Die Steintafel von Dagro (TI) - Comune di Malvaglia

Die Steintafel von Dagro (TI) - Comune di Malvaglia Die Steintafel von Dagro (TI) - Comune di Malvaglia

<strong>Die</strong> <strong>Steintafel</strong> <strong>von</strong> <strong>Dagro</strong> – G. Mazzucchelli, 2006 – Seite 2 <strong>von</strong> 11Vorwort<strong>Die</strong> Gesellschaft Pietra e Storia, mit Sitz in 6715 Dongio, willerreichen, dass <strong>di</strong>e Geschichte <strong>di</strong>eser <strong>Steintafel</strong> und der „Villa<strong>von</strong> <strong>Dagro</strong>“ weiter erforscht wird. Pietra e Storia wünscht sich,dass weitere Funde <strong>di</strong>eser Art Bräuche und Religion derfrüheren Bewohner des <strong>Malvaglia</strong>tals und der höheren TessinerTäler besser bekannt werden.Pietra e Storia unterstreicht hiermit, dass <strong>di</strong>ese <strong>Steintafel</strong> keinKultgegenstand darstellt, sondern ein astronomisches„Instrument“ im Sinne der Zeiteinteilung einer Zivilisationdarstellt.Ein Dank an Frau Mariella Becchio für viele Hinweise undRatschläge und an Herrn Sandro Scossa Baggi, Besitzer desGrundstückes in <strong>Dagro</strong> aus dem <strong>di</strong>e <strong>Steintafel</strong> ausgegrabenwurde. Ihm gebührt besonderen Dank für <strong>di</strong>e Rettung desFundstücks, das sonst unauffindbar verschwunden wäre. Wirmöchten hiermit den Wunsch <strong>von</strong> Herr Sandro Scossa Baggiweitergeben und unterstützen, dass <strong>di</strong>e <strong>Steintafel</strong> am Fundort,oder in dessen Nähe, aufgestellt wird.Einen herzlichen Dank an Frau Doris Gerber für <strong>di</strong>e wertvolleKorrektur des deutschen Textes.Gianni Mazzucchelli, 4467 Rothenfluh, 2005FundortDas Kastél, oder <strong>di</strong>e gekröpfte Pyramide <strong>von</strong> <strong>Dagro</strong>, 1420 m.ü.M.


<strong>Die</strong> <strong>Steintafel</strong> <strong>von</strong> <strong>Dagro</strong> – G. Mazzucchelli, 2006 – Seite 3 <strong>von</strong> 11<strong>Die</strong> <strong>Steintafel</strong> <strong>von</strong> <strong>Dagro</strong>: Antike AstronomieDer Kastél <strong>von</strong> <strong>Dagro</strong> oder <strong>di</strong>e „Piramide mozza“<strong>Malvaglia</strong> / <strong>Dagro</strong>Unterwegs zum Lukmanierpass, wenige Kilometer nördlich <strong>von</strong> Biasca, im Bleniotal,finden wir das Dorf <strong>Malvaglia</strong> am Eingang des gleichnamigen Tales. Bis im XXJahrhundert war das <strong>Malvaglia</strong>tal in fünf “Ville” (Weiler) aufgeteilt, <strong>di</strong>e das ganze Jahrhindurch bewohnt waren. <strong>Die</strong>se Weiler, Madra, Dandrio, Anzano, Chiavasco und<strong>Dagro</strong>, sind alle zwischen 1000 und 1400 m.ü.M. zu finden.<strong>Die</strong> “Villa” <strong>von</strong> <strong>Dagro</strong> weist noch sechs Holzbauten aus dem XIV Jahrhundert auf.Eine sehenswerte gekröpfte Pyramide, "piramide mozza" genannt oder “Kastél” 1 ,bietet dem Besucher eine erstaunliche Sicht über das Bleniotal.<strong>Die</strong> moderne Seilbahn <strong>Malvaglia</strong> - Monte <strong>Dagro</strong> ist das ganze Jahr in Betrieb undführt den Besucher in wenigen Minuten <strong>von</strong> 430 bis 1413 M.ü.M. Von dort aus gibt esmehrere Wandermöglichkeiten, in einer Landschaft reich an Geschichte undSehenswür<strong>di</strong>gkeiten.1 Kastél: Mundartliche Bezeichnung für „Schloss“, aber auch für pyramidenförmige Bauten. Z.B.: <strong>Die</strong>Achse eines Wasserrades ruht auf einem steinernen „Kastél“, mit dem dazugehörenden Lager.


