Köln, Hotel Flamingo Mai 2004 Übers. aus d. Guarani: Th. Hillebrand

Köln, Hotel Flamingo Mai 2004 Übers. aus d. Guarani: Th. Hillebrand Köln, Hotel Flamingo Mai 2004 Übers. aus d. Guarani: Th. Hillebrand

09.09.2012 Aufrufe

14 C 1436 ff Titel im Original unleserlich Datiert: Köln, Hotel Flamingo Mai 2004 Übers. aus d. Guarani: Th. Hillebrand Bis zu dem Tag, da Silvina aus dem Fenster im ersten Stock sah und sagte Da unten steht einer, hatten wir eine gute Zeit. Ich hatte nebenher mit Box- und Fußballreportagen weiter gemacht, und da ich ziemlich genau hinsah und über eine flotte Feder verfügte, war ich dabei, mir einen kleinen Namen zu erschreiben. Und ich liebte Silvina, die noch immer schön war wie ein Kunstwerk und wie aus Porzellan; auch wenn ich sie zuweilen mit einem Kommilitonen ihrer Veterinärmedizin teilen musste. Oder mit einem Musiker; denn sie hatte begonnen, Tangos, Milongas und Boleros zu singen. Und immer musste ich sie mit wenigstens einem zugelaufenen Hund teilen, der ihr Zimmer mit seiner Muffelei und mit den Neurosen des Geflüchteten füllte. Ich hasste diese kaputten Hunde. Am schlimmsten war ein gewaltiger Neufundländer, der vor Angst pinkelte, wenn er mich sah. Aber es half nichts: ich liebte, und schließlich wollte Silvina Tierärztin werden und übte an den Kreaturen. Und ich arbeitete an meinem Handwerk, strikt nach Plan. Ich lernte, noch genauer hinzusehen und zu fragen wie ein Ermittler: die Box- und Fußballszene bot reine Honigtöpfe dafür und natürlich auch Kübel voller Jauche. Wirklich, der Mafia ging es gut hier, und auch der Pharmaindustrie. Das meiste aber 171

14<br />

C 1436 ff<br />

Titel im Original unleserlich<br />

Datiert: <strong>Köln</strong>, <strong>Hotel</strong> <strong>Flamingo</strong><br />

<strong>Mai</strong> <strong>2004</strong><br />

<strong>Übers</strong>. <strong>aus</strong> d. <strong>Guarani</strong>: <strong>Th</strong>. <strong>Hillebrand</strong><br />

Bis zu dem Tag, da Silvina <strong>aus</strong> dem Fenster im ersten Stock<br />

sah und sagte Da unten steht einer, hatten wir eine gute Zeit.<br />

Ich hatte nebenher mit Box- und Fußballreportagen weiter gemacht,<br />

und da ich ziemlich genau hinsah und über eine flotte<br />

Feder verfügte, war ich dabei, mir einen kleinen Namen zu erschreiben.<br />

Und ich liebte Silvina, die noch immer schön war<br />

wie ein Kunstwerk und wie <strong>aus</strong> Porzellan; auch wenn ich sie<br />

zuweilen mit einem Kommilitonen ihrer Veterinärmedizin teilen<br />

musste. Oder mit einem Musiker; denn sie hatte begonnen,<br />

Tangos, Milongas und Boleros zu singen. Und immer musste<br />

ich sie mit wenigstens einem zugelaufenen Hund teilen, der ihr<br />

Zimmer mit seiner Muffelei und mit den Neurosen des Geflüchteten<br />

füllte. Ich hasste diese kaputten Hunde. Am schlimmsten<br />

war ein gewaltiger Neufundländer, der vor Angst pinkelte, wenn<br />

er mich sah. Aber es half nichts: ich liebte, und schließlich wollte<br />

Silvina Tierärztin werden und übte an den Kreaturen.<br />

Und ich arbeitete an meinem Handwerk, strikt nach Plan. Ich<br />

lernte, noch genauer hinzusehen und zu fragen wie ein Ermittler:<br />

die Box- und Fußballszene bot reine Honigtöpfe dafür und<br />

natürlich auch Kübel voller Jauche. Wirklich, der Mafia ging<br />

es gut hier, und auch der Pharmaindustrie. Das meiste aber<br />

171


lernte ich von meinen Studien an der Stubenfliege. Seitdem<br />

empfehle ich jedem, der das Handwerk des Schreibens lernen<br />

will: verzichte auf alle diese teuren Abendkurse, fang einfach<br />

bei der Fliege an.<br />

Wochenlang war ich damit beschäftigt, die gemeine, behaarte<br />

Stubenfliege (musca domestica), wie sie in Buenos Aires endemisch<br />

ist, zu beobachten und in einzelnen Phasen ihres Arbeitslebens<br />

zu beschreiben:<br />

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die Fliege, die mit ihrem Tupfrüssel am Rand eines noch<br />

feuchten Matefleckes trinkt;<br />

die Fliege, die sich auf meinem Handrücken erst das vordere<br />

Flügelpaar, dann die hinteren Schwingkolben putzt;<br />

die Fliege, die auf der weißen Wand sitzt und schläft;<br />

die Fliege, die mit ihrem raffinierten Bogen rückwärts startet<br />

und so dem Schlag entgeht;<br />

das Fliegenmännchen, das, plop, ein etwas größeres Fliegenweibchen<br />

bespringt;<br />

die Fliege, die Eier ablegt in einem von mir präparierten<br />

Schwamm, den sie für ergiebige Scheiße hält;<br />

die Fliege, die wütend ist;<br />

die Fliege, die in der unendlichen Ebene des Fensterglases<br />

eine Freiheit sucht, die es für sie nicht gibt;<br />

die Fliege, die in meinem Weinglas stirbt;<br />

das rote Facettenauge der Stubenfliege, die größte Her<strong>aus</strong>forderung<br />

für einen Lehrling wie mich, und jeder Versuch<br />

einer Beschreibung zerriss mir die Sprache, bis ich<br />

begriff, dass es genau das sein muss: die zerrissene, zersplitterte<br />

Sprache, und ich zertrümmerte sie.<br />

Und ich zeigte es meinem Mentor, der lächelte. Sein immer<br />

etwas scheues, aber auch ein wenig oberlehrerhaftes Lächeln,<br />

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und dann zuckte die linke Augenbraue von Rodolfo Walsh,<br />

und er sagte leicht und wie nebenbei, wobei etwas Speichel<br />

an einem schadhaften Backenzahn klickte: gut gut, schätze,<br />

jetzt kannst du bald mit den Menschen beginnen. Da war er mir<br />

natürlich nahe, dieser Mann, der mit wechselnden Identitäten<br />

lebte und auf der Flucht, aber wie ein Obdachloser von einem<br />

H<strong>aus</strong> träumte und einem intakten Familienleben.<br />

Dann erschoss sich seine Tochter Vicky auf dieser Terrasse<br />

des H<strong>aus</strong>es in der Calle Corro.<br />

Vicky war 26 und zuständig für die Pressearbeit der Gewerkschaft.<br />

Wie viele andere, trug sie seit dem Putsch von Videla<br />

& Co. eine Zyanid-Tablette bei sich, als sie am Abend des 29.<br />

September zu einer Arbeitssitzung in das H<strong>aus</strong> in der Calle<br />

Corro kam. Sie hatte ihre kleine Tochter auf dem Arm, weil sie<br />

im letzten Augenblick niemanden fand, der auf sie aufgepasst<br />

hätte. Sie zog sich ein weißes Nachthemd an, das ihr zu groß<br />

war, und legte sich mit der Kleinen schlafen. Früh um sieben<br />

Uhr wachte sie von den Lautsprechern des Militärs und den<br />

ersten Schüssen auf.<br />

Das H<strong>aus</strong> war von Lastwagen, einem Panzer und 150 Soldaten<br />

unter Führung des Coronel Roualdes umstellt. Vicky stieg<br />

auf die Terrasse, über der ein Hubschrauber kreiste, und begann<br />

mit einer Halcón Maschinenpistole zu schießen, die sie<br />

nie zuvor bedient hatte. Schließlich ließ sie die Waffe fallen und<br />

stieg auf die Brüstung der Terrasse, ein schmales Mädchen<br />

mit kurzem Haar im zu großen Nachthemd, breitete die Arme<br />

<strong>aus</strong> und begann, zu denen unten zu sprechen. Die hatten von<br />

sich <strong>aus</strong> aufgehört zu schießen, ohne einen Befehl des Coronel.<br />

Sie redete nicht sehr laut, und es kam nicht viel an. Vielleicht<br />

zählte sie die Methoden auf, die jetzt seit vier Monaten in<br />

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den Folterzentren praktiziert wurden, vor allem in der ESMA:<br />

die Picana eléctrica natürlich, eine der wenigen originär argentinischen<br />

Erfindungen, die Scheinhinrichtung, das Wasserbad,<br />

die Verstümmelung, die Sedierung, der Abwurf über dem<br />

Meer, aber zu hören war, und es blieb einem der Zeugen lange<br />

im Ohr, dass diese beiden Personen da oben auf der Terrasse<br />

es vorzogen, sich selbst zu töten, anstatt von denen unten<br />

gefangen genommen und entstellt zu werden. Dann hielten sie<br />

und dieser eine Mann sich die Pistolen an die Schläfen und<br />

drückten ab, und wir alle hier unten sahen zu.<br />

Im Erdgeschoss öffnete der Coronel die Tür und warf eine Granate.<br />

Hier fanden sie fünf Leichen und ein auf dem Bett sitzendes<br />

kleines Mädchen.<br />

Eine Weile fürchtete ich, jetzt würde <strong>aus</strong> der schmalen Frau<br />

mit den kurzen Haaren im zu großen Nachthemd eine weitere<br />

unsterbliche Tote, die heilige María Victoria, und der Vater würde<br />

den Chor der sie heilig Sprechenden <strong>aus</strong> seinem auch mir<br />

inzwischen unbekannten Quartier dirigieren. Wir neigen dazu:<br />

wir verzeihen den Toten nicht und lassen sie nicht ruhen. Und<br />

schließlich haben alle Heiligen diese Leute mit den schlechten<br />

Zähnen, den Tuberkelbazillen und den schwarzen Fingernägeln<br />

auf dem Programm.<br />

Aber er schickte einen Brief an seine Freunde, in dem er die<br />

Umstände ihres Todes beschrieb und wie sie sich zuvor einmal<br />

die Woche oder alle vierzehn Tage an wechselnden Orten der<br />

Stadt getroffen hatten, kurz nebeneinander hergehend oder<br />

zehn Minuten auf einer Bank. Da hatten sie von einem H<strong>aus</strong><br />

geträumt, in dem sie leben und Erinnerungen <strong>aus</strong>t<strong>aus</strong>chen<br />

könnten. Wenn sie sich verabschiedeten, wussten sie, dass sie<br />

geflunkert hatten. Es war ein Brief, der uns ohne Absender er-<br />

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eichte und der geöffnet war. Ein schöner Brief, der Silvina und<br />

mich mit seiner Ruhe und Detailgenauigkeit beschämte und<br />

mit diesem Tod; denn wir waren hungrig und wollten leben.<br />

Da unten steht einer sagte Silvina in ihrem Zimmer. Sie hatte<br />

die Übergardine etwas gerafft und zeigte ihn mir. Er stand<br />

auf der anderen Straßenseite und rauchte, mehrere Kippen zu<br />

seinen Füßen. Das war um 16:30 Uhr. Nachts um 00:45 Uhr<br />

waren sie da. Sie ließen sich mit allem bewirten, was Bertas<br />

Kühlschrank und die Speisekammer hinter der Küche enthielt.<br />

Ich erinnere Forellenfilets, Riesengarnelen, angestaubte Weinflaschen<br />

<strong>aus</strong> Bordeaux, die Ernesto hütete wie Familienalben,<br />

die er lagerte und prüfte und wendete wie die Ameisen ihre<br />

Eier. Sie lockerten während des Essens Gürtel, verrückten<br />

Halfter und Patronentaschen, schnallten nach dem Essen wieder<br />

Gürtel enger und fuhren endlich ab, mit Silvina, die zu der<br />

Zeit eine schwarze Perücke trug, Bubikopffrisur, und mir.<br />

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Die doppelläufige Flinte von Eastern Arms<br />

Drei Häuser weiter hatte Ernesto einen Freund, der bei nasskaltem<br />

Wetter über sein künstliches Hüftgelenk stöhnte. Vor der<br />

Operation hatte er gejagt, jetzt pflegte er bloß noch die Erinnerung<br />

daran und seine Flinte von Eastern Arms. Die holte sich<br />

Ernesto noch in der Nacht. Und saß damit Stunde um Stunde<br />

auf einem Stuhl hinter der H<strong>aus</strong>tür, was der Nachbar zur Linken,<br />

dieser Friseur Roncagliolo, durchs Fenster des angrenzenden<br />

Zimmers beobachten konnte. Ernesto hatte nie mit einer Flinte<br />

geschossen, nie zuvor auch nur eine in der Hand gewogen und<br />

wusste kaum, was ein Rückstoß ist. Jetzt saß er hier und zielte<br />

Stunde um Stunde auf die H<strong>aus</strong>tür.<br />

Sie kamen am frühen Nachmittag und sprengten die Tür mit<br />

einer Granate. Ernesto zog gleichzeitig beide Hähne, der Rückstoß<br />

warf ihn um. Getötet haben soll ihn aber ein Holzsplitter der<br />

Tür, der ihm in den Kopf drang.<br />

Sie waren mit zwei Ford Falcon und einem Kastenwagen gekommen.<br />

Sie nahmen mit, was ihnen gefiel: Elektronik, Teppiche,<br />

Bilder, Schmuck, eingelegte Schattenmorellen, obwohl<br />

sie nur noch fruchtige Jauche waren. Und sie nahmen Berta<br />

mit, die sich im Keller hinter dem Heizkessel versteckt hatte.<br />

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Teniente de Corbeta Fernando Wurtler, im Zuge des Rotationsverfahrens<br />

der Marine vorübergehend in die ESMA<br />

abkommandiert und beschäftigt mit Bereitstellung und<br />

Wartung von Personenkraftwagen, vorzugsweise Ford<br />

Falcon, Sechszylinder, in guten Wohngegenden wie Belgrano<br />

oder Palermo Chico auch zu beschaffen als V8.<br />

»Erst werden wir die Subversiven töten,<br />

dann ihre Kollaborateure,<br />

dann ihre Sympathisanten,<br />

danach die Indifferenten,<br />

und zum Schluss die Lauen.«<br />

Brigadegeneral Iberico Manuel Saint Jean,<br />

Gouverneur von Buenos Aires<br />

Der Gefangene, gefesselt, mit Kapuze, wird in einen kleinen,<br />

fast kahlen Raum geführt, dessen Fenster auf dem sehr weitläufigen<br />

Gelände zum Fluss hin weist. Er wird auf einen Stuhl<br />

vor einem schmalen Schreibtisch gesetzt. An der Seitenwand,<br />

neben dem Fenster, hängt ein Kalender der Tageszeitung La<br />

Razón des Jahres 1977.<br />

Du weißt nicht, wer ich bin.<br />

Ich weiß nicht, wer Sie sind.<br />

Du wirst es auch nie wissen.<br />

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Ich werde es nie wissen.<br />

Wir wollen den Aufenthaltsort von Rodolfo Walsh, der sich<br />

früher auch Francisco Freyre nannte und mit gefälschtem<br />

Ausweis lebte.<br />

Ich kenne den Ort nicht.<br />

Du kennst ihn. Und du wirst sterben, wenn du ihn nicht<br />

nennst.<br />

Nimm mir die Kapuze ab, Fernando.<br />

Ich kann nicht.<br />

Du darfst nicht.<br />

Ich kann nicht, weil ich nicht darf.<br />

Wo ist Berta?<br />

Verlegt.<br />

Tot?<br />

Verlegt.<br />

Also tot. Und Osvaldo? Seine Anwälte? Diese Vicente Batista<br />

& Cie, können die nichts tun?<br />

Es gibt Streit zwischen Marine und Polizei.<br />

Die Quote.<br />

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Es gibt eine Art Quote. Die Polizei behauptet, mit dir und<br />

Silvina sei sie überschritten. Die Polizei glaubt immer, sie<br />

käme bei dem Lösegeld zu kurz.<br />

Nimm mir für einen Augenblick die Kapuze ab, Fernando.<br />

Ich will dich sehen.<br />

Du hast mich nie gesehen. Ihr müsst zu denen gehören, die<br />

»El Negro« in seinen Büros arbeiten lässt. Das sind die, von<br />

denen er glaubt, sie könnten umerzogen werden. »El Negro«<br />

will eine Reihe von Gefangenen haben, die er umerzogen<br />

hat.<br />

Ja.<br />

Und du weißt nicht, wer ich bin.<br />

Ich weiß nicht, wer du bist.<br />

Du hast mich nie gesehen.<br />

Ich habe Sie nie gesehen.<br />

Der Gefangene Carlos Muller-Lieberman, 25, und die Gefangene<br />

Silvina Muller-Rosenthal, 20, nehmen kurz darauf ihre<br />

Arbeit in den Büros des Admirals Emilio Eduardo Massera<br />

auf, genannt »El Negro«, Mitglied der dreiköpfigen Militärjunta,<br />

Oberkommandierender der Marine, damit auch verantwortlich<br />

für das größte Folterzentrum ESMA, Schulungsort für Unteroffiziere<br />

der Marine am Ende der Avenida del Libertador, früher<br />

»Höhere Mechanikerschule der Marine«, durch die insgesamt<br />

5000 Gefangene geschleust werden, von denen bis heute ein<br />

großer Teil als verschwunden gilt.<br />

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Ein Glas mit Gordon‘s Dry Gin in der Hand, pflegt »El Negro«<br />

unvermittelt in ein 20-Minuten-Schläfchen zu verfallen und<br />

davon zu träumen, dass er die beiden anderen Mitglieder der<br />

Junta liquidiert und der neue Perón wird. Pünktlich nach 20<br />

Minuten öffnet er die Augen, <strong>aus</strong> dem Stand her<strong>aus</strong> wieder<br />

hellwach, aber leicht verärgert darüber, dass alles noch beim<br />

Alten ist.<br />

Andere Träume dieser 20-Minuten-Kurzschläfchen des Narkoleptikers<br />

hat er sich schon erfüllt: so unterhält die Marine in<br />

London zum Ankauf neuer Waffensysteme eine vielköpfige<br />

Delegation, die zu Beginn des Falkland/Malvinen-Krieges<br />

<strong>aus</strong> England <strong>aus</strong>gewiesen wird. Sie zieht nach Hamburg um,<br />

wo die Werft Blohm & Voss ihr am Hafenrand, Vorsetzen 50,<br />

Büroräume zur Verfügung stellt. Die Werft baut zwanzig Zollkreuzer<br />

und die Fregatten MEKO 360 Almirante Brown, La<br />

Argentina, Herrina, Sarandi. Sechs von ihr entwickelte Korvetten<br />

sollen in der argentinischen Staatswerft auf Kiel gelegt<br />

werden.<br />

In anderen seiner 20-Minuten-Schläfchen hat er wieder und<br />

wieder von Anita Gräfin Zichy-<strong>Th</strong>yssen geträumt. Und von ihren<br />

in Argentinien als Großgrundbesitzer lebenden Söhnen Federico<br />

und Claudio Graf Zichy-<strong>Th</strong>yssen. Er hat geträumt, dass<br />

sie Aufträge für Panzer und U-Boote an ihre deutsche Heimat<br />

vermitteln, sodass die Junta das Land neu mit sechs Milliarden<br />

überschulden kann, die hauptsächlich von Deutsche Bank und<br />

Dresdner Lateinamerikabank AG finanziert werden und von denen<br />

wegen atmosphärischer Verdunstung nicht jeder Cent bei<br />

den Lieferanten eingehen muss.<br />

Auch diese wiederholten und ihn oftmals quälenden Träume<br />

haben sich erfüllt, sodass der Admiral inzwischen als einer der<br />

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eichsten Männer Argentiniens gilt. Diesen Ruf kann er noch<br />

weiter durch den Verkauf von Immobilien der Gefangenen stabilisieren,<br />

durch gemäß der Quote zwischen Polizei und Militär<br />

<strong>aus</strong>gehandelte Lösegelder. Und ein gewisses Zubrot vermag<br />

er durch den Verkauf von Kindern jener weiblichen Gefangenen<br />

zu erzielen, die bei ihrer Festnahme schwanger sind, in<br />

der Haft gebären und unmittelbar nach der Entbindung getötet<br />

werden.<br />

Wenn »El Negro« – in interner Kurzschrift COARA, mit Kampfnamen<br />

Cero, Mitglieds-Nr. 478 der Geheimloge Propaganda<br />

Due des Licio Gelli, einstiger Verbindungsoffizier der Schwarzhemden<br />

Mussolinis zu den Nazis – nicht Gin trinkt, nicht in<br />

einem seiner 20-Minuten-Schläfchen des Narkoleptikers versinkt,<br />

sich nicht in seinem Apartment in der Avenida del Libertador<br />

bei Frau Lilí und dem Nachwuchs entspannt oder bei seiner<br />

Geliebten Marta Mac Cormack, nicht damit beschäftigt ist, deren<br />

Verlobten Fernando Branca, mit dem er gemeinsame Geschäfte<br />

betreibt, auf einer Autofahrt spurlos verschwinden zu<br />

lassen, was ihm mehrere Millionen einbringt, nicht Boot fährt in<br />

Punta del Este, was er hasst, aber <strong>aus</strong> Gründen des familiären<br />

Friedens tut, und auch nicht mit dem deutschen Botschafter<br />

Tennis spielt auf dem offiziellen Gelände der Vertretung, dann<br />

ist er ein Mann, der nachdenkt. Dann sagt er, dies nur nebenbei<br />

und als ein eher zufälliges Beispiel:<br />

Die augenblickliche Krise der Menschheit, die wir Militärs<br />

hier in Argentinien zu meistern suchen, haben wir drei<br />

Männern zu verdanken. Ende des 19. Jahrhunderts veröffentlichte<br />

Marx die drei Bände des »Kapital« und säte<br />

Zweifel daran, dass das Eigentum unantastbar zu sein<br />

hat. Anfang des 20. Jahrhunderts wird die geheiligte intime<br />

Sphäre des Menschen durch Freud mit seinem Buch<br />

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»Traumdeutung« angegriffen, und als wäre das noch nicht<br />

genug gewesen, um die positiven Werte der Gesellschaft<br />

zu zerstören, sorgt 1905 Einstein dafür, dass seine Relativitätstheorie<br />

anerkannt wird, mit der er an der toten und<br />

statischen Materie zweifelt.<br />

»El Negro«, einen Gin-Tonic in der Hand, betritt den Raum, in<br />

dem ich sitze und Akten sortiere. Es gibt hier viele Akten. Links<br />

über mir in der Zimmerecke ist eine kleine Spinne damit beschäftigt,<br />

ihr zerrissenes Netz zu flicken. Sonne fällt ein, die Fäden<br />

leuchten silbrig. »El Negro« betrachtet die Spinne.<br />

Diese kleine Sorte lebt nicht lange sagt er.<br />

Wie lange? sage ich.<br />

Ein paar Tage sagt er.<br />

Sie wird es nicht einmal bis zum Fenster schaffen sage ich.<br />

Sie weiß nichts vom Fenster. Sie kann bloß spinnen sagt er,<br />

nimmt einen Schluck <strong>aus</strong> seinem Glas und geht.<br />

Ich sehe ihm nach. Wenn ich hier überlebe, töte ich ihn.<br />

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Endspiel<br />

Wie soll ich erzählen, dass wir gestorben sind, Silvina und ich,<br />

als am Sonntag ab 15:08 Uhr im Stadion Monumental von<br />

River Plate die argentinische Auswahl im Endspiel der Fußball-<br />

Weltmeisterschaft gegen die Niederlande stand?<br />

Und dass wir, als es nach Verlängerung in der 23. Minute<br />

durch ein weiteres Tor von Bertoni 3:1 hieß und Argentinien<br />

Weltmeister war, nur dadurch noch weiterlebten, dass wir beide,<br />

Silvina und ich, jeder für sich, uns vornahmen, »El Negro«<br />

zu töten?<br />

Ich habe oft versucht, diesen Sonntag aufzuschreiben, ich kann<br />

es nicht. Es ist eben eine Geschichte, die am besten die Toten<br />

mit ihrer Unerbittlichkeit erzählen:<br />

die Marine, die Luftwaffe, das Heer, das Colegio Militar, das Regiment<br />

Patricios, die Grenadiere mit nervösen Pferden auf dem<br />

Rasen - die Nation mit Videla an der Spitze von 80.000 auf den<br />

Tribünen (und mit Henry Kissinger, seiner Frau Nancy und dem<br />

Sohn David als Dank dafür, dass K. immer wieder die Berichte<br />

des Botschafters über die Klagen der Angehörigen Verschwundener<br />

entschieden zurückgewiesen hatte, und mit Maradona,<br />

und dem Pater Emilio Bonell, der alle Spieler vor einem leichten<br />

Mahl gesegnet hat) sind auf einen pünktlichen Spielbeginn<br />

15:00 Uhr vorbereitet.<br />

Der Beginn, sehe ich in dem kleinen Panasonic, verzögert<br />

sich um 8 Minuten, weil auf dem Spielfeld der Kapitän Passarella<br />

einen weißen Verband am rechten Handgelenk der<br />

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Nr. 10 der Niederländer beanstandet und vom italienischen<br />

Schiedsrichter Gonella verlangt, diesen van de Kerkhof vom<br />

Platz zu stellen. Ich sehe auf dem Panasonic, dass die Niederländer<br />

drohen, geschlossen das Spielfeld zu verlassen, wenn<br />

ihre Nr. 10 nicht auflaufen kann wie in anderen Partien zuvor.<br />

Schließlich einigen sie sich darauf, dass ihm der Arzt noch<br />

einen zusätzlichen, fleischfarbenen Verband anlegt, und das<br />

Spiel beginnt.<br />

In der 37. Minute fällt das erste Tor durch Kempes. Die schon<br />

stark angetrunkenen Männer um mich herum springen auf,<br />

umarmen sich, bedienen sich <strong>aus</strong> einem Karton Whisky und<br />

trinken, lassen auch mich trinken. Zwei verlassen den Raum<br />

und kehren mit einer Gefangenen zurück, die Hände auf dem<br />

Rücken gefesselt, den Kopf in der Kapuze, legen sie an der<br />

Rückwand des Raumes ab, wo ich sie nicht sehen kann. Vor<br />

mir zieht jetzt der Monitor immer häufiger Streifen. Zwei Minuten<br />

vor der Halbzeit fällt der Ton <strong>aus</strong>.<br />

Die Männer schreien und trinken, schalten an dem Panasonic<br />

herum, treten dagegen, nehmen ihn vom Netz und geben ihm<br />

wieder Saft. Ein erster bedient sich an der Gefangenen. Er zieht<br />

ihr die Hose <strong>aus</strong> und vögelt sie und zeigt sein immer noch erigiertes<br />

