hohenzollerische heimat w 3828 fx - Hohenzollerischer ...
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HOHENZOLLERISCHE<br />
HEIMAT<br />
Zustand des Fürst-Carl-Landesspitals im Jahr 1897<br />
Hcrauogcgcbcn oom<br />
W <strong>3828</strong> FX<br />
Hohcnzollcrifchcn Gcfchlchteocrcln<br />
29. Jahrgang Nr. t/ Mär: 1979<br />
Hauptgebäude, begonnen 1844. Rechts angebaut der Josefsbau, dahinter die »Engelsburg', rechts unten im Garten »Maria-<br />
Hilftr. Links vom Hauptgebäude St. Johann, oben dasVinzentius-Haus. (Bild a. d. Festschrift 1897)<br />
JOSEF MÜHLEBACH<br />
Zur Geschichte des FürsivCarl^Landeskrankenhauses Sigmaringen<br />
Doctor Franz Xaver Mezler, Fürstlich Hohenzollern-<br />
Sigmaringenscher Geheimer Medizinalrat, Leibarzt des<br />
Fürsten und Mitglied mehrerer Gelehrtengesellschaften,<br />
beleuchtet in seiner Schrift »Versuch einer medizinischen<br />
Topographie der Stadt Sigmaringen« (1822) die Mängel<br />
und Unzulänglichkeiten im Gesundheitswesen und in der<br />
ärztlichen Versorgung der Kranken der Stadt Sigmaringen.<br />
Was Mezler für die Stadt Sigmaringen aussagte,<br />
galt in gleicher Weise für den ganzen Bereich des Fürstentums<br />
Hohenzollern-Sigmaringen mit der damals<br />
zu Sigmaringen gehörenden Herrschaft Haigerloch. Hier<br />
stellt sich gleich die Frage, wie war die Entwicklung der<br />
Verhältnisse im Gesundheitswesen in früheren Jahrhunderten,<br />
wie haben sich das Gesundheitswesen und die<br />
Fürsorge für die Kranken und Unfallverletzten in Stadt<br />
und Land seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts weiter<br />
entwickelt.<br />
Das Gesundheitswesen in Sigmaringen<br />
vor der Gründung des Landesspitals<br />
Am Anfang des Gesundheitswesens für den Bereich der<br />
Stadt Sigmaringen standen die klösterlichen Niederlassungen<br />
Gorheim, Hedingen, Inzigkofen, Laiz. Diese Einrichtungen<br />
haben sich sicher, wie gleichartige Gründungen<br />
anderwärts auch, um Hilfeleistungen für Kranke<br />
durch Anwendung von Heilkräutern bemüht. Damit war<br />
der Ansatz zur Kranken- und Siechenpflege gegeben.<br />
Das Seelbuch der Beginenklause Gorheim vom Jahre<br />
1350 - die Klause bestand seit 1303 - gibt uns Kunde<br />
von dem Bestehen eines Siechenhauses bei Gorheim. 1426<br />
wird erstmals für Sigmaringen das Spital erwähnt. Das<br />
Spital war aber kein Krankenhaus im heutigen Sinn,<br />
vielmehr ein Pfründnerhaus, in dem zunächst ärmere,<br />
dann aber auch wohlhabendere Personen ihren Lebens-
abend verbringen konnten. Dieses Spital stand neben<br />
dem Mühltor, das Hedinger oder Untere Tor genannt,<br />
also in der Nähe des Ow'schen Hauses Schwabstraße 1.<br />
Graf Karl von Zollern-Sigmaringen verlegte gegen<br />
Ende des 16. Jahrhunderts das Spital wegen Unzulänglichkeit<br />
in das aufgehobene Dominikanerinnen-Kloster<br />
Hedingen. Als 1624 das Klostergebäude den Franziskanern<br />
zur Verfügung gestellt wurde, erwarb die Stadt das<br />
alte Pfarrhaus, das heutige Haus Gauggel-Niklas an der<br />
Fürst-Wilhelm-Straße 24 im Innern der Stadt, als neue<br />
Heimstätte des Spitals. Das Haus war jedoch so stark reparaturbedürftig<br />
und baufällig, daß sich eine Instandsetzung,<br />
die sich sehr bald als dringend notwendig herausgestellt<br />
hat, der hohen Kosten wegen nicht durchführen<br />
ließ. Die Stadt erwarb dann 1717 im Tauschweg das<br />
Haus der Apollonia Hafnerin in der Vorstadt Nr. 18 und<br />
richtete dort das Spital ein. Mit der Zeit wurde das<br />
Haus so ausgebaut, daß Einzelzimmer eingerichtet wurden<br />
und kranke Dienstboten und fremde Personen aufgenommen<br />
werden konnten. So wurde aus dem Pfründnerheim<br />
ein Pflegehaus für kranke Dienstboten und Herberge<br />
für Durchreisende. Als nach einiger Zeit auch dieses<br />
Haus wegen wachsender Bedürfnisse zu klein und zu<br />
beengt war, erwarb die Stadt im Jahre 1832 das Areal<br />
außerhalb der Stadt in den sog. Frühmeßgärten für ein<br />
städtisches Spital. Das auf dem Platz erstellte neue Gebäude,<br />
heute Brenzkoferstraße 1, konnte 1834 belegt<br />
werden. Eine Zeitlang diente das Haus als Spital, von<br />
1860-1870 als Lehrer-Präparandenanstalt, anschließend<br />
als Wohnung für Dienstkräfte der Regierung und andere<br />
Privatpersonen.<br />
Diese kurze Schau auf die geschichtliche Entwicklung<br />
des städtischen Spitals läßt leicht erkennen, daß für die<br />
Kranken der Stadt und des Umlandes völlig unzulänglich<br />
gesorgt war. Wohl war für das Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen<br />
ein öffentlicher Gesundheitsdienst<br />
eingerichtet. Zu seinen Aufgaben gehörte die Zulassung<br />
und Bestallung von Ärzten und Naturheilkundigen, die<br />
Überwachung des Arzneimittelwesens, hier im besonderen<br />
die Lizenz von Apotheken, dann die Überwachung<br />
des Verkehrs mit Heilmitteln und Giften und das Hebammenwesen.<br />
An der Spitze des gesamten öffentlichen<br />
Gesundheitsdienstes im Fürstentum stand der Medizinalrat<br />
oder Medizinalreferent der Landesregierung. Es<br />
gab auch den Oberamtswundarzt, die Wundärzte und<br />
den Bader. Letzterer ließ zur Ader und setzte Schröpfköpfe<br />
an. Er übte einfache Wundbehandlung, schnitt<br />
auch die Haare und durfte Zähne ziehen. Diese Skizzierung<br />
kann die Medizinalverhältnisse des Fürstentums nur<br />
andeuten, viel weniger beschreiben.<br />
Die Gründung der Stiftung »Landesspital« Sigmaringen<br />
Die bis dahin unzulänglichen Verhältnisse im Gesundheitswesen<br />
und in der Versorgung der Kranken nahm<br />
das Fürstliche Haus zum Anlaß, hier durch eine großzügige<br />
Tat Abhilfe und Besserung zu schaffen. Der erste<br />
Schritt zur Behebung der Mängel war, daß Erbprinz<br />
Carl von Hohenzollern Sigmaringen am 20. Februar<br />
1828 ein Kapital von 10 000 Gulden für die Erstellung<br />
eines allgemeinen Krankenhauses gestiftet hat. Fürst Anton<br />
Alois, der Vater des Stifters, hat den so gegründeten<br />
Spitalfond am 29. März des gleichen Jahres eine weitere<br />
Kapitalsumme von 20 000 Gulden zugewendet und dabei<br />
bestimmt, daß der Landesspitalstiftung der Genuß der<br />
Vorrechte milder Stiftungen zukommen soll. Unter Festlegung<br />
