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hohenzollerische heimat w 3828 fx - Hohenzollerischer ...

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Wir fuhren die Friedrichstadt vorüber, ich hörte, daß da<br />

nur Juden wohnen. Das erschien mir als ein wahres Paradies.<br />

Keinem Spott und keinem Haß ausgesetzt, unter<br />

lauter Juden wohnen, wie herrlich muß das sein. Wir<br />

kehrten in der unteren Stadt beim Rößle ein und verzehrten<br />

die mitgebrachten Fleischspeisen. Wir gingen<br />

bald nach der oberen Stadt am Schlosse vorüber, wo eine<br />

Wache stand, auf der anderen Seite war ein unausgebauter<br />

Schloßflügel, dessen Fenster mit Brettern verstellt<br />

waren. Auch hier wurden wir im Vorübergehen begrüßt,<br />

an der Ecke wohnte der Kaufmann, dessen Frau eine<br />

Schwester von Samuel Roihschild in Nordstetten war.<br />

Und weiter stand auf den steinernen Stufen seines Hauses<br />

der Moses Neuwied, genannt Bacher, und grüßte meinen<br />

Vater als alten Freund und Verwandten, und da<br />

hörte ich, daß man die Frau des Reb Nate das Schmusgitele<br />

nannte.<br />

Wir gingen nach dem Beth-Hamidrasch, es liegt ganz<br />

abseits an der Straße und bildet eine Sackgasse, über der<br />

Tür war in Stein gehauen die Jahrzahl seiner Errichtung.<br />

Reb Nate war ein behaglicher kleiner Mann mit einem<br />

Spitzbart am Kinn, den er beständig durch die Hand<br />

zog. Er sprach nicht viel, desto mehr aber seine Frau,<br />

eine zierliche, bewegliche Erscheinung mit Eidechsenaugen.<br />

Ich hörte, daß mein Vater die Pensionsbedingungen<br />

noch nicht fest geordnet hatte, es wurde vorgehalten,<br />

daß ein Enkel des Kiefe von Baisingen viel höhere Pension<br />

bezahle, und mein Vater versprach noch halbjährlich<br />

zwei Malter Korn dreinzugeben.<br />

Ein Kalfaktor des Hauses, der eine Art Diener und religiöser<br />

Verehrer war, zeigte uns die Wohnung. Auf der<br />

Rückseite des Hauses war eine glasgedeckte Veranda, aus<br />

der man den fürstlichen Garten sah, es wurde aber sofort<br />

bemerkt, daß man den fürstlichen Garten nie betreten<br />

dürfe. Auf der Veranda stand ein Mann, über und<br />

über mit dem schmutzigen weißen Betmantel bedeckt,<br />

und sah uns blöde aus seinem verkümmerten, mit weißen<br />

Stoppeln bedeckten Gesichte an, nickte und betete weiter,<br />

indem er sich auf und nieder beugte. Der Kalfaktor<br />

erklärte uns, der Mann hieße Jule, sei ein Bruder des<br />

Reb Nate, ein furchtsamer, stiller Wahnsinniger, der niemand<br />

was zuleide tue, das ganze Jahr die Gebete des<br />

Versöhnungstags spreche und vom Morgen bis in die<br />

Nacht faste, nur manchmal gehe er aus, um in das Zahlenlotto<br />

zu setzen. Mir war angst und bange vor dem<br />

Mann, obgleich er sich nicht um uns kümmerte.<br />

Ich sah auch Mitschüler, besonders den vierschrötigen<br />

Maier Hilb von Haigerloch, er versprach meinem Bruder,<br />

ein Auge auf mich zu haben, und er hat es redlich<br />

gehalten, denn von all den guten Sachen, die mir meine<br />

Mutter später schickte, hat er den größten Teil verzehrt.<br />

Ich durfte noch bei den Meinigen im Rößle übernachten,<br />

und wir waren noch sehr munter. Mein Vater sang noch<br />

dem Lehrer und dem Bruder eine neue Melodie vor, die<br />

er am Laubhüttenfest setzen wolle. Diese Melodie ist mir<br />

für mein ganzes Leben zu einer besonderen Herzbewegung<br />

im Gedächtnis. Ich habe erst viel später erfahren,<br />

woher sie stammt. Sie war aus dem Duette aus Titus von<br />

Mozart auf die Worte gesetzt: Laß Glück und Schmerz<br />

uns teilen. Am Morgen beteten wir noch gemeinsam,<br />

nachdem wir die Gebetriemen angelegt hatten, und nach<br />

dem Frühstück, es gab hier ein wunderschönes Weißbrot,<br />

gingen wir gemeinsam nach der oberen Stadt, uns voran<br />

der Hausknecht, der meinen Koffer trug.<br />

Wir kamen in das Beth-Hamidrasch. Die alte Polakin,<br />

die im Erdgeschosse wohnte, begrüßte uns im Hausflur.<br />

Mein Bruder Maier schenkte ihr eine Gabe, wofür sie<br />

uns Glück und Segen wünschte. Wir gingen die Treppe<br />

hinan, und nun wurde mir mein Zimmer angewiesen, in<br />

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dem mein Bett stand. Ich saß auf meinem Koffer, während<br />

