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Das gemeine Strafrecht auf römischrechtlicher Grundlage - ZIS

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Die erste Europäisierung der <strong>Strafrecht</strong>swissenschaft_____________________________________________________________________________________zessualer Entwicklungen 23 im römischen Recht. Zudem erschwertedie intensive politische Instrumentalisierung des<strong>Strafrecht</strong>s den wissenschaftlichen Diskurs. 24Die heutige <strong>Strafrecht</strong>smaterie war im römischen Rechtnur zum Teil öffentliches Recht (Verfolgung der crimina),zum anderen Teil handelte es sich um Privatrecht 25 , namentlichDeliktsrecht (Verfolgung der delicta). 26 Von all<strong>gemeine</strong>n<strong>Strafrecht</strong>slehren kann nur insofern eingeschränkt die Redesein, als entsprechende Fragen bei den einzelnen Straftatengegebenenfalls übereinstimmend angesprochen wurden. Dierömische Rechtswissenschaft schuf niemals all<strong>gemeine</strong> Lehrenzum <strong>Strafrecht</strong> in einer dem heutigen Maße vergleichbarenAbstraktionshöhe. 27 Bei der Lösung strafrechtlicher Problemeblieben die römischen Juristen ihrer kasuistischen, einergeneralisierenden Betrachtungsweise fern stehenden Denkweisetreu. 28 All<strong>gemeine</strong> Theorien gab es wenig, 29 dennochist es durchaus möglich, die Leitprinzipien moderner deutscherall<strong>gemeine</strong>r <strong>Strafrecht</strong>slehre in den Quellen wiederzuentdecken.30 In den Rechtsquellen finden sich insbesondere23 Zu denken ist insbesondere an die besonderen ständigenStrafgerichtshöfe (quaestiones perpetuae), die – eigens fürbestimmte Delikte eingerichtet – auch prozessual einer einheitlichenWissenschaft ein Hindernis waren, ganz abgesehenvon der gänzlich unbestimmten kaiserlichen Verfahrensgestaltung;zum römischen <strong>Strafrecht</strong>sprozess und zur Strafgerichtsverfassungvgl. nur Geib, Geschichte des römischenCriminalprocesses, 1842, S. 7 ff.; Mommsen (Fn. 13), S. 339ff.; Marzo, Storia della procedura criminale Romana, 1898,S. 9 ff.24 Zur Verflechtung von <strong>Strafrecht</strong> und Politik in der römischenRepublik Gruen, Roman Politics and the CriminalCourts, 1969, S. 1 ff.25 Zwar liegt prozessuales Zivilrecht vor, <strong>auf</strong>grund des Strafcharaktersdes vervielfachten Schadensersatzes ist es jedochmateriell <strong>Strafrecht</strong> und wird im folgenden mit einbezogen;gerade die delicta (vor allem das furtum) sind für die Beteiligungslehreergiebig.26 Zu dieser prozessualen (vereinfachten) Zweiteilung (Doppelspurigkeitprivater und kriminalrechtlicher Verbrechensverfolgung)vgl. nur Gioffredi (Fn. 13), S. 9 ff.; zum Beispielder teils privaten (Grunddelikt), teils öffentlichen (besondersqualifizierte Fälle) Verfolgung des furtum etwa Rein (Fn. 13),S. 318 ff.; Mommsen (Fn. 13), S. 773 ff.27 Allgemein Köstlin (Fn. 9), S. 1; Molnar (Fn. 3), S. 191,207 (allerdings mit dem Hinweis dar<strong>auf</strong>, dass trotz fehlendersystematischer Ausarbeitung in der Lehre die Grundprinzipienin der Praxis konsequent angewandt wurden); zur fehlendenAbstraktion am Beispiel der Beteiligungslehre sieheGioffredi (Fn. 13), S. 111; Chevailler, RHD 1953, S. 204.28 Vgl. nur Nagler (Fn. 20), S. 137 f., insbesondere S. 138 inFn. 2; Benedek (Fn. 12), S. 230; Bloy, Die Beteiligungsformals Zurechnungstypus im <strong>Strafrecht</strong>, 1985, S. 47.29 Vgl. Köhler, Deutsches <strong>Strafrecht</strong> AT, 1917, S. 482; Bloy(Fn. 28), S. 47 („grundlegender Mangel an Begriffsschärfe“).30 Für die Beteiligungslehre: vgl. Rosshirt, Entwickelung derGrundsätze des <strong>Strafrecht</strong>s, 1828, S. 246; Bonfiglio, Atti delII convegno sulla problematica contrattuale in diritto romano,Erörterungen zur Kausalität, zum Vorsatz und zur Fahrlässigkeit,zu Fragen der Rechtfertigung (Einwilligung, Notwehr,Notstand), zur Schuldfähigkeit (Alter, Krankheit), derIrrtumslehre, der Beteiligung am Verbrechen (Täterschaftund Teilnahme), 31 des Versuchs, der Unterlassungsdelikte;schließlich existierte ein vielgestaltiges Sanktionensystem. 32c) Die einzelnen StraftatenVereinfacht lassen sich zwei Gruppen von Straftaten unterscheiden:erstens die crimina, die öffentlicher Strafverfolgungunterlagen, zweitens die delicta, bei denen Verstöße im Zivilrechtswegeinzuklagen waren, deren pönales Element aberdarin bestand, dass ein erhöhter Schadensersatz gezahlt wurde.Zu den crimina zählten insbesondere Meuchel- und Giftmord,Verwandtenmord (parricidium), Fälschungsdelikte(falsum), Hochverrat (crimen maiestatis), Gewalt (vis), Ehebruch(adulterium), Zerstörung der Nildämme, Religionsverbrechen,Hehlerei (receptatio), Erpressung (concussio),Entführung (raptus), bestimmte qualifizierte Eigentumsdelikte(u.a. Vieh-, Bade-, Einbruchsdiebstahl), Grenzverrückung(termini motio), Grabschändung (sepulcri violatio) und Betrug(stellionatus). 33 Privatdelikte strafrechtlichen Charakterswaren vor allem Diebstahl (furtum), Raub (vis bonorumraptorum) und die Injurie (Körperverletzung, Beleidigung,Hausfriedensbruch). 343. Ein Beispiel: <strong>Das</strong> mandatum zur iniuriaDie Darstellung der strafrechtswissenschaftlichen Europäisierung<strong>auf</strong> <strong>Grundlage</strong> des römischen <strong>Strafrecht</strong>s soll im Folgendenan einem prominenten Beispiel dargestellt werden,der Be<strong>auf</strong>tragung (mandatum) zu einer iniuria. Im Hinblick<strong>auf</strong> diesen Sachverhalt liegt ein Fragment Ulpians aus dessen57. Buch zum Edikt vor.D. 47, 10, 11, 3-5: 35Si mandatu meo facta sit alicui iniuria, plerique aiunt tam mequi mandavi quam eum qui suscepit iniuriarum teneri. Proculusrecte ait, si in hoc te conduxerim, ut iniuriam facias,cum utroque nostrum iniuriarum agi posse, quia mea opera1995, S. 187 Fn. 4; Chevailler (Fn. 27), S. 202; freilich bestehtstets die Gefahr, heutige Vorstellungen in beliebigerWeise in ambivalente römische Rechtsquellen hineinzudeuten,hierzu vgl. Bonfiglio, S. 187 („necessaria cautela“).31 Hierzu ausführlich Bock, Römischrechtliche Ausgangspunkteder strafrechtlichen Beteiligungslehre, 2006.32 An dieser Stelle sei nur <strong>auf</strong> das nach wie vor sehr instruktivesystematische Werk Reins (Fn. 13) verwiesen (All<strong>gemeine</strong>Lehren, S. 91 ff.).33 Übersicht bei Binding, Grundriss des Deutschen <strong>Strafrecht</strong>s,All<strong>gemeine</strong>r Teil, 6. Aufl. 1907, S. 12 ff.; ausführlichund nach wie vor maßgebend Mommsen (Fn. 13), S. 523 ff.34 Übersicht bei Binding (Fn. 33), S. 16 ff.; ausführlichMommsen (Fn. 13), S. 784 ff.35Hierzu vgl. Pothier, Pandectae Iustinianae III, 1752,S. 412; Bonfiglio (Fn. 30), S. 209 f._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale <strong>Strafrecht</strong>sdogmatik9