Glied den anderen. Zu Beginn der 2. Halbzeit erinnert<br />

sich einer, dass ich einst, draußen, in der Stadt, in meinem<br />

ganz eigenen kleinen Leben einen Namen als Box- und Fußballkommentator<br />

hatte. Und so lassen sie mich trinken und<br />

trinken selbst und hören zu, wie ich die stummen Bilder des<br />

Panasonic kommentiere mit einer Stimme, die mir fremd ist. Ich,<br />

das ist jetzt diese andere Stimme. Erst nach einer Reihe von<br />

verdächtigen Zeichen der Assistenten und nach zwei mehr als<br />

auffälligen Entscheidungen dieses Gonella <strong>aus</strong> Italien, die ich<br />

mit dem Verdacht der Bestechlichkeit versehe, gewinne ich et-<br />

184


was mehr Sicherheit und höre mir selbst zu als dem, der ich mal<br />

gewesen bin.<br />

Da aber versenkt dieser elende Resenbrink 30 Sekunden vor<br />

Schluss den Ball im Tor von Fillol und es steht 1:1.<br />

Wieder schreien die Männer. Und springen auf. Und trinken.<br />

Und lassen mich trinken und bedienen sich der Gefangenen,<br />

wie sie an eine <strong>Th</strong>eke treten, auf der ihr Glas steht, oder an<br />

ein Pissoir, in das sie urinieren. Und so fiebern sie und trinken<br />

und schreien und kommentiere ich, wie in der 14. Minute der<br />

Verlängerung Kempes sein zweites Tor schießt. Und dass die<br />

Niederländer jetzt fertig sind und <strong>aus</strong>einander fallen. Und Bertoni<br />

in der 23. Minute das dritte Tor schießt. Und Argentinien der<br />

Weltmeister 78 ist mit 3:1 gegen die Scheißholländer, die kalte<br />

Heringe und gespickte Katzen fressen und denen in ihrem winzigen<br />

Land immer das Brakwasser bis zum Halse steht. Und<br />

mangels Gefälle fließt die Kacke nicht ab. Wirklich, die leben in<br />

der eigenen Kacke.<br />

Und jetzt springen wieder alle auf und schreien und tanzen<br />

und trinken und bedienen sich der Gefangenen wie eines Pissoirs.<br />

Und ziehen mir die Hose runter. Und stimulieren mich.<br />

Und greifen mich wie einen, den man am Ende einer Party<br />

ins Schwimmbecken wirft. Und legen mich auf der Gefangenen<br />

ab. Und treten mir in den Hintern. Und drücken mich<br />

durch das Meer <strong>aus</strong> Samen und Blut und Urin, damit ich in<br />

sie eindringe und sie vögele. Jetzt wollen sie sehen, wie ein<br />

Gefangener eine Gefangene vögelt, das haben sie noch nicht<br />

gesehen. Und ich dringe in sie ein und weiß, als mein Glied<br />

plötzlich versagt, dass diese Gefangene einst wie <strong>aus</strong> Porzellan<br />

war, eben und schön, ohne Haar und wie <strong>aus</strong> Porzellan,<br />

ich liege auf Silvina, einer uriniert auf uns, es plätschert, in<br />

185


meinem Kopf wird das Plätschern zum Getöse, dann ist es<br />

ganz still. Massera töten sagt da Silvina leise, mehr sagt sie<br />

nicht.<br />

186


Allein I<br />

Nachts fuhren sie mich weiter nach Norden, wo die Stadt in<br />

der Provinz Buenos Aires zunächst verelendet, dann versandet.<br />

Hier stand ich auf der Straße, allein, hinter mir die Lichter<br />

der Stadt und ihre Geräusche, vor mir das schwarze Land. Ich<br />

war so geräuschempfindlich, dass ich glaubte, das Bienengesumm<br />

der Stadt zu hören. Aber es war unerreichbar und nur in<br />

meinem Kopf. Ich wusste nicht wohin. Es gab keinen Ort, nirgendwo,<br />

und mir versagten die Beine.<br />

Der Friseur Roncagliolo, unser Nachbar zur Linken, hatte bereits<br />

im H<strong>aus</strong>flur und in dem, was unser Wohnzimmer gewesen<br />

war, Spanplatten, Farbeimer, einen Frisiertisch gelagert<br />

und schickte sich an, seinen Salon <strong>aus</strong> der Calle Balcarce hier<br />

einzurichten. Mit Hilfe des Nachbarn zur Rechten und eines<br />

Hirschfängers, den er noch von seinen Jagden besaß, warf ich<br />

ihn r<strong>aus</strong>. Drei Tage später steckte ein anonymer Brief in der Tür,<br />

der eine Bombendrohung enthielt. Am Tag darauf eine Notiz<br />

von Silvina, dass sie abgetaucht war.<br />

Bekannte, die ich anrief, legten auf. Einer beschimpfte mich als<br />

Verräter an Rodolfo Walsh. Ein anderer behauptete, ich hätte<br />

mit seiner Frau geschlafen, die seit meiner Gefangennahme<br />

nichts mehr von ihm wissen wollte. Nur weg von hier, dachte ich<br />

da. Als Sportreporter war ich ohnehin verbrannt. Keiner würde<br />

es wagen, mich auch nur einen Amateurkampf kommentieren<br />

zu lassen. Allenfalls als Ghostwriter eines analphabetischen Erpressers<br />

hätte ich noch dienen können, aber der Mann will erst<br />

einmal gefunden sein.<br />

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Daher versuchte ich, den Pater Beltrani im Internat der Jesuiten<br />

in Misiones zu erreichen. Ich wollte wieder eine Weile dort<br />

oben leben, Guaraní sprechen, erneut die weiche Gangart derer<br />

annehmen, die sich in der feuchten Wärme zwischen Pflanzen<br />

und Insekten bewegen, ja am liebsten wäre ich selbst zur<br />

Pflanze geworden, zum Blatt, das Regenwasser sammelt und<br />

weder Augen noch Ohren hat, aber auch Pater Beltrani war<br />

verschwunden. Sein Freund redete vorsichtig und mit vielen<br />

Zitaten, die mir nach alten, Buchstabe um Buchstabe gemalten<br />

Handschriften klangen. Das war Osorio, ich erinnerte mich gut:<br />

der oben links fehlende Schneidezahn erzählte von den Eifersüchteleien<br />

unter Schwulen. Aber trotz seiner Vorsicht wurde<br />

mir klar: keiner seiner Oberen hatte einen Finger für den Pater<br />

gerührt. Ich wusste <strong>aus</strong> meinen Akten in dem Zimmer mit der<br />

kleinen Spinne, dass die katholische Kirche sehr erfolgreich intervenieren<br />

konnte, wenn sie nur wollte, dass sie aber auch die<br />

Lage zur Säuberung der eigenen Reihen nutzte. Und sie hatte<br />

den Pater Beltrani runtergespült wie die Reste einer Mahlzeit<br />

im Klo.<br />

Da rief ich Osvaldo an. Schließlich war ich eines seiner 34<br />

Kinder, und ich saß zur Zeit wirklich nicht in einer Hollywood-<br />

Schaukel, einen Longdrink in der Hand.<br />

Osvaldo in seinem Turmzimmer war gerade schwer beschäftigt.<br />

Der neue Gouverneur hatte alte Rechnungen aufgemacht. Jetzt<br />

sollte Osvaldo für seine frühe Unterstützung von Perón zahlen,<br />

und sie waren dabei, ihm hier im Norden Land wegzunehmen.<br />

Ganz im Süden drohten ihm ebenfalls Einbußen: ermutigt<br />

durch Gruppen <strong>aus</strong> Europa, die ihren Glauben an die Revolution<br />

einget<strong>aus</strong>cht hatten gegen ihren Einsatz für Ureinwohner,<br />

die es gar nicht mehr gab, verlangten Indianer das Land ihrer<br />

Ahnen zurück. Außerdem waren hier zwei räuberische Brüder<br />

188


<strong>aus</strong> Italien aktiv. Das waren die Brüder Benetton, die gewaltige<br />

Flächen voller Schafe für ihre Textilien brauchten, die sie mit<br />

hoher Aggressivität und in immer schnellerer Schnelligkeit von<br />

New York über Berlin bis Tokio verkauften.<br />

Den Süden hast du immer gehasst. Und warst nie da.<br />

Richtig. Aber es tut weh. Es geht an die Substanz.<br />

Du hast hier oben noch eine halbe Provinz.<br />

Da unten, das war immer meine strategische Reserve. Hier<br />

oben sehe ich bald nur noch Zäune. Und wenn erst diese<br />

Benettons vor der Tür stehen, habe ich gar nichts mehr. Ich<br />

muss in der Küche Karnickel züchten. Und am Ende bin ich<br />

ein Sozialfall.<br />

Es sind eben die Sorgen des Großgrundbesitzers, dachte ich<br />

am Telefon. Aber dann begann Osvaldo wüst zu fluchen, sehr<br />

ungewöhnlich für ihn, der so sorgfältig und gepflegt redete wie<br />

Heinrich Heine geschrieben hatte. Er fluchte wieder und wieder<br />

auf diesen Jassir Arafat. Dann fing er an zu weinen. Und ich<br />

begriff, dass ihn doch mehr beschäftigte als nur die gewöhnlichen<br />

Sorgen des Besitzers: immer hatte er davon geträumt,<br />

zusammen mit seinem Bruder Hersh die gewaltigen Flächen<br />

im Norden und die im Süden zu bewirtschaften, und sich dabei<br />

nicht nur zu hassen, sondern sich zwischen zwei Phasen<br />

des Hasses auch zu lieben. Ja, vielleicht hatten sie sich wirklich<br />

manchmal geliebt, und der Hass hatte ihnen bloß keine Zeit<br />

gelassen, es sich irgendwann einmal zu sagen. Jetzt aber war<br />

Hersh tot, erstickt auf seiner Terrasse in Tel Aviv. Und dieser<br />

Arafat sollte es gewesen sein.<br />

189


Ich hütete mich, ihn daran zu erinnern, dass Hühnerbeinchen<br />

und die Luftknochen von Federvieh schon so manchem den<br />

letzten Atem genommen haben. Ich wartete am Telefon auf<br />

eine Gelegenheit, meinem Vater zu sagen, dass ich wieder mal<br />

seine Hilfe brauchte. Aber er machte eine P<strong>aus</strong>e, in der er etwas<br />

aß oder ein Medikament nahm. Oder er war jetzt doch mit<br />

einem weiteren Gedanken beschäftigt, und der ließ seine Kaumuskeln<br />

arbeiten und regte die Speichelproduktion an, denn er<br />

weinte wieder stärker und schmatzte dabei, und das war das<br />

Letzte, was ich von ihm hörte.<br />

Ich habe mir von diesem Augenblick an stets gesagt, dein Vater<br />

hat trotz seiner Sorgen wegen der Indianer und der Brüder<br />

Benetton und in seinem Schmerz um den Bruder Hersh doch<br />

noch begriffen, dass Carlos und Silvina wieder frei sind – dank<br />

der vielen Scheine, die an die Kanzlei Dr. Vicente Batista & Cie<br />

gewechselt sind und von ihr an die Policía Federal und an »El<br />

Negro«. Aber er hat auch begriffen, dass Berta von jetzt ab zu<br />

den Verschwundenen zählt. Und dass die noch schweigsamer<br />

sind als die Toten.<br />

Es wird dieser letzte Gedanke gewesen sein, der ihn beschäftigte<br />

und auf dem er kaute, als ich endlich auflegte. Denn zwei<br />

Tage später ließ er sich nachts, mit dem Rücken am erleuchteten<br />

Turmfenster stehend, von Roberto Wurtler mit der Remington<br />

32 vom Hof <strong>aus</strong> erschießen. Er hielt das für einen Mann in<br />

seiner Position für angemessener, als sich selbst eine Kugel in<br />

den Kopf zu jagen. Daher hatte er seinem langjährigen Knecht<br />

einen letzten Auftrag gegeben. Auch war er dabei mit der nötigen<br />

Umsicht vorgegangen: mit dem Gewicht eines Mannes,<br />

dem in weitem Umkreis alles gehört, hatte er dem zuständigen<br />

Comisario klar gemacht, dass sein bevorstehender Tod ein<br />

Unfall wäre. Aber der Comisario hielt sich nicht daran; denn<br />

190


Roberto fuhr seit kurzem einen neuen dreiachsigen Mercedes-<br />

Benz mit Aufleger und Ladekran. Der stach dem Comisario ins<br />

Auge. So buchtete er den Schützen am nächsten Morgen ein.<br />

Roberto, der immer blind seinem Chef vertraut hatte und sich<br />

jetzt von ihm verraten fühlte, erhängte sich in der Zelle. Und der<br />

Mercedes-Benz, mit Aufleger und Ladekran, wechselte den<br />

Besitzer.<br />

Da klingelte ich am Portal der Deutschen Botschaft. Am Ende<br />

meiner gewiss schlichten Überlegung stand, dass sich diese<br />

Halbtagsarbeiter und Tennisspieler wenigstens gelegentlich mit<br />

dem Verbleib von Berta beschäftigen könnten, die schließlich in<br />

<strong>Köln</strong>s Weißenburgstraße als Tochter eines Richters am Landgericht<br />

geboren und mit einem deutschen Pass hier gelandet<br />

war. Und so eine gelegentliche Beschäftigung würde ein Räderwerk<br />

in Gang setzen, das ich mir gewaltig und von wunderbarer<br />

Wirkung vorstellte, deutsch bis hin zum Feinöl, in dem es<br />

lief.<br />

Dieser Mann in seinem geräumigen Büro war nicht unfreundlich.<br />

Er war aber auch nicht freundlich. Ich sah überhaupt nicht,<br />

wer er war. Selbst sein Alter entging mir. Ich wusste nicht, wohin<br />

seine Jahre bei meinem Eintritt verschwunden waren. Ich<br />

bin daran gewöhnt, dass das Leben nach und nach Spuren in<br />

ein Gesicht zeichnet. Hier aber war ich bald versucht, ihm ins<br />

Gesicht zu fassen, um zwischen Daumen und Zeigefinger die<br />

Konsistenz eines unbekannten, zeitlos resistenten neuen Werkstoffes<br />

zu prüfen.<br />

Auf dem Schreibtisch stand, halb ihm, halb mir zugewandt, in<br />

einem silbernen Halter die Farbfotografie zweier kleiner Mädchen,<br />

die mir, oder ihm, zuwinkten – Elfen <strong>aus</strong> einem Traum.<br />

Wirklich, dieser Vater war nicht von hier.<br />

191


Dann hoffte ich wenigstens auf einen Schluckauf, einen<br />

Rülpser nach dem Genuss von Rinderfilet oder Lamm, eine<br />

Hautallergie irgendwo bei unserer belasteten Luft, von etwas<br />

so Eindeutigem wie einer Zahnlücke gar nicht erst zu<br />

reden, einem Pumps, einer dünnen Fahne von Rotwein oder<br />

Cognac wenigstens, von Fisch oder Zigarre, aber nichts. Ich<br />

saß vor einem Zombie unbestimmbaren Alters und Wesens,<br />

einer jung-alten Planstelle im diplomatischen Dienst, und<br />

schon zweifelte ich daran, dass dieser Mann zur Zeit wirklich<br />

in Buenos Aires war – vielleicht saß er noch in einem<br />

Boot zwischen den Kleinen Antillen und wurde turnusgemäß<br />

von Insel zu Insel gerudert, ein Stempelkissen auf den Knien<br />

und das Dienstsiegel zwischen den Zähnen, obwohl er eindeutig<br />

den Auftrag hatte, alle Visaanträge der Insulanerinnen<br />

in ihren Baströcken und der Männer mit der Rumflasche im<br />

Hemd rigoros abzulehnen. Oder er war noch auf c7 oder b4<br />

auf jenem Schachbrett, auf dem er für die Dauer seiner Karriere<br />

alle paar Jahre verschoben wird zusammen mit allen<br />

Privilegien, die er genießt: der Steuerfreiheit, dem Heimaturlaub,<br />

den Flügen in der Business Class der Lufthansa unter<br />

Mitnahme einer präkolumbinischen Grabbeigabe (12. Jahrhundert,<br />

Chimú-Kultur) im Diplomatengepäck, die auf dem<br />

Schwarzmarkt der Antiquare leicht einen Porsche oder sogar<br />

ein Eigenheim erbringt. Und da begann ich mich regelrecht<br />

zu schämen, weil ich nach der ESMA so erbärmlich <strong>aus</strong>sah.<br />

Und seit Tagen unter Krampfhusten litt. Und neue Zähne<br />

brauchte.<br />

Berta war nach ihrer Ausreise von den Nazis <strong>aus</strong>gebürgert<br />

worden. Sie hatte aber längst neben Ernesto ein feines Sensorium<br />

für Erdstöße und Seebeben entwickelt und daher noch<br />

kurz vor ihrer Gefangennahme neu die deutsche Staatsbürgerschaft<br />

beantragt, die sie für eine Art Lebensversicherung hielt.<br />

192


Ihrem Antrag war auch entsprochen worden, aber sie hatte die<br />

Urkunde nicht mehr abholen können.<br />

Diese Urkunde wird erst dann wirksam, nachdem sie persönlich<br />

in Empfang genommen wurde. Sie hätte hier wenigstens<br />

einmal die Hand auf die Urkunde legen müssen.<br />

So können wir nichts tun. Sie ist Argentinierin, da sind wir<br />

machtlos sagte der Mann ohne Alter und Gerüche und Spuren<br />

des Lebens, und auch das war weder freundlich noch unfreundlich,<br />

es war so, wie der ganze Mann war.<br />

Und im Übrigen sagte er, ist ja gar nicht sicher, dass sie als<br />

dauerhaft Verschwundene zu bezeichnen ist. Schließlich ist<br />

es schon vorgekommen, dass Verschwundene selbst nach<br />

Jahren wieder aufgetaucht sind.<br />

Fick dich sagte ich.<br />

Wie bitte?<br />

Hast du einen dicken Schwanz? Dann fick dich selbst! sagte<br />

ich.<br />

Ich war jung, und die Jugend hat nun mal ihren Slang. Aber er<br />

fasste das enger auf und drückte einen Knopf der Telefonanlage.<br />

Da wusste ich, es wird kritisch. Sowas hatte ich gerade<br />

hinter mir. Also gab ich Gas.<br />

Nachts quälten mich Klopfgeräusche. Sie waren da, sie waren<br />

weg, immer wieder diese Klopfgeräusche ins Hirn, das noch<br />

immer sehr empfindlich war. Mal hielt ich sie für Reste eines<br />

Albtraums, dann wieder war ich überzeugt, Besuch im leergeräumten<br />

H<strong>aus</strong> zu kriegen. Ich stand auf, griff zum Klappmesser,<br />

193


kontrollierte das Fenster, mein Zimmer, die anderen Räume,<br />

nichts. Ich kehrte in mein Zimmer zurück, es klopfte. Dann<br />

endlich entdeckte ich die Quelle. Es war eine fingerlange, wenigstens<br />

5cm dicke, dunkelgrüne Zikade, die sich zwischen<br />

der hölzernen Innenjalousie und dem Fenster verfangen hatte<br />

und dagegenschlug. Ich nahm sie und brach sie mittendurch.<br />

Sie knackte wie ein Spielzeug, das ein böse gewordenes Kind<br />

zerstört. Seit meiner Zeit in Misiones hatte ich nicht mehr getötet.<br />

Fliegen und Moskitos, das schon, auch eine Wanze zerquetscht,<br />

ihr Geruch, mein eigenes Blut, aber ich hatte nicht<br />

einen einzigen Käfer getötet, nicht mal eine Ameise. Es war<br />

nichts mehr wie vorher. Ich wusste nicht weiter. Ich wusste nur:<br />

ich will »El Negro« töten. Und hatte keine Ahnung von diesem<br />

Geschäft.<br />

Da stand Osorio vor der Tür, dieser Osorio <strong>aus</strong> Misiones mit<br />

dem fehlenden Schneidezahn. Früher war er sehr träge gewesen,<br />

kindlich, übergewichtig, und stets hatte er abgewartet, was<br />

der Pater entschied. Jetzt aber wollte er nicht bloß Totengräber<br />

sein. Er hatte eine besondere Art der Missionsarbeit entwickelt<br />

und war dazu halb zur evangelischen Konkurrenz übergelaufen.<br />

Durch ihn und die evangelische Kirche geriet ich auf die Passagierliste<br />

eines Fluges nach Frankfurt und wurde der Stadt <strong>Köln</strong><br />

zugewiesen, <strong>aus</strong> der schließlich der tote Osvaldo und die verschwundene<br />

Berta einst vor den Nazis geflohen waren.<br />

In der Abflughalle von Ezeiza wanderten die üblichen gedeckten<br />

Kampfanzüge umher, dunkle Falter, die auch an den Wänden<br />

lehnten, vor mir ein weißhaariger General, der sich seinen<br />

Aktenkoffer tragen ließ. An der Café-Bar stieß ich auf drei<br />

Frauen. Ein Wort, und alle drei sahen durch mich hindurch. Die<br />

mittlere von ihnen war Silvina. Zwei Angehörige der Deutschen<br />

Botschaft begleiteten uns durch die Passkontrolle. Ich hatte kei-<br />

194


nen Blick mehr für sie, wahrscheinlich waren sie unauffällig und<br />

wie schon seit langem erloschen.<br />

Pass auf dich auf, du alter Ficker! sagte der Kleinere der beiden<br />

zum Schluss und lachte. Jetzt sah ich es: der halbe Unterkiefer<br />

links war überkront und verdrahtet.<br />

Der ist doch noch nicht ganz verloren, dachte ich beim Anschnallen<br />

in der Boeing, Sitz 23A, schließlich hat er diese beiden<br />

kleinen Elfen. Sowas schlaucht und fordert einen Mann.<br />

Und heute bin ich sicher, dass ich mich damals, über diesem<br />

einen und letzten Gedanken in Buenos Aires, erwachsener<br />

fühlte, als ich es war.<br />

195


Allein II<br />

Übermüdet und geplagt von Kopfschmerz durch die Enge und<br />

den künstlichen Sauerstoff (und irritiert durch eine blonde Stewardess,<br />

die einen aufreizenden Leberfleck in der linken Kniekehle<br />

hatte), versuchte ich, mir nach der Zwischenlandung in<br />

São Paulo die Bewohner der Stadt vorzustellen, auf die ich jetzt<br />

in der Nacht meiner Deportation zuraste:<br />

alle älteren, nazibelasteten <strong>Köln</strong>er laufen mit dem Kopf unter<br />

dem linken Arm herum und schlagen sich als ewig Schuldige<br />

unablässig mit der flachen rechten Hand auf die Brust. Eine<br />

einzige Gemeinschaft Tag und Nacht Sühnender, was sie<br />

nur während des Tiefschlafes und beim Kopulieren unterbrechen.<br />

Solche Menschen, hatte ich kürzlich erst gelesen, soll es<br />

schließlich auch in gewissen Regionen des südlichen Indien<br />

und auf Sumatra geben: Menschen, die ihr augenblickliches<br />

Leben auf zwei Beinen als Verpflichtung zu dauernder Sühne<br />

betrachten.<br />

Ich kannte eben die <strong>Köln</strong>er nicht, und ich wusste fast nichts von<br />

der Welt. Erst als ich sah, dass auch sie die üblichen Köpfe zwischen<br />

den Schultern tragen und sich wie selbstverständlich und<br />

gänzlich unbesorgt an den intimsten Stellen kratzen, ging mir<br />

auf, wie die Entfernung und die Interkontinentalflüge doch alles<br />

verzerren. Und bald erfuhr ich auch, dass die <strong>Köln</strong>er umgekehrt<br />

glaubten, wir in Buenos Aires gingen wegen der Diktatur alle in<br />

Sack und Asche, wohingegen die Mehrheit doch Videla & Co.<br />

applaudiert hatte und viele es begrüßten, dass ein Teil von uns<br />

einfach verschwand. Wirklich, im Grunde waren wir gleichauf<br />

und alle gequält davon, dass wir nicht mal jenen verstehen, der<br />

196


Nacht für Nacht neben uns im Bett liegt und still seinen Liter<br />

Nachtschweiß absondert, eine Insel im Nebel, dieser vermeintliche,<br />

im Schlaf leicht röchelnde Partner, nicht mehr.<br />

Umso gelassener war ich dann im <strong>Hotel</strong> <strong>Flamingo</strong> am Ebertplatz,<br />

als ich feststellte: diese <strong>Köln</strong>er sind fast so wie ich. Hier<br />

falle ich kaum auf. Ja, wir Argentinier sind in diesen west- und<br />

mitteleuropäischen Breiten wie geschaffen fürs Exil. Da wir<br />

uns schon <strong>aus</strong> so vielen seefahrenden Nationen Europas<br />

zusammengesetzt haben, können wir in der Fremde, wie der<br />

Zauberer <strong>aus</strong> dem Hut, auch leicht die geeignete Komponente<br />

unserer selbst wieder hervorziehen und aktivieren. Und so<br />

registrierte ich bald und dann immer öfter, dass ich die <strong>Köln</strong>er<br />

im ersten Augenblick schwach an einen Ausländer erinnerte,<br />

zum Beispiel einen Türken oder Syrer, der ihnen vor<br />

Wochen unangenehm aufgefallen war - dass sie aber schon<br />

beim zweiten Blick auf mich ziemlich sicher waren, diese lästige<br />

Erinnerung habe sich ihnen nur aufgedrängt und ich sei in<br />

Wirklichkeit nichts als ein Eindringling <strong>aus</strong> Düsseldorf oder ein<br />

hilfloser Provinzler <strong>aus</strong> Kleve am Niederrhein.<br />

Wenn es dagegen wirklich mal eng wurde, mich einer als Ausländer<br />

bedrängte, als <strong>Mai</strong>sfresser und Hühnerficker, als Kokainnase<br />

und Dealer, als notorischer Mutterficker gar, dann lernte<br />

ich schnell, mit einem Tango zu kontern. Natürlich haben auch<br />

die <strong>Köln</strong>er ihre Lieder. Aber die stillen nicht ihre Sehnsucht. Den<br />

Tango haben nur wir. Nur wir sind so verrückt, uns diesen Tango<br />

zu leisten, eine immer unmögliche Liebe zu leben und darüber<br />

zu zerbrechen und es dann auch noch zu singen. Unsere Liebe<br />

ist schwarz und kitschig, blutig, gewaltig und immer vergeblich,<br />

und schon wollen auch die <strong>Köln</strong>er für einen Augenblick, der mir<br />

Ruhe gibt, kopfüber in einen Abgrund stürzen und Argentinier<br />

sein.<br />

197


Mehr aber will ich hier übers Exil nicht sagen. Ich will mich nicht<br />

am Eigentum jener vergreifen, die daran zerbrochen sind. Es ist<br />

das einzige, was sie noch haben. Und ich war schließlich schon<br />

kaputt, als es begann.<br />

Ich wollte keine eigene Wohnung, auch nicht eine ganz kleine.<br />

Ich fürchtete die Erinnerung an unser H<strong>aus</strong>. Und dass<br />

ich hier bald nachts mit einer Flinte hinter der Tür säße, bei<br />

einem plötzlichen Geräusch beide Hähne ziehen und meinen<br />

spät nach H<strong>aus</strong>e kommenden Nachbarn durchsieben<br />

könnte. So wurde ich zum <strong>Hotel</strong>gast, wie dieser Jean Genet,<br />

der Zeit seines Lebens entweder im Knast residierte oder im<br />

<strong>Hotel</strong> logierte und sich von seinem Verleger wöchentlich die<br />

Mücken zuteilen ließ. Oder wie mein Freund Leopoldo María<br />

Panero, der auf Gran Canaria die Gastlichkeit der Psychiatrie<br />

vorzieht. Ich blieb also im <strong>Hotel</strong> <strong>Flamingo</strong>, das meinem am<br />

Hühnerbeinchen erstickten Onkel Hersh gehört hatte. Und<br />

jetzt seinen beiden Söhnen Ariel Mohammed, und diesem<br />

<strong>Th</strong>omas, der gerade in Leipzig Sächsisch als weitere Fremdsprache<br />

lernte, Lektor war und verrückt nach allem, was ich in<br />

Guaraní schrieb. Es war nicht viel, aber er war verrückt nach<br />

jeder Seite, die ich spärlich und vereinzelt produzierte, wie<br />

ein geschwächtes Huhn das Ei.<br />

Von meinen zehn Brüdern kenne ich drei überhaupt nicht.<br />

Meine Mama hat mir die Liebe zu den Opern mitgegeben.<br />

Aber mit ihren ewigen Männern, dadrunter sogar Neger <strong>aus</strong><br />

Amerika, war sie eine einzige Katastrophe sagt Waldi. Dieser<br />

Waldi ist arbeitsscheu, rund wie ein Kloß und ber<strong>aus</strong>cht sich<br />

nachts am Empfangstresen des <strong>Flamingo</strong> über Kopfhörer an<br />

italienischen Opern. Waldi weiß alles über diese pompöse, hybride<br />

Form der Kunst<strong>aus</strong>übung. Den Huren und ihren Freiern<br />

verkauft er überteuerten Piccolo und Portionsfläschchen Un-<br />

198


derberg, die er in Supermärkten klaut. Seine Hemden sind weiß<br />

und frisch gestärkt, auf seinem schwarzen Anzug sehe ich nie<br />

auch nur einen Faden, wenn er abends pünktlich <strong>aus</strong> seiner<br />

städtischen Notunterkunft kommt, in der seine Frau durch Putzarbeit<br />

rund um die Uhr vier Töchter nährt und sauber kleidet wie<br />

Puppen.<br />

Mein Bruder Erich lebt bei euch am Meer. Der geht oft mit<br />

Hitler fischen.<br />

Tatsächlich?<br />

Der kommt noch mal groß r<strong>aus</strong>.<br />

Dein Bruder?<br />

Na, der kann ja nicht mehr. Sein Asthma. Aber der Hitler. Jetzt<br />

hat er eine schöne Rente. Erst mal hatte euer Perón ihm ja<br />

alles weggenommen, als er da mit seinen fünf kleinen U-Booten<br />

landete. Mein Bruder hat beim Fischen alles gesehen. Ihr<br />

habt den Hitler ja regelrecht <strong>aus</strong>geräumt, mein Bruder musste<br />

ihm sogar was borgen. Seitdem sind sie Freunde. Aber<br />

jetzt, mit dieser schönen Rente, da kommt er noch mal groß<br />

r<strong>aus</strong> sagt Waldi. Ich lasse ihn dabei. Ich kläre ihn nicht auf,<br />

dass wir schon seinen Totenschädel <strong>aus</strong>gestellt haben und<br />

dass dieser Schädel eindeutig ein Loch in der rechten Schläfe<br />

hatte. Es hätte sich auch nicht gelohnt.<br />

Mein Bruder schreibt auch oft von einem Emilio. Der ist<br />

Metzger. Ein unglaublicher Gauner. Der verkauft den Leuten<br />

in ihren Papphütten sogar Hoden als Filet. So, wie du <strong>aus</strong>siehst,<br />

kennst du ja wahrscheinlich diesen Emilio!<br />

199


Ich war nie auf diesen Emilio gestoßen, aber auch das sagte<br />

ich ihm nicht. Einem Ausländer wie mir glaubte Waldi ohnehin<br />

kein Wort.<br />

Silvina sah und hörte ich nur einmal. Sie sang in der Evangelischen<br />

Studentengemeinde Lieder nach Texten von Cortázar.<br />

Silvina, mit grau-silbriger Perücke, war noch immer wunderschön,<br />

und auch die Lieder waren es. Ich stand hinten neben<br />

dem Ausgang, um jederzeit verschwinden zu können. Ihr letztes<br />

Lied handelte vom Endspiel, als Bertoni in der 23. Minute<br />

der Verlängerung das 3:1 gegen die Niederlande erzielt und die<br />

Sängerin bei der anschließenden Feier ihren Geliebten verliert.<br />

Nach dieser letzten Strophe, in der sie zum achten Mal vergewaltigt<br />

wird, reißt sich die Sängerin die Perücke ab, wirft<br />

sie unter die Zuhörer und verbeugt sich mit ihrer kahlen, im<br />

Scheinwerferlicht glänzenden Billardkugel von Kopf. Und wird<br />

ab jetzt stets behaupten, in der ESMA, im Anschluss an dieses<br />

Endspiel der Weltmeisterschaft 78 in Buenos Aires, alle Haare<br />

verloren zu haben, das Haupthaar, die Schamhaare, die Haare<br />

unter den Achseln, die Flaumhärchen an Armen und Beinen, alles,<br />

und seitdem rundum kahl zu sein wie diese einst berühmte<br />

Kahle Sängerin von Ionesco, die inzwischen freilich, wie das<br />

ganze absurde <strong>Th</strong>eater, ziemlich <strong>aus</strong> der Mode gekommen ist.<br />

Da ging ich. Wir waren beide im Eis festgebacken, Tauwetter<br />

nicht in Sicht, und bald wären wir an der Reihe, ganz <strong>aus</strong> der<br />