der Vater mit Bruder und Lehrer alles festmachten<br />

im anderen Zimmer mit dem Rabbi. Eine schöne Magd<br />

kam; sie sagte aber sofort, sie sei die Nichte des Rabbi,<br />

und fragte mich, ob ich auch Lesebücher in meinem Koffer<br />

habe, sie lese gerne Bücher, namentlich Romane. Ich<br />

wußte nicht, was Romane sind, und kannte nur Carl<br />

von Carlsberg über das menschliche Elend und den dritten<br />

Teil des Rinaldo Rinaldini, der im Dorfe kursierte.<br />

Mein Vater führte mich noch zu einem alten Kriegskameraden,<br />

der mit uns verwandt war. Ich hatte gehört,<br />

wie Bruder Maier Einspruch gegen diese Einführung erhob,<br />

er sprach dann leise und heftig, aber der Vater achtete<br />

nicht darauf. Von dem Manne wurde Wunderliches<br />

erzählt. Er hieß mit Namen Itzig Löb und bewohnte für<br />

sich allein das stattliche Eckhaus, wo er mehrere Dienstboten<br />

hielt und üppig lebte. Er lag den ganzen Tag auf<br />

einem türkischen Diwan, der aus lauter weichen Kissen<br />

bestand. Er trug einen goldgelben seidenen Schlafrock<br />

und dazu rote Saffianstiefel. Da lag er auf dem Diwan<br />

und las den ganzen Tag Romane. Neben dem Diwan<br />

hatte er eine große Fuhrmannspeitsche, die er von Zeit<br />

zu Zeit in die Hand nahm und damit knallte. Wenn die<br />

Herde am Abend in die Stadt zurückkehrte, legte er sich<br />

mit einer noch längeren Peitsche unter das Fenster und<br />

gab jedem vorübergehenden einen Schmitz. Dann ging er<br />

schön gekleidet nach dem Museum vor dem Tor der oberen<br />

Stadt, kegelte dort im Sommer mit den Honoratioren,<br />

wozu auch der Fürst gehörte. Im Winter spielte er<br />

mit derselben Gesellschaft Whist, bis ihn die Magd, ein<br />

schönes großes Mädchen, die Tochter des Hirten, abrief.<br />

Sie trug ihm eine breite Laterne voran, in der drei Lichter<br />

brannten. Man fabelte geheimnisvoll von den großen<br />

und verborgenen Reichtümern des Mannes. Er hatte eine<br />

einzige Tochter, die an den einzigen in Donaueschingen<br />

lebenden Juden verheiratet war.<br />

Itzig Löb hatte gar keine Gemeinschaft mit den Juden in<br />

Hechingen. Er besuchte nie eine Synagoge, und das einzige,<br />

woran man erkannte, daß er noch ein Jude war,<br />

abgesehen von seiner koscheren Wirtschaft, bestand darin,<br />

daß er am Versöhnungstage sich nicht am Fenster sehen<br />

ließ. Jeden Tag, so erzählte man mit einem gewissen<br />

Schauder, jeden Tag ging Itzig Löb in eine neben seinem<br />

Speisezimmer befindliche dunkle Kammer; dort wurde<br />

nie ein Fensterladen aufgemacht und nie durfte ein<br />

Dienstbote in das geheimnisvolle Gemach eintreten, so<br />

daß niemals drin gescheuert oder geputzt wurde.<br />

Ich hatte von allem diesem schon im Dorfe gehört, und<br />

als wir in das Haus eintraten, war mir's umsomehr, als<br />

käme ich leibhaftig in ein Märchen, da uns eine kleine,<br />

bucklige, weißhaarige Frau im Flur begrüßte und uns bei<br />

Namen nannte. Es war aber keine Zaubergestalt, sondern<br />

das Minkele von Mühringen, das selbstverständlich<br />

auch weitläufig mit uns verwandt war, früher bei uns<br />

gedient hatte und jetzt Köchin bei Itzig Löb war. Wir<br />

kamen in den großen Ecksaal im ersten Stock. Da lag<br />

der Vielgenannte im goldgelben Schlafrock auf dem<br />

Sofa. Vor ihm saß in einem Lehnstuhl eine üppige Frauengestalt.<br />

Er sagte ihr: Du kannst jetzt gehen. Sie ging<br />

ohne weiteres fort. Itzig Löb richtete sich auf, reichte<br />

meinem Vater die Hand, dann nahm er die Peitsche und<br />

knallte leise damit, während er mit meinem Vater<br />

Kriegserinnerungen austauschte, die ich nicht verstand.<br />

Als mein Vater mich ihm empfahl, sagte er: Du kannst<br />

jeden Freitag Abend bei mir essen; komm gleich heute.<br />

Kannst du auch so schön singen, wie dein Vater? Mein<br />

Vater bejahte für mich. Itzig Löb wollte nun, daß ich<br />

ihm gleich singe; aber mir war so bange, als wäre ich<br />

vom Elternhause verstoßen, in die weite Welt hinausge-

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