weiterer Einzelheiten wurde durch die Fürstliche<br />
Verordnung vom 29. März 1828 als Zweck der Stiftung<br />
bestimmt:<br />
2<br />
a Die Aufnahme gefährlicher und heilbarer Irrer, da die<br />
Irrenanstalt in Hornstein aufhören und mit dem Landesspital<br />
vereint werden wird,<br />
b Die Aufnahme von ekelhaften und ansteckenden<br />
Kranken, deren Unterbringung in den Ortschaften<br />
oder ihren Familien nach der Natur des Lebens nicht<br />
oder nur mit größten Belästigungen stattfinden kann,<br />
c Die Aufnahme von armen Kranken, welche sich beschwerlichen<br />
Operationen unterziehen müssen,<br />
d Die Aufnahme fremder Kranken, welche nicht sogleich<br />
in ihr Heimwesen zurückzubringen, sondern auf<br />
Kosten der Gemeinde oder Stiftungen zu verpflegen<br />
sind.<br />
Man muß sich hier daran erinnern, daß damals Geisteskranke<br />
in der Regel in einer das Entweichen verhindernden<br />
Weise untergebracht wurden. Im Fürstentum Hohenzollern-Sigmaringen<br />
diente zu diesem Zweck die<br />
Strafanstalt Hornstein.<br />
Das Stiftungskapital konnte im Laufe der nächsten Jahre<br />
durch weitere Zuwendungen des Fürstenhauses, von<br />
Gemeinden, Pfarrämtern und Privatpersonen soweit aufgestockt<br />
werden, daß schon mit der Erstellung des<br />
Hauptgebäudes im Jahre 1844 begonnen werden konnte.<br />
Der Baustil, vor allem die Vorderfront entsprach dem<br />
Typ der um die Mitte des vorigen Jahrhunderts erstellten<br />
Krankenanstalten. 1847 konnte das Gebäude in Betrieb<br />
genommen werden. Erbauer war Baumeister Krämer<br />
aus Würzburg. Die Stiftung hatte folgende Benennungen:<br />
1847 Landesspital, 1857 Fürst-Carl-Landesspital, 1928<br />
Landeskrankenhaus (Fürst-Carl-Landesspital), 1936<br />
Fürst-Carl-Landeskrankenhaus. Die Verwaltung lag ursprünglich<br />
bei der Fürstlich-Hohenzollernschen Landesregierung,<br />
ab 1850 bei der Königlich Preußischen Regierung<br />
Sigmaringen, ab 1875 beim Landeskommunalverband<br />
der Hohenzollerischen Lande, ab 1963 beim Landkreis<br />
Sigmaringen.<br />
Die organisatorische und bauliche Entwicklung von 1850<br />
bis zum Ersten Weltkrieg<br />
Schon im Herbst 1852 wurde durch Verordnung der Königlich-Preußischen<br />
Regierung im Landesspital eine Hebammenlehranstalt<br />
gegründet. Die Unterrichtskurse für<br />
die Hebammenschülerinnen fanden jeweils in der Zeit<br />
vom 1. November bis Ende März des folgenden Jahres<br />
statt. Frauen, die sich in dieser Zeit zur Entbindung ins<br />
Spital aufnehmen ließen, fanden unentgeltliche Aufnahme.<br />
Die Hebammenschule bestand bis März 1865. Auf<br />
Grund einer Verordnung der Regierung mußte von da<br />
an die Ausbildung der Hebammen aus Hohenzollern an<br />
der Hebammenschule in Stuttgart erfolgen. Dagegen<br />
wurde im gleichen Jahr eine Lehranstalt für Mädchen<br />
eingerichtet, die gegen eine ganz geringe Vergütung im<br />
Kochen und in den Hausarbeiten gründlich ausgebildet<br />
wurden. Die Mädchen konnten sich auch auf Wunsch in<br />
der Krankenpflege ausbilden lassen.<br />
Schon nach einem Jahrzehnt des Bestehens des Spitals ergab<br />
sich wegen der sich langsam steigernden Belegung die<br />
Notwendigkeit, durch zusätzliche Bauten der Raumnot<br />
abzuhelfen und Unterkunft und Einrichtungen vor allem<br />
für Geisteskranke entsprechend den neuen Bedürfnissen<br />
zu schaffen. So wurden von 1857 an folgende Einzelgebäude<br />
erstellt:<br />
1857 das Isoliergebäude für unruhige Männer, das<br />
sogenannte Rote Haus, später umbenannt in<br />
»St. Johann«, erweitert 1897<br />
1868/69 das Josefshaus, erweitert 1876<br />
1888/89 die Engelsburg als Einzelgebäude für unruhige<br />
Frauen.
1895/96 das Vinzentiushaus als Isoliergebäude für ruhige<br />
geisteskranke Männer.<br />
1896 das chirurgische Nebengebäude (Chirurgische<br />
Baracke), seit 1931 Kinderabteilung Maria<br />
Hilf.<br />
1901/02 das Wirtschaftsgebäude mit Kochküche, Backküche,<br />
Heizräumen und Desinfektionsraum.<br />
1906/07 das Annahaus als Isoliergebäude für ruhige<br />
geisteskranke Frauen.<br />
1906/07 das Einzelgebäude St. Anton für Infektionskranke.<br />
Die Entwicklung der Chirurgie<br />
Aus dieser Obersicht über die bauliche Entwicklung läßt<br />
sich leicht ablesen, daß bis in die Zeit vor dem Ersten<br />
Weltkrieg im Landesspital der Unterbringung und Pflege<br />
der Geisteskranken besonderes Gewicht zukam. Die Chirurgie<br />
mußte sich ihren Weg zur vollen Entfaltung recht<br />
mühsam erkämpfen. Noch in der Festschrift »Zur Jubelfeier<br />
des Fürst-Karl-Landesspitals 1847-1897 in Sigmaringen«<br />
hat der damalige ärztliche Direktor Dr. Alfons<br />
Bilharz eine Arbeit »Ober die Natur und die Entstehung<br />
der Geisteskrankheiten« veröffentlicht, die in der ärztlichen<br />
Welt große Beachtung und hohe Anerkennung gefunden<br />
hat, die aber auch den damaligen Vorrang der<br />
Psychiatrie vor der Chirurgie im Landesspital dokumentierte.<br />
Nun aber war die Zeit gekommen, in der die Chirurgie<br />
erfolgreich vorwärts drängte und sich im Gesundheitswesen<br />
einen gleichwertigen Platz eroberte. Ein erstes<br />
deutliches Zeichen für diese Entwicklung war, daß 1896<br />
die Chirurgische Baracke erstellt wurde. Hier zeigt sich<br />
beispielhaft, wie grundlegend sich die ärztlichen Behandlungsmethoden<br />
in diesem Zeitraum geändert und verbessert<br />
haben.<br />
Durch Verordnung der Fürstlich Hohenzollernschen<br />
Landesregierung vom 5. Mai 1847 wurde der jeweilige<br />
Physikus der Landesregierung zum ärztlichen Direktor<br />
des Spitals und gleichzeitig zum Leiter der »Chirurgischen<br />
Abteilung« bestellt, während diese dem Oberamtswundarzt<br />
übertragen wurde. Diese Ärzte hatten laut Beschluß<br />
der Geheimen Konferenz der Fürstlichen Regierung<br />
vom 14. Mai 1847 ihre Tätigkeit unentgeltlich auszuüben.<br />
Chirurgische Eingriffe wurden schon von der<br />
Eröffnung der Anstalt an ausgeführt, doch hatten diese<br />
mit der Tätigkeit eines modernen Chirurgen noch wenig<br />
zu tun.<br />
Die Sterblichkeit nach Operationen war damals noch erschreckend<br />
hoch, und es war auch an großen Kliniken<br />