Mode zu kommen. Sie mit ihren Liedern und Auftritten, ich mit<br />

meinen Texten in Guaraní versuchten wir beide, uns wieder als<br />

die kleinen und runden Persönlichkeiten zu erfinden, als die<br />

wir uns vorher gesehen hatten. Dabei flunkerten wir beide. Bei<br />

einem Treffen hätten wir uns in die Augen gesehen und gesagt:<br />

Du lügst. Du auch. Und wieder wären wir nackt gewesen.<br />

200


Ich lief lange durch Straßen, die ich nicht kannte. Schließlich<br />

stieg mir der vertraute Geruch von Rind und Blut und Kot in<br />

die Nase, die warme, schäumende Rinderpisse auch, und ich<br />

wusste, dass ich beim Schlachthof gelandet war. Nur die Fliegen<br />

der Pampa fehlten noch. Und die kleine, steile Falte auf<br />

der Stirn von Berta, die immer dann wie ein Verkehrszeichen<br />

aufgetaucht war, wenn ich etwas gedreht hatte, was sie ablehnte.<br />

Ich setzte mich in eine Toreinfahrt. Der Geruch verrottender<br />

Küchenabfälle, ein rostiges Bettgestell, der huschende Schatten<br />

einer Ratte. Da heulte ich.<br />

Es war gut so, ich heulte. Ich ließ locker. Vielleicht würde ich<br />

morgen in <strong>Köln</strong> ankommen. Noch war mein Deutsch zu<br />

schlecht, ich trieb auf einer Eisscholle dahin. Manchmal stießen<br />

von unten Fische dagegen – die <strong>Köln</strong>er mit ihrem Dialekt, den<br />

sie Kölsch nennen und den ich anfangs für pure Unterwelt hielt,<br />

eine Art Rotwelsch, eben Ganovenschwatz.<br />

201


Helmut Schmidt zieht sich eine Linie<br />

Komm doch einfach mit. Du erzählst was über den Offenen<br />

Brief von Walsh, ich berichte von meinem Besuch bei Helmut<br />

Schmidt. Einen kleinen Dichter wie dich kriegen wir in<br />

dieser Talkshow immer noch unter sagte Osvaldo Bayer, den<br />

ich vor dem Funkh<strong>aus</strong> am Wallraffplatz traf.<br />

Bayer war so selbstverständlich quer über den Platz auf<br />

mich zugegangen, als wären wir uns vor einem Kino in der<br />

Corrientes begegnet und sowieso schon lange miteinander<br />

verheiratet.<br />

Außer mit Henkern war dieser gepflegte und gern schwarz gekleidete<br />

Mann mit allen Menschen auf du. Das machte den Umgang<br />

mit ihm einfach. Das machte ihm selbst das Leben aber<br />

auch schwer. Schließlich war dieser Historiker und Publizist,<br />

dieser Filmemacher und immer geschliffene Redner, der sich in<br />

Argentinien das leicht singende Deutsch des österreichischen<br />

Juden bewahrt hatte (mit seiner Neigung zu Sahnehäubchen<br />

und Schokokrümel, aber auch zu Falltreppen, Geheimfächern<br />

und Giftphiolen), schon früh in die Schusslinie all derer geraten,<br />

die, wie mein Vater Osvaldo, mehr als eine Wiese mit Streuobst<br />

besaßen. Das war, als er die Geschichte der blutigen<br />

Niederschlagung des Aufstands der Landarbeiter Patagoniens<br />

von 1921 schrieb.<br />

Es war eine große Geschichte. Er schrieb sie Zeile um Zeile auf,<br />

bis der Wind und der Staub Patagoniens, die Verlassenheit und<br />

die Straflosigkeit vier Bände füllten.<br />

202


Ich erinnere noch, wie mein Vater zwischen zwei Seiten Heine,<br />

ein Glas seines schweren Rotweins in der Hand, in dem gerade<br />

eine Fliege ertrank, über diesen Mann fluchte, weil er wieder<br />

mal um seinen Besitz im Süden fürchtete:<br />

- wieder einer, der die Geschichte so präpariert, dass sie uns<br />

morgen den Hintern aufreißt. Wo soll ich denn noch hin?<br />

Muss ich mir noch die Luft zum Atmen erbetteln?<br />

- und weil Bayer diese Geschichte kurz vor Videla & Co. auch<br />

noch erfolgreich verfilmte; wobei sich die Darsteller schon unter<br />

den harten Augen der Militärs und dem probeweisen Durchladen<br />

von Gewehren hatten kleiden und schminken, das Drehbuch<br />

und alle Regieanweisungen memorieren müssen, während<br />

ihnen der Wind Patagoniens immer wieder die Münder füllte,<br />

hungrige Raubmöwen auf sie herabstießen und eine Gruppe<br />

von Pinguinen, <strong>aus</strong> der Antarktis abgedriftet, lärmend wie neugierige<br />

Besucher in den zerz<strong>aus</strong>ten Kulissen herumlief.<br />

Unter diesen ungünstigen Vorzeichen hatte Bayer die Bombendrohung<br />

in seiner Wohnung in Belgrano schon erhalten,<br />

bevor Silvina in unserem H<strong>aus</strong> in San Telmo sagte Da unten<br />

steht einer.<br />

Um keine Zeit zu verlieren, war er in das Land geflüchtet, von<br />

dem er einzig die Sprache bewahrt hatte und eine angesengte<br />

Fleischgabel seiner Großmutter. Bei dieser beschleunigten<br />

Bewegung hatte er, wie üblich, alles verloren. Und neben Teegeschirr<br />

und einem schlecht überkronten Zahn in der Eile auch<br />

noch die eigene Ehe zerbrochen.<br />

Wir Asylanten, die wir von den Innenministern so über die deutschen<br />

Lande verteilt worden waren, dass wir keinem Deutschen<br />

203


unangenehm auffallen konnten, hatten ihn nicht zu unserem<br />

Sprecher gewählt. Aber er war es, wie selbstverständlich. Elegant<br />

und geschliffen redend, aber meist einen kleinen Tropfen<br />

an der Nase. Der und ein gebeugter Rücken zeigten, dass er<br />

sich das Leben nicht leicht gemacht hatte und vorzeitig gealtert<br />

war. Es war ein Tropfen, der nie fiel und im Gegenlicht glitzerte<br />

wie ein Brillie.<br />

Gib mir wenigstens ein paar Stichworte, wenn du mich schon<br />

wie einen Plüschbären mitnimmst sagte ich im Paternoster<br />

des Westdeutschen Rundfunks, zwei Angestellte in Anzügen<br />

und mit Brötchentüten neben mir, die auch in einem großen Möbelh<strong>aus</strong><br />

hätten arbeiten können.<br />

Es geht um die Toten von Mercedes-Benz. Diese vierzehn<br />

Betriebsräte, die spurlos verschwunden sind. Du weißt<br />

Bescheid?<br />

Natürlich erinnerte ich, dass auch das Mercedes-Werk in González<br />

Catán bei Buenos Aires die Konjunktur ebenso genutzt<br />

hatte wie die Katholische Kirche: auch Mercedes-Benz Argentina<br />

hatte Mitarbeiter denunziert, Adressen geliefert, Beschreibungen<br />

von Personen, die daraufhin, wie Strichmännchen, die<br />

von einer Tafel gewischt werden, spurlos verschwanden.<br />

Die beiden Möbelverkäufer in dem rumpelnden Paternoster neben<br />

uns hatten sich versteift. Vielleicht misstrauen sie dieser<br />

etwas altmodischen, aber doch wohl sicheren Beförderungsart<br />

schon länger, dachte ich, und beschloss, sie nicht weiter zu beachten.<br />

Schließlich war ich hier der Dichter, nichts weiter. Ein<br />

Dichter guckt zu und dichtet, mehr tut er nicht.<br />

Es gibt hier einen Hauptabteilungsleiter, einen Dr. Heinz<br />

204


Knillerz, der hat diese Sendung <strong>aus</strong> dem Programm genommen.<br />

Es ist ihm nicht gelungen, in ihr auch nur einen<br />

einzigen Fehler zu finden. Um seinem Auftrag zu genügen,<br />

hat er deswegen bloß gesagt, das müsste alles netter formuliert<br />

werden. Stell dir so einen Versager in dieser Position<br />

nur mal vor!<br />

Die beiden Möbelverkäufer verließen beschleunigt, auffallend<br />

verschreckt den Paternoster, als hätten sie in Osvaldo, schwarz<br />

gekleidet wie er war, Zorro den Rächer erkannt und in mir den<br />

Mann, der ihm die Waffen nachlädt; während ich mir vorzustellen<br />

versuchte, alles grundsätzlich netter zu formulieren, Denunziation<br />

und Verhaftung, die Folter, die Sedierung, den Abwurf<br />

über der See, den Aufschlag, den Tod. Alles das vierzehn Mal.<br />

Es klappte nicht. Ich war überfordert und versteifte mich und<br />

wusste jetzt schon, dass ich in dieser Talkshow eine jämmerliche<br />

Figur abgäbe.<br />

Sie hatten einen Moderator aufgeboten, der alles konnte, wie<br />

ein Schweizer Messer. Wenn er nicht in Studio 3 moderierte,<br />

kochte er in Studio 2, bevorzugt Fisch und Gemüseaufläufe,<br />

kalorienarm und ohne Salz. Sagte er. Und imitierte mit Atemabluft,<br />

wieselflinker Zunge und Lippen auch schon aufkochende<br />

Sauce und abgelöschten Schweinebraten; denn wenn es weder<br />

etwas zu moderieren noch öffentlich und beispielhaft gesund<br />

zu kochen gab, produzierte er mit vollem Körpereinsatz<br />

Geräusche fürs Hörspiel: den Urwald bei Nacht; die Liebe auf<br />

der Campingliege; die Grillparty auf einem Balkon im verfallenden<br />

Havanna (das Salz des Meeres und die Verrottetheit<br />

des Bärtigen selbst und seines Systems fressen hörbar an<br />

den Eisenträgern und der Betonummantelung, ein malmendes<br />

Grundgeräusch, das sich durchs ganze H<strong>aus</strong> und durch alle<br />

Szenen des Hörspiels zieht).<br />

205


So einer war das. Er war reichlich schwammig und gänzlich<br />

unauffällig, eigentlich nur ein Fleck im Auge, eine Sehstörung<br />

mit gelber Krawatte und schmalem Schnäuzer, aber er konnte<br />

alles. Beim Betreten des Studios verlangte ich als Boxexperte,<br />

um etwas Boden zu gewinnen, er möge bitte probeweise das<br />

Geräusch eines rechten Schwingers nachmachen, der den<br />

Kieferknochen bricht. Aber das konnte er nicht. Oder er nahm<br />

es persönlich, plötzlich abgrundtief misstrauisch, und wollte<br />

nicht.<br />

Außerdem war er sofort mit dem kleinwüchsigen Professor beschäftigt,<br />

der sich immer wieder nervös die Manschetten zupfte.<br />

Aber als ihm das dreiköpfige Mikro, das doch uns allen dienen<br />

sollte, eigens näher gerückt war, ja mundnah – nun gut, der<br />

Mann war kleinwüchsig und fast schon ein Behinderter – da<br />

war er nicht mehr aufzuhalten. Und Osvaldo und ich merkten,<br />

dass dieser Professor alles wusste über das Mercedes-Werk in<br />

González Catán. Oder dass ihm die Konzernleitung in Stuttgart<br />

alles Wichtige und einzig Wahre in seine <strong>Köln</strong>er Studierstube<br />

geschickt hatte, obwohl er mehrfach Argentinien mit Brasilien<br />

verwechselte und Uruguay mit Bolivien, was er wiederum<br />

dort ansiedelte, wo sich Panama herumdrückt. Aber letztlich<br />

waren das Kleinigkeiten; schließlich redete er von den großen<br />

Linien der Weltwirtschaft und den Vorzügen der neuen LKW-<br />

Baureihe mit Unterflurmotor und Einspritzpumpe, die selbst<br />

Palmöl verkraftet, vergorenen <strong>Mai</strong>s, sauer gewordenen Bananenbrei<br />

und demnächst sogar Urin, leicht verdünnt. Sagte<br />

er. Mit einem nur kurzen Blick auf seine Notizen, die er mit der<br />

Rechten abschirmte.<br />

Wirklich, dieser kleinwüchsige Akademiker, der sich jetzt<br />

die Brille rückte, hielt alle Lateinamerikaner für Eingeborene,<br />

frisch entdeckt. Und schnell merkte ich, dass ich hier völ-<br />

206


lig verloren war. Mit meinem noch mangelhaften Deutsch<br />

ohnehin, aber bei diesem LKW-Feuerwerk und dieser<br />

Weltwirtschaft auch mit allem anderen, was ich war, einschließlich<br />

der Erinnerungen an mein eigenes Land, das<br />

mich zwar schwer angeschissen, das ich aber doch geliebt<br />

hatte, immer und irgendwie. Und ich sah auf Osvaldo, der<br />

wie versteinert wirkte.<br />

Der Professor nahm sich jetzt die Brille ab und musterte mich<br />

scharf mit einem Auge. Das zweite war tot und milchig. Er taxierte<br />

mich, weil ich hier der Jüngste war und weil ihm die Erfahrung<br />

mit seinen Studenten wohl sagte, dass ich am ehesten<br />

derjenige sein könnte, der ihm unverhofft was auf die Backe<br />

gäbe.<br />

Mich störte dieses eine stechende Auge, mehr noch das tote,<br />

milchige, und ich suchte Halt bei meiner Nachbarin. Schließlich<br />

war sie die Urheberin des Ganzen hier, die Autorin. Eine<br />

Dr. Gaby Dingsbums, ein Allerweltsname, den ich schon wieder<br />

vergessen hatte. Eine ältere Frau mit verrauchter Stimme und<br />

einem Gesicht, das vom Leben oder vom Nachdenken, vielleicht<br />

auch von Niederschlägen und unbändigen Hoffnungen,<br />

von Verlorenheit vielleicht und zuviel Whisky gezeichnet war<br />

und das mir gefiel. Es gefiel mir gut. Ein schmaler, aber hungriger,<br />

karmesinroter Mund. Ich hatte noch nie eine so viel ältere<br />

Frau geliebt und versuchte, einen Blick auf ihre Knie und Beine<br />

unter dem Studiotisch zu werfen: alles noch Klasse. Gebraucht,<br />

aber Klasse. Auf dem linken Knie ein interessanter blauer Striemen<br />

in Richtung Oberschenkel. Es stimmte, ich hatte lange<br />

kein Weib mehr gehabt und war reichlich spitz.<br />

Erst als sie jetzt zu reden begann, zögernd erst und dann flüssiger,<br />

mit tiefer, rauchiger Stimme, merkte ich, dass sie weder<br />

207


Gaby Dingsbums hieß noch die Autorin war. Sie hatten einfach<br />

vergessen, die Autorin einzuladen, deren zunächst verhinderte<br />

Sendung wir mittels geziemend <strong>aus</strong>gewogener Diskussion wieder<br />

ins Programm befördern sollten.<br />

Diese Frau, die meine Begehrlichkeit längst bemerkt hatte und<br />

jetzt leicht die Knie öffnete, war eine enge Freundin von Hannah<br />

Arendt. Das erwähnte sie nebenbei, aber nicht ganz ohne<br />

Eitelkeit. Expertinnen beides in Sachen deutscher Faschismus.<br />

Die eine war berühmt, die andere saß neben mir. Wenn sie die<br />

Berühmte in New York besuchte, ging sie jeden Morgen mit deren<br />

Mann zwei lange Blocks weit, um die „New York Times“ zu<br />

kaufen, die auch der Bote hätte bringen können. Aber dort gab<br />

es einen Kioskbetreiber, der ein Überlebender war. Sagte sie,<br />

nebenbei.<br />

Sie konnte das Land, das ich einst geliebt hatte, exakt mit seinen<br />

Koordinaten orten. Sie kannte das H<strong>aus</strong>, das Eichmann<br />

zuletzt bewohnt hatte, bevor die israelische Luftcharter über ihn<br />

kam. Sie memorierte selbst seinen angenommenen Namen auf<br />

der Gehaltsliste von Mercedes-Benz Argentina. Sie redete jetzt<br />

und redete und stieg ungehindert und stolperfrei immer höher<br />

wie auf der Leiter einer Bibliothek, bis sie bei den Gesammelten<br />

Werken Hegels war, sodass ich zunächst reichlich Gelegenheit<br />

hatte, ihre kleinen Brüste zu betrachten, die inzwischen großzügig<br />

geöffneten Schenkel, dann aber doch den Moderator zu<br />

mustern begann, ob der nicht den Pfiff eines Schiedsrichters<br />

zu imitieren gedachte mit seinem reichhaltigen Repertoire. Aber<br />

nichts. Sie redete und redete. Und Osvaldo sagte noch immer<br />

nichts.<br />

Dann sah sie mich an. Eine dünne Fahne ihres herben Parfüms<br />

wehte herüber, unterlegt mit einem Hauch Whisky. Sie<br />

208


stieß mich an. Und ich begriff endlich, in welcher Zwangslage<br />

sie seit langem mit ihrem hungrigen, karmesinroten Mund und<br />

mit ihrem schon älteren, aber umso verlangenderen Körper<br />

steckte. Sie saß jetzt seit langem allein und unrettbar verloren<br />

im Gefängnis ihrer Kompetenz und im Sumpf des deutschen<br />

Faschismus, Entrinnen unmöglich, Rettung von nirgendwo,<br />

keinerlei Hoffnung auf Gesellschaft in Sicht.<br />

Wirklich, <strong>aus</strong>gerechnet von mir und meiner Jugend, inzwischen<br />

hatte ich neue Zähne, wollte sie gerettet werden. Ich<br />

sollte erzählen als einer, der jung war und sich glücklich befreit<br />

hatte von diesem Buenos Aires, das ein zerbrochener Traum<br />

von Aufbruch und Weite und gelungener Emigration war. Ich<br />

sollte als ein Davongekommener reden und ihr den Arm reichen<br />

und sie befreien <strong>aus</strong> diesem Käfig, den sie sich selbst<br />

mit ihrer Kompetenz errichtet hatte und in dem die Deutschen<br />

sie jetzt hielten. Und jedes Mal, wenn sie ihr ein Hirsekorn hinwarfen,<br />

musste sie singen. Eine Jüdin, die alles aufgearbeitet<br />

hatte und alles wusste und alles zu erzählen verstand, der sie<br />

aber auch jederzeit ein schwarzes Tuch über den Käfig werfen<br />

konnten. Und schon war ihr Tag zu Ende. Es herrschte Ruhe<br />

und erneut finstere Nacht. Und nie war natürlich völlig <strong>aus</strong>zuschließen,<br />

dass mal jemand durch den Käfig griff und dem Vögelchen<br />

den Hals umdrehte.<br />

Ich überlegte, verkrampfte, und prompt fiel mir überhaupt<br />

nichts ein. Auch hatte ich mir geschworen, mich nicht an den<br />

Geschichten unserer Toten und Verschwundenen zu vergreifen.<br />

Es waren ihre Geschichten. Silvina und ich hatten die Liebe<br />

verloren, ich alle Zähne, und ihr war, als sie mit ihr Ertrinken<br />

spielten, der linke Oberschenkelhals gebrochen worden: verglichen<br />

mit den Verlusten der anderen waren unsere kaum der<br />

Rede wert.<br />

209


Dann fiel mir wenigstens eine meiner Lieblingsideen wieder<br />

ein, die nämlich, dass eine wahre Geschichte erst mit dem<br />

Tod des Erzählers zu Ende ist. Und ich fing von Rodolfo Walsh<br />

an. Ich referierte Teile seines Offenen Briefes eines Schriftstellers<br />

an die Militärjunta, den er zum ersten Jahrestag von<br />

Videla & Co. verfasst und der ihm das Leben gekostet hatte.<br />

Ich schilderte, wie mehr und mehr Verfügungsmasse von<br />

Argentinien, tonnen- und hektarweise, in den Tresoren der<br />

Deutschen Banken gelandet war. Ich zählte die Fregatten und<br />

Zollkreuzer auf, die im Hamburger Hafen gebaut wurden, die<br />

U-Boote und die Panzer, die auf ihre Verschiffung warteten.<br />

Ich verwies auf die stille, aber nachhaltige Ausstrahlung der<br />

Gräfin Zichy-<strong>Th</strong>yssen und ihrer Söhne Federico und Claudio<br />

Graf Zichy-<strong>Th</strong>yssen. Ich redete natürlich von der Picana eléctrica,<br />

der Verstümmelung, der Sedierung, dem Abwurf über<br />

dem Meer, den Toten auch, die in Uruguay angetrieben worden<br />

waren mit Gesichtern, denen die Wasservögel die Augen<br />

<strong>aus</strong>gepickt und Wangen und Lippen weggefressen hatten,<br />

und ich tat alles das wie in einem erotischen Schub, ja ich<br />

sprach flüssiger und klarer als je zuvor in meinem noch holprigen<br />

Deutsch, weil ich dieser Frau helfen wollte in ihrem Gefängnis.<br />

Weil ich sie begehrte. Weil sie eine von uns war. Und<br />

weil ich gern nachher mit ihr ins <strong>Hotel</strong> <strong>Flamingo</strong> gefahren wäre<br />

und mit ihr gevögelt hätte, auch das –<br />

(es stimmte, genau hier stockte ich, und der Moderator<br />

sah mich an wie den Mann, der endgültig<br />

den Faden verloren hat. Aber es war nur ein<br />

Gedankenblitz, ein Verdacht, dem ich nachging:<br />

hatte die ESMA mein Verhältnis zur Gewalt grundsätzlich<br />

verändert? Hatte ich die Erotik der Gewalt<br />

entdeckt? Oder war ich bloß offener geworden für<br />

den Zusammenhang von Gewalt und Begehren,<br />

210


über den ich mir zuvor wenig Gedanken gemacht<br />

hatte?)<br />

- und ich endete damit, dass Rodolfo ja nun ein extrem erfahrener<br />

Mann des Untergrundes war, der jede Nacht selbst noch die Geräusche<br />

des Windes ums H<strong>aus</strong> analysierte und das Pfeifen der<br />

Mäuse im H<strong>aus</strong>, bevor er sich schlafen legte. Und ich äußerte<br />

den Verdacht, dass er am Tage seines Todes bereits sehr wohl<br />

gewusst habe, dass er verraten worden war. Und dass er auch<br />

deswegen die Colectivos zwischen Sarandí und Entre Ríos angesteuert<br />

hatte, um seinen Brief in der Stadt zu verteilen. Denn<br />

natürlich wusste er, dass er mit seinem Tod dem Brief eine besondere<br />

Bedeutung verlieh; ja dass sein eigener Tod der letzte,<br />

nicht geschriebene, aber notwendige Absatz dieses Briefes war.<br />

Sein Tod schrieb den Brief weiter, immer weiter. Das sagte ich.<br />

Und war ganz zufrieden mit dem, was ich gesagt hatte.<br />

Die Frau mit dem hungrigen Mund aber sah mich missbilligend<br />

an. Sie war enttäuscht. Ich hatte ihr nicht geholfen, sie war mir<br />

entglitten.<br />

Na ja, die Literaten … sagte sie nur etwas gedehnt und griff<br />

nach ihren Zigaretten, was ihr aber bloß den Moderator einhandelte,<br />

der blitzschnell <strong>aus</strong> seinem Gesicht ein Verbotsschild<br />

machte, die Literaten … sagte sie noch einmal mit ihrer<br />

tiefen, brüchigen Stimme <strong>aus</strong> der Einzelzelle ihrer Kompetenz<br />

und legte die Zigaretten weg wie ertappt. Und wieder einmal<br />

drohten die Gedankengebäude von Hegel sowie der Kommanditisten<br />

Marx & Engels mich zu erdrücken, so gewaltig<br />

waren sie im Mund dieser Frau und unerschütterlich – obwohl<br />

einzelne Diebe ja immer wieder Steine <strong>aus</strong> dem Fundament<br />

gelöst und dar<strong>aus</strong> Wurfgeschosse gemacht hatten. Da war<br />

ich platt und schwieg.<br />

211


Jetzt aber warf Osvaldo die Leinen los. Er löste sich von der<br />

Kaimauer, Blaulicht auf der Brücke, ein Mann am Maschinengewehr<br />

vorne am Bug, er fuhr die Motoren hoch und<br />

preschte auf die Hafen<strong>aus</strong>fahrt zu, um draußen, zwischen<br />

den treibenden Inseln, diesen rostigen Kutter zu stellen. Ein<br />

Spitzel im Hafen hatte ihm alles gesteckt: Die Laderäume<br />

platzten von Heroin, an Deck stapelten sich, sauber verpackt<br />

in Kisten mit kyrillischer Schrift, 10.000 Kalaschnikows, in<br />

der Kombüse drängten sich 13 junge französische Nonnen<br />

<strong>aus</strong> Haiti, die zu Huren gemacht werden sollten sowie sieben<br />

schwarze Kinder Nicaraguas für die Päderasten dieses<br />

Küstenabschnittes, und auf dem Vordeck stand ein Käfig<br />

mit gut dressierten Pekinesen <strong>aus</strong> Hongkong für die Liebhaber<br />

des Hundeficks: ein Kutter <strong>aus</strong> der Hölle also, und ich<br />

wusste, da draußen, zwischen den treibenden Inseln, würde<br />

es gleich ein Gemetzel geben. Und später käme das Boot<br />

in langsamer Fahrt zurück, an Steuerbord zerschrammt, die<br />

Brücke leicht zerschossen, ein verletzter Funker an Bord<br />

und alle Nonnen und Kinder, aber der Kutter wäre versenkt<br />

mitsamt seinem Kapitän, der ein argentinischer Capitán de<br />

Navío gewesen war, bevor er, ein letztes Gebet auf den Lippen,<br />

zu den Fischen absank.<br />

Osvaldo, der in das Land seiner Sprache zurückgekehrt war<br />

(immer hatte ihn die angesengte Fleischgabel an die Großmutter<br />

erinnert, ihren gewaltigen Körper, mit dem sie still, zäh und<br />

listig alles umfangen und neutralisiert hatte: die Männer, die Obrigkeiten,<br />

die Flöhe im Bett des kleinen Osvaldo und selbst die<br />

gröbsten Vorurteile der Nachbarn, sodass unter ihnen schließlich<br />

nur ein einziger, aber tödlicher Denunziant gewesen war)<br />

wusste schließlich genau, mit welchem Kaliber er hier zuerst<br />

schießen sollte:<br />

212


Als wir mit dieser kleinen Delegation von Bittstellern zu<br />

Helmut Schmidt ins Bundeskanzleramt kamen, da zog er<br />

sich nach fünf Minuten in aller Ruhe eine Linie. Das fanden<br />

wir schon sehr souverän. Keiner von uns stand auf dem<br />

Zeug, aber wir fanden das <strong>aus</strong>gesprochen souverän für<br />

einen Politiker diesen Ranges: <strong>aus</strong> einer silbernen Dose<br />

klopfte er sich eine Linie auf den Handrücken, richtete sie<br />

noch einmal mit dem kleinen Finger der Rechten <strong>aus</strong> und<br />

zog sich alles in die Nase sagte Osvaldo als erstes, unvermittelt,<br />

einfach so: bei uns ist Koks weiß, hier war er braun.<br />

Aber wir wussten ja schon, dass in Deutschland manches<br />

ganz anders ist.<br />

Der Moderator, der doch eigentlich alles konnte, war perplex. In<br />

diesem <strong>Köln</strong> damals hatte einer, der so direkt vom Regierungschef<br />

zu reden anhob, und noch dazu von ihm als einem ganz<br />

souveränen Mann, freies Feld. Und Osvaldo steigerte schnell<br />

die Drehzahl. Denn seiner kleinen Delegation waren nur zwanzig<br />

Minuten Audienz gewährt worden. In dieser Zeit musste er<br />

Helmut Schmidt davon überzeugen, ein paar Hundert argentinischen<br />

politischen Gefangenen jene Gastfreundschaft zu gewähren,<br />

die Videla & Co. gerade mit einem Dekret gestatteten:<br />

hatten sie doch erklärt, ab sofort jeden politischen Gefangenen<br />

<strong>aus</strong>reisen zu lassen, der ein aufnahmebereites Exilland nachweisen<br />

könnte.<br />

Und Helmut Schmidt dachte nach. Es war schön zu sehen,<br />

wie er verschärft nachdachte. Sagte Osvaldo. Mit seinem<br />

markanten Gesicht eines Mannes, der in frühen Jahren schon<br />

den Stadtstaat Hamburg vor dem Untergang im Hochwasser<br />

bewahrt hatte, dachte er nach. Er dachte über Strategie nach,<br />

denn er war bekannt als guter Stratege. Sagte Osvaldo hier.<br />

Und er dachte über Taktik nach, denn er war berüchtigt als<br />

213


schlauer Taktiker. Und dann zog er sich zu unser aller Staunen<br />

schon die zweite Linie, sagte Osvaldo und wollte sich gewundert<br />

haben, wie dieser Mann bei dem Rhythmus so über den<br />

Tag kam mit seiner tückischen Droge. Aber als Helmut Schmidt<br />

dann lange genug geschwiegen und gedacht hatte und endlich<br />

redete, war er nicht nur von erstaunlicher, sondern auch bestürzender<br />

Klarheit.<br />

Denn jetzt zählte er die Toten auf, die gerade in seinem eigenen<br />

Land herumgelegen hatten: den Kapitän einer Boeing der Lufthansa,<br />

einen Generalbundesanwalt, einen Präsidenten der Arbeitgeber<br />

und der Deutschen Industrie … die machen bei uns<br />

doch jetzt schon alles nach, was ihr ihnen vorgemacht habt,<br />

wollte da Osvaldo gehört haben, während Helmut Schmidt weitere<br />

Leichen aufzählte, die herumgelegen hatten und alle Gesetze,<br />

die er jetzt schon bis über die Grenze der Belastbarkeit<br />

hin<strong>aus</strong> hatte biegen und beugen müssen, und jetzt war ich an<br />

der Reihe, perplex zu sein, erinnerte ich mich doch Wort für<br />

Wort an jenes Telefonat zwischen Hersh und meinem Vater, in<br />

dem Hersh von seiner Terrasse in Tel Aviv zurückgebrüllt hatte:<br />

Schrei nicht so, die hier brauchen das nicht zu hören. Die<br />

machen jetzt schon alles nach, was von drüben kommt! …<br />

und am Schluss unserer kleinen Unterredung, sagte Osvaldo,<br />

drohte der Kanzler uns noch mit der Katastrophe seiner eigenen<br />

Opposition, in deren Reihen es mindestens einen gab, der<br />

jetzt schon die inhaftierten, aber noch nicht verurteilten mutmaßlichen<br />

Täter erschießen lassen wollte, einen nach dem anderen,<br />

jede Stunde einen, damit endlich wieder Ruhe sei im Land.<br />

Und dann, sagte Osvaldo, schnüffelte er ein letztes Mal am<br />

Handrücken, auf dem noch winzige Krümel seiner Droge lagen.<br />

Und sagte, immer noch mit dieser erstaunlichen Klarheit<br />

und Souveränität, die uns nach wie vor begeisterte, dass er<br />

214


eben leider zur Zeit in einem tragischen Dilemma stecke, in<br />

dem notwendigerweise alles, was er mache, falsch sei. Aber<br />

noch falscher sei es, gar nichts zu tun. Und deswegen könne<br />

er allenfalls zu zwei Fußballmannschaften ja sagen, mit Hilfskräften,<br />

versteht sich, also vom Vereinsvorstand bis zum Platzwart,<br />

sagen wir mal, sagte er, sagte Osvaldo, und schnell und<br />

sichtbar rechnete er hoch und nahm kurz die Finger zu Hilfe,<br />

blickte auf eine Akte vor ihm und dann, noch immer rechnend,<br />

zur Decke und kam auf die Zahl 51. Genau einundfünfzig Gefangene<br />

könne er aufnehmen in dieser bedrängten Lage und<br />

keinen mehr. Sagte er. Nach sorgfältigst durchzuführender<br />

Sicherheitsüberprüfung in jedem einzelnen Fall, was naturgemäß<br />

Monate in Anspruch nehmen kann. Sofern die Argentinier<br />

mitspielen und Besuch und Befragung der Gefangenen<br />

durch Personal der Deutschen Botschaft zulassen. Sagte Osvaldo<br />

in Studio 3 vor dem noch immer perplexen Moderator,<br />

der aber jetzt doch die Lippen rundete wie zu einem Abpfiff,<br />

einer Ermahnung wenigstens zu sauberem Spiel –<br />

und wir hatten bescheiden wenigstens an die Mannschaftsstärke<br />

einer einzigen der Fregatten gedacht, die gerade im<br />

Hamburger Hafen gebaut wurden und der Werft das Überleben<br />

sicherten, denn unsere Gefängnisse waren ja voll wie<br />

Sardinendosen auch von präventiven Häftlingen. Und von<br />

den T<strong>aus</strong>enden namenloser Gefangener in den rund 60<br />

geheimen Folterzentren hatten wir noch gar nicht geredet<br />

sagte Osvaldo noch –<br />

- und jetzt drängelte der kleinwüchsige Professor, der wieder<br />

die Brille abgenommen hatte und sein eines stechendes Auge,<br />

wie einen Dartpfeil, abwechselnd auf den Moderator und auf<br />

Osvaldo warf -<br />

215


- und die Frau neben mir stieß mich mit dem Knie an, sie hatte<br />

das Rasseln von Schlüsseln gehört, das Geräusch von Eisen<br />

wenigstens, das mit einer Nagelfeile bearbeitet wird -<br />

und ich hätte dem Kanzler noch vorschlagen wollen, dass<br />

angesichts dieses tragischen Dilemmas die Bundesrepublik<br />

doch eine unbewohnte Insel der Kleinen Antillen mieten<br />

könnte, einen Küstenstreifen Mauretaniens. Pachtland, eine<br />

Fahne hissen und fertig, so etwas. Aber da waren die zwanzig<br />

Minuten endgültig um und alles entschieden. Es blieb<br />

bei 51, die von Gefangenen zu Geretteten gemacht wurden,<br />

und basta. Die vielen anderen Gefangenen waren alle zur<br />

falschen Zeit geboren worden.<br />

Also bitte Herrschaften, zurück zu unserem <strong>Th</strong>ema, kommen<br />

wir noch mal aufs christliche Abendland zu sprechen<br />

mahnte hier der Moderator an.<br />

Wenn ich Hegel richtig interpretiere … konnte die Frau Doktor<br />

neben mir <strong>aus</strong> dem Gefängnis ihrer Bibliothek gerade noch<br />

sagen, da ging in allen Fluren und Stockwerken dieses <strong>Köln</strong>er<br />