Dennis Bock_____________________________________________________________________________________facta sit iniuria. Idemque ait si filio meo mandavero, ut tibiiniuriam faciat.(Wenn jemandem in meinem Auftrag eine Injurie widerfahrenist, so sagen die meisten, dass sowohl ich, der ich denAuftrag erteilt habe, als auch der, der ihn angenommen hat,wegen Injurien haften. Procolus sagt ganz richtig, dass, wennich dich dazu gebracht habe, eine Injurie zu begehen, gegenjeden von uns die Injurienklage erhoben werden kann, weildieselbe durch meine Veranlassung entstanden ist. <strong>Das</strong>selbegilt, wenn ich meinen Sohn be<strong>auf</strong>trage, dir eine Injurie anzutun.)Aus Sicht des heutigen deutschen <strong>Strafrecht</strong>s handelt essich beim mandatum um eine Anstiftung im Sinne des § 26StGB. 36 Der Auftrag im zivilrechtlichen Sinne war ein Vertragzur Besorgung eines Geschäfts. 37 Auch das strafrechtlichemandatum erforderte einen (wenn auch zivilrechtlichnichtigen 38 ) Vertragsschluss. Unter einem strafrechtlichenmandatum wurde mithin das förmliche Auftragen der Tatverstanden, die ausdrückliche Aufforderung an den Haupttäter,gegen Belohnung eine bestimmte Tat zu begehen, an derder Mandatar kein eigenes Interesse hatte. 39 Der Haupttäternahm das Angebot des Mandanten ausdrücklich, durch Entgegennahmeder Belohnung oder durch die Tatausführung an.Ulpian 40 teilt uns mit, dass nach der von ihm gebilligtenherrschenden Ansicht der Mandant neben dem unmittelbarenTäter haftete. <strong>Das</strong> Mandat wurde vollständig einer eigenhändigenTäterschaft gleichgestellt. 41 Begründet wurde diesdamit, dass die iniuria des unmittelbar Handelnden aus Sichtdes Mandanten mea opera facta sei, bei der Tat des Haupttätershandelte es sich also eigentlich um das Werk des Auftraggebers,so dass der Mandatar zwar für die Ausführung zubestrafen war, das Unrecht der Tat aber auch dem moralischbeteiligten 42 Mandanten zugerechnet wurde. Diese Gleichstellungvon Mandat und Ausführung, d.h. dieser qualifizierteFall der Anstiftung und der Täterschaft, fand sich außer beider iniuria auch bei anderen Straftaten. 4336 Ausführlich Bock (Fn. 31).37 Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 44Rn. 1.38 Vgl. nur allgemein Kaser/Knütel (Fn. 37), § 9 Rn. 7 ff. undinsbesondere Chevailler (Fn. 27), S. 225; Rein (Fn. 13),S. 193 f.; Bonfiglio (Fn. 30), S. 210 f.39 Chevailler (Fn. 27), S. 224 f.; Rein (Fn. 13), S. 193.40 Zu Domitius Ulpianus Kunkel, Die römischen Juristen,2. Aufl. 1967, S. 245 ff.; ausführlich Honoré, Ulpian,2. Aufl. 2002, S. 1 ff.41 Vgl. auch Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts,9. Aufl. 1906, S. 979; Pampaloni, St. Senesi, 1899,S. 31 f.42 In dieser Terminologie bewegen sich etwa aus französischerWarte Chevailler (Fn. 27), S. 218, aus italienischerGioffredi (Fn. 13), S. 113, 117; Ferrini (Fn. 13), S. 286 f.; dieDifferenzierung zwischen moralischer und materieller Teilnahmeist nicht deckungsgleich mit der zwischen Anstiftungund Beihilfe, vgl. die psychische Beihilfe.43 Vgl. Rosshirt (Fn. 30), S. 253 ff.; Chevailler (Fn. 27),S. 224 ff.; Gioffredi (Fn. 13), S. 125; Brasiello, ED 8, 1961,III. Die Wiederentdeckung des antiken römischen Rechts:Die Schulen der Glossatoren und Kommentatoren1. All<strong>gemeine</strong>sIm Jahre 1060 wurde eine Digestenhandschrift im byzantinischenAmalfi erbeutet und nach Pisa, später nach Bolognaverbracht. Etwa ab Beginn des zwölften Jahrhunderts lässtsich <strong>auf</strong>grund dieser Wiederentdeckung 44 des Corpus IurisCivilis von einer akademischen Rezeption des römischenRechts sprechen, insbesondere in Bologna, wo es – zuerst imRahmen von Rhetorik, Dialektik (Logik) und Grammatik(sogenanntes Trivium) – Gegenstand wissenschaftlicherBeschäftigung und Lehre wurde. Die Schule der Glossatorenbemühte sich um Erfassung des Sinns des schwer verständlichen,nicht lehr- und lernbaren sowie nur formal geordnetenCorpus Iuris Civilis. Zu den bedeutendsten Glossatoren rechnetman Pepo von Bologna (Ende des 11. Jahrhunderts),Irnerius (Guernerius, Wernerius, gestorben 1140, sogenanntelucerna iuris), die “quattuor doctores” Martinus Gosia, Bulgarus,Hugo de Porta Ravennate und Jacobus de Porta Ravennate(Wirken zwischen 1130 und 1170, sogenannte Lilien desRechts), Placentinus (Piacentino, gestorben 1192), Azo Portius(Azzone, gestorben 1220, Verfasser der Summa Codicis),Accursius (1185-1263, Verfasser der Glossa magna/ordinaria)und Odofredus (gestorben 1265). Die italienischen Juristenstellten Parallelstellen zusammen, entwickelten Distinktionen(Harmonisierung widersprüchlicher Textstellen) undsammelten Dissensionen (Streitfragen). Mit ihren Versucheneiner Systematisierung und ersten Ansätzen einer Textkommentierung(Erstellung von glossae interlineares, später glossaemarginales) legten sie den Grundstein der wissenschaftlichenBehandlung des römischen Rechts.Herkömmlich <strong>auf</strong>grund einer stärkeren Hinwendung zurPraxis werden die den Glossatoren nachfolgenden Kommentatoren(auch Konsiliatoren, früher überwiegend: Postglossatoren)unterschieden. 45 Für die Kommentatoren stand dieBeschäftigung mit dem Corpus Iuris für die Anwendung alsgeltendes Recht im Vordergrund. Insbesondere sind zu erwähnenCinus de Pistorio (Cino Sighibuldi da Pistoia, 1270-1336), Bartolus de Saxoferratis (Bartolo da Sassoferrato,1313-1357) 46 , Baldus de Ubaldis (Baldo degli Ubaldi, 1327-S. 562 f.; Rein (Fn. 13), S. 193 ff.; Bonfiglio (Fn. 30), S. 209ff.; Bock (Fn. 31).44 Inwieweit das römische Recht zumindest in gewissemMaße im Mittelalter kontinuierlich bekannt war, ist umstritten;vgl. Lange, Römisches Recht im Mittelalter I, 1997, S. 8ff.45 Zusammenfassend Mezger, <strong>Strafrecht</strong>, 3. Aufl. 1949, S. 15.46 Zu diesem zusammen mit Baldus berühmtesten KommentatorSavigny, Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter,2. Aufl. 1850, VI, S. 137 ff.; Kleinheyer/Schröder, Deutscheund europäische Juristen, 4. Aufl. 1996, S. 43 ff.; 1313-1357._____________________________________________________________________________________10<strong>ZIS</strong> 1/2006