keine Seltenheit, daß von zehn Amputierten neun starben.<br />
Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß die Tätigkeit<br />
der Wundärzte damals nicht in hohem Ansehen<br />
stand. Drei Fertigkeiten fehlten ihnen, die heute als<br />
selbstverständlich angenommen werden: die Kunst,<br />
schmerzlos zu operieren, die Kunst, die Blutung zu beherrschen<br />
und die Kunst, die Wundeiterung zu verhindern.<br />
Erst in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts<br />
hat die ärztliche Wissenschaft diese Probleme gelöst.<br />
So finden wir auch in der Geschichte des ersten halben<br />
Jahrhunderts des Fürst-Carl-Landesspitals nur ganz vereinzelte<br />
Hinweise auf chirurgische Tätigkeit, und auch<br />
vom Oberamtswundarzt ist später nicht mehr die Rede.<br />
Im Jahr 1880 wird als besonderes Ereignis die erfolgreiche<br />
Amputation eines Oberschenkels erwähnt. Die Tatsache<br />
aber, daß, wie bereits oben angeführt, im Jahr 1896<br />
die so genannte Chirurgische Baracke erbaut wurde, beweist,<br />
daß auch der damalige ärztliche Direktor, Geheimer<br />
Sanitätsrat Dr. Alfons Bilharz, der sich sehr der<br />
Psychiatrie verbunden fühlte, die Fortschritte der chirur-<br />
gischen Forschung mit Interesse verfolgte. Die Einrichtung<br />
dieses Baues schaffte die Möglichkeit, die Erkenntnisse<br />
der Asepsis und Antisepsis zu verwerten. Zu einer<br />
chirurgischen Tätigkeit auf breiterer Basis kam es jedoch<br />
zunächst noch nicht. Das lag wohl daran, daß das<br />
Hauptinteresse der damaligen Anstaltsleiter mehr auf<br />
dem Gebiet der Geisteskrankheiten und der inneren Medizin<br />
lag und daß es bei dem damals bestehenden Ärztemangel<br />
nicht gelang, einen entsprechend vorgebildeten<br />
Assistenzarzt zu bekommen.<br />
1914-1918 war das Landesspital wie auch im Zweiten<br />
Weltkrieg Reservelazarett. 1915 begann Dr. Friedrich<br />
End seine Tätigkeit als Arzt im Krankenhaus. 1919 wurde<br />
er zum ärztlichen Direktor bestellt. Mit ihm übernahm<br />
erstmals ein Chirurg die Direktion der Anstalt.<br />
Jetzt erst hielt eigentlich die Chirurgie ihren Einzug. Im<br />
Jahr 1920 wurden schon 70 Operationen ausgeführt.<br />
Diese Zahl wurde auch in den nächsten Jahren erreicht,<br />
eine Leistung, die nur dann richtig gewertet werden<br />
kann, wenn man bedenkt, daß der damalige Anstaltsleiter<br />
außerdem die Betreuung der Geisteskranken, der innern<br />
Kranken und der Pfründner oblag.<br />
Der Aushau 1929/1939<br />
Die von Dr. Friedrich End eingeleitete Entwicklung auf<br />
dem Gebiet der Chirurgie fand im Krankenhaus erfolgreiche<br />
Fortsetzung, als Dr. Hermann Lieb 1942 als<br />
Nachfolger von Dr. End zum ärztlichen Direktor berufen<br />
und bald darauf als Facharzt für Chirurgie anerkannt<br />
wurde. Den großen Schritt nach vorn brachte<br />
dann der Umbau des Hauptgebäudes 1929/1930. Er war<br />
den damaligen Verhältnissen entsprechend sehr großzügig<br />
und sehr fortschrittlich. Durch die Verlegung der<br />
Pfründner in das 1928 vom Landkreis Sigmaringen neu<br />
erstellte Altersheim in Gammertingen, heute Kreisaltersheim,<br />
wurde für eigentliche Krankenhauszwecke viel<br />
Raum gewonnen. Mit dem Ausbau des Hauptgebäudes<br />
wurden die Erstellung eines Verbindungsbaues zum Josefshaus<br />
und der Umbau des Josefshauses verbunden. Im<br />
Zuge dieser Baumaßnahme sind neue Operationsräume,<br />
ein Röntgenraum und eine Frauenabteilung mit Entbindungsraum<br />
eingerichtet worden. Gleichzeitig schuf man<br />
neue Räume für die Ambulanz und im Kellergeschoß<br />
Therapie- und Baderäume. Auch das Wirtschaftsgebäude<br />
fand bei diesen Baumaßnahmen, in die auch die Erstellung<br />
einer neuen Heizanlage einbezogen wurde, eine<br />
zweckmäßige Neugestaltung.<br />
Ausweitung des ärztlichen Aufgabenbereiches<br />
Die Schau auf die Entwicklung des gesamtärztlichen Bereiches<br />
kann sich nicht auf die Entwicklung der Chirurgie<br />
beschränken. Gerechterweise muß diese Schau auf<br />
andere Gebiete der Medizin ausgeweitet werden. Die zunehmenden<br />
Verkehrsunfälle nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
machten neue spezifische Behandlungsmethoden<br />
notwendig. Erkrankungen des Magens, der Leber, der<br />
Gallenblase, des Darmes und der Harnorgane stellten<br />
den Arzt täglich vor Fragen, die über Leben und Tod<br />
entschieden. Schon in der Diagnosestellung haben sich<br />
verfeinerte Methoden entwickelt, die auf allen Gebieten<br />
der Medizin zu einer Spezialisierung der Behandlungsmethoden<br />
führten. Die Zeit war gekommen, in der verschiedene<br />
Fachabteilungen eingerichtet werden mußten.<br />
Am Anfang dieser Entwicklung stand, nachdem ein<br />
Facharzt für Chirurgie bestellt war, die Anstellung eines<br />
Facharztes für Psychiatrie für die Nervenabteilung, die<br />
erstmals 1932 mit Dr. med. Hans Hüetlin einen fachärztlichen<br />
Leiter erhielt. Es folgte die Einrichtung der<br />
inneren Abteilung, deren Leitung 1946 dem Facharzt für<br />
3
innere Krankheiten, Dr. med. habil. Hans Robbers, übertragen<br />
wurde. Der Nachfolger von Dr. Hermann Lieb<br />
als ärztlicher Direktor war wieder ein Facharzt für Chirurgie,<br />
Dr. med. Rudolf Eisele (1965-1976).<br />
In die Chronik des Krankenhauses ist auch ein recht betrübliches<br />
und düsteres Ereignis, das vor allem die Nervenabteilung<br />
betroffen hat, eingegangen: Am 12. Dezember<br />
1940 und an einem Märztag 1941 sind von einer<br />
nationalsozialistischen Organisation unter dem ominösen<br />
Stichwort »Euthanasie« annähernd 80-100 sogenannte<br />
unheilbare Geisteskranke nach Grafeneck und Weinsberg<br />
verlegt worden.<br />
Der Schwesterndienst und die Krankenpflegeschule<br />
Schon 1847 ist von der Fürstlich-Hohenzollernschen<br />
Landesregierung und dem Mutterhaus der Kongregation<br />
der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vinzenz von<br />
Paul in Straßburg ein Vertrag abgeschlossen worden,<br />
nach dem die Kongegration dem Landesspital drei<br />
Schwestern für den Krankenpflegedienst und die Hauswirtschaft<br />
zur Verfügung stehen. Schon bald nach der<br />
Eröffnung des Spitals hat sich ein verstärkter Bedarf an<br />