<strong>Die</strong> <strong>Steintafel</strong> <strong>von</strong> <strong>Dagro</strong> – G. Mazzucchelli, 2006 – Seite 4 <strong>von</strong> 1114. März (2005): Der Mitternachtshimmel <strong>von</strong> <strong>Dagro</strong><strong>Die</strong> <strong>Steintafel</strong> <strong>von</strong> <strong>Dagro</strong> zeigt <strong>di</strong>e astronomischen Zeichen des Mitternachtshimmelsder Zeit Februar-März (Mondkalender: Adar-Nissan).WaageGrosser BärPolarsternPlejadenKonjunktion Neumond-Plejaden:Rabe Hydra Löwe Krebs Stier Orion3. -> 4. Nacht (Schlange)<strong>Die</strong> <strong>Dagro</strong>-Zeichen verglichen mit einer modernen Himmelskarte. <strong>Die</strong> Analogie isteindeutig.


<strong>Die</strong> <strong>Steintafel</strong> <strong>von</strong> <strong>Dagro</strong> – G. Mazzucchelli, 2006 – Seite 5 <strong>von</strong> 11<strong>Die</strong> <strong>Steintafel</strong> <strong>von</strong> <strong>Dagro</strong>: Astronomie eines uralten Neujahres<strong>Die</strong> <strong>Steintafel</strong> lag, in zwei Teile gebrochen, in unmittelbarer Nähe des “Kastél” oder der“Pyramide”. Nach Aussage des Besitzers des Grundstückes, Herr Sandro ScossaBaggi, in stehender Lage und unter einer meter<strong>di</strong>cken Erdschicht. Heute ist sie amRande eines Dorfwegleins zu finden. Leider nicht nach der ursprünglichen Orientierunggerichtet, d.h. mit der bebilderten Seite nach Norden, so dass das “Ablesen” desMitternachtshimmels nach dem Sinn des Erbauers wäre. Dazu sollte <strong>di</strong>e <strong>Steintafel</strong>unbe<strong>di</strong>ngt vom Regen und Frost geschützt werden.Mensch und Zeit<strong>Die</strong> Berechnung des Sonnen- und Mondjahres führte <strong>di</strong>e Menschheit zur genauenBetrachtung der Bewegungen <strong>von</strong> Sternen und Planeten, um Jahreszeiten, Daten,Festlichkeiten, Jahresanfangs- und –ende ausfin<strong>di</strong>g zu machen. Man wollte, so wieheute, <strong>di</strong>e Jahreszeit so genau wie möglich einteilen.Der gute Zustand der Oberfläche und der eingravierten Symbole ist deraufrechtstehenden Fundlage zu verdanken.<strong>Die</strong> Datierung muss anhand unterschiedlichster Kriterien durchgeführt werden, welche<strong>di</strong>e Gesamtheit der Darstellungen unbe<strong>di</strong>ngt berücksichtigen müssen.Der Mitternachtshimmel <strong>von</strong> <strong>Dagro</strong> am 14. März (2005)<strong>Die</strong> eingemeisselten Symbole stellen, <strong>von</strong> links nach rechts, folgendeHimmelkonstellationen dar: Waage, Rabe, Wasserschlange oder Hydra, Löwe, Krebs,Stier und Plejaden und Orion (der Himmelsjäger). <strong>Die</strong> Waagekonstellation, ganz linksund <strong>di</strong>e Orionkonstellation, ganz rechts, sowie das Paar Rabe-Schlange, bieten einegenaue Rekonstruktion des dazugehörenden Jahresdatums.Kalenderbestimmende Konjunktionen: Neumond-Plejaden ?