Die erste Europäisierung der <strong>Strafrecht</strong>swissenschaft_____________________________________________________________________________________1400) 47 , Paulus de Castro (1360-1441), Alexander de Tartagnis(1424-1477) und Jason de Mayno (1435-1519).2. Die Anfänge selbständiger <strong>Strafrecht</strong>swissenschaft <strong>auf</strong>römischrechtlicher Basis: Albertus GandinusDie genannten Glossatoren und Kommentatoren waren weitüberwiegend zivilrechtlich tätig, immerhin das private <strong>Strafrecht</strong>war allerdings durchaus Gegenstand wissenschaftlicherBeschäftigung. Bereits früh, wenn auch im Vergleich mitdem Zivilrecht um einiges verzögert, bildete sich jedoch aucheine selbständige <strong>Strafrecht</strong>swissenschaft heraus, die sich umdie Lösung genuin strafrechtlicher Probleme mit Hilfe derrömischen Rechtsquellen bemühte. 48Die herausragende Gestalt 49 dieser frühesten <strong>Strafrecht</strong>swissenschaftist der Kommentator Albertus de Gandino(Gandinus). 50 Er war es, der die erste überlieferte umfassendeDarstellung des <strong>Strafrecht</strong>s vorlegte: Sein berühmtes „Tractatusde malificiis“ 51 , dessen erste Fassung von 1286/87stammt, die wesentlich erweiterte zweite Fassung von 1299,eine dritte schließlich von 1300. Am Beispiel des mandatumsei gezeigt, wie Albertus Gandinus das römische <strong>Strafrecht</strong>zur Entwicklung seines mittelalterlichen <strong>Strafrecht</strong>ssystemsfruchtbar macht 52 :Im Abschnitt De penis reorum Nr. 12 des Tractatus 53 heißt es:Dominus Odofredus notat, quod mandans maleficium fierivideatur illud propria manu fecisse per ... [. D. 48, 10, 15, 3;D. 48, 18, 15; D. 43, 16, 1, 12]. Unde uterque puniendus est,tam mandans quam maleficium committens, ut … [D. 29, 5,17; D. 29, 5, 6; C. 9, 2, 5; D. 43, 24, 6]. Sed quis eorum magispeccat? Dic: mandans, quia auctor est peccati, quia peccatin se et alium peccare facit, unde acerbius puniri debet, quamsi propriis manibus occidisset, ut… [N. 8, 8; D. 43, 24, 6; D.11, 3, 10]47 Zu diesem Savigny (Fn. 46), VI, S. 208 ff.; Kleinheyer/Schröder(Fn. 46), S. 40 ff.48 Zur Benutzung römischer <strong>Strafrecht</strong>squellen seit der Wiederentdeckungder Digesten vgl. auch Garofalo, St. TalamancaIV, S. 75 ff.; Costa (Fn. 13), S. 1 ff.49 Vgl. nur Mayer, <strong>Strafrecht</strong> AT, 1952, S. 7; Schmidt, Einführungin die Geschichte der deutschen <strong>Strafrecht</strong>spflege,3. Aufl. 1983, S. 108.50 Um 1245 geboren, gestorben nach 1311; zu diesem ausführlichKantorowicz, ZRG (RA), 1924, 226 ff.; Savigny (Fn.46), V, S. 560 ff., Cordero, Criminalia – Nascita dei sistemipenali, 1985, S. 182 ff.51 Hierzu Kantorowicz (Fn. 49), S. 272 ff.52 Vgl. auch Engelmann, FS Binding II, 1911, S. 459 f.; Beyer,<strong>Das</strong> italienische <strong>Strafrecht</strong> der Scholastik nach AlbertusGandinus, 1931, S. 10 f.53 Leicht zugänglich dank der verdienstvollen Ausgabe vonKantorowicz, Albertus Gandinus und das <strong>Strafrecht</strong> der Scholastik,II, 1926, S. 215.Übersetzungsvorschlag:Herr Odofredus bemerkt, dass der Mandant eines Verbrechensals eigenhändiger Täter angesehen wird, arg. ... [D. 48,10, 15, 3; D. 48, 18, 15; D. 43, 16, 1, 12]. Daher muss jederbestraft werden, Mandant wie Täter , so D. 29, 5, 17; D. 29,5, 6; C. 9, 2, 5; D. 43, 24, 6. Aber wer von ihnen sündigtmehr? Sag: der Mandant, weil er der Urheber der Sünde ist,weil er sich versündigt und einen anderen sündigen lässt,daher muss er härter bestraft werden, als wenn er mit eigenenHänden getötet hätte, so N. 8, 8; D. 43, 24, 6; D. 11, 3, 10.Vgl. ferner De penis reorum Nr. 36:Item pone, quod ego tibi dedi consilium, quod tu homicidium,furtum vel aliud committeres maleficium, quod quidemtu fecisti. Queritur, numquid ego puniar ex hoc? Distinguebreviter secundum dominum Dynum, quia aut non eras aliasfacturus idem maleficium, aut sic. Primo casu, quando noneras alias facturus, teneor, …[D. 47, 10, 11, 3, 4 und 6].Übersetzungsvorschlag:Angenommen, ich habe dir Rat gegeben, dass du einen Mord,Diebstahl oder ein anderes Verbrechen begehen sollst, was duauch getan hast. Es fragt sich, ob ich deswegen bestraft werde.Unterscheide kurz nach Herrn Dynus, je nachdem, ob dusonst das gleiche Verbrechen nicht verübt hättest oder doch.Im ersten Fall, wenn du es nicht verübt hättest, hafte ich, D.47, 10, 11, 3, 4 und 6.)Albertus Gandinus stellt den Anstifter nicht nur – wieschon frühere Kommentatoren – einem unmittelbaren Tätergleich, sondern sieht in dessen Bestimmung des Haupttäterszur Tat sogar ein schwereres Unrecht als es die Haupttatselbst darstellt. Aufgrund der doppelten Versündigung, gegendas Opfer einerseits, gegen den Haupttäter andererseits, hälter eine strengere Bestrafung für notwendig und richtig. 54 Derzweite Text betont die Haftung des Anstifters im unproblematischenNormalfall einer Einwirkung <strong>auf</strong> den Haupttäter,der anderenfalls die Tat nicht ausgeführt hätte, also keinomnimodo facturus 55 war.Anhand der beiden Texte wird ersichtlich, wie AlbertusGandinus unter Verwendung früherer Autoren das römischeRecht als <strong>Grundlage</strong> eines geltenden strafrechtlichen Prinzipsaus dem Bereich der Beteiligungslehre verwendet. Indem erder Digestenstelle D. 47, 10, 11, 3-5 das prinzipielle Erfordernisdes Hervorrufen des Tatentschlusses entnimmt, bereiteter den Weg dafür, dass die kasuistischen Einzellfallentscheidungender römischen Juristen systematisiert und generalisiertund somit ein tauglicher Ausgangspunkt spätererländerübergreifender <strong>Strafrecht</strong>swissenschaft werden konnten.Aus einer Quelle, die ursprünglich lediglich das Mandatzu einer privatstrafrechtlichen iniuria regelte, wurde eine in54 Beyer (Fn. 53), S. 11; Engelmann (Fn. 52), S. 459.55 Vgl. Hoyer, in: Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch,7. Aufl., 34. Lieferung, Stand: Oktober 2000, § 26Rn. 7; Joecks, in: Münchener Kommentar, Strafgesetzbuch,2003, § 26 Rn. 23 ff._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale <strong>Strafrecht</strong>sdogmatik11