Schwestern ergeben. Nach entsprechenden Änderungen<br />
des Vertrages waren es 1854 fünf Schwestern, 1897 siebzehn<br />
und später bis zu 40 Schwestern, die von der Kongregation<br />
im Landesspital eingesetzt wurden. Später trat<br />
an die Stelle des letzten Vertrags im Jahre 1859 ein solcher<br />
mit dem Mutterhaus in Heppenheim an der Bergstraße<br />
von 1927. Das Mutterhaus in Heppenheim ist,<br />
nachdem Straßburg - mit Elsaß-Lothringen - nach<br />
dem Ersten Weltkrieg französisch wurde, 1927 für das<br />
deutsche Gebiet der Kongregation neu errichtet worden.<br />
Nach dem alten wie nach dem neuen Vertrag wurden<br />
die Pflegedienste wie die Arbeiten in der Hauswirtschaft<br />
überwiegend von den Kongregationsschwestern besorgt.<br />
Einige Zeit später gelang es den Organen des Landeskommunalverbandes<br />
und des Landeskrankenhauses -<br />
unter Abwendung der Gefahr der Zuweisung sogenannter<br />
Brauner Schwestern - im Oktober 1938 Schwestern<br />
vom Deutschen Roten Kreuz, Mutterhaus Stuttgart, für<br />
das Krankenhaus zu gewinnen. Als nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg der Schwesternnachwuchs auch beim Roten<br />
Kreuz zurückging wurden die Lücken im Pflegedienst<br />
mit freien Schwestern und mit männlichen Pflegekräften<br />
- von diesen letzteren waren schon immer<br />
Hilfskräfte vorhanden - ausgefüllt. Eine Erleichterung<br />
in der Gewinnung von Pflegekräften brachte die 1938<br />
mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde errichtete Krankenpflegeschule.<br />
Nach erfolgreichem dreijährigen Besuch<br />
der Krankenpflegeschule und nach Ablegung der Abschlußprüfung<br />
entschlossen sich doch immer wieder Absolventen<br />
der Schule, als Pflegekräfte im Landeskrankenhaus<br />
zu bleiben.<br />
Mit der Eröffnung des neuen Kreiskrankenhauses im Februar<br />
1979 hat der Einsatz der Kongregationsschwestern<br />
ganz aufgehört. Gerade die selbstlose, opfervolle und unermüdliche<br />
Tätigkeit dieser Schwestern vom frühen<br />
Morgen bis späten Abend oft ein ganzes Leben lang sichert<br />
ihnen die Dankbarkeit unzähliger Patienten.<br />
Die ärztlichen Direktoren<br />
Im Verlauf der 130jährigen Geschichte des Landeskrankenhauses<br />
ist dieses Bild im wesentlichen von den jeweiligen<br />
ärztlichen Direktoren geformt und geprägt worden.<br />
Gerade die Schau auf die Reihe der Direktoren bietet<br />
wertvolle Erkenntnisse über die Entwicklung der Anstalt.<br />
Als ärztliche Direktoren haben seit dem Bestehen<br />
der Anstalt gewirkt:<br />
Dr. Franz Xaver Alt, Physikus, 1847-1850<br />
4<br />
Dr. Heinrich Rappold, prakt. Arzt und Sanitätsrat,<br />
1851-1856<br />
Dr. Oskar Schwarz, Medizinalrat, 1856 bis 1870<br />
Dr. Karl Friedrich von Massenbach, Regierungs- und<br />
Medizinalrat, 1871 bis 1879<br />
Dr. Theodor Hafner, praktischer Arzt, 1879 bis 1882<br />
Schanz, Oberamtsphysikus, vertretungsweise ärztlicher<br />
Direktor 1882<br />
Dr. Alfons Bilharz, praktischer Arzt, »Arzt und Philosoph«,<br />
1882 bis 1907<br />
Dr. Johannes Longard, Gerichtsarzt a. D., praktischer<br />
Arzt, 1907 bis 1914<br />
Dr. Friedrich End, praktischer Arzt, 1914 bis 1942<br />
Dr. Hermann Lieb, Facharzt für Chirurgie, 1943 bis<br />
1963, von 1945 bis 1948 vertreten von Dr. med. Hans<br />
Hüetlin<br />
Dr. med. habil. Hans Robbers, Facharzt für innere<br />
Krankheiten, 1963 bis 1965<br />
Dr. med. Rudolf Eisele, Facharzt für Chirurgie, 1965 bis<br />
Ende März 1976<br />
Dr. Gebhard Amann, Facharzt für innere Krankheiten,<br />
ab 1976 kommissarischer, ab Februar 1979 endgültig<br />
ärztlicher Direktor<br />
Der letzte Abschnitt der Ära<br />
»Fürst-Carl-Landeskrankenhaus«<br />
Einige vergleichende Angaben über den Stand des Landeskrankenhauses<br />
am Ende des vorstehend dargelegten<br />
Zeitraumes mögen das geschichtliche Bild der Anstalt ergänzen<br />
und den übergroßen Fortschritt von 1847-1979<br />
aufzeigen. Schon oben ist ausgeführt, daß in den ersten<br />
Jahren des Bestehens das Krankenhauses der ärztliche<br />
Dienst von den Medizinalbeamten der Regierung unentgeltlich<br />
wahrgenommen werden mußte. Zwar folgte bald<br />
der hauptamtliche Direktor, doch war diesem nur eine<br />
einzige Hilfskraft, ein Assistenzarzt, zugeteilt, und es<br />
dauerte noch einige Jahrzehnte, bis ein Medizinalpraktikant<br />
zusätzlich beschäftigt werden durfte. Immer wieder<br />
klagen die Ärzte jener Zeit, es sei sehr schwer, einen geeigneten<br />
Assistenzarzt zu bekommen. Andererseits war es<br />
dem sehr geringen Kostenaufwand für die ärztlichen<br />
Dienstkräfte, wie auch dem für die Kongregationsschwestern,<br />
zu danken, daß bis zum Ersten Weltkrieg der Tagessatz<br />
für Geisteskranke auf nur 3.50 Mark und der für<br />
körperlich Kranke und Pfründner auf 2.50 Mark festgelegt<br />
werden konnte. Zuletzt betrug der Tagessatz für<br />
körperlich Kranke 156 DM.<br />
Zu Beginn dieses Jahrhunderts setzte dann eine starke<br />
Ausweitung des ärztlichen Dienstes ein, die schließlich<br />
zur Einrichtung von Fachabteilungen führte. Der erstmaligen<br />
Bestellung eines Facharztes für Chirurgie und<br />
eines solchen für Psychiatrie und Neurologie folgte die<br />
Bildung von weiteren Fachabteilungen, und zwar für innere<br />
Krankheiten, für Gynäkologie mit Geburtshilfe, für<br />
Urologie, für Anästhesie, für Intensivpflege, für Hals-,<br />
Nasen- und Ohren- Kranke, für Radiologie. Für die<br />
Wahrnehmung der gesamten ärztlichen Dienste standen<br />
zuletzt 8 Chefärzte, 10 Oberärzte, 29 Assistenzärzte und<br />
mehrere Medizinalpraktikanten zur Verfügung. Im<br />
Durchschnitt werden jetzt im Krankenhaus jährlich<br />
etwa 3200 operative Eingriffe ausgeführt.<br />
Mit zu den wichtigsten Neuerungen zum Wohle der<br />
Kranken und Unfallverletzten gehört auch die Einrichtung<br />
eines Flugrettungsdienstes mit Hilfe von Hubschraubern.<br />
Dieser wird teils von Privatunternehmen,<br />
teils von einer Dienststelle der Bundeswehr wahrgenommen.<br />
Der Hubschrauberdienst bringt Schwerstkranke und<br />
-Unfallverletzte auf schnellstem Weg zur Spezialbehandlung<br />
in die Kliniken in Tübingen, Freiburg oder Ulm.