Funkh<strong>aus</strong>es der Alarm los. Bombendrohung. Evakuierung.<br />

Alle auf den Wallraffplatz. Wir schoben uns in den Flur im 4.<br />

Stock, die Gefangene ließ ihre Zigaretten liegen, der Professor<br />

sein Herrentäschchen, der Paternoster stand still, und Osvaldo<br />

wischte sich im Treppenh<strong>aus</strong> Speichel <strong>aus</strong> den Mundwinkeln.<br />

Ich wusste, der bildete sich immer dann, wenn er mitten<br />

in voller Fahrt die Leistung der Maschinen ganz plötzlich hatte<br />

zurücknehmen müssen.<br />

Die Sendung ist jetzt natürlich im Eimer. Aber ich kenne<br />

diese Gaby Weber. Ein Jagdterrier. Mercedes hat ihr sogar<br />

216


schon einen Anstellungsvertrag angeboten. Anstellung und<br />

Beißkorb, aber nichts. Wenn die sich mal in eine Wade verbissen<br />

hat, lässt sie nicht mehr los sagte er.<br />

Ich war jetzt wohl über Gebühr sensibilisiert; denn ich erwartete,<br />

während wir beschleunigt vom 4. in den 3. und vom 3. in<br />

den 2. Stock abstiegen, eine weitere Schuldzuweisung per<br />

Lautsprecher: auch das mit den Bomben haben sie von euch<br />

gelernt oder auch das machen sie euch jetzt nach, aber es<br />

kam nichts als ein hohles Lautsprecherknacken. Und noch<br />

eins dann.<br />

Hast du wirklich nicht gewusst, was Schnupftabak ist? fragte<br />

ich Osvaldo im 2. Stock.<br />

Doch, natürlich. Nach dem Tod meines Großvaters hatte<br />

Großmutter noch einen Altersgeliebten. Der schnupfte. Und<br />

Großmutter tobte, weil er sich in die besten Taschentücher<br />

schneuzte. Das war mercerisierte Baumwolle, teurer Stoff,<br />

und die braune Soße ging da nicht mehr r<strong>aus</strong> sagte Osvaldo,<br />

da waren wir schon im Erdgeschoss und strömten durch die<br />

Flügeltüren auf den Wallraffplatz, auf dem bereits große Teile<br />

der Belegschaft versammelt waren.<br />

Ich staunte: es waren gelassene, ja fast fröhliche Menschen.<br />

Diese <strong>Köln</strong>er schienen nichts ernst nehmen zu können. Dann<br />

erst begriff ich: es war ganz neu für sie. Und neu war auch, dass<br />

sie, die vereinzelt in den Waben eines Funkh<strong>aus</strong>es arbeiteten,<br />

sich einmal begegneten. Einzelne versuchten sich sogar anzufassen,<br />

wie man eine große Puppe prüft, scheu noch und reichlich<br />

unbeholfen, sie hatten das wohl von uns im TV gesehen<br />

und ahmten es jetzt nach.<br />

217


Auf dem Platz stand ein einzelner Baum. Er schien krank zu<br />

sein von der innerstädtischen Luft, der leckenden Kanalisation<br />

und war bis zur Halskr<strong>aus</strong>e bandagiert. Ahorn, vermutete ich.<br />

Seit Misiones hatte sich mein Verhältnis zur Natur etwas abgekühlt.<br />

Davor saß auf einem Klappstuhl ein einzelner Mann<br />

und spielte. Er spielte Akkordeon. Tangos. Und ich natürlich wie<br />

eine hungrige Fliege sofort hin.<br />

Er sang nicht, er spielte nur, wobei er mit dem Oberkörper jeweils<br />

weit dem Ein- und Ausatmen seiner Quetschkommode<br />

folgte. Der Mund war halb geöffnet, er hatte große, schrecklich<br />

schief gewachsene Zähne. Er war noch jung, aber hatte schon<br />

ein uraltes Gesicht. Ein Eselsgesicht. Das Leben hatte Furchen<br />

gegraben wie der Platzregen in Lehm. Ich hatte selten ein so<br />

hässliches Gesicht gesehen.<br />

Jetzt stand ich vor ihm und sah ihm in die Augen: ich wollte<br />

wissen, wer er wirklich war. Er sah durch mich hindurch,<br />

an mir vorbei, er spielte. Er war das, was er spielte, das und<br />

nichts anderes war er. Er spielte den Regen und den Wind,<br />

die Verlorenheit und die Erbärmlichkeit, er wurde ruhiger und<br />

zärtlicher und spielte die Liebe und den Tod der Liebe: er<br />

spielte das Leben, er spielte hier um sein Leben, und wenn er<br />

mit diesem Spiel hier auf dem Platz, vor dem kranken Ahorn,<br />

sein Leben nicht gewänne, dann wäre es sein Tod. Und deswegen<br />

war sein hässliches Gesicht eines Esels auch ein<br />

schönes Gesicht. Es war hässlich, und es war sehr schön.<br />

Ich fragte ihn auf Spanisch nach seinem Namen. Er schien mich<br />

zu verstehen, aber nicht antworten zu wollen. Ein Illegaler wahrscheinlich,<br />

keine Papiere. Da fragte ich ihn auf Guaraní. Etwas<br />

wie Wetterleuchten zuckte über das Gesicht. Er sah mich an,<br />

öffnete dann weit den Mund. Ich sah ihm bis zum rosa Zäpfchen<br />

218


in den Rachen. Dadrunter lag der Stummel einer Zunge. Sie hatten<br />

ihm die Zunge r<strong>aus</strong>geschnitten. Er spielte den Tango von<br />

dem Mann, dem sie die Zunge r<strong>aus</strong>geschnitten hatten.<br />

Inzwischen drängten sich mehr und mehr Leute um uns, Passanten,<br />

Einkäufer, Mitarbeiter des Funkh<strong>aus</strong>es. Sie hörten,<br />

wie die Quetschkommode ein- und <strong>aus</strong>atmete, sie hörten<br />

die harten und dann wieder weichen Tangos, sie sahen das<br />

hässliche Gesicht eines Esels, das in seinem Schmerz und<br />

nach dem Schmerz sehr schön wurde, und ich sah, wie sich<br />

ihre eigenen Gesichter dabei veränderten. Ich würde es nie<br />

schaffen, Gesichter mit einem meiner Texte, die ich legte wie<br />

das Huhn ein Ei, so zu verändern. Das kann nur Musik. Und<br />

das Gesicht dieses Guaraní, der hässlich war wie ein Esel.<br />

Und da liebte ich alle die Gesichter dieser <strong>Köln</strong>er, die sich<br />

anrühren ließen und die etwas hörten, was ihnen ihr Leben<br />

lang gefehlt hatte.<br />

Auch ihre Gesichter wurden dabei schön. Und ich sagte mir:<br />

wenn dem so ist, dann kannst du gut hier bleiben. Ja, dann bist<br />

du sogar ganz richtig hier.<br />

219


Nachschrift, Februar 2005<br />

Ich hätte mir den Namen des Quetschkommoden-Spielers<br />

aufschreiben lassen sollen. Es ging nicht, er spielte und<br />

brauchte seine Hände. So habe ich ihn nie mehr getroffen und<br />

oft vermisst. Mir fehlt auch der Name des Nachfolge-Kanzlers<br />

von Helmut Schmidt. Es war dieser umfangreiche Mann, der<br />

einen Fuß ins Buch der Geschichte setzen wollte, aber kurz<br />

davor strauchelte und fiel. Im Wesentlichen ist mir von ihm<br />

nur sein Staatsbesuch in Buenos Aires in Erinnerung, kaum<br />

hatten sich die Militärs von der Plünderung des Landes verabschiedet.<br />

Mit der Schüchternheit noch ungeübter Demokraten<br />

wurde er da um Stornierung der Verträge für alle die teuren<br />

Fregatten und Korvetten gebeten. Argentinien war pleite, die<br />

Töpfe leer und der Hunger groß. Aber der Kanzler sagte Nein.<br />

Oder Nö. Oder Nee. Da er aber nur Pfälzisch sprach, was<br />

dem Bittsteller wie Njet klang, erschrak dieser maßlos über<br />

die Antwort, hatte er doch offensichtlich während der Militärdiktatur<br />

überhaupt nicht mitgekriegt, dass die Russen bis zum<br />

Rhein vorgedrungen waren und die ganze Bundesrepublik<br />

kommunistisch war.<br />

Und der hohe Gast drehte sich um, stapfte durch eine kleine<br />

Urinpfütze, die unglücklicherweise direkt hinter ihm im milden<br />

Abendlicht schillerte (leichter Wind lag auf ihr), rammte mit seinem<br />

mächtigen Körper, etwas verärgert über das Gemisch<br />

<strong>aus</strong> Elend und Unwissenheit, das ihn hier umgab, einen seiner<br />

Leibwächter und verschwand in der gepanzerten Limousine der<br />

Deutschen Botschaft.<br />

220


15<br />

Der Wirt Fiddy hatte seine Jugendliebe <strong>aus</strong> dem Nachbarh<strong>aus</strong><br />

in der Balthasarstraße geheiratet. Die Frau wuchs sich schnell<br />

zu einem regelrechten Baum <strong>aus</strong>. Als sie sich noch weiter<br />

verzweigen und endlich Früchte ansetzen wollte, merkte sie,<br />

dass Fiddy taube Eier hatte. Da verließ sie ihn.<br />

Abends und bis spät in die Nacht hatte Fiddy als Rettungsring<br />

die Gäste seiner Kneipe. Aber wenn er allein war, fürchtete<br />

er sich vor allem: vor den Glockenschlägen nach Mitternacht,<br />

die ihm sein glücklos verrinnendes Leben anzeigten. Vor der<br />

Morgendämmerung, <strong>aus</strong> der sich alles noch gr<strong>aus</strong>amer her<strong>aus</strong>schälte.<br />

Und wenn er gegen Mittag in den Rasierspiegel<br />

sah mit dem harten Licht von 2 x 75 Watt, dann fürchtete er<br />

sich auch vor sich selbst.<br />

Daher war Fiddy, dem früh die Haare <strong>aus</strong>gingen und der<br />

Bauch ansetzte, auf den Ausweg mit den Philippinas verfallen.<br />

Jung mussten sie sein, ungebraucht. Wie seine Jugendliebe<br />

einst gewesen war. Fiddy gab den Vater, den Chef und den<br />

Liebhaber. Er war nicht mehr allein, und er war glücklich.<br />

Die ersten vier Philippinas futterten sich eine Weile bei ihm<br />

an, die fünfte kurierte nebenher noch die Infektion durch<br />

einen tropischen Virus <strong>aus</strong> und eine entzündete Gallenblase,<br />

die sechste, die am längsten blieb, begann eine Lehre als<br />

Rechtsanwaltsgehilfin in der Neusser Straße und beendete sie<br />

mit Auszeichnung, dann verschwand auch sie.<br />

Da hatte Fiddy vor <strong>aus</strong>gesuchten Stammgästen geweint.<br />

Dann aber gedroht, ihnen die Kneipe gen<strong>aus</strong>o unverhofft<br />

221


unter dem Hintern zu schließen, wie diese letzte verschwunden<br />

war. Er würde nur noch über der Kneipe vor dem TV<br />

in der Wohnung sitzen, die offene Bierleitung direkt neben<br />

sich, und sich mit Kartoffelchips, gesalzenen Erdnüssen und<br />

Gummibärchen vollstopfen, bis ihn die Feuerwehr per Kran<br />

<strong>aus</strong> dem Fenster hieven müsste. Schließlich aber nahm er<br />

doch wieder Vernunft an und verfiel auf Elektronik.<br />

Sein neuestes Spielzeug war H<strong>aus</strong>funk, den er auch noch<br />

auf Damen/Herren installieren wollte. Ein Terminal stand<br />

seit gestern auf dem Antikimitat von Schreibtisch, an dem<br />

Kleefisch saß. Er blinkte Dauer. Er zwitscherte sogar wie ein<br />

Rotkehlchen, wenn er nur scharf genug angesehen wurde.<br />

Jetzt spielte er die ersten Takte von Komm in mein blaues<br />

Himmelbett, was Fiddy, mutterlos aufgewachsen – Mama<br />

bediente in einem Wohnwagen den Autostrich am Autobahnzubringer<br />

Königsforst, und eine der Nächte war für sie<br />

gar nicht gut <strong>aus</strong>gegangen - in den nackten Morgenstunden<br />

zu hören pflegte, bevor er endlich ins Koma fiel.<br />

Hier unten sitzt einer, der dich sprechen will.<br />

Einer mit Lederhand? fragte Kleefisch.<br />

Was wird denn gewünscht, Leder links oder Leder rechts?<br />

fragte Fiddy rück.<br />

Rechts.<br />

Nein, seh ich nicht. Nur Altersflecken.<br />

Soll hochkommen, wenn er Arbeit für mich hat.


Der ist schon wieder auf dem Platz festgewachsen, den er<br />

früher immer hatte.<br />

Ein Spätheimkehrer?<br />

Will ich nicht so direkt sagen. Schließlich hast du ihn hier<br />

r<strong>aus</strong>geschmissen. War aber mal dein Freund.<br />

Freunde gibt’s nicht.<br />

Sagst du. Also komm gefälligst.<br />

Natürlich, es war Egbert Poggenpohl. Der Mann, mit dem<br />

Fiddy sich bis zu seinem Wegzug <strong>aus</strong> <strong>Köln</strong> hätte rühmen<br />

können, die bundesweit einzige Kneipe mit Lohnschreiber zu<br />

führen. Aber wie so oft, hatte auch er den wahren Wert von<br />

Kultur erst erkannt, als sich die Pforte des evangelischen Altenheimes<br />

in Hann.Münden hinter Poggenpohl schloss und<br />

jetzt nur gelegentlich von ihm, und das noch unwillig, wieder<br />

aufgestoßen wurde.<br />

Poggenpohl hatte hier Rentenanträge, Mietverträge und<br />

Mahnschreiben geprüft, aber auch und vor allem Briefe geschrieben:<br />

an böse gewordene Kinder, rüde Vermieter, hartnäckige<br />

Gläubiger. Und immer wieder Briefe, mit denen seine<br />

Auftraggeber nicht selten auch schon weißköpfige Damen<br />

um eine letzte Liebe ersuchten, die nicht weniger innig als<br />

die erste wäre, nur selbstverständlich unendlich viel verständiger.<br />

Die letzte Liebe sollte alle Verletzungen heilen, die im<br />

Laufe eines langen Lebens die Paarungen verursacht hatten.<br />

Und sie sollte dem Leben des Auftraggebers einen letzten<br />

Sinn geben, an dem er jetzt doch, zerrieben vom Rentengefälle,<br />

den Kirchen<strong>aus</strong>tritten, der sich ankündigenden Erekti-<br />

223


onsschwäche und der Angst vor dem Tod, mehr und mehr<br />

zweifelte.<br />

Poggenpohl saß, wie einst, am Tisch vor der Küchendurchreiche.<br />

Schwarze Hose, graues Jackett, schwarzer Rollpulli,<br />

ein neuer, weißer Schnäuzer unter der Nase, in dem etwas<br />

Feuchtigkeit glitzerte; dünnes, weißes Kopfhaar, das als<br />

Lohnschreiber noch gelb-grau gewesen war und durch das<br />

jetzt die rosane Kopfhaut eines gepflegten Greises schimmerte<br />

und eine Blutbahn, auf Trab gehalten durch allerlei keusche<br />

Mittel, leise pochte. Zwischen den Beinen hielt er einen Stock<br />

mit versilbertem Knauf, der stark nach echtem oder gut imitiertem<br />

Ebenholz der Tropen <strong>aus</strong>sah.<br />

Und schon dachte Kleefisch, der noch die ganzen Blätter von<br />

Carlos im Kopf hatte, an einen Rinderbaron. Den Senior. Osvaldo<br />

Lieberman. Wie er für alle seine vierunddreißig Kinder<br />

in Öl gemalt werden will. Damals dagegen, als Lohnschreiber<br />

und Mieter der Dachmansarde, hatte er Poggenpohl davon<br />

abhalten müssen, hier mit blauer Jeansjacke, gelbem Pulli und<br />

weißen Socken aufzutauchen. Und jetzt stand vor ihm nicht<br />

etwa ein gewöhnliches, nässendes Glas Kölsch, sondern eine<br />

Schale mit Martini, in dem eine Olive schwamm.<br />

Meine Güte sagte Kleefisch da, neues Image?<br />

Dein Glück, dass du es so siehst. Wenn du jetzt gesagt hättest<br />

»Bruder, wie mir das Herz aufgeht!«, dann hätte ich dir glatt<br />

eine reingehauen. Mit dem Alter werde ich nämlich zunehmend<br />

radikaler.<br />

Na ja, die Literaten … sagte Kleefisch nur, weil er auch das<br />

noch von Carlos im Kopf hatte. Er kriegte diesen Kopf noch<br />

224


nicht klar. Oben in seinem Büro war eine Wirklichkeit, hier<br />

unten bei Fiddy wieder eine ganz andere. Und keiner kann<br />

mir sagen, was wirkliche Wirklichkeit ist. Das ist ähnlich<br />

verwirrend wie diese Sache mit den Galaxien. Keiner kann<br />

erklären, wo genau wir in der ganzen Suppe treiben. Und<br />

wann es aufhören wird mit uns.<br />

Ja.<br />

Ich wäre mit kleinem roten Teppich unter dem Arm zum<br />

Bahnhof gekommen, wenn du was gesagt hättest.<br />

Taxi. Mercedes-Diesel. Fuhr einen Schnitt von 140 beschied<br />

ihn Poggenpohl nur knapp.<br />

Von deinem Märchenstädtchen bis <strong>Köln</strong> und zurück? Lottogewinn?<br />

Früher, hier in <strong>Köln</strong>, in deiner strammen Jugend,<br />

hast du immer gelästert über Toto/Lotto. Was ist los?<br />

Du also sitzt jetzt auf dieser verdammten Kiste, die bislang<br />

allen Unglück gebracht hat sagte Poggenpohl nur. Er sagte<br />

es langsam und so, wie jemand bloß einen ersten matten Abglanz<br />

dessen zeigt, was er wirklich kann.<br />

1:0 für dich. Wie, verdammt, hast du das in deinem Altenheim<br />

erfahren? Von Fiddy? Andrea?<br />

Du hast mich immer unterschätzt. Dieser Fehler zieht sich wie<br />

eine hässliche Schleimspur durch dein ganzes Leben. Dieser<br />

Carlos war nun mal einer <strong>aus</strong> meiner Zunft. Der <strong>Hillebrand</strong><br />

ist es noch. Und Silvina auch.<br />

Den Elfmeter halte ich. Und wo ist <strong>Hillebrand</strong>? Und wo<br />

Silvina?<br />

225


<strong>Hillebrand</strong> ist ein Hasenherz. Wie ich. Dem ist augenblicklich<br />

<strong>Köln</strong> zu heiß. Polizei verträgt er gar nicht, selbst das<br />

Outfit von Krankenschwestern ist ihm inzwischen zuviel.<br />

Silvina hat in ein paar Tagen einen Auftritt als Sängerin hier<br />

in <strong>Köln</strong>, nach dem Endspiel der Fußball-WM. Vor wichtigen<br />

Auftritten sitzt sie bis zu zwei Wochen in ihrer Wohnung.<br />

Kein Telefon, keine Klingel, nichts. Sie meditiert.<br />

Meditiert sagte Kleefisch.<br />

Meditiert wiederholte Poggenpohl. Und hat am Schluss, vielleicht,<br />

ein neues Lied.<br />

Einen Tango.<br />

Sie nennt es Milonga. Oder Bolero.<br />

Milonga sagte Kleefisch und drehte ein frisches Schweppes-<br />

Glas, dessen Inhalt damit auch nicht besser wurde.<br />

Bolero sagte er.<br />

Ein Unterschied zwischen Tango und Milonga war dem Glas<br />

nicht anzusehen, ein Bolero nicht einmal andeutungsweise zu<br />

erkennen. Am Rand entdeckte er jetzt Spuren von Lippenstift<br />

und stellte es auf den Nachbartisch. Fiddy ließ stark nach.<br />

Auch Fiddy brauchte dringend eine Frau. Aber mit den vielen<br />

Minderjährigen <strong>aus</strong> Südostasien hatte er sich ver<strong>aus</strong>gabt.<br />

Du bist doch noch besser drauf, als ich dachte.<br />

Mein Kopf ist nach wie vor der reinste Mutterkuchen. Und in<br />

diesem Altenheim bin ich jetzt schwer im Geschäft. Ein letz-<br />

226


tes Großprojekt. Ein vielstimmiges Buch »Dein war mein<br />

ganzes Herz – Trivialroman.« Den schreibe ich mit den Bewohnerinnen.<br />

Und mit den Toten. Auch Carlos hat gewusst,<br />

dass die Toten unerbittlich sind, wenn‘s ans Erzählen geht.<br />

Richtig gefragt, reden die am Stück.<br />

Später. Erst die Kiste sagte Kleefisch. Was weißt du über deren<br />

Inhalt? Warum ist dieser Fernando so scharf darauf? Was<br />

schreibt Carlos vom Mario Lieberman? Hat der eine den anderen<br />

erpresst, und mit was?<br />

Es ist schon erstaunlich, wie interessant ich plötzlich für dich bin.<br />

Die Kiste.<br />

Das Projekt. Die fünft<strong>aus</strong>end Gefangenen/Verschwundenen<br />

in der ESMA waren in der Hölle. Für einen Schriftsteller ist<br />

die Hölle eine gute Geschichte.<br />

Ursprünglich wollten Carlos und ich zusammen die Toten<br />

erzählen lassen. So haben wir uns beim <strong>Hillebrand</strong> kennen<br />

gelernt. Er wollte seine Toten in Argentinien zum Sprechen<br />

bringen, diese Evita, den Pater Beltrani, den Rodolfo Walsh,<br />

den Osvaldo Lieberman, ich die Hiesigen. Auch deine<br />

Mama auf dem Westfriedhof gehört dazu, weil sie mal im<br />

Marienkrankenh<strong>aus</strong> gearbeitet hat, zusammen mit dieser<br />

Roswitha Niekisch.<br />

Da müsste ich erstmal vorsichtig bei ihr anklopfen. Jetzt, in<br />

ihrer Urne, ist sie natürlich was beengt.<br />

Selbstverständlich. Ich würde auch ein paar Bohnen Kaffee<br />

mitbringen.<br />

227


Egbert, die Kiste.<br />

Erst das Projekt. Schließlich ist das mein letztes Kind sagte<br />

Poggenpohl, schob mit dem kleinen Finger der Linken die<br />

Olive in der Martini-Schale zur Seite und nahm einen sehr<br />

kleinen Schluck.<br />

Siehst du, Kleefisch, es ist doch so: die Sterbenden kacken<br />

sich ein. Aber wenn es dir gelingt, den Lebenden ans Herz<br />

zu fassen, dann geht ihnen die Zunge über. Das ist das Projekt.<br />

Da Carlos nicht mehr konnte, denn mit diesem Loch im<br />

Kopf war er doch stark eingeschränkt, habe ich mich auf die<br />

Lebenden konzentriert.<br />

In meinem Heim leben fast nur Witwen. Auf die rätselhafte<br />

Art der Frauen werden sie viel älter als die Männer. Aber<br />

ihre emotionalen und sexuellen Energien sind noch immer<br />

beträchtlich. Habt ihr in der Kiste schon diese Schlüsselstelle<br />

mit Osvaldo Lieberman gefunden, der mit seinem Chevrolet<br />

durch die Pampa fährt?<br />

Schlüsselstelle?<br />

Das ist philologisch gesprochen, Kleefisch, und meint »Kern-<br />

und Angelpunkt«, gewissermaßen die Zentralheizung vom<br />

Ganzen. Da heißt es, das kann ich Wort für Wort und selbst<br />

im Schlaf:<br />

Die Witwen traten ans Fenster, lifteten ein wenig die<br />

Gardine und bereiteten sich darauf vor, gegrüßt zu<br />

werden. Und tatsächlich, jedes Mal lüpfte der Fahrer<br />

beim Vorbeigleiten den Strohhut. Er winkte ihnen<br />

zu. Er bat um Bestätigung für sein Tun, Hilflosigkeit<br />

228


und die Bitte um Erbarmen in den Augen – aber da<br />

gönnten ihm die Witwen nur einen weiteren klaren,<br />

völlig unerbittlichen Blick: sie würden niemandem jemals<br />

verzeihen, und er selbst würde mit all seinen frischen,<br />

noch taufeuchten Blüten nie die eigene Leere<br />

füllen.<br />

Poggenpohl hatte beim Zitieren die Stimme gehoben und<br />

seinen Stock mit dem Silberknauf, dieses sorgfältig imitierte<br />

oder tatsächlich echte Ebenholz der Tropen, auf und nieder<br />

bewegt, sodass zwei am Tresen die Köpfe gedreht und spitze<br />

Ohren gemacht hatten. Ein Blick von Kleefisch, und sie brüteten<br />

wieder unbeteiligt vor sich hin.<br />

Siehst du, Kleefisch, damit stoße ich die Witwen an. Und<br />

sie reden und reden, über Liebe und ihren Verrat, über Begehren<br />

und Erfüllung, und je länger sie reden, umso jünger<br />

und schöner werden sie, Rosenbäckchen plötzlich wieder<br />

alle, auch wenn ihnen dabei der letzte Zahn <strong>aus</strong>fällt und<br />

zwischendurch der Schließmuskel versagt und die Heimleitung<br />

schon mit spitzem Bleistift nachrechnet, wann ihr Bett<br />

endlich frei wird. Verstehst du, welche Dimension ich damit<br />

anpeile? Denn es ist natürlich ein Projekt mit Dimension.<br />

Poggenpohl schluckte trocken, zweimal, ein drittes Mal, er<br />

hatte sich mit dieser Aussicht etwas aufgeregt.<br />

Was denn für eine Dimension? fragte Kleefisch, und fühlte<br />

sich nach einer Weile, in der keine Antwort kam, selbst etwas<br />

einfach, fast tumb, aber er war nun mal beruflich ans genaue<br />

Fragen gewöhnt, fast eingesperrt darin.<br />

Ich will dich jetzt nicht überfordern sagte Poggenpohl<br />

schließlich.<br />

229


Na ja, deine Frauen sagte Kleefisch bloß, ich such aber nach<br />

den Toten in der Kiste. Und nach dem Täter.<br />

Diese Kiste sagte Poggenpohl und entdeckte auch an seiner<br />

Martini-Schale eine Verunreinigung. Er wischte sie mit<br />

nassem Daumen weg und nahm einen weiteren, winzigen<br />

Schluck von einem Getränk, das er nicht mochte, das er<br />

aber angemessen hielt für einen Mann, der ein letztes großes<br />

Projekt verfolgt, eines mit Dimension. Dann strich er sich<br />

mit dem Rücken des Zeigefingers den weißen, noch neuen<br />

Schnäuzer, an dessen Spitzen die Haut gerötet und leicht entzündet<br />

war ähnlich wie bei Hemingway, der freilich noch viel<br />

stärker unter Bartflechte gelitten hatte. So stark, dass sie ein<br />

Grund mehr für seine Abstürze war. Am Ende der Flintenlauf<br />

im Mund. So ein Schuss bläst den ganzen Kopf weg und<br />

lässt der Totenmaske keine Chance. Wenn Egbert Poggenpohl<br />

an Hemingway dachte, vermied er für die Dauer des<br />

Denkens und noch eine Stunde danach, in den Spiegel zu<br />

sehen: er stellte sich dann ganz ohne Kopf vor und erschrak<br />

so über sich, dass er zitterte.<br />

Also die Kiste sagte Kleefisch.<br />

<strong>Hillebrand</strong>s Schatzkiste. Vor der er sich fürchtet wie ein aufrechter<br />