Dennis Bock_____________________________________________________________________________________zweifacher Richtung ausgedehnte normgleiche Referenzdadurch, dass der Grundgedanke einerseits <strong>auf</strong> alle Straftatenund andererseits auch <strong>auf</strong> andere Arten der intellektuellenEinwirkung <strong>auf</strong> den späteren Täter angewandt wurde. Es isthier am Beispiel der Beteiligungslehre zu sehen, wie dasrömische Recht durch Generalisierung klassisch-römischerEntscheidungen fortgebildet wurde. 56IV. Die fortschreitende wissenschaftliche Ausarbeitungdes römischen <strong>Strafrecht</strong>s: die italienischen PraktikerDie <strong>auf</strong> Albertus Gandinus folgende italienische <strong>Strafrecht</strong>swissenschaftschritt in den folgenden Jahrhunderten mit derVerarbeitung der römischen Rechtsquellen voran und behaupteteihre führende Stellung in Europa. 57 Aufgrund derTatsache, dass die meisten strafrechtlichen Schriftsteller auchbzw. vornehmlich in der Praxis tätig waren, wird insofernvon der Epoche der italienischen Praktiker gesprochen. 58 Zunennen sind hier insbesondere Bartholomeus de Saliceto 59 ,Angelus Aretinus de Gambilionibus 60 , Bonifacius de Vitalinis61 , Hippolytus de Marsiliis 62 , Aegidius Bossius, TiberiusDecianus 63 , Jacobus Menochius 64 und Prosper Farinacius 65 .56 Zur Verwertung römischer Quellen am Beispiel des AlbertusGandinus siehe auch Cordero (Fn. 50), S. 205, 220 f.57 Knappe Überblicke bei Liszt/Schmidt, Lehrbuch des Deutschen<strong>Strafrecht</strong>s, 26. Aufl. 1932, S. 48 f.; Mezger (Fn. 45),S. 15; ausführlicher Hippel (Fn. 9), S. 92 ff.; Dahm, <strong>Das</strong><strong>Strafrecht</strong> Italiens im ausgehenden Mittelalter, 1931, S. 208ff.; Engelmann (Fn. 52), S. 414 ff.; Calisse, A History ofItalian Law, 1969, S. 384 ff.58 Vgl. nur Dahm (Fn. 57), 1 f.; Heimberger, Die Teilnahmeam Verbrechen, 1896, S. 1.59 Zu diesem Savigny (Fn. 46), VI S. 259 ff.; Geburtsjahrunbekannt, gestorben 1412.60 Zu diesem Zordan, Il Diritto e la Procedura Criminale nelTractatus de Maleficiis di Angelo Gambiglioni, 1976, S. 9ff.; Ende des 14. oder Anfang des 15. Jahrhunderts in Arezzogeboren, Todesjahr ist nicht genau zu bestimmen, lag aberzwischen 1451 und 1465, berühmtestes Werk ist das Tractatussuper maleficiis, das zwischen 1438 und 1444 entstandenist.61 Zu diesem Pertile, Storia del diritto Italiano V, 2. Aufl.1966, S. 43; 1340 zum ersten Mal erwähnt, Todesjahr kannnur insofern bestimmt werden, als es nach 1388 liegen muss;Autor eines „Tractatus super maleficiis“.62 Zu diesem Cordero (Fn. 50), S. 290 ff.; 1451 geboren,seine wissenschaftliche und rechtshistorische Bedeutung ergibtsich vor allem daraus, dass er 1509 einen Lehrstuhl für<strong>Strafrecht</strong> erhielt: die Widmung eines Lehrstuhls nur für<strong>Strafrecht</strong> war eine Neuerung, wurde doch das <strong>Strafrecht</strong> bisdato als Anhängsel des Zivilrechts stiefmütterlich mit abgehandelt;um 1531 gestorben; bekanntestes Werk „Practicacausarum criminalium“, zum ersten Mal 1526 gedruckt.63 Zu diesem Marongiu, RSDI 1934, S. 135 ff., 312 ff.;Schaffstein, Die europäische <strong>Strafrecht</strong>swissenschaft im Zeitalterdes Humanismus, 1954, S. 38 ff; Cordero (Fn. 50),S. 297 ff.; mit ihm verbindet man eine hochentwickelte <strong>Strafrecht</strong>swissenschaftder frühen Neuzeit, insbesondere hinsicht-Hervorzuheben ist unter den italienischen Praktikern JuliusClarus 66 , der als einer der bedeutendsten <strong>Strafrecht</strong>ler derfrühen Neuzeit, gar als Höhepunkt der italienischen Kriminalistiküberhaupt gilt. 67 Er wurde 1525 geboren, als Jurist vonKönig Philipp an den spanischen Hof gerufen und war Mitglieddes italienischen Rates bis zu seinem Tod 1575. Seinbedeutendstes strafrechtliches Werk ist das „Sententiarumreceptarum Liber quintus“ (auch unter den Namen Volumenund Practica criminalis gedruckt), dessen Entstehung <strong>auf</strong>1568 bestimmt wird. Anhand einer Textstelle aus diesemimmens einflussreichen Lehr- und Handbuch soll nun dieSpur des römischen <strong>Strafrecht</strong>s weiterverfolgt werden. Inseiner Quaestio 89 beschäftigt er sich mit der Frage des Mandats.Er schreibt:Successive quaero, nunquid mandans fieri delictum debeatpuniri eadem poena, qua punitur ille, qui maleficium propriismanibus committit. Resp. In hoc articulo magna fuit aliquandocontroversia inter scribentes: nam aliqui dixerunt, quodaut mandatarius erat alias facturus delictum et eo casu mandansnon tenetur; aut vero non erat alias facturus et tenetur.Sed certe haec distinctio communiter reprobatur, ut dicit [...].Et ideo Bartolus in D. 47, 10, 11, 3-5. Tenuit indistincte,quod mandans puniatur eadem poena, qua puniendus estmandatarius ipse, qui delictum commisit. [...]. Hanc etiamopinionem dicit esse communem Gandinus de maleficiis intitulo de transactionibus et in titulo de poenis.Übersetzungsvorschlag:Im Folgenden frage ich, ob der Mandant mit der gleichenStrafe zu belegen ist, wie derjenige, der das Verbrechen miteigenen Händen begeht. Antwort: In dieser Sache gab es einstunter den Autoren große Meinungsverschiedenheiten: denneinige sagten, dass der Mandatar entweder das Delikt auchsonst begangen hätte und in diesem Fall der Mandant nichthaftete, oder dass er die Tat sonst nicht begangen hätte undder Mandant haftete. Diese Unterscheidung wird gewiss abereinhellig zurückgewiesen, wie [...] sagt. Ebenso Bartolus zuD. 47, 10, 11, 3-5. Ohne Unterschied wird der Mandant dergleichen Strafe unterworfen wie der Mandatar selbst, der dasDelikt begangen hat. Diese Meinung hielt auch Gandinus inseinem Buch über Verbrechen in den Titeln „de transactionibus“und „de poenis“ für gängig.lich all<strong>gemeine</strong>r Lehren. 