<strong>Die</strong> sogenannten “Kreuze” sind als astronomischen Konjunktionen zu betrachten, da <strong>di</strong>eForm eher einem Vierblattklee ähnelt als einem Kreuz. “Der Neumond wird drei Tagelang überprüft”. <strong>Die</strong>se piemontesische Bauernregel entstand aus der alten Kunst derBeobachtung <strong>von</strong> Neumond und Plejaden nach dem metonischen Zyklus.Wem <strong>di</strong>ente <strong>di</strong>e <strong>Steintafel</strong> <strong>von</strong> <strong>Dagro</strong>?<strong>Die</strong> Kalendergeschichte und –evolution ist sehr komplex. <strong>Die</strong> Zusammenstellung derKonstellationen <strong>von</strong> <strong>Dagro</strong> wollte ein präzises Datum festlegen. <strong>Die</strong> Zeit zwischenFebruar und März ist zum Beispiel sehr wichtig für den jü<strong>di</strong>schen Kalender, der nur alle19 Jahre mit dem Sonnenkalender übereinstimmt. Da der Mondkalender ca. 10 Tagekürzer ist als der Sonnenkalender, muss man im Mondkalender, alle drei Jahre eineKorrektur <strong>von</strong> 29 Tagen vornehmen. <strong>Die</strong> Juden müssen somit den Monat Adar(zwischen Februar und März) 7 Mal, in der Zeitspanne <strong>von</strong> 19 Jahren, verdoppeln (AdarI = 30 Tage + Adar II = 29 Tage). Auch <strong>di</strong>e Babylonier verwendeten <strong>di</strong>e gleicheZeitrechnung. <strong>Die</strong> Anpassung durch Adar I und Adar II macht es möglich, dass <strong>di</strong>eFesttage <strong>von</strong> Pessach (Ostern) immer in den Frühling fallen.Unser Sonnenkalender sagt dazu, dass das Osterfest auf den Sonntag nach demVollmond des Frühlingsanfangs, oder der Tag- und Nachtgleiche vom 21. März,festzulegen ist.14. Adar, religiöses JahresendeAm 14. Adar (Februar-März) wird das Purimfest gefeiert (einen Monat vor Pessach,Ostern), in Jerusalem wird es am 15. Adar gefeiert. Purim erinnert an <strong>di</strong>e Vorgänge im5. Jahrhundert vor Christus, <strong>von</strong> denen das Buch Ester berichtet.


<strong>Die</strong> <strong>Steintafel</strong> <strong>von</strong> <strong>Dagro</strong> – G. Mazzucchelli, 2006 – Seite 6 <strong>von</strong> 11"Der Name Purim, leitet sich <strong>von</strong> dem Wort 'pur' (Plural Purim) ab, das 'Los' bedeutet(im Sinne <strong>von</strong> 'ein Los ziehen'), wegen der Lose <strong>di</strong>e Haman, 'Ministerpräsident' desKönigs Achaschwerosch [= Xerxes I, 486 - 465 v. Chr.] <strong>von</strong> Persien ziehen liess, umden Tag zu bestimmen, an dem <strong>di</strong>e Juden des Landes vernichtet werden sollten.Hamans Vorhaben wurde <strong>von</strong> der schönen Königin Ester und ihrem Vetter Mordechaivereitelt. Unter