Mann nur den Tod. Seine Lebensaufgabe ist es, <strong>aus</strong><br />

dieser Kiste die drei Bücher zu machen, Carlos Komplett. Und<br />

er weiß genau, dass er sein Idol Carlos damit ruiniert. Denn<br />

dieser Carlos war am Schluss ein Versager. Versoffen. Verhurt.<br />

Koksabhängig. Geschüttelt von schizophrenen Schüben. Und<br />

er hat seinen Stiefbruder Mario immer wieder erpresst. Er hat<br />

nichts mehr geschafft. Nicht einmal den Tod dieses Admirals<br />

hat er zu organisieren verstanden, der auf seinem weißen Laken<br />

doch die ganzen Jahre sowieso schon eine Leiche ist. Und<br />

230


dabei hat er Silvina immer wieder verloren, die er gerade mit<br />

dem Tod des Admirals gewinnen wollte.<br />

Silvina?<br />

Sie war es, die diesen Massera töten wollte. Aber sie konnte<br />

es nicht allein. Und schließlich hat es niemand geschafft. Der<br />

Kerl liegt ja immer noch auf seinem weißen Laken, zerrüttet<br />

vom Schlaganfall. Wenn er wirklich nicht bloß <strong>Th</strong>eater spielt,<br />

um endgültig straffrei zu bleiben.<br />

Kleefisch stippte nachdenklich einen Finger in die Martini-<br />

Schale und leckte ihn ab, eine eigentlich verbotene Erinnerung<br />

an alte Tage. Dann trank er sein neues Schweppes-Glas<br />

<strong>aus</strong>, schnell, mit Schlucken wie ein Pferd, und winkte Fiddy<br />

nach mehr. Das Trinken würde nie normal werden.<br />

Als würde der ganze Fall, an dem ich sitze, in dieser Kiste<br />

stecken.<br />

Verglichen mit mir bist du eben ein Analphabet. Du hast<br />

immer die Schrift unterschätzt. Carlos hat ein großes Werk<br />

hinterlassen, da steckt alles drin. Aber dann, plötzlich, war er<br />

alle. Er war eben jemand, der nicht zum Mörder taugte. Er<br />

taugte bloß dazu, ermordet zu werden.<br />

Und Fernando, der mit der Lederhand?<br />

Die Kiste, steht alles in der Kiste.<br />

Um mir das zu sagen, fährst du per Taxi von Münden nach<br />

<strong>Köln</strong> und jetzt wieder zurück?<br />

231


Reine Parallelität. Es ist nämlich so: weil ich jetzt mit diesem<br />

Projekt gerade im inneren Aufwind bin, da fühlte ich<br />

mich endlich stark genug, dir zu sagen, dass ich dich verraten<br />

habe.<br />

Du mich?<br />

Ich bin damals nicht wegen dieses wirklich sehr leichten Schlaganfalles<br />

weggezogen. Ich kannte Carlos, und ich habe geahnt,<br />

wie er enden würde. Ich hatte Angst. Und konnte nicht mit<br />

dir darüber reden, denn ich wusste, wie du auf diesen Mario<br />

Lieberman fixiert bist. Ich bin damals regelrecht abgehauen.<br />

Ich hatte Angst, vor allem und jedem, auch vor dir.<br />

Ich hätte das merken müssen. Jetzt steht‘s doch 2:0. Aber ich<br />

habe dich auch verraten.<br />

Du mich?<br />

Du hast dich hier immer hungrig über meine Klienten hergemacht.<br />

Das stank mir. Ich wollte das nicht mehr.<br />

Als Erzähler nimmt man, was man kriegen kann. Gute Geschichten<br />

sind nun mal rar.<br />

Da habe ich Fiddy gedrängt, dich an die Luft zu setzen.<br />

Poggenpohl polierte erst mit der Rechten den Silberknauf seines<br />

Stockes, fuhr sich dann mit dem Zeigefinger hinter die<br />

Brille und rieb sich länger ein Auge.<br />

Jetzt steht‘s 2:1 sagte er dann. Wir sind fast quitt. Eigentlich<br />

wäre das der Punkt für einen neuen Anfang. Wir haben uns<br />

232


nie gesagt, dass wir eigentlich Freunde sind, oder? Und jetzt,<br />

wo du wieder mit deiner Familie umgehst, da wirkt die vielleicht<br />

auf dich so beruhigend wie die Kuh, die zum Bullen<br />

gestellt wird.<br />

Tochter, nicht Familie. Und Andrea ist keine Kuh. Die ist<br />

schöner als Paris.<br />

Selbstverständlich. Immer schon meine Rede. Also?<br />

Und plötzlich wussten beide nicht, was zwei alte Männer wie<br />

sie jetzt tunlichst machen sollten. Dann stießen sie mit ihren<br />

Gläsern an, mit der Martini-Schale der sehr alte, mit dem<br />

Schweppes-Glas der auch schon alte. Beide mit Getränken, die<br />

sie nicht wirklich mochten.<br />

233


16<br />

C 5674 ff<br />

o.O., datiert August 2005<br />

<strong>Übers</strong>. <strong>aus</strong> d. Guaraní: <strong>Th</strong>. <strong>Hillebrand</strong><br />

Endspiel II<br />

Die Kranich-Linie, die sich rühmt, eine der besten Fluggesellschaften<br />

der Welt zu sein, bucht ihre Langstreckenflüge gen<strong>aus</strong>o<br />

rücksichtslos über wie die marode Aerolineas Argentinas,<br />

und beide zusammen sind in der Hinsicht nicht besser als der<br />

Schrottflieger <strong>aus</strong> Turkmenistan, der mit halbleeren Tanks, katastrophalem<br />

Übergewicht und betrunkenen Piloten abhebt.<br />

Also pumpten wir Latinos uns im Airport Frankfurt/<strong>Mai</strong>n mit<br />

dieser Empörung voll, die uns längst in den Genen steckt, und<br />

machten Krach, als seien wir schon zu H<strong>aus</strong>e. So wurde ich<br />

immerhin auf einen Fensterplatz in der Business Class hochgestuft,<br />

während Mario Lieberman in den Katakomben der Touristenklasse<br />

verschwand, eingezwängt zwischen zwei brüllenden<br />

Kleinkindern wie ein gewaltiger roter Luftballon.<br />

Wieder einmal hatte uns der Richter Juan Sanpedro zitiert,<br />

der jetzt seit Jahren im Labyrinth der Erbschaftsanfechtung<br />

herumirrte: je schlechter es meinem Geburtsland ging, umso<br />

mehr Würmer durchpflügten den Friedhof von Osvaldos Hinterlassenschaften,<br />

und überall auf den Zaunpfählen saßen<br />

Raben. Selbst <strong>aus</strong> Landesteilen, die Osvaldo nicht einmal im<br />

Traum besucht hatte, meldeten sich Kinder, nachtschwarz und<br />

mit Kulleraugen die einen, quittengelb und schlitzäugig wieder<br />

andere, und wollten von ihm gezeugt worden sein. Immer aufs<br />

neue verlangten Anwälte Honorare und Spesen, allen voran<br />

234


die Kanzlei Vicente Batista & Cie. Und immer schmerzhafter<br />

bohrte die greise Roswitha Niekisch in <strong>Köln</strong>-Brück ihrem Sohn<br />

Mario diesen einen gichtigen Finger in die Weichen Junge, hol<br />

dir endlich diese Insel, dein toter Vater schuldet sie uns!<br />

Wir waren beides Getriebene. Hinter ihm stand diese Greisin,<br />

die noch immer eine Insel wollte, die Osvaldo nie besessen hatte;<br />

hinter mir Silvina, mit der ich wieder schlief. Noch immer war<br />

sie ein Kunstwerk und wie <strong>aus</strong> Porzellan. Ich liebte sie, wenn<br />

sie sang: rauh und kehlig, hart und verworfen, dann wieder voller<br />

Zärtlichkeit für ein Land und seine Menschen, eine Zärtlichkeit,<br />

die umso schöner war, als sie nach all dem Geschehenen<br />

unbegreiflich blieb.<br />

Dank Gesangsunterrichtes an der Rheinischen Musikhochschule<br />

war ihre Stimme jetzt voll entwickelt und füllte sich, bald<br />

ein randvolles Gefäß, mit der Bitterkeit ihres Lebens und der<br />

Schwärze der Nacht und dem Streulicht dessen, was uns an<br />

Hoffnung blieb. Wenn dieser Mund, der so herrlich sang, mein<br />

Glied umschloss, wenn sie es einspeichelte und küsste und<br />

leckte und massierte und ich mich endlich ergoss, wenn ich<br />

meinen Samen über ihre Zunge und über ihre Lieder strich wie<br />

der Fisch über den Laich, war ich ihr hörig. Ich trank ihre Scheidenflüssigkeit,<br />

aber ich hätte, auf Verlangen, auch ihren Urin<br />

getrunken.<br />

Sie war meine einzige Frau, ihr war ich verfallen. Sie war meine<br />

Vergangenheit und mein Land. Und das, obwohl bei ihr dieser<br />

früh schon <strong>aus</strong>geprägte, aber zunächst noch leichte Zug zum<br />

Nymphomanentum sehr viel stärker geworden war: inzwischen<br />

schlief Silvina mit jedem. Silvina war eine Frau mit uterinem<br />

Feuer geworden, kostenlos zu haben für alle, die ihr gefielen.<br />

Zuweilen kam es zu einer hässlichen Szene, wenn ich Reste<br />

eines ihrer Liebhaber in der Wohnung am Neusser Wall fand:<br />

der Horror einer weißen Männer-Unterhose, hinten der braune


Reiter, vorne verkleckerte Tropfen, und dann noch halblanges<br />

Bein. Da ging ich zum Messerblock in der Küche und wog eines<br />

dieser Dinger in der Hand. Ich stellte mir vor, es in Silvinas Brust<br />

zu versenken. Der Mörder klopfte in meinem Kopf und wollte<br />

r<strong>aus</strong>. Wenn ich mir an die Schläfe griff, konnte ich ihn berühren,<br />

haben wir ihn doch alle stets griffbereit. Ich versuchte, mich an<br />

den Gedanken zu gewöhnen, dass Silvina nicht <strong>aus</strong> Achtung<br />

vor den Männern mit sovielen schlief, sondern <strong>aus</strong> der Verachtung.<br />

Und dass sie auf diese Art, von Verachtung zu Verachtung,<br />

zwischen den Auftritten mit ihren Liedern, überlebte. Jedenfalls<br />

war ich nie mehr auf Koks oder Alkohol, wenn ich zu ihr ging,<br />

und wenn ich nicht schrieb, war ich das oft. Ja, ich hatte mich<br />

dem Zeug als neuer Heimat ergeben, ich ging darauf wie auf<br />

einem Teppich, denn <strong>Köln</strong> war mir fremd geblieben und trug<br />

mich nicht. Und ich schrieb, um dem Zeug wenigstens phasenweise<br />

zu entrinnen. Ein Wettlauf, bei dem mein Atem immer<br />

kürzer wurde. Ich sah mir zu, wie ich lief. Einer wie ich sieht sich<br />

und den anderen zu. Er singt ein bisschen, dann stürzt er ab.<br />

Silvina auch war es, die nach wie vor »El Negro« getötet haben<br />

wollte. Längere Zeit hatte er uns in Ruhe gelassen. Er war<br />

zu lebenslang verurteilt worden; obwohl das für einen wie ihn<br />

keine Zelle, sondern goldener Käfig mit Ordonnanz, Swimming<br />

Pool und 900 qm Parkfläche drumherum bedeutete: da wurde<br />

er gehalten wie ein alter, seltener Hirsch.<br />

Dann aber griffen die Wähler in ihrem Verlangen nach Heilung<br />

und mit ihrer uralten Enttäuschung und Wut zur stärksten Droge,<br />

die ihnen geboten wurde, stärker noch als Crack und der<br />

ihr eigene Geruch nach Scheiße von schwerem Parfüm überdeckt.<br />

So spülten sie mit einer Mehrheit von 49% den Spross<br />

der syrischen Mafia Carlos Saul Menem mit seinen Koteletten<br />

der Hilfskraft eines Spielsalons, seinen Ferraris und seiner<br />

Schönheitskönigin in den Präsidentenpalast.<br />

236


Es gibt Stimmen, die diesen Zug zum Niederen eines ganzen<br />

Kontinentes mit dem Einfluss der stratosphärischen Höhenströmung<br />

erklären wollen, mit Erdmagnetismus, interstellarer<br />

Strahlung, Sonnenflecken und Sternenstaub; denn Tatsache<br />

ist, dass er bereits hoch im Norden regelmäßig Opfer fordert,<br />

wo Sch<strong>aus</strong>pieler von B-Movies, Alkoholiker, Bodybuilder, Gotteskrieger<br />

und auf unterschiedliche Art sexuell Abweichende<br />

ins Amt gewählt werden. Wir jedenfalls hatten jetzt einen Drogenbaron,<br />

Geldwäscher, Waffenschieber in großem Stil nach<br />

Kroatien und Ecuador, der selbst seinen eigenen Sohn, der ihm<br />

in die Quere kam, über die Klinge springen ließ oder die auf<br />

ihn gerichtete Klinge nicht abwehrte. Und er steuerte uns nicht<br />

nur zielgerichtet auf einen weiteren Abgrund zu, er küsste »El<br />

Negro« auch und wusch ihm die Füße – für wieviel Millionen?<br />

– und entschuldete ihn und ließ ihn frei. Und jetzt war es Silvina,<br />

die mich mit starrem Finger in die Seiten stieß Töte ihn, du hast<br />

es bei unserer Mutter versprochen, töte ihn! hörte ich jedes Mal,<br />

wenn ich mit ihr schlief, wie Mario Lieberman bei jedem seiner<br />

Besuche in diesem Behelfsbau in <strong>Köln</strong>-Brück von Roswitha<br />

Niekisch hörte Junge, hol dir endlich diese Insel, dein toter Vater<br />

schuldet sie uns!<br />

So kamen wir zusammen, mein Halbbruder Mario und ich. Lange<br />

hatte ich den Kriminaldirektor gemieden, allein sein Beruf<br />

war mir suspekt und weckte Erinnerungen an die Policía Federal.<br />

Auch hatte er einen sehr eigenen, leicht ranzigen Körpergeruch,<br />

den er mit Deospray und Aftershave zu überdecken<br />

suchte, und in seinen hellen, fast gelben Augen glaubte ich eine<br />

alte Verderbtheit entdeckt zu haben, die ich nie orten konnte: er<br />

hatte schnelle, kluge Augen, die immer schon woanders waren,<br />

bevor ich sie wirklich zu lesen verstand. Aber schließlich<br />

waren wir beide Abhängige: er von dieser Roswitha Niekisch<br />

und ihrem Finger, ich von einer Liebe, für die ich töten sollte. Wir<br />

umkreisten uns, machten Finten und Ausfälle, und als »El Negro«<br />

erneut angeklagt wurde, dieses Mal wegen Kindsraubes,<br />

237


der nicht unter die großzügig gewährte Entschuldung fiel und er,<br />

der sich seit langem die Haare schwarz färbte, einen Schlaganfall<br />

erlitt oder erfolgreich vorgab, einen erlitten zu haben und<br />

auf seinem weißen Laken in der Wohnung in Palermo Chico<br />

vor sich hindämmerte, da behauptete ich, ihn und diese Wohnung<br />

und seine weißen Laken viel genauer zu kennen, als<br />

ich es wirklich tat. Und Mario Lieberman gab vor, mit seinen<br />

Fachkenntnissen <strong>aus</strong> der <strong>Köln</strong>er Abteilung von Mord & Co. viel<br />

selbstloser sein zu wollen, als er es war; denn ich wusste, ich<br />

würde für alles zahlen müssen. So saßen wir endlich in einem<br />

Boot und ruderten im Takt. Gefangene waren wir beide. Und<br />

wenn ich es genau betrachtete, war ich noch zusätzlich sein<br />

Gefangener, denn ich hatte mich ihm offenbart.<br />

Der Passagier im Sessel neben mir, mittleres Alter, schütteres<br />

Haar, brauner Anzug, ein paar <strong>aus</strong> der Nase ragende Härchen,<br />

hatte sich bislang mit einem sehr kleinen Laptop beschäftigt,<br />

dessen Monitor er mit der Hand abschirmte. Ich tippte auf einen<br />

Porno. Aber dann sah ich es doch: Zahlen, Kurse, Tabellen,<br />

aha, der Mann geht mit Geld um, das ihm nicht gehört. Und<br />

schon klappte er die Kiste zu. Holte <strong>aus</strong> einem Täschchen erst<br />

ein Nasenspray gegen die trockene Kabinenluft tschitty tschitty<br />

rein damit, dann Augentropfen gegen den in der Kabine erhöhten<br />

Druck, dann zwei Pillen, die er mit dem Schluck <strong>aus</strong> einem<br />

silbernen Flachmann nahm, dann eine Augenbinde, die er sich<br />

auf dem Knie zurechtlegte – wirklich, dieser unauffällige, sich<br />

für die Nacht rüstende Mann saß öfter hier, als er neben seiner<br />

Frau im Ehebett lag.<br />

Heuschrecke?<br />

Wie?<br />

Sie sind also eine der gefürchteten Heuschrecken.<br />

238


Nehmen Sie lieber auch einen Schluck. Ist guter Stoff <strong>aus</strong><br />

Irland.<br />

Er goss vorsichtig die silberne Kappe voll und gab sie mir. Die<br />

Rechte zitterte mir noch von gestern, ich stützte sie mit der Linken.<br />

Der Stoff war wirklich gut.<br />

Schuldenberater sagte er. Übrigens haben Sie schon über Paris<br />

angefangen zu schnarchen.<br />

Die trockene Luft sagte ich. Was gibt’s denn bei uns noch zu<br />

beraten?<br />

Na ja sagte er und goss sich die Kappe vorsichtig voll trotz einer<br />

Turbulenz, die vorn in der Küche ein paar Teller scheppern ließ,<br />

es stimmt schon, ihr seid ziemlich beratungsresistent, und zu holen<br />

ist nicht mehr viel. Inzwischen gehört uns fast alles. Den Rest<br />

haben sich die Spanier geschnappt: Öl und Erdgas, das Telefon,<br />

den Strom, die Banken, Aerolineas Argentinas. Wer jetzt bei<br />

euch noch Geld hat, der kauft bei uns die Schulden auf, die er<br />

selbst hat. Die anderen leben wie Lehnsbauern: säen <strong>aus</strong> und<br />

bringen die Ernte ein, die ihnen sofort weggenommen wird.<br />

Dieser irische Stoff ist wirklich gut sagte ich.<br />

Destilliert mein Schwager in Irland, eine kleine, aber sehr feine<br />

Anlage. Liebt nur leider ein bisschen zu sehr seinen eigenen<br />

Stoff. Jetzt ist die Leber hin.<br />

Ach je sagte ich und nahm einen weiteren Schluck. Also<br />

Beratung.<br />

Ohne zynisch sein zu wollen: ich berate ein Ministerium, wie man<br />

trotz der Schulden noch den Anschein erweckt, handlungsfähig<br />

zu sein. Obwohl man es natürlich überhaupt nicht mehr ist.<br />

239


Natürlich sagte ich, als hätte ich die Materie gen<strong>aus</strong>o durchschaut<br />

wie er.<br />

Nehmen Sie ruhig noch einen, ich hab noch mehr.<br />

Später.<br />

Meine Frau mit ihrem großen Herzen liegt mir ewig in den Ohren:<br />

berate lieber die Kleinen, die mit eingefallenen Wangen vor<br />

den Banken stehen und an den Gittern rütteln. Das hat sie nämlich<br />

im Börsentipp von RTL gesehn.<br />

Und, tun Sie‘s?<br />

Würde mich meinen Job kosten. Und es ist <strong>aus</strong>sichtslos. Denn<br />

noch immer denken die, der Kreislauf der Finanzen bestehe<br />

<strong>aus</strong> dem Aust<strong>aus</strong>ch von Koury-Muscheln.<br />

Koury-Muscheln?<br />

Wissen Sie nicht, dass früher in Afrika und in großen Teilen Asiens<br />

alles mit Koury-Muscheln verrechnet wurde?<br />

Ich schreibe. Ich gucke mehr nach innen.<br />

Ihrer Hand nach zu urteilen, müssen Sie da fürchterliche Dinge<br />

sehen sagte er. Dieser bisher eher unauffällige Mann hatte<br />

doch die Zähne eines Frettchens.<br />

Es ist ja so: Die haben alle noch nicht begriffen, dass Währungen<br />

nichts als ein Versprechen sind. Dass Gelder elektronisch<br />

bewegt werden. Deswegen rütteln die an den Gittern:<br />

die wollen ihre Koury-Muscheln wieder haben. Und deswegen<br />

neulich, bei der großen Pleite, auch die Legende, zwanzig Lastwagen<br />

seien nach Ezeiza gefahren und per Luftcharter seien<br />

240


dort alle ihre Ersparnisse außer Landes geflogen worden. Am<br />

Tag darauf waren sie schon bei 360 Lastwagen, stellen Sie sich<br />

mal diese lange Schlange vor. Es sind eben noch Vorstellungen<br />

<strong>aus</strong> der Steinzeit, was soll ich da beraten?<br />

Mario Lieberman ließ sich in diesem zerschlagenen, schwarzgelben<br />

Peugeot-Taxi sehr vorsichtig auf den Rücksitz fallen,<br />

aber saß auch schon auf der Achse. Die Gänge krachten, die<br />

Lenkung hatte Spiel, und der Fahrer pumpte mehrmals mit dem<br />

Bremspedal, als wir von der Autobahn in die 9 de Julio einbogen,<br />

wo sich schon weit vor dem Obelisken das Blech staute.<br />

Es gab genug davon, meist kaputte Schlitten, und ich fühlte<br />

mich in einem alten Film, der gleich reißen würde.<br />

Unsere Wagen sind alle zwanzig Jahre und drüber sagte der<br />

Fahrer, als er endlich stand. Ford: dicht gemacht und mit der<br />

Krise abgehauen. Chevrolet: abgehauen. Sind alle abgehauen.<br />

Aber sehen Sie sich diese Menschen da an: gerade haben sie<br />

alles bei den Banken verloren, und schon gehen sie wieder rein.<br />

Die haben kein Gedächtnis, nichts.<br />

Es war ein älterer Mann mit großem, länglichem Schädel, auf<br />

dem kreuz und quer ein paar Haare lagen wie verschüttetes<br />

Stroh. Er sprach dieses einst gepflegte, dann versunkene und<br />

verwilderte Deutsch seiner Eltern, deren Gräber er zuweilen<br />

besuchte. Und schon sagte er auch:<br />

Mein Vater hat mir immer von Hamburg vorgeschwärmt. Der<br />

große Hafen. Aber selbst bin ich nie r<strong>aus</strong>gekommen.<br />

Er war eindeutig einer von uns, und ich war in einem ganz alten<br />

Film.<br />

Mario L. neben mir schlief schon wieder. Beim Ausatmen<br />

wölbte sich regelmäßig die Unterlippe vor und ließ mit einem<br />

241


kleinen Plop die Luft ab. Irgendetwas war undicht an dem<br />

Mann. Und er gehörte zu jenen, die auf Knopfdruck schlafen<br />

können. Wie »El Negro« früher. Ich stellte mir vor, wie seine<br />

Mutter, die vergreiste Roswitha Niekisch, auf dem Totenbett<br />

zu ihm sagte Schlaf Bübchen, schlaf! und er überzeugte sich<br />

noch einmal, dass seine Dienstwaffe gesichert war, dann<br />

schlief er auf seinem Stuhl neben der Sterbenden in <strong>Köln</strong>-<br />

Brück ein.<br />

Der Fahrer wurde unruhig und drehte mehrmals seinen großen,<br />

länglichen Kopf. Es war der Kopf eines Pferdes. Wirklich, der<br />

Mann sah <strong>aus</strong> wie ein stilles, gutmütiges Pferd.<br />

Dicht links von uns schob sich langsam ein Wagen mit zwei großen,<br />

auf der Ablage montierten Lautsprechern vorbei, <strong>aus</strong> denen<br />

Afrobeat dröhnte. Die Bässe schlugen ein wie Granaten. Auch<br />

das war eine alte Mühle mit fleckigem und zerkratztem Lack,<br />

der einst Schokobraun gewesen sein mochte. Ich erschrak. Ich<br />

rollte die Zehen in den Schuhen ein, als ich hinten, unter dem<br />

Kofferraumdeckel, den zur Hälfte abgefallenen Schriftzug sah:<br />

ein Ford Falcon 6 Zylinder, wie ihn die Eingreiftrupps mit Vorliebe<br />

gefahren und Fernando sie ihnen in den guten Stadtteilen<br />

besorgt hatte, ihnen und den Offizieren und deren Geliebten<br />

weiblichen und männlichen Geschlechts; wie er sie hatte umspritzen<br />

und warten und auftanken und waschen und von den<br />

üblichen Verunreinigungen solcher Nutzung hatte säubern<br />

lassen, als da sind: Blutspritzer und Erbrochenes; Kot natürlich<br />

und gelegentlich auch Hirnmasse; und nur selten ein paar Samenflecke<br />

oder ein kleiner, verlorener Slip, rotweiß gepunktet<br />

oder himbeerfarben, der hier von einer etwas befremdlichen Art<br />

von Zärtlichkeit kündete.<br />

Ein schöner Tag heute. Uns fehlt nur die Frau rief der Beifahrer,<br />

ein Junge, ärmellos und tätowiert.<br />

242


Nimm die Hand. Wir sind zur Zeit alle arm dran rief der Fahrer<br />

und zog zwei Wagenlängen auf den Obelisken vor.<br />

***<br />

Hier also lag er auf seinem weißen Laken: »El Negro«, Kampfname<br />

Cero.<br />

Er sah zur Decke. Der italienische Psychiater Tatarelli bewegte<br />

den Zeigefinger vor seinen Augen, sie folgten ihm mit Verzögerung.<br />

Er richtete sie auf mich, auf den <strong>Übers</strong>etzer und auf<br />

den Forensiker dann, die uns der Richter Montenegro beigeordnet<br />

hatte, weil sich die Angehörigen zunächst über Wochen<br />

diesem Besuch verweigerten. Tatarelli sollte mit dem Versuch<br />

eines kleinen Gespräches überprüfen, ob dieser jetzt 81jährige<br />

Mann tatsächlich, wie die argentinische Justiz behauptete, nicht<br />

in der Lage war, sich vor einem römischen Gericht wegen des<br />

Verschwindenlassens und der mutmaßlichen Ermordung der<br />

italienischen Staatsangehörigen Angela Aletta, Giovanni und<br />

Susana Pegoraro zu verantworten.<br />

Mario Lieberman hatte diese Möglichkeit für mich aufgetan.<br />

Und ich hatte mich in der Wohnung in Palermo Chico als ein<br />

»Bekehrter« vorgestellt, dem Admiral zu Dank verpflichtet. Ich<br />

hatte von einer kleinen Spinne berichtet, die wir Tag für Tag<br />

gemeinsam bei ihrer Arbeit beobachteten. Ich hatte das Leben<br />

der kleinen Spinne sehr viel länger gemacht, als es gewesen<br />

war. Sie hatten mir zugehört wie einem, der von hellen, fast<br />

glücklichen Tagen erzählt. Und so wollten sie auch den Krankengymnasten<br />

akzeptieren, den ich ihnen vorschlug: Eduardo<br />

Zamora, tatsächlich ein einfacher Masseur <strong>aus</strong> der Boxszene<br />

und früher selbst aktives Halbschwergewicht. Er beherrschte<br />

noch immer den tödlichen Schlag, der die Halswirbel knacken<br />

lässt. Ihm hatten Fernando und ich bereits eine erste Rate dafür<br />

bezahlt, dass er »El Negro« tötete. Eduardo war in solchen<br />

243


Nebentätigkeiten erfahren, er hatte kleine, gebrauchte Dollarscheine<br />

verlangt, die wir ihm in einem Verbandsköfferchen des<br />

Roten Kreuzes lieferten.<br />

Tatarelli versuchte ein einfaches Gespräch in Gang zu setzen,<br />

vergeblich. »El Negro« sah wieder von einem zum anderen. Es<br />

war nicht zu erkennen, als was er uns wahrnahm, dann blieben<br />

die Augen auf die Wand fixiert, an der eine Stubenfliege saß.<br />

Ich wusste, »El Negro« hat es mit Kleinlebewesen.<br />

Es war die grüne Zikade, die alles entschied. Plötzlich war sie<br />

wieder da, ich kriegte sie nicht mehr <strong>aus</strong> dem Kopf. Ich war,<br />

noch ganz ohne Zähne, wieder die erste Nacht in unserem<br />

H<strong>aus</strong> in San Telmo. Ich wurde von Klopfgeräuschen wach. Ich<br />

versuchte, ein Messer in der Hand, die Geräusche im H<strong>aus</strong> zu<br />

orten. Als ich endlich zwischen Fenster und hölzerner Jalousie<br />

die große, grüne Zikade entdeckte, griff ich sie, betrachtete<br />

ihre hässlichen, vorgewölbten Augen, versuchte zu ergründen,<br />

als was sie mich wahrnahmen, kam nicht dahinter, und brach,<br />

während mir das Herz bis zum Hals schlug, ihren trockenen<br />

Körper mittendurch wie ein Stück Holz. Es war, mit Ausnahme<br />

von erschlagenen Mücken und ein paar zerquetschter Wanzen,<br />

das einzige Lebewesen, das ich je getötet habe.<br />

Und hier war sie jetzt wieder. In meinem Kopf und auf dem<br />

weißen Laken vor mir. Aber ich war ein anderer als damals, in<br />

dieser ersten Nacht in dem H<strong>aus</strong> in San Telmo. Ich hatte neue<br />

