierungsmaßnahmen weiterverlängert werden, und zwar unbefristet. Siehe:Bundesministerium der Finanzen, unter:http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Internationales_Finanzmarkt/Finanzmarktpolitik/2012-10-17-Soffin.html (aufgerufen am 30.07.2013).447


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________3. BilanzZur Lösung der Euro- und Finanzkrise inDeutschland wurden Finanzpakete verabschiedetund zusätzliche Reformmaßnahmenvorgenommen. Aufgrund der gutenwirtschaftlichen Konjunktur und durch dieniedrigen Zinsen hat der deutsche Staat dieHälfte der Zinsen der in den letzten drei Jahrenausgegebenen Anleihen zahlen müssen. 37Dennoch kann von einem kostenfreien KrisenmanagementDeutschlands nicht dieRede sein. Reale Kosten entstehen durch denSchuldenschnitt Griechenlands, welche denSoFFin, die KfW und andere private Gläubigerbelasten. Auf den Staat können Gesamtrettungspaketefür die Euro-Länder, die Beteiligungenim IWF, die Ausgaben der EZB-Anleihen und durch die Target-2-Salden Verpflichtungenvon 900 Milliarden Euro zukommen.Insgesamt blieb Deutschland aberfast unberührt von der Schuldenkrise; dieEinnahmen sind die höchsten seit 2007 unddie Arbeitslosigkeit ist die niedrigste in derEuro-Zone. 3837 Müller, Wie Deutschland an der Euro-Krise verdient,vom 14.08.2012, unter: h t t p : / / w w w. z e i t . d e / w i r t s c h a f t / 2 0 1 2 -08/deutschland-zinsniveau-euro-krise (aufgerufenam 03.08.2013).38 Siehe: Deutschland macht Staatsüberschuss, Handelsblattvom 22.02.2013, unter:http://www.handelsblatt.com/politik/konjunktur/nachrichten/erstmals-seit-fuenf-jahrendeutschland-macht-staatsueberschuss/7823504.html (aufgerufen am 03.08.2013).VI. Finanzkrise in Japan1. Einführung, Grundzüge des japanischenFinanzsystemsDer japanische Finanzmarkt ist nach demVorbild des US-amerikanischen MarktesEnde des Zweiten Weltkriegs aufgebaut. ImZentrum der Finanzmarktregulierung stehtdas Finanzministerium (MOF), das mit breitenBefugnissen, wie der Aufsicht über alleSektoren des Finanzmarktes bis 1998 und derKonzipierung finanzmarktbezogener Gesetzeund Verordnungen, ausgestattet war. Als externeAbteilung der Regierung wurde 1998die japanische Financial Supervisory Agency(FSA) gegründet. 39 Sie übernahm die Überwachungaller Finanzmarktbereiche der Banken,Wertpapiere und der Versicherungen.Eine andere Behörde, die mit der Aufsichtder Kreditinstitute sowie der Genehmigungder verschiedenen Bankdienstleistungen betrautist, ist die japanische Zentralbank(BOJ). Sie bekam mit dem 1998 erlassenenZentralbankgesetz mehr Unabhängigkeit.Trotzdem ist sie bei der Durchführung ihrergeldpolitischen Maßnahmen wie beim Ankaufder Staatsanleihen von der Regierungabhängig. 40 Neben diesen zwei Behörden istdas MOF mit der Aufsicht über diejenigen Finanzinstitutebetraut, die von der japani-39 Baum/Bälz (Hrsg.), Handbuch japanisches Handels-und Wirtschaftsrecht, 2011, S. 285, Rn. 10.40 Keuchel, in: Handelsblatt vom 07.09.2010, unter:http://www.handelsblatt.com/politik/konjunktur/nachrichten/japan-krise-regierung-ruettelt-anunabhaengigkeit-der-zentralbank/3533590.html(aufgerufen am 28.07.2013).448


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________schen Regierung gefördert werden. 41 Darausfolgt, dass bei der exekutiven Gewalt die ganzenKompetenzen für die japanische Finanzaufsichtzusammengezogen sind. Dies hat einerseitspositive Folgen, wie die schnelleDurchsetzung von notwendigen Finanzreformen,andererseits aber auch die negativenKonsequenzen, die sich mit dem Fehlen einerDauerhaftigkeit beim Regierungswechsel abzeichnen.2. Die Economic Bubble in Japan 1986 bis1992 und Asienkrise 1997Das bis 1990 geltende japanische Regierungsmodellder Finanzaufsicht, für das die Abschottungdes Marktes vor Abwanderung,das Fehlen kompetenter Steuerung undmangelnde Anpassungs- und Innovationsfähigkeitcharakteristisch war, erodierte. 42 Japanbenötigte eine neue Finanzmarktregulierung.Mit dem Plaza-Abkommen von 1985zum Zwecke einer Yen-Aufwertung floss spekulativesKapital nach Japan und löste die sogenannte „Bubble-Economy“ aus. 43 Als Folgedavon stiegen die Aktien- und Immobilienpreise,ähnlich wie 2000 in Deutschland, sodassder Kurs des Yen sich innerhalb einesJahres verdoppelte. Die Banken besaßen fauleKredite, die durch eine Überbewertungvon Vermögenswerten über Jahre aufgescho-41 Baum/Bälz (Hrsg.), Handbuch japanisches Handels-und Wirtschaftsrecht, 2011, S. 286, Rn. 12.42 Baum/Bälz (Hrsg.), Handbuch japanisches Handels-und Wirtschaftsrecht, 2011, S. 283, Rn. 6.43 Schnabel, Die japanische Lehre für die europäischeFinanzkrise, Working Papers on Global FinancialMarket 2012, Nr. 36, S. 4.ben wurden. In Japan setzte somit eine Deflationsspiraleein, wodurch einerseits dieBinnennachfrage schwach blieb und andererseitsder stabile Kurs des Yen eine Erholungüber den Export verhinderte. Die BOJ versuchtedurch ihre jährliche Nullzinspolitikerfolglos, Investitionen zu stimulieren. UmZusammenbrüchen vorzubeugen, wurde dasFinanzsystem bis 1993 stark vom Staat kontrolliert.Diese Kontrollmacht wurde langsamschwächer, weil die Unternehmen mitder Zeit zunehmende Diversifikationstechnikenund große Fachkenntnisse erwarben. Diefachliche Diskrepanz zwischen Staatskontrolleund Kreditinstituten hatte sich vergrößert,sodass die Institute den Staat aufforderten,seine Eingriffe zu beschränken, weil erdie höheren Preise der Anlagen und Immobiliennicht effektiv kontrollieren könne unddies schließlich negative Rückwirkungen aufdie Wirtschaft hätte. 44 Japan versuchte durcheine Liberalisierung des Zinssatzes das Finanzsystemumzubauen, was aber keinegroßen Änderungen brachte. 45 Die Asienkrise1997/98 erschwerte die Möglichkeit zurSystemreformierung und einige große Bankenfielen in die Zahlungsunfähigkeit. Diesreflektierte die Schwächung des Yen-Wertsund das Schrumpfen des Bruttoinlandsprodukts.Die Staatsverschuldung stieg auf150 Prozent des BIP und das Land geriet ineine Rezession.44 Yamauchi, EuR-Beih., 2004, 61 (62).45 Yamauchi, EuR-Beih., 2004, 61 (62).449


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________3. Reform des FinanzsystemsIm Zuge der Erweiterung des Sicherheitssystemsder japanischen Banken 1986 wurde dieMöglichkeit geschaffen, die Übernahme einerin Schwierigkeiten geratenen Bank durch einanderes Kreditinstitut finanziell durch Zahlungender Einlagensicherungsgeschäfte,dem so genannten „Erste-Hilfe-Mechanismus“,zu verwirklichen. 46 Den japanischenBanken gelang es somit, eine Vielzahl derfaulen Kredite abzuschreiben und durch Fusionenden Bankensektor zu stabilisieren.1996 forderte Japan eine gründliche Reformdes Finanzsystems. Das Reformkonzept hattedie Ziele, die hohe Verschuldung der Bankenzu lösen und ein transparentes Regime zuschaffen. 47 Hier folgte man den ReformansätzenGroßbritanniens (so genannter „BigBang“), 48 die sich bei den durchgeführten Finanzmarktliberalisierungenseit 1986 positivauswirkten. Japan hatte in diesem Sinne eineReform zur internationalen Öffnung des Finanzmarktesdurchgeführt, die das japanischeFinanzmarktrecht internationaler undwettbewerbsfähiger gemacht haben. 49 Durchdas Änderungsgesetz Nr. 65 über den Devisenverkehr2002 wurde somit den Inlandsbewohnerngestattet, Einlagekonten in Fremd-46 Baum/Bälz (Hrsg.), Handbuch japanisches Handels-und Wirtschaftsrecht, 2011, S. 312, Rn. 95.47 Baum/Bälz (Hrsg.), Handbuch japanisches Handels-und Wirtschaftsrecht, 2011, S. 284, Rn. 8.48 Der Terminus wird als Urknall der alten strikten Regulierungssätzeund Proklamierung an Liberalismusfreiem Markt und Selbstregulierung angewendet.49 Baum/Bälz (Hrsg.), Handbuch japanisches Handels-und Wirtschaftsrecht, 2011, S. 285, Rn. 9.währung bei einer Bank zu eröffnen. Infolgedieser Liberalisierung nahm der Kapitalverkehrin Japan langsam zu. Eingeführt wurdeauch ein Schutzmechanismus zur Vorbeugunggegen Insolvenz. Durch das GesetzNr. 143, das dringende Maßnahmen zurschnellen Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeitbeinhaltete, sollte der Staat das Defizitder Kreditinstitute unter bestimmtenKonditionen decken. Mit den Gesetzen Nr. 5zur Sicherung der Zahlungsfähigkeit undNr. 132 zur Erhaltung der Zahlungsfähigkeitwurde ein öffentlicher Fonds zur Stabilisierungnotleidender Banken eingerichtet, dessenUmfang 2003 70 Billionen Yen betrug.Von der Finanzkrise abgeschlagene Bankenkönnen mit dem Gesetz Nr. 90 von 2008 direktvon der Regierung finanziell unterstütztwerden. Für die Abwendung drohender Insolvenzhat der Gesetzgeber zudem einenMechanismus geschaffen, in dessen Rahmendie Aufsichtsbehörde sofort eine staatlicheSonderkontrolle einführen oder eine staatlicheAuffanggesellschaft errichten kann.Durch diese staatlichen Sonderkontrollenübernimmt der Staat alle Anteile der insolventenGesellschaft. Infolge der Finanzreformwurden mehrere Gesetze erlassen undgeändert, sodass das japanische Bankenaufsichtsrechtsehr kompliziert und fast unüberschaubargeworden ist. 50 Japan versuchte seinedominierende Stellung auszubauen undmittels der Reform eine Selbstregulierung zuermöglichen, um die Wirtschaft anzuregen.Da aber die technischen Neuerungen einen50 Yamauchi, EuR-Beih., 2004, 61 (64).450


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________raschen Fortschritt gemacht hatten, kam dieöffentlich-rechtliche Aufsicht zu spät. 51 DieGesetzgebung konnte in bestimmten Bereichenden Umfang der Kontrolle nicht bestimmen,deshalb wurden solche Fälle demMOF zugewiesen.4. Folgen der globalen Finanzkrise 2007und gegenwärtige Probleme2008 verkündete die japanische Regierung,dass sich Japan seit der Nachkriegszeit erneutseit 2001 in einer Rezession befinde. 52 Zusolch einem dramatischen Absturz, wie ersich 2008 in den USA abgespielt hat, oder einerKrise, die mit der Schuldenkrise in Europavergleichbar ist, ist es zwar nicht gekommen,aber das Land ist dennoch bei seinenBürgern verschuldet. 53 Mit einer Gesamtverschuldungvon 220 Prozent ist Japan das amhöchsten verschuldete Industrieland. Die japanischeZentralbank hat in diesem Zusammenhangdie Geldmenge enorm ausgeweitet.54 Zu der erwünschten Inflation, die helfensollte, ist es nicht gekommen. 55 Im Gegenteil:Die Wirtschaft stagnierte durch die51 Yamauchi, EuR-Beih., 2004, 61 (64).52 Burgschweiger, GIGA Nr. 3 2009, S. 1.53 Lee, Japans politischer Bankrott, S. 1, unter:http://www.zeit.de/wirtschaft/2012-09/japanschuldenkrise(aufgerufen am 10.08.2013).54 Lee, Japans politischer Bankrott, S. 1, unter:http://www.zeit.de/wirtschaft/2012-09/japanschuldenkrise(aufgerufen am 10.08.2013).55 Lee, Japans politischer Bankrott, S. 1, unter:http://www.zeit.de/wirtschaft/2012-09/japanschuldenkrise(aufgerufen am 10.08.2013).anhaltenden schwachen Konjunkturdaten ineiner Deflation. 565. LösungsversucheAls Reaktion auf die Weltfinanzkrise entschiedsich die japanische Regierung dafür,die betroffenen Banken direkt zu unterstützen.Japan hat verschiedene Konjunkturpaketezusammengestellt und konnte damitgrößtenteils Erfolge verbuchen. In Japan werdenneben dem speziellen Hilfsmechanismuszur Anlagesicherung der Kreditinstitute dreiallgemeine Möglichkeiten zur Rettung dergefährdeten Banken angewendet. Als ersteswurde im Falle einer Krise festgehalten, dassandere Banken, mit denen eine Kapitalverflechtungbestand, oder Banken aus demgleichen Sektor (Regional- und Genossenschaftsbanken)zu finanziellen Stützaktionenbereit sind. 57 Darüber hinaus kann derStaat auf spezialgesetzlicher Grundlage Kapitalzuführen und risikobehaftete Kredite ankaufen.Als drittes wurden von der BOJ Kreditezur Bankenrettung eingesetzt. Mit demEnde der Nullzinspolitik entschloss sich dieBOJ, ihre Geldaktiva um 120 Milliarden Dollarzu vergrößern, um den Finanzmarkt mitmehr Liquidität zu versorgen. Das Problemder großen Staatsverschuldung der öffentlichenHaushalte wurde aber nicht gelöst. Dasneue japanische Kabinett verkündete in sei-56 Lee, Japans politischer Bankrott, S. 1, unter:http://www.zeit.de/wirtschaft/2012-09/japanschuldenkrise(aufgerufen am 10.08.2013).57 Baum/Bälz (Hrsg.), Handbuch japanisches Handels-und Wirtschaftsrecht, 2011, S. 315, Rn. 100.451


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________nen Reformvorschlägen, die Inflation auf2 Prozent zu senken und ein neues Regelwerküber die BOJ einzuführen.VII. VergleichDie Schuldenkrise in Europa hat Ähnlichkeitenmit der Krise in Japan. 58 Wie bei der Immobilienblasein Japan wurde auch in Europa(Deutschland, Spanien, Irland) sehr viel Geldin Immobilien investiert. Beide Krisen wurdenvon großen ungedeckten Verbraucherkreditenausgelöst. Als Maßnahmen gegendie Krisen wurden in Japan und in EuropaKredite der Zentralbanken eingesetzt. Dieeuropäische Schuldenkrise und die Finanzkrisein Japan wurden von der Weltfinanzkrisestark beeinflusst. Als exportorientierteStaaten sind Deutschland und Japan von solchenfinanziellen Außenwirkungen sehr abhängig.Die beiden Staaten haben das Instrumentariumder staatlichen Übernahme insolventerKreditinstitute als Lösungsmittel inder Finanzkrise eingeführt. Während inDeutschland die Hauptversammlung der Aktionärefür solche Entscheidungen zuständigist, ist in Japan die FSA dafür verantwortlich.Für die Rettung schuldenbedrohter Staaten,nationaler Kreditinstitute und für die Stabilisierungder Finanzmärkte wurde in der EU,in Deutschland und in Japan ein Sonderfondseingerichtet.58 Lee, Interview mit Richard Koo, Die Euro-Krise erinnertfatal an Japan, S. 1, vom 26.03.2012, unter:http://www.zeit.de/wirtschaft/2012-03/japaneuropa-krise(aufgerufen am 18.08.2013).Was die Unterschiede anbelangt, so ist dieeuropäische Finanzregulierung ein föderalesProjekt, das neben der EU auch eine Währungsunionvon 17 Mitgliedstaaten umfasst.Ein spezifisches Problem des Euro-Raumsist, dass er eine Währungsunion mit unterschiedlichenwirtschaftlichen Bedingungenfür ihre Teilnehmer beinhaltet. 59 Werden beieinigen Euro-Ländern wie Spanien und Portugalhohe Zinssätze eingeführt, beschaffensich dortige Anleger günstige Kredite aus anderenLändern wie Deutschland. 60 Deswegenwird trotz des stabilen Finanzsystems dieserLänder Geld in andere Länder verlagert. AlsKonsequenz davon profitieren einige Staaten,während andere vom Bankrott bedroht sind.Die Union wird somit von den unterschiedlichenwirtschaftlichen Verhältnissen der souveränenStaaten belastet. 61 Im Gegensatz zuden europäischen Unterschieden und denKomplikationen einer Reformdurchsetzungliegt im Einheitsstaat Japan die Entscheidungskompetenzallein bei der Regierung.Der Systemvergleich zeigt ebenso, dass dort,wo die EZB gemäß Art. 130 AEUV und dieDeutsche Bundesbank gemäß Art. 12 I 1BBankG bei der Ausübung ihrer geldpoliti-59 Lee, Interview mit Richard Koo, Die Euro-Krise erinnertfatal an Japan, S. 3, vom 26.03.2012, unter:http://www.zeit.de/wirtschaft/2012-03/japaneuropa-krise(aufgerufen am 18.08.2013).60 Lee, Interview mit Richard Koo, Die Euro-Krise erinnertfatal an Japan, S. 3, vom 26.03.2012, unter:http://www.zeit.de/wirtschaft/2012-03/japaneuropa-krise(aufgerufen am 18.08.2013).61 Lee, Interview mit Richard Koo, Die Euro-Krise erinnertfatal an Japan, S. 3, vom 26.03.2012, unter:http://www.zeit.de/wirtschaft/2012-03/japaneuropa-krise(aufgerufen am 18.08.2013).452


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________schen Aufgaben und Befugnisse unabhängigsind, die BOJ bei der Durchführung ihrerMaßnahmen von der Regierung abhängig ist.Daraus folgt, dass das europäische Finanzsystemim Vergleich zum japanischen mehr demPrinzip der Demokratie gemäß Art. 2 und10 I EUV untergestellt ist, was es bei notwendigenEntscheidungsfindungen anfälligmacht.VIII. FazitDie Beobachtung der unterschiedlichenRechtssysteme offenbart Ähnlichkeiten beiden Ursachen und bei den Lösungsvorschlägenfür die Bekämpfung der Finanzkrisen.Die Lösungswege sind meistens von den divergierendenadministrativen und föderalenStrukturen der Rechtsordnungen bedingt.Die Auswege aus der Finanzkrise in Deutschlandkann man eher mit denen der EU alsmit denen in Japan vergleichen. Kritiker desESM werfen ihm vor, dass durch seine administrativeBefugnis der Finanz- und Budgetordnungdie Souveränität der Mitgliedstaatengefährdet werde, da die Parlamente überdie Existenz der bedeutenden nationalenKreditinstitute nicht mehr entscheiden können.Die Union durchlaufe einen Föderalisierungsprozess,bei dem durch die Institutionalisierungder EU die Mitgliedstaaten nichtmehr die Herren der Verträge sein werden.Mit dem Ausbau der Verbindung zwischenBanken und Staat würden mit BankenschuldenSteuerzahler anderer Länder belastet.Befürworter der Bankenunion sehen dadurcheine bessere Verwaltungsform, die als effektiveInstitution anpassungsfähig sei und denneuen Herausforderungen des globalen Systemwettbewerbsbesser entsprechen könnte,da einzelne Staaten nicht in der Lage seien,solche Verantwortung zu übernehmen. Getriebenvom Wunsch der Mitgliedstaatenund bedingt von den neuen wirtschaftlichenVerhältnissen sei die europäische finanzielle,wirtschaftliche und politische Integration zubegrüßen. Dieser Ansatz soll unterstütztwerden, da eine administrative Reformierungeinen wirtschaftlichen Aufschwung bringtund in der EU eine effektive Finanzregulierungerforderlich wird.Inhaltsverzeichnis453


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Prof. Dr. Joachim Renzikowski *„SchwierigeFamilienverhältnisse“<strong>Examen</strong>sklausur Strafrecht **T wurde am 17.06.2007 als Tochter der damals17jährigen A und eines unbekanntenVaters geboren. Da die A mit der Versorgungund Erziehung ihres Kindes offensichtlichüberfordert war, wurde S als zuständiger Sozialarbeiterdes Jugendamts der Stadt Hallemit der Unterstützung der Mutter des Kindesbetraut. Anlässlich des weihnachtlichen Besuchsvon A bei ihren Eltern kam es zu Misshandlungender T, die zu einem mehrwöchigenKrankenhausaufenthalt führten. Im Februar2008 stellte S bei T Bisswunden amganzen Körper fest, die von A stammten. DaT offensichtlich weder bei A noch bei derenEltern bleiben konnte, wurde sie auf Anordnungdes Jugendamts bei einer Pflegefamilieuntergebracht. Im Laufe des Jahres 2010 zogA mit ihrem neuen Freund, dem LagerarbeiterF, zusammen. Den Sommerurlaub verbrachtenA, T und F gemeinsam am Meer.Seitdem kam T gelegentlich aus der Pflegefamiliefür einige Tage zu ihrer Mutter zurück,damit erprobt werden konnte, ob A nunmehrfür ihre Tochter ordentlich sorgen würde.* Der Autor ist Inhaber der Professur für Strafrechtund Rechtsphilosophie/Rechtstheorie an der Martin-Luther-UniversitätHalle-Wittenberg.** Die Klausur wurde im Land Sachsen-Anhalt im erstenStaatsexamen gestellt. Sie wurde zu Übungszweckenaktualisiert.Schließlich wurde T im Juni des Jahres 2012vollständig in die Obhut ihrer Mutter zurückgegeben.S war weiterhin dafür zuständig,sich um das Wohl der T zu kümmernund A bei der Erziehung zu unterstützen. AbSeptember traten jedoch erneut Misshandlungenauf, nunmehr verursacht durch F, derim Sommer arbeitslos geworden war und seineProbleme im Alkohol ertränkte. ImRausch schlug er dann wahllos auf A und Tein. Bei verschiedenen Besuchen bemerkte Szwar Spuren von gravierenden Misshandlungenam Körper der T, unternahm aber nichts.Am Donnerstag, den 11.11.2012 kam F schongegen Mittag leicht angetrunken nach Hauseund verabreichte der A in übler Laune zunächsteine Ohrfeige. Dann schlug er die T,weil sie ihm nicht schnell genug ein Bier holte.Er versetzte ihr mehrere wuchtige Fausthiebein den Unterleib. Infolge dessen kam esbei T zu einer Darmquetschung. Eine größereMenge Flüssigkeit trat in das Bauchinnereaus, was zu einer Bauchraumentzündungund zum Versagen der Darm-, Leber- undNierenfunktionen führte. Als A das Kind amFreitag ins Krankenhaus brachte, konnte estrotz einer Notoperation nicht mehr gerettetwerden und starb.A hatte unter dem Eindruck der Ohrfeigenicht in die Auseinandersetzung zwischendem ihr ohnehin körperlich überlegenen Fund T eingegriffen. Obwohl T nach denSchlägen erbrochen hatte und wegen heftigerSchmerzen wimmerte, unternahm A nichts.455


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Auch als T jede Nahrungsaufnahme verweigerteund am späten Abend in Bewusstseinstrübungverfiel, blieb A untätig. Zu diesemZeitpunkt hätte T noch gerettet werden können.Erst am nächsten Tag brachte sie ihreinzwischen bewusstlose Tochter in die Klinik.F hatte das weitere Geschehen nichtmehr mitbekommen, sondern sich nach derMisshandlung der T sinnlos betrunken undwar schließlich eingeschlafen.Gegen F wird ein Strafverfahren wegen fahrlässigerTötung eingeleitet. In der Hauptverhandlungvor dem Amtsgericht Halle (Schöffengericht)wird A als Zeugin vernommen.Jedoch versäumt der Vorsitzende Richter, Azu belehren. Um ihren Freund zu schützen,sagt A aus, T sei am Morgen des 12.11.2012 dieHaustreppe heruntergefallen und habe sichdabei schwer verletzt. Da das Gericht denAngaben der unvereidigten A nicht glaubt,wird F trotzdem verurteilt.1. Wegen welcher Straftaten wird das GerichtF verurteilen?2. Haben sich auch A und S wegen des Geschehensam 11.11.2012 strafbar gemacht?3. Muss A wegen ihrer Zeugenaussage vor Gerichtmit einem Strafverfahren rechnen?Lösungshinweise ***Es handelt sich um eine schwierige Arbeitaus dem Bereich der Tötungs- und Körperverletzungsdeliktesowie der uneidlichenFalschaussage. Außerdem ist ein Eingehenauf den Aussetzungstatbestand (§ 221 StGB)erforderlich. Aus dem Allgemeinen Teil werdenFragen der Unterlassungsdogmatik aufgeworfen.Insgesamt sind nicht viele Tatbestände,dafür aber schwere Probleme zu erörtern.Die erste Frage führt in den Fall ein und sollte– abgesehen von der nicht geläufigen, hieraber auch nicht besonders wichtigen Vorschriftdes § 225 StGB (Misshandlung vonSchutzbefohlenen) – keine Probleme bereiten.Die zweite Frage wirft zunächst bei A dassehr schwere Problem auf, ob und wie § 227StGB durch Unterlassen verwirklicht werdenkann. Bei S geht es um die aktuelle Frage derGarantenstellung von Mitarbeitern des Jugendamtes.Weiterhin werden Zurechnungsprobleme(Stichworte: Regressverbot, Beteiligungdurch Unterlassen, Täterbegriff beimFahrlässigkeitsdelikt) dadurch aufgeworfen,dass in den Kausalverlauf ein strafbarer Drittereingeschaltet ist. Die dritte Frage führt imRahmen des § 153 StGB in das Strafprozessrechtund verlangt angesichts der verschiede-*** Hierbei handelt es sich um den originalen Bewertungsvorschlagfür die <strong>Examen</strong>sklausur. Die Hinweisein einigen der nachfolgenden Fußnoten lassenerkennen, was als Bewertungsgrundlage erwartetwerden konnte – und was nicht.456


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________nen Lösungswege vor allem folgerichtigesund konsequentes Arbeiten am Fall.I. Die Strafbarkeit von F1. § 221 StGB: Aussetzunga) Objektiver Tatbestand:Fraglich ist, ob F die T dadurch in eine hilfloseLage versetzt hat, dass er ihr durch dieFaustschläge schwere Verletzungen zugefügthat. Nach der bis zum 31.03.1998 geltendenFassung des Aussetzungstatbestands wäreeine Strafbarkeit offensichtlich nicht in Betrachtgekommen. Denn erforderlich wareine Hilfsbedürftigkeit des Opfers als persönlicherSchwächezustand, der schon vor derTathandlung vorhanden sein musste. Dasneue Recht erweitert den Tatbestand auf beliebigeAussetzungsopfer. Es wird auch nichtmehr verlangt, dass das Opfer aus einer relativgesicherten Lage in eine neue ungeschützteräumliche Situation verbracht wird.§ 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB hat sich nunmehr einemallgemeinen Gefährdungsdelikt angenähert.Unter einer hilflosen Lage versteht maneinen Zustand der Hilfsbedürftigkeit, in demsich das Opfer nicht mehr aus eigener Kraftgegen eine etwaige Lebensgefahr zu schützenvermag und hierfür auf fremde Hilfe angewiesenist. 1 Lässt man hierfür die Zufügung1 Vgl. BGH, NStZ 2008, 395; Eser, in: Schönke/Schröder,StGB, § 221 Rn. 2.einer Verletzung ausreichen, 2 so hat F denobjektiven Tatbestand des § 221 Abs. 1 Nr. 1StGB verwirklicht, da die Faustschläge T inTodesgefahr brachten. Ob für diese Alternativebereits die Verursachung einer konkretenGefahr des Todes oder einer schwerenGesundheitsschädigung erforderlich ist, oderob diese Gefahr zur hilflosen Lage hinzutretenmuss, 3 spielt vorliegend keine Rolle.Das Unterlassungsdelikt des § 221 Abs. 1 Nr. 2StGB scheidet dagegen aus, da F nach demSachverhalt wegen seiner Trunkenheit zu einerHilfe nicht mehr in der Lage war.b) Subjektiver Tatbestand:Vorsatz ist insbesondere im Hinblick auf dieVerursachung einer konkreten Gefahr für dasLeben der T erforderlich. Hierbei ist der Gefährdungsvorsatzvon einem hier nicht vorliegendenVerletzungsvorsatz (i. S. eines Tötungsvorsatzes)zu unterscheiden. F mussdie Misshandlung der T als lebensbedrohlicheVerletzung begriffen haben. 4c) Erfolgsqualifikation des § 221 Abs. 3StGB:Die Verletzung der T führte schließlich zu ihremTod. Der für die erfolgsqualifizierten Deliktewegen ihres hohen Strafrahmens geforderte„unmittelbare Zusammenhang“ zwi-2 Vgl. BGHSt 52, 153 (157) m. zust. Anm. Hardtung, JZ2008, 951 ff.3 S. dazu Küper, ZStW 111 (1999), 30 (48) m. w. N.4 Hier sind beide Ergebnisse mit der entsprechendenBegründung vertretbar.457


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________schen grunddeliktischer Gefahr und schwererFolge liegt somit vor. Nach § 18 StGB istbezüglich der schweren Folge mindestensFahrlässigkeit erforderlich. F hätte sich klarmachen können, dass er aufgrund seinerkräftigen Konstitution (Lagerarbeiter) die T(kleines Kind) mit seinen wuchtigen Faustschlägenin den Unterleib umbringen konnteund handelte deshalb fahrlässig. 52. §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB: GefährlicheKörperverletzunga) Objektiver Tatbestand:F hat die T durch seine Faustschläge in ihrerkörperlichen Unversehrtheit erheblich beeinträchtigtund eine schwere Verletzungverursacht. Sämtliche Tatbestandsalternativendes § 223 Abs. 1 StGB liegen also vor.Die Faustschläge in den Unterleib stellenauch eine lebensgefährdende Behandlungdar, wie sich nicht zuletzt aus dem späterenTod der T ergibt. Auf die Frage, ob eine konkreteLebensgefahr eingetreten sein muss,kommt es hier also nicht an.b) Subjektiver Tatbestand:Im Hinblick auf § 223 StGB ist am Vorsatzdes F nicht zu zweifeln. Schwieriger ist es miteinem Lebensgefährdungsvorsatz. Für § 224Abs. 1 Nr. 5 StGB muss F die Umstände er-5 Ob die Fahrlässigkeit im subjektiven Tatbestandoder erst in der Schuld geprüft wird, ist als reineAufbaufrage gleichgültig.fasst haben, die eine Lebensgefahr für T begründen.6 Aus den Umständen der Tat(kraftvolle und gezielte Schläge in den Unterleib)lässt sich schließen, dass F die Gefährlichkeitseines Handelns für das Leben der Twenigstens für möglich gehalten und in Kaufgenommen hat. 7c) Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründesind nicht ersichtlich. Insbesondereerreichte der Grad der Alkoholisierung des Fzum Zeitpunkt der Tat noch nicht dieSchwelle auch nur der verminderten Schuldfähigkeitnach § 21 StGB.3. § 225 StGB: Misshandlung von Schutzbefohlenena) Objektiver Tatbestand:Zunächst muss eines der vier Schutzverhältnissezwischen F und T bestanden haben.Für ein Fürsorge- oder Obhutsverhältnis(Abs. 1 Nr. 1) spricht, dass F mit der Mutterder T eheähnlich zusammenlebt. Die Grenzeneiner bloßen Gefälligkeit dürften auchdeshalb überschritten sein, weil für das Jugendamtdie familienähnliche Gemeinschaftoffensichtlich einen Grund darstellte, die T6 S. Wessels/Hettinger, BT-1, Rn. 284.7 Das gegenteilige Ergebnis ist vertretbar, insbesonderewenn man mit Paeffgen, in: NK-StGB3, § 224Rn. 27 f. im objektiven Tatbestand eine konkreteLebensgefahr verlangt. Dann gerät man mit demGefährdungsvorsatz in Abgrenzungsprobleme zumbedingten Tötungsvorsatz, der hier offensichtlichausgeschlossen ist. In diesem Fall verbleibt es beieiner Bestrafung aus § 223 StGB.458


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________in die Obhut ihrer Mutter zurückzugeben. 8Ebenfalls gehört T zum Hausstand des F(Abs. 1 Nr. 2), weil sie in der gemeinsamenWohnung von A und T lebt. Die anderen Alternativensind nicht einschlägig.Als Tathandlung kommt eine rohe Misshandlungin Betracht. Darunter versteht man objektivein Handeln, welches sich in erheblichenHandlungsfolgen für das Wohlbefindendes Opfers offenbart. 9 Angesichts der erheblichenVerletzungen der T durch die Faustschlägeliegt dieses Merkmal vor.b) Subjektiver Tatbestand:Neben dem hier gegebenen Vorsatz ist erforderlich,dass die Misshandlung roh war, d. h.aus einer gefühllosen, gegen die Leiden desOpfers gleichgültigen Gesinnung heraus erfolgte.10 Das Handeln des F beruhte wederauf einer augenblicklichen Aufwallung übereine ihm zugefügte Kränkung noch allein aufgroßer Erregung. 11 Sofern man überhauptvon einem Fehlverhalten der T sprechenkann, handelt es sich angesichts ihres Alters(5 ½ Jahre) allenfalls um eine Lappalie, dieden Exzess des F in keiner Weise nachvollziehbarerscheinen lässt. Vielmehr sprichtaus seinem Verhalten eine gefühllose undunbarmherzige Gesinnung gegenüber der T.8 Die gegenteilige Ansicht ist vertretbar.9 Vgl. BGHSt 25, 277; Stree/Sternberg-Lieben, in:Schönke/Schröder, § 225 Rn. 13.10 S. BGHSt 3, 105 (109); 25, 278.11 Vgl. BGHSt 3, S. 109.c) Qualifikation nach § 225 Abs. 3 Nr. 1StGB:Durch die Misshandlung hat F die T auch ineine konkrete Todesgefahr gebracht, die sichdann schließlich in ihrem Tod verwirklichthat. Obwohl es sich um ein (gefahr-)erfolgsqualifiziertesDelikt handelt, reicht Fahrlässigkeitnach § 18 StGB nicht aus, da derGrund für eine schärfere Bestrafung darinliegt, dass sich die besondere Folge als Realisierungder dem Grunddelikt typischen Gefahrdarstellt und nicht lediglich als Konkretisierungeben dieser Gefahr. Aus diesemGrund enthält das Gesetz bei Gefährdungsdeliktenausdrückliche Regelungen für Vorsatz-Fahrlässigkeitskombinationen.12 Deshalbist Gefährdungsvorsatz erforderlich, derverlangt, dass F die Folge seines Handelns alskonkrete Bedrohung für T aufgefasst hat. Daslässt sich bezweifeln. 134. § 227 StGB: Körperverletzung mit Todesfolgea) Objektiver Tatbestand:Die Faustschläge in den Unterleib führten zueiner Darmquetschung, gefolgt von einerBauchhöhlenentzündung, und verursachtenauf diese Weise schließlich den Tod der T.12 Z. B. § 315c Abs. 3 StGB; s. auch Küper, NJW 1976,543 (546); Hardtung, in: MüKo-StGB2, § 18 Rn. 12.13 Beide Ergebnisse sind vertretbar. Lediglich mussverlangt werden, dass die Bearbeiter VerletzungsundGefährdungsvorsatz voneinander unterscheiden.Ebenfalls muss im Verhältnis zum subjektivenTatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB Konsequenzgewahrt bleiben.459


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Der für die erfolgsqualifizierten Delikte wegenihres hohen Strafrahmens geforderte„unmittelbare Zusammenhang“ zwischengrunddeliktischer Gefahr und schwerer Folgeliegt vor, gleich ob man mit der „Letalitätstheorie“auf den Verletzungserfolg abstellt 14oder mit der Rechtsprechung an die Verletzungshandlunganknüpft. 15b) Subjektiver Tatbestand:Nach § 18 StGB ist bezüglich der schwerenFolge mindestens Fahrlässigkeit erforderlich.F hätte sich klar machen können, dass er aufgrundseiner kräftigen Konstitution (Lagerarbeiter)die T (kleines Kind) mit seinen wuchtigenFaustschlägen in den Unterleib umbringenkonnte und handelte deshalb fahrlässig.165. Weitere StraftatenWeitere Straftaten des F müssen nicht geprüftwerden. Zwar könnte man noch an einefahrlässige Tötung durch Unterlassen denken,da F ebenfalls nichts zur Rettung der Tunternommen hat, obwohl er als Garant (Ingerenz)dazu verpflichtet war. Nach demSachverhalt war er dazu aber gar nicht mehrin der Lage. Der komplizierten Konstruktionüber die Rechtsfigur der „ommissio libera in14 Vgl. Küpper, FS Hirsch, 1999, 618 ff.; Krey/Heinrich,BT-1, Rn. 271 ff.15 Vgl. BGHSt 14, 110 (112); 31, 96 (99); 48, 34 (37 ff.);Rengier, BT-2, § 16 Rn. 11 ff.16 Ob die Fahrlässigkeit im subjektiven Tatbestandoder erst in der Schuld geprüft wird, ist als reineAufbaufrage gleichgültig.causa“ bedarf es hier nicht, weil ein dem verletzendenTun nachfolgendes Unterlassenohnehin konsumiert würde.Gegenüber der A kommt zwar eine Körperverletzungin Betracht. Nach dem Sachverhaltgeht es jedoch um den Vorwurf der fahrlässigenTötung der T. Es ist deshalb äußerstfraglich, ob die Tat gegenüber der A überhauptvom Prozessgegenstand miterfasst,d. h. Gegenstand der Anklage ist. 176. ErgebnisDas Gericht wird F wegen Aussetzung mitTodesfolge (§ 221 Abs. 3 StGB), Körperverletzungmit Todesfolge nach § 227 StGB in Tateinheitmit der Misshandlung von Schutzbefohlenenverurteilen. 18 Dass F nur wegenfahrlässiger Tötung angeklagt worden ist,schadet nicht. Keinesfalls ist eine Nachtragsanklagenach § 266 StPO erforderlich, da Gegenstanddes Verfahrens das gesamte zumTod der T führende Geschehen ist, soweit Fdaran beteiligt war. Das Gericht ist jedochverpflichtet, gemäß § 265 Abs. 1 StPO auf dieVeränderung des rechtlichen Gesichtspunktshinzuweisen. 1917 Die Erörterung des § 223 StGB gegenüber der Asollte gleichwohl nicht als Fehler angerechnet werden.18 Vgl. BGHSt 41, 113, 116; Hirsch, NStZ 1996, 37. DieTateinheit dient der Klarstellung dass neben demKörperverletzungsunrecht die verwerfliche Missachtungeiner besonderen Schutzpflicht vorliegt.Das gegenteilige Ergebnis ist vertretbar.19 Ein Eingehen auf diese prozessualen Aspekte istnicht erforderlich; es ist aber als besonders positivzu bewerten.460


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________II. Die Strafbarkeit der A1. §§ 223, 13 StGB: Körperverletzung durchNichtverhindern der FaustschlägeIn Betracht kommt zunächst eine Körperverletzungdurch Unterlassen dadurch, dass Aden F nicht daran gehindert hat, die T zu verprügeln.Nach dem Sachverhalt scheidet jedochschon der objektive Tatbestand aus, daF der A körperlich überlegen ist. Es fehlt somitdie Möglichkeit, den Erfolg abzuwenden.Im Übrigen wird man über die Unzumutbarkeitebenfalls zur Straflosigkeit kommenmüssen. Die genaue Einordnung dieses Gesichtspunktsbeim Unterlassungsdelikt istzwar umstritten. Jedoch bietet sich hier folgendeDifferenzierung an: Auf der Tatbestands-oder spätestens auf der Rechtswidrigkeitsebenesind alle Umstände zu berücksichtigen,die bereits die Handlungspflichtals solche entfallen lassen. Insofern ist einedem § 34 StGB vergleichbare Interessenabwägungerforderlich, allerdings unter umgekehrtenVorzeichen. Der Garant ist nicht verpflichtet,eigene rechtlich geschützte Interessenaufzuopfern, es sei denn um der Rettungwichtigerer Interessen des Berechtigten willen.20 Hier ist auf Seiten der A zu berücksichtigen,dass ihr bei einer Einmischung ebenfallsPrügel drohten. Zudem konnte sie ausihrer Sicht kaum mit einem derartigen Exzessdes F rechnen. Wen diese Überlegungen20 Vgl. Engländer, in: Matt/Renzikowski, StGB, 2013,§ 34 Rn. 55; abw. Wessels/Beulke, Rn. 739: Frage derSchuld.nicht überzeugen, der muss über § 35 Abs. 1StGB zumindest zu einer Entschuldigung derA gelangen.2. § 221 StGB: Aussetzunga) Objektiver Tatbestand:Einschlägig ist hier § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Awar als Mutter Obhutsgarantin im Hinblickauf die körperliche Unversehrtheit der T.Deshalb war sie dazu verpflichtet, der T beizustehen.Eine derartige Hilfe war ihr auchmöglich, zumal von ihrem völlig betrunkenenLebensgefährten keine weiteren Gewalttätigkeitenmehr zu befürchten waren.Durch ein rechtzeitiges Handeln wäre T gerettetworden.Während nach früherem Recht (nur) ein Verlassentatbestandsmäßig war, reicht nunmehrein „Im-Stich-lassen“ aus. Nach demWillen des Gesetzgebers ist eine räumlicheTrennung nicht mehr erforderlich. Es genügtbereits die bloße Untätigkeit. 21Durch die Untätigkeit der A verschlechtertesich der Zustand der T bedrohlich.b) Subjektiver Tatbestand:A muss die Folge ihrer Untätigkeit als bedrohlichfür das Leben der T aufgefasst ha-21 Insofern handelt es sich bei dieser Alternative umein echtes Unterlassungsdelikt, vgl. BGH, NJW2012, 546 f.; Küper, ZStW 111 (1999), 51 f.461