1509 geboren; sein Hauptwerk, das„Tractatus criminis“, blieb unvollendet und wurde erst nachseinem Tod 1590 von seinem Sohn herausgegeben.64Zu diesem Cordero (Fn. 50), S. 336 ff., insbesondereS. 336 in Fn. 1.65 Geboren 1544; von großem Einfluss, aber in der Neuzeitauch kritisch betrachtet, vgl. Bar (Fn. 9), S. 132 in Fn. 526;Cordero (Fn. 50), S. 339.66 Zu Julius Clarus ausführlich Moeller, Julius Clarus ausAlessandria – der Kriminalist des 16. Jahrhunderts, 1911,S. 7 ff.; vgl. auch Cordero (Fn. 50), S. 307 ff.67 Vgl. Hippel (Fn. 9), S. 97; Schmidt (Fn. 49), S. 150; Moeller(Fn. 66), S. 4 f.; Schaffstein, Deutsche Rechtswissenschaft,1938, S. 125._____________________________________________________________________________________12<strong>ZIS</strong> 1/2006


Die erste Europäisierung der <strong>Strafrecht</strong>swissenschaft_____________________________________________________________________________________Julius Clarus widmet dem Mandat als Unterform heutigerAnstiftung ebenso besondere Aufmerksamkeit wie das römischeRecht und Albertus Gandinus dies tun. Albertus Gandinuswar zwar grundsätzlich von der Äquivalenz von Mandatund Ausführung ausgegangen, wollte den Mandanten jedochstrenger bestrafen und unterschied des weiteren zwischen denFällen, in denen der Auftragsempfänger bereits zur Tat entschlossenwar und solchen, in denen das nicht der Fall war.Julius Clarus erörtert diese Auffassungen, vertritt selbst aberdie Gegenansichten, dass einerseits die Strafe des Mandantenzwar genauso hoch, nicht aber höher als die des Mandatars zusein hat, und dass es andererseits <strong>auf</strong> ein Hervorrufen desTatentschlusses nicht ankomme. 68 <strong>Das</strong> römische <strong>Strafrecht</strong>,vermittelt durch frühere Erörterungen der Glossatoren undKommentatoren, wurde Julius Clarus zur <strong>Grundlage</strong> seinergutachterlichen Tätigkeit im Italien der frühen Neuzeit.V. Die Verbreitung der italienischen <strong>Strafrecht</strong>slehren inEuropaBis in die Neuzeit reichte die Geltung römischrechtlicherRechtsgrundsätze in der italienischen <strong>Strafrecht</strong>slehre hinüber:Im Folgenden soll der Prozess der strafrechtswissenschaftlichenEuropäisierung, d.h. die Verbreitung außerhalbItaliens, <strong>auf</strong> eben dieser <strong>Grundlage</strong> vorgestellt bzw. wieder inErinnerung gerufen werden. Hierbei wird der Nachweis <strong>auf</strong>zwei Beispiele außerhalb Italiens beschränkt: die deutscheund die niederländische <strong>gemeine</strong> <strong>Strafrecht</strong>swissenschaft. 69Prima facie liegt Skepsis über die Bedeutung italienischer<strong>Strafrecht</strong>ler für die sonstige europäische <strong>Strafrecht</strong>sentwicklung,gerade auch für diejenige Deutschlands, nahe; die maßgebendeRolle der italienischen <strong>Strafrecht</strong>swissenschaft fürdie gesamte europäische Entwicklung für das späte Mittelalterund die frühe Neuzeit ist freilich unbestritten. 701. Deutschland: Benedikt CarpzovBesonders deutlich ist die Europäisierung <strong>auf</strong> romanischerBasis am Beispiel der deutschen <strong>Strafrecht</strong>swissenschaft zuerkennen. Symptomatisch sind die überaus kritischen Beurteilungenspäterer, national gesinnter Autoren, die deutscheRechtswissenschaft dieser Zeit habe sich im wesentlichendar<strong>auf</strong> beschränkt, bei den Italienern abzuschreiben, 71 oderhabe sich doch eng an ihre Lehren angelehnt. 72 In seinerdrastischen Ausdrucksweise spricht Geib von Romanomanie68 Vgl. Moeller (Fn. 66).69 Hierzu grundlegend für den Bereich des All<strong>gemeine</strong>n TeilsSchaffstein, Die all<strong>gemeine</strong>n Lehren vom Verbrechen in ihrerEntwicklung durch die Wissenschaft des <strong>gemeine</strong>n <strong>Strafrecht</strong>s,1932.70 Rüping/Jerouschek (Fn. 10), Rn. 40; Gerland, DeutschesReichsstrafrecht, 2. Aufl. 1932, S. 43f.; Dahm (Fn. 57), S. 1;zur prozessualrechtlichen Bedeutung Biener, Beiträge zu derGeschichte des Inquisitionsprozesses und der Geschworenengerichte,1827, S. 92 ff.71 So Bar (Fn. 9), S. 131 f.72 So, etwas vorsichtiger, Jescheck/Weigend, Lehrbuch des<strong>Strafrecht</strong>s, All<strong>gemeine</strong>r Teil, 5. Aufl. 1996, S. 94.bzw. romanisierendem Fanatismus und sklavischer Abhängigkeitvon den italienischen Schriftstellern. 73 Die positiveKehrseite dieser teilweisen Verschmelzung römischer, italienischerund deutscher Rechtsgeschichte, die es angesichtsheutiger Tendenzen, die Grenzen der Nationalstaaten erneutzu überwinden, wieder zu betonen gilt, lag freilich in einerVereinheitlichung wissenschaftlicher Methodik und beträchtlichenwissenschaftlichen Wirkungsmöglichkeiten strafrechtlicherErkenntnisse.Zur Anwendung in Deutschland gelangten die römischrechtlichenGrundsätze in Gestalt der italienischen Verarbeitunginsbesondere durch die Constitutio Criminalis Carolina,der Peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Karls V. von1532, 74 und die sich an diese anschließende Wissenschaft.<strong>Das</strong> antike römische Recht fand über die italienische <strong>Strafrecht</strong>swissenschaftin modifizierter Form im Wege der all<strong>gemeine</strong>nRezeption nach Deutschland, wurde dort bei derErstellung der Carolina durch Johann von Schwarzenberg(1465-1528) verarbeitet, 75 <strong>auf</strong> deren <strong>Grundlage</strong> sich einegemeinrechtliche <strong>Strafrecht</strong>swissenschaft anschloss. Fuchsspricht hier von einer Brücke zwischen der deutschen <strong>Strafrecht</strong>spflegeund dem römischen Recht. 