Die »Ära Fürst-Carl-Landeskrankenhaus« ist zu Ende<br />
gegangen. Am 2. Februar 1979 wurde in einem feierlichen<br />
Akt das neue Kreiskrankenhaus auf dem Dettinger<br />
Berg bei Sigmaringen eröffnet. Der Beginn des Betriebes<br />
des neuen Krankenhauses erfolgte am 15. Februar. Damit<br />
hat in der Geschichte des Gesundheitswesens im<br />
Landkreis Sigmaringen ein neuer Abschnitt begonnen.<br />
Schrifttum:<br />
1 M. Schaitel, Geschichte des Gesundheitswesens der Stadt<br />
Sigmaringen; Schwäbische Zeitung Sigmaringen 1959<br />
Nr. 37, 39-41, 43 und 46.<br />
JOSEF GRONER<br />
2 Festschrift zur Jubelfeier des Fürst-Carl-Landesspitals in<br />
Sigmaringen 1847-1897.<br />
3 Martin Oswald, Chronik des Fürst-Carl-Landeskrankenhau-<br />
ses 1847-1947.<br />
4 Sammlung der Gesetze und Verordnungen für das Fürstentum<br />
Hohenzollern-Sigmaringen 1828 S. 63.<br />
5 Dr. Longard, »Fürst-Carl-Landesspital in Sigmaringen«: Aus<br />
dem Illustrationswerk: »Deutsche Krankenanstalten für<br />
körperlich Kranke«. Carl Machold Verlagsbuchhandlung in<br />
Halle a. S. 1914.<br />
6 Schwäbische Zeitung Sigmaringen vom 18. 7. 1947<br />
Die Freiherren von Sdiellenberg in der Reidisstadt Pfullendorf<br />
Bis zum 2. Weltkrieg war der älteren Generation in<br />
Pfullendorf der Name »Schellenberger Hof« für das<br />
Gremlich-Haus beim Oberen Tor eine durchaus noch geläufige<br />
Bezeichnung, wenngleich sich unter »Schellenberg«<br />
niemand etwas Genaueres vorstellen konnte. Auch<br />
der Chronist der ehemals Freien Reichsstadt, Franz Andreas<br />
Rogg, spricht von jenem Gebäude unter dem Titel<br />
»Schellenberger Hof«, und doch lebte zur Zeit, als er<br />
seine Aufzeichnungen machte (1774), schon lange kein<br />
Schellenberger mehr dort oben. Die Ära dieses Geschlechts<br />
in Pfullendorf war nur von episodenhaft kurzer<br />
Dauer, allein sie machte offenbar einen derartig starken<br />
Eindruck auf die Leute, daß sich der Name »Schellenberger<br />
Hof« geheimnisvoll noch lange über seine Existenz<br />
hinaus erhalten konnte.<br />
Wer sind nun diese Schellenberger, woher kommen sie,<br />
wo trifft man sie an, warum verirrten sie sich nach Pfullendorf,<br />
wie führten sie sich da auf, und was haben sie<br />
hinterlassen?<br />
Das Geschlecht der Ritter von Scbellenberg stammt ursprünglich<br />
von der Burg Schellenberg an der oberen Isar<br />
(gegenüber von Lenggries). Wahrscheinlich zur Zeit<br />
Friedrich Barbarossas, also um die Mitte des 12. Jahrhunderts,<br />
kamen sie, wie zahlreiche andere ihrer Standesgenossen,<br />
zur Sicherung der Ostalpenpässe in den nördlichen<br />
Zipfel des heutigen Liechtenstein. So entstand dort<br />
auf dem Eschnerberg zwischen Rhein und III ebenfalls<br />
eine Burg Schellenberg (im Appenzeller Krieg 1405 zerstört).<br />
Die kleine Herrschaft konnte sich jedoch nicht<br />
lange halten, schon 1317 geriet sie an den Grafen von<br />
Werdenberg-Heiligenberg zu Bludenz, 1412 wurde sie an<br />
den Grafen von Montfort-Tettnang verkauft und 1434<br />
durch Kaiser Sigismund dem Freiherrn von Brandis,<br />
Herrn zu Vaduz, zugesprochen. Von da an blieb das<br />
Schellenberger Ländchen immer bei den Inhabern der<br />
Grafschaft Vaduz, so unter den Grafen zu Sulz, den<br />
Nachfolgern der Brandis, und den Grafen von Hohenems<br />
(von 1613 an). Unter den Hohenemsern geriet Schellenberg-Vaduz<br />
in eine so maßlose Verschuldung, daß die<br />
Grafschaft zum Verkauf ausgeschrieben werden mußte.<br />
Diese Gelegenheit ließ sich der wohlhabende österreichische<br />
Fürst Hans Adam von Liechtenstein 1 nicht entgehen,<br />
der schon lange ein geeignetes Territorium als Basis<br />
für den Aufstieg zur Reichsfürstenbank im deutschen<br />
Reichstag zu Regensburg suchte. Tatsächlich kam der<br />
Kauf der beiden Herrschaftsteile 1699 und 1712 zustan-<br />
Freiherr Sigmund Regnatus v. Schellenberg (Heimatmuseum<br />
Bräunlingen). Foto: Grill, Donaueschingen<br />
de. Damit (und noch mit etwas Geld) erhielt der Liechtensteiner<br />
zwar Sitz und Stimme auf der Fürstenbank im<br />
schwäbischen Kreis (Schellenberg hatte schon immer<br />
zum schwäbischen Kreis gehört), doch der Weg nach Regensburg<br />
war damit noch nicht geschafft. Dies gelang<br />
erst dem nachfolgenden Chef des Hauses, dem Fürsten<br />
Anton Florian, zunächst zwar nur für sich persönlich<br />
(1713), mit der Erhebung von Schellenberg-Vaduz zum<br />
erblichen Reichsfürstentum am 23. Januar 1719 durch<br />
Kaiser Karl VI. jedoch auch für sein Haus. Von diesem<br />
Tag an beginnt die Geschichte des heutigen Fürstentums<br />
Liechtenstein, zugleich aber verschwand damit dort für<br />
immer der alte Name »von Schellenberg«.<br />
5
Vom alten Stammsitz auf dem Eschnerberg waren die<br />
Schellenberger freilich, wie erwähnt, schon 1317 verschwunden.<br />
Einige Mitglieder der Familie hatten allerdings<br />
bereits Jahrzehnte zuvor die Heimat verlassen und<br />
es verstanden, sich durch Heiraten, Käufe und Lehensnahmen<br />
weit im Schwäbischen herum Macht und Ansehen<br />
zu verschaffen. So kamen um 1270 die Herrschaft<br />
Kißlegg i. Allg. (St. Gallisches Lehen) umd 1280 Wasserburg<br />
a. B. in die Hände der Schellenberger, und in Kißlegg<br />
blieben sie mit wechselnden Geschicken - wirtschaftlich<br />
ruiniert im 30jährigen Krieg, nicht zuletzt<br />
auch durch die teuere Erhebung in den Freiherrenstand<br />
1637 durch Ferdinand III. -, bis sie dort 1708 im Mannesstamm<br />
ausstarben. Durch Heirat der Erbtochter Maria<br />
Anna wechselten ihre Güter dann zu den heute noch<br />
lebenden Grafen (Fürsten) von Waldburg-Wolfegg über.<br />
Für die Geschichte des Gremlich-Hauses sollte ein Berthold<br />
(Benz) von Schellenberg bedeutsam werden. Durch<br />
Heirat mit Guta von Blumberg 1381 kam sein Geschlecht<br />
in die badische Baar, und über seine Frau gelangte<br />
er in den Besitz seines kinderlosen Schwagers und<br />
wurde somit Herr von Bräunlingen und Hüfingen 2 . Aus<br />
den Nachkommen des Berthold bildete sich im Lauf der<br />
Zeit die Landstrost-Bräunlinger Linie der Schellenberger<br />
heraus 3 , als deren unmittelbarer Ahnherr Wolfgang von<br />
Schellenberg (1563-1596) auftritt.<br />
Typen der Baarer Schellenberger<br />
In dieser Geschlechterreihe finden wir, vornehm ausgedrückt,<br />
eine Anzahl höchst eigenwilliger Persönlichkeiten.<br />
Wolfgangs Vater Arbogast (1521-1605) war schon<br />
eine recht auffallende Gestalt, ein Mann, ebenso tüchtig<br />
wie gewalttätig. Ringsum riß er Streitereien vom Zaun,<br />
sowohl in seinem Herrschaftsgebiet Hüfingen-Bräunlingen<br />