Einsatz ihres eigenen Lebens setzte sich Ester beim König für ihr Volkein, woraufhin Hamans Befehl scheiterte. So wurden <strong>di</strong>e persischen Juden nichtausgerottet, sondern Haman und seine Familie endeten am Galgen, den er selbst fürMordechai errichtet hatte. Da verwandelten sich 'ihre Schmerzen in Freude' und <strong>di</strong>eTage der Verzweiflung wurden zu Festtagen, an denen 'einer dem anderen Geschenkeund den Armen Gaben schickte' (Ester 9, 22)" [Kolatch, S. 317].14. Nissan: PessachMit dem Nissan (März-April) im Frühling beginnt das jü<strong>di</strong>sche religiöse Jahr, und <strong>di</strong>eserMonat hat nicht nur einen kalendarischen Vorrang vor den anderen: am 14. Nissanbeginnt das Pessachfest (Osternfest der Juden).Mordechai schrieb all <strong>di</strong>ese Ereignisse auf und schickte Briefrollen an alle Juden inallen Provinzen des Königs Achaschwerosch [Xerxes I.], <strong>di</strong>e in der Nähe und Fernewohnten. Er wollte ihnen als Satzung auferlegen, den 14. des Monats Adar und den 15.desselben Monats alljährlich zu feiern. Das waren <strong>di</strong>e Tage, an denen <strong>di</strong>e Juden <strong>von</strong>ihren Feinden Ruhe bekamen; das war der Monat, in dem sich ihre Betrübnis zurFreude und <strong>di</strong>e Trauer zu einem Festtag umgewandelt hatte. Sie sollten <strong>di</strong>ese Tage alsZeit fröhlicher Gelage, gegenseitigen Beschenkens und der Gabenspenden für <strong>di</strong>eArmen begehen.<strong>Die</strong> blauen Sterne, <strong>di</strong>e PlejadenDer Name der sieben Sterne kann vom ehervorgriechischen “peleiades”, "Taubenschar” kommen. <strong>Die</strong>Legende erzählt, dass Zeus <strong>di</strong>e Plejaden in Taubenverwandelte, so dass sie dem Himmelsjäger (Orion)entfliehen konnten. <strong>Die</strong> Tessiner Bauern nannten sie„gallinelle“ (kleine Hühner, Kücken), aber auch “Chioccia“(Glucke). Franzosen und Araber nannten sie ebenfallsHühner oder Kücken.Rabe und KelchNeben der Konstellation Rabe finden wir den Kelch (nicht dargestellt auf der <strong>Steintafel</strong><strong>von</strong> <strong>Dagro</strong>). Rabe, Kelch und Hydra (Wasserschlange) sind durch <strong>di</strong>e Mythologie engverbunden. <strong>Die</strong> Konstellationen waren bereits in der Zeit <strong>von</strong> Eudoxos <strong>von</strong> Knidos (408-355 v.Chr.) bekannt.<strong>Die</strong> Legende erzählt, dass der Rabe ein weisses Federkleid trug und vom Gott Apollobeauftragt wurde, Wasser in einem Kelch zu holen. Der Rabe unterhielt sich aber mitder Wasserschlange und vergass den durstigen Apollo. <strong>Die</strong>ser verdammte den Raben,für immer neben dem Kelch und der Schlange zu stehen, zudem trug er <strong>von</strong> da an einschwarzes Federkleid.