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________ben. Dafür spricht, dass sie die das Leben derT gefährdenden Umstände gekannt hat. 22c) Erfolgsqualifikation des § 221 Abs. 3StGB:Die Untätigkeit der A hat den Tod der T unmittelbarherbeigeführt. Die später bei § 227StGB zu erörternden Zurechnungsproblemestellen sich hier nicht, weil § 221 Abs. 1 Nr. 2StGB nicht lediglich bei Ingerenz einschlägigist, sondern grundsätzlich nach dem Verursacherder Hilflosigkeit des Opfers nicht gefragtwird. Fahrlässigkeit nach § 18 StGB isthier nicht zweifelhaft. Angesichts der bedrohlichenVerschlechterung des Zustandsder T musste es sich der A geradezu aufdrängen,eine ärztliche Behandlung aufzusuchen.3. §§ 223, 13 StGB: Körperverletzungdurch Unterlassen der Versorgung der Ta) Objektiver Tatbestand:Weiterhin liegt eine Körperverletzung durchUnterlassen der Versorgung der T vor.Durch die unterlassene Inanspruchnahmeärztlicher Hilfe erlitt T nicht nur starkeSchmerzen – wobei bereits das Weiterbesteheneines schmerzhaften Zustands ausreicht.Zusätzlich verschlechterte sich auch ihr Zustanderheblich. 23 Das Unterlassen stellt somiteine körperliche Misshandlung und eineGesundheitsbeschädigung dar.22 Das gegenteilige Ergebnis ist vertretbar.23 Vgl. Wolters, JR 1996, 471 (472).b) Subjektiver Tatbestand:A hat den Zustand ihrer Tochter erkannt.Ebenfalls hat sie bemerkt, wie er sich bis zumDonnerstagabend erheblich verschlechterte.Sie handelte deshalb zumindest bedingt vorsätzlich.4. §§ 224 Abs. 1 Nr. 5, 13 StGB: GefährlicheKörperverletzung durch UnterlassenEine lebensgefährdende Behandlung kannauch im Unterlassen eines Garanten liegen,sofern dadurch eine Lebensgefahr (mit-)verursachtwird. 24 In subjektiver Hinsicht wirdman die Vorstellung einer Gefährdung angesichtsder der A bekannten Symptome bejahenmüssen. 255. §§ 227, 13 StGB: Körperverletzung mitTodesfolge durch Unterlassena) Objektiver Tatbestand:Das Hauptproblem der Strafbarkeit der Aliegt in der Frage, ob und inwieweit § 227StGB überhaupt durch ein Unterlassen verwirklichtwerden kann. Zunächst scheintdarin kein Problem zu liegen. So heißt es ineiner früheren Entscheidung des BGH:„§ 226 StGB setzt lediglich eine vorsätzlicheKörperverletzung voraus, macht aber inso-24 Vgl. BGH, JR 1956, 347 m. zust. Anm. Maurach; vgl.auch BGHSt 37, 106.25 Das gegenteilige Ergebnis ist mit entsprechenderBegründung vertretbar. Allerdings ergeben sich darausspätere Konsequenzen für den subjektiven Tatbestanddes § 227 StGB.462


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________weit keinen Unterschied zwischen positivemTun und Unterlassen.“ 26In dem der Klausur zugrundeliegenden Sachverhalthat der BGH im Jahr 1995 jedoch eineStrafbarkeit nach § 227 StGB verneint. Zwarsei eine Körperverletzung mit Todesfolgegrundsätzlich auch durch Unterlassen denkbar.Hier aber stelle sich der Tod als unmittelbareFolge der von F zugefügten inneren Verletzungenund nicht der unterlassenen Versorgungdurch A dar. Ihrem Unterlassen fehlevielmehr die für § 227 StGB erforderlichespezifische Gefährlichkeit. 27Diese Begründung ist nicht unproblematisch.So lässt sich die spezifische Gefährlichkeitder grundtatbestandlichen Unterlassungkaum verneinen, da zwar die unterlasseneSchmerzlinderung für sich allein genommennicht lebensgefährlich war, wohl aber die unterlasseneInanspruchnahme ärztlicher Vorsorge.Denn nach dem Sachverhalt hätte Tnoch am Abend des 11.11.2012 gerettet werdenkönnen. Ebenso wenig lässt sich auf derGrundlage der „Letalitätstheorie“ die Gefährlichkeitdes Verletzungserfolges ablehnen,der sich in der Verschlechterung des Gesundheitszustandsder T – für den A als Garantinverantwortlich war – darstellt. 28 Schließlichüberzeugt die Berufung auf eine fehlendeUnmittelbarkeit zwischen Grunddelikt undschwerer Folge nicht, da der Kausalverlaufhier nicht inadäquat ist. Im Übrigen spielt26 BGH bei Holtz, MDR 1982, 624.27 BGH, NJW 1995, 3194 f.28 Anders Küpper, FS Hirsch, 627.dieser Gesichtspunkt nur dort eine Rolle, woDritte oder das Opfer selbst im Hinblick aufden Tod mitursächlich sind. 29Will man also im Ergebnis mit dem BGH danachdifferenzieren, ob das Unterlassenselbst die Todesgefahr erst herbeigeführt hatoder ob die bedrohliche Vorschädigung bereitsvorhanden war und nur vertieft wurde,so muss ein anderes Argument gefundenwerden. Ein Begründungsansatz bietet sichmit der oft vernachlässigten Gleichstellungsklauseldes § 13 Abs. 1 StGB an. Die Forderungnach der Unwertgleichheit des Unterlassensmit einem Tun wird bei § 227 StGBbesonders relevant, weil es um ein besonderesUnrecht geht: Bestraft wird, wer eine besondereTodesgefahr geschaffen hat. Das Unterlassender Beseitigung der Todesgefahr istnicht gleichwertig. Eine Gleichstellung ist lediglichim Hinblick auf den Todeserfolg möglich.Dies betrifft jedoch nur die Zurechnungnach § 222 StGB. 30Allerdings setzt diese Argumentation voraus,dass man der Entsprechensklausel im Gegensatzzur überwiegenden Auffassung 31 auchbei nicht verhaltensgebundenen reinen Erfolgsdelikteneine gewisse Bedeutung beimisst.29 So mit Recht Ingelfinger, GA 1997, 573 (577 ff.);Wolters, JR 1996, 472 f.30 Ingelfinger, GA 1997, 588; ebenso Wessels/Hettinger,BT-1, Rn. 307; krit. Küpper, FS Hirsch, 628.31 Vgl. Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, § 13 Rn. 4m. w. N.463


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________b) Subjektiver Tatbestand:Fahrlässigkeit nach § 18 StGB liegt vor. Soweitdie Rechtsprechung verlangt, dass dieVorstellung des Garanten zum Zeitpunkt, zudem er hätte tätig werden müssen, gerade aufeine solche (grunddeliktische) Körperverletzunggerichtet sein muss, die nach „Art, Ausmaßund Schwere“ den Tod des Opfers besorgenlässt, 32 hat A die das Leben der T gefährdendenUmstände – auf denen das Sorgfaltswidrigkeitsurteilhinsichtlich des Todesihres Kindes beruht – gekannt. 336. §§ 222, 13 StGB: Fahrlässige Tötungdurch UnterlassenWer bereits eine Strafbarkeit nach §§ 227, 13StGB bejaht hat, muss auf § 222 StGB nichtmehr eingehen. Wer im Ergebnis der Liniedes BGH folgt, muss zumindest zu einer Bestrafungwegen fahrlässiger Tötung durchUnterlassen gelangen, da hier weniger strengeVoraussetzungen gelten und insbesonderedie Entsprechensklausel nicht entgegensteht.7. ErgebnisA hat sich entweder wegen §§ 227, 13 StGBoder nach §§ 222, 13 StGB in Tateinheit mit§§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 5, 13 StGB strafbar gemacht.32 BGHSt 41, 118.33 Das gegenteilige Ergebnis ist mit entsprechenderBegründung vertretbar. Allerdings ergeben sich darausspätere Konsequenzen für den subjektiven Tatbestanddes § 227 StGB.III. Die Strafbarkeit des S1. §§ 222, 13 StGB: Fahrlässige Tötungdurch UnterlassenFraglich ist, ob S sich dadurch nach §§ 222, 13StGB strafbar gemacht hat, dass er die Tnicht erneut aus ihrem familiären Umfeld genommenhat, obwohl er erkannte, dass T vonA oder F misshandelt wurde.a) Objektiver Tatbestand:Der Tod der T hätte vermieden werden können,wenn S, wie er es bereits im Jahr 1995 getanhatte, die T aus ihrem familiären Umfeldbei A und F entfernt und anderweitig untergebrachthätte.Fraglich ist allerdings, ob S hierzu verpflichtetwar. Die Garantenstellung des Mitarbeiterseines Jugendamts könnte man zunächstauf § 1 Abs. 3 SGB VIII stützen, wonach derSchutz vor Gefahren für das körperlicheWohl als Ziel der öffentlichen Kinder- undJugendhilfe bestimmt wird. 34 Ergänzend ließesich auch auf Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG verweisen,der die staatliche Gemeinschaft zumsubsidiären Wächter für den Schutz des Kindeswohlsbestimmt. Die Begründung einerGarantenstellung durch Gesetz entsprichtzwar der früheren Rechtsquellenlehre, gilt jedochinzwischen als überholt, da bei ihr dermaterielle Gehalt der Garantenpflichten of-34 Vgl. OLG Oldenburg, StV 1997, 133 f. m. krit. Anm.Bringewat.464


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________fen bleibt. 35 Bei den genannten Vorschriftenist zudem fraglich, ob sie subjektiv-öffentlicheRechte begründen oder lediglich Programmsätzedarstellen. 36 Jedenfalls ist dieBezugnahme auf Rechtsvorschriften nichtgeeignet, gerade den S zum Garanten für dasWohl der T zu machen. Durchgreifend istvielmehr der Gedanke der tatsächlichenSchutzübernahme durch S als Mitarbeiterdes zuständigen Jugendamts. Zudem bestehteine spezifische Abhängigkeit des Rechtsgutsträgersvom Übernehmer, da sich T nichtselbst schützen kann. 37Die Kritik, die etwa gegen die Garantenpflichtvon Polizeibeamten zur Verhütungvon Straftaten geäußert wird, 38 schlägt hiernicht durch, unabhängig davon, ob man ihreprinzipielle Berechtigung anerkennt. Die Bejahungder Garantenstellung der Mitarbeitereines Jugendamtes läuft keinesfalls auf eineallgemeine staatliche Schutzpflicht hinaus,wenn man sie auf die tatsächlich betreutenSchützlinge beschränkt. In diesem Fall lässtsich auch eine personale Beziehung zwischendem Amtsträger und dem Träger des betroffenenRechtsguts unschwer ausmachen. Swar auch örtlich und sachlich zuständig.Eine Pflicht zum Eingreifen bestand im Rahmenseiner Aufgabenstellung. Mit dem weiterentatenlosen Zusehen trotz des dringen-35 Vgl. auch Stree/Bosch, in: Schönke/Schröder, § 13Rn. 8.36 S. OLG Stuttgart, NJW 1998, 3131 f.; vgl. auch Cramer,NStZ 1997, 238 f.37 Vgl. Bringewat, NJW 1998, 944 (946); OLG Stuttgart,NJW 1998, 3132.38 Vgl. etwa Rudolphi, JR 1987, 336 ff.den Verdachts weiterer schwerer Misshandlungender T verletzte er S seinen Entscheidungsspielraum.39Problematisch ist weiterhin, ob S der Tod derT zugerechnet werden kann, da die unmittelbareTodesursache die Straftat des F darstellt.Hier bieten sich mehrere Argumentationswegean. 40 Die herrschende Lehre lehnt ein „Regressverbot“ab und stützt sich hierzu aufden weiten Einheitstäterbegriff der Fahrlässigkeitsdelikte,der jede Schaffung einer unerlaubtenGefahr als täterschaftsbegründendansieht. 41 Wer dagegen auch bei der Fahrlässigkeitfür einen restriktiven Täterbegriff plädiert,42 muss sich mit dem Problem der Beteiligungdurch Unterlassen auseinandersetzen.Hier wiederum gelangt man zu einerStrafbarkeit des S, wenn man die Unterlassungsdelikteals Pflichtdelikte ansieht, beidenen jede Verletzung der Garantenpflichtals Sonderpflicht bereits die Unterlassungstäterschaftbegründet. 43 Gegen die pauschaleGleichsetzung der Verletzung einer Garantenpflichtmit Unterlassungstäterschaftspricht freilich, dass die Differenzierung zwischenden verschiedenen Beteiligungsformen39 Vgl. auch BGHSt 38, 388.40 Hier kann nicht erwartet werden, dass jeder einzelneBegründungsstrang vertieft wird. Immerhin solltedas Problem als solches erkannt werden.41 Vgl. Kühl, AT, § 20 Rn. 10; Roxin, AT-3, § 24 Rn. 27;Schlehofer, FS Herzberg, 2008, 355 (366 ff.).42 Z. B. Renzikowski, Restriktiver Täterbegriff undfahrlässige Beteiligung, 1997, 169 ff., 259 ff.; Sutschet,Die Erfolgszurechnung im Falle mittelbarerRechtsgutsverletzung, 2010, 213 ff.43 Vgl. Roxin, AT-2, 2003, § 31 Rn. 140 ff.; Stratenwerth/Kuhlen,AT, § 14 Rn. 13.465


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________bei den Begehungsdelikten – von denen sichdie unechten Unterlassungsdelikte schließlichnur ableiten – überspielt wird. Dadurchwird die Entsprechensklausel des § 13 Abs. 1StGB verfehlt. 44 Eine Strafbarkeit des S nach§ 222 StGB könnte man dann mit der Erwägungverneinen, dass Unterlassen neben einemBegehungstäter ausnahmslos lediglichBeihilfe darstellen könne 45 und dass fahrlässigeBeihilfe nach dem geltenden Recht nichtbestraft werde. Differenziert man indes zwischenden verschiedenen Garantenpflichtennach ihrer Funktion, so kommt eine fahrlässigeTötung des S durch Unterlassen deshalbin Betracht, weil er eine Obhutsgarantenpflichtverletzt hat. 46 Hierfür spricht, dass esbei der Pflicht zur Abwehr von Gefahren fürein bestimmtes Rechtsgut nicht darauf ankommt,ob diese Gefahr aus dem Handeln einesStraftäters oder aus Naturkausalität herrührt.b) Subjektiver Tatbestand:Bejaht man die objektive Zurechnung, so istfraglich, ob S selbst mit einer derartigen Entwicklungrechnen konnte und musste. Dafürspricht, dass er an T Spuren erheblicher44 Vgl. auch Mosenheuer, Unterlassen und Beteiligung,2009, 173 ff.45 Vgl. Gallas, JZ 1960, 686 (687): Der Täter „verstellt“dem unterlassenden Garanten den „unmittelbarenZugang zum Erfolg“, zumindest, wenn – wie hier –das Unterlassen der Begehung vorgelagert ist.Ebenso Jescheck/Weigend, AT, 696; Kühl, AT, § 20Rn. 230.46 Vgl. Heine, in: Schönke/Schröder, Vor §§ 25 ff.Rn. 103 ff.; Krey/Esser, AT, Rn. 1181 ff.; Sutschet(Anm. 42), 131 ff.Misshandlungen wahrgenommen hat unddass er die desolate Familiensituation bei Aund F kannte. 472. § 221 StGB: AussetzungDer objektive Tatbestand des § 221 Abs. 1Nr. 2 StGB liegt vor, da S die ihm anvertrauteT ihrem Schicksal überlassen hat. Jedoch istdie Vorstellung einer konkreten Gefahr desTodes oder einer schweren Gesundheitsschädigung48 nicht ersichtlich.IV. Die Zeugenaussage der A1. § 153 StGB: Falsche uneidliche Aussagea) Objektiver Tatbestand:A war als Zeugin in einem Strafverfahren verpflichtet,die Wahrheit über den Tod der Tauszusagen (vgl. §§ 57 S. 1, 66 c Abs. 1 StPO).An dieser Wahrheitspflicht ändert sichnichts dadurch, dass sie sich dann auchselbst hätte belasten müssen bzw. dass es umdie Aufklärung eines Tatvorwurfs gegenüberihrem Lebensgefährten ging. Diese Umständewürde allenfalls ein Auskunfts- bzw. Zeugnisverweigerungsrechtbegründen.47 Wer zum gegenteiligen Ergebnis gelangt, muss zumindesteine fahrlässige Körperverletzung durchUnterlassen bejahen. Hier stellen sich dieselbenProbleme.48 Eine schwere Gesundheitsschädigung setzt keineschwere Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 StGBvoraus, sondern liegt auch bei nachhaltigen odereinschneidenden Beeinträchtigungen der Gesundheitvor, s. Hardtung, in: MüKo-StGB, § 221 Rn. 19.466


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Die Aussage der A war falsch, da der Aussageinhaltnicht mit der objektiven Sachlageübereinstimmte (objektive Theorie) bzw. dasie vom gegenwärtigen Vorstellungsbild der Aabwich (subjektive Theorie). Auch nach derPflichttheorie liegt eine falsche Aussage vor,so dass der Streit 49 nicht näher zu behandelnist.Da § 153 StGB kein Erfolgsdelikt ist, kommtes nicht darauf an, dass das Gericht A nichtgeglaubt hat. Für die Vollendung genügt vielmehrder Abschluss der Zeugenvernehmung.Umstritten ist allerdings die Frage, ob dieVerletzung strafprozessualer Vorschriften beider Herbeiführung von Aussagen die Tatbestandsmäßigkeitbeschränkt.Das Gericht hat zunächst die Pflicht verletzt,die A über ihr Auskunftsverweigerungsrechtnach § 55 Abs. 1 StPO zu belehren (§ 55Abs. 2 StPO). Denn im Hinblick auf den Todder T hatte sich auch A strafbar gemacht.Hätte sie das Geschehen vollständig richtigangegeben, dann hätte sie sich dadurchselbst belastet. Ob sich aus der Beziehung zuF ein Zeugnisverweigerungsrecht ergibt, istdagegen umstritten. Hält man § 52 StPO fürabschließend, so ist diese Frage zu verneinen.Andererseits spricht der Zweck der Vorschrift,dem Zeugen den Konflikt zwischender Wahrheitspflicht und der Verwandtenliebezu ersparen, für eine analoge Ausdehnungdes § 52 StPO auf nichteheliche Lebensge-49 Zu den Aussagetheorien s. Wolf, JuS 1991, 177 ff.meinschaften. Im Vordergrund steht nichtder Schutz einer (formalen) Beziehung, sonderndie Konfliktlage des Zeugen. 50 Demnachhätte A gemäß § 52 Abs. 3 StPO belehrtwerden müssen.Fraglich ist weiter, welche Konsequenz mitdiesem Verfahrensfehler für die Strafbarkeitder A verbunden ist. Überwiegend hält manVerfahrensverstöße für unbeachtlich. DieWahrheitspflicht und damit die Tatbestandsmäßigkeitder Falschaussage sollen unberührtbleiben. Derartige Verfahrensmängelkönnten allein im Rahmen der Strafzumessungals strafmildernde Faktoren berücksichtigtwerden. 51 Diese absolute Trennung zwischenVerfahrensrecht und materiellemStrafrecht wird freilich kritisiert. Dem einemakzessorischen Rechtsgüterschutz verpflichtetenStrafrecht widerspreche es, die Rechtspflegeauch bei prozessual missbilligten Beweiserhebungenstrafrechtlich zu schützen.Nach dieser „Tatbestandslösung“ sind grundsätzlichnur solche Aussagen tatbestandsmäßig,die prozessual verwertet werden können.5250 Vgl. auch Hillenkamp, JuS 1997, 821 (830).51 S. BGHSt 8, 186; StV 1995, 249; Lenckner/Bosch, in:Schönke/Schröder, Vor §§ 153 ff. Rn. 23 f.; Rengier,BT-2, § 49 Rn. 36. Begründet wird dies damit, dassdie §§ 153 ff. StGB abstrakte Gefährdungsdeliktedarstellten und die Rechtspflege auch durch prozessualunverwertbare Falschaussagen gefährdetwerden könnte. Zudem erlaubten die §§ 52, 55StPO lediglich das Schweigen, nicht aber das Lügen.Soweit eine Einschränkung bei Verstößen gegendie §§ 136a, 69 StPO, 396 ZPO anerkannt wird,ist diese Ausnahme hier nicht einschlägig.467


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Folgt man dieser Mindermeinung, so stelltsich die Folgefrage nach der prozessualenVerwertbarkeit der verfahrensfehlerhaft erlangtenAussage der A (die für die herrschende„Strafzumessungslösung“ unerheblichist). Dabei spielt es keine Rolle, dass das Gerichttatsächlich den Angaben der A nicht gefolgtist. Ein Verstoß gegen die nach § 52StPO erforderliche Belehrung über ein Zeugnisverweigerungsrechthat nach einhelligerMeinung ein Verwertungsverbot zur Folge.Das folgt aus dem Schutzzweck der Norm. 53Bei § 55 StPO wird ein Verwertungsverbotdagegen mehrheitlich abgelehnt, da das Auskunftsverweigerungsrechtallein den Zeugenvor einer Selbstbelastung schützen will undden Rechtskreis des Angeklagten nicht berührt.54 Geht man jedoch davon aus, dass§ 55 StPO auch das Interesse des Angeklagtenan einer konfliktfreien wahrheitsgemäßenZeugenaussage schützen soll, lässt sichhier ebenfalls ein Verwertungsverbot begründen.55b) Subjektiver Tatbestand:Am Vorsatz der A besteht kein Zweifel.52 S. Geppert, <strong>Jura</strong> 1988, 498; Rudolphi, in: SK-StGB,Vor § 153 Rn. 33 ff.; begründet wird diese Auffassungweiterhin damit, dass prozessual unverwertbareAussagen nicht als Entscheidungsgrundlage zuberücksichtigen seien und somit die Rechtspflegeauch nicht gefährden könnten.53 S. BGHSt 11, 213 (216); Beulke, Strafprozessrecht,Rn. 461. Dass A ihr Zeugnisverweigerungsrecht gekannthätte, ist nicht ersichtlich.54 BGHSt 11, S. 216 ff.; Beulke, Strafprozessrecht,Rn. 464.55 So Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 24Rn. 48.c) Rechtswidrigkeit und Schuld:Eine Rechtfertigung der Tat durch § 34 StGBkommt nicht in Betracht. Unabhängig davon,ob die Falschaussage der A geeignet war,die Gefahr der Strafverfolgung von F abzuwenden,scheitert eine Notstandsrechtfertigungdaran, dass das Interesse des F dieDurchsetzung des staatlichen Strafanspruchsnicht überwiegt.Auch für eine Entschuldigung nach § 35Abs. 1 StGB ist kein Raum, zumal F durch seineTat die Gefahr einer Bestrafung selbst verschuldethat.d) Aussagenotstand, § 157 StGB:Fraglich ist indes, ob A sich auf den persönlichenStrafmilderungsgrund des Aussagenotstandsberufen kann, da sie die Gefahr einerBestrafung von ihrem Lebensgefährten abwendenwollte. Nach seinem Wortlaut gilt§ 157 StGB indes – anders als § 35 StGB – nurfür Angehörige. Deshalb wird überwiegendseine analoge Erstreckung auf nahestehendePersonen abgelehnt. 56 Unter Hinweis auf dieEinengung der Motivationsfreiheit befürwortetdie Gegenauffassung eine Ausdehnungdes § 157 StPO. 57Für die herrschende Ansicht stellt sich dieFrage, ob A überhaupt aus der von § 157 StGBbegünstigten Motivation heraus gehandelt56 Vgl. OLG Celle, NJW 1997, 1084; Lenckner/Bosch,in: Schönke/Schröder, § 157 Rn. 6.57 S. Müller, in: MüKo-StGB, § 157 Rn. 20.468


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________jedoch ein paar Tage Bedenkzeit aus und holtanwaltlichen Rat ein. Am 20.12.2011 trägt Fdie genannte Summe ein, unterschreibt dasFormular und schickt es per Telefax an die A-Bank. Am 21.12.2011 erfolgt die Bestellung derBuchgrundschuld zugunsten der A-Bank.Am 22.12.2011 gewährt die A-Bank dem M dasDarlehen.M verstirbt unerwartet am 23.07.2012 infolgeeines Herzinfarkts.Inzwischen sind die gesicherten Forderungenfällig und werden von ihren jeweiligen Inhaberngeltend gemacht. Als die A-Bank den Fam 27.07.2012 zur Zahlung von 90.000 Euroauffordert, zahlt F, jedoch nur unter Vorbehalt,„um das Geld ggf. wieder zurückzubekommen,falls mit dem Vertrag etwas nichtin Ordnung ist“. Er wendet wahrheitsgemäßein, dass er die Bürgschaft in „vorweihnachtlicherNächstenliebe“ abgeschlossen habe,weil er meinte, dass M so leistungsfähig sei,den Kredit selbst begleichen zu können. Erstdurch die Zahlungsaufforderung der A-Bankhabe er gemerkt, dass diese Ansicht falschwar. Jedenfalls habe er – das ist ebenfallsrichtig – bereits am 02.01.2012 der A-Bankund M gleichermaßen mitgeteilt, „doch nichthaften zu wollen“. Das wolle er jetzt, da er dieWahrheit über Ms finanzielle Lage kenne,erst recht nicht. Hilfsweise wolle er sich aberbei den anderen Sicherungsgebern „schadloshalten“.Nun tritt auch Ms „Ehefrau“ E auf den Plan.Sie und M hatten sich Ende 2003 kennen gelerntund sofort ineinander verliebt. Aussteuerlichen Gründen wollten sie noch imDezember 2003 heiraten. Da beide zumletztmöglichen Termin jedoch nicht konnten,baten sie ihre gemeinsamen Freunde Pund A, für sie zum Standesbeamten beimStandesamt Stuttgart zu gehen und in ihremNamen für sie die Ehe zu schließen. SeitEnde März 2009 leben M und E jedoch wiedergetrennt; M hatte, vertreten durch seinenAnwalt, am 15.06.2012 einen Antrag auf Auflösung,hilfsweise Scheidung der kinderlosenEhe beim Amtsgericht – Familiengericht –Stuttgart gestellt, der daraufhin der E am22.06.2012 zugestellt worden war. E hatte jedochimmer noch an den Fortbestand derEhe mit M geglaubt und auch immer wiederKontakt zu M gesucht, um sich mit ihm auszusöhnen.M hatte sie dagegen immer wiederabblitzen lassen. E weist nun darauf hin, dassM diese „idiotischen Grundstücksgeschäfte“niemals hätte abschließen dürfen, ohne sichvorher mit ihr – E – zu besprechen. Diese Geschäfteseien daher alle „das Papier nichtwert“.Zufällig erfährt H, der Lebensgefährte vonMs Schwester Z, von Ms Tod. H ist zugleichder vom Amtsgericht – Vormundschaftsgericht– Stuttgart ordnungsgemäß bestellteBetreuer von Z. Dies war notwendig, da Zselbst infolge eines Lawinenunfalls im Jahre2005 geistig behindert ist. Die Eltern von M471


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________und Z waren schon vor 20 Jahren gestorben.Neben Z hatte M keine weiteren Geschwister.AufgabeWie ist die Rechtslage?LösungA. Ansprüche des JI. § 1147 BGB 1 gegen Z auf Duldung derZwangsvollstreckung 2J könnte einen Anspruch gegen Z auf Duldungder Zwangsvollstreckung aus § 1147 haben.1. AnspruchsgegnerDazu müsste Z zunächst Anspruchsgegnerinsein. Gegner des Anspruchs aus § 1147 ist derEigentümer des mit dem in Rede stehendenGrundpfandrecht belasteten Grundstücks.Dies war bis zu seinem Tod M. Z ist also nurdann alleinige Anspruchsgegnerin, wenn sieAlleinerbin des Z ist. Als Erbe des M kommt1 Nicht näher bezeichnete §§ sind solche des BGB.2 Anders als normalerweise wird hier der dinglichevor dem schuldrechtlichen Anspruch geprüft.Grund ist das Problem der forderungsentkleidetenHypothek und ihre Auswirkung auf die zu sicherndeForderung, das so aufbautechnisch besser verarbeitetwerden kann. Das Voranstellen des schuldrechtlichenAnspruchs aus § 488 I 2 ist möglich, indesvom Aufbau her problematisch, da die Beantwortung,wie die forderungsentkleidete Hypothekzu behandeln ist, bereits hier erfolgen müsste unddamit ein in Gutachten unerwünschtes Nach-unten-Verweisennur durch eine Inzidentprüfung vermiedenwerden könnte.Ms Schwester Z, als gesetzliche Erbin zweiterOrdnung (§ 1925 I), aber auch E als Ms Ehefrau(§ 1931 I 1) in Betracht.a) Ist E Ms Ehefrau?Fraglich ist jedoch zunächst, ob E i. S. v.§ 1931 I 1 Ehefrau des M ist, M und E also einewirksame Ehe geschlossen haben. Dies setztu. a. gemeinsames (§ 1310 I) und persönliches(§ 1311) Erscheinen vor dem Standesbeamtenvoraus. M und E haben sich durch P und Avor dem Standesbeamten vertreten lassen;damit liegt zwar gemeinsames, nicht jedochpersönliches Erscheinen vor. Der Verstoß gegen§ 1311 begründet jedoch keine Nicht-,sondern nur eine aufhebbare Ehe (§ 1314 I).Mithin waren M und E miteinander verheiratet.Die Ehe bestand auch zum Zeitpunkt vonMs Tod noch fort.b) Ausschluss der E von der gesetzlichenErbfolge gemäß § 1933aa) Ausschluss nach § 1933 S. 2E könnte aber nach § 1933 S. 2 von der Erbfolgeausgeschlossen sein. Das setzt voraus, dassder Erblasser berechtigt war, die Aufhebungder Ehe zu beantragen, und den Antrag auchgestellt hat.Der Antrag auf Aufhebung der Ehe war am15.06.2012 beim Amtsgericht – Familiengericht– Stuttgart durch den Anwalt des M(Anwaltszwang gemäß § 114 I FamFG) gestelltund der E am 22.06.2012 zugestellt wor-472


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________den. Die formellen Voraussetzungen sindmithin erfüllt.Weiter müsste aber auch die materielle Voraussetzungerfüllt sein, dass M zur Beantragungder Aufhebung der Ehe berechtigt war.Damit reicht also nicht die reine Antragsfähigkeitdes Ehegatten, sondern das gesamteVerfahren muss bei normalem Weiterverlaufauch zur Aufhebung der Ehe geführt haben,wenn es sich nicht durch den Tod des Erblasserserledigt hätte. 3 Es lag eine aufhebbareEhe vor und M war als Ehegatte gemäߧ 1316 I Nr. 1 grundsätzlich antragsberechtigt.Das Eheaufhebungsverfahren hätte abernicht zur Aufhebung geführt, wenn die Aufhebungder Ehe ausgeschlossen war. Die Aufhebungkönnte aber nach § 1315 II Nr. 2 ausgeschlossensein. Hier lag ein Verstoß gegen§ 1311 vor; jedoch wurde der Antrag nicht innerhalbder von § 1315 II Nr. 2 vorgeschriebenen5-Jahres-Frist seit Eheschließung Ende2003 gestellt und war damit verspätet. DerAufhebungsantrag hätte also keinen Erfolggehabt. § 1933 S. 2 ist nicht einschlägig.bb) Ausschluss nach § 1933 S. 1Zunächst wurde der Scheidungsantrag als zulässigerEventualantrag gestellt. 4Ferner müsste die Ehe gescheitert sein(§ 1565 I 1). Das ist gemäß § 1565 I 2 der Fall,wenn die eheliche Lebensgemeinschaft nichtmehr besteht und nicht mehr erwartet werdenkann, dass die Ehegatten sie wieder herstellen.Es reicht allerdings aus, dass nur einEhegatte die Ehe für gescheitert hält. 5 Dass Eallein an den Fortbestand der Ehe glaubt, istalso nicht ausreichend, um ein Scheitern zuverneinen. Beide Ehegatten lebten seit EndeMärz 2008 und damit seit mehr als drei Jahrengetrennt. Auch die einseitigen Kontaktversucheder E führen nicht zum Ausschlussdes Getrenntlebens. Damit wird das Scheiternder Ehe nach § 1566 II unwiderleglichvermutet. Nach § 1933 S. 1 ist mithin E vonder gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen.E war also bei Ms Tod nicht gesetzliche Erbin,so dass auch eine Miterbschaft ihrerseitsnicht in Betracht kommt. Somit ist Z Alleinerbinund gemäß § 1922 mit Tod des MEigentümerin des Grundstücks geworden.E könnte jedoch nach § 1933 S. 1 aus der gesetzlichenErbfolge ausscheiden. Dazu müsstenein Scheidungsantrag des M und die weiterenmateriellen Scheidungsvoraussetzungenvorliegen.3 Weidlich, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch,71. Aufl., § 1933, Rdnr. 6; Müller-Christmann, in:Beck'scher Online-Kommentar BGB, Ed. 27 (2013),§ 1933, Rdnr. 8.4 Vgl. Becker-Eberhard, in: Münchener Kommentarzur ZPO, 3. Aufl., § 260 Rdnr. 10; Musielak, Kommentarzur ZPO, 10. Aufl., § 253 Rdnr. 29 und § 260Rdnr. 4; Greger, in: Zöller/Geimer/Greger, ZPO,29. Aufl., § 260 Rdnr. 4. (§ 260 ZPO ist über § 124S. 2 FamFG anwendbar.)5 BGH, NJW 1979, 1042; Ey, in: Münchener Kommentarzum BGB, 6. Aufl., § 1565 Rdnr. 37; Brudermüller,in: Palandt, Kommentar zum BGB, 71. Aufl.,§ 1565 Rdnr. 3; Rauscher, in: Staudinger, Kommentarzum BGB, Neubearb. 2010, § 1565 Rdnr. 55; a. A.AG Landstuhl, FamRZ 1996, 1481.473


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________c) Auswirkungen der Geschäftsunfähigkeitder E?Dass Z infolge ihrer geistigen Behinderunggeschäftsunfähig ist, ändert nichts daran,dass sie Anspruchsgegnerin ist. Insbesonderewäre der Anspruch nicht gegen Betreuer Hgerichtet. 62. J als Inhaber einer Briefhypothek amGrundstück der Z?Ferner müsste J Inhaber einer Briefhypothekam Grundstück der Z sein.a) Entstehen der BriefhypothekDie Briefhypothek müsste zunächst entstandensein. Dazu könnte es am 01.12.2011 gekommensein.aa) Fraglich ist, ob dem B gegen M ein sicherungsfähigerAnspruch zusteht (§ 1113 I). InBetracht kommt eine Darlehensforderungdes B gegen M.(1) Beschränkung nach § 1365 I 1?Der Vertrag könnte jedoch nach § 1366 I unwirksamsein, wenn er der – vorliegend nichteingeholten – Genehmigung der Ehefrau Ebedurfte.Das setzt zunächst voraus, dass § 1365 I 1 aufden Darlehensvertrag überhaupt anwendbar6 Wird der Anspruch jedoch gerichtlich geltend gemacht,müsste Z sich von H als Betreuer gemäߧ§ 1896, 1902 vertreten lassen.ist. Dazu müsste es sich um einen Vertraghandeln, mit dem sich M dazu verpflichtete,über sein Vermögen im Ganzen zu verfügen.Der Umfang des Verfügungsbegriffs ist streitig.Nach einer Ansicht sind mit einem weitenBegriffsverständnis auch persönliche Verbindlichkeitenwie Darlehensverträge von§ 1365 I 1 erfasst. Dies ergebe sich aus demSchutzzweck der Norm, der eine Einwilligungdes anderen Ehegatten in eine Verbindlichkeitvorsehe, „die dem Wert der Aktiven… oder dem Nettowert des Vermögens gleichkommt“.7 Dieses Verständnis umfasse auchpersönliche Verbindlichkeiten.Nach anderer Ansicht wird dieses Verständnisdem Wortsinn nicht gerecht. Es gehe danachnur um Verpflichtungen zu Verfügungen,also zu unmittelbaren Vermögensverschiebungen;wenn ein Vertrag dagegen lediglicheine Geldschuld begründe, werde damitdas Vermögen nur mittelbar betroffen. 8Etwas anderes könne nur dann gelten, wenndie Parteien des Schuldvertrages in der Absichthandelten, § 1365 zu umgehen. 9Da vorliegend der Darlehensvertrag nur einepersönliche Verpflichtung begründet undeine Umgehungsabsicht der Vertragsparteien7 Mülke, AcP 162 (1962), 129 (144).8 Koch, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 1365Rdnr. 43; Thiele, in: Staudinger, Kommentar zumBGB, Neubearb. 2009, § 1365 Rdnr. 6.9 Koch, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 1365Rdnr. 44; Thiele, in: Staudinger, Kommentar zumBGB, Neubearb. 2009, § 1365 Rdnr. 6.474


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________nicht zu erkennen ist, ist nach der letzteren –aufgrund der Einhaltung des Wortsinnsüberzeugenderen – Ansicht § 1365 I 1 alsnicht einschlägig anzusehen. Also lag keineVerpflichtungsbeschränkung vor. 10(2) ZwischenergebnisMithin ist der Darlehensvertrag wirksam, esliegt also ein sicherungsfähiger Anspruch vor.bb) M und B haben sich über das Entsteheneiner Hypothek geeinigt (§§ 873 I, 1113 I).cc) Die Eintragung ist ebenfalls erfolgt(§ 1115).dd) Dem B wurde der Hypothekenbriefübergeben (§ 1117 I 1).ee) Einigsein und Verfügungsbefugnis des Mliegen ebenfalls vor.ff) Zwischenergebnis: Am Grundstück der Zbesteht eine Briefhypothek.b) Zweiterwerb durch J?Ferner müsste J die Briefhypothek erworbenhaben.aa) Inhaber der Briefhypothek war zunächstB.bb) Die Briefhypothek könnte auf K übergegangensein.(1) EinigungDas setzt erstens gemäß § 1154 I 1 die schriftlicheErteilung der Abtretungserklärung voraus.(a) Gegenstand der EinigungFraglich ist zunächst, welche Auswirkungenes hat, dass sich B und K über die „Abtretungder Hypothek“, nicht die der zu sicherndenForderung, einigten. Festzuhalten ist, dassdie Hypothek selbst nicht abgetreten werdenkann, sondern als forderungsakzessorischesSicherungsrecht kraft Gesetzes mit der Forderungauf den Zessionar übergeht (§§ 398S. 1, 401, 1153). Da jedoch der Wille der Parteienerkennbar ist, dass die Hypothek von Bauf K übergehen soll, ist die Einigung überdie „Abtretung der Hypothek“ als Einigungüber die „Abtretung der durch die Hypothekgesicherten Forderung“ auszulegen.(b) Schriftform10 Die andere Ansicht ist vertretbar. Bearbeiter, die derabweichenden Ansicht folgen, müssten sich dannaber bereits hier mit der Frage befassen, ob mit demAbschluss des Darlehensvertrags das Vermögen imGanzen betroffen ist. Da zu diesem Zeitpunkt derDarlehensvertrag nur 50 Prozent des Grundstückswertsausmacht, ist hier noch nicht das Vermögenim Ganzen betroffen.Ob die Schriftform gewahrt wurde, ist imSachverhalt offen gelassen. Die Abtretungserklärungwurde aber öffentlich beglaubigt.Gemäß § 129 I 1 kann aber nur eine schriftlicheErklärung öffentlich beglaubigt werden.Somit ist das Vorliegen einer schriftlichen Ei-475


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________nigung und damit die Wahrung der Schriftformimpliziert.(c) AnfechtungDa B die Abtretungserklärung jedoch am06.12.2011 wirksam angefochten hat, ist diesegemäß § 142 I als von Anfang an nichtig anzusehen.(2) Zwischenergebnis: K war somit ex tuncnicht Inhaber der Hypothek.cc) J könnte die Briefhypothek jedoch am05.12.2011 erworben haben.(1) Einigung über ForderungsabtretungDie schriftliche Übertragung der Hypothekimpliziert die schriftliche Einigung über dieAbtretung der gesicherten Darlehensforderung(§§ 398 S. 1, 1154 I 1).(2) Übergabe des HypothekenbriefsDer Hypothekenbrief ist von K an J übergebenworden (§ 1154 I 1 Hs. 1).(3) Verfügungsbefugnis(4) Erwerb der Hypothek vom NichtberechtigtenIn Betracht kommt jedoch ein Erwerb derHypothek vom Nichtberechtigten K nach§ 892 I 1.(a) Verkehrsgeschäft und Vorliegen desnormalen ErwerbstatbestandesVoraussetzung ist zunächst ein Rechtsgeschäfti. S. e. Verkehrsgeschäfts. 11 Problematischist hier, dass die Hypothek selbst nichtper Rechtsgeschäft, sondern kraft Gesetzesals Anhängsel zur Forderung übergeht und essomit an einem Rechtsgeschäft fehlt. Nacheiner Ansicht schließt dies den gutgläubigenErwerb mangels Rechtsgeschäfts aus. 12Dagegen wird angeführt, dass der Hypothekenerwerbimmerhin mittelbar auf rechtsgeschäftlichemErwerb der Forderungsabtretungberuhe. 13 Dafür, dass dies bei der Hypothekals ausreichend anzusehen ist, sprichtnicht zuletzt, dass der gutgläubige Hypothekenerwerbüber § 1138 gerade ermöglichtwerden soll, so dass es widersprüchlich ist,ihn dann wegen Fehlens eines rechtsge-Jedoch war K zum Zeitpunkt der Abtretungnicht Inhaber der Hypothek und somit nichtverfügungsbefugt.11 Bassenge, in: Palandt, Kommentar zum BGB, § 892Rdnr. 2; Gursky, in: Staudinger, Kommentar zumBGB, Neubearb. 2008, § 892 Rdnr. 125; Eckert, in:Beck'scher Onlinekommentar zum BGB, Ed. 27(2013), § 892 Rdnr. 8.12 BGH, NJW 1997, 190 (191).13 Kohler, in: Münchener Kommentar zum BGB, § 892Rdnr. 32; Gursky, in: Staudinger, Kommentar zumBGB, Neubearb. 2008, § 892 Rdnr. 86; Vieweg/Werner,Sachenrecht, 5. Aufl., § 13 Rdnr. 42 m. w. N.476