als auch mit seinen Lehensherren, den Grafen von<br />
Heiligenberg-Fürstenberg, und nicht weniger mit den<br />
Bräunlingern, deren Bürgermeister er war, bis sie ihm<br />
wegen Unverträglichkeit nach ein paar Jahren den Laufpaß<br />
gaben. Noch als 80jähriger Greis geriet er mit dem<br />
Bischof von Konstanz ins Gehege, weil er ohne dessen<br />
Zustimmung die Pfarrei des ihm gehörenden Hausen vor<br />
Wald mit einem Geistlichen besetzt und eigenwillig über<br />
das dortige Kirchengut verfügt hatte. Mit 84 Jahren<br />
sank dieser echte Vertreter seines Jahrhunderts, in dem<br />
Grobianismus zum Lebensstil der »besseren Gesellschaft«<br />
gehörte, ins Grab. Ein Stein in der Hüfinger Kirche, der<br />
Grablege der Baarer Schellenberger, hält sein zweifelhaftes<br />
Andenken fest.<br />
Arbogasts Sohn Wolfgang, das 10. unter 11 Kindern 4 ,<br />
starb noch vor seinem Vater, und so kam sogleich der<br />
Enkel Johann Christoph an die Reihe, ein würdiger<br />
Nachfolger seines Großvaters. Schuldenmachen, Geldbetrügereien<br />
gegenüber groß und klein, der notgedrungene<br />
Verkauf von Hüfingen an Fürstenberg und schließlich<br />
der Bankrott seines Bräunlinger Vermögens zieren<br />
seinen Lebensweg. Es kam so schlimm, daß kurz vor seinem<br />
Tod sogar die Kleider seiner Frau verpfändet wurden.<br />
Und als er schließlich 1632 starb, hinterließ er 4<br />
Kinder, die nicht wußten, woher sie das tägliche Brot<br />
nehmen sollten. Sein Andenken verewigte er in der Kirche<br />
zu Offingen b. Günzburg 5 , die er in besseren Zeiten<br />
»Gott dem Allmächtigen zu Lob und dem hl. Ritter Georg<br />
zu Ehren« hatte erbauen lassen.<br />
Lawinenhaft scheint die Zügellosigkeit auf der Linie der<br />
Bräunlinger Schellenberger zu wachsen. Nächster Beweis<br />
dafür ist das Abenteurerleben von Johann Christophs<br />
Sohn Wolfgang Ferdinand (ca. 1613-1684). Seine Jugend<br />
fiel allerdings in die Zeit des 30jährigen Krieges,<br />
6<br />
und da ist es nicht verwunderlich, daß er mit den kaiserlichen<br />
Truppen nach Landsknechtsart und -unart herumzog,<br />
auch mit Gefängnis und Verbannung Bekanntschaft<br />
machte und im übrigen wie sein Vater Schulden auf<br />
Schulden häufte, was schließlich mit dem Verlust seines<br />
Vermögens in Bräunlingen sowie der Besitzungen in<br />
Landstrost und Offingen endete 6 . Nachdem er alles<br />
durchgebracht und verloren hatte und selbst der Kaiser<br />
auf seine Bitten hin nicht zu helfen wußte, verschwand<br />
Wolf Ferdinand aus seiner Heimat, um irgendwo im<br />
weiten Heiligen Römischen Reich unterzugehen (1684<br />
oder später).<br />
Sein Früchtchen Sigmund Regnatus hatte er allerdings<br />
zurückgelassen (etwa 1650 an unbekanntem Ort geboren).<br />
Mit ihm sollte die Schellenbergische Unrast und<br />
Hemmungslosigkeit ihren Höhepunkt erklimmen, aber<br />
auch zugleich erlöschen. Dieser Sigmund Regnat war es<br />
denn auch, der dem ehrwürdigen Pfullendorfer Gremlich-Hof<br />
den lange nachhallenden Namen derer von<br />
Schellenberg aufprägte.<br />
Sigmund Regnatus Freiherr von Schellenberg,<br />
der Begründer des »Schellenberger Hofes« in Pfullendorf<br />
Bevor sich Sigmund Regnatus jedoch für Pfullendorf interessierte,<br />
lockte ihn das standesgemäße Kriegshandwerk.<br />
Nach seinen eigenen Angaben diente er 16 Jahre<br />
lang in kaiserlichen und 3 Jahre in kurfürstlich-bayrischen<br />
Heeren. Sein Soldatenleben fällt also in die Regierungszeit<br />
des Kaisers Leopold I. (1658-1705) und des<br />
bayrischen Kurfürsten Ferdinand Maria (1651-1679),<br />
vielleicht auch noch in die Anfangsjahre von dessen<br />
Nachfolger, Max II. Emanuel (1679-1726), je nachdem,<br />
wann Sigmund Regnat tatsächlich geboren ist<br />
Die bayrischen Jahre waren sicher ruhig, denn Ferdinand<br />
Maria führte keinen Krieg, und auch sein Sohn<br />
mußte erst noch etwas auf eine Gelegenheit warten<br />
(Türkenkriege von 1683 an). Unter Leopold hingegen gab<br />
es einiges zu tun: im Nordischen Krieg, in dem sich der<br />
Kaiser mit Brandenburg und Polen gegen die Schweden<br />
verbündet hatte (1655-1660), in Siebenbürgen waren die<br />
Türken niederzuschlagen (1662-1664), in Ungarn, das<br />
sich gegen Leopolds Absolutismus erhob (Magnatenverschwörung<br />
1671) und 1678 im Aufstand Emmerich Tökölys<br />
rebellierte, mußte Ruhe erzwungen werden und<br />
schließlich galt es noch, im Holländischen Krieg<br />
(1672-1679), der sich auch in der oberrheinischen Tiefebene<br />
abspielte (Schlacht bei Sinsheim 1674 und Sasbach<br />
1675), den Großmachtsgelüsten Ludwigs XIV. von<br />
Frankreich entgegenzutreten.<br />
1680 scheint Sigmund Regnat seinen militärischen<br />
Dienst, ausgezeichnet mit dem Titel eines Obersten, quittiert<br />
zu haben, denn in diesem Jahr zog er bei seiner<br />
Tante Anna Barbara, der Schwester seines Vaters, im<br />
Schloß von Bräunlingen ein. Sogleich versuchte er, dieses<br />
ehemalige Familiengut, das sein verschuldeter Vater an<br />
die Konstanzer Familie Setteli verloren hatte, zurückzugewinnen,<br />
was ihm dank seiner geschäftlichen Fähigkeiten<br />
1681 auch gelang. Freilich hatte er inzwischen seine<br />
Finanzen aufgebessert, denn auf der Rückkehr aus<br />
Bayern oder Österreich nahm er, so muß man annehmen,<br />
seinen Weg über Pfullendorf, und hier fand er im altehrwürdigen<br />
Gremiichhof beim Oberen Tor die etwa<br />
gleichaltrige wohlhabende Elisabeth von Theuring zu<br />
Hohentann, als Frau des bisherigen Gremiichhofbesitzers<br />
Oberst Johann von Hafner kürzlich Witwe geworden,<br />
doch offenbar einer weiteren Verbindung nicht abgeneigt<br />
8 . Die Sache muß sich, falls sie nicht schon von<br />
langer Hand eingefädelt war, rasch abgewickelt haben,
denn die Reise ging, zusammen mit dem heranwachsenden<br />
Stiefsöhnchen Franz von Hafner, bald nach Bräunlingen<br />
weiter. In welchen Händen Gremiichhof zurückblieb,<br />
läßt sich nicht ausmachen 9 . Jedenfalls steht fest,<br />
daß Sigmund Regnat außer dem Anteil des Bräunlinger<br />
Schlosses und dem Gut Wülflingen (b. Riedlingen a. D.)<br />
auch den Gremiichhof samt dem dazugehörigen Bittelschieß<br />
kaufen konnte 10 . Die Besitzverhältnisse lassen<br />
sich freilich nicht klar durchschauen. Man weiß nicht,<br />
wem und was genau Sigmund Regnat abgekauft hat.<br />
1693 erscheint bereits sein Stiefsohn Franz von Hafner<br />
als »Besitzer des Hofes«, also zu einer Zeit, als unser<br />
Freiherr samt Angehörigen sicher noch in Pfullendorf<br />
saß. Wie dem auch sei, nach allem, was man zuverlässig<br />
weiß, kann man zusammenfassend und vorwegnehmend<br />