Zähne. Ich führte ein anderes Leben jenseits des Meeres. Ich<br />

war kein Gefangener mehr. Und der Mann auf dem weißen Laken<br />

vor mir war nicht mehr »El Negro«. Es war einer, der einmal<br />

»El Negro« gewesen war. Es war ein Greis, der einen Berg<br />

von Leichen zu verantworten hatte und der jetzt auf eine Wand<br />

starrte, an der eine Stubenfliege saß. Wenn ich ihn töten ließe,<br />

dann bliebe ich sein Gefangener. Und da ging ich. Grußlos und<br />

als Versager, aber als fast freier Mann.<br />

244


Links von der Tür stand ein kleines Bücherregal. Aus alter Gewohnheit<br />

überflog ich ein paar Titel. Ein Buch stand vor und<br />

quer, es verdeckte ein halbvolles Glas. Ich griff danach und<br />

roch daran. So wie ich zur Zeit trainiert war, wusste ich sofort:<br />

Gin. Guter Stoff. »El Negro« hatte nie Dreck getrunken.<br />

***<br />

Wenn Pater Beltrani noch mitteilsam gewesen wäre, dann hätte<br />

ich von ihm gehört Der Herr ist Dir noch rechtzeitig in den Arm<br />

gefallen, mein Junge oder wenigstens kurz und bündig, wie er<br />

nun einmal war Bete, mein Sohn, es war der Herr. Aber der<br />

Pater hatte ja nichts mehr zu sagen. So blieb ich allein mit der<br />

Katastrophe, versagt zu haben und nichts als ein schwacher,<br />

guter Mensch zu sein.<br />

Silvina machte wieder dicht, ich durfte sie nicht einmal mehr berühren.<br />

Bei ihr fehlten mir alle Argumente, denn sie war die einzige,<br />

der ich vom Gin erzählt hatte. Und messerscharf schloss<br />

sie <strong>aus</strong> diesem hinter einem Buch versteckten Glas, dass »El<br />

Negro« den Dämmerzustand eines Greises, in dessen Schädel<br />

Nebel wallen, nur vortäuschte, denn wenn der immer noch<br />

saufen kann, dann ist der wenigstens zeitweise klar im Kopf.<br />

Mario Lieberman nahm alles mit großer Gelassenheit auf. Ich<br />

wunderte mich, bis in <strong>Köln</strong> dieser Eduardo Zamora vor meiner<br />

Tür stand und noch einmal Kasse machen wollte, bevor er zurückflog.<br />

Der hatte gerade im Auftrag von Mario L., der sich davon<br />

eine ruckartige Beschleunigung seiner Karriere versprach,<br />

in der Parkanlage Ebertplatz eine junge Türkin ins Genick<br />

geschlagen und kurz darauf in einer Grünanlage der Inneren<br />

Kanalstraße eine Marokkanerin, sodass mehr und mehr aufgebrachte<br />

Muslime ins sonst doch ruhige, gelassene, ja auf angenehme<br />

Art schläfrige <strong>Köln</strong> geströmt waren und Mario L. reichlich<br />

aufzuklären hatte. Für ihn war der Tod der beiden jungen Frauen<br />

245


ein gut gedüngtes Frühbeet. 1 Da wusste ich, zu was er mich<br />

missbraucht hatte und dass ich sein Gefangener blieb. Aber<br />

dank des Besuches dieses früheren Halbschwergewichtlers<br />

war er auch meiner. Noch immer ruderten wir im selben Boot,<br />

angekettet jetzt beide. Die Galeere der Stiefbrüder.<br />

Fernando, der sich bei unserem fehlgeschlagenen Projekt um<br />

die Finanzen gekümmert hatte, verfiel zunächst in eine weitere<br />

seiner Depressionen. Die suchten ihn seit dem Untergang<br />

des Kreuzers »Belgrano« heim, bei dem ihm die rechte Hand<br />

zerquetscht worden war. Seitdem beschäftigte ihn die Marine<br />

in einem Archiv, in dem er immer wieder Schiffsmeldungen zu<br />

sortieren hatte, die längst von Mäusen zerfressen waren. Zuweilen<br />

aber stieß er hier auf Blätter, die ihn aufheiterten. Dann<br />

rief er mich an und erzählte mir von Geisterschiffen und Piraten<br />

und allen jenen seefahrenden, räuberischen Nationen, die sich<br />

insgeheim, verschlungen von Nebel und Nacht, bedroht von<br />

Treibeis, Spähersatelliten und dem ewigen Huhn in Aspik <strong>aus</strong><br />

der Kombüse, um die Unterwasserschätze der Antarktis balgen,<br />

während ihre Botschafter im hellen Licht New Yorks vorgeben,<br />

einvernehmlich das eine und andere grundlegende Problem der<br />

Menschheit lösen zu wollen, beispielsweise das des Hungers.<br />

Dabei lachte Fernando sogar am Telefon. Er, der <strong>aus</strong> Neigung<br />

und Schulung so Brave, zeigte noch einmal etwas von jener<br />

Aufmüpfigkeit, mit der wir einst zusammen im Chevrolet hatten<br />

abhauen und unser eigenes Land und uns selbst erkunden wollen.<br />

Ich nutzte das, um ihm zu sagen die nächste Depri vermeidest<br />

du nur, wenn du vorher die Sau r<strong>aus</strong>lässt, so etwas oder<br />

etwas dieser Art sagte ich ihm, oder ich sagte du siehst doch,<br />

was der Gehorsam dem Roberto gebracht hat. Da war nicht<br />

bloß sein Mercedes mit Auflieger und Kran weg, da war er auch<br />

sein Leben los! Aber damit war ich auf einen ganz empfind-<br />

1 Peter Faecke: Der Kardinal, ganz in Rot und frisch gebügelt. Ein<br />

Fall für Kleefisch.<br />

246


lichen Zahn gestoßen. Und ich begriff, dass Fernando diesen<br />

Roberto, an dem wirklich wenig bis nichts Liebenswertes war<br />

– ein Knecht, der Herr sein wollte - trotz allem geliebt hatte. Vielleicht<br />

aber liebte Fernando auch bloß <strong>aus</strong> Anstand und bildete<br />

sich die Liebe nur ein.<br />

Dann schlitterte Fernando der Brave doch in eine mittlere<br />

Katastrophe, wie sie sich zu dieser Zeit nur in Buenos Aires<br />

ereignen konnte. Er geriet an einen jungen Journalisten. Und<br />

Fernando gab lange nicht alles, aber doch genug von dem<br />

preis, was er in der ESMA erlebt hatte, dorthin für drei Monate<br />

abkommandiert im Zuge eines Rotationsverfahrens, mit dem<br />

die Marine bestrebt war, möglichst viele ihrer Mitglieder in den<br />

Schmutz einzubinden. Fernando erzählte nicht von Folter und<br />

Mord, nicht von Verstümmelung und Picana eléctrica, nicht<br />

von den Schwangeren, die unmittelbar nach der Entbindung<br />

getötet wurden: Fernando erzählte dem Journalisten, der für<br />

drei dieser kleinen, fast in Hühnerställen betriebenen Radios<br />

in der Provinz in Mendoza und Tucuman arbeitete, von den<br />

Stadtteilen und Straßen, in denen er Ford Falcons aufspürte<br />

und rauben ließ; vom Handel mit Elektrogeräten, Schmuckstücken,<br />

doppelt geschliffenen Brillen deutscher Produktion, von<br />

einzelnen Bibliotheken, Grundstücken und Wohnungen. Fernando<br />

erzählte vom alltäglichen Leben im Schmutz der ESMA,<br />

es waren auch Küchengerüchte und Latrinensprüche dabei.<br />

Und schließlich, weil dieser junge Journalist <strong>aus</strong> der Provinz,<br />

Mendoza und Tucuman, zuzuhören und ihn zu ermuntern verstand,<br />

und weil Fernando gerade an diesem Tag so einen Mann<br />

brauchte, erzählte er auch, wie er am Ende die Verlegung von<br />

15 Gefangenen zu beaufsichtigen hatte. Gefesselt und mit Kapuzen,<br />

bereits sediert, wurden sie auf einen Lastwagen verladen,<br />

der sie zum Militärflugplatz fuhr. Von dort würden sie<br />

an diesem Mittwoch mit einer Fokker abheben und über dem<br />

Meer abgeworfen werden, denn Mittwoch war Abwurftag.<br />

247


Und da, und dieser junge Journalist fragte so behutsam und<br />

verständig nach, ganz ungewöhnlich verständig für sein Alter,<br />

da vor dem Lastwagen, da hatte Fernando sich eingenässt. Er<br />

gab jetzt sogar Details preis, die er die ganzen Jahre vor sich<br />

selbst versucht hatte zu verstecken. Er sagte diesem jungen<br />

Mann, und der sendete es in Mendoza und Tucuman in seinen<br />

kleinen, fast im Hühnerstall betriebenen Radios ich habe leider<br />

ein ungehörig großes, mich sehr belastendes Geschlechtsorgan,<br />

und auch meine Blase ist größer als normal. Die ganze<br />

Hose war nass, es lief mir <strong>aus</strong> einem Bein. Ich war ein Marineoffizier,<br />

der sich vor den Gefangenen einpinkelt. Ich war Teniente<br />

de Corbeta und lief regelrecht <strong>aus</strong>. Es gab nichts mehr<br />

zu verstecken, die Pfütze neben meinem linken Schuh, und ich<br />

wusste, ich bin erledigt. Ich brauche eine Kugel, das ist alles,<br />

was ich noch brauche: eine Kugel. Warum schießt mir denn<br />

jetzt keiner eine Kugel in den Kopf!<br />

Fernandos Geschichte sprang <strong>aus</strong> den Hühnerställen der<br />

Provinz nach Buenos Aires über. TV und Zeitungen suchten<br />

ihn, aber da war er bereits abgetaucht: die Marine hatte alles<br />

dementiert und ihn wegen Verleumdung <strong>aus</strong>gestoßen.<br />

Er war seinen Rang los, er hatte das verloren, was er noch<br />

immer unerschütterlich die Ehre nannte, und seine Altersversorgung<br />

war futsch. Eine Weile versteckte er sich in einem<br />

Zimmer des 6. Stockes von Susimil, die gerade mit dem Gedanken<br />

spielte, <strong>aus</strong> Altersgründen ihren Betrieb zu verkaufen<br />

und mir ihr Leben zu erzählen von den ersten Nächten<br />

mit dem gelegentlich durch<strong>aus</strong> zärtlichen Meyer Lansky in<br />

Havanna bis heute, dann wartete er die letzten Windböen in<br />

Misiones ab.<br />

Als sich alle Turbulenzen verflacht zu haben schienen, trat er<br />

nachts <strong>aus</strong> einem Kino der Corrientes und wurde von drei Typen<br />

zusammengeschlagen. Sie brachen ihm den Kiefer und<br />

drei Rippen, jeder eine, die mussten das geübt haben. Und<br />

248


sie quetschten ihm die Eier, sodass eine Notoperation fällig<br />

wurde und Fernando seitdem ein Mann ohne Eier ist.<br />

Da er gut deutsch spricht, ja es auf Verlangen selbst noch mit<br />

der rheinischen Tönung seines Ziehvaters färben kann, was<br />

nun wirklich jedem Satz die Bedeutungsschwere nimmt und ihn<br />

hier zu einem idealen Händler macht, konnte ich ihn überreden,<br />

übers Meer zu kommen. Jetzt hat er am Rand des Hamburger<br />

Hafens eine aufgegebene Tankstelle gepachtet. Er kauft kleine,<br />

gebrauchte Schiffsmotoren an, die er nach Argentinien verfrachtet.<br />

Manchmal gelingt es ihm, einen einwandigen Tanker<br />

aufzukaufen oder einen durchgerosteten Frachter, einen Kutter<br />

oder ein Küstenmotorschiff, die er verschrotten lässt. Das<br />

ist mein Halbbruder Fernando Wurtler, Sohn Osvaldos und<br />

Susimils, mein Freund. Fernando, der durch Erziehung und<br />

Schulung Brave, der schon kurz nach der Geburt mit seinem<br />

Versprechen eines prächtigen Geweihs auffiel, sodass die<br />

Männer anerkennend mit den Zungen schnalzten und selbst<br />

reife Frauen kicherten und vom lauen Badewasser zu träumen<br />

begannen; Fernando, dem dieses Geweih freilich immer alle<br />

Hoffnungen auf Ehe und Familie, auf Kinder- und Enkelsegen<br />

zerschlug. Ich blieb <strong>aus</strong> Überzeugung allein, mein Freund Fernando<br />

aber <strong>aus</strong> Not.<br />

***<br />

Nach dem Anschlag auf ihn musste keiner Susimil sagen, dass<br />

eine Mutter immer alles für ihren Sohn tut.<br />

Sie wehrte sich gegen die Marine mit dem, was sie über einen<br />

Teil ihrer Offiziere wusste, und das tat sie mit ihrem schon<br />

immer losen Mundwerk. In der Stadt begannen Geschichten<br />

zu kreisen, verdichteten sich zu kleinen Lawinen <strong>aus</strong> Schlamm<br />

und Geröll, und mit ihrem Abgang ins Tal wurden <strong>aus</strong> den eben<br />

noch Helden der Seestreitkräfte, die vor den Malvinen bloß<br />

249


einen strategischen Rückzug vor der die gesamte Menschheit<br />

gefährdenden Atomtechnik der Margaret <strong>Th</strong>atcher gemacht<br />

hatten, ein ganzer Offiziersjahrgang von Perverslingen. Susimil<br />

nannte nach und nach Namen und sexuelle Gepflogenheiten,<br />

die selbst mir, der ich mich doch im Angebot des 5. und 6.<br />

Stockwerkes der Calle Libertad <strong>aus</strong>kannte, <strong>aus</strong>gesprochen<br />

erwähnenswert erschienen. Es musste mal gesagt werden.<br />

Und Susimil, aufgebracht wie nie, sagte rücksichtslos alles. Sie<br />

nannte Namen und Ränge, sie schilderte Sex mit Hunden und<br />

Meerkatzen und immer wieder Szenen eines Sexspiels, das<br />

unsere Verteidiger des christlichen Abendlandes in Naziuniformen<br />

genossen hatten.<br />

Sie trat immer wieder neue kleine Lawinen <strong>aus</strong> Schlamm und<br />

Geröll los, die donnernd zu Tal gingen, bis im Empfangszimmer<br />

des 5. Stockwerkes der Calle Libertad eine Bombe explodierte<br />

und ihr ganzer Betrieb <strong>aus</strong>brannte. Leicht verletzt wurden dabei<br />

mit Splitterwunden die Peruanerin Luz Villegas, genannt<br />

Pfauenauge, und die Domina Estela <strong>aus</strong> San Salvador. Susimil<br />

selbst war zunächst verschüttet worden durch eine herabbrechende<br />

Zwischendecke. Seitdem war sie gelähmt, auf Rollstuhl<br />

und Betreuung angewiesen. Ich traf sie erst wieder, als<br />

der Richter Juan Sanpedro einen letzten Versuch machte, die<br />

Scherben der Erschaftsanfechtungen zusammenzukehren und<br />

feststellte, dass so gut wie nichts mehr übriggeblieben war, ja<br />

dass Gebühren und Spesen, Honorare, kulturell und klimatisch<br />

bedingter Schwund und der eine und andere Zahn der Justiz<br />

selbst in allem geschlemmt hatten wie die Würmer im Kadaver.<br />

Es stimmt schon, eigentlich hatte ich dir meine Geschichte versprochen<br />

sagte sie in ihrem einfachen, handbetriebenen Rollstuhl<br />

im Essraum dieses Pflegeheimes in Palermo Hollywood,<br />

in dem gerade mit viel Geklapper die Reste einer Kaffeetafel<br />

abgeräumt wurden. Sie zupfte eine rotblau karierte Decke zurecht,<br />

um ihre Spinnenbeine zu verbergen. Am linken Bein, ein<br />

250


Hanfstengel inzwischen, nicht mehr, war der milchige Strumpf<br />

gerutscht und kringelte sich auf dem Knöchel.<br />

Ich wollte dir alles erzählen. Vom Malecón in La Habana, ach<br />

herrjeh diese herrlichen Wellen, von meinen Nächten im Hilton<br />

mit Meyer Lansky, diesem anfänglich so großzügigen Liebhaber<br />

und dann so bösartigen Schwein, bis zu diesem großen<br />

Knall hier in der Libertad. Aber dann habe ich sie getroffen.<br />

Sie zeigte auf eine Frau, die am Tisch saß und geschrieben<br />

hatte und jetzt aufstand. Es war eine Gaby Weber. Ich erinnerte<br />

mich an diese unglücklich verlaufene Geschichte im Funkh<strong>aus</strong><br />

in <strong>Köln</strong>, die Bombendrohung und Evakuierung, den Akkordeonspieler<br />

auf dem Wallraffplatz, dem die Zunge r<strong>aus</strong>geschnitten<br />

worden war und den ich leider nie mehr aufgespürt hatte.<br />

Tut mir leid für dich, aber sie hat sich anders entschieden sagte<br />

sie. Dabei lächelte sie etwas, aber nicht viel. Sie war wohl eine<br />

Frau, die nicht viel lächeln konnte. Sie sah <strong>aus</strong> wie eine dieser<br />

kleinen Rammen, mit denen unter explosionsartigem, rhythmischen<br />

Krach beim Straßenbau der Boden verdichtet wird: ein<br />

harter Kopf, in dem es zündet und sprüht, und nach unten wird<br />

es zunehmend kompakter. Nicht liebloser, nein, das nicht, aber<br />

eben kompakter.<br />

Mir auch sagte ich, gute Geschichten sind rar.<br />

Und mir kommt es gelegen sagte sie. Mit dieser Mercedes-Geschichte<br />

bin ich bei euch verbrannt. Keiner will mehr was von mir.<br />

Was soll ich machen, in meinem Alter schon in Rente gehen?<br />

Ja sagte ich, ist schon gut.<br />

Sie waren zu zweit. Zwei Frauen. Da gab es für mich nichts<br />

mehr zu sagen.<br />

251


17<br />

Noch immer war Kleefisch auf Schüsse dressiert wie ein<br />

Jagdhund.<br />

Um 22:07 Uhr schreckte er von dem kleinen Sofa auf, das in<br />

seinem Büro unter dem Fenster zur Neusser Straße stand. Er<br />

fluchte, wischte sich mit dem Handrücken etwas Rotz weg,<br />

der ihm im Schlaf <strong>aus</strong> der Nase gelaufen war, fuhr sich durch<br />

die Haare und hörte, wie der Kerl mit seiner alten, selbst zusammengebastelten<br />

Harley Davidson langsam, aber mit der<br />

Gewalt eines abschwellenden Gewitters über Arizona oder<br />

den texanischen Rinderweiden in Richtung Agneskirche<br />

fuhr. Wellen, die abebbten. Jetzt musste er schon hinter der<br />

Kreuzung Innere Kanalstraße sein und würde noch eine kilometerlange<br />

Spur durch die Nacht ziehen.<br />

Das war ein über 75jähriger Rentner, der sich spätabends in<br />

die Kampfmontur eines belgischen Fallschirmjägers zwängte,<br />

sich einen Helm der Nationalen Volksarmee der DDR unter<br />

dem Kinn festzurrte und langsam, aber mit dem Donnergetöse<br />

eines apokalyptischen Rächers durchs Viertel kurvte. Zu<br />

reden war mit dem Mann nicht. Er lebte allein, hinten r<strong>aus</strong><br />

in der Balthasarstraße, mit einem alten, von der Staupe geplagten<br />

Schäferhund und einem Aquarium voller friedlicher<br />

Guppys und Mollies. Er sprach nicht, ging mit niemandem<br />

um, eine stille Hypothek des Viertels. Einer, der nur dann<br />

und wann diese eine Fehlzündung verursachte und diese eine<br />

Spur durch die Nacht zog wie andere eine Blutspur. Dann<br />

versank er wieder still in sich wie ein Baumstumpf oder eine<br />

Stinkmorchel im Wald.<br />

252


Die Tochter Andrea saß blass, mit offenem, verwirbelten<br />

Haar und im roten Slip neben der Kiste und las. Die Mutter<br />

hatte mit diesem Unsinn angefangen, die Tochter machte es<br />

nach: häusliche Bequemlichkeit hieß, sich in Unterhosen in<br />

der Wohnung bewegen. Kleefisch hatte das nie verstanden.<br />

Als der Hintern seiner Frau absank und immer trauriger wurde,<br />

hatte er allen Geschmack an Unterhosen verloren. Wenn<br />

er sich beklagte, fielen gleich zwei Frauen über ihn her und<br />

machten ihn mit Wo soll ich denn sonst, wenn nicht hier die<br />

eine und Paps, du bist ja so schrecklich rückständig die andere<br />

zu diesem Imam drei Reihenhäuser weiter, der, Pistazienkerne<br />

knackend und von Pfefferminztee umweht, mit seinem<br />

schrecklichen Zeigefinger Frau und zwei Töchter im Staub<br />

von Erbsen und Linsen und der Klebrigkeit von getrockneten<br />

Datteln gefangen hielt und von dem Kleefisch stets argwöhnte,<br />

dass ihn doch die Dämonen quälen: im Speicherraum der<br />

Moschee, wo die Motten in Teppichresten schlemmen, die<br />

Mäuse sich von gestapeltem altarabischen Druckwerk nähren<br />

und dessen blindes Fenster nach Westen weist, dorthin, wo<br />

die neue Müllverbrennungsanlage steht – dort schütteln ihn<br />

die Dämonen so, dass er mit seinem schrecklichen Finger immer<br />

wieder an den Schenkeln der dreizehnjährigen Schönheiten<br />

<strong>aus</strong> Anatolien entlangfährt und ihn schließlich in ihren<br />

Mustöpfchen versenkt.<br />

Schon gut, ich zieh mich gleich wieder an. Aber den ganzen<br />

Tag dieses enge Leder, das geht nicht.<br />

Dann kauf doch nicht solchen Scheiß.<br />

Ich hab jetzt fast alles über diesen Fernando zusammen. Den<br />

hat Carlos wirklich geliebt. Den und diesen Pater Beltrani.<br />

253


Weil der eine so schwach ist und weil sie den anderen haben<br />

verschwinden lassen sagt Kleefisch. Dieser Carlos war wirklich<br />

ein Rohr im Wind. Wie mein Freund Poggenpohl. Die<br />

verstanden sich nicht umsonst so gut.<br />

Kleefisch hat wirklich Freund gesagt. Er stockt, geht schnell<br />

zum neuen H<strong>aus</strong>funk, um Kaffee zu bestellen. Jetzt hat er das<br />

Gefühl, vor dieser Tochter im Slip ein Eigentor geschossen<br />

zu haben. Es ist wirklich schwierig: kaum sind diese Kinder<br />

erwachsen, wissen sie auch schon alles über die Väter. Und<br />

dann kacken sie ihnen auf den Kopf, genau dorthin, wo die<br />

kahle Stelle droht.<br />

Der H<strong>aus</strong>funk blinkt nicht, er ist tot. Elektronisch betrachtet<br />

und niederfrequenztechnisch gesprochen ist dieser Fiddy<br />

noch immer ein Idiot. Kein Wunder, dass er diese ganzen<br />

Philippinas verloren hat, an denen er auch immer rumbastelte<br />

wie an Spielzeug. Und Kleefisch geht nach unten. Und trifft<br />

als erstes auf Rainer D., den früheren Schiffsführer. Der mit<br />

einer bescheidenen Ladung Marihuana auf dem Rhein unterwegs<br />

war, die in Basel mit Schweizer Schokolade verbacken<br />

werden sollte. Das machte <strong>aus</strong> ihm einen Häftling im modernen<br />

Betonsilo von <strong>Köln</strong>-Ossendorf und später im alten Backsteinbau<br />

von Werl. Dieses Werl, das hat ihn mitgenommen.<br />

Im Zuge einer Meuterei wurde ein Wärter erstochen. Alle<br />

Freizeitangebote waren ein Jahr lang gestrichen. Freitagmittag<br />

wurde eingeschlossen und fertig, bis Montagfrüh das Leben<br />

in der Dose. Jetzt hat er eine lichte Zweizimmer-Wohnung im<br />

Viertel und kann von der Küche <strong>aus</strong> ein Stück Himmel sehen.<br />

Und er hat drei Mädchen am Eigelstein laufen, von denen eine,<br />

genannt Monalisa, noch gen<strong>aus</strong>o summt, wie sie es in Kalkutta<br />

getan hat, wo die Lockrufe der Huren nachts als schöne,<br />

wiewohl selbst elende, aber von den offenen Kochstellen<br />

254


von unten angestrahlte Wolke aufsteigen und übers Elend der<br />

ganzen Stadt treiben, in der sich bis heute jeder fragt, wo eigentlich<br />

Mutter Teresa ihr ganzes Geld gebunkert hat.<br />

Ich komm mit sagt oben Andrea, als sie hört, dass Kleefischens<br />

Rat im <strong>Hotel</strong> <strong>Flamingo</strong> wegen eines schwierigen Kunden gefragt<br />

ist, der rechts eine Lederhand hat und zwischen den Beinen<br />

eine gewaltige Apparatur.<br />

Dieser Freier, stark angetrunken, hat randaliert, weil Monalisa<br />

sich sein Kaliber nicht antun wollte. Sie haben ihn mit einem<br />

Gläschen Likör nach altem Bauernrezept beruhigt, jetzt schläft<br />

er tief. Aber natürlich wollen sie nicht, dass die Streife kommt.<br />

Allein im früheren Zimmer von Carlos, dem Zimmer Nr. 6,<br />

würde noch jeder Drogenhund freudig anschlagen, und die<br />

Steuerfahndung, die, bedrohlich genug, eigentlich gleich um<br />

die Ecke an der Kette liegt, tut keinem <strong>Hotel</strong> dieser Art gut.<br />

Du bleibst hier, das ist dienstlich sagt Kleefisch.<br />

Du hast keinen Dienst mehr. Und gelesen habe ich sagt<br />

Andrea und schließt auch schon den Reißverschluss dieser<br />

schwarzen Lederhose, die Kleefisch immer für die Pelle einer<br />

Blutwurst hält.<br />

Er greift nach seiner Waffe im Schreibtisch, einer Glock, und<br />

erwartet den nächsten Streit. Aber dieses Mal erledigt die<br />

Tochter das mit den Augen. Mit einem Blick. Sie hat wirklich<br />

schöne, dunkle Augen.<br />

Erst im <strong>Hotel</strong> <strong>Flamingo</strong> streiten sie wieder, dieses Mädchen<br />

hat eben keine Ahnung, zu was so ein enttäuschter Freier<br />

fähig ist. Aber hier hat sie sofort diesen Inder auf ihrer Seite,<br />

255


der für die Nachtschicht eingeteilt ist, ein Mann im langen,<br />

bestickten Hemd und ölig wie eine eingelegte Aubergine.<br />

Rainer D. dagegen hält sich <strong>aus</strong> allem r<strong>aus</strong>. Der hat selbst eine<br />

Tochter, die irgendwo abgetaucht ist, der ist ein gebrannter<br />

Mann. Und so sitzt Kleefisch jetzt wie sein eigener Assistent<br />

auf einem unbequemen Holzstuhl vor der Tür von Zimmer<br />

Nr. 11 im 2. Stock dieses <strong>Flamingo</strong>, das Hersh Liebermann<br />

einst in der Wüste des Friedens <strong>aus</strong> bereits einmal vermauerten<br />