<strong>Die</strong> <strong>Steintafel</strong> <strong>von</strong> <strong>Dagro</strong> – G. Mazzucchelli, 2006 – Seite 7 <strong>von</strong> 11Rabe, Kelch und Wasserschlange. Das größte Sternbild erstreckt sich über mehr als 100° Grad,Teile da<strong>von</strong> sind auf der ganzen Erde zu sehen.1. Tischri: NeujahrDas religiöse Jahr der Juden beginnt mit dem Monat Nissan, obwohl der Jahreswechselam 1. Tischri (September-Oktober) erfolgt. <strong>Die</strong> Monate werden beginnend mit demNissan (März-April), dem ersten Monat, bis zum Adar (Februar-März), dem zwölftenMonat, gezählt. Adar (bzw. in Schaltjahren Adar sheni) gilt auf jeden Fall als letzterMonat des religiösen Jahres. <strong>Die</strong> beiden Monate Adar rishon und Adar sheni werdenauch als Adar I und Adar II bezeichnet.Das babylonische Jahr fing mit der Frühlingssonnenwende (21. März) an. <strong>Die</strong>sumerischen und babylonischen (akka<strong>di</strong>schen) Monatsnamen lauten: Der Kalender ausder babylonischen Zeit <strong>von</strong> König Seleukus (311 v.Chr.)Babylonisch--------------Jü<strong>di</strong>sch------------I März-April Nissannu Nissan Relig. JahresanfangII April-Mai Aiaru IjjarIII Mai-Juni Simanu SiwanIV Juni-Juli Duzu TammusV Juli-August Abu AwVI August-Seot. Ululu ElulVII Sep.-Oktober Tašritu Tischri Jü<strong>di</strong>schesNeujahrVIII Oktober-Nov. Arahsamna CheschwanIX Nov.-Dez. Kislimu KischlewX Dez.-Januar Tebetu TewetXI Januar-Febr. Šabatu ShewatXII Februar-März Adaru Adar I / Adar II


<strong>Die</strong> <strong>Steintafel</strong> <strong>von</strong> <strong>Dagro</strong> – G. Mazzucchelli, 2006 – Seite 8 <strong>von</strong> 11Von <strong>Dagro</strong> nach Babylonien<strong>Die</strong> <strong>Steintafel</strong> <strong>von</strong> <strong>Dagro</strong> trägt <strong>di</strong>e gleichen Symbole wie sie auf den babylonischenTontafel des Königs Seleukus (311 v.Chr.) zu sehen sind. Seleukus war der erste Königder Seleukidendynastie in Syrien. Er gründete Antiocha in Syrien und machte es zuseiner neuen Hauptstadt. Im Jahre 281 v. Chr. wurde Seleukus ermordet.1. Tontafel: <strong>Die</strong> Plejaden sind als 7-Sternegruppe dargestellt: Alcyone, Electra,Taygeta, Maia, Merope, Atlas, Pleione, dazu der Mond in menschlicher Gestalt.Ganz rechts ist der Stier dargestellt. <strong>Die</strong> Inschrift besteht aus keilförmigenSchriftzeichen, welche bis im Jahr 75 v. Chr. verwendet wurden.2. Tontafel: Der Rabe, der den Schwanz der Drachen-Schlange anstarrt oder pickt.3. Tontafel: <strong>Die</strong> Drachen-Schlange (Hydra) und der Löwe.1.2.3.


<strong>Die</strong> <strong>Steintafel</strong> <strong>von</strong> <strong>Dagro</strong> – G. Mazzucchelli, 2006 – Seite 9 <strong>von</strong> 11PlejadenOrion, Stier und Plejaden<strong>Die</strong> drei Sterne des Orionssind sehr einfach imNachthimmel zu finden. Siebilden den „Gurt“ desHimmelsjägers, der mit demPfeilbogen (rechts) nach denPlejaden (Tauben) zielt.Stier, Plejaden und OrionKalender, calendarioDas Wort Kalender ist aus römischen Zeiten überliefert und kommt <strong>von</strong> demgriechischen kaléo, was wörtlich übersetzt «ich rufe» bedeutet, ein Überbleibsel aus derZeit, als <strong>di</strong>e städtischen Ausrufer <strong>di</strong>e Anordnungen der Oberpriester verkündeten wannMarkttage zu veranstalten waren, oder den Beginn eines neuen Monats.