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________schäftlichen Erwerbs zu verhindern. 14 Daherscheitert der Erwerb nicht am Übergang derHypothek kraft Gesetzes.Die Einigung über die Abtretung in Form des§ 1154 sowie die Übergabe des Hypothekenbriefssind gegeben.(b) GutglaubensschutzWeiter müsste der gute Glaube des J geschütztsein. Vorliegend war K weder Inhaberder Hypothek noch der zu sichernden Forderung.Damit müsste der gute Glaube des Jalso sowohl in Ansehung von Forderung alsauch Hypothek geschützt sein.(aa) Gutglaubensschutz bezüglich BriefhypothekProblematisch ist, dass K nicht als Hypothekardurch das Grundbuch legitimiert war, sodass ein Gutglaubensschutz nach § 892 zunächstnicht in Betracht kommt. Jedochkönnte gemäß § 1155 S. 1 der Gutglaubensschutzauf die Erwerbsvorgänge außerhalbdes Grundbuchs zu erstrecken sein. Danachfindet u. a. § 892 so Anwendung, als wäre derBesitzer des Briefes – hier K – als Hypothekarim Grundbuch eingetragen, wenn sich diesesRecht aus einer zusammenhängenden, aufeinen eingetragenen Gläubiger zurückführendeReihe von öffentlich beglaubigten Abtretungserklärungenergibt. Dabei muss dieAbtretung des durch die Reihe Legitimierten14 Koch/Löhnig, Fälle zum Sachenrecht, 3. Aufl.,Fall 15 Rdnr. 26.– hier K – an den Gutglaubensschutz suchendenZessionar – hier J – selbst nicht öffentlichbeglaubigt sein. 15 Vorliegend war die Abtretungserklärungdes B an K öffentlich beglaubigt,so dass K gemäß § 1155 S. 1 so zu behandelnist, als wäre er im Grundbuch alsHypothekar eingetragen. Damit ist Js guterGlaube nach §§ 892, 1155 in Ansehung derBriefhypothek geschützt.(bb) Fiktion des Forderungserwerbs fürdie logische Sekunde des HypothekenübergangsProblematisch ist jedoch, dass K auch nichtInhaber der zu sichernden Forderung ist. Gemäߧ 1138 erstreckt sich aber der öffentlicheGlaube an die Stellung des Hypothekars aufdie zu sichernde Forderung. Vorliegend istder gute Glaube des J in Ansehung der Darlehensforderungauch nicht zerstört.Es wird also fingiert, dass J die Forderung fürdie logische Sekunde des Übergangs der Hypothekgemäß §§ 1138, 892, 1155 S. 1 erworbenhat; 16 die Hypothek ist als Anhängsel mitübergegangen.15 Eickmann, in: Münchener Kommentar zum BGB,6. Aufl., § 1155 Rdnr. 9; Rohe, in: Beck'scher Onlinekommentarzum BGB, Ed. 27 (2013), § 1155 Rdnr. 6.16 Eickmann, in: Münchener Kommentar zum BGB,6. Aufl., § 1138 Rdnr. 15; Rohe, in: Beck'scher Onlinekommentarzum BGB, Ed. 27 (2013), § 1138Rdnr. 3.477


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________dd) ZwischenergebnisJ hat somit die Hypothek vom NichtberechtigtenK erworben.3. ErgebnisJ hat einen Anspruch gegen Z auf Duldungder Zwangsvollstreckung in das Grundstückder Z aus § 1147.II. § 488 I 2 BGB gegen Z auf Zahlung von100.000 EuroJ könnte gegen Z einen Anspruch auf Zahlungvon 100.000 Euro aus § 488 I 2 haben.1. AnspruchsgegnerZ ist als Alleinerbin des M in dessen Rechtspositioneneingetreten und somit Anspruchsgegnerin.2. Anspruch entstandenZwischen M und B ist am 01.12.2011 ein Darlehensvertragüber 100.000 Euro geschlossenworden, der Anspruch ist entstanden.3. Anspruch auf J übergegangen?Der Anspruch müsste ferner auf J übergegangensein.a) Übergang auf K?Infolge der wirksamen Anfechtung des B istdie Forderung nicht auf K übergegangen.b) Übergang auf J?aa) Ein gutgläubiger Forderungserwerb nach§ 405 kommt bei J nicht in Betracht.bb) J hat die Forderung nicht nach §§ 892,1138, 1155 S. 1 erworben. Nach dieser Vorschriftwird der Übergang der zu sicherndenForderung nur für die logische Sekunde desÜbergangs der Hypothek fingiert. 17cc) Der Anspruch könnte jedoch nach der sogenannten Einheitstheorie 18 auf J übergegangensein. Danach bilden die Hypothek unddie durch sie zu sichernde Forderung eineEinheit. Dies soll dazu führen, dass der gutgläubigeErwerb einer forderungsentkleidetenHypothek bewirkt, dass eine logische Sekundenach dem derartigen Erwerb der Hypothekdie zu sichernde Forderung der Hypothekfolgt und ebenfalls auf den Neu-Hypothekarübergeht. Damit werde das Fortbestehender Akzessorietät von Forderung undHypothek 19 sowie die Einhaltung des Grundsatzes,dass die Hypothek nicht ohne die For-17 S. o. A. I. 2. b), bb), (4), (b), (bb). Vgl. weiterWolff/Raiser, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts,Bd. 3, 10. Bearb., § 137 II 3; Konzen, in: Soergel,Kommentar zum BGB, 13. Aufl., § 1138 Rdnr. 6.18 Es existieren verschiedene Bezeichnungen. Neben„Einheitstheorie“ (s. nur Wolfsteiner, in: Staudinger,Kommentar zum BGB, Neubearb. 2009, § 1138Rdnr. 9) gibt es auch die Bezeichnungen „Mitlauftheorie“und „Mitreißtheorie“ (s. zu beiden letzterennur Baur/Stürner, Sachenrecht, 18. Aufl.,§ 38 IV 1 d, Rdnr. 28).19 Wolff/Raiser, Lehrbuch zum Bürgerlichen Recht,Bd. 3, 10. Bearb., § 137 II 1 d; s. auch die Zusammenfassungdes Meinungsstreits in Vieweg/Werner, Sachenrecht,5. Aufl., § 15 Rdnr. 44.478


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________derung übergehen könne (§ 1153 II Hs. 2),weiterhin gewährleistet. 20 Auf diese Weisewerde nicht zuletzt verhindert, dass derSchuldner von Forderung und Hypothekdoppelt in Anspruch genommen werde. 21 Danachwäre also J infolge des Erwerbs der Hypothekauch Inhaber der Darlehensforderunggegen M bzw. ab Erbfall gegen Z geworden.Damit stünde der Anspruch dem Bnicht mehr zu.Gegen diese Ansicht wird von Vertretern derso genannten „Trennungstheorie“ angeführt,dass der gutgläubige Forderungserwerb systemwidrigsei. 22 Diese Ansicht überzeugtnicht zuletzt damit, dass dieser Systembruchauch nicht notwendig ist, um der Gefahr einerdoppelten Inanspruchnahme des Schuldnersvon Forderungsinhaber und Hypothekarentgegenzutreten. Eine solche doppelte Inanspruchnahmewird durch die Einheitstheorieauch nicht in allen Fällen verhindert,so etwa dann nicht, wenn die Forderungdurch Zahlung erloschen war und nach § 1138für die Hypothek wieder auflebt. 23 Fernerwird eben jene doppelte Inanspruchnahmedurch das System des Kreditsicherungsrechtsdes BGB ausreichend verhindert, wonach derSchuldner nur zahlen muss, wenn die Forderungnach §§ 1163 I, 1177 II auf den Grund-20 Wilhelm, Sachenrecht, 3. Aufl., Rdnr. 1498.21 Baur/Stürner, Sachenrecht, 18. Aufl., § 38 IV 1 d,Rdnr. 28; Wilhelm, Sachenrecht, 3. Aufl.,Rdnr. 1498; Karper, JuS 1989, 33 (34).22 Eickmann, in: Münchener Kommentar zum BGB,6. Aufl., § 1153 Rdnr. 13.23 Wolfsteiner, in: Staudinger, Kommentar zum BGB,Neubearb. 2009, § 1138 Rdnr. 9.stückseigentümer oder nach § 1164 auf ihnselbst übergeht oder die Einrede gegen dieGeltendmachung der Hypothek nach§§ 1160 I, 1161, wenn der Gläubiger nicht denHypothekenbrief oder, wenn der Gläubigernicht im Grundbuch eingetragen ist, die in§ 1155 bezeichneten Urkunden vorlegenkann. 24254. ErgebnisJ hat gegen Z keinen Anspruch auf Zahlungder Darlehenssumme in Höhe von100.000 Euro. 26B. Ansprüche des BI. § 488 I 2 gegen Z auf Zahlung von100.000 Euro1. AnspruchsgegnerAls Alleinerbin des M ist Z Anspruchsgegnerin.2. Anspruch entstanden und nicht untergegangenM und B haben wirksam einen Darlehensvertraggeschlossen, B hat das Darlehen an M24 Wolfsteiner, in: Staudinger, Kommentar zum BGB,Neubearb. 2009, § 1138 Rdnr. 9; Petersen/Rothenfußer,WM 2000, 657 (660).25 Wolfsteiner, in: Staudinger, Kommentar zum BGB,Neubearb. 2009, § 1138 Rdnr. 9; Vieweg/Werner, Sachenrecht,5. Aufl., § 15 Rdnr. 44.26 Wird der Einheitstheorie gefolgt, was vertretbar ist,hat J gegen Z Anspruch auf Zahlung der Darlehenssumme.479


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________ausbezahlt. Der Anspruch ist nicht untergegangenoder auf Dritte übergegangen.3. ErgebnisB hat gegen Z Anspruch auf Zahlung von100.000 Euro aus § 488 I 2.II. § 1147 gegen Z auf Duldung derZwangsvollstreckungDa die Hypothek auf J übergegangen ist undB somit nicht deren Inhaber ist, hat B keinenAnspruch aus § 1147.C. Ansprüche der D-BankI. § 488 I 2 gegen Z auf Rückzahlung von90.000 EuroDie D-Bank könnte einen Anspruch auf Zahlungvon 90.000 Euro aus Darlehen gemäߧ 488 I 2 haben.1. AnspruchsgegnerAls Alleinerbin des M ist Z Anspruchsgegnerin.272. Anspruch entstandenDer Darlehensvertrag zwischen der D-Bankund M ist am 14.12.2011 geschlossen worden.§ 1365 I 1 BGB ist auf persönliche Verpflichtungenwie Darlehensverträge nicht anwend-bar 28 und hindert die Wirksamkeit des Darlehensvertragessomit nicht.3. ErgebnisDie D-Bank hat Anspruch gegen Z auf Zahlungvon 90.000 Euro aus § 488 I 2.II. §§ 1147, 1192 I gegen Z auf Duldung derZwangsvollstreckungDie D-Bank könnte Anspruch auf Duldungder Zwangsvollstreckung aus §§ 1147, 1192 Ihaben.1. AnspruchsgegnerAls Alleinerbin des M ist Z Anspruchsgegnerin.2. D-Bank = Inhaberin einer Buchgrundschuld?a) Zu einer Einigung gemäß § 873 I ist es gekommen.b) Die nach §§ 1192 I, 1115 erforderliche Eintragungder D-Bank als Inhaberin der Grundschuldins Grundbuch ist erfolgt.c) Von einer Vereinbarung des Ausschlussesdes Briefes und ihrer Eintragung ins Grundbuchgemäß §§ 1192 I, 1116 II 3, 873 I ist ebenfallsauszugehen.27 Siehe oben A. I. 1.28 Siehe oben A. II. 2. a).480


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________d) Verfügungsbeschränkung aus § 1365 I?M könnte jedoch zur Zeit der Bestellung derBuchgrundschuld gemäß § 1365 I 1 an einerwirksamen Grundschuldbestellung gehindertgewesen sein.aa) Verfügung über das Vermögen imGanzen?(1) Gesamt- oder Einzeltheorie?Zunächst müsste es sich um eine Verfügungüber das Vermögen im Ganzen handeln. Problematischist hier, dass es sich nur um eineneinzelnen Vermögensgegenstand handelt,der das Vermögen im Wesentlichen ausmacht.Eine Ansicht legt den Fokus auf denWortlaut „Vermögen im Ganzen“, der auf eineausschließliche Anwendbarkeit auf Verfügungenüber das Gesamtvermögen schließenlasse, wobei auch der Wille der Parteien aufeben diesen Umfang gerichtet ist (so genannteGesamttheorie). Für diese Ansicht sprichtdie Rechtssicherheit, da nur auf den erklärtenParteiwillen abgestellt wird. 29Dagegen wird angeführt, dass auch ein einzelnerGegenstand Vermögen als Ganzes darstellenkönne (so genannte Einzeltheorie). 30Teleologisch spricht für die Einzeltheorie,dass Rechtsgeschäfte, die eine Verfügungüber das Vermögen im Ganzen i. S. d. Ge-29 Dazu Koch, in: Münchener Kommentar zum BGB,6. Aufl., § 1365 Rdnr. 9; Thiele, in: Staudinger, Kommentarzum BGB, Neubearb. 2007, § 1365 Rdnr. 17m. w. N.30 BGHZ 35, 134 ff.; BGHZ 43, 174 ff.; BGHZ 64, 246 ff.samttheorie betreffen, sehr selten sind unddamit § 1365 auf nur wenige Fälle anwendbarwäre. Damit verwirkliche die Einzeltheorieden mit § 1365 angestrebten Schutz von Eheund Familie besser. 31 Um diesem Zweck gerechtzu werden, erfährt die Einzeltheorie jedochihrerseits die Einschränkung, die Wesentlichkeiteines Vermögenswertes durchWertrelation festzustellen und die Zustimmungspflichtigkeitnur zu fordern, wenn beikleinen Vermögen ein Restwert von wenigerals 15 Prozent, 32 bei größeren Vermögen vonüber 25.000 Euro nur noch 10 Prozent 33 Restvermögenbeim veräußernden Ehegattenbleiben. 34Das Grundstück machte hier das wesentlicheVermögen aus. Durch die Bestellung derBuchgrundschuld wurde das Grundstück nebender Briefhypothek zusätzlich mit90.000 Euro, insgesamt also mit 190.000 Eurobelastet; mithin verblieb ein Restwert vonnur 5 Prozent.(2) Einzeltheorie bei GrundpfandrechtsbestellungFraglich ist allerdings, ob § 1365 I 1 auch aufeine Grundpfandrechtsbestellung anwendbarist. Der Wortlaut würde dies stützen; eineBelastung eines Grundstücks stellt ebenfalls31 Koch, in: Münchener Kommentar zum BGB,6. Aufl., § 1365 Rdnr. 12; Thiele, in: Staudinger,Kommentar zum BGB, § 1365 Rdnr. 17.32 BGHZ 77, 293 ff.33 BGH, NJW 1991, 1739 f.; Thiele, in: Staudinger, Kommentarzum BGB, Neubearb. 2007, § 1365 Rdnr. 27.34 BGH, NJW 1991, 1740.481


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________eine Verfügung über das Grundstück dar. 35Dem wird in Literatur und Rechtsprechungwidersprochen: Der Sinn des § 1365 I sprechevielmehr dafür, Belastungen nur dann als zustimmungspflichtigeVerfügungen anzusehen,wenn es hierdurch zu einer Erschöpfungdes Grundstückswertes kommt. 36 Anzuwendensind dabei die oben genannten Quoten.Bereits bestehende Belastungen werdenwertmindernd berücksichtigt. 37Mit der Grundschuldbestellung werden zusätzlichzur bereits bestellten Hypothek weitere90.000 Euro und damit insgesamt190.000 Euro belastet, also 95 Prozent desVermögens des M, der ja kein weiteres nennenswertesVermögen hat. Damit bedeutetdie Grundschuldbestellung objektiv eine Verfügungüber das Vermögen im Ganzen.(3) Objektive oder subjektive Theorie?Problematisch ist allerdings, dass dies infolgedes Datenfehlers dem Bankangestellten nichtbekannt war. Der Angestellte war von der D-Bank bevollmächtigt, so dass es bezüglichder Kenntnis von Umständen gemäß § 166 Inur auf die Kenntnis dieses Angestellten ankommt.Fraglich ist daher, ob es lediglich aufdas objektive Vorliegen einer Verfügung überdas Vermögen im Ganzen ankommt oder obes erforderlich ist, dass der Vertragspartner35 S. nur Masuch, in: Münchener Kommentar zumBGB, 6. Aufl., § 873 Rdnr. 6.36 BGHZ 123, 93 ff.37 BGH, NJW 1980, 2350; Koch, in: Münchener Kommentarzum BGB, 6. Aufl., § 1365 Rdnr. 16.positiv weiß, dass der Vermögensgegenstanddas gesamte Vermögen ausmacht. 38Nach der so genannten objektiven Theorie istallein entscheidend, ob ein Gegenstand dasVermögen der Ehegatten im Ganzen ausmacht;auf die Kenntnis des Vertragspartnershiervon kommt es nicht an. 39 Hiernach lägeein Rechtsgeschäft über das Vermögen imGanzen vor.Nach der so genannten strengen subjektivenTheorie soll nur entscheidend sein, ob derVertragspartner des Ehegatten positiv weiß,dass der Vermögensgegenstand das Vermögenim Ganzen darstellt. 40 Dies war vorliegendnicht der Fall, so dass hiernach§ 1365 I 1 nicht anzuwenden ist.Nach der so genannten gemäßigten subjektivenTheorie muss der Vertragspartner desEhegatten sich im Rahmen des Möglichenund Zumutbaren nach den Vermögensverhältnissender Ehegatten erkundigen. 41 Außerden vorliegend von der D-Bank eingehol-38 Brudermüller, in: Palandt, Kommentar zum BGB,71. Aufl., § 1365 Rdnr. 9; siehe zu den angeführtenTheorien ausführlich Koch, in: Münchener Kommentarzum BGB, 6. Aufl., § 1365 Rdnr. 26 ff. undThiele, in: Staudinger, Kommentar zum BGB, Neubearb.2007, § 1365 Rdnr. 20 ff.39 LG Berlin, FamRZ 1959, 64, 66; Finger, JZ 1975, 461,466.40 BGHZ 64, 246, 247 = NJW 1975, 1270, BGHZ 132,218, 220 = NJW 1996, 1740; Koch, in: MünchenerKommentar zum BGB, 6. Aufl., § 1365 Rdnr. 27;Thiele, in: Staudinger, Kommentar zum BGB, Neubearb.2007, § 1365 Rdnr. 20.41 Braga, FamRZ 1967, 652 (660); Dölle, FamilienrechtI (1964), S. 753 f.; Mülke, AcP 161, 129 (149 ff.).482


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________ten Daten sind keine weiteren Erkenntnisquellenersichtlich. Der Datenfehler ist auchvon der D-Bank nicht zu vertreten und es gabkeine Anhaltspunkte für weitere Nachfragen.Damit hat die D-Bank alles Erforderliche getan,weshalb § 1365 nicht anwendbar ist.Nach einer vermittelnden Meinung sollen alleindie objektiven Verhältnisse bei unentgeltlichenGeschäften entscheidend sein,hingegen die Kenntnis des Geschäftspartnersbei entgeltlichen Geschäften. 42 Danachkommt es auf das Geschäft als wirtschaftlicherEinheit an. Da die D-Bank hier dem Mein Darlehen zur Verfügung gestellt hat, liegtEntgeltlichkeit vor, so dass nach der subjektivenTheorie zu verfahren wäre. § 1365 I 1 isthiernach somit nicht anwendbar.Gegen die objektive Theorie spricht, dass siedem Familienschutz vor den Interessen desRechtsverkehrs uneingeschränkten Vorrangeinräumt. 43 Dies benachteiligt die Interessendes allgemeinen Rechtsverkehrs, der dannbei jedem Geschäft befürchten müsste, dassdieses gemäß § 1368 wieder rückabgewickeltwerden könnte; damit würden weiterführendeGeschäfte zu einem enormen wirtschaftlichenRisiko: 44 Daher ist der objektiven Theorienicht zu folgen. Alle anderen Ansichtenführen zur Nichtanwendbarkeit des § 1365 I 142 Wolf, JZ 1997, 1087 (1093 f.).43 LG Berlin, FamRZ 1959, 64 (66); Finger, JZ 1975, 461(466).44 Koch, in: Münchener Kommentar zum BGB,6. Aufl., § 1365 Rdnr. 26.BGB, ein weitergehender Streitentscheid istmithin entbehrlich.Also ist die Bestellung der Grundschuld zugunstender D-Bank wirksam. Der Anspruchist somit entstanden. Rechtshindernde Einwendungenoder rechtshemmende Einredensind nicht ersichtlich.3. ErgebnisDie D-Bank hat gegen Z Anspruch auf Duldungder Zwangsvollstreckung in das Grundstückder Z. 45D. Ansprüche der A-BankI. § 488 I 2 gegen Z auf Zahlung von90.000 Euro1. AnspruchsgegnerAls Alleinerbin des M ist Z Anspruchsgegnerin.2. Anspruch entstandenDer Anspruch war am 16.12.2011 durch Abschlussdes Darlehensvertrages zwischen Mund der A-Bank entstanden.3. Anspruch erloschenDer Anspruch der A-Bank gegen Z könnte jedochin Höhe der Befriedigung durch den45 Wer nach der objektiven Theorie dazu kommt, dassdas Geschäft der Zustimmung der Ehefrau E bedarf,muss nun konsequent die Wirksamkeit der Hypothekenbestellungverneinen.483


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Bürgen F gemäß § 774 I 1 auf F übergegangensein. F hat auf seine Bürgschaftsschuld90.000 Euro geleistet. In dieser Höhe ist daherder Anspruch der A-Bank gegen Z auf Fübergegangen. Mithin steht der A-Bank indieser Höhe kein Anspruch gegen Z mehr zu.4. ErgebnisDie A-Bank hat gegen Z keinen Anspruch aufZahlung von 90.000 Euro.II. §§ 1147, 1192 I gegen X auf Duldung derZwangsvollstreckung1. Die Grundschuld ist wirksam bestellt worden;der Anspruch besteht also.2. Anspruch erloschena) Tilgung der Grundschuld durch Zahlungdes F an die A-Bank?Die Grundschuld könnte durch die Zahlungdes F in Höhe von 90.000 Euro getilgt wordensein. Dazu müsste F jedoch auf dieGrundschuld selbst und nicht nur auf dieBürgschaftsforderung der A-Bank gegen ihngeleistet haben. Die Zahlung des mit demGrundstückseigentümer nicht identischenSchuldners erfolgt jedoch immer auf die Forderung.46 Die Zahlung des F erfolgte damitauf die Bürgschaftsforderung und nicht auf46 Baur/Stürner, Sachenrecht, 18. Aufl., § 45 Rdnr. 86;Eickmann, in: Münchener Kommentar zum BGB,6. Aufl., § 1191 Rdnr. 120; Bassenge, in: Palandt,Kommentar zum BGB, 71. Aufl., § 1191 Rdnr. 37;Konzen, in: Soergel, Kommentar zum BGB, 13. Aufl.,§ 1191 Rdnr. 42.die Grundschuld. Daher kam es auch nichtzu einer Tilgung der Grundschuld.b) Übergang der Grundschuld auf FDie Grundschuld könnte gemäß §§ 1192 I,1143 I ex lege auf F übergegangen sein. Jedochist § 1143 I Ausdruck der Forderungsakzessorietätder Hypothek und somit nicht über§ 1192 I auf die Grundschuld anwendbar. Mithinliegt auch insofern kein Erlöschen desAnspruchs der A-Bank aus der Grundschuldgegen X vor.3. ErgebnisDie A-Bank kann von X Duldung derZwangsvollstreckung in das Grundstück desX verlangen.E. Ansprüche des FI. §§ 357 I 1, 346 I 1 gegen die A-Bank aufRückzahlung von 90.000 Euro1. Wirksamer VertragDies setzt zunächst einen wirksamen Vertragvoraus.a) Der Bürgschaftsvertrag zwischen der A-Bank und F wurde geschlossen, indem F dasvon der A-Bank durch X überbrachte Bürgschaftsformularunterzeichnete und diesesder A-Bank zukommen ließ.484


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________b) Form, § 766 S. 1Der Vertrag könnte jedoch nach § 766 S. 1formnichtig sein. Danach muss die Erteilungder Bürgschaftserklärung schriftlich erfolgen.Nach § 126 I ist zur Einhaltung der Form dieeigenhändige Unterschrift erforderlich. Fraglichist, ob diese Form gewahrt ist, indem Fdas unterschriebene Formular per Telefax zusandte.Der Wortlaut „Erteilung“ lässt vermuten,dass sich das fragliche Schriftstückmit Originalunterschrift am Ende des Übertragungsvorgangsbeim Empfänger befindenmuss. Durch Telefax geht dem Empfängerzwar die Erklärung zu, die Unterschrift wirdindes nur in gleichsam kopierter Form übertragen,was nicht der Originalunterschriftentspricht. 47Dagegen könnte man argumentieren, dass imProzessrecht das Zusenden der Klageschriftper Telefax zur Wahrung der Klagefrist insbesonderevon der Rechtsprechung als ausreichendangesehen wird. 48Gegen die Übertragung dieses Arguments auf§ 766 S. 1 spricht jedoch, dass sich der Sinnder prozessualen Formvorschrift und der des§ 766 S. 1 maßgeblich unterscheiden. Währenddie prozessualen Vorschriften den Prozessteilnehmernauch die Möglichkeit eröffnensollen, Klage- bzw. Rechtsmittelfristenvollständig auszuschöpfen, dient § 766 S. 1dem Schutz des Bürgen vor Übereilung einer47 BGH, NJW 1993, 1126 f.48 Siehe nur Becker-Eberhard, in: Münchener Kommentarzur ZPO, 3. Aufl., § 253 Rdnr. 12.unüberlegten Willenserklärung. 49 Damitzeigt sich, dass die Wertung des Prozessrechtsnicht auf § 766 S. 1 übertragbar ist.Mithin liegt keine Erteilung i. S. v. § 766 S. 1vor.c) Konvaleszenz, § 766 S. 3Nach § 766 S. 3 kann der Formmangel durchErfüllung der Hauptverbindlichkeit geheiltwerden. Durch Zahlung der 90.000 Eurodurch F an die A-Bank könnte Erfüllung eingetretensein. Der Vorbehalt des F könnte jedochdazu geführt haben, dass die Erfüllungswirkungnicht eingetreten ist. Diessetzt voraus, dass der Leistende mit dem Vorbehaltzum Ausdruck bringt, dass seine Leistungnur unter der Bedingung des Bestehensder Forderung erfolgt. 50 Wenn der Leistendedagegen mit dem Vorbehalt lediglich dieWirkung des § 814 BGB ausschließen will,um das Geleistete über Bereicherungsrechtwiederzuerlangen, stellt dies die Erfüllungnicht in Frage. 51 In letzterer Hinsicht ist derVorbehalt des F zu interpretieren. Zwar führtF Gründe an, die zum Nichtbestehen der Forderungführen könnten; primär ist sein Vorbehaltjedoch darauf gerichtet, die Rückerlangungdes Geleisteten zu ermöglichen. Damitist die Hauptverbindlichkeit erfüllt und49 BGH, NJW 1993, 1126 (1127).50 St. Rspr., s. nur BGH, NJW 1999, 494 (496); Fetzer,in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl.,§ 362 Rdnr. 5.51 St. Rspr., s. nur BGH, NJW 1999, 494 (496); Fetzer,in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl.,§ 362 Rdnr. 5.485


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________so der Formmangel am 27.07.2012 geheiltworden.d) Anfechtung, § 142 IDem Anspruch könnte die Anfechtung derBürgschaftserklärung durch F entgegenstehen.aa) Anfechtungserklärung vom 02.01.?Zunächst musste die Anfechtung erklärt wordensein. Dabei muss nicht ausdrücklich dasWort „Anfechtung“ fallen; es ist ausreichend,wenn die Erklärung als Anfechtungserklärungausgelegt werden kann. F sagte, er wollenicht haften. Dies ist dahin auszulegen, dasser auf jeden Fall vom Vertrag loskommenwill. Seine Erklärung ist damit als Anfechtungserklärungzu verstehen.bb) Keine Bestätigung, § 144 IGemäß § 144 I ist das Anfechtungsrecht ausgeschlossen,wenn der Anfechtungsberechtigtedas anfechtbare Rechtsgeschäft bestätigthat. Bestätigung bedeutet, dass der Anfechtungsberechtigtewenigstens konkludentzu verstehen gibt, dass er an dem anfechtbarenRechtsgeschäft festhalten möchte. 52 Vorliegendhat F die Bürgschaftsverpflichtungerfüllt. Jedoch zahlte er ausdrücklich unterVorbehalt. Also liegt keine Bestätigung nach§ 144 I vor.52 Ellenberger, in: Palandt, Kommentar zum BGB,71. Aufl., § 144 Rdnr. 2; Singer, in: Staudinger, Kommentarzum BGB, Neubearb. 2011, § 119 Rdnr. 89.cc) AnfechtungsgrundErforderlich ist weiter ein Anfechtungsgrund.In Betracht kommt ein Eigenschaftsirrtumnach § 119 II. Dazu müsste sich F über eineim Verkehr wesentliche Eigenschaft geirrt haben.Verkehrswesentlich sind Eigenschaften,soweit sie nach der Verkehrsanschauung fürdie Wertschätzigkeit und Verwendbarkeitvon Bedeutung sind. 53 Die Leistungsfähigkeitdes Hauptschuldners stellt eine solche verkehrswesentlicheEigenschaft dar. 54 F irrtesich hier über Ms Zahlungsfähigkeit. Mithinist § 119 II an sich gegeben.Fraglich ist allerdings, ob die Anwendbarkeitvon § 119 II auf den Irrtum über die Leistungsfähigkeitdes Hauptschuldners einerdurch Bürgschaft geschützten Forderungdurch teleologische Reduktion auszuschließenist. Nach einer Ansicht soll dies nicht getanwerden; der Bürge gehe die Verpflichtungein, den Gläubiger zu befriedigen, wenn sichdie finanzielle Lage des Hauptschuldners soweit verschlechtere, dass der Hauptschuldnerdas selbst nicht könne; für ein weitergehendesRisiko, insbesondere die Zahlungsfähigkeitbei Vertragsschluss, übernehme er nichtdas Risiko. 5553 Ellenberger, in: Palandt, Kommentar zum BGB,71. Aufl., § 119, Rdnr. 23.54 BayObLG, DB 1988, 1846; Ellenberger, in: Palandt,Kommentar zum BGB, 71. Aufl., § 119 Rdnr. 27; Singer,in: Staudinger, Kommentar zum BGB, Neubearb.2011, § 119 Rdnr. 89; Huber/Bach, <strong>Examen</strong>srepetitoriumBesonderes Schuldrecht I, 3. Aufl., § 24Rdnr. 708.55 Hefermehl, in: Soergel, Kommentar zum BGB,13. Aufl., § 119 Rdnr. 43.486


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Dagegen wird zu Recht argumentiert, dassder Zweck der Bürgschaft darin bestehe, denGläubiger vor schlechter Vermögenslage desHauptschuldners abzusichern – und zwarnicht nur ab Vertragsschluss für die Zukunft,sondern auch bei Vertragsschluss. 56 Könnteder Bürge aus diesem Grunde anfechten, liefedas Bürgschaftsrecht leer. 57 § 119 II ist daherentsprechend teleologisch zu reduzieren.F hatte sich über die Leistungsfähigkeit desM bei Abschluss des Bürgschaftsvertrags geirrt.§ 119 II kommt als Anfechtungsgrunddaher nicht in Betracht.dd) ZwischenergebnisDer Bürgschaftserteilung des F ist nicht aufgrundAnfechtung als nichtig anzusehen.e) ZwischenergebnisDer Bürgschaftsvertrag zwischen F und derA-Bank ist am 27.07.2012 ex nunc gemäߧ 766 S. 3 wirksam geworden.2. WiderrufF könnte den Bürgschaftsvertrag jedoch widerrufenhaben.56 BayObLG, DB 1988, 1846; Armbrüster, in: MünchenerKommentar zum BGB, 6. Aufl., § 119 Rdnr. 128;Ellenberger, in: Palandt, Kommentar zum BGB,71. Aufl., § 119 Rdnr. 27; Singer, in: Staudinger, Kommentarzum BGB, Neubearb. 2011, § 119 Rdnr. 89;Huber/Bach, <strong>Examen</strong>srepetitorium BesonderesSchuldrecht I, 3. Aufl., § 24 Rdnr. 708.57 Armbrüster, in: Münchener Kommentar zum BGB,6. Aufl., § 119 Rdnr. 128.a) WiderrufserklärungZunächst müsste eine Widerrufserklärungdes F vorliegen. Dabei muss nicht ausdrücklichdas Wort „Widerruf“ fallen; es ist ausreichend,wenn die Erklärung als Widerrufserklärungausgelegt werden kann. F hatte derA-Bank am 02.01.2012 mitgeteilt, er wollenicht für M haften. Dies ist dahin auszulegen,dass er auf jeden Fall mit einem beliebigenRechtsmittel vom Vertrag loskommenwill. Dies ist als Widerrufserklärung ausreichend.b) WiderruflichkeitFraglich ist, ob der Widerruf am 02.01.2012zulässig war. Problematisch ist, dass die Erklärungzu einer Zeit erfolgte, als der Bürgschaftsvertragformnichtig war. Fraglich istdaher, ob ein nichtiger Vertrag widerrufenwerden kann.Dagegen spricht zunächst nicht, dass es beieinem nichtigen Vertrag nichts mehr gibt,was man widerrufen könnte. Diese Argumentationist bei der Anfechtung mit derLehre von den Doppelwirkungen im Rechtzurückgewiesen worden. 58 Diese Theorieüberzeugt auch im Rahmen des Widerrufsvon Verbraucherverträgen durch den Hinweisdarauf, dass der Schutzzweck des Widerrufrechtsnicht ausreichend gewürdigtwürde, wenn man aufgrund der Nichtigkeitdes zugrundeliegenden Vertrages dem Ver-58 S. nur Brox/Walker, Allgemeiner Teil des BGB,36. Aufl., Rdnr. 443.487


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________braucher die im Vergleich zum Kondiktionsrechtmöglicherweise günstigere Rückabwicklungnach § 357 i. V. m. §§ 346 ff. verwehrenwürde. 59c) WiderrufsrechtEin Widerrufsrecht könnte sich aus § 495 Iergeben.aa) § 495 I(1) Personaler AnwendungsbereichZunächst müsste der Bürgschaftsvertrag zwischeneinem Verbraucher und einem Unternehmergeschlossen worden sein. F schließtden Bürgschaftsvertrag nicht in Ausübungseiner beruflichen Tätigkeit ab und ist daherVerbraucher gemäß § 13. Die A-Bank schließtden Vertrag in Ausübung ihrer gewerblichenTätigkeit ab und ist somit Unternehmer gemäߧ 14 I. 60(2) Sachlicher AnwendungsbereichWeiter müsste § 495 I sachlich anwendbarsein. Problematisch ist jedoch, dass § 495 Inach seinem Wortlaut nur auf Verbraucherdarlehensverträgeanwendbar ist, so dass sichan sich ein Widerrufsrecht für Verbraucherbürgschaftsverträgehieraus nicht ergibt. Zuüberlegen ist, ob sich diese Bedeutung durchWortlautauslegung ergeben könnte.59 Bülow, in: Bülow/Artz, Kommentar zum Verbraucherkreditrecht,7. Aufl., § 495 BGB Rdnr. 33.60 Darauf, ob die A-Bank juristische Person ist,kommt es hier nicht an.§ 495 I beruht auf der Umsetzung von Art. 14Verbraucherkreditrichtlinie (87/102/EWG)und seit 2009 der Umsetzung der neuen Verbraucherkreditrichtlinie2008/48/EG. Mithinist durch richtlinienkonforme Auslegung zubestimmen, ob der Begriff des Verbraucherdarlehensvertragesunter Einbezug der Verbraucherkreditrichtlinieauch den Verbraucherbürgschaftsvertragumfasst.Nach dem Wortlaut des Art. 3 lit. c der Richtlinie2008/48/EU ist Kreditvertrag ein Vertrag,bei dem ein Kreditgeber einem Verbrauchereinen Kredit in Form eines Zahlungsaufschubs,eines Darlehens oder einer sonstigenähnlichen Finanzierungshilfe gewährt oderzu gewähren verspricht. Auch unter diesenWortlaut fällt der Bürgschaftsvertrag nicht.Dies wird durch die Entstehungsgeschichteunterstrichen; die Einbeziehung von Sicherheitenwar in Art. 3 des Richtlinienvorschlagsvorgesehen, hat aber in die nunmehr geltendeRichtlinie keinen Einzug erhalten. Damitumfasst die Richtlinie nicht die Bürgschaft. 61Somit kann ein solches Verständnis für§ 495 I auch nicht aus europarechtskonformerAuslegung erfolgen.bb) § 495 I analogIn Betracht kommt jedoch ein Widerrufsrechtanalog § 495 I. Das setzt eine planwidrigeRegelungslücke und eine vergleichbareInteressenlage voraus.61 So bereits zur RL 87/102/EWG EuGH, NJW 2000,1323 (1324) – Berliner Kindl; s. auch Schürnbrand,Schuldbeitritt, S. 74.488


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________(1) Planwidrige RegelungslückeDa ein Widerrufsrecht für Bürgschaftsverträgeim BGB fehlt, liegt eine Regelungslückevor.Fraglich ist, ob diese Lücke planwidrig ist.Dies ist der Fall, wenn die Unvollständigkeitdem Gesamtregelungskonzept widerspricht.62 Neben der Umsetzung von Art. 14Verbraucherkreditrichtlinie (87/102/EWG)beruht § 495 I auf der Neuordnung der Vorschriftenüber das Widerrufs- und Rückgaberechtvom 29.07.2009. 63 Bereits bei Schaffungdes Verbraucherkreditgesetzes warenKreditsicherheiten diskutiert, aber nicht indas Gesetz aufgenommen worden. Bei derIntegration der Vorschriften ins BGB war dieFrage gar nicht mehr thematisiert worden. 64Dies und die Tatsache, dass ein Widerrufsrechtfür Verbraucherbürgschaftsverträge imZuge der Neuregelungen vom 29.07.2009nicht ins BGB eingeführt wurde, zeigt, dassein solches im Regelungskonzept nicht vorgesehenist, was bereits gegen das Vorliegender Planwidrigkeit der Regelungslückespricht.(2) Vergleichbare Interessenlagewerden soll, vergleichbar seien. Für das Bestehender Vergleichbarkeit könnte sprechen,dass § 495 I analog auf den Schuldbeitritt anzuwendensei. 65 Dies ergebe sich aus der Vergleichbarkeitvon Verbraucherschuldbeitrittund Verbraucherdarlehensvertrag, wobeigleichzeitig vertreten wird, dass Schuldbeitrittund Bürgschaft vergleichbar seien. 66 DieVergleichbarkeit von Schuldbeitritt undBürgschaft ergebe sich insbesondere aus derenwirtschaftlicher Nähe, die diese Rechtsinstituteaustauschbar mache. Dies dürfe jedochaus Verbraucherschutzsicht nicht zu ihrerUngleichbehandlung führen. 67 Mehrnoch sei eine Gleichbehandlung konsequent,da andernfalls der Schuldbeitretende bessergeschützt sei als der Bürge, obwohl er vonsich aus die weitergehende Verpflichtungeingegangen sei. 68 Die Gleichbehandlungwird zwar mit dem Hinweis darauf bestritten,dass der Bürge generell im Gegensatzzum Schuldbeitretenden durch die Mechanismendes Bürgschaftsrechts wie die Formvorschriftdes § 766 sowie die Einredemöglichkeitender §§ 768, 770, 771 ausreichendgeschützt und zudem durch die akzessorischeHaftung des § 767 I gegenüber der gesamtschuldnerischenHaftung beim Schuld-Hilfsweise ist zu fragen, ob die Interessenlageder konkreten Norm – hier § 495 I – und derSachverhalt, auf den die Norm angewendet62 Sprau, in: Palandt, Kommentar zum BGB, 71. Aufl.,Einl. Rdnr. 55.63 BGBl. I S. 2355.64 Schürnbrand, in: Münchener Kommentar zum BGB,6. Aufl., § 491 Rdnr. 54 m. w. N.65 BGH, NJW 1996, 2156; BGH, NJW 2006, 431; Kulke,VuR 2007, 154.66 Schürnbrand, in: Münchener Kommentar zum BGB,6. Aufl., § 491 Rdnr. 57.67 Schürnbrand, <strong>Examen</strong>srepetitorium Verbraucherschutzrecht,§ 6 Rdnr. 123.68 Kessal-Wulf, in: Staudinger, Kommentar zum BGB,§ 491 Rdnr. 23; Huber/Bach, 3. Aufl., <strong>Examen</strong>srepetitoriumBesonderes Schuldrecht I, § 24 Rdnr. 705.489