Ziegelsteinen errichten und erst später aufstocken ließ.<br />

Damals war alles einfach: pünktlich zur Schlüsselübergabe<br />

erklärten sich die Bauherren für ruiniert und zahlungsunfähig.<br />

Der Wiederaufbau war eben in jeder Hinsicht und hundertprozentig<br />

eine Sache der Handarbeiter.<br />

Kleefisch ist angespannt, die Ohren spitz wie Waldi. Früher<br />

hätte er in dieser Lage zum Flachmann gegriffen. Einen<br />

Augenblick ist er versucht, diesem öligen Inder, der ihn von<br />

der Treppe <strong>aus</strong> beobachtet, einen Wink zu geben Mein Gott,<br />

dieser ganze Süden Indiens muss in Öl gebadet sein, Räucherstäbchen<br />

und Ratten und Öl und diese hirnlos lächelnde<br />

Demut von Hunger und Heiligkeit, aber dann lässt er es, er<br />

ist doch ein gutes Stück weiter gekommen mit sich selbst. Außerdem<br />

hat er den Verdacht, dass jeder einzelne Inder immer<br />

schon weiter war als wir alle hier zusammen. Endlich hört er<br />

Gemurmel, die beiden da drin reden.<br />

Um 23:43 Uhr reden die immer noch. Da hält er es nicht<br />

mehr <strong>aus</strong> und öffnet vorsichtig die Tür. Dieser Fernando<br />

sitzt aufrecht im Bett, schwarze Kr<strong>aus</strong>haare, ein längliches,<br />

etwas verquollenes Gesicht, das morgen wieder ein schönes<br />

Gesicht sein mag, Andrea sitzt auf der Bettkante, dreht sich<br />

zur Tür um und scheucht ihn weg wie eine Fliege. Nichts zu<br />

machen, das hier ist ihre Partie. Und wieder sitzt er auf dem<br />

256


harten Stuhl und beobachtet den Inder, der jetzt nur noch gelegentlich<br />

auf der Treppe erscheint. Pass mal auf, dass du auf<br />

deinem ganzen Öl nicht <strong>aus</strong>rutscht, dir auf der Treppe das<br />

Genick brichst und als bloßer Kuhschiss wiedergeboren wirst<br />

sagt er ihm da, irgendwie muss er sich erleichtern.<br />

Erst um 00:22 Uhr ist es überstanden. Die erste Geburt<br />

seiner Tochter hat er auf einem Stuhl des Vinzenz Krankenh<strong>aus</strong>es<br />

in Nippes überlebt, unter einer schadhaften, klappernden<br />

Lüftungsluke. Jetzt ist sie zum zweiten Mal geboren,<br />

und er hat sie endgültig an die Selbständigkeit verloren. Oder<br />

als Erwachsene gewonnen. Das ist jetzt egal, jedenfalls hat er<br />

um sein Mädchen gefürchtet, und jetzt ist er stolz auf diese<br />

Frau. Und merkt, wie das mit so einem Stolz ist: der stärkt,<br />

das ja. Und macht einsam. Denn zu teilen ist so ein Stolz mit<br />

niemandem.<br />

Als sie zurück ins Büro gehen, durch die Unterführung unter<br />

dem Ebertplatz, vergitterte Läden, ein einzelner Trinker in<br />

diesem ewig von der Pleite bedrohten, lichtlosen und schlecht<br />

gelüfteten Bistro, der Stricher Kl<strong>aus</strong>-Dieter begegnet ihnen,<br />

der Kleefisch mit seinen Margeritenaugen grüßt und Andrea<br />

abschätzt, weil er sie für eine neue, junge Hure hält - da erfährt<br />

Kleefisch wenigstens, dass es Silvina war, seine Klientin,<br />

die bei Fernando alles losgetreten hat. Sie hat ihm Carlos’ Gesammelte<br />

Schriften, den Inhalt der ganzen Kiste <strong>aus</strong>gemalt als<br />

eine einzige Anklage gegen Fernando. Und wenn ihm schon<br />

nicht die argentinische Justiz deswegen den Hintern aufreißt,<br />

dann würden es jetzt eben die Europäer tun. Denn die haben<br />

gerade die weltweite Gerechtigkeit entdeckt. Und benutzen<br />

sie als Mörtel, um ihr neues H<strong>aus</strong> zu bauen hat Fernando auf<br />

dem Bett seine Stiefschwester zitiert, sagt Andrea hier und<br />

wiederholt sich die Sätze gleich noch einmal für sich selbst.<br />

257


Und auch diesen Satz von Silvina wiederholt sie, mit dem<br />

sie ihrem Halbbruder und letztem Miterben eingeheizt hat:<br />

Während du uns in der ESMA gefangen gehalten hast, wollten<br />

sie hier das gute Verhältnis zu Argentinien nicht gefährden.<br />

Aber jetzt lassen sie die Juristen los zum Aufwischen,<br />

und die reißen dir den Hintern auf.<br />

So sagt Kleefisch nur und dreht sich um. Kl<strong>aus</strong>-Dieter folgt<br />

ihnen, der will tatsächlich sehen, wohin Kleefisch mit dieser<br />

neuen, jungen Hure geht. Kl<strong>aus</strong>-Dieter ist nicht bloß Stricher,<br />

der spitzelt offensichtlich auch, er hat es schon länger geahnt.<br />

Und wie hast du ihn dann so schnell beruhigt?<br />

In der Kiste gibt es nichts Belastendes. Carlos hat ihn geliebt.<br />

Das habe ich ihm wieder und wieder gesagt, bis es endlich<br />

wie Honig runterging. Und dann hab ich ihn gebeten, mir<br />

sein Dings zu zeigen.<br />

Du hast –<br />

Ja, Paps, ich hab. Und ich hab ihm gesagt, dass es schön ist,<br />

aber eben leider viel zu groß. Es ist wirklich schön? hat er gefragt.<br />

Ehrlich, es ist wirklich schön, hab ich gesagt, aber eben<br />

leider viel zu groß. Und da war er ganz ruhig. Dem hatte<br />

lange keine Frau mehr gesagt, dass es schön ist.<br />

Sie gingen schweigend bis zur Melchiorschänke, der Stricher<br />

hinter ihnen hatte genug gesehen und war verschwunden.<br />

Ich habe einfach so geredet, wie mir war sagte Andrea vor<br />

der Tür, die einen Spalt breit offenstand. Die Lüftung lief<br />

schlecht.<br />

258


Es war wohl dieses bisschen Ehrlichkeit. Siehst du, Paps, wenn<br />

du uns am Anfang gesagt hättest: es gibt da eine Frau. Ich<br />

muss mit der schlafen, sonst drehe ich durch. Mama wäre vor<br />

Schreck bestimmt erst mal auf den Hintern gefallen. Aber<br />

dann hätte sie verstanden. Denn du hast alles nicht mit deiner<br />

Vögelei kaputt gemacht, du hast es mit deinen ewigen<br />

Lügen ruiniert.<br />

259


18<br />

Manchmal freut sich Kleefisch über sein Viertel. Weil es eben<br />

sein Viertel ist. Über <strong>Köln</strong> freut er sich selten. <strong>Köln</strong> ist schon<br />

groß wie die Welt, und die Welt gibt wenig Anlass zur Freude.<br />

Über das ganze Land freut er sich nie. Das ganze Land ist für<br />

ihn das Viertel, und drumherum ist <strong>Köln</strong>. Eingedenk einer<br />

Vergangenheit, über die er gerade wieder etwas gelernt hat,<br />

erleichtert ihn diese Vereinfachung ungemein.<br />

Aber jetzt, kurz vor dem Endspiel der Weltmeisterschaft<br />

2006 freut er sich doch einmal über <strong>Köln</strong> und sogar über das<br />

Land.<br />

Natürlich hatte die Mehrheit seiner Bewohner gehofft, die<br />

deutsche Fußball-Nationalmannschaft würde im Endspiel<br />

gegen Argentinien, Frankreich oder Italien zum Weltmeister<br />

der Ballkünstler gekürt und alle könnten feiern, dass nicht<br />

etwa nur diese eine Mannschaft, sondern das ganze Land<br />

und in dem ganzen Land jeder Einzelne nun Weltmeister der<br />

Ballkunst wäre.<br />

Das ging leicht in die Hose, es wurde ein ehrenvoller dritter<br />

Platz.<br />

Aber schon kurz nach dem entscheidenden Ball, den Lehmann<br />

trotz meisterhafter Parade nicht hatte abwehren können<br />

(Muskelzerrung linker Oberschenkel, vier Tage und drei<br />

Nächte stechender Kopfschmerz, <strong>aus</strong>gehend von der kahlen<br />

Stelle, und allgemein die lauernden Schatten einer tiefen Depression<br />

im englischen Regen), gab es irgendwo in diesem<br />

260


Land einen jungen Kreativen, der für gewöhnlich an seinem<br />

Schreibtisch über verkaufsfördernde Slogans für japanische<br />

Motorräder, Halbfett-Margarine und Dessous der Damenunterbekleidungsindustrie<br />

nachdachte. Er war es, der noch<br />

an diesem Abend, es war 23:12 Uhr und er hatte sich mit drei<br />

Whiskys beschleunigt, den Slogan Weltmeister der Herzen<br />

erfand.<br />

Das schlug ein und durch. Dieses Antibiotikum wirkte ganz<br />

unmittelbar fiebersenkend und keimtötend. Seine Wirkung<br />

war weit<strong>aus</strong> stärker als die eines Trostpflasters. Und der Entscheid,<br />

es massenweise und flächendeckend zu verabreichen,<br />

war von so weitreichender Bedeutung, dass selbst ein derart<br />

erfahrener Sportreporter wie Carlos, hätte er noch gelebt und<br />

hätte er sich genauer in deutscher Gegenwartsgeschichte <strong>aus</strong>gekannt,<br />

als dies von einem Exilanten zu erwarten steht, es<br />

gewiss auch in eine Reihe gestellt hätte mit dem Beschluss, die<br />

Bundeswehr nicht atomar aufzurüsten, die Berliner Mauer<br />

zu schleifen und energiepolitisch verstärkt auf Erneuerbares<br />

zu setzen.<br />

Auch Kleefisch freute sich über das ganze Land, als er sah, wie<br />

dieser eine Slogan es schaffte, <strong>aus</strong> den vom Fieber geröteten<br />

und fleckigen Gesichtern die gelassenen und über<strong>aus</strong> freundlichen<br />

von Gastgebern und guten Verlierern zu machen, die<br />

glaubhaft versicherten, sich über alles gefreut zu haben: über<br />

so viele Fremde im Land, und über alle diese schönen Spiele.<br />

Ein einziger Slogan hatte über Nacht alles verändert. Selbst<br />

die unzähligen, wiewohl inzwischen von Sonne und Wind<br />

und Regen ziemlich mitgenommenen Fähnchen im Land<br />

schienen jetzt etwas anderes zu sagen, ja von Freude zu künden<br />

über soviel Schönes und von Wehmut auch, dass es zu<br />

Ende war.<br />

261


Kleefisch musste jetzt nur noch seine verschollene Klientin<br />

aufspüren und ihr die 2000 Flocken zurückgeben, für die er<br />

nicht wirklich gearbeitet hatte. Und natürlich wollte er noch<br />

immer dahinterkommen, wer ihm seinen besten Feind, den<br />

Kriminaldirektor Mario Lieberman mit einem diagonalen<br />

Schnitt durch die großen Halsgefäße genommen hatte.<br />

In zwei Tagen war das Endspiel Italien : Frankreich, ab da<br />

könnte auch in <strong>Köln</strong> wieder von Schmutz geredet werden<br />

und kämen ihm die offiziellen Ermittler in die Quere.<br />

In dem griechischen Kneipen-Restaurant Saloniki in der<br />

Neusser Straße, kurz nach der Einmündung Kempener<br />

Straße war mit Plakaten und Handzetteln im Viertel für die<br />

Stunden nach dem Endspiel eine Tango-Nacht angekündigt<br />

mit einer Silvina Muller-Rosenthal. Spätestens da würde er<br />

also erleben, wie diese Silvina am Ende ihres letzten Liedes<br />

ihre Perücke in den Saal schleudert, wütend und verletzt, verdorben<br />

und doch sehr zärtlich, wie von Carlos beschrieben.<br />

Und wenn sie sich unter dem aufbr<strong>aus</strong>enden Beifall verneigt,<br />

wird das Licht auf ihrem kahlen Schädel gleißen wie auf einer<br />

Billardkugel.<br />

Als auch die <strong>Köln</strong>er noch mit der Polizeistunde 01:00 nachts<br />

entmündigt und wie unartige Kinder ins Bett geschickt wurden,<br />

war Kleefisch hier oft Gast gewesen. Die wechselnden<br />

Pächter ließen die Rollläden zur Straße runter und den Nebeneingang<br />

offen. Hier lümmelte selbst die nächtliche Streife<br />

der Grünen am Tresen, trank und biss niemanden, weder<br />

das eine und andere heimentlaufene Mädchen im Tresenraum<br />

noch die Spieler, die im angrenzenden Saal um hohe<br />

Beträge zockten. Samstags versammelten sich die Familien<br />

im Saal. Die Männer tanzten, die Frauen sahen den Männern<br />

zu, streng, schön, bitter und geschlossen wie Mandelkerne,<br />

262


aber jede von ihnen mit einem eigenen, schwelenden Feuer in<br />

sich. Wenn die Musik plötzlich abbrach, bedeutete dies, dass<br />

zwei Gestalten in betont unauffälligem Grau in der Tür erschienen<br />

waren. Sie gingen langsam von Tisch zu Tisch und<br />

versuchten als wandelnde Fahndungsalben jedem ins Gesicht<br />

zu sehen: in Griechenland herrschten gerade die Obristen<br />

und füllten jene Inseln, die über kein Süßwasser verfügten,<br />

mit Gefangenen.<br />

In diesem Saloniki hatte Kleefisch 1968 geheiratet und drei<br />

Tage lang gefeiert, bis auch der letzte Gast nicht mehr stehen<br />

konnte. Am vierten Tag freilich musste er die Braut suchen<br />

wie den Fisch, der doch noch <strong>aus</strong> dem Eimer gesprungen ist.<br />

Kurz darauf feierte hier der Fürst eines Zigeunerclans seine<br />

Hochzeit. Es war die Zeit, da noch nicht in Sinti und Roma<br />

unterschieden wurde. Es waren Zigeuner, und die waren jetzt<br />

unbequemer als je zuvor: fürchtete ein Teil der <strong>Köln</strong>er doch,<br />

sie könnten mitten auf der Neusser Straße von ihrer planmäßigen<br />

und massenhaften Vernichtung reden, und das vor allen<br />

Kindern; und staunten alle anderen nicht schlecht, dass so<br />

viele von ihnen die planmäßige und massenhafte Vernichtung<br />

überlebt hatten und jetzt tagelang Hochzeit feiern konnten.<br />

Drei Tage lang parkten schwere Wagen <strong>aus</strong> halb Europa die<br />

Neusser und die angrenzenden kleinen Straßen zu, und mit<br />

der reich bemalten und beschnitzten Kutsche des Großvaters,<br />

die mit sechs Apfelschimmeln bespannt war, rollte das Brautpaar<br />

in die Agneskirche.<br />

Kaum war der Spuk vorbei, hielten manche im Viertel den<br />

Johannes B. Kleefisch, der kurz zuvor drei Tage lang gefeiert<br />

hatte, mit seinen damals noch schwarzen, borstigen Haaren<br />

für den frisch verheirateten Zigeuner und fragten, an wen er<br />

263


seinen schweren Studebaker verkauft habe. Und wo plötzlich<br />

alle seine Untertanen und Mitganoven, die Pferdediebe und<br />

Kesselflicker, die Diebe und Kindsräuber, und natürlich auch<br />

alle diese Frauen, die <strong>aus</strong> der Hand lesen und dabei gleichzeitig<br />

den Ehemännern den Samen abzapfen, nun geblieben<br />

seien. Und Kleefisch musste sich wiederholt erklären. Es war<br />

eben die Zeit, da das Gedächtnis des Viertels noch nicht wieder<br />

auf Ausländer trainiert war und auf die schöne Vielfalt<br />

Europas schon gar nicht.<br />

Komm rein, ich warte seit Stunden auf dich. Du musst nicht<br />

schleichen rief Silvina in diesem H<strong>aus</strong> am Neusser Wall. Offensichtlich<br />

war die H<strong>aus</strong>tür per Video gesichert, und sie hatte<br />

auf dem Monitor beobachtet, wie er zunächst den Dorn<br />

ins Schloss einführte, bevor er merkte, dass die Tür gar nicht<br />

verriegelt war. Dieser Auftritt war also schon mal verpatzt.<br />

Und den Strauß Trockenblumen, den er eben noch <strong>aus</strong> einem<br />

Automaten in der Neusser gezogen hatte, stopfte sie achtlos in<br />

eine kleine, aber schwere Glasvase. Das Talent des Johannes<br />

B. Kleefisch für solche galanten Gesten, die anderen so locker<br />

gelingen wie sie Wasser lassen, war immer erbärmlich<br />

gewesen.<br />

Du hättest mich schon beim ersten Mal haben können. Worauf<br />

wartest du noch? sagte sie und legte eine zweite CD ins<br />

Gerät, damit auch Kleefisch endlich den Unterschied zwischen<br />

Tango und Milonga begriff und nicht schon wieder alles<br />

in den Topf des gesungenen Bolero warf, den er noch dazu<br />

nach Andalusien verfrachtete, zu den Züchtern von Kampfstieren,<br />

dem Sherry von Jerez und der schwarzen Wut der<br />

Spanier auf die illegalen Marokkaner, die ihnen die Gewächshäuser<br />

bestellen. Wirklich, musikalisch und selbst geografisch<br />

war dieser Mann völliges Ödland.<br />

264


Sie saßen auf dem Teppich, der mit Kassetten und CDs bedeckt<br />

war, einzelne Notenblätter dazwischen, hörten jetzt<br />

eine lange, von Silvina gesungene Milonga nach Texten<br />

von Carlos, und wieder fuhr Osvaldo Lieberman mit seinem<br />

Chevrolet Station Wagon über Land, und er bewegte<br />

sich so über die weiten Flächen, wie es nur einer tut, dem<br />

hier alles gehört. Und wieder kreischten die Mütter, als sie<br />

die Staubwolke am Horizont sahen, schürzten die Röcke<br />

und stürzten in ihre niedrigen Häuser und schlossen die<br />

Töchter in den winzigen Speicherraum hinter der Küche<br />

ein oder stellten sie vor die Tür wie Milchkannen, die gefüllt<br />

werden sollten. Und wieder, so sang Silvina mit satter,<br />

rauchiger Stimme, die nie gleichbleibend war, sondern sich<br />

von Strophe zu Strophe, ja selbst von Wort zu Wort änderte,<br />

als sei alles voller Abgründe und jeder einzelne müsse von<br />

der Sängerin überwunden werden, notwendigerweise und<br />

ganz unbedingt, denn auf der Sohle jedes Abgrundes lauerte<br />

nichts anderes als der eigene Tod: und wieder glitt Osvaldo<br />

Lieberman an der ersten Witwe vorbei, und Silvina auf<br />

der CD sang, wie Osvaldo grüßte und ein klein wenig den<br />

Strohhut lüpfte, Hilflosigkeit und die Bitte um Erbarmen in<br />

den Augen, und Silvina, die jetzt auf dem Teppich lag und<br />

sich mit offenen, an die Decke gerichteten Augen zuhörte,<br />

verlagerte ihre langen, weißen Beine in dem kurzen Rock,<br />

Beine wie <strong>aus</strong> Porzellan, sie öffnete, fast wie im Schlaf, leicht<br />

die Schenkel, Schenkel wie <strong>aus</strong> Porzellan, sie trug keinen Slip,<br />

Silvina wuchsen keine Haare, sie war nackt und eben und<br />

wie <strong>aus</strong> Porzellan, Kleefisch sah ihr Geschlecht, die bereits<br />

geschwollenen Schamlippen, an denen Feuchtigkeit glitzerte,<br />

und es fuhr ihm ins Blut wie eine Droge.<br />

Er ging mit seiner Erektion ins Bad, um sich das Glied zu waschen.<br />

Erst heute früh hatte er ihm eine Hautcrème appliziert<br />

265


wegen zweier roter Flecke, die auf der Eichel nichts zu suchen<br />

hatten.<br />

Er zog sich <strong>aus</strong> und musterte dabei Tuben und Tübchen, Tiegel<br />

und Töpfchen Lait Corporel Body SPA Vichy Nutrilogie<br />

1 Anthelios XL Fluid Extreme Acidostad gegen Lippenherpes,<br />

das war teils eine berufliche Deformation, teils aber auch<br />

ein altes Laster, bei dem er sich erregte und seine Schwellkörper<br />

mit Blut versorgte. Er zog vorsichtig eine Schublade auf,<br />

Waschlappen und Kosmetikbäusche, ein kleiner Vibrator, in<br />

einer zweiten Badeschlappen und Nagelset und erregte sich<br />

weiter: die kleinen Dinge setzten ihm den Körper der Frau<br />

zusammen, die er gleich mit seinen Händen, der Zunge, dem<br />

Glied endlich erkunden würde, den weißen Körper dieser<br />

Frau, die nackter war als nackt, nämlich ohne Haare und wie<br />

<strong>aus</strong> Porzellan. Er zog eine dritte Schublade auf in der Erwartung,<br />

ein paar weitere dieser kleinen Dinge würden ihn noch<br />

mehr erregen, diese Frau wie <strong>aus</strong> Porzellan tief in seinen Kopf<br />

drücken dorthin, wo die Lust sitzt, denn schließlich sitzt die<br />

Lust im Kopf und nur das Blut und die Flüssigkeiten und die<br />

Mechanik im Glied, ja er schmeckte jetzt schon die Lust, sie<br />

schmeckte leicht nach Eisen und Gewürzkräutern, aber da<br />

fiel schlagartig die ganze Pracht zwischen seinen Beinen in<br />

sich zusammen: oben auf einem kleinen Stapel von Handtüchern,<br />

weiß und rosafarben, lag ein Dienst<strong>aus</strong>weis. Der Ausweis<br />

des Herrn Kriminaldirektors Mario Lieberman.<br />

Dieser Mario Lieberman war bekannt dafür, dass ihn sein<br />

Dienst<strong>aus</strong>weis und selbst seine Waffe auch bei den einsamsten<br />

und intimsten Verrichtungen begleiteten. Es gab unzählige<br />

Witze darüber. Jeder war sich sicher, dass Lieberman, eingehüllt<br />

in Sphärenklänge und kleine, wattige, rosenfarbige Wolken,<br />

die an ihm zupften wie Zierfische, sogar vor der Pforte<br />

266


des Himmels zunächst drohend den Ausweis gezogen hätte<br />

und dann erst, als es doch bloß der listig getarnte Eingang zur<br />

Hölle war, seinen Ballermann. Und den suchte Kleefisch jetzt<br />

im Bad. Er durchsuchte alles. Und fand nichts. Und zog sich<br />

wieder an. Und zögerte dann einen Augenblick, die Tür zu<br />

öffnen, weil er fürchtete, genau diese Waffe sei jetzt auf ihn<br />

gerichtet.<br />

Silvina hatte den Teppich mit Kissen <strong>aus</strong>gelegt und wandte<br />

ihm Rücken und Hintern zu. Sie war nackt und lag auf der<br />

rechten Seite, dort, wo der künstliche Oberschenkelhals nicht<br />

drücken konnte. Sie reckte ihm einen immer noch makellosen,<br />

sehr schönen Hintern entgegen, fest und umfangreich,<br />

er sah die Rosette, den Beginn der Schamlippen, sie wollte als<br />

erstes von hinten genommen werden, die Position, die er bevorzugte.<br />

Eine neue Milonga lief, inzwischen konnte auch er<br />

zwischen Milonga und Tango unterscheiden. Kleefisch ging<br />

zum Gerät und stellte es <strong>aus</strong>.<br />

Silvina, begehrenswert und verloren, drehte ihren Körper<br />

von der rechten auf die linke Seite, um ihn beobachten zu<br />

können. Dabei verzog sie das Gesicht und stöhnte leicht. Der<br />

gebrochene und jetzt künstliche Oberschenkelhals. Sie hatte<br />

feste Brüste mit großen Höfen, der flache Bauch mit seinem<br />

versenkten Nabel, die Klitoris, das unbehaarte, feuchte<br />

Geschlecht.<br />

Mit was hast du in der Sauna in Bergisch-Gladbach gearbeitet?<br />

Mit Rasiermesser oder mit Skalpell?<br />

Silvina gab keine Antwort, setzte sich aber langsam auf.<br />

Und warum das ganze <strong>Th</strong>eater mit mir?<br />

267


Um Zeit zu gewinnen. Ich wusste, wie du auf diesen Lieberman<br />

fixiert bist. Du warst der einzige, der mir vor dem<br />

Auftritt übermorgen hätte gefährlich werden können.<br />

Jetzt bin ich es.<br />

Nein. Du bist scharf auf mich. Du willst mich. Du wirst mir<br />

einen Vorsprung geben.<br />

Ich weiß noch nicht, was ich tue sagte Kleefisch, schon an der<br />

Tür. Ich habe noch nie eine so schöne Frau in den Wind geschossen.<br />

Aber ich habe auch noch nie eine Mörderin gefickt.<br />

Er sah eine Bewegung, einen Schatten, dann streifte ihn die<br />

kleine, aber schwere Glasvase mit den Trockenblumen an der<br />

Wange. Sie schlug gegen die Wand hinter ihm und zersprang.<br />

Er war wirklich ein Trottel. Er hätte wissen müssen, dass<br />

man nicht ungestraft mit Trockenblumen zu einer Tango-<br />

Sängerin geht.<br />

Unten zog er leise die H<strong>aus</strong>tür hinter sich zu. Er hatte noch<br />

keine Ahnung, wie er sich verhalten sollte. Auch hatte er<br />

noch nie einen seiner Klienten verraten. Da fiel im H<strong>aus</strong> der<br />

Schuss.<br />

Kleefisch zuckte im Gehen zusammen, als sei er in den Rücken<br />

getroffen worden. Er hätte die ganze Wohnung nach<br />

Liebermans Dienstwaffe absuchen müssen, und er hatte es<br />

versäumt.<br />

268


19<br />

Der Rosenstock am Fußende des Grabes von Amalie Kleefisch<br />

auf dem Westfriedhof sah dieses Jahr besonders erbärmlich<br />

<strong>aus</strong>.<br />

Manchmal redete Kleefisch mit seiner Amalie, die vor ihm in<br />

ihrer engen Urne lag. Er redete halblaut und tat dabei so, als<br />

bete er. Er war sich selbst nicht sicher, ob es nicht doch eine<br />

Art von Gebet war.<br />

Mama sagte er jetzt, es war mal wieder ziemlich was los. Sei<br />

froh, dass du hier so friedlich liegen kannst. Und du sollst<br />

wissen, dass du die einzige Frau bist, die ich nie verraten<br />

habe. Na ja, fast nie.<br />

Er versuchte mit den Fingern, die Erde um den Rosenstock<br />

etwas zu lockern. Dann roch er es. Hundepisse. Abends führten<br />

die Hundehalter ihre Ersatzdomestiken und Nebensklaven,<br />

ihre Reservelieben und Notgesellschafter, die Objekte<br />

ihrer Liebesgier und die Opfer ihrer Domestizierungswut,<br />

die vierbeinigen Zeugen ihrer Einsamkeit und ihrer Angst<br />

vor dem Tod hierher (so, Poldi, jetzt geh schön spielen), wo<br />

sie, gequält vom langen Tag in der engen Wohnung, endlich<br />

<strong>aus</strong>liefen wie schadhafte Eimer.<br />

Kleefisch richtete sich wieder auf.<br />

Mama, inzwischen nehm ich dir auch nicht mehr übel, dass<br />

du mir nie etwas über meinen Vater gesagt hast. Ja, ich bin<br />

froh darüber. Stell dir mal vor, das wäre auch so einer mit<br />

269


einem Schnellfeuergewehr zwischen den Beinen gewesen.<br />

Und ich müsste in einem Sumpf von Halbgeschwistern leben,<br />

die sich ständig kannibalisieren.<br />

Er zupfte ein paar welke Blätter von dem Rosenstock, entdeckte<br />

dann die Blattläuse. Auch das noch. Läusebefall.<br />

Kauf einen neuen Stock, ich setz den rein sagte eine dunkle<br />

Stimme hinter ihm mit einem R, das nach Wodka im Wasserglas<br />

klang, zum Frühstück, versteht sich, nach der schönen<br />

und tödlichen Ruhe, mit der einer in den Abgrund blickt, so<br />

etwas. Es war der Gärtner, ein Spät<strong>aus</strong>siedler <strong>aus</strong> Aserbeidschan.<br />

Er hatte eine Boxernase und kluge, dunkle Augen, die<br />

schon mehr als eine Geschichte durchschaut hatten.<br />

Es sind die vielen Hunde hier. Das macht der lange Frieden.<br />

Die Leute denken nicht mehr an ihre Toten, die haben bloß<br />

noch Hund im Kopf. Wir in den Bergen hatten nie Frieden.<br />

Wir konnten uns auch keine Särge für die ganzen Toten leisten.<br />

Aber wir haben ihre flachen Gräber bewacht Tag und<br />

Nacht, verstehst du? – Trinken wir jetzt einen?<br />

Ich nicht mehr sagte Kleefisch, obwohl dein Speck und das<br />

Schwarzbrot zum Wodka, das Gürkchen dazu, schon ganz<br />

o.k. sind.<br />

270


Zu guter Letzt<br />

Mit einigen Daten bin ich freier umgegangen als dies Zeitgeschichtler<br />

tun. So wie dargestellt, sind alle Personen fiktiv.<br />

Das bedeutet aber nicht, dass alles fiktive Personen sind.<br />

Susimil hieß in Wirklichkeit Loretta. Sie entging unversehrt<br />

dem Anschlag in Buenos Aires und flüchtete nach Paris. Hier<br />

wurde sie wenig später im Abgang zur Métro Bonne Nouvelle<br />

von Unbekannt mit einer Beretta 93R Kal. 9 Parabellum<br />

erschossen.<br />

Für Anregungen, auch kleine Leihgaben danke ich: allen voran<br />

Rodolfo Walsh. Und außerdem u.a.: Mauricio Rosencof,<br />

Horacio Verbitsky, Uki Goñi, Willi Achten, Horacio Vázquez-Rial,<br />

Amir Valle, Jorge Lanata, Peter-Paul Zahl, Daniel<br />

Chavarría, Alicia Dujovne Ortiz, Pablo Llonto, Ernesto Mallo<br />

…<br />

P.F.<br />

Buenos Aires und <strong>Köln</strong>, Januar 2010<br />

271


Rodolfo Walsh:<br />

Offener Brief eines Schriftstellers an die Militärjunta<br />

1.<br />

Die Pressezensur, die Verfolgung Intellektueller, die Durchsuchung<br />

meines H<strong>aus</strong>es in Tigre, die Ermordung guter Freunde<br />

und der Verlust einer Tochter, die im Kampf gegen das Militär<br />

starb – das sind einige der Umstände, die mich zu dieser<br />

klandestinen Form zwingen, nachdem ich als Schriftsteller<br />

und Journalist fast dreißig Jahre lang frei meine Meinung geäußert<br />

habe.<br />

Zu ihrem ersten Jahrestag hat die Junta in Dokumenten und<br />

offiziellen Reden eine Bilanz ihrer Regierungsarbeit gezogen,<br />

in der Irrtümer als Erfolge <strong>aus</strong>gegeben werden. Was Sie als<br />