<strong>Dagro</strong> und <strong>di</strong>e FeuersignaleDer jü<strong>di</strong>sche Monat begann, wenn ein neuer Mond als dünne Sichel unmittelbar nachSonnenuntergang zu sehen war. Unten: Bild aus dem Buch der Bräuche, Amsterdam1723. Zwei Jahresanfänge sind in Gebrauch, zum einem nach griechischmakedonischemVorbild im Herbst (Tischri =September), zum anderen nach babylonischorientalischemVorbild im Frühjahr (Nissanu = März).In der Antike wurde <strong>di</strong>e neue Mondsichel sofort demSanhedrin (Hohe Rat) gemeldet, der auf den Huegelnum <strong>di</strong>e Hauptstadt Feuer anzünden liess. DerSanhedrin war lange Zeit <strong>di</strong>e oberste jü<strong>di</strong>schepolitische Instanz und gleichzeitig das oberste Gericht.Der Name ist vom griechischen "Synhedrion"(Versammlung, Rat) abgeleitet.Sobald <strong>di</strong>ese Feuer <strong>von</strong> den Bewohnern der anderenStädte gesehen wurden, zündeten auch sie Feuer anund gaben <strong>di</strong>e Information des neuen Rosch


<strong>Die</strong> <strong>Steintafel</strong> <strong>von</strong> <strong>Dagro</strong> – G. Mazzucchelli, 2006 – Seite 10 <strong>von</strong> 11Chodesch weiter, bis zu den Juden in den entferntesten Gebieten, nach Babylonien und<strong>di</strong>e angrenzenden Länder. Als das Volk durch das Anzünden <strong>von</strong> falschen Signalen in<strong>di</strong>e Irre geführt wurde, war der Sanhedrin gezwungen, sich auf Boten zu verlassen, <strong>di</strong>ejedoch <strong>di</strong>e weit entfernten Gebiete nicht immer rechtzeitig erreichen konnten, um denrichtigen Tag mitzuteilen.<strong>Die</strong> <strong>Steintafel</strong> <strong>von</strong> <strong>Dagro</strong> bot somit <strong>di</strong>e Möglichkeit, <strong>di</strong>e Zeitperiode für das Bleniotalausfin<strong>di</strong>g zu machen.<strong>Die</strong> Heidenhäuser des Bleniotals<strong>Die</strong> Steinbauten, welche in den steilen Wänden des Bleniotales zu sehen sind, könntensowohl als Wachthäuser wie als Signalhäuser ge<strong>di</strong>ent haben. Man sollte <strong>di</strong>e optischeVerbindung zwischen <strong>di</strong>esen Heidenhäusern (Case dei Pagani) überprüfen.Eine Skitze <strong>von</strong> ArchitektEnrico Hartsuyker-Curiel,Locarno, 2000, zeigt <strong>di</strong>emögliche Verbindung zwischenden heute noch nachweisbarenHeidenhäusern (Case deipagani) des Bleniotales, auchSonnental (Valle del sole), aberauch Feuerlichttal (Valle deifuochi) genannt.Oli<strong>von</strong>eTorreMaroltaDongioCorzonesoStabbioMottoNa<strong>von</strong>e<strong>Dagro</strong>Semione<strong>Malvaglia</strong>BiascaSobald <strong>di</strong>ese Feuer <strong>von</strong> denBewohnern der anderen Städtegesehen wurden, zündetenauch sie Feuer an und gaben<strong>di</strong>e Information des neuenRosch Chodesch (Monatsanfang)weiter.