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________beitritt privilegiert sei. 69 Dagegen spricht jedoch,dass dies mit den Schutzzwecken der§§ 491 ff. und damit auch § 495 I in keinerVerbindung steht, weshalb Schuldbeitrittund Bürgschaft vergleichbare Sicherungsmittelsind. 70 Daraus lässt sich aber nicht zwingenddie Anwendung von § 495 I auf die Verbraucherbürgschaftableiten, da dies auch gegendie Anwendung von § 495 I auf denSchuldbeitritt sprechen könnte.Gegen die Vergleichbarkeit der Interessenlagespricht indes der Vergleich von Bürgschaftund Darlehensvertrag. 71 Der Bürge ist durchdie nur akzessorische Haftung und die genanntenEinredemöglichkeiten geschützt,die dem Darlehensnehmer nicht zur Verfügungstehen. Der Bürge ist daher wenigerschutzwürdig. Damit fehlt es an einer vergleichbarenInteressenlage.Damit scheidet eine analoge Anwendung des§ 495 I auf die Verbraucherbürgschaft aus.cc) § 312 I Nr. 1und der Verbraucher zu dessen Abschluss ineiner Haustürsituation bestimmt wordensein.(1) EntgeltlichkeitEine Leistung ist entgeltlich, wenn ihr eineGegenleistung im Austauschverhältnis gegenübersteht.72 Problematisch ist, dass derBürgschaftsvertrag den Bürgen ausschließlicheinseitig verpflichtet. 73 Nach einer Ansichtscheitert das Haustürwiderrufsrecht bereitsan eben dieser fehlenden Entgeltlichkeitdes Bürgschaftsvertrages; 74 das Widerrufsrechtbestehe aber dann, wenn nicht nur dieBürgschaft ein Verbrauchergeschäft ist undin einer Haustürsituation zustande kam,sondern auch der zugrunde liegende Darlehensvertrag(so genannte doppelte Verbrauchereigenschaftund doppelte Haustürsituation75 ). 76 Da aber M den Darlehensvertrag alsUnternehmer abgeschlossen hat und zudemvon sich aus auf die A-Bank zuging, liegt wederein Verbrauchergeschäft noch eine Hau-In Betracht kommt weiter ein Widerrufsrechtnach § 312 I Nr. 1. Der Vertrag ist zwischenUnternehmer und Verbraucher geschlossenworden. Ferner muss der Vertrag eine entgeltlicheLeistung zum Gegenstand haben69 Kessal-Wulf, in: Staudinger, Kommentar zum BGB,§ 491 Rdnr. 23; Huber/Bach, 3. Aufl., <strong>Examen</strong>srepetitoriumBesonderes Schuldrecht I, § 24 Rdnr. 705.70 Schürnbrand, in: Münchener Kommentar zum BGB,6. Aufl., § 491 Rdnr. 57; Kessal-Wulf, in: Staudinger,Kommentar zum BGB, § 491 Rdnr. 23.71 Kessal-Wulf, in: Staudinger, Kommentar zum BGB,§ 491 Rdnr. 23.72 Masuch, in: Münchener Kommentar zum BGB,6. Aufl., § 312 Rdnr. 24; Thüsing, in: Staudinger,Kommentar zum BGB, Neubearb. 2012, § 312Rdnr. 19.73 Habersack, in: Münchener Kommentar zum BGB,6. Aufl., § 765 Rdnr. 2; Bülow, Kreditsicherheiten,8. Aufl., Rdnr. 863.74 BGH (IX. Senat), NJW 1991, 592 f.75 Schürnbrand, <strong>Examen</strong>srepetitorium Verbraucherschutzrecht,Rdnr. 77; Thüsing, in: Staudinger,Kommentar zum BGB, Neubearb. 2012, § 312Rdnr. 32.76 EuGH, NJW 1998, 1295 – Dietzinger; Thüsing, in:Staudinger, Kommentar zum BGB, Neubearb. 2012,§ 312 Rdnr. 32.490


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________stürsituation vor. Danach hätte F also keinWiderrufsrecht.Nach anderer Auffassung reicht es aus, dassder Vertrag den Verbraucher nur einseitig zueiner Leistung verpflichtet. 77 Dafür sprichtzum einen, dass das Widerrufsrecht des Bürgennicht davon abhängen kann, ob der zu sicherndeDarlehensvertrag ein VerbraucherundHaustürgeschäft darstellt. Schließlichsoll das Widerrufsrecht den Verbraucher-Bürgen davor schützen, ohne Vorbereitungüberraschend mit einem Vertragsangebotkonfrontiert zu werden. 78 Zum anderen seidas unionsrechtlich-autonome Begriffsverständnisder Entgeltlichkeit in § 312 I, der aufder Haustürwiderrufsrichtlinie beruht. Dieseenthält das Erfordernis der Entgeltlichkeitder Leistung nicht, so dass der Wortlaut des§ 312 I insoweit zu eng geraten ist. 79 Überzeugenderist letztere Ansicht auch aufgrundder teleologischen Erwägung der stärkerenSchutzbedürftigkeit eines Verbrauchers, derkeine Gegenleistung erhält. 80 Daher scheitert§ 312 I nicht am Fehlen der Entgeltlichkeit.77 Masuch, in: Münchener Kommentar zum BGB,6. Aufl., § 312 Rdnr. 25; Huber/Bach, <strong>Examen</strong>srepetitoriumVertragliche Schuldverhältnisse I, 3. Aufl.,Rdnr. 702.78 BGHZ 165, 363 (365 ff.).79 Masuch, in: Münchener Kommentar zum BGB,6. Aufl., § 312 Rdnr. 25; Thüsing, in: Staudinger,Kommentar zum BGB, § 312 Rdnr. 20.80 BGH, NJW 1993, 1594 (1595) (XI. Zivilsenat, obiterdictum), so auch EuGH, NJW 1998, 1295 – Dietzinger.(2) HaustürsituationDa F durch M bei sich zu Hause mit demBürgschaftsformular konfrontiert wurde,liegt eine Haustürsituation gemäß § 312 INr. 1 Alt. 2 vor.F müsste ferner zum Vertragsschluss bestimmtworden sein. Anerkannt war bereitsfrüher, dass der Unternehmer selbst nicht dieHaustürsituation herbeiführen musste, sondernauch Dritte für sich handeln lassenkonnte; eine Haustürsituation war dann ausgeschlossen,wenn zwischen dem Drittenund dem Verbraucher eine hinreichende Nähebeziehungbestand, der Dritte aber nichtgleichzeitig als Repräsentant des Unternehmersbei den Vertragsverhandlungen auftrat.81 Dagegen spricht jedoch zum einen derWortlaut von Art. 1 der Haustürwiderrufsrichtlinie,dem solch eine Einschränkungnicht zu entnehmen ist. Zum anderen würdeso auch dem Schutzzweck der Vorschriftnicht Rechnung getragen, der den Verbraucherdavor schützen soll, unvorbereitet durchdas Haustürgeschäft überrascht zu werden. 82Diese Sichtweise kann nach richtlinienkonformerAuslegung des § 312 durch den EuGHnicht mehr aufrechterhalten werden; alleinentscheidend ist danach das objektive Vorlie-81 So war etwa die Nähebeziehung zwischen dem Verbraucherund dem Dritten entscheidend und wurdebejaht, wenn ein naher Angehöriger den Verbraucherzum Vertragsschluss überredete (BGH, NJW1996, 191 (192)), nicht aber, wenn dieser in Funktioneines normalen Vertreters des Unternehmersgleichsam als beliebiger Dritter und nicht als naherAngehöriger auftrat (BGH, NJW 1996, 3414 (3415)).82 EuGH, NJW 2005, 3555 – Crailsheimer Volksbank.491


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________gen einer Haustürsituation. 83 Eine Haustürsituationist damit zwischen F und der A-Bank gegeben.(3) Kausalität der Haustürsituation fürden VertragsschlussJedoch müsste die Haustürsituation auch fürden Vertragsschluss ursächlich gewesen sein.Wegen der Anlehnung des Bestimmens an§ 123 I reicht es aus, dass der Vertrag ohne dieHaustürsituation nicht bzw. nicht so oder zudiesem Zeitpunkt abgeschlossen wordenwäre; 84 ein enge zeitlich-räumliche Verknüpfungvon Haustürsituation und Vertragsschlussist nicht erforderlich. 85 Aufgrund derUmstände kann allerdings die Haustürsituationderart in den Hintergrund gedrängt werden,dass die Kausalität für den Vertragsschlussausscheidet. 86M hat den F hier in der Haustürsituation indie Versuchung geführt, die Bürgschaft zuübernehmen. Dass sich F ein paar Tage Be-83 EuGH, NJW 2005, 3555 – Crailsheimer Volksbank; s.auch Masuch, in: Münchener Kommentar zumBGB, 6. Aufl., § 312 Rdnr. 32.84 BGH, NJW 2006, 497; BGH, WM 2003, 1370 (1372);Masuch, in: Münchener Kommentar zum BGB,6. Aufl., § 312 Rdnr. 33; Thüsing, in: Staudinger,Kommentar zum BGB, Neubearb. 2012, § 312Rdnr. 75 m. w. N.85 BGH, NJW 2009, 431 (432); BGH, NJW 2006, 497;BGH, WM 2003, 1370 (1372); Masuch, in: MünchenerKommentar zum BGB, 6. Aufl., § 312 Rdnr. 33;Thüsing, in: Staudinger, Kommentar zum BGB,Neubearb. 2012, § 312 Rdnr. 77.86 BGH, NJW 2009, 431 (432); BGH, NJW 2006, 497;BGH, WM 2003, 1370 (1372); OLG Brandenburg,WM 2006, 2168 (2169); Grüneberg, in: Palandt,Kommentar zum BGB, 71. Aufl., § 312 Rdnr. 13.denkzeit ausbedungen hat, würde an sichden zeitlichen Zusammenhang nicht zerstören.Jedoch hatte sich F hier zusätzlich anwaltlichenRat eingeholt. Dies verbunden mitder Tatsache, dass er sich selbst gegenüberseinem Freund M hinsichtlich der Bürgschaftals nicht von vornherein unkritisch erwies,zeigt, dass er nicht wie ein typischer Verbraucherüberrumpelt wurde und seine Entscheidungdamit bewusst fällte. Damit ist dieHaustürsituation nicht kausal für den Vertragsschluss.Mithin hat F kein Widerrufsrechtaus § 312 I Nr. 1.d) Der Widerruf ist nicht wirksam.3. ErgebnisF hat keinen Anspruch gegen die A-Bank aufRückzahlung der 90.000 Euro aus §§ 357 I 1,346 I 1.II. § 280 I gegen die A-Bank auf Rückzahlungder 90.000 EuroF könnte gegen die A-Bank einen Anspruchauf Rückzahlung der 90.000 Euro aus § 280 Ihaben.1. SchuldverhältnisEin Schuldverhältnis ist mit dem Bürgschaftsvertraggegeben.2. PflichtverletzungFerner müsste eine Pflichtverletzung vorliegen.Dies könnte der Fall sein, wenn die A-492


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Bank den Bürgen F vertragswidrig zu frühzur Zahlung aufgefordert hat, noch bevor siedie Zwangsvollstreckung in das Vermögendes Hauptschuldners betrieb. Unabhängigdavon, ob dies als Pflichtverletzung gesehenwerden kann – immerhin hätte der Bürgegrundsätzlich die Einrede der Vorausklage(§ 771 S. 1) zur Verfügung –, war die Bürgschafthier selbstschuldnerisch, so dass einRückgriff auf den Bürgen jederzeit möglichwar. Eine Pflichtverletzung liegt hier also jedenfallsnicht vor.3. ErgebnisF kann nicht aus § 280 I Zahlung von90.000 Euro von der A-Bank verlangen.III. Anspruch aus § 812 I 1 Alt. 1 auf Rückzahlungder 90.000 Euro1. Etwas erlangtDie A-Bank hat 90.000 Euro erlangt.2. Durch Leistung des FDies geschah durch bewusste und zweckgerichteteMehrung fremden Vermögens, 87nämlich das der A-Bank, somit durch Leistungdes F, der seine Bürgschaftsverbindlichkeiterfüllen wollte.3. Ohne rechtlichen GrundDer rechtliche Grund bestand in dem wirksamenBürgschaftsvertrag.4. ErgebnisF kann nicht aus § 812 I 1 Alt. 1 Rückzahlungder 90.000 Euro von der A-Bank verlangen.F. Regressmöglichkeiten des FI. §§ 774 I 1 i. V. m. 488 I 1 gegen Z auf Zahlungvon 90.000 Euro1. AnspruchsgegnerZ ist als Erbin des M Anspruchsgegnerin.2. Anspruch entstandenA-Bank und M haben einen Darlehensvertraggeschlossen und die A-Bank hat das Darlehenausbezahlt. Der Anspruch ist mithinentstanden.3. Anspruch auf F übergegangenDer Anspruch der A-Bank gegen Z ist infolgeder Tilgung der Bürgschaftsforderung der A-Bank durch F im Wege der Legalzession nach§ 774 I Nr. 1 auf F übergegangen. Einwendungenund Einreden sind nicht ersichtlich. Insbesondereist der Anspruch auch fällig.87 St. Rspr., s. nur BGHZ 58, 184, 188; s. ferner Schwab,in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl.,§ 812 Rdnr. 41; Lorenz, in: Staudinger, Kommentarzum BGB, Neubearb. 2007, § 812 Rdnr. 4.493


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________4. ErgebnisF hat gegen Z Anspruch auf Zahlung von90.000 Euro aus §§ 774 I 1, 488 I 2.II. Anspruch des F gegen die A-Bank ausBürgschaftsvertrag i. V. m. § 426 I aufÜbertragung der Grundschuld amGrundstück des X i. H. v. 90.000 Euro1. Sicherungsabrede als AnspruchsgrundlageZunächst ist die Anspruchsgrundlage zu bestimmen.Auch wenn dies nicht explizit imBürgschaftsvertrag geregelt ist, ist diesem diePflicht des Gläubigers, vorliegend der A-Bank, zu entnehmen, bei Befriedigung demBürgen die Möglichkeit zu geben, seine Regressforderunggegen den Hauptschuldnermithilfe der dem Gläubiger eingeräumten Sicherheitzu sichern. 88 Damit ist die Pflichtdes Gläubigers verbunden, nach Zahlung dieGrundschuld in Höhe der gezahlten Bürgenverbindlichkeitan den Bürgen abzutreten.Die richtige Anspruchsgrundlage ist daherdie Sicherungsabrede des Bürgschaftsvertrags.2. AnspruchsumfangDurch die Zahlung ist die Verpflichtung derA-Bank zur Übertragung der Grundschuld inHöhe von 90.000 Euro entstanden.88 BGH, NJW-RR 1994, 847; Eickmann, in: MünchenerKommentar zum BGB, 6. Aufl., § 1191 Rdnr. 123.Fraglich ist jedoch, ob dieses Ergebnis korrekturbedürftigist. Denn letztlich könntesich dann F als Bürge auf Kosten des anderenSicherungsgebers X vollständig schadlos halten,obwohl er selbst ebenso wie der andereSicherungsgeber X eine Sicherheit auf sichgenommen hat, F lediglich zufällig schnellergezahlt hat.Würde dies akzeptiert, würde ein unangemessener„Wettlauf der Sicherungsgeber“ 89entstehen. Hätte nämlich X vor F gezahlt,hätte X gegen die A-Bank einen Anspruch ausSicherungsvertrag auf Abtretung der Darlehensforderungder A-Bank gegen Z gehabt;bei Erfüllung dieses Anspruchs wäre auch dieBürgschaft als akzessorisches Sicherungsrechtgemäß §§ 412, 401 ebenfalls auf X übergegangen.Dass nun auf Zufall beruhen soll,welcher Sicherungsgeber schadlos bleibt undwer vollumfänglich zahlen muss, ist unangemessen.Nach einer Ansicht soll der Bürge bevorzugtwerden, da er als persönlicher Schuldner mitseinem ganzen Vermögen einzustehen habe,wohingegen der Eigentümer des belastetenGrundstücks nur bis zu dessen Höchstwertgrenzehafte; der Bürge übernimmt damit dashöhere Risiko. 90 Diese höhere Schutzbedürftigkeitkommt auch in §§ 768, 776 zum Ausdruck.91 F würde somit einen Anspruch auf89 Baur/Stürner, Sachenrecht, 18. Aufl., § 38 Rdnr. 102;Huber/Bach, <strong>Examen</strong>srepetitorium BesonderesSchuldrecht I, § 24 Rdnr. 735.90 Tiedtke, BB 1984, 19 (20).91 Tiedtke, BB 1984, 19 (20).494


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Übertragung der Grundschuld i. H. v.90.000 Euro erhalten.Dagegen wird angeführt, dass der Verlust desGrundstücks ebenso schwer wiegen könnewie die persönliche Haftung. Bürge und Eigentümerseien damit gleich schutzwürdig,dazu Bürgschaft und Grundschuld gleichstufigeSicherungsmittel, 92 was eine Aufteilungnach dem Rechtsgedanken des § 426 rechtfertige.93 Die Anteile sind also nach den Anteilender Haftung, zu denen sich die Sicherungsgeberbereit erklärt hatten, zu berechnen.94 Diese vorzugswürde Ansicht wirktsich hier wie folgt aus: Sowohl F als auch Xwollten i. H. v. 90.000 Euro einstehen, alsoim Verhältnis 1 zu 1. Umgelegt auf den Betragvon 90.000 Euro folgt daraus, dass sich F beiX lediglich i. H. d. Hälfte, also i. H. v.45.000 Euro schadlos halten kann.3. ErgebnisF hat gegen die A-Bank Anspruch auf Übertragungeiner Grundschuld am Grundstückdes X i. H. v. 45.000 Euro.Inhaltsverzeichnis92 BGH, MittBayNot 1993, 9; vgl. dazu auch BGH,NJW-RR 1991, 682 (683); BGH, NJW 1992, 3228;BGH, NJW 2001, 2327 (2330); BGH, NJW 2009, 437;Looschelders, in: Staudinger, Kommentar zum BGB,Neubearb. 2012, § 426 Rdnr. 271.93 BGH, NJW 2002, 1491; Vieweg/Werner, § 15 Rdnr. 65(zwar zur Hypothek, doch sind die Argumente aufdie Grundschuld übertragbar; die Konstellationkann auch bei der Grundschuld – wie gesehen –auftreten; die Argumente sind kein Ausdruck derAkzessorietät der Hypothek).94 BGH, NJW 2009, 437 f.495


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Unterlassungsanspruch gegenAutokomplettierung vonSuchanfragenBGH, Urteil vom 14.05.2013 –Az. VI ZR 269/12, NJW 2013, 2348 ff.1. Nimmt ein Betroffener den Betreibereiner Internet-Suchmaschine mit Suchwortergänzungsfunktionauf Unterlassungder Ergänzung persönlichkeitsrechtsverletzenderBegriffe bei Eingabedes Namens des Betroffenen in Anspruch,setzt die Haftung des Betreibersdie Verletzung zumutbarer Prüfpflichtenvoraus.2. Der Betreiber ist grundsätzlich erstverantwortlich, wenn er Kenntnis von derrechtswidrigen Verletzung des Persönlichkeitsrechtserlangt.3. Weist ein Betroffener den Betreiber aufeine rechtswidrige Verletzung seines Persönlichkeitsrechtshin, ist der Betreiberverpflichtet, zukünftig derartige Verletzungenzu verhindern.Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt):G betreibt eine Internet-Suchmaschine. SeitApril 2009 hat G eine automatische Komplettierungsfunktion(„autocomplete“) inihre Suchmaschine integriert, mit deren Hilfedem Internetnutzer während der Eingabeseiner Suchbegriffe variierend mit der Reihenfolgeder eingegebenen Buchstaben in einemsich daraufhin öffnenden Fenster automatischverschiedene Suchvorschläge angezeigtwerden. Die im Rahmen dieser Suchergänzungsfunktionangezeigten Suchvorschlägewerden auf der Basis eines Algorithmusermittelt, der unter anderem die Anzahlder von anderen Nutzern eingegebenenSuchanfragen einbezieht. Weiteren Einflussauf die Suchvorschläge übt G nicht aus.K stellte bei der Eingabe seines Namens fest,dass die automatische Komplettierungsfunktionbei der Eingabe seines vollständigen Namensdie Vorschläge „K Scientology“ und „KBetrug“ vorschlägt. In keinem der anschließendangezeigten Suchergebnisse war eineVerbindung von K zu Scientology oder einembetrügerischen Verhalten ersichtlich. Auchgab es nie entsprechende Ermittlungen gegenK. Er sieht sein Persönlichkeitsrecht verletztund nimmt G auf Unterlassung in Anspruch.Hat K gegen G einen Anspruch auf Unterlassungder entsprechenden Kombinationenmit seinem Namen?Falllösung:I. Anspruch des K gegen G gemäߧ§ 1004 I, 823 I BGB analogK könnte gegen G ein Anspruch gemäߧ§ 1004 I, 823 I BGB analog zustehen. § 1004BGB findet unmittelbar nur auf eine Verlet-497


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________zung des Eigentums Anwendung. Die analogeAnwendung auf die in § 823 I BGB genanntenund weitere absolute Rechte ist unumstritten.Als Begründung lässt sich anführen,dass es nicht sein kann, dass bei der Verletzungvon sonstigen absoluten Rechtenzwar nachträglich Schadensersatz gemäߧ 823 I BGB begehrt werden kann, ein präventiverUnterlassungsanspruch aber nichtbesteht. Eine analoge Anwendung ist deshalbzu bejahen.1. Verletzung des allgemeinen PersönlichkeitsrechtsVoraussetzung ist, dass G ein absolutes Rechtdes K verletzt hat. In Betracht kommt vorliegenddas allgemeine Persönlichkeitsrecht,das sich aus Art. 1, 2 GG ableiten lässt. Esmüsste also ein Eingriff in das Persönlichkeitsrechtvorliegen.„Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtsbeinhalten die Suchwortergänzungsvorschläge‚Scientology‘ und ‚Betrug‘ bei Eingabedes Vor- und Zunamens des Klägers zu 2[hier K] in die Internet-Suchmaschine der Beklagteneine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechtsder Kläger, da ihnen ein verletzenderAussagegehalt innewohnt.Der mit dem Begriff ‚Scientology‘ in Verbindungmit dem Namen einer real existierendenPerson zum Ausdruck gebrachte Sinngehaltlässt sich – wie schon das Berufungsgericht inBetracht gezogen hat – hinreichend dahinspezifizieren, dass zwischen dieser Sekte, zuder im Verkehr nicht zuletzt durch eine vorangegangeneMedienberichterstattung konkreteVorstellungen existieren, und der namentlicherwähnten Person eine Verbindungbesteht. Diese Verbindung ist geeignet, eineaus sich heraus aussagekräftige Vorstellunghervorzurufen.Dem Berufungsgericht kann nicht gefolgtwerden, soweit es dem Begriff des Betrugseine inhaltliche Aussagekraft mit der Begründungabsprechen will, dass mit diesem Begriffein vielfältiges, unspezifisches Bedeutungsspektrumverbunden sei. Maßgeblich für dieDeutung einer Äußerung ist die Ermittlungihres objektiven Sinns aus Sicht eines unvoreingenommenenund verständigen Publikums[…]. Zwar mag es zutreffen, dass von einemdurchschnittlichen Internetnutzer unter ‚Betrug‘nicht die Verwirklichung eines rechtlichpräzise bestimmten Straftatbestandes verstandenwerden muss. Jedoch verbindet derDurchschnittsleser mit der Verwendung diesesBegriffes zumindest ein sittlich vorwerfbaresÜbervorteilen eines anderen und verleihtihm damit einen hinreichend konkretenAussagegehalt […].“Problematisch ist hier vor allem, ob in denergänzenden Suchvorschlägen überhaupteine eigene Aussage der G zu sehen ist oderob man nur von der Weitergabe einer Informationausgehen muss. In Betracht kämeetwa, dass man den Suchvorschlägen nur dieBedeutung beimisst, dass bereits vorher an-498


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________dere Benutzer nach diesen Begriffspaaren gesuchthaben.„Das Berufungsgericht hat den von der Suchmaschineder Beklagten angezeigten Ergänzungssuchvorschlägenlediglich die Aussageentnommen, dass andere vorherige Nutzerdie gewählten Begriffskombinationen zur Rechercheeingegeben haben oder dass sich dieErgänzungssuchbegriffe in verlinkten Drittinhaltenauffinden lassen […]. Dem vermag derSenat nicht beizutreten.Der mittels der Suchmaschine der Beklagtennach Informationen forschende Internetnutzererwartet von den ihm nach der Eingabedes Suchbegriffs angezeigten ergänzendenSuchvorschlägen durchaus einen inhaltlichenBezug zu dem von ihm verwandten Suchbegriff,hält ihn jedenfalls für möglich. Aus dem‚Ozean von Daten‘ werden dem suchenden Internetnutzervon der Suchmaschine der Beklagtennicht x-beliebige ergänzende Suchvorschlägepräsentiert, die nur zufällig ‚Treffer‘liefern. Die Suchmaschine ist, um für Internetnutzermöglichst attraktiv zu sein – und damitden gewerblichen Kunden der Beklagtenein möglichst großes Publikum zu eröffnen –auf inhaltlich weiterführende ergänzendeSuchvorschläge angelegt. Das algorithmusgesteuerteSuchprogramm bezieht die schon gestelltenSuchanfragen ein und präsentiertdem Internetnutzer als Ergänzungsvorschlägedie Wortkombinationen, die zu dem fraglichenSuchbegriff am häufigsten eingegebenworden waren. Das geschieht in der – in derPraxis oft bestätigten – Erwartung, dass diemit dem Suchbegriff bereits verwandtenWortkombinationen – je häufiger desto eher– dem aktuell suchenden Internetnutzer hilfreichsein können, weil die zum Suchbegriffergänzend angezeigten Wortkombinationeninhaltliche Bezüge widerspiegeln. Diese Erwartunghat das Berufungsgericht bei der Bestimmungdes Aussagegehalts der von derSuchmaschine der Beklagten angezeigten Ergänzungssuchvorschlägenicht berücksichtigt.Sie führt im Streitfall dazu, dass den beiEingabe von Vor- und Zuname des Klägers zu2 ‚automatisch‘ angezeigten Ergänzungssuchvorschlägen‚[K] scientology‘ und ‚[K] betrug‘die Aussage zu entnehmen ist, zwischen demKläger zu 2 und den – negativ konnotierten –Begriffen ‚Scientology‘ und/oder ‚Betrug‘ besteheein sachlicher Zusammenhang.Diese Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechtsder Kläger ist der Beklagten auch unmittelbarzuzurechnen. Sie hat mit dem vonihr geschaffenen Computerprogramm dasNutzerverhalten ausgewertet und den Benutzernder Suchmaschine die entsprechendenVorschläge unterbreitet. Die Verknüpfungender Begriffe werden von der Suchmaschine derBeklagten und nicht von einem Dritten hergestellt.Sie werden von der Beklagten im Netzzum Abruf bereitgehalten und stammen deshalbunmittelbar von ihr.“Ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrechtdes K liegt also vor.499


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________2. Rechtswidrigkeit des EingriffsDie Rechtswidrigkeit des Eingriffs ist sowohlbei § 823 I BGB als auch bei § 1004 I BGB indiziert,d. h. die Rechtsgutsverletzung istgrundsätzlich rechtswidrig, es sei denn, esgreifen Rechtfertigungsgründe ein. Bei denso genannten Rahmenrechten, zu denen dasallgemeine Persönlichkeitsrecht zählt, mussdie Rechtswidrigkeit jedoch positiv festgestelltwerden, indem die grundrechtlichenBelange der Parteien gegeneinander abgewogenwerden.„Es bedarf aber wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechtsals eines Rahmenrechts einerAbwägung der widerstreitenden grundrechtlichgeschützten Belange, bei der die besonderenUmstände des Einzelfalles sowie diebetroffenen Grundrechte und Gewährleistungender Europäischen Menschenrechtskonventioninterpretationsleitend zu berücksichtigensind […]. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrechtist nur dann rechtswidrig, wenndas Schutzinteresse des Betroffenen dieschutzwürdigen Belange der anderen Seiteüberwiegt […].Danach sind das Interesse der Kläger amSchutz ihrer Persönlichkeitsrechte einerseitsund die durch Art. 2, 5 Abs. 1 und 14 GG geschütztenInteressen der Beklagten [hier: G]auf Meinungs- und wirtschaftliche Handlungsfreiheitandererseits abzuwägen. Dabeiist zu berücksichtigen, dass die Beklagte dieSuchmaschinenfunktion zwar in ihrem eigenengeschäftlichen Interesse in der beschriebenenWeise betreibt, um Nutzer wegen derEffektivität der Suche an sich zu binden.Doch ziehen die Nutzer ihrerseits daraus denVorteil einer begriffsorientierten Suche nachDaten und Informationen. […] Auf Seiten derKläger ist für die Abwägung entscheidend,dass die verknüpften Begriffe einen unwahrenAussagegehalt haben, weil der Kläger zu 2 –wovon nach dem Vortrag der Kläger revisionsrechtlichauszugehen ist – weder in Verbindungmit einem Betrug gebracht werdenkann noch Scientology angehört oder auchnur nahe steht. Äußerungen von unwahrenTatsachen müssen nicht hingenommen werden[…].“3. Rechtsfolge / Einschränkung der HaftungGrundsätzlich sieht § 1004 I BGB als Rechtsfolgeein Unterlassen vor. Bei der Weiterverbreitungvon Informationen Dritter schränktder BGH jedoch das Unterlassen dahingehendein, dass der Anspruch nur geltend gemachtwerden kann, wenn der Betroffeneden Störer über die Rechtsverletzung informierthat. Andernfalls würde dies zu eineruferlosen Prüfpflicht führen, was das Betreibeneiner Internetsuchmaschine unmöglichmachen würde.„Voraussetzung einer Haftung des Betreiberseiner Suchmaschine mit entsprechenderHilfsfunktion ist daher ebenso wie bei derHaftung eines Hostproviders wegen der Ver-500


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________breitung einer in einem Blog enthaltenen Äußerungeines Dritten […] eine Verletzung vonPrüfungspflichten. Deren Bestehen wie derenUmfang richtet sich im Einzelfall nach einerAbwägung aller betroffenen Interessen undrelevanten rechtlichen Wertungen. ÜberspannteAnforderungen dürfen im Hinblickdarauf, dass es sich um eine erlaubte Teilnahmeam geschäftlichen Verkehr handelt, nichtgestellt werden. Entsprechend den zur Störerhaftungentwickelten Grundsätzen kommt esentscheidend darauf an, ob und inwieweitdem in Anspruch Genommenen nach denUmständen eine Prüfung zuzumuten ist […].Der Betreiber einer Suchmaschine ist danachgrundsätzlich nicht verpflichtet, die durcheine Software generierten Suchergänzungsvorschlägegenerell vorab auf etwaige Rechtsverletzungenzu überprüfen. Dies würde denBetrieb einer Suchmaschine mit einer derschnellen Recherche der Nutzer dienendenSuchergänzungsfunktion wenn nicht gar unmöglichmachen, so doch unzumutbar erschweren.Eine entsprechende präventive Filterfunktionkann zwar für bestimmte Bereiche,wie etwa Kinderpornographie, erforderlichund realisierbar sein, sie vermag jedochnicht allen denkbaren Fällen einer Persönlichkeitsrechtsverletzungvorzubeugen. Den Betreibereiner Internet-Suchmaschine trifftdeshalb grundsätzlich erst dann eine Prüfungspflicht,wenn er Kenntnis von derRechtsverletzung erlangt. Weist ein Betroffenerden Betreiber einer Internet-Suchmaschineauf eine rechtswidrige Verletzung seinesPersönlichkeitsrechts hin, ist der Betreiberder Suchmaschine verpflichtet, zukünftig derartigeVerletzungen zu verhindern […].“ErgebnisDamit hat K gegen G einen Anspruch aus§§ 1004 I, 823 I BGB analog auf Unterlassung,dass sein Name im Rahmen mit der Autokomplettierungsfunktionin Verbindung mitden Begriffen „Scientology“ und „Betrug“ gebrachtwird. Dieser Anspruch besteht jedocherst ab dem Zeitpunkt, in dem G auf die Persönlichkeitsrechtsverletzunghingewiesenwurde.Hinweise:Die Details dieser Entscheidung sind sicherlichnicht examensrelevant, da es sich umeine Spezialmaterie des Internetrechts handelt,die von Prüfungsteilnehmern nicht erwartetwerden kann, allein deshalb, weil dieEntscheidung in ungekürzter Version auchAusführungen zum Telemediengesetz enthält,das nicht Prüfungsgegenstand ist. Unterlassungsansprüchegemäß §§ 1004 I, 823 IBGB analog in Verbindung mit dem allgemeinenPersönlichkeitsrecht oder sonstigenGrundrechten können jedoch immer wiederzum Gegenstand von Klausuren gemachtwerden.Wichtig hierbei ist, dass man die Eckpunkteder Rechtsprechung kennt. Die analoge Anwendungdes § 1004 BGB auf sonstige absoluteRechte sollte ebenso bekannt sein wie501


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________die Ausnahme, dass bei Rahmenrechten dieRechtswidrigkeit nicht indiziert ist, sondernpositiv mittels einer Abwägungsentscheidungfestgestellt werden muss. Hierbei istvon Bedeutung, die beiden widerstreitendenGrundrechtspositionen herauszuarbeitenund alle im Sachverhalt vorhandenen Informationenbei der Abwägung zu verwenden.In der Sache ist die Entscheidung zu kritisieren.Der BGH verkennt den Aussagegehaltder angegriffenen Informationen. Zutreffendstellt er auf ein unvoreingenommenes undverständiges Publikum der Suchmaschine ab.Verständige Benutzer wissen aber, dass essich bei den Suchvorschlägen nicht um Vorschlägemit Informationsgehalt handelt, sonderndass diese allein auf der Häufigkeit derverwendeten Suchbegriffe basieren. Es wirdalso keine Aussage über die Verbindung vonK und Scientology oder Betrug getroffen,sondern allein eine Aussage darüber, dassviele Benutzer diese Suchbegriffe zusammenverwendet haben. Diese Aussage ist aber,geht man von einem funktionierenden Algorithmusaus, zutreffend.(Dr. Julius Forschner)Inhaltsverzeichnis502


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Winterräumdienst alsWerkvertrag und AGBBGH, Versäumnisurteil vom 06.06.2013 –Az. VII ZR 355/12, NJW 2013, 3022 ff.1. Verpflichtet sich der Unternehmer,eine bestimmte Fläche von Schnee- undEisglätte freizuhalten, ist Werkvertragsrechtanwendbar.2. Eine solche Leistung ist grundsätzlichnicht abnahmebedürftig, so dass es gerechtfertigtist, das Mängelrecht der§§ 634 ff. BGB anzuwenden, wenn der Unternehmerdie Leistung in Erfüllung seinergesamten Verbindlichkeit erbrachthat.3. Eine Formularbestimmung, wonachder Vertragspartner des Verwenders diesemeine Frist zur Nacherfüllung setzenmuss, auch wenn eine Fristsetzung gemäߧ 323 Abs. 2, § 326 Abs. 5, § 636 BGBentbehrlich ist, benachteiligt den Vertragspartnerdes Verwenders entgegenden Geboten von Treu und Glauben unangemessen,weil sie von wesentlichenGrundgedanken der gesetzlichen Regelungabweicht.(amtliche Leitsätze)Sachverhalt (vereinfacht und leicht abgewandelt):K und B schlossen am 21.02.2012 einen „ReinigungsvertragWinterdienst“, in dem sich Kverpflichtet, den Gehsteig, den Hofeingangund die Wege auf dem Grundstück des B vonSchnee freizuhalten. Hierzu enthielt der Vertragfolgende Bestimmung:„Der Auftragnehmer übernimmt die öffentlich-rechtlicheVerpflichtung während deswinterlichen Reinigungszeitraumes vom1. November bis zum 30. April, … die vertraglichvereinbarten Reinigungsflächen … gemäßden Pflichten des Straßenreinigungsgesetzesdes jeweiligen Bundeslandes bzw. derjeweiligen kommunalen Satzung vonSchnee- und Eisglätte freizuhalten und beiWinterglätte mit abstumpfenden Stoffen zubestreuen … .“Als Entgelt wurde ein Pauschalbetrag proSaison vereinbart. Die von K verwendetenund für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliertenVertragsbedingungen enthielten in§ 14 folgende weitere Vereinbarung:„Die Gewährleistungsansprüche der Auftraggeberwerden dahingehend beschränkt, dasssie zunächst nur Nachbesserung verlangenkönnen. Lediglich im Fall des wiederholtenFehlschlagens der Nachbesserung kann derAuftraggeber nach seiner Wahl Herabsetzungder Vergütung oder Rückgängigmachungdes Vertrages verlangen.“503


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________In der Wintersaison 2012/2013 reinigte der Kdie Flächen des B nur an etwa der Hälfte derTage, an denen es erforderlich gewesen wäre.K verlangte von B Zahlung von 800 Euro. Bzahlte lediglich 400 Euro und beruft sich darauf,dass die Schneeräumarbeiten nicht ordnungsgemäßdurchgeführt worden seien.Kann K von B weitere 400 Euro verlangen?Falllösung:I. Anspruch des K gegen B auf Zahlungvon 400 Euro gemäß § 631 I Var. 2 BGBVoraussetzung für einen Anspruch auf Zahlungder Vergütung gemäß § 631 I Var. 2 BGBist, dass zwischen K und B ein Werkvertragzustande gekommen ist. Der Vertragsschlussals solcher ist unproblematisch. Fraglich istjedoch, ob es sich bei dem abgeschlossenen„Reinigungsvertrag Winterdienst“ um einenWerkvertrag handelt.1. Einordnung des Vertrags als WerkvertragIn Betracht kommt hier sowohl eine Einordnungals Werkvertrag (§§ 631 ff. BGB) alsauch als Dienstvertrag (§§ 611 ff. BGB). DerBGH geht von einem Werkvertrag aus:„Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichtshaben die Parteien einen Werkvertraggeschlossen. Gemäß § 631 Abs. 2 BGB kannGegenstand eines Werkvertrages auch eindurch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführenderErfolg sein. Für die Abgrenzungvon Dienst- und Werkvertrag ist der im Vertragzum Ausdruck kommende Wille der Parteienmaßgebend. Es kommt darauf an, obeine Dienstleistung als solche oder als Arbeitsergebnisderen Erfolg geschuldet wird[…].Die Klägerin [hier: K] schuldete einen Erfolg.Nach der getroffenen Vereinbarung hatte sie –unter Übernahme der Pflichten des Straßenreinigungsgesetzes– die vereinbarten Flächenvon Schnee- und Eisglätte „freizuhalten“. DieKlägerin schuldete danach ein bestimmtesArbeitsergebnis. Es kam den Vertragsparteiendarauf an, dass die vereinbarten Flächen inder Wintersaison gefahrlos benutzt werdenkonnten. Vertragsgegenstand war, wie die Revisionzutreffend ausführt, die erfolgreicheBekämpfung von Schnee- und Eisglätte.Das Berufungsgericht hat als entscheidendangesehen, dass die Klägerin auch die Verkehrssicherungspflichtdes Beklagten [hier: B]übernommen hat. Um dem nachzukommen,so hat das Berufungsgericht gemeint, schuldedie Klägerin vor allem die Überwachung derWetterlage und vereinbarten Fläche, so dassder Vertrag überwiegend dienstvertraglichenCharakter habe […]. Das ist nicht richtig. DieÜbernahme der Verkehrssicherungspflichtändert nichts an der Rechtsnatur des Vertrages.Diese wird maßgeblich durch den Werkerfolggeprägt, der darin besteht, dass dieGefahrenquelle beseitigt wird […]. Wetterbeobachtungenund -prognosen dienen lediglich504


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________dazu, den Zeitpunkt zu bestimmen, zu demein Winterdienst notwendig ist.Das Berufungsgericht hat weiter gemeint, esspreche gegen einen Werkvertrag, dass eineVergütung auch dann geschuldet sein solle,wenn witterungsbedingt kein Winterdienstnotwendig wird. Das überzeugt nicht. EinWerkvertrag liegt auch dann vor, wenn dieLeistung des Unternehmers nur unter bestimmtenUmständen zu erbringen ist. DerEinordnung eines sogenannten Winterdienstvertragesals Werkvertrag steht auch nichtentgegen, dass der Auftraggeber ein pauschales,nach Zeitabschnitten bemessenes Entgeltzu entrichten hat […]. Ebenso wenig ist entscheidend,dass der Vertrag auf eine bestimmteZeitdauer angelegt ist und somit Züge einesDauerschuldverhältnisses aufweist. Angesichtsdes auf einen Erfolg bezogenen Vertragszweckskommt diesen Umständen keinentscheidendes Gewicht zu […].“Somit liegt ein Werkvertrag vor.2. Minderung gemäß §§ 634 Nr. 3, 638BGBa) Anwendbarkeit des SachmängelrechtsVereinbart war ursprünglich eine Vergütungvon 800 Euro. Die Vergütung könnte sich jedochdurch Minderung auf 400 Euro gemäߧ§ 634 Nr. 3, 638 BGB reduziert haben. Hierfürmüsste das werkvertragliche Sachmängelgewährleistungsrechtüberhaupt anwendbarsein. Das ist in Abgrenzung zum allgemeinenLeistungsstörungsrecht der Fall, wenn derGefahrübergang stattgefunden hat. Zwar bestimmt§ 633 BGB für die Anwendbarkeit imGegensatz zu § 434 BGB keinen Zeitpunktfür das Eingreifen des Gewährleistungsrechts.Es besteht jedoch Einigkeit dahingehend,dass bis zum Gefahrübergang der Primärleistungsanspruchaus § 631 I BGB fortbestehtund erst nach Gefahrübergang dasGewährleistungsrecht zur Anwendungkommt. Hierzu der BGH:„Im Grundsatz markiert die Abnahme desWerkes den maßgebenden Zeitpunkt, vondem an die Mängelrechte des Bestellers eingreifen.Der Senat muss nicht entscheiden, obdem Besteller bereits vor der Abnahme Mängelrechtegemäß § 634 BGB […] zustehen […].Eine Abnahme des von der Klägerin geschuldetenWinterdienstes scheidet seiner Naturnach aus, vgl. auch § 646 BGB. Sinn undZweck des Winterdienstvertrages ist es, dassder Auftragnehmer den Winterdienst versieht,ohne dass der Auftraggeber jedes Einsatzergebnisbilligen soll. Der Auftraggebersoll gerade davon freigestellt werden, seinerseitsdie Witterung im Blick zu behalten undbei Schneefall bzw. Eisglätte am Ort der Winterdienstleistungzu erscheinen. Auch zumEnde der vereinbarten Wintersaison (30. Aprildes Jahres) ist das Werk nicht mehr abnahmebedürftig.An einer Abnahme zu diesemZeitpunkt besteht für den Auftraggeber keinInteresse mehr. Denn er kann die Leistungnicht mehr mit dem Ziel als nicht vertragsge-505