76 Besonders deutlichlässt sich dies bei der Behandlung von Täterschaft und Teilnahmenachweisen. Bloy hat den entwicklungsgeschichtlichenWeg von der Wiederentdeckung des Corpus Iuris durchdie italienische Wissenschaft bis zu den deutschen Gesetzgebungenim 19. Jahrhundert anlässlich der Beteiligungslehreinstruktiv <strong>auf</strong>gearbeitet. 77 Auf diesen Bogen der Bedeutungrömischen Rechts sei wieder einmal hingewiesen. 78 Als einmonographisches Beispiel sei die Abhandlung Langenbecksgenannt, in der dieser immer wieder <strong>auf</strong> die italienischenPraktiker zurückkommt, und <strong>auf</strong> diese Weise von der beträchtlichenBeeinflussung der deutschen <strong>Strafrecht</strong>slehredurch die italienische <strong>Strafrecht</strong>swissenschaft noch im 19.Jahrhundert zeugt. 79In Fortführung des Beispiels des Mandats 80 sei exemplarisch<strong>auf</strong> das Werk des wohl bedeutendsten deutschen gemeinrechtlichen<strong>Strafrecht</strong>lers, Benedikt Carpzov (1595-73 Geib (Fn. 9), S. 283.74 Zu dieser und ihrem Verfasser Schwarzenberg vgl. nurRüping/Jerouschek (Fn. 10), Rn. 94 ff.; Geib (Fn. 9), LehrbuchI, S. 254 ff.75 Hippel (Fn. 9), S. 163 ff.; Brunnenmeister, Die Quellen derBambergensis, 1879, S. 206 ff., 288; Liszt/Schmidt (Fn. 56),S. 48 ff.76 Fuchs (Fn. 11), S. 22.77 Bloy (Fn. 28), S. 53 ff.78 Vgl. für die Lehren von Täterschaft und Teilnahme denÜberblick bei Hippel (Fn. 9), II, S. 441 ff.; für das <strong>gemeine</strong>Recht Schaffstein (Fn. 69), S. 169 ff.79 Langenbeck, Die Lehre von der Theilnahme am Verbrechen,1868.80 Zum mandatum im <strong>gemeine</strong>n Recht Schaffstein (Fn. 69),S. 182 f._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale <strong>Strafrecht</strong>sdogmatik13


Dennis Bock_____________________________________________________________________________________1666), abgestellt, dessen äußerst einflussreiche Practica novarerum criminalium aus dem Jahre 1635 stammt. 81Pars I Quaestio 4, Nr. 6:Uterque igitur poena homicidii tenetur. Quod quidem in personamandatarii vix dubium habet, ut qui ob mandatum nonexcusatur, Bartolus in D. 47, 10, 11, 3-5.Übersetzungsvorschlag:Beide [Mandant und Mandatar] werden mit der Strafe fürTotschlag belegt. Bzgl. des Mandatars bestehen kaum Zweifel,dass er wegen des Mandats nicht entschuldigt wird, Bartoluszu D. 47, 10, 11, 3-5 [...].Pars I Quaestio 4, Nr. 9:Quoad personam vero mandantis certo statuendum est, quodis non minus, ac mandatarius, ultimo supplicio affici debeat,[...], Julius Clarus, Quaestio 89, [...].Übersetzungsvorschlag:Was aber die Person des Mandanten betrifft, so ist sicherfestzuhalten, dass dieser ebenso wie der Mandatar der höchstenStrafe zu unterwerfen ist, [...] Julius Clarus, Quaestio 89,[...].Pars I Quaestio 4, Nr. 10:Tum, quia nihil interest, utrum occidat quis ipse, an verocausam mortis dolo malo praebeat, [...], D. 47, 10, 11, 3-5,[...].Übersetzungsvorschlag:Ferner, weil es nicht dar<strong>auf</strong> ankommt, ob jemand selbst tötetoder vorsätzlich eine Todesursache setzt, [...], D. 47, 10, 11,3-5, [...].deutschen <strong>Strafrecht</strong>swissenschaft angesehen 84 , und dennochwar er kein Neuschöpfer, sondern ein Kompilator des geltendenrezipierten <strong>gemeine</strong>n Rechts <strong>auf</strong> italienisch-römischer<strong>Grundlage</strong>. 85Für die späte historisch arbeitende deutsche <strong>gemeine</strong><strong>Strafrecht</strong>slehre 86 sei exemplarisch die Behandlung der Teilnahmein dem gemeinrechtlichen Lehrbuch Carl GeorgWächters angeführt. 87 Wächter differenziert die Arten derTeilnahme (von ihm concursus ad delictum genannt) nachmehreren Gesichtspunkten: einer davon ist die Unterscheidungzwischen unmittelbar physischer, mittelbar physischerund intellektueller Teilnahme. Zur intellektuellen Teilnahmerechnet er – frühere römische und italienische Begrifflichkeitenübernehmend – Rat, Überredung, Befehl und Auftrag. 88Für jede dieser Arten zitiert er Texte des Corpus Iuris Civilis,für den Auftrag unter anderem auch D. 47, 10, 11, 3-5. InBezug <strong>auf</strong> die Methodik, die Terminologie und teilweise diedogmatischen Ergebnisse steht auch seine <strong>Strafrecht</strong>swissenschaftnoch ganz im Zeichen römisch-italienischer Vorarbeiten.2. Die (spanischen) Niederlande: Antonius MatthaeusUm dem Beispiel für eine gemeinsame europäische <strong>Strafrecht</strong>swissenschaftneben Italien und Deutschland ein drittesStandbein zu geben, bieten sich die Niederlande an. Zu denbedeutendsten und einflussreichsten niederländischen <strong>Strafrecht</strong>lernzählten Joos de Damhouder (1507-1581) und AntoniusMatthaeus (1601-1654). 89 Während ersterer heute weitgehendals unselbständiger Kopist und Kompilator angesehenwird, 90 bescheinigt man letzterem größere wissenschaftlicheSelbständigkeit, ohne freilich zu leugnen, dass auch er seineErwägungen italienischen Schriftstellern entnahm. 91 Matthaeus´herausragendes Werk ist sein <strong>Strafrecht</strong>sommentar Decriminibus, zuerst erschienen 1644. Zur Frage des mandatumCarpzov und das deutsche <strong>gemeine</strong> Recht übernehmenden Inhalt des Mandatsbegriffs von der italienischen Doktrinund behalten ihn ohne Inhaltsränderung bei. 82 Carpzov selbstlegt offen, wie er seine Rechtsgrundsätze aus den römischenRechtsquellen und den italienischen Kommentatoren undPraktikern schöpft. Er zitiert nicht nur den Ulpiantext D. 47,10, 11, 3-5, sondern auch die Sekundärliteratur zu dieserStelle, insbesondere Bartolus und Julius Clarus. Die Strafbarkeitdes Mandatars leuchtete ohne weiteres ein, die des Mandantenstützte er <strong>auf</strong> den Grundsatz der Gleichstellung vonAuftrag und Ausführung, wie er im römischen <strong>Strafrecht</strong>vorherrschte. 