sagen: Sigmund Regnat kam 1680 oder etwas später<br />
durch Kauf ganz oder teilweise in den Besitz des Gremlichhofes,<br />
das Anwesen erhielt dadurch den Namen<br />
»Schellenberger Hof«, seine Frau gebar dort am 16. Februar<br />
1683 als einziges Kind die Tochter Maria Anna,<br />
diese wurde am 15. Juli 1687 in Pfullendorf gefirmt 11<br />
und war dort später mit einem Herrn von Kern verheiratet,<br />
ab 1697 lebte unser Freiherr mit seiner Frau ebenfalls<br />
im Schellenberger Hof, diese starb 1703 und wurde<br />
in der Stadtkirche begraben, vermutlich vor dem Gremlich-(Dreikönigs-)Altar<br />
an der Seite ihres ersten Mannes<br />
Johann v. Hafner 12 , einige Zeit danach verschwand<br />
Sigmund Regnat für immer aus der Stadt.<br />
Nun begann Sigmund Regnat in Bräunlingen sein Zivilleben,<br />
doch die Schatten seiner Soldatenzeit folgten ihm<br />
auf dem Fuße nach. Bald erschien nämlich ein bayrisches<br />
Mädchen auf Pfaffenhofen und verlangte von ihm Alimente<br />
für ihr Kind, das sie von ihm hatte (auch ihre<br />
Schwester war von ihm mit einem beschert worden). Sie<br />
beging allerdings die Unklugheit, ihre Ansprüche auf offener<br />
Straße an ihn zu stellen, was den erbosten Kindsvater<br />
so in Wut versetzte, daß er seine frühere Geliebte<br />
vor allen Leuten mit einem Stecken »erbärmlich traktierte«.<br />
Die peinliche Geschichte wurde schließlich bei<br />
der vorderösterreichischen Regierung in Freiburg ruchbar,<br />
und man versuchte, den Freiherrn zur Räson zu<br />
bringen. Doch in seinem Landsknechtsdeutsch gab er zurück,<br />
die Regierung habe da nichts hineinzureden, sie<br />
gebe ihm auch nichts zu fressen. Er habe das Mädchen ja<br />
nur im Krieg kennen gelernt und nachher wieder »abgeschafft«.<br />
Als die Verstoßene ihm einmal ein Regierungsschreiben<br />
ins Haus brachte, verprügelte er sie kurzerhand.<br />
Es sei dies die einzige Manier, wie man »als Kavalier«<br />
mit einem solchen Mensch umgehen könne, meinte<br />
er. Wie sich herausstellte, hatte der »Kavalier« die Arme<br />
damals völlig ohne Mittel fortgejagt, ja zu eigenen Gunsten<br />
noch ihre Kleider versetzt. Voll Verzweiflung<br />
brachte die Mutter ihr Kind einfach ins Schloß in die<br />
Wohnung von Sigmund Regnats Tante, als diese gerade<br />
nicht zu Hause war, und verschwand. Anna Barbara<br />
nahm sich des »Fundes« eine Zeitlang barmherzig an,<br />
doch bald erlahmte ihr Idealismus, und sie ließ das Kleine<br />
verkommen. Sein Schicksal ist nicht weiter bekannt.<br />
Die Geschichte mit dem Pfaffenhofer Mädchen war jedoch<br />
nicht die einzige Affäre, mit der Sigmund Regnat<br />
die Bräunlinger in Spannung hielt. 1683 sah sich der Rat<br />
der Stadt veranlaßt, durch den Stadtknecht (Ortspolizei)<br />
eine Magd aus dem Schloß herauszuholen und sie<br />
wegen unsittlichen Benehmens mit Geige und Strohkranz<br />
13 an den Pranger zu stellen, an den Herr »Kavalier«<br />
wagte man wegen seiner adligen Immunität nicht<br />
zu rühren. Später hielt sich Sigmund Regnat im 2. Stock<br />
seines Hauses, den er für sich reserviert hatte, während<br />
seine Frau ihre Zimmer darunter einnahm, eine weitere<br />
Mätresse. Wiederum schritt der Rat von Bräunlingen dazwischen<br />
und zwang den Freiherrn, das Frauenzimmer<br />
wegzuschicken, doch bald ließ er sie heimlich wieder zu<br />
sich schlüpfen. Und jetzt verteidigte er sein Liebesnest<br />
mit aller Entschlossenheit. Weder die Klage seiner Ehefrau<br />
beim Bischof von Konstanz noch die Vorstellung<br />
des Bräunlinger Rates brachten eine Änderung zustande.<br />
Schließlich ließ die österreichische Regierung Militär<br />
aufrücken. In der Frühe des 19. September 1691 beförderte<br />
ein Kommandant mit 6 Musketieren die Mätresse<br />
über die Donaueschinger Grenze. Die Unkosten von 520<br />
Gulden hatte der Freiherr zu bezahlen, und er bezahlte<br />
sie auch. Wie er die anderen »Folgen« beglich, die die<br />
gleichen wie bei seinen früheren Liebschaften waren,<br />
wissen wir nicht.<br />
Man sieht, die »gute alte Zeit« war auch nicht überall so<br />
»gut«, zumal bei der Herrenschicht, die sich in Puncto<br />
sexuelles Pläsier Dinge herausnehmen konnte, die dem<br />
gewöhnlichen Bürger vom Gewissen und der öffentlichen<br />
Ordnung verwehrt waren.<br />
Doch auch sonst machte Sigmund Regnat seinen Zeitgenossen<br />
mancherlei Beschwerden. Seine Vorfahren hatten<br />
ihm ihre Schellenbergische Händelsucht vererbt, und<br />
Sigmund Regnat machte tüchtig Gebrauch davon. Bevorzugtes<br />
Objekt war sein Hausgenosse, der Oberschultheiss<br />
Johann Konrad Gumpp, der den östlichen Flügel<br />
des Schlosses, ein österreichisches Lehen (mit lokaler Immunität)<br />
bewohnte. Die Sympathie für den Nachbarn war<br />
auch auf dieser Seite nicht sehr groß, denn Gumpp hätte<br />
gern auch noch den westlichen Teil des Schlosses erworben,<br />
allein Sigmund Regnat war ihm zuvorgekommen.<br />
Zusammen mit den Herren von Bodman führte der<br />
Freiherr einen endlosen Prozeß gegen den Schultheißen,<br />
der in letzter Instanz von Kaiser Leopold zugunsten<br />
Gumpps entschieden wurde. Um seinen Widersacher zu<br />
provozieren, setzte sich Sigmund Regnat auch einmal in<br />
Gumpps Kirchenstuhl, ein seltener Anlaß für ihn, die<br />
Kirche von innen anzusehen, er ging nämlich sonst nie<br />
hinein. Doch der Schultheiss machte kurze Sache, er<br />
warf den Freiherrn einfach hinaus 14 . Das Unglück<br />
wollte noch, daß die Gärten der beiden aneinanderstießen<br />
und sich so einmal ein schellenbergisches Huhn in<br />
Gumpps Revier verirrte. Dieses Federvieh gab sogleich<br />
den Anlaß für eine kräftige Auseinandersetzung zwischen<br />
den beiden Herren, an deren Ende der Oberst mit<br />
einer Axt herumfuchtelte, während der Schultheiss mit<br />
einem Rechenstiel in Abwehrstellung ging. Diese Sache<br />
war zu lachhaft, um ernst zu sein. Sigmund Regnat<br />
konnte jedoch auch bis zum Äußersten gehen, wie ein<br />
Degenduell mit dem Bruder des Schultheissen beweist.<br />
Auch vor massivem Schwindel schreckte unser Schellenberg<br />
nicht zurück. Um in den Besitz des Bräunlinger<br />
Zehntanteils seines Vetters Franz Sigmund zu gelangen,<br />
gab er für diesen einfach eine fälschliche Todeserklärung<br />
ab. Die Bräunlinger waren sicher froh, als der unruhige<br />
Freiherr seinen Schloßanteil - immerhin schuldenfrei -<br />
am 15. April 1697 verkaufte, um daraufhin höchstwahrscheinlich<br />
nach Pfullendorf wegzuziehen 15 . Der<br />
tiefere Grund hierfür war wohl die Kriminalgeschichte,<br />