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________recht zurückweisen, dass eine ordnungsgemäßeErfüllung nachgeholt wird.In den Fällen, in denen die Abnahme nach derNatur der Sache ausgeschlossen ist und derUnternehmer die Leistung in Erfüllung seinergesamten Verbindlichkeit erbracht hat, ist esgerechtfertigt, das Mängelrecht der §§ 634 ff.BGB anzuwenden, wenn die Leistung unvollständigist […].“Somit findet das werkvertragliche GewährleistungsrechtAnwendung.b) Voraussetzungen der MinderungVoraussetzung für die Minderung ist weiterhin,dass ein Sachmangel vorliegt, die Minderunggegenüber dem Werkunternehmer erklärtwurde, § 638 I 1 BGB, und dass dieRücktrittsvoraussetzungen vorliegen („stattzurückzutreten“). Der Rücktritt setzt insbesonderegemäß § 323 I BGB voraus, dass zunächsteine Frist gesetzt wurde.aa) Sachmangel, § 633 BGBDie Leistung wurde unvollständig, namentlichnur an der Hälfte der erforderlichen Tageerbracht. Damit liegt ein Fall des § 633 II 3BGB vor, nach dem die Herstellung des Werkesin zu geringer Menge einem Sachmangelgleich steht.bb) Erklärung der MinderungB hat lediglich 400 Euro gezahlt und sichgleichzeitig darauf berufen, dass die Schneeräumungvon K unvollständig durchgeführtwurde. Hierin liegt eine konkludente Erklärungder Minderung.cc) Fristsetzung, § 323 I BGBFraglich ist jedoch, ob B zunächst hätte eineFrist zur Nacherfüllung gemäß § 323 I BGBhätte setzen müssen. Diese Fristsetzungkönnte vorliegend gemäß § 323 Abs. 2 Nr. 3BGB entbehrlich sein. Der BGH kommt zudem Ergebnis, dass dies der Fall ist:„Eine Fristsetzung zur Nacherfüllung wegenunzureichender Schnee- oder Glättebeseitigungwar hier jedoch, worauf die Revision zuRecht hinweist, gemäß § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGBunter Abwägung der beiderseitigen Interessender Vertragsparteien aufgrund besondererUmstände entbehrlich. […] Für die Auftraggeberder Klägerin steht im Vordergrund, dasssie bei Bedarf unverzüglich tätig wird. Angesichtsdes mit einer Nachfristsetzung notwendigerweiseverbundenen Zeitverlusts ist esdem Auftraggeber nicht zuzumuten, der Klägerinzunächst eine – wenn auch kurze Nachfrist– zu setzen, weil in diesem Zeitraumnicht hinnehmbare Gefahren für die Gesundheitvon Anwohnern, Besuchern und anderenVerkehrsteilnehmern entstehen können.“Etwas anderes könnte sich jedoch aus § 14der Allgemeinen Geschäftsbedingungen des506


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________K ergeben. Hiernach ist der B verpflichtet,auch in den Fällen eine Nachfrist zu setzen,in denen diese eigentlich nach dem Gesetznicht erforderlich ist. Diese Klausel könntejedoch gemäß § 307 I BGB unwirksam sein.Dies ist gemäß § 307 II Nr. 1 BGB insbesonderedann der Fall, wenn sie mit wesentlichenGrundgedanken der gesetzlichen Regelung,von der abgewichen wird, nicht zu vereinbarenist.„[§ 14] der von der Klägerin verwendeten AllgemeinenGeschäftsbedingungen, wonach Gewährleistungsansprüchedes Auftraggebersdahingehend beschränkt werden, dass dieserzunächst nur Nachbesserung und lediglich imFall ihres wiederholten Fehlschlagens Herabsetzungder Vergütung verlangen kann, stehtdem Minderungsbegehren nicht entgegen.Diese Formularbestimmung ist unwirksam.Nach dem Inhalt der Klausel muss der Vertragspartnerder Klägerin eine Nachfrist setzen,auch wenn eine Fristsetzung gemäߧ 323 Abs. 2, § 326 Abs. 5, § 636 BGB entbehrlichist. Eine solche Formularbestimmung benachteiligtdie Vertragspartner des Verwendersentgegen den Geboten von Treu undGlauben unangemessen, weil sie von wesentlichenGrundgedanken der gesetzlichen Regelungabweicht […].“Somit ergibt sich auch aus den AllgemeinenGeschäftsbedingungen des K kein Erforderniseiner Nachfristsetzung.II. ErgebnisDie Voraussetzungen der Minderung liegenvor. K hat damit keinen Anspruch auf Zahlungvon weiteren 400 Euro.Hinweise:Dass es gerade kalt wird in Deutschland, istnicht der einzige Grund, sich mit der Entscheidungdes BGH zum Winterräumdienstzu beschäftigen. Mit der Abgrenzung vonDienst- und Werkvertrag, der Abnahme undderen Surrogate sowie der AGB-Kontrolle betrifftdie Entscheidung gleich drei Themengebiete,die immer wieder Gegenstand von<strong>Examen</strong>sklausuren sind.In der Sache muss man nicht <strong>Jura</strong> studierthaben, um zu diesem Ergebnis zu kommen.Der Vortrag des K, es bedürfe vor der Minderungeiner Nachfristsetzung, erscheint geradezugrotesk, wenn man sich vor Augenführt, was das praktisch für Konsequenzenhätte. B müsste jeden Morgen und über denTag mehrmals kontrollieren, ob Schnee gefallenist und ob K auch ordentlich geräumthat. Das kann sicherlich nicht des Falles Lösungsein, würde doch der Einsatz eines professionellenRäumdienstes ad absurdum geführt.Aus rechtlicher Sicht macht sich der BGH dieBegründung unnötig kompliziert, indem erdie besonderen Umstände des § 323 II Nr. 3BGB heranzieht und die Parteiinteressen gegeneinanderabwägt. Das gleiche Ergebnis507


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________lässt sich ohne Abwägung über § 326 V BGBerzielen, was dogmatisch konsequenter erscheint.Der Vertragsinhalt ist darauf gerichtet, demBesteller die öffentlich-rechtliche Verpflichtungabzunehmen, selbst für die Räumungsorgen zu müssen. Die öffentlich-rechtlicheVerpflichtung besteht darin, dass die Wegebis zu einem bestimmten Zeitpunkt geräumtsein müssen. Es handelt sich also bei der vereinbartenRäumpflicht um ein absolutes Fixgeschäft,so dass mit Zeitablauf Unmöglichkeitim Sinne des § 275 I BGB eintritt und dieFristsetzung somit gemäß § 326 V BGB entbehrlichist. Mit Zeitablauf ist nämlich derVerstoß gegen die öffentlich-rechtliche Verpflichtunggegeben, ohne dass dieser nachträglichbeseitigt werden könnte. Eine Nachfristsetzungwürde nur für die Zukunft Sinnergeben, den Verstoß aber nicht nachträglichbeseitigen. Das muss auch gelten, obwohl dieLeistung in der Zukunft noch möglich istund in der Vergangenheit möglich war. Istein klar abgrenzbarer Teil einer Gesamtleistung(beispielsweise unterbliebener Räumdienstan einem Tag) unmöglich geworden,liegt ein Fall der Teilunmöglichkeit vor, aufden § 326 V BGB ebenfalls Anwendung findet(vgl. ERNST, in: MünchKomm BGB,6. Aufl. 2012, § 326 Rn. 103).Dies würde jedoch (genau wie die Lösung desBGH) dazu führen, dass der Besteller in denFällen, in denen viele aufeinanderfolgendeWerkleistungen geschuldet sind, bei einereinmaligen Pflichtverletzung sofort vom gesamtenVertrag zurücktreten könnte. MeinesErachtens bieten sich hierfür zwei Lösungenan: Zum einen könnte man bei Werkverträgen,die ähnlich einem Dauerschuldverhältnisauf längere Zeit angelegt sind, § 323 IIIBGB anwenden und eine Abmahnung fordern.Konsequent erscheint es aber, auf§ 323 V 2 BGB zurückzugreifen und für denRücktritt vom gesamten Vertrag zu verlangen,dass eine nicht nur unerheblichePflichtverletzung vorliegt. Bei mehrjährigenVerträgen wird das einmalige Versäumnisdann wohl kaum ausreichen. Für die Minderungfindet § 323 V 2 BGB freilich gemäߧ 638 I 2 BGB keine Anwendung, so dass hierschlicht ein angemessener Abzug in Ansatzzu bringen ist.Die Bestimmung in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen,wonach die Fristsetzungentgegen den §§ 323 Abs. 2, 326 Abs. 5,636 BGB dennoch erforderlich sein soll, trägtdie Unwirksamkeit geradezu auf der Stirn.Dementsprechend knapp fällt die Begründungdes BGH aus, die volle Zustimmungverdient. Die Entbehrlichkeit der Fristsetzungin Fällen, in denen die Fristsetzung entwederunzumutbar ist (§ 323 II Nr. 3 BGB)oder überhaupt keinen Sinn ergibt (§ 326 VBGB), ist ein Grundgedanke der Rechtsordnung.Gerade die Abbedingung des § 326 VBGB erscheint besonders problematisch, daes dem Verwender hier ersichtlich nur darumgeht, die Rücktritts- und Minderungsmöglichkeitenzu beschränken.508


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Für das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungengilt der allgemeine Tipp, dass esfür das <strong>Examen</strong> nicht zielführend sein kann,alle Bestimmungen auswendig zu lernen, dieder BGH für unwirksam gehalten hat. Esempfiehlt sich vielmehr, ein paar grundlegendeEntscheidungen zu kennen und einmalim Kommentar nachzulesen, was allesbereits für unwirksam erachtet wurde und soein gewisses Gespür für die Klauselverbote zuentwickeln. Das genügt, um dann auch unbekannteKlauseln im <strong>Examen</strong> auf ihre Wirksamkeithin mit dem allgemeinen Handwerkzeugüberprüfen zu können.(Dr. Julius Forschner)Inhaltsverzeichnis509


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Die Rügeobliegenheit gemäߧ 377 Abs. 1 HGB gilt auch fürRechtsmängelOLG Düsseldorf, Beschluss vom04.12.2012 – 23 U 47/12, BeckRS 2013, 06665Die Rügeobliegenheit gemäß § 377 Abs. 1HGB gilt sowohl für Sach- als auch fürRechtsmängel. (Leitsatz des Bearbeiters)I. Sachverhalt (vereinfacht und abgewandeltübernommen von der Vorinstanz: LGKleve, Urteil vom 22.02.2012 – 2 O 260/11,BeckRS 2013, 04696):Die Kitt GmbH (K) übernahm den Einbauvon Glasscheiben an dem BauvorhabenPfalzklinikum L, welches die BauträgergesellschaftBauttoll GmbH (B) ausführte. B hatteK ferner damit beauftragt, Fenster für die JugendpsychiatrieL zu liefern und einzubauen.B erteilte K außerdem den Auftrag, für denMultimarkt in Köln Glasscheiben zuzuschneidenund zu liefern.Die Scheiben sind im Mai 2009 durch B eingebautworden.K stellte nach Abnahme der Fensterarbeitenmit Rechnung vom 24.03.2010 die Schlussrechnungfür die Arbeiten an dem Bauteil„Jugendpsychiatrie L“ und die Schlussrechnungfür den Bauteil „Pfalzklinikum L“. Bprüfte diese Rechnungen, die der vereinbartenVergütung entsprachen. Ein Restbetragin Höhe von insgesamt 5.081,68 Euro für dieJugendpsychiatrie L wurde nicht durch Bausgeglichen.Mit Schreiben vom 28.04.2011 forderte K Bunter Fristsetzung bis zum 09.05.2011 auf,den offenen Betrag auszugleichen. Eine Zahlungerfolgte nicht. Mit Schreiben vom05.05.2011 verweigerte B eine Zahlung der offenenRechnung.Die B meint, dass die in dem BauvorhabenMultimarkt eingesetzten Scheiben mangelhaftgewesen seien, weil sie keine – was zutrifft– ausreichenden CE-Nachweise hätten,und forderte K auf, sämtliche Scheiben auszuwechseln.Am 16.06.2011 stellte die K der B eine weitereRechnung in Höhe von 1.082,83 Euro fürNacharbeiten für das Bauvorhaben JugendpsychiatrieL.B ließ, was sie K mit Schreiben vom 31.12.2011nochmals mitteilte, sämtliche Glasscheibenan dem Multimarkt in Köln ausbauen undneue Schreiben einbauen. Für den Austauschentstanden B Gesamtkosten in Höhe von7.747,51 Euro.B rechnete mit Schreiben vom 31.01.2012 gegendie Forderungen der K aus dem BauvorhabenJugendpsychiatrie L mit etwaigen Gegenforderungenaus dem Bauvorhaben Multimarktauf.Steht K der geltend gemachte Anspruch zu?510


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________§ 2 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 des Bauproduktengesetzes(BauPG) in der bis 30.06.2013 geltendenFassung lauten:§ 2 Begriffsbestimmungen(1) Bauprodukte sind1. Baustoffe, Bauteile und Anlagen, die hergestelltwerden, um dauerhaft in bauliche Anlagen desHoch- oder Tiefbaus eingebaut zu werden,2. aus Baustoffen und Bauteilen vorgefertigte Anlagen,die hergestellt werden, um mit dem Erdbodenverbunden zu werden, wie Fertighäuser, Fertiggaragenund Silos.§ 4 Allgemeine Anforderungen(1) Ein Bauprodukt darf nur in den Verkehr gebrachtund frei gehandelt werden, wenn esbrauchbar nach § 5 und auf Grund nachgewiesenerKonformität nach § 8 mit der CE-Kennzeichnungnach § 12 Abs. 1 gekennzeichnet ist.II. Anspruch der K gegen B auf Zahlungvon 6.164,51 Euro aus Werkvertrag gemäߧ 631 Abs. 1 BGBK hat gegen B einen Anspruch auf Zahlungvon 6.164,51 Euro, wenn zwischen K und Bein Werkvertrag über die Erbringung vonFensterarbeiten zustande gekommen ist, dieVergütung fällig geworden ist und der Anspruchder K nicht durch die Aufrechnungder B erloschen ist.1. Werkvertrag zwischen K und BB beauftragte K mit der Lieferung und demEinbau von Glasscheiben für die JugendpsychiatrieL.K schuldete mit dem Einbau der Fenstereinen bestimmten Erfolg. Zwischen K und Bist somit grundsätzlich ein Werkvertrag zustandegekommen.Aufgrund der Lieferverpflichtung des Kkönnte es sich bei dem Vertrag zwischen Kund B jedoch alternativ um einen Werkliefervertragi. S. d. § 651 Satz 1 BGB handeln.Wie sich aus § 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB ergibt,unterfallen Leistungen, die die Errichtung einesBauwerks zum Gegenstand haben, demWerkvertragsrecht (vgl. BUSCHE, in: Münch-Komm. BGB, 6. Aufl., § 651, Rn. 9). Gleichesgilt für Leistungen, die einem Grundstückoder Bauwerk zu Gute kommen, wie die Lieferungvon Bauteilen, wenn der Schwerpunktder Tätigkeit auf dem Einbau oder der Montageder gelieferten Bauteile liegt (vgl.BUSCHE, in: MünchKomm. BGB, 6. Aufl.,§ 651, Rn. 10; BGH, NJW 2009, 2877, 2878).Ist der Einbau oder die Montage als bloßeNebenleistung der Lieferung anzusehen,handelt es sich um einen Werkliefervertrag(BUSCHE, in: MünchKomm. BGB, 6. Aufl.,§ 651, Rn. 10, m. w. N.).Der Einbau der Fenster durch K ist im vorliegendenFall nicht als bloße Nebenleistung zucharakterisieren, sondern stellt die nach derAbrede zwischen B und K vertragswesentlicheLeistung dar.Zwischen K und B kam somit ein Werkvertragzustande.511


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________2. Höhe und Fälligkeit der VergütungDa der von K geltend gemachte Rechnungsbetragvon 6.164,51 Euro der vereinbartenVergütung entspricht, steht K der geltend gemachteAnspruch auch der Höhe nach zu.Mit Abnahme der Fensterarbeiten durch B istdie Vergütung des K gemäß § 641 Abs. 1Satz 1 BGB fällig geworden.Somit steht K gegen B grundsätzlich ein Zahlungsanspruchin Höhe von 6.164,51 Euro zu.3. Erlöschen durch AufrechnungDer Zahlungsanspruch des K könnte gemäߧ 389 BGB durch die Aufrechnung der B erloschensein.Eine Aufrechnung setzt gemäß § 387 BGBeine Aufrechnungslage und gemäß § 388BGB die Erklärung der Aufrechnung voraus.Die Aufrechnungserklärung durch B erfolgtehier mit Schreiben vom 31.01.2012.Eine Aufrechnungslage liegt vor bei Gegenseitigkeitund Gleichartigkeit von HauptundGegenforderung, Erfüllbarkeit derHauptforderung und Durchsetzbarkeit derGegenforderung.a) GegenseitigkeitDer Vergütungsanspruch der K und der von Bgeltend gemachte Anspruch bestehen jeweilsim Verhältnis zwischen K und B. Somit handeltes sich um zwei gegenseitige Ansprüche.b) GleichartigkeitDa es sich sowohl bei der Forderung der K alsauch der Gegenforderung von B um Ansprüchehandelt, die auf die Zahlung von Geld gerichtetsind, handelt es sich um gleichartigeAnsprüche.c) Erfüllbare HauptforderungDer Vergütungsanspruch der K ist mit derAbnahme fällig geworden. Die Hauptforderungist somit erfüllbar.d) Durchsetzbare GegenforderungB müsste gegen K ferner eine durchsetzbareGegenforderung zustehen.Indem K an dem Objekt Multimarkt Glasscheibenohne CE-Kennzeichnung einbauteund diese auf Aufforderung der B nicht innerhalbder gesetzten Frist austauschte,könnte B infolge des selbst vorgenommenenAustauschs gegen K ein Schadensersatzanspruchin Höhe von 7.747,50 Euro gemäߧ§ 651 Satz 1 BGB, 437 Nr. 3, 281 BGB zustehen.Für das Objekt Multimarkt in Köln war K lediglichzur Lieferung von zugeschnittenenGlasscheiben verpflichtet. Da B den Einbauselbst vornahm, handelt es um einen Werkliefervertraggemäß § 651 Satz 1 BGB. Die512


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Rechte des Bestellers im Falle eines Mangelsrichten sich somit gemäß § 651 Satz 1 BGBnach den Vorschriften über den Kauf gemäߧ 437 BGB.aa) MangelFraglich ist, ob es sich bei der fehlenden CE-Kennzeichnung um einen Mangel an den vonK gelieferten Glasscheiben handelt.Gemäß § 4 Abs. 1 BauPG dürfen Bauproduktenur in den Verkehr gebracht werden, wennsie eine CE-Kennzeichnung tragen.Bei den von K gelieferten Glasscheiben handeltes sich unzweifelhaft um Bauproduktei. S. d. § 2 Nr. 1 BauPG.Da diese keine CE-Kennzeichnung tragen,durften sie gemäß § 4 Abs. 1 BauPG nicht inden Verkehr gebracht werden und somitnicht von K an B geliefert werden.bb) Genehmigungsfiktion gemäß § 377Abs. 2 HGBFraglich ist jedoch, ob sich B überhaupt nochauf das Fehlen der CE-Kennzeichnung berufenkann, da er deren Fehlen nicht unmittelbarnach Lieferung der Glasscheiben vor Mai2009 durch K gerügt hat, sondern erst in seinerZahlungsablehnung am 05.05.2011.Gemäß § 377 Abs. 1 HGB hat der Käufer einerWare die Obliegenheit, diese unverzüglichnach der Ablieferung durch den Verkäufer zuuntersuchen, soweit dies nach dem ordnungsgemäßenGeschäftsgang tunlich ist,und einen Mangel dem Verkäufer unverzüglichanzuzeigen.(1) Beiderseitiges HandelsgeschäftDie Rügeobliegenheit des § 377 Abs. 1 HGBfindet nur dann Anwendung, wenn der Kauffür beide Teile ein Handelsgeschäft ist.Gemäß § 343 HGB sind Handelsgeschäftealle Geschäfte eines Kaufmanns, die zum Betriebseines Handelsgewerbes gehören. Gemäߧ 344 Abs. 1 HGB gelten die von einemKaufmann vorgenommenen Rechtsgeschäfteim Zweifel als zu seinem Handelsgewerbe gehörig.Da es sich sowohl bei K als auch bei Bum Gesellschaften mit beschränkter Haftunghandelt, gelten diese gemäß § 13 Abs. 3 Gmb-HG als Handelsgesellschaften. Gemäß § 6Abs. 1 HGB gelten Handelsgesellschaften (sogenannteFormkaufleute) als Kaufmanni. S. d. § 1 Abs. 1 HGB. In subjektiver Hinsichtsind die Voraussetzungen eines Handelsgeschäftssomit erfüllt.Die Vorschrift des § 377 HGB findet wie dieübrigen Vorschriften des zweiten Abschnittsdes vierten Buchs des HGB über den Handelskaufjedoch nur bei Handelsgeschäftenüber Waren Anwendung (vgl. HOPT, in:Baumbach/Hopt, HGB, 35. Aufl., § 377,Rn. 2). Vorliegend handelte es sich bei demVertrag zwischen K und B jedoch um einenWerkliefervertrag, der erst noch zuzuschneidendeGlasscheiben betraf. Hiernach könnte513


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________zweifelhaft sein, ob die Vorschrift des § 377HGB auch auf den Werkliefervertrag zwischenK und B anwendbar ist. Gemäß § 381Abs. 2 HGB gelten die Vorschriften über denHandelskauf jedoch auch für Werklieferverträge.Die Rügeobliegenheit des § 377 Abs. 1 HGBfindet auf den vorliegend zwischen K und Bgeschlossenen Vertrag über die Lieferung derGlasscheiben für den Multimarkt in Köln somitgrundsätzlich Anwendung.(2) Rügepflichtiger MangelDa nach einer in der Literatur vertretenenAnsicht § 377 Abs. 1 HGB nur für Sach- undnicht für Rechtsmängel gilt (vgl. GRUNEWALD,in: MünchKomm HGB, 3. Aufl., § 377, Rn. 53,m. w. N. zum Streitstand), kommt die Rügeobliegenheitnach dieser Ansicht nicht zurAnwendung, wenn es sich bei der fehlendenCE-Kennzeichnung um einen Rechtsmangelhandelt.Nach anderer Auffassung gilt § 377 HGB jedenfallsnach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzessowohl für Sachalsauch für Rechtsmängel (vgl. HOPT, in:Baumbach/Hopt, HGB, 35. Aufl., § 377,Rn. 12). Folgt man dieser Ansicht, kann hierdahingestellt bleiben, ob es sich bei der fehlendenCE-Kennzeichnung um einen Sachodereinen Rechtsmangel handelt. Die Rügeobliegenheitwäre in beiden Fällen zu beachten.Letzterer Auffassung schließt sich nun dasOLG Düsseldorf mit folgenden Erwägungenan:„Die [B] hat – ungeachtet der Frage, ob die fürdas Objekt [Multimarkt] in Köln geliefertenGlasscheiben wegen fehlender CE-ZertifizierungMängel im Rechtssinne aufgewiesen haben– mangels rechtzeitiger Rüge der fehlendenCE-Kennzeichnung (§ 377 Abs. 2 HGB)keinen aufrechenbaren Schadensersatzanspruch(§§ 651 Satz 1, 437 Nr. 3, 281 BGB) gegendie [K].a. Der Einwand der [B], die UntersuchungsundRügepflicht des § 377 HGB finde auf dasFehlen der CE-Kennzeichnung keine Anwendung,da es sich dabei um einen Rechtsmangelhandele, ist nicht begründet.[…] Selbst wenn sich das Fehlen der CE-Kennzeichnungals Rechtsmangel darstellen sollte,verkennt dieser Einwand der [B], dass eine etwaigfrüher vorgenommene Einschränkungder Mangelbegriffs i. S. v. § 377 HGB aufSachmängel jedenfalls seit Inkrafttreten desSchuldrechtsmodernisierungsgesetzes(SMG), das Sachmängel und Rechtsmängelgleichgestellt hat (vgl. §§ 434, 435, 437 BGB),nicht mehr gerechtfertigt ist. Dies folgt ausdem im Rahmen des SMG unverändert gebliebenenWortlaut des § 377 HGB, der nunmehrgeltenden Gleichbehandlung von Sach- undRechtsmangel im BGB, dem Sinn der Rügeobliegenheitund den andernfalls entstehendenSchwierigkeiten beim Wertpapier- und Unter-514


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________nehmenskauf (vgl. Baumbach/Hopt, HGB,35. Auflage 2012, § 377, Rn. 12 m. w. N.).aa. Eine abweichende, d. h. weiterhin in Abweichungvom wie vorstehend durch das SMGneugefassten Mangelbegriff des BGB einschränkendeSichtweise des Mangelbegriffsi. S. v. § 377 HGB kann nicht mit dem historischenWillen des Gesetzgebers begründetwerden, da für die Gerichte insoweit der aktuelleWille des Gesetzgebers unter Berücksichtigungdes SMG zu berücksichtigten ist, der§ 377 HGB insoweit im Rahmen des SMG geradenicht geändert hat. Danach ist für dieRügeobliegenheit des § 377 HGB der vomSMG neugefasste allgemeine Mangelbegriffdes BGB maßgeblich. Mangelfreiheit der Sacheist danach eine vertragliche Erfüllungspflicht,d. h. der Verkäufer hat dem Käufer dieSache frei von Sach- und Rechtsmängeln zuverschaffen (§ 433 Abs. 1 Satz 2 BGB, Hauptleistungspflicht),sonst handelt er vertragswidrig,und es ist nicht erfüllt. Anders als beiNichterfüllung der Pflicht zur Übergabe undEigentumsverschaffung (§ 433 Abs. 1 Satz 1BGB) eröffnet ein Sachmangel bei Gefahrübergang(§§ 446, 447 BGB) nicht unmittelbardie Rechte aus §§ 280, 281, 284, 323 BGB,sondern die Rechtsfolgen des § 437-442 BGB(als Sonderregeln für den Kauf; vgl. Baumbach-Hopt,a. a. O.; vgl. auch Palandt-Weidenkaff,BGB, 71. Auflage 2012, Einf v § 433,Rn. 2; § 433, Rn. 21; § 434, Rn. 1 ff.; § 435,Rn. 1 ff., jeweils m. w. N.).bb. Eine abweichende, d. h. weiterhin in Abweichungvom – wie vorstehend durch dasSMG neugefassten – Mangelbegriff des BGBeinschränkende Sichtweise des Mangelbegriffsi. S. v. § 377 HGB kann auch nicht mitetwaig ‚mangelnder Praktibilität‘ der Regelungdes § 377 HGB bei dessen Anwendungauch auf Rechtsmängel begründet werden, dadie Gerichte den aktuellen Willen des Gesetzgeberszu berücksichtigen haben, der durchdas SMG (ohne Änderung des § 377 HGB)derart zum Ausdruck kommt, dass eine vomWortlaut des § 377 HGB abweichende Auslegungunzulässig ist.Gleiches gilt auch für den Einwand, trotz des– auch im Rahmen des SMG willentlich unveränderten– Wortlauts des § 377 HGB seidessen Anwendung auch auf Rechtsmängel‚nicht sachgerecht‘, da sich die Verpflichtungzur sachmängelfreien (Ab-)Lieferung auf denZeitpunkt des Gefahrübergangs beziehe, währenddie Freiheit von Rechtsmängeln zur Zeitdes Eigentumsübergangs gegeben sein müsseund die (Ab-)Lieferung mit der Eigentumsverschaffungnicht unbedingt zeitlich zusammenfalle.Auch ähnlich gelagerten Einwänden in der[…] sonstigen (Kommentar-)Literatur (vgl.z. B. Müller/Ebenroth u. a., HGB, 2. Auflage2009, § 377, Rn. 42 m. w. N. in Fn 104; Müller,WM 2011, Seite 1249 m. w. N.) steht entgegen,dass der Gesetzgeber trotz Neukonstruktiondes Mangelbegriffs im Schuldrecht des BGBgerade ‚sehenden Auges‘ keine Änderungen an515


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________§ 377 HGB vorgenommen hat. Eine – vonWortlaut, Systematik und Werdegang derVorschrift – nicht gedeckte Einschränkungdes § 377 HGB durch die Gerichte wegen bloßerPraktikabilitätsbedenken (sei es in Bezugauf Rechtsmängel im Allgemeinen, sei es inBezug auf das CE-Kennzeichen im Bauproduktenrechtim Besonderen) wäre daher imHinblick auf ihre Bindung an das Gesetz (§ 1GVG, Art. 20 Abs. 3 GG) und die allgemeinanerkannten Grundsätze der Auslegung vonGesetzen anhand des maßgeblichen im Gesetzeswortlautobjektivierten Willen des Gesetzgebersunter Berücksichtigung von § 133 BGBund des systematischen Gesamtzusammenhangsder Rechtsordnung (vgl. Palandt-Sprau, Vor § 1, Einl Rn. 40 ff. m. w. N.) unzulässig.b. Den […] – wie vorstehend – entsprechendergänzten Feststellungen des Senats zur Anwendbarkeitdes § 377 HGB auf den Fall fehlenderCE-Kennzeichnung (soweit er sich alsMangel im Sinne des BGB nach Inkrafttretendes SMG darstellt), stehen die im Hinweisbeschlussdes Senats zitierten Entscheidungendes OLG München (Urteil vom 01.12.1999,7 U 3522/99, OLGR 2001, 209, dort Rn. 48 ff.[…]) und vom OLG Köln (Urteil vom28.03.2003, 19 U 142/02, NJW-RR 2004, 1141)nicht entgegen.c. Für den abschließenden Einwand der [B],auch die Ausführungen von Wirth/Kuffer(Der Baustoffhandel 2010, Rn. 1324/1325m. w. N. […]) würden verkennen, dass § 377HGB keine Anwendung auf Rechtsmängel finde,gelten die vorstehenden, ergänzten Feststellungendes Senats entsprechend, wonacheine solche Differenzierung im Rahmen des§ 377 HGB nach Inkrafttreten des SMG ausscheidet.“Nach der Auffassung des OLG Düsseldorfhandelt es sich bei der fehlenden CE-Kennzeichnungsomit grundsätzlich um einenMangel, der der Rügeobliegenheit des § 377HGB unterliegt.(3) Unverzügliche UntersuchungGemäß § 377 Abs. 1 HGB besteht eine unverzüglicheUntersuchungsobliegenheit bei Ablieferungder Ware, soweit dies nach ordnungsgemäßemGeschäftsgang tunlich ist.Sowohl die Anforderungen an die Unverzüglichkeitals auch den Umfang der Untersuchungsind objektiv anhand der Branche undder Art der gelieferten Ware zu bestimmen(vgl. HOPT, in: Baumbach/Hopt, HGB,35. Aufl., § 377, Rn. 23, 25 ff.).Bei Bauprodukten ist bei Ablieferung zumindesteine Sichtprüfung auf erkennbare Mängelzu erwarten.B hatte somit die Obliegenheit, die Glasscheibenunverzüglich nach Ablieferungdurch K zu untersuchen.Da eine CE-Kennzeichnung in der Regel äußerlicherkennbar ist, wäre deren Fehlen B516


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________jedenfalls bei entsprechender Sichtprüfungauch aufgefallen, so dass ein erkennbarerMangel vorlag.(4) Keine unverzügliche RügeErkennbare Mängel sind unverzüglich, d. h.ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 BGB), zu rügen.Der Zeitraum, in dem eine Rüge zu erfolgenhat, richtet sich danach, ob eine Untersuchungnotwendig und welcher Zeitaufwandhierfür erforderlich ist (vgl. HOPT, in: Baumbach/Hopt,HGB, 35. Aufl., § 377, Rn. 35)Wie bereits erläutert, ist bei Bauteilen zumindesteine Sichtprüfung zu erwarten undhandelt es sich bei dem Fehlen der CE-Kennzeichnungum einen erkennbaren Mangel.Da eine Sichtprüfung der Glasscheiben unmittelbarim Anschluss an die Ablieferunghätte erfolgen können, hätte B das Fehlen derCE-Kennzeichnung innerhalb weniger Tagegegenüber K rügen müssen.Tatsächlich berief sich B auf das Fehlen derCE-Kennzeichnung jedoch erst in ihremSchreiben vom 05.05.2011 und somit mehr alszwei Jahre nach Ablieferung der Glasscheibendurch K.(5) ZwischenergebnisDie Rüge des Fehlens der CE-Kennzeichnungan den von K gelieferten Glasscheiben erfolgtesomit nicht unverzüglich.Gemäß § 377 Abs. 2 HGB kann sich B auf denMangel somit nicht berufen.B steht somit gegen K kein Schadensersatzaus §§ 651 Satz 1 BGB, 437 Nr. 3, 281 BGB inHöhe von 7.747,51 Euro aufgrund der fehlendenCE-Kennzeichnung zu.Die von B erklärte Aufrechnung war insoweitnicht wirksam.(6) Weitere GegenforderungIn Betracht kommt, dass B gegen K aufgrundder fehlenden CE-Kennzeichnung noch einanderweitiger Anspruch zusteht, mit dem Baufrechnen könnte.Insoweit ist entscheidend, welchen Umfangdie Genehmigungsfiktion des § 377 Abs. 2HGB hat.Hierzu das OLG Düsseldorf:„Die [B] hat – ungeachtet der Frage, ob die fürdas Objekt [Multimarkt] in Köln geliefertenGlasscheiben wegen fehlender CE-Zertifizierungeinen Mangel im Rechtssinne aufweisen– jedenfalls mangels rechtzeitiger Rüge derfehlenden CE-Kennzeichnung (§ 377 Abs. 2HGB) auch keinen sonstigen aufrechenbarenSchadensersatzanspruch gegen die Klägerin,517


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________insbesondere nicht aus § 280 Abs. 1 BGB. DerRechtsverlust infolge der Genehmigungsfiktiondes § 377 Abs. 2 HGB umfasst alle Rechte,die auf dem nicht oder zu spät gerügten Mangelberuhen. Dies sind alle gesetzlichen Nacherfüllungs-und Gewährleistungsrechte, die§ 437 BGB auflistet und auch alle Gewährleistungsansprücheim weiteren Sinne. Ausgeschlossensind damit infolge der Genehmigungsfiktiondes § 377 Abs. 2 HGB auch alleAnsprüche wegen Schlechterfüllung oder Verletzungvon mit dem Mangel zusammenhängendenNebenpflichten (insbesondere gemäߧ 280 BGB bzw. bis zum SMG gemäß positiverVertragsverletzung; vgl. Baumbach/Hopt,a. a. O., § 377, Rn. 15/48 m. w. N.; vgl. zumKaufrecht: Palandt-Weidenkaff, a. a. O.,§ 433, Rn. 23; § 437, Rn. 52 m. w. N.; Palandt-Grüneberg, a. a. O., Vor § 275, Rn. 12 m. w. N.;§ 280, Rn. 17 ff. m. w. N.; zum Werkvertragsrecht:Palandt-Sprau, a. a. O., § 634, Rn. 6 ff.m. w. N.; Werner/Pastor, Der Bauprozess,13. Auflage 2011, Rn. 2215/2216 m. w. N.). […]“3. ErgebnisB stehen gegen K somit keinerlei Ansprüchezu, mit denen B gegenüber der Forderung derK aufrechnen könnte.Die von B erklärte Aufrechnung war mangelsdurchsetzbarer Gegenforderung somit wirkungslos.K steht gegen B somit ein Vergütungsanspruchin Höhe von 6.164,51 Euro zu.Hinweise:Der Beschluss des OLG Düsseldorf stellt –soweit ersichtlich – die erste veröffentlichteobergerichtliche Entscheidung dar, die sichzur Anwendbarkeit des § 377 HGB aufRechtsmängel äußert. Da diese Frage in derLiteratur bisher umstritten war, ist die Entscheidungauch für das <strong>Studium</strong> beachtenswert.Das OLG Düsseldorf traf seine Entscheidungim Rahmen eines Beschlusses zur Zurückweisungder Berufung des dortigen Beklagten(vgl. § 522 Abs. 2 ZPO). Damit brachte dasOLG zum Ausdruck, dass der Rechtsstreitweder grundsätzliche Bedeutung hat nocheine Entscheidung zur Fortbildung desRechts oder Sicherung einer einheitlichenRechtsprechung erforderlich ist. Vor demHintergrund des in der Literatur herrschendenStreits ist es bedauerlich, dass das OLGkeine Klärung durch den BGH in dieser auchfür die Praxis wichtigen Frage ermöglicht hat.In dogmatischer Hinsicht vermag die Entscheidungnur eingeschränkt zu überzeugen.Das OLG Düsseldorf begründet seine Entscheidungim Wesentlichen mit dem Willendes Gesetzgebers des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes,der § 377 HGB trotz Vereinheitlichungdes Mangelbegriffs unverändertgelassen habe. Einen Nachweis des gesetzgeberischenWillens bliebt das OLG jedochschuldig und beruft sich lediglich aufden im – unveränderten – Wortlaut von § 377518


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________HGB zum Ausdruck kommenden objektiviertenWillen des Gesetzgebers. Dass es sichhierbei auch um ein Versehen des Gesetzgebersgehandelt haben könnte, zieht das OLGDüsseldorf nicht in Erwägung.(RA Steffen Follner)Inhaltsverzeichnis519


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________AGG – Diskriminierung einesBewerbers – AufwendungsersatzBAG, Urteil vom 24.01.2013 – 8 AZR 188/12,NZA 2013, 896; BAG, Urteil vom 12.03.2013– 9 AZR 455/11, NZA 2013, 10861. Unterlässt es der öffentliche Arbeitgeberentgegen § 82 Satz 2 SGB IX, denschwerbehinderten Bewerber zu einemVorstellungsgespräch einzuladen, so istdies eine geeignete Hilfstatsache nach§ 22 AGG, die für das Vorliegen einer diskriminierendenBenachteiligung spricht.2. Für den nach § 22 AGG möglichenNachweis, dass für die Nichteinladung einesBewerbers entgegen § 82 Satz 2SGB IX ausschließlich andere Gründe alsdie Behinderung erheblich waren, könnennur solche Gründe herangezogenwerden, die nicht die fachliche Eignungbetreffen. Hierfür enthält die in § 82Satz 3 SGB IX geregelte Ausnahme mitdem Erfordernis der „offensichtlichen“Nichteignung eine abschließende Regelung.3. Im besonderen Fall der Behinderungkann eine Benachteiligung des einzelnenBewerbers wegen eines unterbliebenenVorstellungsgesprächs nicht dadurch widerlegtwerden, dass in Bewerbungsverfahrendie Gruppe der Schwerbehindertennicht nachteilig behandelt wurde.§ 82 Satz 2 SGB IX gibt dem einzelnenschwerbehinderten Bewerber einen Individualanspruchauf Einladung zu einemVorstellungsgespräch. Die Indizwirkungwird durch die Schlechterstellung desEinzelnen ausgelöst und nicht dadurchaufgehoben, dass ansonsten im Bewerbungsverfahrenschwerbehinderte Bewerberals Gruppe nicht nachteilig behandeltwurden.4. Für die durch den Verstoß gegen § 82Satz 2 SGB IX ausgelöste Vermutungswirkungist es unerheblich, wenn sich derArbeitgeber im Übrigen gesetzeskonformverhalten hat, z. B. die gesetzlich vorgeseheneMindestbeschäftigungsquoteschwerbehinderter Arbeitnehmer eingehaltenhat.5. Macht der Arbeitnehmer im Interessedes Arbeitgebers Aufwendungen (hier Erwerbeines Schulbuchs), die nicht durchdie Vergütung abgegolten sind, ist der Arbeitgeberzum Ersatz dieser Aufwendungenverpflichtet.6. Einem angestellten Lehrer ist esgrundsätzlich nicht zumutbar, die Kostenfür die Beschaffung von Arbeitsmitteln,die zur sachgerechten Durchführungdes Unterrichts zwingend erforderlichsind, selbst zu tragen.(Orientierungssätze des Gerichts)520


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Sachverhalt Grundfall (vereinfacht undverkürzt):X hat den Meisterbrief im Elektroinstallateurhandwerkerworben und ist ausgebildeterFahrschullehrer. Er ist im Besitz einesFührerscheins für die Klassen A, B und CEund verfügt über den Personenbeförderungsschein.Er ist ein mit einem Grad der Behinderung(GdB) von 60 schwerbehinderterMensch. Während seines Grundwehrdiensteshatte X Kontakt mit speziell ausgebautenLkws für die Mess- und Nachrichtentechnik.1989/1990 war er Berufskraftfahrer, danacharbeitete er bis 1991 als Fahrschullehrer. VonMitte 1999 bis Ende 2006 war er bei einemEigenbetrieb der Stadt Y beschäftigt, zunächstals Haushandwerker und Kraftwagenfahrer,später wurden ihm umfangreichereAufgaben im Bereich der allgemeinen Haustechnikübertragen. Danach arbeitete er bisEnde 2008 als Bürosachbearbeiter und Fahrerbei einem Taxiunternehmen.Im Sommer 2009 veröffentlichte Z, eine öffentlicheArbeitgeberin, im Internet eineStellenanzeige, mit der für ein bis zum31.03.2012 befristetes Arbeitsverhältnis„ein(e) Kraftfahrer/in“ bei der Bundesanstaltfür Straßenwesen gesucht wurde. Die Stellenausschreibungenthielt dazu u. a. folgendeAngaben:„Anforderungsprofil: Führen von qualifiziertenFahrzeugen, die besondere Anforderungenan spurgenaues Fahren stellen (überschwereFahrzeuge, Messfahrzeuge); sonstige Fahrertätigkeit(PKW mit Personenbeförderung);kleinere Reparaturen, Wartung und Pflege(…)Tätigkeitsprofil: Ausbildung als Berufskraftfahrer/inoder Berufserfahrung als Fahrer/in;Fahrerlaubnis der Klasse CE oder Führerscheinder Klasse B; gute Auffassungsgabe;Zuverlässigkeit; Arbeitssorgfalt und Genauigkeit;möglichst Personenbeförderungsschein;PC- und Englischgrundkenntnisse sind vonVorteil (…)“Der damals arbeitslose X bewarb sich mitSchreiben vom 22.07.2009 auf diese Stelle,wobei er bei der Bewerbung auf seineSchwerbehinderung mit GdB 60 hinwies. BeiZ gingen insgesamt 126 Bewerbungen ein, 14Bewerber waren schwerbehindert. Zu einemFahrtest und Vorstellungsgespräch lud Z achtBewerber, davon zwei Schwerbehinderte, ein.Diese hatte sie aus dem Kreis der schwerbehindertenBewerber nach Abstimmung mitder Vertrauensperson der schwerbehindertenMenschen ausgewählt, weil sie ihr nach denBewerbungsunterlagen als am besten geeigneterschienen. Eingestellt wurde von der Zschließlich ein Bewerber, der nicht schwerbehindertist.Am 10.12.2009 teilte Z dem X mit, dass seineBewerbung keine Berücksichtigung habe findenkönnen. Mit Schreiben vom 02.02.2010machte X gegenüber Z eine Entschädigung inHöhe von drei Bruttomonatsgehältern nach521