83 Carpzov wird ganz deutlich in der strafrechtshistorischenLiteratur als der Beginn einer selbständigen81 Zu Carpzov und seinem Werk vgl. nur Schmidt (Fn. 49),S. 153 ff.; Rüping/Jerouschek (Fn. 10), Rn. 115.82 Schaffstein (Fn. 69), S. 182.83 Vgl. Schaffstein (Fn. 69), S. 183.84 Vgl. nur Liszt/Schmidt (Fn. 57),: „neue deutsche Rechtswissenschaft“;Hippel (Fn. 9), S. 227: „Aufschwung derWissenschaft“, Bar (Fn. 9), S. 144 f.85 Ausgewogene Darstellung der Verdienste, aber auch derwissenschaftlichen Abhängigkeiten bei Hippel (Fn. 9),S. 228.86 Vgl. Allfeld (Fn. 11), S. 47.87 Wächter, Lehrbuch des Römisch-Teutschen <strong>Strafrecht</strong>s,1825, S. 144.88 Aus heutiger Sicht umfasst die intellektuelle Teilnahme dieAnstiftung und (soweit man eine solche anerkennt, vgl. Hoyer[Fn. 55], § 27 Rn. 11 f.) psychische Beihilfe.89 Zu beiden Geib (Fn. 9), S. 285; Bar (Fn. 9), S. 132, 152.90 Sehr kritisch etwa Bar (Fn. 9), S. 132.91 Vgl. einerseits Bar (Fn. 9), S. 152 („ohne fremdartigenZusatz in seinem eigenen Geiste“), andererseits Schaffstein(Fn. 69), S. 183 („Alle diese Erwägungen entstammen denitalienischen Quellen und finden sich, teilweise in wörtlicherÜbereinstimmung, auch bei [...] Matthaeus [...], wie überhauptbei allen anderen gemeinrechtlichen Autoren dieserZeit.“)._____________________________________________________________________________________14<strong>ZIS</strong> 1/2006


Die erste Europäisierung der <strong>Strafrecht</strong>swissenschaft_____________________________________________________________________________________äußert er sich in den Prolegomena, Caput I, Quid sit crimen,Rn. 9, und Lib. XLVIII, Tit. XVIII, De poenis, Rn. 15.Prolegomena, Caput I, Quid sit crimen, Rn. 9:Progrediamur ad mandatores et mandatarios. Qui mandantscelus, quique mandatum exequuntur, utique rei sunt, et ordinariaequidem poenae subiugandi: idque cum nostrorumtestimoniis, tum rationibus atque argumentis copiose probatur;ab interpretationibus etiam, ut loquuntur, communiterreceptum est. Nostrorum auctorum totidem loca sunt, quotlocis dicitur, teneri non solum eum, qui fecerit, sed et quidolo malo curaverit, ut quid fieret. Nihil interesse, ipse quidfacias, an per alium fieri cures, causamve crimini praebeas.Übersetzungsvorschlag:Fahren wir fort mit den Mandanten und Mandataren. Beidesind Angeklagte und unterliegen der ordentlichen Strafe: dieszeigen viele Zeugnisse mit Gründen und Argumenten. Auchdie Interpreten haben dies alle übernommen. Bei unserenAutoren finden sich Stellen, wo gesagt wird, dass nicht nurderjenige haftet, der die Tat begeht, sondern auch der, derdafür arglistig sorgt. Es kommt nicht dar<strong>auf</strong> an, ob er selbstdafür sorgt oder dies durch andere geschehen lässt oder eineUrsache des Verbrechens setzt, [...], D. 47, 10, 11, 3.Und Lib. XLVIII, Tit. XVIII, De poenis, Rn. 15:Uterque odinaria poena afficiendus erit, et qui mandavit, etqui mandatum crimen executus est, [...] D. 47, 10, 11, 3.Übersetzungsvorschlag:Beide sind mit der gewöhnlichen Strafe zu belegen, sowohlderjenige, der be<strong>auf</strong>tragt hat, als auch derjenige, der das Verbrechensmandatausgeführt hat.Die Ausgaben des Werks verweisen hier am Rande beiderTexte unter anderem <strong>auf</strong> die Quaestio 89 des Julius Clarus.Inhaltlich folgt Matthaeus der bereits früher herrschendenMeinung, die Mandant und Mandatar gleich bestrafte, wobeier Fragen der Kausalität freilich nicht erörtert. An seinemWerk und an dessen einflussreicher Rolle für die gemeinrechtliche<strong>Strafrecht</strong>spraxis lässt sich zeigen, wie die italienischenLehren auch in den Niederlanden <strong>auf</strong>genommen undGegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung wurden.Der Text Ulpians zur Anstiftung – in Gestalt eines Mandats –zur iniuria, D. 47, 10, 11, 3-5, ist auch zum Ausgangspunktholländischer strafrechtswissenschaftlicher Bearbeitung geworden,die in vielfältiger wechselseitiger Beeinflussung zurdeutschen und natürlich italienischen Lehre stand, derenFundament und gemeinsamer Nenner aber stets das römische<strong>Strafrecht</strong> war.VI. <strong>Das</strong> Ende der ersten Europäisierung: die partikularenKodifikationenDie europäisierte <strong>gemeine</strong> <strong>Strafrecht</strong>swissenschaft der frühenNeuzeit fand mit Erstarken nationalen Denkens und den darausresultierenden <strong>Strafrecht</strong>skodifikationen ein schleichendesEnde. Schon immer hatte es lokale Statuten gegeben, dieeinzelne Bereiche des <strong>Strafrecht</strong>s für ein mehr oder wenigergroßes Gebiet speziell regelten, so dass das <strong>gemeine</strong> <strong>Strafrecht</strong>insofern lediglich subsidiäre Anwendung fand. 92 Durchdie in der Mitte des 18. Jahrhunderts einsetzende, der CCCentgegenstehende Landesgesetzgebungen 93 begann inDeutschland das Ende der ersten europäisierten <strong>Strafrecht</strong>swissenschaft:mehr und mehr Gebiete schlossen durch ihreKodifikationen das <strong>gemeine</strong> <strong>Strafrecht</strong> aus und ließen so denGeltungsbereich immer weiter zusammenschrumpfen. DenAnfang machten Bayern mit dem Codex Iuris Bavarici Criminalisvon 1751, 94 Österreich mit der Constitutio CriminalisTheresiana von 1768 95 und Preußen mit dem All<strong>gemeine</strong>nLandrecht für die preußischen Staaten 96 im Jahre 1794. Im19. Jahrhundert setzte schließlich eine Welle landesherrlicherStrafgesetzgebungen ein, von denen das All<strong>gemeine</strong> Strafgesetzbuchfür das Königreich Bayern von 1813 und das Strafgesetzbuchfür die preußischen Staaten von 1851 besondereErwähnung verdienen. 97 Im Jahre 1869 war das Geltungsgebietdes ius commune nur noch <strong>auf</strong> Mecklenburg-Schwerin,Mecklenburg-Strelitz, Schaumburg-Lippe und Bremen beschränkt.<strong>Das</strong> Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bundvon 1870, der Vorläufer des Strafgesetzbuchs für das DeutscheReich aus dem Jahre 1871, hob das <strong>gemeine</strong> <strong>Strafrecht</strong>schließlich für diese letzten deutschen Gebiete <strong>auf</strong>. <strong>Das</strong> <strong>gemeine</strong><strong>Strafrecht</strong> in den anderen sich bildenden Nationenverlor in parallelen Entwicklungen auch dort endgültig seineBedeutung im L<strong>auf</strong>e des 19. JahrhundertsVII. ErgebnisBerner formuliert: „Die Italiener haben der gebildeten Weltdie Bahn gebrochen, <strong>auf</strong> welcher sich die Wissenschaft des<strong>Strafrecht</strong>s entwickeln sollte. Sie schufen für dieselbe einengemeinsamen Europäischen Boden.