Fehler anerkennen, sind dagegen Verbrechen. Und was Sie<br />

unterschlagen, sind Katastrophen.<br />

Am 24. März 1976 haben Sie eine Regierung gestürzt, der Sie<br />

selbst angehörten, zu deren schlechtem Ruf Sie als Vollstrecker<br />

ihrer repressiven Politik beitrugen und deren Ablösung<br />

durch Neuwahlen neun Monate später sich bereits abzeichnete.<br />

Deswegen haben Sie nicht nur die Übergangsregierung<br />

der Isabel Martínez de Perón (Nachfolgerin des im Amt verstorbenen<br />

Juan Perón, d. <strong>Übers</strong>.) beseitigt, sondern auch einen<br />

demokratischen Prozess verhindert, mit dem das Volk Missstände<br />

hätte beheben können, die Sie in der Folge fortsetzten<br />

und verschärften.<br />

Ursprünglich zwar illegitim, hätte sich ihr Regime nachträglich<br />

noch durch jenes Programm legitimieren können, dem bei<br />

den Wahlen von 1973 ganze 80% der Argentinier zustimmten.<br />

Bis heute ist dieses Programm der objektive Ausdruck des<br />

272


Volkswillens – und was sonst als dieser Volkswille soll jenes<br />

«Nationale Sein» <strong>aus</strong>machen, das Sie so oft beschwören.<br />

Sie dagegen haben kehrt gemacht und Ideen und Interessen<br />

einer überwundenen Minderheit vertreten, die eine Entwicklung<br />

der produktiven Kräfte behindert, das Volk <strong>aus</strong>beutet<br />

und die Nation spaltet. Solch eine Politik kann nur vorübergehend<br />

sein und muss gewaltsam durchgesetzt werden. Daher<br />

das Verbot der Parteien, der Zugriff auf die Gewerkschaften,<br />

die Knebelung der Presse und der intensivste Terror, den die<br />

argentinische Gesellschaft je erfahren hat.<br />

2.<br />

15.000 Verschwundene, 10.000 Gefangene, 4000 Tote, zehnt<strong>aus</strong>ende<br />

<strong>aus</strong> dem Land Vertriebener – das sind die nackten<br />

Zahlen dieses Terrors. Als die Gefängnisse überfüllt waren,<br />

haben Sie die Militärbasen in Konzentrationslager umgewandelt,<br />

zu denen kein Richter, Rechtsanwalt, Journalist oder<br />

internationaler Beobachter Zugang erhält. Alle Vorgänge fallen<br />

unter das Militärgeheimnis, das <strong>aus</strong> untersuchungstechnischen<br />

Gründen für notwendig erklärt wird. Aber so gibt<br />

es in der Mehrzahl der Fälle nicht Verhaftungen, sondern<br />

Entführungen, kann auf jede nur mögliche Art gefoltert und<br />

außergerichtlich exekutiert werden. (1)<br />

Im letzten Jahr sind über 7000 Anträge auf Haftprüfungsverfahren<br />

abgelehnt worden. In anderen t<strong>aus</strong>enden von Fällen<br />

Verschwundener wurden Anträge gar nicht erst gestellt, weil<br />

es den Betroffenen von vorneherein sinnlos erschien oder<br />

weil sie keinen Anwalt fanden, der den Mut dazu aufbrachte,<br />

nachdem fünfzig oder sechzig Kollegen, die genau das gewagt<br />

hatten, ihrerseits verschwunden waren.<br />

273


Auf diese Weise gibt es für die Folter auch keinerlei zeitliche<br />

Begrenzung mehr. Da der Verhaftete gar nicht existiert, kann<br />

er auch nicht innerhalb von zehn Tagen einem Richter vorgeführt<br />

werden, wie das Gesetz es vorschreibt – ein Gesetz, das<br />

selbst während der dunkelsten Tage früherer Diktaturen galt.<br />

Die Möglichkeit zu zeitlich unbegrenzter Folter wurde noch<br />

dadurch ergänzt, dass es keine Grenze bei den Methoden<br />

gibt. Wie in alten Zeiten werden die Opfer an Gliedern und<br />

Innereien gefoltert, jetzt freilich mit chirurgischen und pharmakologischen<br />

Hilfsmitteln, über die frühere Henker noch<br />

nicht verfügten. In den Zeugnissen der Opfer tauchen die<br />

Daumenschrauben, das Rad, das Abziehen der Haut, die Eisenkette<br />

der mittelalterlichen Inqusition auf, und als Anpassung<br />

an die Technik der Gegenwart die Picana Eléctrica und<br />

das Wasserbad. (2)<br />

Sie behaupten ständig, das Ziel, die Guerilla <strong>aus</strong>zulöschen,<br />

rechtfertige alle von Ihnen praktizierten Methoden. So sind<br />

Sie bei der absoluten, der zeit- und grenzenlosen Folter angelangt,<br />

und das ursprüngliche Ziel, Informationen zu erhalten,<br />

hat sich bei den Folterern längst in den Drang verwandelt, die<br />

Opfer vollständig zu brechen und ihnen die Menschenwürde<br />

zu nehmen, die der Folterer selbst schon verloren hat, und<br />

die auch Sie nicht mehr besitzen.<br />

3.<br />

Mit der Weigerung der Junta, die Namen der Gefangenen<br />

bekannt zu geben, wird die systematische Exekution von<br />

Geiseln im Morgengrauen und an entlegenen Orten gedeckt,<br />

unter dem Vorwand vorgetäuschter Kämpfe und angeblicher<br />

Fluchtversuche.<br />

274


Extremisten, die das flache Land mit Flugblättern überziehen,<br />

Gehsteige bepinseln oder sich zu zehnt in Fahrzeuge quetschen,<br />

die sie dann in Brand setzen: das sind die Stereotypen<br />

eines Drehbuches, das für die Reaktion der internationalen<br />

Öffentlichkeit auf die regelmäßigen Exekutionen geschrieben<br />

wurde. Intern aber wird durch<strong>aus</strong> der Charakter von Strafmaßnahmen<br />

betont, exakt dort, wo die Guerilla aktiv gewesen<br />

ist.<br />

70 Erschossene nach der Bombe im Gebäude der Bundessicherheit,<br />

55 als Antwort auf die Sprengung des Polizeihauptquartiers<br />

von La Plata, 30 für den Anschlag aufs Verteidigungsministerium,<br />

40 beim Neujahrsmassaker, das auf den<br />

Tod des Oberst Castellanos folgte, 19 nach der Explosion, die<br />

das Kommissariat von Ciudadela zerstörte - alles zusammen<br />

sind das inzwischen 1.200 Exekutionen in 300 angeblichen<br />

Kämpfen, bei denen es auf Seiten des Gegners keine Verwundeten<br />

und bei den Streitkräften unter Ihrem Kommando keine<br />

Toten gab.<br />

Geiseln werden mit einer Kollektivschuld überzogen, die es<br />

in der zivilisierten Rechtsprechung längst nicht mehr gibt,<br />

und sie können sich nicht dagegen wehren, dass einzig die<br />

Politik die Anschuldigungen vorgibt, die ihnen gemacht werden.<br />

Viele dieser Geiseln sind Gewerkschafter, Intellektuelle,<br />

Angehörige von Guerilleros, nicht bewaffnete Oppositionelle<br />

oder einfach Verdächtige, die getötet werden, damit die Bilanz<br />

<strong>aus</strong>geglichen ist gemäß jener Doktrin des Leichenzählens,<br />

die von der SS in den von der Deutschen Wehrmacht<br />

besetzten Ländern und von den Invasoren in Vietnam angewandt<br />

wurde.<br />

Die Tötung von Guerilleros, die bei tatsächlichen Gefechten<br />

275


verwundet oder gefangen genommen wurden, geht <strong>aus</strong> den<br />

Militärkommuniqués selbst hervor, die in einem Jahr auf Seiten<br />

der Guerilla 600 Tote zählen und nur 10 oder 15 Verletzte,<br />

ein Verhältnis, wie es selbst von den blutigsten Auseinandersetzungen<br />

her unbekannt ist. Bestätigt wird dieser Eindruck<br />

noch durch eine klandestine Nachrichtenquelle, die aufschlüsselt,<br />

dass vom 18. Dezember 1976 bis 3. Februar 1977 bei<br />

40 tatsächlichen Gefechten die Ordnungskräfte 23 Tote und<br />

40 Verwundete hatten, die Guerilla dagegen 63 Tote. (3)<br />

Mehr als hundert gerichtlich Verurteilte wurden bei Fluchtversuchen<br />

erschossen, eine offizielle Angabe, die gar nicht dazu<br />

bestimmt ist, von jemandem geglaubt zu werden. Vielmehr<br />

soll sie der Guerilla und den politischen Parteien als Warnung<br />

dienen, dass auch als solche anerkannte politische Häftlinge<br />

eine strategische Reserve für Vergeltungsmaßnahmen<br />

sind, über die von der Armeeführung je nach Gefechtslage,<br />

Zweckmäßigkeit oder Laune entschieden wird.<br />

So hat sich schon vor dem 24. März der General Benjamín<br />

Menéndez, Chef des III. Heereskorps, seine Lorbeeren verdient,<br />

zunächst durch die Ermordung von Marcos Osatinsky,<br />

Häftling in Córdoba, dann mit dem Tod von Vaca Narvaja<br />

und weiterer 50 Gefangener, die bei verschiedenen angeblichen<br />

Fluchtversuchen erbarmungslos erschossen wurden,<br />

und mitgeteilt wurde uns das ohne irgendeine Form des Bedauerns.<br />

(4)<br />

Die Ermordung Dado Cabos, verhaftet im April 1975, zusammen<br />

mit sieben anderen Gefangenen am 6. Januar 1977<br />

erschossen im Zuständigkeitsbereich des I. Heereskorps unter<br />

Führung des Generals Suárez Masson zeigt, dass es sich<br />

dabei nicht um Entgleisungen einiger außer Kontrolle gera-<br />

276


tener Befehlshaber handelt, sondern dass es um Politik geht,<br />

genau die Politik, die Sie im Oberkommando der Armee<br />

planen, im Kabinett diskutieren, als Oberkommandierende<br />

der drei Waffengattungen anordnen und als Mitglieder der<br />

Regierungsjunta gutheißen.<br />

4.<br />

1500 bis 3000 Personen wurden heimlich massakriert, nachdem<br />

Sie Meldungen über Leichenfunde verboten hatten, weil<br />

deren genozidartige Häufung in anderen Ländern zu Beunruhigung<br />

führte und bei Ihren eigenen Kräften zu Entsetzen.<br />

(5)<br />

Zwischen März und Oktober trieben 25 verstümmelte Leichen<br />

vor der Küste Uruguays, und das wird nur ein kleiner<br />

Teil jener sein, die in der Mechanikerschule der Marine in<br />

Buenos Aires (ESMA) zum Tode gefoltert und von Schiffen<br />

der Kriegsmarine im Rio de la Plata versenkt wurden. Dazu<br />

rechnet auch der 15jährige Floreal Avellaneda, der an Händen<br />

und Füßen gefesselt war und laut Autopsiebericht Verletzungen<br />

in der Analgegend und offene Brüche aufwies.<br />

Im August 1976 entdeckte ein Sporttaucher im San Roque-<br />

See in Córdoba einen regelrechten Unterwasser-Friedhof. Er<br />

erstattete Anzeige auf dem Polizeikommissariat, die nicht<br />

angenommen wurde und schrieb Zeitungen an, die nichts<br />

veröffentlichten. (6)<br />

34 Leichen in Buenos Aires zwischen dem 3. und 9. April 1976,<br />

8 in San Telmo am 4. Juli, 10 in Río Luján am 9. Oktober<br />

weisen schon auf die Massaker hin, bei denen es am 20. August,<br />

15 Kilometer vom Campo de Mayo entfernt, 30 Tote gab<br />

und 17 in Lomas de Zamora.<br />

277


Damit erledigt sich auch die Fiktion von rechtsgerichteten<br />

Banden, mutmaßlicher Erben der Todesschwadron 3A des<br />

López Rega (AAA – Alianza Anticomunista Argentina, d.<br />

<strong>Übers</strong>.), die in der Lage gewesen wären, mit Militärlastwagen<br />

in die größte Garnison des Landes einzudringen, den Rio de<br />

la Plata mit Toten zu säumen und <strong>aus</strong> Frachtmaschinen des<br />

I. Luftwaffen-Geschwaders Gefangene ins Meer zu werfen, (7)<br />

und das ohne Kenntnis des Generals Videla, des Admirals<br />

Massera oder des Brigadiers Agosti. Die Todesschwadron 3A,<br />

das sind heute die drei Armeegattungen, und die Junta, der<br />

Sie vorstehen, versucht keineswegs, zwischen zwei verschiedenen<br />

Formen des Terrors zu vermitteln, nein, sie ist der Terror<br />

selbst, der längst richtungslos ist und nur noch das Töten<br />

kennt. (8)<br />

Ein und dieselbe historische Folgerichtigkeit verbindet die Ermordung<br />

des Generals Prats unter der früheren Regierung<br />

mit der Entführung und dem Tod des Generals Juan José<br />

Torres, mit Zelmar Michelini, Héctor Gutiérrez Ruíz und<br />

Dutzenden von Asylsuchenden, mit deren Tötung die Möglichkeit<br />

zu demokratischen Entwicklungen in Chile, Bolivien<br />

und Uruguay unterbunden werden sollte. (9)<br />

Mit Sicherheit beteiligt an diesen Verbrechen ist die Abteilung<br />

für Auswärtige Angelegenheiten der Bundespolizei, namentlich<br />

die Kommissare Juan Gattei und Antonio Gettor,<br />

die über AID (US-amerikanische Entwicklungshilfe-Agentur,<br />

d. <strong>Übers</strong>.) von der CIA <strong>aus</strong>gebildet und von Mr. Gardener<br />

Hathaway angeleitet wurden, dem Stationschef der CIA in<br />

Argentinien. All das wird noch zu weiteren Enthüllungen<br />

führen, wie sie auch heute schon die internationale Gemeinschaft<br />

erschüttern. Und sie werden kein Ende nehmen, wenn<br />

erst einmal die Rolle dieser Agentur und die hoher Angehö-<br />

278


iger der Armee unter General Menéndez bei der Gründung<br />

der «Loge der Befreier Amerikas» untersucht wird, die der<br />

Todesschwadron 3A folgte, bis sie schließlich im Namen der<br />

drei Waffengattungen durch Ihre Junta abgelöst wurde.<br />

Dieser politische Rahmen für die Vernichtung bedeutet keineswegs,<br />

dass nicht auch persönliche Rechnungen beglichen<br />

werden, so die Ermordung des Hauptmanns Horacio Gándara,<br />

der sich seit einer Dekade mit den trüben Geschäften<br />

hoher Angehöriger der Kriegsmarine befasste. Oder der<br />

Mord am Journalisten Horacio Novillo von «Prensa Libre»,<br />

der niedergestochen und verbrannt wurde, nachdem seine<br />

Zeitung die innigen Verbindungen des Ministers Martínez de<br />

Hoz zu internationalen Konzernen veröffentlicht hatte.<br />

Unter diesen Vorzeichen erhält die Definition des erklärten<br />

Krieges durch einen seiner Führer ihre volle Bedeutung:<br />

«Der Kampf, den wir führen, kennt weder moralische noch<br />

natürliche Grenzen; er wird jenseits von Gut und Böse geführt.»<br />

(10)<br />

5.<br />

Diese Übergriffe und Massaker, die das Gewissen der zivilisierten<br />

Welt erschüttern, sind freilich noch nicht die größten<br />

Leiden, die Sie dem argentinischen Volk zumuten und auch<br />

nicht die gröbsten Verletzungen der Menschenrechte, derer<br />

Sie sich schuldig machen. Aus der Wirtschaftspolitik dieser<br />

Regierung lässt sich nicht nur die Erklärung für die Verbrechen<br />

ableiten, die Sie begehen, sondern auch jene noch gewaltigere<br />

Gr<strong>aus</strong>amkeit, die Millionen von Menschen planvoll ins<br />

Elend stürzt.<br />

In einem Jahr haben Sie das Realeinkommen der Arbeiter um<br />

279


40% gekürzt, ihren Anteil am Nationaleinkommen auf 30%<br />

gesenkt, die tägliche Arbeitszeit, die jemand braucht, um sich<br />

und seine Familie zu ernähren, von 6 auf 18 Stunden erhöht (11) ,<br />

indem Sie auf Formen der Zwangsarbeit zurückgriffen, die es<br />

nicht einmal mehr auf den letzten Inseln des Kolonialzeitalters<br />

gibt.<br />

Die Löhne werden mit Schlagstöcken niedrig gehalten,<br />

während die Preise bis zu den Spitzen der Bajonette steigen.<br />

Gleichzeitig wird jeder kollektive Protest unterbunden, werden<br />

Ansammlungen und Betriebskomitees verboten, Arbeitszeiten<br />

verlängert, wird die Arbeitslosigkeit auf den Rekord<br />

von 9% (12) hochgetrieben und kündigen Sie weitere 300.000<br />

Entlassungen an. Damit haben Sie die Arbeitsbedingungen<br />

auf die Anfänge der Industrialisierung zurückgeführt. Als die<br />

Arbeiter sich dagegen wehren wollten, galten sie als Subversive,<br />

wurden ganze Gruppen ihrer Delegierten entführt. Einige<br />

von ihnen tauchten als Tote wieder auf, andere wurden<br />

überhaupt nicht mehr gesehen. (13)<br />

Die Ergebnisse dieser Politik sind niederschmetternd. In diesem<br />

ersten Regierungsjahr ist der Konsum an Lebensmitteln<br />

um 40% zurückgegangen, der Bekleidungssektor schrumpfte<br />

um über 50%, und Arzneimittel kann sich das Volk praktisch<br />

überhaupt nicht mehr leisten.<br />

In Groß-Buenos Aires gibt es Siedlungen, in denen die Kindersterblichkeit<br />

über 30% liegt, damit sind wir mit Rhodesien,<br />

Dahomey und den beiden Guyanas gleichauf. Mit Krankheiten<br />

wie der Sommerdiarrhoe, der Parasitosis und der Tollwut<br />

stehen wir an der Weltspitze oder führen die Statistik<br />

sogar an. Und als wären das beabsichtigte und gewünschte<br />

Ziele gewesen, haben Sie den Gesundheitsetat auf weniger<br />

280


als ein Drittel des Militäretats reduziert, die Möglichkeit zur<br />

kostenlosen Behandlung in den Krankenhäusern abgeschafft,<br />

sodass sich hunderte von Ärzten, Fachleuten und Technikern<br />

dem Exodus anschließen, der durch Terror, niedrige Löhne<br />

oder «Rationalisierung» entsteht.<br />

Ein Rundgang durch Groß-Buenos Aires genügt, um festzustellen,<br />

mit welcher Geschwindigkeit diese Politik alles in<br />

ein Elendsviertel von 10 Millionen Bewohnern verwandelt:<br />

dürftig beleuchtete Siedlungen, ganze Quartiere ohne Wasser,<br />

weil sich die Industrie bevorzugt damit versorgt und die<br />

Leitungen <strong>aus</strong> dem Boden reißt; t<strong>aus</strong>ende von Straßenzügen<br />

versumpfen regelrecht, weil Sie nur in den Wohngegenden<br />

des Militärs asphaltieren und allenfalls noch die «Plaza de<br />

Mayo» pflegen (größter Platz der Innenstadt für Kundgebungen,<br />

Paraden, später auch wöchentlicher Versammlungsort der «Madres<br />

de Plaza de Mayo», der «Mütter der Verschwundenen», d.<br />

<strong>Übers</strong>.). Der größte Fluss der Welt ist an allen seinen Stränden<br />

verseucht, weil in ihn die Freunde des Ministers Martínez<br />

de Hoz ihre giftigen Industrieabwässer einleiten. Die einzige<br />

Maßnahme dagegen war ein allgemeines Badeverbot, das Sie<br />

erlassen haben.<br />

Auch mit den nackten Wirtschaftsdaten haben Sie keine<br />

glücklichere Hand bewiesen. Das Bruttosozialprodukt ist um<br />

rund 3% gefallen, die Auslandsschulden belaufen sich auf 600<br />

Dollar pro Einwohner, die jährliche Inflation beträgt 400%,<br />

die Preise steigen in einer einzigen Dezemberwoche um 9%,<br />

die Auslandsinvestition sinkt um 13%, auch das ist Weltniveau,<br />

das Ergebnis kalter Kalkulation und nackter Beschränktheit.<br />

Während alle vorsorgenden und schöpferischen Funktionen<br />

des Staates schwinden, ja überhaupt nicht mehr vorhanden<br />

281


sind, gibt es einen einzigen Bereich, der wächst und sich zunehmend<br />

verselbständigt: 1.800 Millionen Dollar – das ist die<br />

Hälfte des argentinischen Jahresexportes – werden 1977 für<br />

Sicherheit und Verteidigung bereitgestellt, die Bundespolizei<br />

wird um 4000 neue Stellen aufgestockt und um weitere<br />

12.000 in der Provinz Buenos Aires, und zwar mit Gehältern,<br />

die doppelt so hoch sind wie das eines Industriearbeiters<br />

und drei Mal so hoch wie das des Schuldirektors. Im Februar<br />

wurden heimlich die Gehälter der Militärs um 120% erhöht,<br />

was zeigt, dass es im Reich der Folter und des Todes weder<br />

Lohnstopp noch Arbeitslosigkeit gibt. Das ist der einzige argentinische<br />

Tätigkeitsbereich, der Zuwächse verzeichnet und<br />

wo der Kurs des getöteten Guerillero schneller steigt als jener<br />

des Dollar.<br />

6.<br />

Diktiert vom Internationalen Währungsfonds nach einem<br />

Schema, das unterschiedslos auf so verschiedene Länder<br />

wie Zaire, Chile, Uruguay und Indonesien angewandt wird,<br />

richtet sich die Wirtschaftspolitik dieser Junta einzig an den<br />

Interessen der alten Viehzüchteroligarchie <strong>aus</strong>, an denen der<br />

großen Finanzspekulanten und an einer Gruppe von internationalen<br />

Konzernen, angeführt von ITT, Esso, der Autoindustrie,<br />

US Steel und Siemens, alle dem Minister Martínez de<br />

Hoz persönlich verbunden, und alle sind sie in der Regierung<br />

vertreten durch Mitglieder seines Kabinettes.<br />

1976 sind die Preise der Viehzüchter um ganze 722% gestiegen,<br />

das macht deutlich, wie mit der von Martínez de Hoz eingeleiteten<br />

Restauration dieser Teil der alten Oligarchie gestärkt<br />

wird und stimmt überein mit der Überzeugung der «Landwirtschaftlichen<br />

Gesellschaft», die ihr Präsident Celedonia<br />

Pereda so <strong>aus</strong>drückt: «Es erstaunt immer wieder, wie gewisse<br />

282


kleine, aber aktive Gruppen weiterhin darauf bestehen, dass<br />

Lebensmittel grundsätzlich billig sein müssten.» (14)<br />

Das Sch<strong>aus</strong>piel einer Handelsbörse, an der einige, ohne zu arbeiten,<br />

in einer Woche 100 bis 200% Gewinn erzielen; an der<br />

Unternehmen von heute auf morgen ihr Kapital verdoppeln,<br />

ohne mehr zu produzieren als vorher; die wilde Spekulation<br />

in Dollar, Wertbriefen, Aktienkursen; die Gewinne <strong>aus</strong> Wucherzinsen,<br />

die bereits pro Stunde berechnet werden – alles<br />

das sind <strong>aus</strong>gesprochen merkwürdige Vorgänge unter einer<br />

Regierung, die doch angetreten war, das «Bankett der Korrupten»<br />

zu beenden.<br />

Banken werden ent-nationalisiert, sodass Ersparnisse und<br />

nationale Kredite an <strong>aus</strong>ländische Banken fallen; ITT und<br />

Siemens werden entschädigt und so werden Unternehmen<br />

belohnt, die den Staat betrogen haben; Shell und Esso erhalten<br />

die Zapfsäulen zurück und erhöhen so die Gewinne; die<br />

Zölle werden gesenkt, wodurch Arbeitsplätze in Hong Kong<br />

oder Singapur geschaffen werden und Arbeitslosigkeit in Argentinien.<br />

Angesichts all dessen ist zu fragen, wer nun wohl<br />

die vaterlandslosen Gesellen der offiziellen Verlautbarungen<br />

sind und wer die Söldner im Dienste <strong>aus</strong>ländischer Interessen;<br />

und welche wohl ist die Ideologie, die das «Nationale<br />

Sein» bedroht.<br />

Gäbe es nicht diese erdrückende Propaganda, ein verzerrtes<br />

Echo ruchloser Taten, mit der behauptet wird, diese Junta<br />

trete für den Frieden ein, General Videla verteidige die Menschenrechte<br />

und Admiral Massera achte das Leben: dann<br />

müssten die Herren Oberkommandierenden der drei Waffengattungen<br />

einmal gebeten werden, über den Abgrund<br />

nachzudenken, in den sie das Land führen mit ihrer Illusion,<br />

283


einen Krieg gewinnen zu können, der, auch wenn sie den<br />

letzten Guerillero niedermachen, in immer neuen Formen<br />

<strong>aus</strong>brechen wird. Denn die Gründe, die seit mehr als zwanzig<br />

Jahren zum Widerstand des argentinischen Volkes führen,<br />

werden auch dann nicht verschwunden sein; vielmehr werden<br />

sie noch verschärft durch die Erinnerung an die Blutbäder<br />

und die Enthüllung der Greuel, die Sie zu verantworten<br />

haben.<br />

Das sind die Überlegungen, die ich zum ersten Jahrestag ihrer<br />

unheilvollen Regierung den Mitgliedern dieser Junta zukommen<br />

lassen wollte. Freilich ohne die Hoffnung, gehört zu<br />

werden. In der Gewissheit, verfolgt zu werden. Aber getreu<br />

der vor langem eingegangenen Verpflichtung, auch in schwierigen<br />

Zeiten das Wort zu ergreifen.<br />

März 1977<br />

Rodolfo Walsh<br />

Aus dem Spanischen von P.F.<br />

284


Anmerkungen<br />

(1) Im Januar fing die Junta an, unvollständige Listen neu Verhafteter<br />

und «Freigelassener» zu veröffentlichen, wobei «freigelassen»<br />

in der Mehrzahl der Fälle bedeutet, dass sie für die Dauer<br />

des Gerichtsverfahrens nicht mehr dem Militär unterstehen, aber<br />

weiterhin in Haft bleiben. Nach wie vor sind die Namen t<strong>aus</strong>ender<br />

von Gefangenen militärisches Geheimnis und damit die Vor<strong>aus</strong>setzungen<br />

für Folter und spätere Hinrichtung gegeben.<br />

(2) Dem Peronistenführer Jorge Lizaso wurde bei lebendigem Leibe<br />

die Haut abgezogen; der frühere Abgeordnete der Radikalen,<br />

Mario Amaya, mit Stockschlägen getötet; dem früheren Abgeordneten<br />

Muñiz Barreto mit einem Schlag das Genick gebrochen.<br />

Zeugnis einer Überlebenden: «Picana Eléctrica an den Armen, den<br />

Händen, den Muskeln, jedes Mal am Mund, wenn ich weinte oder<br />

betete … alle zwanzig Minuten öffneten sie die Tür und sagten mir,<br />

sie würden mich mit der Kettensäge zerlegen, die zu hören war.»<br />

(3) «Cadena Informativa», Meldung Nr. 4, Februar 1977<br />

(4) Eine genaue Darstellung findet sich im Brief der Häftlinge des<br />

Gefängnisses von Enc<strong>aus</strong>ados an den Bischof von Córdoba, Monseñor<br />

Primatesta: «Am 17. Januar wurden sechs Kameraden unter<br />

dem Vorwand, sie in die Krankenstation zu bringen, abgeholt und<br />

hingerichtet. Es handelt sich um Miguel Angel Mosse, José Svafusa,<br />

Diana Fidelman, Luis Varón, Ricardo Yung, Eduardo Hernández,<br />

dessen Tod bei einem Fluchtversuch vom III. Heereskorps gemeldet<br />

wurde. Am 29. <strong>Mai</strong> wurden José Pucheta und Carlos Sgadurra<br />

abgeholt. Diesem waren bei der Folter die Glieder gebrochen worden,<br />

sodass er nicht mehr stehen konnte. Beide, so heißt es, wurden<br />

bei einem Fluchtversuch erschossen.»<br />

(5) In den ersten 15 Tagen der Militärregierung wurden nach Pres-<br />

285


semeldungen 63 Leichen gefunden. Eine Jahreshochrechnung<br />

dieser Zahl ergibt 1500. Die Annahme, diese Zahl könne sich auf<br />

das Doppelte belaufen, stützt sich darauf, dass ab Januar 1976 die<br />

Pressemeldungen unvollständig wurden und dennoch zeitweilig<br />

das Doppelte überstiegen. Eine vermutliche Schätzung der von<br />

der Junta zu verantwortenden Toten sieht so <strong>aus</strong>: 600 im Kampf<br />

Gefallene; 1300 Erschossene; 2000 heimlich Hingerichtete; 100 auf<br />

unterschiedliche Art zu Tode Gekommene. Gesamt: 4000.<br />

(6) Brief von Isaías Zanotti, veröffentlicht von der Untergrundagentur<br />

ANCLA.<br />

(7) Verantwortlich dafür war der Kommodore Mariani, Chef des<br />

I. Geschwaders. Zum Einsatz kamen Maschinen vom Typ Fokker<br />

F-27.<br />

(8) Der Kanzler, Vizeadmiral Guzzeti räumte in einem Bericht<br />

von «La Opinión» vom 3.10.76 ein, dass es den Rechtsterrorismus<br />

als solchen nicht gebe, er sei vielmehr ein «Antikörper».<br />

(9) General Prats, letzter Heeresminister unter Präsident Allende,<br />

wurde im September 1974 durch einen Sprengsatz getötet. Die<br />

früheren Abgeordneten Uruguays Michelini und Gutiérrez Ruiz<br />

wurden am 2.6.76, von Kugeln durchsiebt, aufgefunden. Die Leiche<br />

General Torres, ehemaliger Präsident Boliviens, tauchte am 2.6.76<br />

auf, kurz nachdem der Innenminister und Ex-Polizeichef unter Isabel<br />

Martínez, General Harguindeguy, ihn beschuldigt hatte, seine<br />

eigene Entführung bloß simuliert zu haben.<br />

(10) Laut «La Razón» vom 12.6.76 ist der mutmaßliche Verantwortliche<br />

für die 33 Hinrichtungen zwischen dem 5. Januar und<br />

dem 3. Februar 1977 Oberstleutnant Pascarelli, Chef der I. Artillerie<br />

von Ciudadela.<br />

(11) Laut Daten der schweizerischen UBS vom Juni 1976. Danach<br />

verschärfte sich die Lage noch weiter.<br />

286


(12) Tageszeitung «Clarín».<br />

(13) Unter den entführten Gewerkschaftern finden sich namentlich<br />

Mario Aguirre, ATE; Jorge Di Pascuale, Pharmaindustrie;<br />

Oscar Smith, Energiesektor. Besonders von Entführungen und<br />

Ermordungen betroffen waren Gewerkschafter der Metall- und<br />

Werftindustrie.<br />

(14) «Prensa Libre», 16.12.1976<br />

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