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________dem AGG geltend. Dies wies Z unter dem01.03.2010 zurück. Am 29.04.2010 reichte Xbeim zuständigen Arbeitsgericht Klage ein.Die Klageschrift wurde Z am 14.05.2010 zugestellt.Hat X gegen Z einen Anspruch auf Entschädigungnach dem AGG?Abwandlung (vereinfacht und verkürzt):Die Lebensgefährtin des X, K, ist bei demBundesland Niedersachen (im Folgenden:Bundesland N) auf Grundlage eines privatrechtlichenArbeitsvertrags als Lehrerin angestellt.Im Schuljahr 2012/2013 hatte K in derfünften Klasse an der Hauptschule in B Mathematikzu unterrichten. Träger der Schuleist die Stadt B. Das Bundesland N stellte Kdas von der Klassenkonferenz für den Unterrichtbestimmte Schulbuch zu Beginn desSchuljahres im August 2012 nicht zur Verfügung.Bereits im Vorjahr hatte K das BundeslandN erfolglos aufgefordert, ihr ein für denUnterricht erforderliches Schulbuch zu überlassen.Nachdem der Leiter der Hauptschuledie Überlassung des für den Mathematikunterrichtim Schuljahr 2012/2013 benötigtenSchulbuchs aus der Schulbibliothek abgelehnthatte, kaufte K das Buch selbst. K, diebereit ist, das Schulbuch dem Bundesland Nzu übereignen, verlangt von diesem nun dieErstattung des Kaufpreises für das Schulbuchin Höhe von 14,36 Euro.Kosten für Lehrmittel und damit auch fürSchulbücher habe die Stadt B als Trägerin derHauptschule zu tragen. K solle sich daher andie Gemeinde wenden oder die Kosten fürden Erwerb des Schulbuchs im Rahmen derSteuererklärung geltend machen. Im Übrigenhabe K das Buch zu Beginn des Schuljahresvorschnell eigenmächtig erworben undihm damit die Möglichkeit einer anderweitigenBeschaffung genommen.Hat K gegen das Bundesland N einen Anspruchauf Erstattung des Kaufpreises für dasSchulbuch in Höhe von 14,36 Euro?Das Niedersächsische Schulgesetz lautet unter§ 112 wie folgt:(1) Das Land trägt die persönlichen Kosten für dieLehrkräfte, die Schulassistentinnen und Schulassistenten,die pädagogischen Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter und das Betreuungspersonal anöffentlichen Schulen sowie das Verwaltungspersonalzur Personal- und Mittelbewirtschaftung anöffentlichen berufsbildenden Schulen; dazu gehörtnicht das Personal von Schülerwohnheimen(§ 108 Abs. 1 Satz 2).(2) Zu den persönlichen Kosten gehören die Personalausgabenim Sinne des Landeshaushaltsrechtsund die Reisekosten. Das Land trägt auch die Kostender wissenschaftlichen Begleitung von Schulversuchen.§ 113 des Niedersächsischen Schulgesetzeslautet in Abs. 1:Die Schulträger tragen die sächlichen Kosten deröffentlichen Schulen. Dazu gehören auch die persönlichenKosten, die nicht nach § 112 das Landträgt.Das Bundesland N beruft sich gegenüber K ineinem Schreiben vom 07.11.2012 darauf, die522


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________GrundfallX könnte gegen Z einen Anspruch auf Entschädigunggemäß § 15 Abs. 2 AGG haben.Hierzu müsste Z den X aus Gründen der Rasseoder wegen der ethnischen Herkunft, desGeschlechts, der Religion oder Weltanschauung,einer Behinderung, des Alters oder dersexuellen Identität in unzulässiger Weise benachteiligthaben (§§ 1, 7 AGG).„Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruchnach § 15 Abs. 2 AGG ist ein Verstoßgegen das Benachteiligungsverbot des § 7AGG.“I. Persönlicher Anwendungsbereich desAGGZunächst müsste der persönliche Anwendungsbereichdes AGG gemäß § 6 AGG eröffnetsein. Hierzu müsste es sich bei X umeinen „Beschäftigten“ im Sinne des AGG handeln.„Nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 AGG gelten alsBeschäftigte auch Bewerberinnen und Bewerberfür ein Beschäftigungsverhältnis. Für denBewerberbegriff kommt es dabei nicht auf dieobjektive Eignung an. Die objektive Eignungeines Bewerbers spielt vielmehr bei der Frageeine Rolle, ob eine ‚vergleichbare Situation‘i. S. d. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vorliegt. Eine fehlendesubjektive Ernsthaftigkeit könnte nurzum Einwand treuwidrigen Verhaltens des Bewerbersführen. Unabhängig davon bestehenan der subjektiven Ernsthaftigkeit der Bewerbungdes Klägers keine Zweifel.“X ist somit als Bewerber „Beschäftigter“ imSinne des AGG.Weiterhin müsste es sich bei Z um einen ausdem AGG Verpflichteten, also einen „Arbeitgeber“handeln.„Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 AGG ist Arbeitgeberi. S. d. Gesetzes, wer ‚Personen nach Absatz 1‘des § 6 AGG ‚beschäftigt‘. Arbeitgeber ist alsoderjenige, der um Bewerbungen für ein vonihm angestrebtes Beschäftigungsverhältnisbittet.“Dies trifft auf die Z aufgrund der Stellenausschreibungzu. Bei Z handelt es sich somitum einen „Arbeitgeber“, also um einen Verpflichtetenaus dem AGG.Der persönliche Anwendungsbereich desAGG ist damit eröffnet.II. Sachlicher Anwendungsbereich desAGGWeiterhin müsste der sachliche Anwendungsbereichdes AGG eröffnet sein, esmüsste also ein durch das AGG geschützterAnlass vorliegen.Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG sind Benachteiligungenaus einem in § 1 AGG genanntenGrund u. a. unzulässig in Bezug auf „die Bedingungen,einschließlich Auswahlkriterien523


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________und Einstellungsbedingungen, für den Zugangzu unselbstständiger und selbstständigerErwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeldund beruflicher Position“.Bei der Bewerbung um ein Arbeitsverhältnishandelt es sich somit um einen durch dasAGG geschützten Anlass. Der persönlicheAnwendungsbereich des AGG ist damit eröffnet.III. Benachteiligung wegen eines in § 1AGG genannten MerkmalsX müsste im Rahmen seiner Bewerbung vonZ wegen eines in § 1 AGG genannten Merkmalsbenachteiligt worden sein. X könntevon Z möglicherweise wegen einer Behinderungunmittelbar benachteiligt worden sein.Eine unmittelbare Benachteiligung ist, so dasBundesarbeitsgericht, „nach § 3 Abs. 1 Satz 1AGG gegeben, wenn eine Person wegen einesin § 1 AGG genannten Grundes eine wenigergünstige Behandlung erfährt als eine anderePerson in einer vergleichbaren Situation.“1. Weniger günstige BehandlungZunächst müsste X eine weniger günstige Behandlungerfahren haben als eine anderePerson. Das Bundesarbeitsgericht stellt hierzufest:„Zum einen erfuhr der Kläger eine wenigergünstige Behandlung als der eingestellte Bewerber.Zum anderen war auch die Behandlungdes Klägers im Vergleich mit den zu Vorstellungsgesprächeneingeladenen Bewerbernweniger günstig. Ein Nachteil im Rahmen einerAuswahlentscheidung, insbesondere beieiner Einstellung und Beförderung, liegt bereitsvor, wenn der Beschäftigte – wie hier derKläger – nicht in die Auswahl einbezogen,sondern vorab ausgenommen wird. Die Benachteiligungliegt in der Versagung einerChance.“X erfuhr somit eine weniger günstige Behandlungals andere Personen.2. Vergleichbare SituationWeiterhin müsste sich X in einer vergleichbarenSituation mit dem eingestellten Bewerberund den zu den Vorstellungsgesprächen eingeladenenBewerbern befunden haben.„Das Vorliegen einer vergleichbaren Situationsetzt voraus, dass der Kläger objektiv für dieausgeschriebene Stelle geeignet war, dennvergleichbar (nicht: gleich) ist die Auswahlsituationnur für Arbeitnehmer, die gleichermaßendie objektive Eignung für die zu besetzendeStelle aufweisen. Für das Vorliegen einerBenachteiligung ist es erforderlich, dass einePerson, die an sich für die Tätigkeit geeignetwäre, nicht ausgewählt oder schon nicht inBetracht gezogen wurde. Könnte auch ein objektivungeeigneter Bewerber immaterielleEntschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG verlangen,stünde dies nicht im Einklang mit demSchutzzweck des AGG. Das AGG will vor ungerechtfertigterBenachteiligung schützen,nicht eine unredliche Gesinnung des (potenti-524


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________ellen) Arbeitgebers sanktionieren. Die objektiveEignung ist also keine ungeschriebene Voraussetzungder Bewerbereigenschaft, sondernKriterium der ‚vergleichbaren Situation‘ iSd.§ 3 Abs. 1 AGG.Grundsätzlich ist für die objektive Eignungnicht auf das formelle Anforderungsprofil,welches der Arbeitgeber erstellt hat, abzustellen,sondern auf die Anforderungen, die derArbeitgeber an einen Stellenbewerber stellendurfte. Zunächst ist davon auszugehen, dassder Arbeitgeber über den der Stelle zugeordnetenAufgabenbereich und die dafür gefordertenQualifikationen des Stelleninhabersfrei entscheiden darf. Durch das Stellen vonAnforderungen an den Bewerber, die nach derim Arbeitsleben herrschenden Verkehrsanschauungdurch die Erfordernisse der wahrzunehmendenAufgaben unter keinem nachvollziehbarenGesichtspunkt gedeckt sind,darf er allerdings die Vergleichbarkeit der Situationnicht willkürlich gestalten und dadurchden Schutz des AGG de facto beseitigen.Diese Grundsätze gelten allerdings bei der Besetzungvon Stellen öffentlicher Arbeitgebernur eingeschränkt. Während der private Arbeitgeberim Rahmen der oben dargelegtenGrundsätze frei ist, welche Anforderungen erin seiner Stellenausschreibung an Bewerberstellt und ob er dann bei seiner Auswahlentscheidungvon einzelnen dieser gefordertenQualifikationen abweicht, hat der öffentlicheArbeitgeber Art. 33 Abs. 2 GG zu beachten.Hiernach besteht nach Eignung, Befähigungund fachlicher Leistung Anspruch auf gleichenZugang zu jedem öffentlichen Amt. ÖffentlicheÄmter in diesem Sinne sind nichtnur Beamtenstellen, sondern auch Stellen, diemit Arbeitern und Angestellten besetzt werden.Art. 33 Abs. 2 GG dient zum einen demöffentlichen Interesse an der bestmöglichenBesetzung der Stellen des öffentlichen Dienstes,dessen fachliches Niveau und rechtlicheIntegrität gewährleistet werden sollen (sog.Bestenauslese), zum anderen trägt er dem berechtigtenInteresse des Bewerbers an seinemberuflichen Fortkommen Rechnung. Art. 33Abs. 2 GG begründet ein grundrechtsgleichesRecht auf rechtsfehlerfreie Einbeziehung indie Bewerberauswahl und auf deren Durchführunganhand der in der Regelung – hierder Stellenausschreibung – genannten Auswahlkriterien(sog. Bewerbungsverfahrensanspruch).Die in Art. 33 Abs. 2 GG genannten Gesichtspunkteder Eignung, Befähigung und fachlichenLeistung sind die allein maßgeblichenKriterien für die Bewerberauswahl; andereKriterien sind nicht zulässig. Allerdings bestimmtArt. 33 Abs. 2 GG nicht, auf welchenBezugspunkt sich diese Kriterien beziehen.Dies folgt erst aus dem Anforderungsprofil,welches als Funktionsbeschreibung desDienstpostens objektiv die Kriterien bestimmt,die der künftige Stelleninhaber erfüllenmuss. Über die Einrichtung und nähereAusgestaltung von Dienstposten entscheidetgrundsätzlich der Dienstherr nach seinen or-525


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________ganisatorischen Bedürfnissen und Möglichkeiten.Es obliegt daher auch seinem organisatorischenErmessen, wie er einen Dienstpostenzuschneiden will und welche Anforderungendemgemäß der Bewerberauswahl zugrundezu legen sind. Erst aus diesem Zuschnittdes zu vergebenden Amtes oderDienstpostens werden daher die Anforderungenbestimmt, an denen konkurrierende Bewerberzu messen sind.Mit der Bestimmung eines Anforderungsprofilsfür die zu vergebende Stelle legt derDienstherr die Kriterien für die Auswahl derBewerber fest; an ihm werden die Eigenschaftenund Fähigkeiten der Bewerber gemessen.Der öffentliche Arbeitgeber hat im Anforderungsprofildie formalen Voraussetzungen,fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten sowieaußerfachlichen Kompetenzen zu beschreiben,die ein Bewerber für eine erfolgreiche Bewältigungder künftigen Tätigkeit benötigtund die dementsprechend der leistungsbezogenenAuswahl zugrunde zu legen sind. Aufgrunddes Anforderungsprofils sollen einerseitsgeeignete Bewerber gefunden, andererseitsungeeignete Bewerber schon im Vorfeldder eigentlichen Auswahlentscheidung ausdem Kreis der in das engere Auswahlverfahreneinzubeziehenden Bewerber ausgeschlossenwerden. Mit der Festlegung des Anforderungsprofilswird ein wesentlicher Teil derAuswahlentscheidung vorweggenommen. Zugleichbestimmt der öffentliche Arbeitgebermit dem Anforderungsprofil den Umfang seinerder eigentlichen Auswahlentscheidungvorgelagerten verfahrensrechtlichen Verpflichtungnach § 82 Satz 2 und Satz 3SGB IX.Für die Dauer des Auswahlverfahrens bleibtder Arbeitgeber an das in der veröffentlichtenStellenbeschreibung bekanntgegebene Anforderungsprofilgebunden.Unter Beachtung dieser Grundsätze bestehenunter Zugrundelegung des Anforderungsprofilsin der Stellenausschreibung vom Sommer2009 an der objektiven Eignung des Klägersfür die von der Beklagten ausgeschriebeneStelle keine Zweifel. Die sachlichen Anforderungen,die die Beklagte stellte, ergeben sichaus dem – irreführend überschriebenen – ‚Tätigkeitsprofil‘der Stellenanzeige. Der Klägerverfügt über die Fahrerlaubnis der Klasse CEsowie über einen Personenbeförderungsschein.Er kann Berufserfahrung als Fahrervorweisen (…). Das Führen von qualifiziertenFahrzeugen, die besondere Anforderungen anspurgenaues Fahren stellen (überschwereFahrzeuge, Messfahrzeuge) war der Sachenach Teil des Tätigkeitsprofils und nicht des –wiederum falsch bezeichneten – ‚Anforderungsprofils‘der Stellenausschreibung. Vonden Anforderungen her ließ die Beklagte auchden Pkw-Führerschein der Klasse B genügen(‚oder‘). Zudem verfügte der Kläger tatsächlichüber Erfahrungen mit dem spurgenauenFahren besonderer Fahrzeuge, da er währenddes Wehrdienstes speziell umgebaute und mitMess- und Nachrichtentechnik ausgestatteteLkws gefahren hat. Die Beklagte kann dabei526


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________nicht darauf verweisen, der Kläger verfüge insoweitnicht über Erfahrungen aus jüngererZeit, da sie derartiges im Anforderungsprofilder Ausschreibung nicht verlangt hatte.“X befand sich somit in einer vergleichbarenSituation mit dem eingestellten Bewerberund den zu den Vorstellungsgesprächen eingeladenenBewerbern.3. Wegen der Behinderung des XZ müsste den X schließlich auch „wegen“ seinerBehinderung weniger günstig behandelthaben.a) Begriff der „Behinderung“Der Begriff der Behinderung nach § 1 AGGkann hierbei zunächst ausgehend von § 2Abs. 1 SGB IX bestimmt werden, wonachMenschen behindert sind, wenn ihre „körperlicheFunktion, geistige Fähigkeit oderseelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeitlänger als sechs Monate von dem fürihr Alter typischen Zustand abweichen unddaher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaftbeeinträchtigt ist.“ Danach unterfälltder schwerbehinderte X, der einen GdB von60 aufweist, dem Behindertenbegriff des § 1AGG.b) KausalzusammenhangWeiterhin müsste allerdings auch ein Kausalzusammenhangzwischen der benachteiligendenBehandlung und dem Merkmal derBehinderung gegeben sein. Hierzu führt dasBundesarbeitsgericht lehrbuchartig folgendermaßenaus:„Der Kausalzusammenhang zwischen benachteiligenderBehandlung und dem Merkmalder Behinderung ist bereits dann gegeben,wenn die Benachteiligung an die Behinderunganknüpft oder durch diese motiviertist. Dabei ist es nicht erforderlich, dass derbetreffende Grund das ausschließliche Motivfür das Handeln des Benachteiligenden ist.Ausreichend ist vielmehr, dass das verpönteMerkmal Bestandteil eines Motivbündels ist,welches die Entscheidung beeinflusst hat. Aufein schuldhaftes Handeln oder gar eine Benachteiligungsabsichtkommt es nicht an.Hinsichtlich der Kausalität zwischen Nachteilund dem verpönten Merkmal ist in § 22 AGGeine Beweislastregelung getroffen, die sichauch auf die Darlegungslast auswirkt. DerBeschäftigte genügt danach seiner Darlegungslast,wenn er Indizien vorträgt, die seineBenachteiligung wegen eines verbotenenMerkmals vermuten lassen. Dies ist der Fall,wenn die vorgetragenen Tatsachen aus objektiverSicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeitdarauf schließen lassen, dass die Benachteiligungwegen dieses Merkmals erfolgtist. Durch die Verwendung der Wörter ‚Indizien‘und ‚vermuten‘ bringt das Gesetz zumAusdruck, dass es hinsichtlich der Kausalitätzwischen einem der in § 1 AGG genanntenGründe und einer ungünstigeren Behandlunggenügt, Hilfstatsachen vorzutragen, die zwar527


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________nicht zwingend den Schluss auf die Kausalitäterfordern, die aber die Annahme rechtfertigen,dass Kausalität gegeben ist. Liegt eineVermutung für die Benachteiligung vor, trägtnach § 22 AGG die andere Partei die Beweislastdafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungenzum Schutz vor Benachteiligungvorgelegen hat. (…)Unterlässt es der öffentliche Arbeitgeber – wiehier – entgegen § 82 Satz 2 SGB IX, denschwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgesprächeinzuladen, so ist dies nachständiger Rechtsprechung eine geeigneteHilfstatsache nach § 22 AGG, die für das Vorliegeneiner Benachteiligung spricht. Diedurch die Hilfstatsache ausgelöste Vermutungder Benachteiligung des Klägers wegender Schwerbehinderung hat (…) die Beklagte(…) nicht erschüttert.Wenn die festgestellten Tatsachen eine Benachteiligungwegen der Behinderung vermutenlassen, trägt der Arbeitgeber nach § 22AGG die Beweislast dafür, dass eine solcheBenachteiligung nicht vorlag. Der Arbeitgebermuss das Gericht davon überzeugen, dass dieBenachteiligung nicht (auch) auf der Behinderungberuht. Damit muss er Tatsachen vortragenund gegebenenfalls beweisen, aus denensich ergibt, dass es ausschließlich andereGründe waren als die Behinderung, die zu derweniger günstigen Behandlung geführt haben,und in seinem Motivbündel weder die Behinderungals negatives noch die fehlende Behinderungals positives Kriterium enthaltenwar.Für die Frage, welche Tatsachen geeignetsind, die Vermutung der Benachteiligung zuwiderlegen, sind die Besonderheiten des Bewerbungsverfahrensfür ein öffentliches AmtiSv. Art. 33 Abs. 2 GG und die gesetzlichen Regelungendes SGB IX zu beachten. Für dennach § 22 AGG möglichen Nachweis, dass fürdie Nichteinladung eines Bewerbers entgegen§ 82 Satz 2 SGB IX ausschließlich andereGründe als die Behinderung erheblich waren,können nur solche Gründe herangezogen werden,die nicht die fachliche Eignung betreffen.Hierfür enthält die in § 82 Satz 3 SGB IX geregelteAusnahme mit dem Erfordernis der ‚offensichtlichen‘Nichteignung eine abschließendeRegelung. Sie prägt auch die Anforderungen,die bei Verstößen im Bewerbungsverfahrenbei auf die fachliche Eignung bezogenenErwägungen für den Gegenbeweis zugrundezu legen wären. Die Widerlegung derinfolge der Verletzung des § 82 Satz 2 SGB IXvermuteten Kausalität setzt daher den Nachweisvoraus, dass die Einladung zu einemVorstellungsgespräch aufgrund von Umständenunterblieben ist, die weder einen Bezugzur Behinderung aufweisen noch die fachlicheEignung des Bewerbers berühren. (…)Die Beklagte kann sich zur Widerlegung deraus der unterbliebenen Einladung folgendenVermutung einer Benachteiligung wegen derSchwerbehinderung nicht mit Erfolg daraufberufen, der Kläger sei fachlich gegenüber den528


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________zu einem Vorstellungsgespräch eingeladenenBewerbern schlechter qualifiziert. Es schadetmithin nicht, dass der Kläger im Gegensatzzu seinen Mitbewerbern nicht in jüngerer Zeiterworbene praktische Erfahrung mit demFühren von überschweren Fahrzeugen (Bussenund schweren Lkws) aufweisen konnte.Auch aus dem Umstand, dass behinderte Bewerberbei den zu einem Vorstellungsgesprächeingeladenen Bewerbern gemessen ander Gesamtzahl der Bewerbungen überproportionalvertreten waren, kann nicht geschlossenwerden, dass die unterbliebene Einladungdes Klägers nicht wegen seiner Behinderungerfolgte. Im besonderen Fall der Behinderungkann eine Benachteiligung des einzelnenBewerbers wegen eines unterbliebenenVorstellungsgesprächs nicht dadurch widerlegtwerden, dass in Bewerbungsverfahren dieGruppe der Schwerbehinderten nicht nachteiligbehandelt wurde. § 82 Satz 2 SGB IX gibtdem einzelnen schwerbehinderten Bewerbereinen Individualanspruch auf Einladung zueinem Vorstellungsgespräch. Die Indizwirkungwird durch die Schlechterstellung desEinzelnen ausgelöst und nicht dadurch aufgehoben,dass ansonsten im Bewerbungsverfahrenschwerbehinderte Bewerber als Gruppenicht nachteilig behandelt wurden. Der Anspruchnach § 82 Satz 2 SGB IX ist vom Gesetzgeberzwingend ausgestaltet worden, eshandelt sich um eine gesetzliche Pflicht desArbeitgebers. Er hat insoweit kein Ermessen,weshalb ihm weder eine ‚freundliche‘ nocheine ‚feindliche‘ Einstellung zu Behindertenunterstellt werden kann. Sinn des § 82 Satz 2SGB IX ist es, den einzelnen schwerbehindertenBewerbern die Möglichkeit zu geben, denArbeitgeber in einem persönlichen Vorstellungsgesprächvon ihrer Eignung zu überzeugen.Die Beklagte hätte nicht nur zwei, sondernalle nicht offensichtlich ungeeignetenbehinderten Bewerber, jedenfalls auch denKläger, zu einem Vorstellungsgespräch einladenmüssen. Im Falle behinderter Bewerbersoll der persönliche Eindruck entscheidendsein und nicht die ‚Papierform‘. Mit diesemGesetzeszweck lässt sich eine Vorabauswahlnach Leistungsgesichtspunkten nicht vereinbaren.Ebenso wenig kann aus Praktikabilitätserwägungenvon der eindeutigen Verfahrensvorschriftabgewichen werden. (…)Die Indizwirkung des Verfahrensfehlers wirdauch nicht dadurch aufgehoben, dass die Beklagtebei der Vorabauswahl die Schwerbehindertenvertretungbeteiligt hat. Auch insoweitist die Beklagte als Arbeitgeber ihrer Pflicht,die Schwerbehindertenvertretung bei der Bewerbungvon Schwerbehinderten umfassendzu beteiligen, zwar nachgekommen, § 81Abs. 1 Satz 4 bis Satz 9, § 95 Abs. 2 Satz 1 undSatz 3 SGB IX. § 82 SGB IX ist jedoch zwingendesGesetzesrecht und auch gegenüber einerVereinbarung mit der Schwerbehindertenvertretungnicht dispositiv. Anders als bei einerIntegrationsvereinbarung, § 83 SGB IX,besteht insoweit keine Vereinbarungsbefugnisvon Arbeitgeber und Schwerbehindertenvertretung.Für den Gesetzesverstoß ist es aberunerheblich, wenn sich der Arbeitgeber im529


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Übrigen gesetzeskonform verhalten hat, z. B.die gesetzlich vorgesehene Mindestbeschäftigungsquoteschwerbehinderter Arbeitnehmereingehalten hat. (…)“Es liegen somit Indizien im Sinne des § 22AGG vor, die eine Benachteiligung des Xdurch Z „wegen“ der Behinderung des X vermutenlassen. Z hat diese Vermutungswirkungnicht erschüttert. Es ist daher insgesamtdavon auszugehen, dass X im Rahmenseiner Bewerbung wegen eines in § 1 AGG genanntenMerkmals unmittelbar im Sinne des§ 3 Abs. 1 Satz 1 AGG benachteiligt wurde.IV. Keine Rechtfertigung der BenachteiligungEs sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich,dass die unmittelbare Benachteiligungdes X wegen seiner Behinderung gerechtfertigtsein könnte. Insbesondere liegen die Voraussetzungendes § 8 Abs. 1 AGG nicht vor,wonach eine unterschiedliche Behandlungwegen eines in § 1 AGG genannten Grundeszulässig ist, wenn dieser Grund wegen derArt der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungenihrer Ausübung eine wesentlicheund entscheidende berufliche Anforderungdarstellt, sofern der Zweck rechtmäßig unddie Anforderung angemessen ist.V. Fristgemäße Geltendmachung des AnspruchsZuletzt müsste X den Entschädigungsanspruchgegenüber Z innerhalb der Frist des§ 15 Abs. 4 AGG geltend gemacht haben.Nach § 15 Abs. 4 AGG muss ein Anspruchnach § 15 Abs. 1 oder Abs. 2 grundsätzlich innerhalbeiner Frist von zwei Monaten schriftlichgeltend gemacht werden. Die Frist beginntim Falle einer Bewerbung mit dem Zugangder Ablehnung. Die Ablehnung der Bewerbungwurde X mittels Schreibens der Zvom 10.12.2009 mitgeteilt. Mit Schreiben vom02.02.2010 machte X Entschädigungsansprüchegegenüber Z geltend. Damit hat er dieZwei-Monats-Frist des § 15 Abs. 4 AGG gewahrt.Die am 29.04.2010 beim zuständigen Arbeitsgerichteingereichte Klage, die Z am14.05.2010 zugestellt wurde, hat auch die Fristdes § 61b Abs. 1 ArbGG gewahrt. Sie wurdeinnerhalb von drei Monaten nach der schriftlichenGeltendmachung des Anspruchs erhoben.Für die Fristwahrung genügte nach § 167ZPO der Eingang der Klage beim Arbeitsgericht,weil deren Zustellung demnächst erfolgte.VI. Ergebnis zum GrundfallX hat gegen Z somit dem Grunde nach einenAnspruch auf eine angemessene Entschädigunggemäß § 15 Abs. 2 AGG, ohne dass esdarauf ankäme, ob Z den Verstoß gegen dasBenachteiligungsverbot zu vertreten hat. DieHöhe des Entschädigungsanspruchs hängthierbei von den Umständen des Einzelfallsab. Hierzu abschließend nochmals das Bundesarbeitsgericht:530


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________„§ 15 Abs. 2 Satz 1 AGG räumt dem Gerichteinen Beurteilungsspielraum hinsichtlich derHöhe der Entschädigung ein, um bei der Prüfungder Angemessenheit der Entschädigungdie Besonderheiten jedes einzelnen Falls berücksichtigenzu können. (…) Für die Höheder festzusetzenden Entschädigung sind Artund Schwere der Verstöße sowie die Folgenfür den schwerbehinderten Kläger von Bedeutung.Dabei mag auch von Bedeutung sein,dass die Beklagte die Rechte der schwerbehindertenBewerber zumindest insoweit achtete,als sie zwei von 14 schwerbehinderten Bewerbernzu einem Vorstellungsgespräch einludund die Schwerbehindertenvertretung beteiligte.“AbwandlungI. Anspruch gemäß § 670 BGBK könnte gegen das Bundesland N einen Anspruchauf Erstattung des Kaufpreises für dasSchulbuch in Höhe von 14,36 Euro gemäߧ 670 BGB haben. Nach § 670 BGB ist einAuftraggeber gegenüber einem Beauftragtenzum Ersatz verpflichtet, wenn der Beauftragtezum Zwecke der Ausführung des AuftragsAufwendungen macht, die er den Umständennach für erforderlich halten durfte.Voraussetzung für die Anwendbarkeit des§ 670 BGB ist zunächst das Vorliegen einesAuftrags im Sinne des § 662 BGB. Nach dieserVorschrift liegt ein Auftrag vor, wenn sichder Beauftragte gegenüber dem Auftraggeberverpflichtet, ein ihm von diesem übertragenesGeschäft für den Auftraggeber unentgeltlichzu besorgen.Im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses verpflichtetsich der Arbeitnehmer gegenüberdem Arbeitgeber gerade nicht, für diesen unentgeltlichtätig zu werden. Vielmehr wirdein Arbeitnehmer gerade deshalb für den Arbeitgebertätig, um für seine Arbeitsleistungals Gegenleistung eine Vergütung zu erhalten(vgl. § 611 Abs. 1 BGB). Die Voraussetzungeneines Auftrags gemäß § 662 BGB liegen demnachnicht vor, so dass auch ein Anspruch derK gegen das Bundesland N gemäß § 670 BGBin direkter Anwendung ausscheidet.II. Anspruch gemäß § 670 BGB analogDie K könnte gegen das Bundesland N jedocheinen Anspruch auf Erstattung desKaufpreises für das Schulbuch in Höhe von14,36 Euro gemäß § 670 BGB analog haben.1. Analoge Anwendung des § 670 BGB aufArbeitsverhältnisseHierfür müsste § 670 BGB allerdings analogauf Arbeitsverhältnisse anwendbar sein.Das Bundesarbeitsgericht geht in ständigerRechtsprechung davon aus, dass § 670 BGBauf Arbeitsverhältnisse entsprechend angewendetwerden kann, obwohl Arbeitnehmernicht unentgeltlich im Sinne des § 662 BGBtätig werden. Denn die auftragsrechtlichenBestimmungen im Allgemeinen und § 670BGB im Speziellen enthalten rechtliche Wer-531


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________tungen, die auf Arbeitsverhältnisse übertragenwerden können. § 670 BGB will den Beauftragtendavor schützen, dass er durch dieGeschäftsbesorgung im Interesse des Auftraggeberseinen Nachteil erleidet. DieserRechtsgedanke ist nach der Rechtsprechungdes Bundesarbeitsgerichts verallgemeinerungsfähig.Unabhängig von dem zugrundeliegenden Rechtsverhältnis kann derjenige,der im Interesse eines anderen Aufwendungenmacht, von diesem die getätigten Aufwendungenersetzt verlangen. Es ist jedochzu berücksichtigen, dass Aufwendungen, dieein Arbeitnehmer zwecks Erbringung dervertraglich geschuldeten Arbeitsleistung tätigt,im Interesse beider Arbeitsvertragsparteienliegen können. Dem Arbeitgeber kanndeshalb bei entsprechender Anwendung des§ 670 BGB nur dann das alleinige Tragen derAufwendungen auferlegt werden, wenn seinInteresse an der Aufwendung so weit überwiegt,dass das Interesse des Arbeitnehmersvernachlässigt werden kann.2. Vorliegen der Voraussetzungen des§ 670 BGB analogEin Anspruch der K gegen das Bundesland Nbestünde jedoch nur dann, wenn auch tatsächlichdie Tatbestandsvoraussetzungen des§ 670 BGB analog vorlägen. Das Bundesarbeitsgerichtführt hierzu wie folgt aus:„Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendungdes § 670 BGB liegen vor. Der Kaufpreisfür das Schulbuch ist eine Aufwendung,die der Kläger zwecks Erbringung der vertraglichgeschuldeten Arbeitsleistung und damitim Interesse des beklagten Landes tätigte.“Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichtsist es „einem angestellten Lehrer grundsätzlichnicht zumutbar, die Kosten für die Beschaffungvon Arbeitsmitteln, die zur sachgerechtenDurchführung des Unterrichts zwingenderforderlich sind, selbst zu tragen. Darüber,dass der Kläger ohne das Schulbuchnicht ordnungsgemäß Mathematikunterrichthätte erteilen können, besteht kein Streit.“Auch der Einwand des Bundeslandes N, Khabe das Buch zu Beginn des Schuljahresvorschnell eigenmächtig erworben und B damitdie Möglichkeit einer anderweitigen Beschaffunggenommen, verfängt im Ergebnisnicht. Dies deshalb, weil das Bundesland N„weder vor noch kurz nach dem Beginn desSchuljahres Dispositionen getroffen“ hat, „dieauf die Beschaffung oder Überlassung des füreinen ordnungsgemäßen Mathematikunterrichterforderlichen Schulbuchs gerichtet waren.Vielmehr hat es dem Kläger mehrere Monatenach Beginn des Schuljahres – wie bereitsim Vorjahr – in einem Schreiben (…) mitgeteilt,Lehrmittel wie Schulbücher seiennicht von ihm, sondern vom Schulträger zurVerfügung zu stellen.“K steht somit grundsätzlich ein Anspruch aufErstattung des Kaufpreises für das Schulbuchin Höhe von 14,36 Euro analog § 670 BGB zu.532


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________3. Das Bundesland N als Schuldner desAufwendungsersatzanspruchsAllerdings müsste das Bundesland N auchrichtiger Anspruchsgegner, mithin Schuldnerdes Aufwendungsersatzanspruchs, sein.Auch dies bejaht das Bundesarbeitsgericht:„Soweit das beklagte Land seine Passivlegitimationin Abrede stellt, übersieht es, dass§ 670 BGB im Streitfall allein es selbst, nichtaber die Stadt B verpflichtet.Gemäß § 112 Abs. 1 Halbsatz 1 des NiedersächsischenSchulgesetzes (NSchG) (…) trägt dasbeklagte Land die persönlichen Kosten für dieLehrkräfte an öffentlichen Schulen. Zu denpersönlichen Kosten zählen die Personalausgabenim Sinne des Landeshaushaltsrechtsund die Reisekosten (§ 112 Abs. 2 Satz 1NSchG). Demgegenüber fallen dem Schulträgerdie sächlichen Kosten der öffentlichenSchulen zur Last (§ 113 Abs. 1 Satz 1 NSchG).Hierzu gehören auch die persönlichen Kosten,soweit diese nicht das beklagte Land trägt(§ 113 Abs. 1 Satz 2 NSchG).Die genannten Vorschriften regeln die Kostentragungspflichtim Innenverhältnis zwischenDienstherr und Schulträger. Die Stellungdes beklagten Landes als Schuldner desvon dem Kläger erhobenen Aufwendungsersatzanspruchswird durch etwaige Erstattungsansprüchedes beklagten Landes gegenüberder Stadt B nicht berührt. Selbst wennder Kläger einen Erstattungsanspruch gegendie Stadt B hätte, entlastete dies das beklagteLand nicht. In diesem Falle ständen dem Klägerzwei Schuldner gegenüber, deren Haftungsich nach den Regeln über die Gesamtschuld(§ 421 BGB) richtete.“III. Ergebnis der AbwandlungDie K hat gegen das Bundesland N einen Anspruchauf Erstattung des Kaufpreises für dasSchulbuch in Höhe von 14,36 Euro analog§ 670 BGB.Hinweise:1. Die beiden Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichtssind examensrelevant. Die Prüfungeines Entschädigungsanspruchs einesStellenbewerbers nach § 15 Abs. 2 AGG gehörtzum arbeitsrechtlichen Pflichtprüfungsstoffder staatlichen Pflichtfachprüfung.Auch die Konstellation eines Aufwendungsersatzanspruchseines Arbeitnehmers gegenseinen Arbeitgeber entsprechend § 670 BGBkann ohne Weiteres Teil einer Klausur odereiner mündlichen Prüfung sein.2. Im Rahmen des Grundfalls ist zu beachten,dass § 82 SGB IX nur auf öffentliche, nichtjedoch auf private Arbeitgeber anwendbarist. Der öffentliche Arbeitgeber muss allenicht offensichtlich ungeeigneten schwerbehindertenBewerber einladen. Der Gesetzgeberwill hierdurch erreichen, dass jederSchwerbehinderte die Möglichkeit erhält,den Arbeitgeber in einem persönlichen Gesprächvon seiner Eignung zu überzeugen.Mit diesem Zweck lässt sich eine Vorabaus-533


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________wahl nach Leistungsgesichtspunkten nichtvereinbaren. Dies gilt unabhängig davon, obder Arbeitgeber bei einer Vorauswahl dieSchwerbehindertenvertretung beteiligt oderzahlreiche andere schwerbehinderte Bewerbereingeladen hat.3. Eine einführende Übersicht über das AllgemeineGleichbehandlungsgesetz findet sichbei HROMADKA/MASCHMANN, ArbeitsrechtBand 1, 5. Aufl. 2012, § 5 Rn. 7 ff. Einen gutenÜberblick über die Rechtsprechung der letztenJahre zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzliefern BISSELS/LÜTZELER, BB 2012,701 ff., 833 ff. Eine Darstellung zum Aufwendungsersatzanspruchdes Arbeitnehmers gegenüberseinem Arbeitgeber bietet MÜLLER-GLÖGE, Münchener Kommentar zum BGB,6. Aufl. 2012, § 611 Rn. 890 ff.(RA Dr. Nikolaus Polzer)Inhaltsverzeichnis534


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________„Crash-Kurs“ zu § 315c Abs. 1StGB: Straßenverkehrsgefährdungbei TrunkenheitsfahrtBGH, Beschluss vom 04.12.2012 –4 StR 435/12 = DAR 2013, 697 f.1. § 315c Abs. 1 StGB setzt eine konkreteGefahr voraus, die nicht schon bei einerlatent gefährlichen Tathandlung zu bejahenist. Sie ist erst gegeben, wenn die Tathandlungin eine kritische Situationführte, in der die Sicherheit einer bestimmtenPerson oder Sache derart starkbeeinträchtigt war, dass es einzig nochvom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletztwurde oder nicht. Dies ist nach allgemeinerLebenserfahrung aufgrund einerobjektiv nachträglichen Prognose zubeurteilen.2. Nicht umfasst vom Schutzbereich des§ 315c StGB sind das Fahrzeug des Täterssowie an dessen Tat beteiligte Mitfahrende.3. Die tatbestandsspezifische Wertgrenze,die ein Gefährdungsschaden an Sachenerreichen muss, liegt bei 750 Euro.(Leitsätze des Bearbeiters)Sachverhalt (leicht verändert):„Nach den [… erstinstanzlichen] Feststellungenfuhr der Angekl.“ A in zwei „Fällen mitfremden, mit zwei weiteren Personen besetztenPkws im öffentlichen Straßenverkehr, obwohler infolge Alkoholgenusses absolut fahruntüchtigwar. Infolge der Fahruntüchtigkeitfuhr er mit dem Pkw gegen eine Hausmauerund verursachte an dieser einen Schaden von368,90 Euro (Fall II.2) bzw. in eine Baustellenabsicherungsowie an eine Stützmauer undstreifte im weiteren Verlauf der Fahrt Leitplankenfelder(Fall II.5).“ Bei beiden Fahrtenhatte jeweils einer der Mitfahrer dem A dasAuto überlassen und der jeweils andere Mitfahrerdem A den Pkw-Schlüssel übergeben.Die Entscheidung:Der Senat überprüft die Verurteilung As „wegenfahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung“nach § 315c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 Nr. 2 StGB inbeiden Fällen en bloc:I) Tatbestand1) Objektiver Tatbestanda) A führte in beiden Fällen im Straßenverkehrein Fahrzeug, obwohl „er infolge Alkoholgenussesabsolut fahruntüchtig war“.b) Einzig problematisch ist, ob es zu einervon § 315c Abs. 1 StGB vorausgesetzten konkretenGefährdung gekommen ist. Dazu derSenat: „Nach gefestigter Rechtsprechung536