“ 98 Ähnlich drückt esMayer aus: „Die italienische <strong>Strafrecht</strong>swissenschaft hatdieses neue peinliche Recht für ganz Europa zuerst wissenschaftlichformuliert.“ 99 In der Tat ist es spätestens seit dem16. Jahrhundert gerechtfertigt, von europäischer Rechtswis-92 Zum problematischen Verhältnis von Statutenrecht undrezipiertem römisch-italienischen <strong>Strafrecht</strong> vgl. etwa dieentsprechenden Kapitel zum niederländischen Recht beiMatthaeus, z.B. Lib. XLVIII Dig. Tit. V, Caput VII: De moribusad statut. Traject.; zur Rechtsanwendung <strong>auf</strong> dem Gebietder Beteiligungslehre, insbesondere zum Verhältnis vonius commune und Partikularrecht, Engelmann (Fn. 52),S. 560 ff.93 Überblick bei Binding (Fn. 33), S. 37 ff.; Geib (Fn. 9),S. 322 ff.94 Hierzu Bar (Fn. 9), S. 155 ff.95 Hierzu Bar (Fn. 9), S. 155 ff.96 Hierzu vgl. nur Rüping/Jerouschek (Fn. 10), Rn. 195 ff.;Bar (Fn. 9), S. 161 ff.97 Weitere bei Binding (Fn. 33), S. 40 ff.98 Berner, Lehrbuch des deutschen <strong>Strafrecht</strong>s, 16. Aufl.1891, S. 14 f.99 Mayer (Fn. 49), S. 7._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale <strong>Strafrecht</strong>sdogmatik15


Dennis Bock_____________________________________________________________________________________senschaft zu sprechen. 100 Grenzen der Länder und nationalenKulturen wurden nicht nur im Zivilrecht, sondern auch im<strong>Strafrecht</strong> übersprungen. Begünstigt wurde dies durch kulturelleund politische Rahmenbedingungen 101 : Kulturell handeltees sich zum einen um den Buchdruck mit beweglichenLettern, der es seit Gutenberg ermöglichte, Bücher in hohenAuflagen herzustellen; zum anderen konnte Latein als Weltspracheder Wissenschaft den Austausch zwischen den verschiedenennationalen Rechtsordnungen fördern. Die weitausmeisten römischen Rechtsquellen waren in lateinischer Spracheverfasst, die strafrechtlichen Werke der Italiener AlbertusGandinus und Julius Clarus, des Deutschen Benedikt Carpzovsund des Niederländers Antonius Matthaeus´ waren ineben dieser lateinischen Sprache erschienen und konnten vonder gesamten europäischen Wissenschaftsgesellschaft ohnesprachliche Barrieren gelesen, diskutiert und fortentwickeltwerden. Die Weltreiche Karls V. und Philipps II. leistetenüberdies ihren politischen Beitrag grenzüberschreitendenDialogs.Am Beispiel des Ulpiantextes D. 47, 10, 11, 3-5 und desMandats, d.h. der Anstiftung zu einer iniuria, läst sich nachvollziehen,wie das römische <strong>Strafrecht</strong> über Italien in dieverschiedenen europäischen Länder, insbesondere Deutschlandund die Niederlande eindrang und dort Gegenstand wissenschaftlicherBeschäftigung einerseits, forensischer Praxisandererseits werden konnte. Wenn Albertus Gandinus, JuliusClarus, Benedikt Carpzov, Carl Georg Wächter und AntoniusMatthaeus dieselbe Digestenstelle auslegen, jeweils unterBerücksichtigung der vorher veröffentlichten Kommentierungenund Interpretationen, voneinander abschreiben, einanderzitieren oder aber auch widersprechen und angreifen,dann wird deutlich, dass es sich tatsächlich um römischitalienisch-deutsch-niederländische– sprich: europäische –<strong>Strafrecht</strong>swissenschaft handelte. Kopistentum und fruchtbarerwissenschaftlicher Austausch sind hierbei die beidenSeiten dieser Medaille internationalen Wissenstransfers.Erst nach und nach entstanden partikulare Gesetzgebungen,die den Anwendungsbereich des Gemeinrechts einengten;der <strong>auf</strong>kommende Nationalismus beseitigte die letztenReste.Die inter- und supranationalen Tendenzen des 20. und 21.Jahrhunderts sind insofern auch strafrechtlich eine Wiederentdeckunggemeinsamer Ausgangspunkte, die im europäischenKontext zu einer neuen gemeinsamen Basis eines europäischen<strong>Strafrecht</strong>s führen können. Auch heute stehen mitdem Englischen als Weltsprache, den neuen Telekommunikationsmittelnund den Strukturen der EG und EU treibendekulturelle und politische Kräfte zur Verfügung. Auf demGebiet des Zivilrechts ist es bereits weitgehend anerkannt,dass im Zuge der Arbeiten an einem gesamteuropäischenZivilgesetzbuch die römische Rechtstradition als gemeinsame<strong>Grundlage</strong> vieler nationaler Rechtsordnungen eine bedeutendeRolle spielt und weiter spielen wird. 102 <strong>Das</strong> römischeRecht, in eine historische Behandlung abgedrängt, erfährthier nun eine Reaktualisierung und einen Bedeutungsrückgewinnbeim Auffinden gemeinsamer Wurzeln als <strong>Grundlage</strong>eines zukünftigen gemeinsamen Weges der europäischenRechtsordnungen. 103 Die Tendenz, die Nationalität derRechtsordnungen zu überwinden, hat in den letzten Jahrenverstärkt auch das <strong>Strafrecht</strong> erfasst. Gewiss lassen sich Zivilrechtund <strong>Strafrecht</strong> hinsichtlich national-souveräner Sensibilitätnicht ohne weiteres vergleichen, 104 dennoch: die Suchenach einer gesamteuropäischen Basis, <strong>auf</strong> die sich eine fortschreitende<strong>Strafrecht</strong>svereinheitlichung gründen kann, wirddie Berücksichtigung der historischen <strong>Grundlage</strong>n – auch desrömischen <strong>Strafrecht</strong>s und vor allem der <strong>gemeine</strong>uropäischen<strong>Strafrecht</strong>swissenschaft als <strong>Grundlage</strong> vieler nationalerRechtsordnungen – zur Folge haben müssen. Diese historisch-vergleichendeDimension der Europäisierung wurdebislang nur unzureichend erkannt.100 Vgl. auch Schaffstein (Fn. 63), S. 10.101 Hierzu Schaffstein (Fn. 63), S. 11.102 Hierzu Bürge, in: Filippo Ranieri (Hrsg.), Die Europäisierungder Rechtswissenschaft, 2002, S. 19 ff.; Zimmermann,Roman Law, Contemporary Law, European Law – The CivilianTradition today, 2001, S. 107 ff.103 Vgl. zur europäischen Identität Grossfeld, Rechtsvergleichung,2001, S. 24 f.104 Bedenken aus neuerer Zeit vor allem bei Weigend, ZStW105 (1993), 786 ff.; vgl. aber auch schon Geib (Fn. 23), S. 1f._____________________________________________________________________________________16<strong>ZIS</strong> 1/2006

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