<strong>Die</strong> <strong>Steintafel</strong> <strong>von</strong> <strong>Dagro</strong> – G. Mazzucchelli, 2006 – Seite 11 <strong>von</strong> 11Schlussgedanken<strong>Die</strong> <strong>Steintafel</strong> <strong>von</strong> <strong>Dagro</strong> darf auf keinen Fall als „religiöse Darstellung“, sondern als„Festlegung eines Kalenderdatums“ angesehen werden. <strong>Die</strong> Wichtigkeit desZeitfensters der Frühlingssonnenwende (Tag- und Nachtgleiche) ist mehrfachmythologisch, historisch und religiös dokumentierbar. <strong>Die</strong> Tatsache, dass das Judentumkeinerlei astrologische Darstellungen kennt, lässt trotzdem <strong>di</strong>e Vermutung zu, dass <strong>di</strong>e<strong>Steintafel</strong> <strong>von</strong> <strong>Dagro</strong> zur Datierung des religiösen Jahresanfangs und für <strong>di</strong>eGleichstellung des Mondkalenders zum Sonnenkalender, ge<strong>di</strong>ent haben kann.<strong>Die</strong> Präzessionsbewegung der ErdeIn der Zeitspanne <strong>von</strong> ca. 26'000 Jahren vollzieht <strong>di</strong>e Achse unseres Planeten einekonische Rotation, Präzession genannt. In ca. 13'000 Jahren wird im heutigen WinterSommerzeit sein. Alle 2'200 Jahre verschiebt sich somit ein bestimmtes Datum um ca.1 Monat rückwärts, wobei <strong>di</strong>e heute definierten Solstitien (Winter- undSommersonnenwende) und <strong>di</strong>e Aequinoktien (Tag- und Nachtgleiche) immer imgleichen Sonnenjahrabschnitt stattfinden werden.Beispiel: Der Mitternachtshimmel vom 14. März 2005 zeigte das gleiche Bild wie der 14.Februar des Jahres 195 v.C. (2005 minus 2200 = -195) und der 14. Januar 2395 v.C.,da <strong>di</strong>e Präzessionsbewegung <strong>di</strong>e kalendarischen Daten verschiebt. <strong>Die</strong>Himmelserscheinungen verändern durch <strong>di</strong>e Präzessionsbewegung, nur ihre Elevation(Höhe über dem Horizont) gegenüber dem Horizont. In <strong>Dagro</strong> war zum Beispiel imJahre 4000 v.C. <strong>di</strong>e Konstellation „Crux“ sichtbar, <strong>di</strong>e heute nur im südlichen Teilunserer Erde erscheint.<strong>Dagro</strong>: Luogo <strong>di</strong> Barlotto (Hexenversammlung)Aus den Protokollen der grausamen Inquisitionszeit des Jahres 1627 ist zu entnehmen,dass <strong>di</strong>e Frau Dominica Poma <strong>von</strong> Anzano (<strong>Malvaglia</strong>tal) beschul<strong>di</strong>gt wurde densogenannten „Barlot“ oder <strong>di</strong>e Hexenversammlung in <strong>Dagro</strong> besucht zu haben.<strong>Die</strong> komplexe Etymologie des Wortes „Barlot“ aus dem altfranzösischen „…birlonjer,bar- ,ber-, bêrlonjî, birlanjer, birlocheu, berlondjî und ballotter : " (se) balancer…"wiedergibt <strong>di</strong>e wippende und herumwirbelnde Bewegung [ital. „prillare“, herumwirbeln,„oscillare“ wippen] der Shabbat-Tänzer, d.h. der damaligen jü<strong>di</strong>schen Bevölkerung,welche <strong>di</strong>e Samstagsfeierlichkeiten mit Gebet, Tanz und Gesang eröffneten. <strong>Die</strong>seTänze fanden ausserhalb des Dorfes statt, da <strong>di</strong>e Juden immer weniger geduldetwurden.Bereits erschienen bei Pietra e Storia:- 2003: Nuova interpretazione della pittografia rupestre. Fascicolo 1 e 2.- 2005: Il Miqweh <strong>di</strong> Dongio (Italiano).- 2005: <strong>Die</strong> Mikweh <strong>von</strong> Dongio (Deutsch).- 2005: Il lastrone <strong>di</strong> <strong>Dagro</strong> (italiano)- 2005: <strong>Die</strong> <strong>Steintafel</strong> <strong>von</strong> <strong>Dagro</strong> (Deutsch).- 2006: Chiese biabsidali.- 2006: Le primavere <strong>di</strong> <strong>Dagro</strong> e Nebra: Lüna növa, tri dì a la pröva, Il calendario lunare(Il lastrone <strong>di</strong> <strong>Dagro</strong> CH-<strong>TI</strong>, Nebra D, Rothenfluh CH-BL).- 2006: Il basilisco della Capriasca, la contessa Crassa: interpretazione storica.- 2006: Barlotto, tregenda, akelarre, sinagoga.- 2006: Pugnali remedelliani e Madonne addolorate.- 2006: Cognomi redenti: da Cagainarca a Vacca.

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