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________muss die Tathandlung über die ihr innewohnendelatente Gefährlichkeit hinaus in einekritische Situation geführt haben, in der –was nach allgemeiner Lebenserfahrung aufGrund einer objektiv nachträglichen Prognosezu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmtenPerson oder Sache so stark beeinträchtigtwar, dass es nur noch vom Zufall abhing,ob das Rechtsgut verletzt wurde odernicht [Nachw.].“aa) Zunächst wendet sich der Senat ganzkurz den „vom Angeklagten [A] geführtenfremden Fahrzeuge[n]“ zu: Sie kommen „fürden Eintritt des […] erforderlichen konkretenGefahrerfolgs […] nicht in Betracht“.Zwar kann man grundsätzlich davon ausgehen,dass sich der Begriff der fremden Sachenach bürgerlichem Recht bestimmt, eine Sachefür den Täter also fremd ist, wenn sie wederin seinem Alleineigentum steht nochherrenlos ist. Danach könnten die Fahrzeugeje gefährdet worden sein. Jedoch wird einegenerelle Reduktion des Tatbestandes vorgenommenund die Gefährdung des vom Tätergeführten (auch fremden) Fahrzeugs ausdem Tatbestand ausgeschieden (so schonBGH, Beschluss vom 18.12.1957 – 4 StR 554/57= NJW 1958, 469 (469); Beschluss vom18.11.1997 – 4 StR 542/97 = NStZ-RR 1998, 150(150); zust. etwa GROESCHKE, in: Münch-Komm/StGB, Bd. 4, 1. Aufl. (2006), § 315cRn. 54; LACKNER/KÜHL, StGB, 27. Aufl. (2011),§ 315c Rn. 25). Das Fahrzeug sei „notwendigesWerkzeug zur Verwirklichung des Tatbestandesder Straßenverkehrsgefährdung […,weswegen] es nicht gleichzeitig von demStrafschutz mitumfaßt werden“ könne (BGH,Beschluss vom 18.12.1957 – 4 StR 554/57 =NJW 1958, 469 (469); zust. EISELE, JA 2007,168 (171); RENZIKOWSKI, in: Matt/Renzikowski,StGB (2013), § 315c Rn. 19). Demnach kommtes nicht mehr darauf an, ob der den Fahrzeugendrohende Schaden bedeutend war.bb) Als gefährdete fremde Sachen von bedeutendemWert kommen noch „Hauswandbzw. Baustellenabsicherung, Stützmauer undLeitplankenfelder[n]“ in Betracht.Diese müssen von bedeutendem Wert sein.Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht nurder Wert der Sache als solcher, sondern auchder ihr drohende Schaden bedeutend seinmuss (RENZIKOWSKI, in: Matt/Renzikowski,StGB (2013), § 315 Rn. 20; LACKNER/KÜHL,StGB, 27. Aufl. (2011), § 315c Rn. 24). Auchwenn ein sich realisierter Schaden unbedeutendist (also unter der Wertgrenze liegt),heißt dies noch nicht, dass der der Sache vonbedeutendem Wert konkret drohende Schadennicht über der Wertgrenze hätte liegenkönnen. Wenn dem so ist, genügt dies.Die „tatbestandsspezifische Wertgrenze […liegt bei] 750 Euro“ – so der Senat unter Verweisauf seine Rechtsprechung und mit ihmweite Teile der Literatur (FISCHER, StGB,60. Aufl. (2013), § 315c Rn. 15; SATZGER, JURA2012, 786 (788); a. A. etwa BURMANN, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker,StVR, 22. Aufl.537


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________(2012), § 315c Rn. 7, der aufgrund des identischenWortlauts für eine Gleichbehandlungmit § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB und so für1300 Euro als Grenze plädiert. Weiterführendund aktuell zur Wertgrenze des § 69 Abs. 2Nr. 3 StGB LG LANDSHUT, DAR 2013, 588 f. mitAnm. ERNST).Hier rügt der Senat die Feststellungen desLandgerichts: Es sei „nicht erkennbar […], obder [diesbezügliche] Gefährdungsschaden […]die tatbestandsspezifische Wertgrenze […] erreichthat“.cc) Daher „kommt es auf die Gefährdung derMitfahrer an“. – Der Senat weiter: „Nach denin der Rechtsprechung des Senats entwickeltenMaßstäben genügen die hierauf bezogenenknappen Bemerkungen der Strafkammer– ‚Außerdem gefährdete er Leib und Lebenseiner beiden Mitfahrer.‘ […] bzw. ‚In beidenFällen bestand konkrete Gefahr für Leib undLeben seiner Mitfahrer.‘ […] – nicht den Anforderungenzur Darlegung einer konkretenGefahr. Einen Vorgang, bei dem es beinahe zueiner Verletzung der Mitfahrer gekommenwäre, also ein Geschehen, bei dem ein unbeteiligterBeobachter zu der Einschätzung gelangt,‚das sei noch einmal gut gegangen‘[Nachw.], hat die Strafkammer […] nicht hinreichendmit Tatsachen belegt. Insbesonderefehlen Angaben zu den Geschwindigkeiten derFahrzeuge im Zeitpunkt der Kollisionen undder Intensität des Aufpralls auf die einzelnenGefährdungsobjekte [Nachw.]. Auch ergebendie bisher getroffenen Feststellungen nicht,dass es dem Angeklagten – etwa nur aufgrundüberdurchschnittlich guter Reaktion – sozusagenim allerletzten Moment gelungen ist,einen intensiveren Aufprall zu verhindern“.Davon abgesehen führt der Senat weiter aus:„Nach den bisherigen Feststellungen bleibtzudem offen, ob die Mitfahrer des Angeklagtenvom Schutzbereich des § 315c StGB überhaupterfasst sind.“ Hierzu ist zunächst festzuhalten,dass an einer solchen Straftat nichtbeteiligte Mitfahrer anerkanntermaßen Gefährdungsopfersein können (s. nurRENZIKOWSKI, in: Matt/Renzikowski, StGB(2013), § 315c Rn. 19). Bei an der Tat beteiligtenInsassen des (Täter-)Fahrzeugs ist diesindes nach „gefestigter Rechtsprechung desBundesgerichtshofs […] zu verneinen[Nachw.].“ Diese schieden aus dem Schutzbereichaus (LACKNER/KÜHL, StGB, 27. Aufl.(2011), § 315c Rn. 25; GROESCHKE, in: Münch-Komm/StGB, Bd. 4, 1. Aufl. (2006), § 315cRn. 53). Es handele sich bei Ihnen (ebensowie beim Täter als Führer des Fahrzeugs)nicht um „einen anderen Menschen“ i. S. d.§ 315c StGB, stünden Beteiligte doch auf derTäterseite und mithin nicht stellvertretendfür die durch den Tatbestand geschützte Allgemeinheit.Zu hiesigem Fall führt der Senatweiter aus: „Die Mitfahrer könnten sich – jedenfallszum Teil – durch Übergabe des Pkw-Schlüssels[…] oder durch Überlassen deseigenen Pkws […] der Beihilfe gemäß § 27StGB schuldig gemacht haben, sofern zumindestdie Voraussetzungen der Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationnach § 315c Abs. 3Nr. 1 StGB gegeben sind.“538


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________2) ErgebnisDer Senat sah sich demnach veranlasst zur„Aufhebung des Schuldspruchs wegen fahrlässigerGefährdung des Straßenverkehrs“und dazu, „die Sache zu neuer Verhandlungund Entscheidung […] an eine andere Strafkammerdes Landgerichts zurück[zu]verwiesen.“Hinweise:1. In vorliegendem Beschluss äußert sich derSenat zu klassischen Problempunkten i. R. d.§ 315c StGB, die gerne in Klausuren abgeprüftwerden, und zeigt einmal mehr die seinerAnsicht nach richtige Lösung auf. Insoferneignet sich die Entscheidung nicht nur für<strong>Examen</strong>skandidaten zur Repetition (weiterführendEISELE, JA 2007, 168 ff. (zu § 315cStGB), und HAAS, AL 2012, 119 ff. (Übungsfallu. a. speziell zu § 315c Abs. 1 Nr. 2 b)).2. Hauptanwendungsfall der (in Praxis undAusbildung) mit Abstand relevantesten Straßenverkehrsdelikteder §§ 315c, 316 StGB istdie so genannte alkoholbedingte Fahruntauglichkeit(BURMANN, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker,StVR, 22. Aufl. (2012), § 315c Rn. 9,spricht von Fahrunsicherheit und FISCHER,StGB, 60. Aufl. (2013), § 315c Rn. 3 ff., vonFahruntüchtigkeit). Allgemein wird unterschiedenzwischen relativer und absoluterFahruntauglichkeit. Zum Nachweis selbigerist die Blutalkoholkonzentration (BAK, alsoder in Promille ausgedrückte Alkoholgehaltdes Blutes) das wichtigste Beweisanzeichen(BURMANN, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker,StVR, 22. Aufl. (2012), § 316 Rn. 8). Regelmäßiggeht ihr eine Blutprobenentnahme (§ 81aStPO, dazu vertiefend ERNST, JURA 2011,94 ff.) voraus, fehlt diese, wird die BAK durchdie festgestellte Trinkmenge ermittelt (ausführlichmit diversen Beispielen BURMANN, in:Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVR,22. Aufl. (2012), § 316 Rn. 8 ff.).a. Von absoluter Fahruntauglichkeit einesKfz-Führers wird bei einer BAK von 1,1 Promilleund mehr zur Tatzeit ausgegangen.Dieser Wert wird als prozessuale Beweisregelverstanden, mit seinem Erreichen steht dieFahruntauglichkeit unwiderlegbar fest, weshalbein entsprechender Gegenbeweis, derTäter sei gleichwohl fahrsicher, als unzulässigbetrachtet wird (dazu SATZGER, JURA 2013,345 (350) m. w. N.).b. Relative Fahruntauglichkeit eines Kfz-Führerswird bei einer BAK von 0,3 Promille undmehr zur Tatzeit und Hinzutreten alkoholbedingterAusfallserscheinungen bejaht(FISCHER, StGB, 60. Aufl. (2013), § 316Rn. 31 f.; EISELE, JA 2007, 168 (169)).c. Weiterführend zur Bedeutung der BAK imallgemeinen und i. R. d. §§ 315c, 316 StGBSATZGER, JURA 2013, 345 ff., und bei der Beurteilungder Schuldfähigkeit s. BGH, Beschlussvom 29.05.2012 – 1 StR 59/12 =JSE 2013, 111 ff. (ERNST).3. Zu den Ausführungen des Senats bezüglicheiner von ihm als nicht möglich erachteten539


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________(konkreten) Gefährdung tatbeteiligter Mitfahrerlässt sich noch anmerken:Nach nicht nur in der Literatur vertretenerAnsicht kann auch ein tatbeteiligter Mitfahrerkonkret gefährdet werden (STERNBERG-LIEBEN/HECKER, in: Schönke/Schröder, StGB,28. Aufl. (2010), § 315c Rn. 31 m. w. N.; OLGSTUTTGART, Urteil vom 17.10.1975 –1 Ss (9) 376/75 = NJW 1976, 1904 (1904)). Ersei durchaus schutzwürdig und könne sehrwohl ein „anderer“ i. S. d. Tatbestandes sein(EISELE, JA 2007, 168 (171) m. w. N.; ZIESCHANG,in: NomosKomm/StGB, 4. Aufl. (2013), § 315cRn. 26). Immerhin gibt der Wortlaut zu dervom Senat vorgenommenen Restriktion keinenAnlass; auch bei den §§ 212, 222, 223, 229StGB sind Tatbeteiligte als „andere“ geschützt(RENGIER, StrR BT II, 14. Aufl. (2013), § 44Rn. 17). Weil § 315c StGB ein eigenhändigesDelikt ist, scheidet Mittäterschaft i. d. R. ausund geht es hier regelmäßig um Teilnehmer(vgl. dazu RENGIER, StrR BT II, 14. Aufl.(2013), § 44 Rn. 17). Für Teilnehmer ist dieHaupttat eine fremde Tat (vgl. §§ 26, 27Abs. 1 StGB), in die sie nicht tätergleich einbezogenwerden dürfen. Gegen das z. T. vorgebrachteArgument, Tatbeteiligte hättenden Strafrechtsschutz verwirkt, spricht, dassden Beteiligten dann eine Rechtsmacht zugestandenwürde, die ein Einwilligender nichthat. Selbst dort, wo das Rechtsgut an sich indisponibelist, könnte der Beteiligte wirksamüber den Rechtsgutsschutz verfügen. Derartigesführe zu einem faktisch rechtsfreienRaum und widerspräche dem Rechtsgedankender §§ 216, 228 StGB (dazu WIRSCH, JuS2006, 400 (402)).Mit dieser Ansicht ist die Frage zu stellen, obeine (eigenverantwortliche) Selbst- oder eine(einverständliche) Fremdgefährdung desMitfahrers vorliegt (allgemein zu dieser AbgrenzungHINDERER/BRUTSCHER, JA 2011, 907(908 ff.)). Im ersteren Fall ist die objektiveZurechnung zu verneinen. Der Verantwortungsbereichdes Täters endet dort, wo derVerantwortungsbereich des Opfers beginnt.Die eigenverantwortliche Selbstgefährdungdes Opfers unterbricht den Zurechnungszusammenhangund schließt somit die Tatbestandsmäßigkeitaus: Es realisiert sich nämlichnicht eine vom Täter gesetzte Gefahr,sondern vielmehr das vom Opfer bewussteingegangene Risiko (KÜHL, StrR AT, 7. Aufl.(2012), § 4 Rn. 86; BRÜNING, ZJS 2009, 194(194)). Entscheidend für die Abgrenzung ist,wer über den Gefährdungsakt Tatherrschafthat (vgl. GEPPERT, JURA 1996, 47 (49)). Voraussetzungfür eine Selbstgefährdung ist einmaßgebliches (aktives) Mitwirken des Opfers,es muss das Geschehen jedenfallsgleichgewichtig steuernd in den Händen haltenund sein Eigenbeitrag muss die Kriteriender Allein- oder Mittäterschaft erfüllen(KINDHÄUSER, LPK, 5. Aufl. (2013), Vor § 13,Rn. 122). Ist der potentielle Beteiligte Mitfahrer,ist das Ergebnis regelmäßig klar: Tatherrschaftüber den gefährdenden Akt des Autofahrenshat alleine der Fahrer, der einzig dasGeschehen (im wahrsten Sinne des Wortes)steuernd in den Händen hält.540


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Die einverständliche Fremdgefährdung kannnach h. M. zu einer rechtfertigenden Einwilligungführen. Für deren Eingreifen ist in solchenKonstellationen wesentlich (nicht aberalleinentscheidend, s. zu den sonstigen VoraussetzungenHINDERER/ERNST, JSE 2013, 260(264) m. N.), ob das Opfer hinsichtlich desgeschützten Rechtsguts dispositionsbefugtist und damit, welches Rechtsgut durch§ 315c StGB geschützt wird: Vor allem dieRechtsprechung sieht unter Verweis auf diesystematische Stellung des § 315c StGB im28. Abschnitt der gemeingefährlichen Straftatendas Universalrechtsgut der Sicherheitdes Straßenverkehrs als primär geschützt an.Von „untergeordneter Bedeutung“ sei der„mitverwirklichte Schutz des einzelnen“(BGH, Beschluss vom 14.05.1970 –4 StR 131/69 = DAR 1970, 214 (214 f.)). DieEinwilligung des Gefährdeten sei schlechterdingsunbeachtlich, da das Rechtsgut derStraßenverkehrssicherheit nicht der Dispositionsbefugniseines Einzelnen unterliege(BGH, Beschluss vom 14.05.1970 –4 StR 131/69 = DAR 1970, 214 (215); OLGSTUTTGART, Urteil vom 17.10.1975 –1 Ss (9) 376/75 = NJW 1976, 1904 (1904);LACKNER/KÜHL, StGB, 27. Aufl. (2011), § 315cRn. 32). Allerdings ist bei § 315c StGB im Vergleichzu dem abstrakten Gefährdungsdeliktdes § 316 StGB die Strafdrohung erhöht, wassich aus der konkreten Gefahr für die genanntenIndividualrechtsgüter legitimiert.Sie würden „gleichberechtigt und nicht nurals Annex der Straßenverkehrssicherheit geschützt“(STERNBERG-LIEBEN/HECKER, in:Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. (2010),§ 315c Rn. 40; ausf. ZIESCHANG, in: NomosKomm/StGB,4. Aufl. (2013), § 315c Rn. 5 f.).Der Schutz dieser Rechtsgüter ist ein wesentlicherGrund des § 315c StGB. Es gibt danachein individualschützendes Mehr des § 315cStGB im Vergleich zu § 316 StGB. Diesbezüglichkann dann auch eine (wirksame) Einwilligungdes Gefährdeten zu einer Teilrechtfertigung(OELLERS, NJW 1970, 2121 (2121)) führen.Die nicht einwilligungsfähige Gefährdungdes Rechtsguts der Sicherheit des Straßenverkehrskann durch § 316 StGB angemessenbestraft werden (ausf. ERNST, DAR2013, 699).(Richter Guido Philipp Ernst)Inhaltsverzeichnis541


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Rechtsprechungsänderung:Zum Erfordernis einesAbsatzerfolgs für einevollendete Hehlerei durchAbsetzenBGH, Beschluss vom 14.05.2013 –3 StR 69/13 = NStZ 2013, 584Vollendete Hehlerei durch Absetzen setzteinen Absatzerfolg voraus. (Leitsatz desBearbeiters)Sachverhalt (gekürzt):A. „bemühte sich im Einverständnis mit B. sowiein dessen Interesse selbständig um denVerkauf mehrerer Gemälde“, die wenige Zeitzuvor „von Unbekannten […] entwendet undvon B. in Kenntnis des Diebstahls entgegengenommenworden“ sind. B. hatte A. „damit beauftragt,einen Käufer für die Bilder zu suchen,und ihm dreizehn der Bilder überbracht.“A. „hielt es für möglich, dass es sichbei B. entgegen dessen Behauptung nicht umden Eigentümer der Bilder, sondern einenHehler handelte. Dies war ihm aber […] wegender versprochenen Provision in Höhe von10 % des Verkaufserlöses gleichgültig. ImRahmen seiner Bemühungen fertigte er Fotografienvon den Werken und sprach verschiedene[…] Personen an, von denen er hoffte,dass sie ihm beim Verkauf dienlich sein könnten.“Die Bemühungen des A. blieben erfolglos.Prozessgeschichte und Einführung:A.s Verhalten hat das Landgericht als (vollendete)Hehlerei durch Absetzen der von B.hehlerisch erworbenen Bilder gewürdigt undihn wegen Hehlerei zu einer Freiheitsstrafeverurteilt. Die Revision A.s richtet sich gegendiese Verurteilung.I. R. d. objektiven Tatbestands des § 259Abs. 1 StGB kommt als Tathandlung einzigein Absetzen (Variante 3) in Betracht. Diesesverlangt die selbständige wirtschaftliche Verwertungder gestohlenen Sachen im Interesseund mit Einverständnis des Vorbesitzers(JAHN, in: Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB,2009, § 259 Rn. 25). A. wurde hier geradeselbständig und im Interesse des B. tätig. Eskam aber nicht zu einem (wie auch immergearteten) wirtschaftlichen Verwerungs- bzw.Absatzerfolg. Ob ein solcher vorausgesetztist, ist die hier zentrale Frage.Das Landgericht bejahte diese Frage undhielt – wie der 3. Strafsenat (im Folgendenkurz: Senat) es ausdrückt – „im Einklang mitder bisherigen ständigen Rechtsprechung“fest, dass „für die Vollendung das bloße Tätigwerdendurch vorbereitende oder ausführendeTätigkeiten zum Zwecke des Absatzes ausreichend“ist.Die vom Senat beabsichtigte Entscheidung:Der Senat hat vor, „auf die Revision des Angeklagten[…] den Schuldspruch des angefochte-542


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________nen Urteils dahin zu ändern, dass der Angeklagteder versuchten Hehlerei schuldig ist,den Strafausspruch aufzuheben und die Sacheinsoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidungan den Tatrichter zurückzuverweisen.“Hintergrund dessen ist, dass der Senat beabsichtigt,der bisherigen Linie der Rechtsprechungnicht (mehr) zu folgen. Er ist vielmehr„der Auffassung, dass die Annahme einervollendeten Hehlerei in der Form des Absetzens– wie auch der Absatzhilfe, für die nichtsanderes gelten kann – entgegen der Würdigungdes Landgerichts einen Erfolg der Absatzbemühungenvoraussetzt.“Die Argumentation:In seinem Anfragebeschluss stellt der Senatzunächst die bisher ständige (höchstrichterliche)Rechtsprechung dar (I.) und trägt danachdie Argumente für die gegenteiligeSichtweise vor (II.).I. Die bisherige ständige Rechtsprechung„gründet auf mehrere Entscheidungen desReichsgerichts. Dieses hat wiederholt die Auffassungvertreten, dass für die Absatzhilfe derEintritt eines Absatzerfolges nicht erforderlichsei. Zur Begründung hat das Reichsgerichtunter Hinweis auf die damalige Fassungdes § 253 StGB, in der die Tathandlung – abweichendvon der heutigen Fassung (‚absetztoder absetzen hilft‘) – mit ‚zu deren Absatzebei anderen mitwirkt‘ beschrieben war, betont,dass danach nicht die Mitbewirkung desAbsatzes, sondern die Mitwirkung zum Absatzunter Strafe gestellt sei. Ein weiteres Argumentfür das Reichsgericht war die fehlendeStrafbarkeit des Versuchs [Nachw.]. Andieser Rechtsprechung hielt der Bundesgerichtshof– trotz der […] 1943 erfolgten Einführungder Versuchsstrafbarkeit – fest[Nachw.]. Auch die […] 1975 in Kraft getreteneNeufassung des § 259 StGB mit der noch heutegültigen Formulierung ‚absetzt oder absetzenhilft‘ […] führte zu keiner Rechtsprechungsänderung.Zwar entschied der 2. Strafsenatunter Bezugnahme auf den Wortlautzunächst [Nachw.], dass die Tathandlung desAbsetzens nur bei Eintritt eines Absatzerfolgesvollendet sei. Diese Rechtsprechung gaber jedoch bereits wenige Monate später aufAnfrage des 4. Strafsenats wieder auf, der unterVerweis auf den ‚eindeutigen‘ Gesetzgeberwillenan der bisherigen Auslegung festhielt[Nachw.].Eine Einschränkung dieser Rechtsprechungfand in der Folgezeit nur insoweit statt, alsverlangt wurde, dass das Bemühen um Absatzgeeignet sein müsse, die rechtswidrige Vermögenssituationaufrechtzuerhalten oder zuvertiefen, was bei einer Lieferung an einenverdeckten Ermittler bzw. an eine Vertrauenspersonder Polizei nicht der Fall sei [Nachw.].“Diese ständige Rechtsprechung traf in der Literaturauf breite Ablehnung. Auch der Senatsteht ihr nun ablehnend gegenüber: An ihrkann seiner Ansicht nach „nicht festgehaltenwerden.“ Daher möchte der Senat entgegenstehendeeigene Rechtsprechung aufgeben543


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________und (insoweit der herrschenden Meinung inder Literatur folgend) „für die Annahmevollendeter Hehlerei in der Form des Absetzens– für Absatzhilfe könnte sodann nichtsanderes gelten [Nachw.] – die Feststellung einesAbsatzerfolges verlangen.“II. Der Senat stützt den von ihm beabsichtigtenRechtsprechungswechsel auf die Auslegungdes § 259 StGB, und zwar in grammatikalischer(a), systematischer (b), teleologischer(c) und historischer (d) Hinsicht.„a) Für die Auslegung des Tatbestands derHehlerei als Erfolgsdelikt auch in den Fällendes Absetzens und der Absatzhilfe spricht derWortlaut der Vorschrift. Schon der allgemeineSprachgebrauch unterscheidet zwischendem erfolgreichen Absetzen und bloßen Absatzbemühungen.Im Verkehr unter Kaufleuten,aus dem der Begriff stammt, würde niemanddavon sprechen, dass ein Händler Warenabgesetzt hat, wenn er sich nur vergeblichum den Verkauf bemüht hat. […]b) Zudem führt die bisherige Auslegung zu einemsystematischen Bruch zwischen den Tathandlungsalternativendes Absetzens und derAbsatzhilfe einerseits sowie des Ankaufensund des sonstigen sich Verschaffens andererseits,wenn nur bei letzteren zur Vollendung –wie es einhelliger Auffassung entspricht – derÜbergang der Verfügungsgewalt verlangt wird[Nachw.]. Wie wenig sachgerecht dieser systematischeBruch ist, wird besonders deutlichbeim Blick auf die Konsequenzen für die Absatzhilfe:Diese ist vor allem deshalb als eigenständige,täterschaftliche Tatbestandsalternativeausgestaltet, weil die Absatzbemühungendes Vortäters ihrerseits § 259 StGBnicht unterfallen, mithin keine taugliche Vortatdarstellen können. Kommt jedoch demAbsatzhelfer im Vergleich zum Gehilfen desAnkäufers schon die zwingende Strafrahmenverschiebungdes § 27 Abs. 2 Satz 2 StGBnicht zugute, sollte dies nicht noch dadurchverstärkt werden, dass ihm die Möglichkeit einersolchen nach § 23 Abs. 2 StGB zusätzlichgenommen wird [Nachw.].Dem Argument aus der systematischen Auslegungkann nicht überzeugend entgegengehaltenwerden, die einzelnen Stadien der aufAbsatz zielenden Tätigkeiten – Vorbereitung,Versuch, Vollendung – seien anders als beimSichverschaffen einer klaren Abgrenzungnicht zugänglich [Nachw.]. Denn geradedurch das Erfordernis eines Absatzerfolgeswird eine klare Grenze zwischen den Stadienvor und nach Vollendung geschaffen. Die bisherigeRechtsprechung lässt demgegenüber –systemwidrig – die Versuchsstrafbarkeit imBereich des Absetzens und der Absatzhilfeweitestgehend leerlaufen. Ihr Anliegen ist es,befürchtete Strafbarkeitslücken zu vermeiden,die bei einem Abstellen auf einen Absatzerfolgentstehen könnten [Nachw.], und diedeswegen als besonders misslich angesehenwerden, weil die Hehlerei in Form des Absetzensdurch das Schaffen von Anreizen zur Begehungvon (weiteren) Diebstahlstaten als besondersgefährlich gelten müsse [Nachw.].544


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Solche Lücken entstehen indes nicht, weil, soweitder Täter zum Absetzen (oder der Absatzhilfe)unmittelbar angesetzt hat, die dannangemessene Versuchsstrafbarkeit zum Tragenkommt, und, sofern sie – etwa in Fällendes Rücktritts – entfällt, dies dem Willen desGesetzes entspricht. Im Übrigen ist dieSchließung von Strafbarkeitslücken nicht Sacheder Rechtsprechung, sondern die der Gesetzgebung.c) Das Verständnis des Absetzens als Erfolgsdeliktverdient schließlich auch bei teleologischerAuslegung den Vorzug. Denn wenn dasWesen der Hehlerei in der Aufrechterhaltungder durch die Vortat geschaffenen rechtswidrigenVermögenslage liegt, ‚die durch dasWeiterschieben der durch die Vortat erlangtenSache im Einverständnis mit dem Vortätererreicht wird‘ (BT-Drucks. 7/550, S. 252, sogenanntePerpetuierungstheorie), liegt die Annahmevon Vollendung fern, wenn dieseWeiterschiebung noch nicht abgeschlossen ist[Nachw.]. Dies stellt keinen Rückfall in dasVerständnis der Hehlerei als Restitutionsvereitelungsdeliktdar [Nachw.], sondern berücksichtigt,dass der Absetzende im Lager desVortäters steht [Nachw.].d) Der beabsichtigten Auslegung steht derWille des Gesetzgebers nicht entgegen. Soweites in der Begründung des Entwurfs derBundesregierung zum EGStGB vom 11. Mai1973 heißt, die Änderung diene ‚nur der Klarstellung,dass Hehler auch derjenige ist, derdie Sache zwar im Einverständnis mit demVortäter, aber sonst völlig selbständig aufdessen Rechnung absetzt‘ (BT-Drucks., aaO,S. 253), folgt daraus zwar, dass eine Änderungder Rechtslage mit der Neuformulierungnicht beabsichtigt war. Es ist jedoch nichtsdafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber diebisherige Auslegung durch die Rechtsprechung,die sich von Beginn an systematischerund teleologischer Kritik ausgesetzt sah, festschreibenwollte [Nachw.].“III. Aus diesen Gründen beabsichtigt der Senat„zu entscheiden: Eine Verurteilung wegenvollendeter Hehlerei durch Absetzen setzt dieFeststellung eines Absatzerfolges voraus.“ Dader vom ihm beabsichtigten Entscheidungsolche anderer Strafsenate des Bundesgerichtshofsentgegen stehen, fragt der Senatbei den anderen Strafsenaten an, „ob an derdiesen […] Entscheidungen zugrundeliegendenRechtsansicht festgehalten wird, § 132Abs. 3 Satz 1 GVG.“Hinweise:1. Diesen Anfragebeschluss wird man alsMeilenstein bezeichnen dürfen, wird er dochden Anfang vom Ende eines der klassischenStreitpunkte des Besonderen Teils markieren.Die <strong>Examen</strong>s- bzw. Klausurrelevanz bedarfkeiner weiteren Hervorhebung (zur Vertiefungder Hehlerei allgemein daher etwaJAHN/PALM, JuS 2009, 501 ff.). Die Argumentationdes Senats, die Auslegung des § 259StGB in grammatikalischer, systematischer,teleologischer und historischer Hinsicht ist545


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________vorbildlich. Der Senat setzt sich eingehendmit der Kritik der Literatur an der (bisherigen)ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechungauseinander. Dem bleibt hiernichts hinzuzufügen. Die Hartnäckigkeit derLiteratur hat sich gelohnt; zwischenzeitlichhaben sich die anderen vier Strafsenate geäußert:Diese halten an ihrer entgegenstehendenRechtsauffassung nicht fest (BGH2. STRAFSENAT, Beschluss vom 15.08.2013 –2 ARs 299/13; BGH 5. STRAFSENAT, Beschlussvom 20.08.2013 – 5 ARs 34/13; BGH1. STRAFSENAT, Beschluss vom 21.08.2013 –1 ARs 6/13; BGH 4. STRAFSENAT, Beschluss vom08.10.2013 – 4 Ars 7/13). Einer Vorlage an denGroßen Senat für Strafsachen (§ 132 Abs. 2GVG) bedarf es damit nicht (§ 132 Abs. 3 S. 1GVG).macht ausdrücklich BGH 1. STRAFSENAT, Beschlussvom 21.08.2013 – 1 ARs 6/13 – juris,Rn. 2, aufmerksam). Gleichwohl wird manwohl davon ausgehen können, dass damitauch dort ein Rechtsprechungswandel angekündigtist.(Richter Guido Philipp Ernst)Inhaltsverzeichnis2. Anzumerken bleibt, dass die Anfrage (unddie Aufgabe der der vom Senat beabsichtigtenEntscheidung entgegenstehenden Rechtsprechungder anderen Strafsenate) nur dieTathandlung des Absetzens (§ 259 Abs. 1StGB Var. 3) betrifft. Auch wenn der Senat inhiesigem Beschluss immer wieder auf dieTathandlung der Absatzhilfe (§ 259 Abs. 1StGB Var. 4) zu sprechen kommt und meint,auch für diese dürfe nichts anderes gelten,also auch dort müsse (in Übereinstimmungmit der herrschenden Literaturansicht, zumdortigen Streitstand ausführlichDUDENBOSTEL, JSE 4/2012, 45 (63 f.)) ein Absatzerfolggegeben sein, so betrifft der Anfragebeschlussdiese Frage (ein ebenso klassischesund altes Problem) nicht (darauf546


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Das Waffengesetz und diestaatliche Schutzpflicht vorAmokläufenBVerfG, Entscheidung vom 23.01.2013 –2 BvR 1645/10Das Bundesverfassungsgericht hatte sich mitfolgendem Sachverhalt auseinanderzusetzen:Vor dem Hintergrund des Amoklaufs einesehemaligen Schülers in Winnenden wandtesich der Beschwerdeführer gegen das Waffengesetzvom 11.10.2002, zuletzt geändert durchArt. 1b des Gesetzes vom 25.11.2012.Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzungseines Grundrechts auf Leben und körperlicheUnversehrtheit (Art. 2 II 1 GG) dadurch,dass das Waffengesetz tödliche Schusswaffenfür den Schießsport erlaubt beziehungsweisederen Gebrauch nicht ausreichend einschränkt.Der Gesetzgeber habe damit gegenseine Pflicht zum Schutz der Allgemeinheitvor den Gefahren des Missbrauchs vonSchusswaffen verstoßen.Es sei Aufgabe der Legislative, innerhalb ihresGestaltungsspielraums einen angemessenenAusgleich zwischen dem Sicherheitsinteresseder Bevölkerung und den Interessender privaten Waffenbesitzer zu schaffen. Tatsächlichhabe das Waffengesetz in den vergangenenJahren keinen ausreichendenSchutz vor diversen Mordserien mit privatenlegalen Waffen geboten. Dies stelle ein verfassungswidrigesUnterlassen des Gesetzgebersdar. Erforderlich seien weitergehendeBeschränkungen des Rechts auf Besitz undGebrauch von privaten Schusswaffen, insbesondereein Verbot tödlicher Sportwaffen.Die als Reaktion auf die Ereignisse von Winnendenvorgenommenen Verschärfungen desWaffenrechts durch das Vierte Gesetz zurÄnderung des Sprengstoffgesetzes vom17.07.2009 seien nicht geeignet, solche Vorkommnissekünftig zu verhindern oder auchnur wesentlich zu erschweren.In der hier zugrundeliegenden Originalentscheidungdes BVerfG wurde die Verfassungsbeschwerdenicht zur Entscheidung angenommen(Art. 93a II GG), weil das BVerfGdie maßgeblichen verfassungsrechtlichenVorgaben als geklärt ansieht und daher derVerfassungsbeschwerde keine grundsätzlicheBedeutung zukomme.Gleichwohl beinhaltet die Entscheidung einaktuelles Beispiel, an dem sich die Problematikder „Schutzpflichtdimension“ für denKlausurbearbeiter – sowohl auf Zulässigkeitsebeneals auch in der Begründetheit einerVerfassungsbeschwerde – aufzeigen lässt.Aus diesem Grund soll hier – abweichendvom BVerfG – eine vollständige, klausurmäßigePrüfung erfolgen.Die Verfassungsbeschwerde hat Aussicht aufErfolg, wenn sie zulässig und begründet ist:548


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________A. Zulässigkeit:I. Zuständigkeit des BVerfG:Diese ergibt sich aus Art. 93 Nr. 4a GGi. V. m. §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG.II. Beschwerdefähigkeit:Beschwerdefähig ist nach Art. 93 I Nr. 4a GG,§ 90 I BVerfGG jedermann, mithin auch derBeschwerdeführer.III. Beschwerdegegenstand:Tauglicher Gegenstand ist jeder Akt öffentlicherGewalt, Art. 93 I Nr. 4a GG. Hier wendetsich der Beschwerdeführer dagegen, dass derGesetzgeber es unterlassen hat, mit demWaffengesetz einen hinreichenden Schutzdes Lebens und der körperlichen Unversehrtheitsicherzustellen, erlaube dieses doch denEinsatz tödlicher Waffen für den Schießsportbzw. schränke deren Gebrauch nicht ausreichendein.Somit rügt der Kläger ein so genanntes „unechtesUnterlassen“, da der Gesetzgeber nichtgänzlich untätig war, sondern seiner Schutzpflichtnicht durch die Änderung des WaffGnachgekommen sei. Dieses unechte Unterlassen,das sich in dem aktuell nicht ausreichendgeänderten WaffG materialisiert, isttauglicher Beschwerdegegenstand.IV. Beschwerdebefugnis:(Klausurhinweis: Wie stets besteht hier fürden Bearbeiter die Gefahr, durch zu langeAusführungen die Klausur zu „kopflastig“auszugestalten. Er sollte daher die Diskussionüber das Problem der „objektiven Schutzpflichtdimension“an dieser Stelle eher kurzfassen und tiefere Erörterungen hierzu erstim Rahmen der Begründetheit aufwerfen.Gleichwohl ist hier kurz darauf einzugehen,dass es auch im Rahmen der Rüge einer gesetzgeberischenUntätigkeit, gestützt auf eineobjektive Schutzpflicht des Staates, auf einesubjektive Betroffenheit des Beschwerdeführersankommt, besteht doch auch hier die Gefahrvon Popularklagen. Erforderlich ist also,dass die objektiv-rechtliche Schutzpflicht ineine subjektiv-rechtliche umschlagen muss.)Der Beschwerdeführer müsste neben einergrundsätzlich bestehenden objektivenSchutzpflicht zugleich die Betroffenheit einerkorrespondierenden, hinreichend individualisierbarenkonkreten Rechtsposition geltendmachen. 11. Objektive Schutzpflicht des Staates ausArt. 2 II 1 GG:Zwar schützt Art. 2 II 1 GG in seinem klassischenGehalt das Recht auf Leben und körperlicheUnversehrtheit vor staatlichen Eingriffen.Allerdings erschöpft sich das Grundrechtnicht in einem subjektiven Abwehr-1 Bethge, in: Maunz u. a., BVerfGG, 32. Lieferung,Rdnr. 224.549


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________recht gegenüber solchen Eingriffen. Aus ihmist vielmehr auch eine Schutzpflicht desStaates und seiner Organe für das geschützteRechtsgut abzuleiten, deren Vernachlässigungvon dem Betroffenen grundsätzlich mitder Verfassungsbeschwerde geltend gemachtwerden kann. 2Hier erscheint es zumindest möglich, dassder Staat durch das Waffengesetz in seinergegenwärtigen Gestalt dieser Schutzpflichtnicht hinreichend nachkommt, indem er denWaffenbesitz nicht restriktiv genug einschränkt.(Klausurhinweis: Ob dies tatsächlich derFall ist, ist eine Frage der Begründetheit.)2. Subjektive Betroffenheit:Eine objektive Schutzpflicht führt nicht ohneweiteres zu einem subjektiv einklagbarenRecht. Maßgeblich für ein solches Umschlagenist dabei insbesondere die Wertigkeit dergeschützten Rechtsgüter und die Intensitätder Bedrohungslage.Aufgrund der Irreversibilität der einmal eingetretenSchäden für das – im Grundrechtekanonals hochrangig einzustufende – Rechtauf körperliche Unversehrtheit und derhieraus resultierenden Intensität der möglichenBeeinträchtigung, insbesondere auchim Hinblick auf die Vielzahl von Waffenbe-sitzern im Bundesgebiet, erscheint eine subjektiveBetroffenheit plausibel.V. Rechtswegerschöpfung und Subsidiarität:Die auf einer Verletzung einer objektivenSchutzpflicht basierende Normenerlassklagegegen den parlamentarischen Gesetzgeber istallein Sache der Verfassungsgerichte. Ein vorherzu erschöpfender Rechtsweg existiertnicht.Auch das aus Art. 17 GG resultierende Petitionsrechtvor dem Deutschen Bundestagführt nicht zur Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde,da dem Petitionsrecht keinRecht auf Erfüllung des in der Petition genanntenAnliegens innewohnt, mithin als besonderesKontrollrecht außerhalb des förmlichenRechtsbehelfs- und Rechtsmittelsystemsbleibt. 3VI. Form und Frist:Die Form und die Jahresfrist des § 93 IIIBVerfGG ist gewahrt, da das WaffG zuletzt2013 geändert wurde.Zwischenergebnis:Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.2 So die st. Rspr. des BVerfG seit BVerfGE 77, 170(214); 77, 381 (402 f.).3 Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde,3. Aufl. 2006, Rdnr. 312.550


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________B. Begründetheit:(Klausurhinweis: Der Bearbeiter sollte hiernicht „blind“ dem üblichen und von ihm verinnerlichten„klassischen“ dreistufigen Aufbaueiner Begründetheitsprüfung (Schutzbereich,Eingriff, Rechtfertigung) folgen, da hier dasProblem der objektiven Schutzpflicht desStaates nur schwer verortet werden kann. Zuempfehlen ist ihm daher ein modifizierterdreistufiger Aufbau, untergliedert in I.Schutzbereich und Gefährdungslage, II. Besteheneiner Schutzpflicht und III. Verletzungdieser Schutzpflicht. 4 )I. Schutzumfang:Fraglich ist, ob das Recht auf körperliche Unversehrtheitaus Art. 2 II Abs. 2 Satz 1 GGhier sachlich berührt ist. Dabei ist maßgeblichauf die erhebliche Missbrauchsgefahr,die vom Schusswaffenumgang für die Allgemeinheitausgeht, abzustellen.Art. 2 II Abs. 2 Satz 1 GG steht dem Beschwerdeführerals Jedermannsgrundrechtauch persönlich zu, so dass der Schutzbereicheröffnet ist.II. Bestehen einer Schutzpflicht:Wie oben gezeigt erwächst aus Art. 2 IIAbs. 2 Satz 1 GG auch eine objektive Schutzpflichtdes Staates, die körperliche Unversehrtheiteines jeden Menschen zu schützen,4 Zum hier präferierten Aufbau siehe auch vonWeschpfennig, JuS 2011, S. 61 ff.indem er sich schützend und fördernd vordieses Leben stellt und es vor rechtswidrigenEingriffen Dritter bewahrt. 5III. Verletzung der Schutzpflicht:Bei der Erfüllung dieser Schutzpflicht ausArt. 2 II Abs. 2 Satz 1 GG kommt dem Gesetzgeber,wie der vollziehenden Gewalt, ein weiterEinschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraumzu. 6Aus diesem Grund kann die Entscheidungdes Gesetzgebers für bestimmte Maßnahmen,die er für geboten hält, nur begrenztüberprüft werden. Eine Verletzung derSchutzpflicht liegt demnach nur vor, wenndie öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungenüberhaupt nicht getroffen hat oder die ergriffenenMaßnahmen gänzlich ungeeignet odervöllig unzulänglich sind, das geboteneSchutzziel zu erreichen. 7(Klausurhinweis: Dieser Dreiklang entsprichtim Kern dem von der h. L. entwickeltenUntermaßverbot (als Gegenstück zumklassischen Übermaßverbot im Bereich derEingriffsdogmatik), auch wenn das BVerfGdas Untermaßverbot nicht ausdrücklich erwähntund eher die Evidenz der Untauglichkeitder getroffenen Maßnahmen in den Vordergrundstellt. Zu unterschiedlichen Ergeb-5 Vgl. BVerfGE 39, 1 (42); 46, 160 (164); 49, 89 (141 f.);53, 30 (57); 56, 54 (73).6 Vgl. BVerfGE 77, 170 (214).7 So die st. Rspr. des BVerfG seit BVerfGE 56, 54(80 f.); 77, 381 (405); 79, 174 (202).551


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________nissen gelangt man durch die beiden Konzepteindes nicht.)Der Gesetzgeber hat Schutzvorkehrungen getroffen,indem er ein Verbot mit Erlaubnisvorbehaltfür den Besitz von Waffen (§ 2 IIAbs. 2 WaffG) statuiert hat – wobei mancheWaffen gänzlich verboten sind. Die Erteilungder Erlaubnis ist an die Erfüllung weitererVoraussetzungen gebunden (1.), gleichzeitighat der Gesetzgeber Vorkehrungen zur Verhinderungdes Zugangs Unbefugter zu Waffenund Munition getroffen (2.).1. „Voraussetzungen für die Erteilung einer Erlaubnissind grundsätzlich die Volljährigkeitdes Antragstellers, dessen Zuverlässigkeit undpersönliche Eignung sowie der Nachweis dererforderlichen Sachkunde und eines Bedürfnisses(§§ 4 ff. WaffG). Zum Nachweis einesBedürfnisses müssen gegenüber den Belangender öffentlichen Sicherheit oder Ordnung besondersanzuerkennende, persönliche oderwirtschaftliche Interessen glaubhaft gemachtwerden (§ 8 WaffG). Für Sportschützen wirddiese Voraussetzung in § 14 Abs. 2 bis 4WaffG näher konkretisiert. Den – mit der Verfassungsbeschwerdebesonders gerügten – Erwerbund Besitz von großkalibrigen Schusswaffendurch Sportschützen hat der Gesetzgeberin § 14 Abs. 1 WaffG an das Erreichen eineserhöhten Mindestalters von 21 Jahren geknüpft.Verstöße gegen die Erlaubnispflichtsind mit Strafe bedroht (§ 52 WaffG).“2. „Gleichzeitig hat der Gesetzgeber Vorkehrungenzur Verhinderung des Zugangs Unbefugterzu Waffen und Munition getroffen, indemer ein – ebenfalls strafbewehrtes – Verbotder Überlassung von Waffen oder Munitionan nicht berechtigte Personen statuiert (§ 34WaffG) sowie eine sichere Aufbewahrung vonWaffen und Munition angeordnet (§ 36WaffG) hat. Verstöße gegen die Aufbewahrungsvorschriftenhat er allgemein als Ordnungswidrigkeitenund unter verschärftenVoraussetzungen als Straftat sanktioniert(§ 53 Abs. 1 Nr. 19, § 52a WaffG).“„Einzelne Vorschriften aus den skizziertenNormkomplexen hat der Gesetzgeber erst alsReaktion auf die Amokläufe von Erfurt undWinnenden eingeführt oder verschärft (vgl.das Gesetz zur Neuregelung des Waffenrechtsvom 11. Oktober 2002 und das Vierte Gesetzzur Änderung des Sprengstoffgesetzes vom17. Juli 2009).“Zwischenergebnis:„Bei dieser Rechtslage lässt sich weder feststellen,dass die öffentliche Gewalt überhauptkeine Schutzvorkehrungen gegen die vonSchusswaffen ausgehenden Gefahren getroffenhat, noch, dass offensichtlich die getroffenenRegelungen und Maßnahmen in ihrer Gesamtheitgänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglichwären, um die Allgemeinheit vorden Gefahren des missbräuchlichen Umgangsmit Schusswaffen zu schützen. Angesichtsdes dem Gesetzgeber bei der Erfüllung seiner552


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Schutzpflichten zukommenden weiten Einschätzungs-,Wertungs- und Gestaltungsspielraumssteht den Beschwerdeführern eingrundrechtlicher Anspruch auf weitergehendeoder auf bestimmte Maßnahmen wie das Verbotvon Sportwaffen nicht zu.“Ergebnis:Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg,da der Gesetzgeber die Schutzpflichtaus Art. 2 II Abs. 2 GG nicht verletzt hat.(Klausurhinweis: Um die funktionell-rechtlichenGrenzen zur Gesetzgebung nicht zuumgehen, würde das BVerfG auch dann, wennes eine Verletzung der Schutzpflicht feststellenwürde, lediglich eine so genannte Appellentscheidungtreffen. Hierbei stellt es die Unvereinbarkeitmit der Verfassung fest undnimmt den Gesetzgeber in die Pflicht, selbsteine taugliche Neuregelung zu schaffen. Bisdahin ergeht eine Weitergeltungsanordnung,um einen rechtsfreien Raum zu verhindern.)(Moritz Stilz / Jonas Ludwig)Inhaltsverzeichnis553


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Zulässigkeit von Mobilfunkanlagenim AußenbereichBVerwG, Urteil vom 20.06.2013 – 4 C 2/121. Zur Inanspruchnahme der Privilegierungals öffentliche Versorgungsanlagenach § 35 Absatz 1 Nummer 3 BauGB genügtbei Mobilfunksendeanlagen anstelleder Ortsgebundenheit ihre Raum- bzw.Gebietsgebundenheit.2. Auf technisch geeignete Standortalternativenim Innenbereich muss sich derBauherr einer Mobilfunksendeanlagenur verweisen lassen, wenn sie ihm zumutbarsind.(amtliche Leitsätze)Sachverhalt (zu Ausbildungszwecken vereinfachtund gekürzt):Die Klägerin ist ein Mobilfunkunternehmen.Sie plant, realisiert, betreibt und vermarktetAntennenstandorte unter anderem für Mobilfunk.Die Klägerin begeht die Erteilung einerBaugenehmigung zur Errichtung einerMobilfunksendeanlage auf einem gepachtetenGrundstück im Außenbereich der beigeladenenGemeinde. Die an das Stromnetz angeschlosseneMobilfunksendeanlage bestehtaus einem Stahlgittermast mit einer Gesamthöhevon 36 Metern, zwei Fertigteil-Funkcontainernsowie einem 25 Quadratmetergroßen geschotterten Parkplatz, der von eineröffentlichen Straße angefahren werdenkann. Nach der Standortbescheinigung derBundesnetzagentur werden die einschlägigenGrenzwerte und Abstände eingehalten. DieAnlage soll dazu dienen, Lücken und Defizitein der Versorgung mit Mobilfunkdienstleistungenim Bereich der Beigeladenen zuschließen.Die zuständige Baurechtsbehörde beimLandratsamt lehnte die Erteilung der Baugenehmigungab, weil die Beigeladene das insoweiterforderliche gemeindliche Einvernehmennicht erteilt habe.Das Verwaltungsgericht verpflichtete die Beklagte,der Klägerin die Baugenehmigungnach Maßgabe ihres Bauantrags zu erteilen.Auf die Berufung der Beklagten hob der Verwaltungsgerichtshofdas erstinstanzliche Urteilauf und wies die Klage ab. Die vom Verwaltungsgerichtshofzugelassene Revisionbeim Bundesverwaltungsgericht führte zurWiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.Wesentliche Entscheidungsgründe:1. Genehmigungsbedürftigkeit der MobilfunksendeanlageNach in diesem Fall einschlägigem baden-württembergischenLandesrecht ist dieErrichtung der Mobilfunksendeanlage alsbauliche Anlage (§ 2 Absatz 1 der LBO BW)genehmigungsbedürftig (§ 49 LBO BW), ins-554


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________besondere lag keine Verfahrensfreiheit vor(§ 50 LBO BW).2. Genehmigungsfähigkeit der MobilfunksendeanlageDie Baugenehmigung ist zu erteilen, wenndem genehmigungspflichtigen Vorhaben keinevon der Baurechtsbehörde zu prüfendenöffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen.Von der Baurechtsbehörde zu prüfendeöffentlich-rechtliche Vorschriften sindsolche, die Anforderungen an das Bauvorhabenenthalten und über deren Einhaltungnicht eine andere Behörde in einem gesondertenVerfahren durch Verwaltungsakt entscheidet(§ 58 LBO BW).2.1 Kein Verstoß gegen BauordnungsrechtEin Verstoß des Vorhabens gegen Bauordnungsrechtist nicht ersichtlich.2.2 Kein Verstoß des Vorhabens gegenBauplanungsrecht2.2.1 Vorhaben im Sinne von § 29 BauGBDie Mobilfunksendeanlage erfüllt unzweifelhaftden Vorhabensbegriff im Sinne des § 29BauGB.2.2.2 Kein Verstoß gegen § 35 BauGBDie Mobilfunkanlage befindet sich im Außenbereich,so dass sich deren bauplanungsrechtlicheZulässigkeit nach § 35 BauGB richtet.Hierbei ist zu unterscheiden zwischenden privilegierten Vorhaben des § 35 Absatz 1BauGB und den sonstigen Vorhaben des § 35Absatz 2 BauGB. Die Mobilfunksendeanlagestellt ein privilegiertes Vorhaben gemäß § 35Absatz 1 Nummer 3 BauGB dar. Nach dieserVorschrift ist ein Vorhaben im Außenbereichzulässig, wenn öffentliche Belange im Sinnevon § 35 Absatz 3 BauGB nicht entgegenstehen,die ausreichende Erschließung gesichertist und es der öffentlichen Versorgung mitTelekommunikationsdienstleistungen dient.Unproblematisch handelt es sich bei der Mobilfunksendeanlageum ein Vorhaben der öffentlichenVersorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen.Die Zulässigkeit hängtsomit davon ab, ob das Vorhaben die erforderlicheOrtsgebundenheit aufweist und derprivilegierten Zweckbestimmung „dient“ sowieob ihm öffentliche Belange entgegenstehen.2.2.2.1 OrtsgebundenheitDas Bundesverwaltungsgericht stellt zunächstklar, dass nach der Rechtsprechungdes Senats die Zulässigkeit von öffentlichenVersorgungsanlagen im Sinne von § 35 Absatz1 Nummer 3 Halbsatz 1 BauGB an ähnlicheVoraussetzungen geknüpft ist, wie sie fürdie in § 35 Absatz 1 Nummer 3 Halbsatz 2BauGB ebenfalls genannten ortsgebundenenBetriebe gelten.555


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Dazu führt das Bundesverwaltungsgericht –auch unter Bezugnahme auf die herrschendeAuffassung in der Literatur – aus:„Ortsgebunden ist ein Gewerbe danach nurdann, wenn es nach seinem Gegenstand undseinem Wesen ausschließlich an der fraglichenStelle betrieben werden kann. Erforderlichist hierfür, dass der Betrieb auf die geographischeoder die geologische Eigenart derStelle angewiesen ist, weil er an einem anderenOrt seinen Zweck verfehlen würde. Entsprechendesgilt, allenfalls graduell abgeschwächt,für die in § 35 Absatz 3 Nummer 3Halbsatz 1 BauGB genannten Vorhaben. AuchAnlagen dieser Art nehmen an der Privilegierungnur dann teil, wenn sich auf die Frage,weshalb das Vorhaben gerade hier ausgeführtwerden soll, eine die fragliche Stelle gleichsamindividualisierende Antwort geben lässt. DieserStandortbezug ist bei den in § 35 Absatz 1Nummer 3 BauGB genannten Anlagen der öffentlichenVersorgung vor allem insoweit gegeben,als sie leitungsgebunden sind, denn insofernkönnte ohne Berührung des Außenbereichsdie den Versorgungsunternehmen obliegendeumfassende Versorgungsaufgabenicht erfüllt werden. An einer solchen spezifischenGebundenheit fehlt es jedoch, wenn derStandort im Vergleich mit anderen Stellenzwar Lagevorteile bietet, das Vorhaben abernicht damit steht oder fällt, ob es hier und sound nirgendwo anders ausgeführt werdenkann. […] Eine ‚kleinliche‘ Prüfung der Ortsgebundenheitist allerdings nicht angebracht.Spezifischer Standortbezug ist nicht gleichbedeutendmit einer gleichsam quadratmetergenauerfassbaren Zuordnung des Vorhabens zuder in Anspruch genommenen Örtlichkeit. Sosehr es sich verbietet, bei der Auslegung desMerkmals der Ortsgebundenheit engherzigzu verfahren, so sehr verbietet es sich indesauch, von dem Erfordernis abzusehen, dasssich die räumliche Beziehung, auf die das Vorhabenseiner Funktion nach angewiesen ist,nur an einer näher eingrenzbaren Stelle undnicht beliebig anderswo im Außenbereich herstellenlässt. Wird bei Anlagen der öffentlichenVersorgung der bei gewerblichen Betriebenmaßgebliche kleinräumliche Bezugsrahmenverlassen, so verliert der Begriff der Ortsgebundenheitjegliche Konturen. Von einer individualisierendenAntwort auf die Frage derLokalisierung kann dann keine Rede mehrsein, wenn der gesamte Außenbereich einerGemeinde oder einer Vielzahl von Gemeindenals potentiell geeigneter Standort in Betrachtkommt.“Nachdem das Gericht diese Grundsätze, vondenen abzuweichen es keinen Anlass sieht,nochmals dargelegt hat, entwickelt es seineRechtsprechung punktuell jedoch weiter.Das Gericht legt dar, dass es im Hinblick aufdie Besonderheiten der Mobilfunktechnologieeiner Modifikation der zuvor dargestelltenGrundsätze bedürfte.Dazu das Bundesverwaltungsgericht:„Mobilfunksendeanlagen dienen der drahtlosenÜbertragung von Sprache bzw. von Da-556


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________ten. Träger der Informationen sind hochfrequenteelektromagnetische Funkwellen. ZurGewährleistung einer flächendeckenden Versorgungmit mobilen Telekommunikationsdiensten,zu der die Mobilfunkbetreiber gemäßder ihnen vergebenen Lizenzen verpflichtetsind, werden die zu versorgendenGebiete in ‚Funkzellen‘ gegliedert. Die einzelnenFunkzellen sind in der Regel wabenförmigund erstrecken sich über das gesamte Bundesgebiet.Sie verfügen über unterschiedlicheGrößen. Jede dieser Funkzellen wird von einerfest installierten Sende- und Empfangsanlageversorgt, der Mobilfunkbasisstation. Die voneiner Anlage abgestrahlte Leistung, d. h. dieStärke des elektromagnetischen Feldes, richtetsich dabei unter anderem nach der Größeder Funkzelle und nach der Menge der zuübertragenden Daten. Mobilfunkbasisstationenkönnen nicht an beliebiger Stelle errichtetwerden, da sie Teil eines übergreifenden, ausvielen Waben bestehenden Mobilfunknetzessind. Sie sind daher wegen des Zuschnitts derzu versorgenden Flächenzelle und deren topografischenGegebenheiten auf bestimmteStandorte angewiesen. Dabei sind die Standorteso zu wählen, dass sie eine Versorgungder Flächenzelle bei relativ geringer Sendeleistunggewährleisten, ohne benachbarte Flächenzellenzu stören. Zudem sind die topografischenGegebenheiten dahingehend zu berücksichtigen,dass durch geländebedingteAbschirmungen keine Versorgungslücken entstehen.In der Regel kommt für die Errichtungeiner Mobilfunksendeanlage aber nicht nurein ganz konkreter Standort in Betracht; vielmehrkönnen aufgrund der Wabenstrukturdes Mobilfunknetzes regelmäßig mehrereStandorte für deren Errichtung geeignet sein.Diese werden vom Mobilfunkbetreiber imWege einer sogenannten Suchkreisanalyse ermittelt,in welcher das maßgebliche Areal füreine Mobilfunksendeanlage beschrieben wird.Die Besonderheit von Mobilfunksendeanlagenliegt also darin, dass sie, um ihre Funktion imFunknetz des Unternehmers erfüllen zu können,zwar in einem bestimmten Gebiet errichtetwerden müssen, innerhalb dieses Bereichsaber regelmäßig mehrere Standorte in Betrachtkommen. Sie sind also auf einen bestimmtenStandort in der Regel nicht in derselbenWeise angewiesen wie etwa ein Gewerbebetrieb,der Bodenschätze abbaut. Würdeam Merkmal der ‚Ortsgebundenheit‘ im herkömmlichenSinn uneingeschränkt festgehalten,fielen Mobilfunksendeanlagen regelmäßigaus dem Anwendungsbereich des § 35 Absatz1 Nummer 3 BauGB heraus, weil sie keinerBindung an einen bestimmten Standortunterliegen. Sie sind nicht orts-, sondern lediglichraum- bzw. gebietsgebunden. Etwasanderes würde nur dann gelten, soweit die topografischenVerhältnisse die Einbeziehungder Anlage in die übergeordnete Mobilfunkstrukturoder weitere – überörtliche – Funktionender Anlage ausnahmsweise einen ganzbestimmten Standort im Außenbereich erforderten.In Anbetracht der beschriebenen technischenBesonderheiten von Mobilfunksendeanlagenist der Senat mit dem Verwaltungsgerichtshofund der obergerichtlichen Rechtsprechungder Auffassung, dass das Merkmal557


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________der ‚Ortsgebundenheit‘ bei einer Mobilfunksendeanlagebereits dann erfüllt ist, wenn siean einem funktechnisch hierfür geeignetenStandort im Außenbereich errichtet werdensoll, um das Angebot an Telekommunikationsdienstleitungenzu verbessern, etwa weildurch die Anlage eine bestehende Versorgungslückegeschlossen werden soll. Es genügtmithin eine Raum- bzw. Gebietsgebundenheit,die durch eine entsprechende Standortanalysedes Vorhabenträgers nachzuweisenist.“Das Bundesverwaltungsgericht erkennt jedochauch sogleich, dass die modifizierteAuslegung des Tatbestandsmerkmals der„Ortsgebundenheit“ für die Mobilfunktechnologieeines begrenzenden Korrektivs bedarf.Dieses nimmt das Gericht aus dem Gebotgrößtmöglicher Schonung des Außenbereichs,das als Leitgedanke den gesamten § 35BauGB beherrscht. Hierzu das Bundesverwaltungsgericht:„Der Senat hat jedoch stets betont, dass dasGebot größtmöglicher Schonung des Außenbereichsals Leitgedanke den gesamten § 35BauGB beherrscht. Dieses Gebot gibt dieRichtung vor, in der die einzelnen Regelungendes § 35 BauGB auszulegen sind. Vor diesemHintergrund bedarf die Ausdehnung der‚Ortsgebundenheit‘ auf eine ‚Raum- bzw. Gebietsgebundenheit‘von Mobilfunksendeanlagenfür den Fall, dass sich hierdurch Standortalternativenim Innenbereich ergeben, einesder Standortwahlfreiheit des Bauherrneinschränkendes Korrektivs, das allerdingsnicht nur der grundsätzlichen Vorzugswürdigkeitsolcher Standorte vor einer Inanspruchnahmedes Außenbereichs Rechnungträgt, sondern auch einbezieht, ob dem Bauherrnder immerhin im Außenbereich privilegiertenAnlage ein Ausweichen auf einenStandort im Innenbereich konkret zugemutetwerden kann. Der Senat sieht dieses Korrektivdarin, dass die Prüfung der ‚Ortsgebundenheit‘bei Mobilfunksendeanlagen um eine Verhältnismäßigkeitsprüfunganzureichern ist.Danach kann die ‚Ortsgebundenheit‘ nurdann bejaht werden, wenn – neben der Raumbzw.Gebietsgebundenheit des Vorhabens –dem Bauherrn ein Ausweichen auf einen –nach der von ihm im Genehmigungsverfahrenvorzulegenden Standortanalyse – ebenfallsgeeigneten Standort im Innenbereich nichtzumutbar ist. Das ist dann anzunehmen,wenn geeignete Innenbereichsstandorte austatsächlichen (z. B. der Grundstückseigentümerlässt die Errichtung der Anlage auf seinemGrundstück nicht zu) oder rechtlichen(z. B. die Errichtung einer Mobilfunksendeanlagean einem geeigneten Standort ist bauplanungsrechtlichoder aufgrund örtlicher Bauvorschriftenunzulässig) Gründen nicht zurVerfügung stehen. Mit dieser Einschränkungwird den Erfordernissen der größtmöglichenSchonung des Außenbereichs hinreichendRechnung getragen, ohne die technischen Besonderheitendes Mobilfunks zu vernachlässigen.Einer Standortalternativenprüfung imAußenbereich wird hierdurch nicht das Wort558


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________geredet, denn eine solche findet im Baugenehmigungsverfahrennicht statt.“In der anschließenden Subsumption kommtdas Bundesverwaltungsgericht zu dem Ergebnis,dass ausweislich der durch die Klägerinvorgelegten Suchkreisanalyse elf Standortein Betracht kommen, um das Gemeindegebietder Beigeladenen zukünftig ausreichendmit Mobilfunkdienstleistungen versorgenzu können. Diese Suchkreisanalyselege ebenfalls dar, dass die Klägerin auf keinender ermittelten Innenbereichsstandortein zumutbarer Weise zurückgreifen könne.Von der Raum- und Gebietsgebundenheit seidaher auszugehen.2.2.2.2 „Dienen“Weiter prüft das Gericht das Tatbestandsmerkmaldes „Dienens“ im Sinne des § 35Absatz 1 Nummer 3 BauGB. Unter Betrachtungder anderen Alternativen des § 35 Absatz1 BauGB kommt das Bundesverwaltungsgerichtzu der Feststellung, dass der Begriffdes „Dienens“ in § 35 Absatz 1 Nummer3 BauGB keine andere Bedeutung habe.Das Tatbestandsmerkmal biete insbesonderekeine Handhabe dafür, die Standortwahl zukorrigieren. Vielmehr arbeitet das Bundesverwaltungsgerichtnochmals die ratio legisdieser Voraussetzung heraus.Dazu das Gericht:„Die eigentliche Zweckbestimmung dieses Erfordernissesliegt vielmehr darin, Missbrauchsversuchenbegegnen zu können. Essollen Vorhaben verhindert werden, die zwaran sich objektiv geeignet wären, einem privilegiertenVorhaben zu dienen, mit denen aberin Wirklichkeit andere Zwecke verfolgt werden.Deshalb ist das Merkmal des Dienens zuverneinen, wenn das Vorhaben zwar nach seinemVerwendungszweck gerechtfertigt seinmag, nach seiner Gestaltung, Beschaffenheitoder Ausstattung aber nicht durch diesenVerwendungszweck erschöpfend geprägtwird.“Im konkreten Fall hat das Bundesverwaltungsgerichtdas Tatbestandsmerkmal als erfülltangesehen, da durch die MobilfunkanlageLücken oder Defizite in der Versorgungmit Mobilfunkdiensten im Bereich der beigeladenenGemeinde beseitigt würden. Anhaltspunktefür eine missbräuchliche Inanspruchnahmedes Außenbereichs oder füreine Verfolgung von Zwecken, die außerhalbdes Bereichs der Telekommunikation lägen,oder für eine Überdimensionierung der Anlageseien weder gegeben noch behauptet.2.2.2.3 Keine entgegenstehenden öffentlichenBelangeDem privilegierten Vorhaben dürfen keineöffentlichen Belange entgegenstehen. Dieseorientieren sich am nicht abschließendenKatalog der Beispiele in § 35 Absatz 3 BauGB.Durch die Mobilfunkanlage werden keineschädlichen Umweltauswirkungen im Sinnevon § 35 Absatz 3 Satz 1 Nummer 3 BauGB559


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________hervorgerufen. Die Anlage hält ausweislichder Standortbescheinigung der Bundesnetzagenturdie nach der Verordnung über elektromagnetischeFelder (26. BImSchV) erforderlichenGrenzwerte und Abstände ein.Belange des § 35 Absatz 3 Satz 1 Nummer 5BauGB stehen dem Vorhaben ebenfalls nichtentgegen. Die sachkundig beratene Naturschutzbehördehatte gegen das Vorhaben keineEinwände erhoben.2.2.2.4 RückbauverpflichtungDie Klägerin hatte im vorliegenden Fall gemäßden Bauunterlagen auch die notwendigeVerpflichtungserklärung im Sinne von § 35Absatz 5 Satz 1 BauGB abgegeben.Ergebnis:Damit war die Baugenehmigung zu erteilen.Ein Ermessen der Baurechtsbehörde bestehtdann nicht mehr. Die erstinstanzliche verwaltungsgerichtlicheEntscheidung, mit derdie Baurechtsbehörde verpflichtet wurde, derKlägerin die Baugenehmigung nach Maßgabeihres Bauantrags zu erteilen, war rechtmäßig.Das Bundesverwaltungsgericht hat mit dieserEntscheidung die bislang durch die(Ober-)Gerichte und die Literatur uneinheitlichbeantwortete Frage entschieden, unterwelchen Voraussetzungen eine Mobilfunksendeanlageim Außenbereich zulässig ist.Das Gericht hält nach wie vor am Tatbestandsmerkmalder „Ortsgebundenheit“ fest,konzediert jedoch Modifikationen aufgrundder Besonderheiten der Mobilfunktechnologie.In der Originalentscheidung des Bundesverwaltungsgerichtsfinden sich ergänzend nochAusführungen zur Frage der Wiedereinsetzungin den vorigen Stand gemäß § 60VwGO in die Rechtsmittelfrist wegen überlangerPostlaufzeiten. Hierzu hält das Bundesverwaltungsgerichtfest, dass davon ausgegangenwerden kann, dass im Bundesgebietwerktags aufgegebene Postsendungengrundsätzlich am folgenden Werktag ausgeliefertwerden (im zugrunde liegenden Fallmusste der Brief nur von Stuttgart nachMannheim befördert werden). Ohne konkreteAnhaltspunkte müsse nicht mit Postlaufzeitengerechnet werden, die die ernsthafteGefahr einer Fristversäumung begründen.(Regierungsdirektor Jochen Heinz)InhaltsverzeichnisHinweise:560


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Eröffnung desVerwaltungsrechtswegsVGH Baden-Württemberg, Beschluss vom28.05.2013 – 5 S 595/13Eine Straßenbaubehörde, die die Entfernungeiner Skulptur von einer Kreisverkehrsinselzur Wiederherstellung derVerkehrssicherheit verlangt, handelt typischerweisein Wahrnehmung hoheitlicherAufgaben. Für eine einstweilige Anordnunggegen ein solches Beseitigungsverlangenist der Verwaltungsrechtsweggegeben. Der Abschluss eines privatrechtlichenNutzungsvertrages, mit demdas Aufstellen der Skulptur gestattet wurdeund in dem keine vollständige Übertragungder Aufgaben der Straßenbaubehördeerfolgte, steht der Annahme eineröffentlich-rechtlichen Streitigkeit nichtentgegen. (amtlicher Leitsatz)Sachverhalt (zu Ausbildungszwecken vereinfachtund gekürzt):Die Antragstellerin, eine Gemeinde, wendetsich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzesvor dem Verwaltungsgericht gegeneine Aufforderung des Landratsamts, die aufder Mittelinsel eines Kreisverkehrsplatzes imZuge einer Landesstraße aufgestellte Nagelskulpturund die dort angeordneten Findlinge„zur Wiederherstellung der Verkehrssicherheitzu entfernen“, und begehrt, dem Antragsgegnerdie Entfernung dieser Gegenständesolange zu untersagen, bis über ihreBeseitigungspflicht rechtskräftig entschiedenist. Neben der Tatsache, dass die Antragstellerinmeint, durch die Skulptur und dieFindlinge sei die Verkehrssicherheit nicht beeinträchtigt,hält sie insbesondere eine zwischenihr und dem Landratsamt geschlosseneVereinbarung über die Benutzung derGrünfläche des Kreisverkehrs zur Aufstellungder Kunstwerke auch für keine tragfähigeGrundlage für das Beseitigungsverlangen.Das Verwaltungsgericht hatte den Verwaltungsrechtswegdurch Beschluss für unzulässigerklärt und den Rechtsstreit an das AmtsgerichtStuttgart verwiesen. Auf die Beschwerdeder Antragstellerin hin hat der Verwaltungsgerichtshofden Verweisungsbeschlussdes Verwaltungsgerichts aufgehobenund den Verwaltungsrechtsweg für zulässigerklärt.Wesentliche Entscheidungsgründe:Das im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzesangegangene Verwaltungsgerichthat die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegsverneint und den Rechtsstreit an dasAmtsgericht verwiesen. Rechtsgrundlagehierfür war § 17a Absatz 2 Satz 1 GVG, derlautet: „Ist der beschrittene Rechtsweg unzulässig,spricht das Gericht dies nach Anhörungder Parteien von Amts wegen aus undverweist den Rechtsstreit zugleich an das zuständigeGericht des zulässigen Rechtsweges.“Hiergegen hat die Antragstellerin ge-561


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________mäß § 17a Absatz 4 Satz 3 GVG sofortige Beschwerdeerhoben. Der für das Beschwerdeverfahrenzuständige Verwaltungsgerichtshofhatte nun zu prüfen, ob der Verweisungsbeschlussdes Verwaltungsgerichts zu Unrechterfolgt ist. Das Gericht kommt zu dem Ergebnis,dass das Verwaltungsgericht rechtswidrigeine zivilgerichtliche Streitigkeit angenommenhat.Ausgangspunkt der rechtlichen Prüfung desVerwaltungsgerichtshofs ist § 40 Absatz 1Satz 1 VwGO. Nach dieser Vorschrift ist derVerwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichenStreitigkeiten nichtverfassungsrechtlicherArt gegeben, soweit dieStreitigkeiten nicht durch Bundesrecht einemanderen Gericht ausdrücklich zugewiesensind. Nach Satz 2 können öffentlich-rechtlicheStreitigkeiten auf dem Gebietdes Landesrechts einem anderen Gerichtauch durch Landesgesetz zugewiesen werden.Die Subsumption des Verwaltungsgerichtshofs:„Mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligenAnordnung nach § 123 Absatz 1 VwGOwendet sich die Antragstellerin gegen die ansie gerichtete Aufforderung des Landratsamtes,die auf der Mittelinsel eines Kreisverkehrsplatzesim Zuge einer Landesstraße aufgestellteNagelskulptur und die dort angeordnetenFindlinge ‚zur Wiederherstellung derVerkehrssicherheit‘ zu entfernen, und begehrt,(auch) dem Antragsgegner die Entfernungdieser Gegenstände so lange zu untersagen,bis über ihre Beseitigungspflicht rechtskräftigentschieden ist. Die Beteiligten streitendamit zuerst und vor allem um die Frage,ob die Nagelskulptur und die Findlinge deshalbzu entfernen sind, weil diese die Verkehrssicherheitund damit möglicherweise sogarden Gemeingebrauch (§ 13 StrG BW) beeinträchtigen.Der dem Antragsbegehren zugrundeliegende Sachverhalt beurteilt sich dahernach öffentlich-rechtlichen Vorschriften,so dass der Verwaltungsrechtsweg gemäߧ 40 Absatz 1 Satz 1 VwGO zulässig ist. DasLandratsamt handelte bei seiner an die Antragstelleringerichteten Aufforderung zurEntfernung der Gegenstände von der Kreisverkehrsinselin Wahrnehmung seiner Aufgabenals Träger der Straßenbaulast bzw. derVerkehrssicherungspflicht. Dies ergibt sichsowohl aus der Begründung des Beseitigungsverlangensim Schreiben des Landratsamtesals auch aus den Ausführungen des darin inBezug genommenen Berichts über den Sicherheitsaudit.Danach wurde das Landratsamtdeshalb tätig, weil die ‚Skulptur und die Findlingestarre Hindernisse in der Kreismittelinseldarstellen und nicht verkehrssicher sind‘.Dabei kann in vorliegendem Zusammenhangdahingestellt bleiben, zu welchem Pflichtenkreisdie angegriffene Maßnahme gehört;denn nicht nur die Verkehrssicherungspflicht,sondern auch die Straßenbaulast kann sichauf die Beseitigung von den Verkehr beeinträchtigendenHindernissen beziehen. Sowohldie mit dem Bau und der Unterhaltung als562


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________auch die mit der Überwachung der Verkehrssicherheitder öffentlichen Straßen zusammenhängendenPflichten obliegen den zuständigenBehörden gemäß § 59 StrG BW alsAmtspflichten in Ausübung hoheitlicher Tätigkeit.Die von der Antragstellerin beanstandetekonkrete Aufgabenwahrnehmung unterfälltdaher in jedem Fall dem öffentlichenRecht. Dem Landratsamt obliegt als untereVerwaltungsbehörde bezüglich der Landesstraßendarüber hinaus sowohl die Verkehrssicherungspflichtals auch die Straßenbaulast(§ 50 Absatz 3 Nummer 1 i. V. m. § 51 Absatz2 StrG BW). Ob und inwieweit die aufgrunddes Berichts über den Sicherheitsauditangenommene Beeinträchtigung der Verkehrssicherheittatsächlich vorliegt, ist keineFrage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheitder einstweiligen Anordnung. Dahingestelltbleiben kann, ob – wie die Beteiligtenmeinen – mit dem Aufstellen des Kunstwerkssogar eine Beeinträchtigung des Gemeingebrauchseinher geht und es insofern um dieFrage der Abgrenzung zwischen einer öffentlich-rechtlichenSondernutzung im Sinne des§ 16 StrG BW und eines privatrechtlichenSondergebrauchs (vgl. § 21 StrG BW) geht.Käme es maßgeblich auf die Beantwortungdieser Frage an, richtete sich die Entscheidungdes Rechtsstreits ebenfalls nach öffentlich-rechtlichenVorschriften (§§ 13, 16 und 21StrG BW), so dass auch dann der Verwaltungsrechtsweggegeben wäre.Aus der zwischen den Beteiligten getroffenenVereinbarung über die Benutzung der Kreisverkehrsinsel‚zur Aufstellung eines Nagel-Kunstwerks‘ ergibt sich entgegen der Auffassungdes Verwaltungsgerichts nichts anderes.Zwar handelt es sich bei dieser um einen privatrechtlichenNutzungsvertrag, mit dem einesonstige Straßenbenutzung gemäß § 21 Absatz1 StrG BW zugelassen wurde, weil die Beteiligtenzum Zeitpunkt des Vertragsschlussesersichtlich davon ausgingen, dass durch dasAufstellen des Kunstwerks als solches wederdie Verkehrssicherheit noch der Gemeingebrauchbeeinträchtigt würden. Dieser Vertragbeschränkt sich indes darauf, die Benutzungdes Straßengrundstücks – die Kreisverkehrsinselgehört nach übereinstimmender, zutreffenderAuffassung der Beteiligten straßenrechtlichzur Straße – zu einem bestimmtenZweck einzuräumen und die Bedingungenhierfür festzulegen. Dazu gehört zwar auchdie Verpflichtung der Antragstellerin, die ‚Anlage‘so zu errichten und zu unterhalten, dasssie den Anforderungen der Sicherheit undOrdnung sowie den anerkannten Regeln derTechnik genügen (vgl. Nr. 10 Satz 1 der Vereinbarung).Damit ist indes eine – rechtlich wohlauch gar nicht mögliche – vollständige Übertragungder hoheitlichen Amtspflichten ausder Verkehrssicherungspflicht und der Straßenbaulastnicht verbunden. Dies gilt umsomehr, als sich der Antragsgegner in Nr. 6 derVereinbarung ein eigenes Tätigwerden – insbesonderebei einer Gefährdung der Sicherheitdes Verkehrs – ausdrücklich vorbehalten hat.Denn in diesem Fall kann die Straßenbauverwaltungsogar ohne vorherige Aufforderungund Fristsetzung das nach ihrem Ermessen563


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Erforderliche veranlassen. Soweit im Schreibendes Landratsamtes auf die in Nr. 10 Satz 2der Vereinbarung geregelte Änderungspflichtder Antragstellerin hingewiesen wird, kommtdiese Bestimmung als Grundlage für das Beseitigungsverlangennicht in Betracht. Sie regelteine privatrechtliche Folgepflicht, die beieiner nachträglichen Änderung der Straße(Verbreiterung, Höher-, Tieferlegung usw.)zum Tragen kommt. Darum geht es im hierzu entscheidenden Fall jedoch ersichtlichnicht. Im Übrigen rechtfertigt auch dieserHinweis die Annahme einer zivilrechtlichenStreitigkeit nicht. Maßgebend für die Entscheidungüber den Rechtsweg ist die (wahre)Rechtsnatur des Rechtsverhältnisses, ausdem der Klageanspruch hergeleitet wird; unerheblichist, auf welche Norm der Kläger seinenAnspruch selbst stützt und wie er ihnselbst qualifiziert. Danach handelte dasLandratsamt nach dem Vortrag der Beteiligtenhier – wie oben ausgeführt – in Wahrnehmungseiner ihm kraft Gesetzes zugewiesenenAufgaben als Träger der Straßenbaulastbzw. der Überwachung der Verkehrssicherheit.“(Regierungsdirektor Jochen Heinz)InhaltsverzeichnisHinweise:Gerade im zweiten juristischen Staatsexamenspielen Fragestellungen um §§ 17 bis 17b GVG(ggf. i. V. m. § 83 VwGO) immer mal wiedereine Rolle. Hier sollten sich <strong>Examen</strong>skandidatinnenund -kandidaten daher keine Blößegeben.564


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________ImpressumRedaktionBenjamin BaischDominique BeckAmela CausevicPius DolzerRichter Guido Philipp ErnstRA Steffen FollnerFabian FrizRAin Karin HummelLina KammererDr. Philipp KauffmannRA Andreas LohbeckPhilipp Louis(Stellvertr. Schriftleiter)Prof. Dr. Christian F. Majer(Schriftleiter)RA Dr. Paul PopescuGabriel Schmidt(Stellvertr. Schriftleiter)Philipp TrautmannAnna VögeleinRAin Stephanie WalzJulian WeippertRA Marian WieczorkeJulia ZaiserHerausgeberVerein der <strong>Zeitschrift</strong> JSE e. V.c/o Prof. Dr. Christian F. MajerKonrad-Adenauer-Str. 9D-72072 TübingenVereinsvorstand:Prof. Dr. Christian F. Majer(Vorsitzender)RA Marian Wieczorke(Stellvertr. Vorsitzender)Gabriel Schmidt(Schatzmeister)Richter Guido Philipp Ernst(Ressortleiter Strafrecht)ISSN 2195-044XBeiratRA Dr. Felix E. BuchmannProf. Dr. Jörg EiseleRAin Dr. Tabea Yasmine GlemserProf. Dr. Volker HaasRA Dr. Roland Haberstroh, LL. M. (Boston University)RD Jochen HeinzProf. Dr. Antonios Karampatzos, LL. M. (Tübingen)RA Prof. Rainer KirchdörferProf. Dr. Alexander ProelßProf. Dr. Joachim RenzikowskiProf. Dr. Gottfried SchiemannProf. Dr. Jan SchürnbrandRichter Dr. Dominik SkauradszunRiOLG a. D. Prof. Dr. Dr. h. c. Rolf StürnerRiLG Dr. Felix Tausch, Mag. rer. publ.PD Dr. Christian TraulsenRA Dr. Werner WalkRA Dr. Andreas Wax, Maître en droit (Aix-Marseille)RA Prof. Dr. Gerhard Wegen, LL. M. (Harvard)MR Prof. Dr. Rüdiger WulfWebseite: www.zeitschrift-jse.deE-Mail: redaktion@zeitschrift-jse.deDie <strong>Zeitschrift</strong> JSE erscheint vierteljährlich seit 2011und wird ausschließlich online als PDF-Dokument herausgegeben.Die aktuelle und alle früheren Ausgaben sind auf der Webseite kostenlos abrufbar.Wir danken unseren Werbepartnern der vorliegenden Ausgabe:CMS Hasche Sigle | Luther | Menold Bezler | Thümmel, Schütze & Partner565


<strong>AUS</strong>GABE 4 | 2013___________________________________________________________________________________________________________________________________Autorinnen und Autoren gesucht!Ihre Veröffentlichung in der <strong>Zeitschrift</strong> <strong>Jura</strong> <strong>Studium</strong> & <strong>Examen</strong>Die <strong>Zeitschrift</strong> JSE richtet sich vorwiegend an <strong>Jura</strong>studenten und Rechtsreferendare. Unsere Redaktionbesteht zum größten Teil selbst aus jungen Juristen und möchte neben erfahrenen Rechtswissenschaftlernund Praktikern ausdrücklich auch ihresgleichen ein Forum bieten. Beiträge von Lesernsind daher jederzeit herzlich willkommen. Ob Professor oder Studentin – bei uns bekommenalle ihre Chance. Was zählt, sind nicht Titel, Berufserfahrung oder Renommee des Autors, sonderneinzig und allein die wissenschaftliche Qualität und thematische Relevanz des Beitrags, die im Verfahrendes „peer review“ von einem Fachbeirat begutachtet werden.Junge Juristen, <strong>Jura</strong>studenten und Rechtsreferendare möchten wir ermutigen, mit einem Beitrag inder JSE eine – vielleicht die erste – wissenschaftliche Veröffentlichung zu wagen. Interessiert sindwir an Aufsätzen zu Themen mit politischem, rechtspolitischem oder rechtsethischem Bezug sowiean Klausuren und Hausarbeiten jeder Art. Die Beiträge in der vorliegenden und in früherenAusgaben, die Sie auf unserer Webseite finden, können Ihrer Orientierung dienen.Erfahrene Juristen aus Wissenschaft und Praxis möchten wir ermutigen, mit einem Beitrag in derJSE ihr Wissen und ihre Erfahrung an die nachfolgende Generation weiterzugeben.Als eine junge und kostenlos erhältliche <strong>Zeitschrift</strong> mit ehrenamtlich tätiger Redaktion können wirleider kein Autorenhonorar bezahlen. Was wir aber bieten können, ist ein freundlicher, kooperativerund unbürokratischer Umgang mit den Autoren und ihren Beiträgen. Den Verfassern von Arbeiten,die unseren Qualitätsstandards und Relevanzkriterien genügen, garantieren wir eine zeitnaheVeröffentlichung in der nächsten oder übernächsten Ausgabe. (Und sollte doch einmal einBeitrag beim ersten Mal abgelehnt werden, dann erhält der Autor hilfreiches Feedback und immereine zweite Chance.)Wenn Sie interessiert sind, zögern Sie nicht, sondern schreiben Sie eine E-Mail anredaktion@zeitschrift-jse.de. Unter http://www.zeitschrift-jse.de/autorenhinweise.htmlfinden Sie unsere technischen Autorenhinweise.Wir freuen uns auf Ihre Kontaktaufnahme.Die Redaktion der <strong>Zeitschrift</strong> <strong>Jura</strong> <strong>Studium</strong> & <strong>Examen</strong>566

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!