die seine Tochter Maria Anna ihm einzubrocken begann.<br />
1 Die Liechtensteiner sind ein niederösterreichisches Herrengeschlecht<br />
(Stammburg Liechtenstein bei Mödling). Es verzweigte<br />
sich in eine mähr-ische und eine steirische Linie<br />
(diese 1619 erloschen). Die mährischen Liechtensteiner wurden<br />
1623 in den Reichsfürstenstand und ihre Besitzungen<br />
Kromnau und Ostrau 1633 zum Fürstentum erhoben.<br />
7
-Das fürstenbergische Bräunlingen ging 1305 nach einer<br />
Fehde des Grafen Heinrich von Fürstenberg mit König Albrecht<br />
I. an Österreich über und blieb österreichische Enklave<br />
im Fürstenbergischen, bis es 1805 aufgrund des<br />
Reichsdeputationshauptschlusses von Regensburg an das<br />
Haus Este-Modena, 1806 an Württemberg und einige Monate<br />
danach, am 12. September 1806, endgültig an Baden abgetreten<br />
wurde, nachdem die Fürstenbergischen Lande zwei<br />
Tage zuvor ebenfalls von Karlsruhe eingezogen worden waren.<br />
Balzer II, 20; 109 ff.<br />
' Schloß Landstrost bei Günzburg wurde 1599 von Arbogast<br />
von Schellcnberg käuflich erworben. Der »Schellenberg« bei<br />
Hiifingen hat zunächst nichts mit den Rittern von Schellenberg<br />
zu tun. Bis in die Neuzeit kommt »Schellenberg« als<br />
Bezeichnung jenes Berges überhaupt nicht vor, er hieß vielmehr<br />
»Eschinger Berg«. Erst später verdrängte der Name<br />
»Schellenberg« wegen der Schellenbergischen Besitzungen in<br />
jener Gegend das Wort »Eschinger Berg«. Eine Ansicht tritt<br />
auch dafür ein, den Ausdruck »Schellenberg« für den Berg<br />
bei Hüfingen vom Althochdcutschen schele = Zuchthengst<br />
herzuleiten, also Schellenberg = Hengst- oder Pferdeberg.<br />
Balzer I, 11 f.<br />
4<br />
Die Baarer Schellenberger fallen durch ihren großen Kinderreichtum<br />
auf. Dies und die Sitte, das Vermögen unter<br />
die Nachkommen aufzuteilen, führte u. a. rasch den wirtschaftlichen<br />
Ruin der Familie herbei und degradierte ihre<br />
Mitglieder zu mittellosen Landjunkern.<br />
5<br />
Von Arbogast von Schellenberg 1599 durch Kauf erworben.<br />
" 1654 kamen die Schellenbergischen Güter zu BräunÜngen<br />
in Konkurs. Die Familie verlor dabei u. a. auch den westlichen<br />
Teil des »Schloss« genannten Gebäudekomplexes. Der<br />
östliche Teil, das »Freiheitshaus« (mit lokaler Immunität),<br />
war mit den dazugehörigen Landgütern österreichisches Lehen<br />
und verblieb somit den Schellenbergern, bis er 1660 wegen<br />
Majestätsbeleidigung des Wolf Ferdinand ebenfalls verlustig<br />
ging. Dieser Hausteil wurde dann vom Bräunlinger<br />
Oberschultheissen Elias Gumpp erworben. Balzer II, 59 ff.<br />
7<br />
Wenn man die soldatische Laufbahn Sigmund Regnats<br />
1680, als er in Bräunlingen aufzog, für abgeschlossen und<br />
seine Angaben von 19 Jahren Soldatenleben für zuverlässig<br />
hält, müßte er seine Uniform 1661 angezogen haben. Sein<br />
von Balzer angenommenes Geburtsjahr »um 1650« wäre<br />
folglich etwa auf 1643 zurückzuverlegen. Man bekäme so<br />
ein Alter von 18 Jahren für den Eintritt in den Militärdienst.<br />
GEORG HÄMMERLE<br />
Am 25. März 1848 - Franzosen^Samstag in Saulgau<br />
Wie tief sich künstlich errichtete Verwaltungsgrenzen in<br />
gewachsenes Volkstum einschneiden und im Bewußtsein<br />
der Menschen verankern können, das zeigte sich in unserem<br />
Räume sehr deutlich, als mit der Kreisreform vor 6<br />
Jahren Schwaben mit angeblichen »Preußen« wieder in<br />
einen Topf geworfen wurden, wieder als zusammengehörig<br />
deklariert wurden, wie sie es bis vor reichlich einem<br />
Jahrhundert schon immer gewesen waren. Trotz des<br />
Wissens um die Unsinnigkeit dieser künstlichen Zweiteilung<br />
waren doch beiderseits Anstrengungen erforderlich,<br />
um eine zwar kaum definierbare, aber eben doch vorhandene<br />
Schranke zu überspringen. In solcher Situation<br />
mag es hilfreich sein, wenn geschichtliche Rückblicke gemeinsames<br />
Wachstum, gemeinsame Bemühungen, gemeinsame<br />
Erfolge oder Rückschläge die ursprüngliche Zusammengehörigkeit<br />
später getrennter Teile aufzeigen. Ein<br />
Beispiel gemeinsamer Aktivität - zu ihrer Zeit als ganz<br />
8<br />
8 Nach Schupp war Oberst v. Hafner 1680 gestorben, also<br />
im gleichen Jahr, in dem seine Witwe Maria Elisabeth mit<br />
ihrem neuen Mann Sigmund Regnat v. Schellenberg in<br />
Bräunlingen einzog (Balzer II, 84). Die Hochzeit der beiden<br />
muß darum ebenfalls in diesem Jahr stattgefunden haben.<br />
Der Nachweis der Daten ist freilich schwierig, da in den<br />
Pfullendorfer Pfarrbüchern weder der Todestag des Obersten<br />
zu finden ist (die Einträge von 1629-1686 sind verloren<br />
gegangen) noch das vollständig erhaltene Ehebuch eine<br />
Eheschließung zwischen der Wwe. Hafner und Sigmund<br />
Regnat erwähnt. Sicher ist, daß ihr Kind Maria Anna am<br />
16. Februar 1683 in Pfullendorf geboren und zwei Tage<br />
später getauft wurde (Taufbuch Pfullendorf). Als Taufpaten<br />
sind der Bischof von Konstanz Franz Johann von Prasberg<br />
und die Fürstin von Sigmaringen eingetragen. Man<br />
kann daher vermuten, daß die Eheschließung in einer dieser<br />
beiden Städte stattgefunden hat.<br />
9 Auch Schupp (Geschlechterbuch) vermag für die unmittelbare<br />
Zeit nach Hafners Tod keinen Besitzer des Hofes anzugeben.<br />
10 Balzer I, 83.<br />
11 Für Geburt und Taufe bürgt der Eintrag im Taufbuch<br />
Pfullendorf (vgl. Anm. 8). Maria Anna steht auch an der<br />
Spitze einer Firmliste, die im Totenbuch 1687-1807 verzeichnet<br />
ist. Leider hat der damalige Pfarrer Mautz als Datum<br />
nur den 16. Juli, jedoch keine Jahreszahl angegeben.<br />
Da er aber gleich anschließend mit den Toteneintragungen<br />
von 1687 weiterfährt (fragmentarisches Blatt mit Einträgen<br />
ab 7. Nov.), ist anzunehmen, daß die Firmung Anna Marias<br />
im Sommer dieses Jahres stattgefunden hat. Das kleine Freifräulein<br />
war in seiner frühen Jugendzeit anscheinend zumeist<br />
in Pfullendorf - im Taufbuch wird sein Heimatort<br />
(patria) mit »Pfullendorf« angegeben und seine Mutter<br />
war wohl immer dabei, nicht verwunderlich angesichts der<br />
Mätressenwirtschaft in Bräunlingen.<br />
lä Schupp, Geschlechterbuch. Totentafel nicht vorhanden.<br />
13 Die »Geige« war ein spätmittelalterliches Strafwerkzeug,<br />
aus Holz, in das Hals und Hände der Verurteilten eingespannt<br />
wurden.<br />
14 Ratsprotokoll Bräunlingen v. 25. Sept. 1685 (Balzer II, 62).<br />
15 Der Wegzug ist auch dadurch gesichert, daß Sigmund Regnat<br />
1697 »Abzug« an die Bräunlinger Stadtkasse bezahlen<br />
mußte (Balzer II, 24).<br />
(Fortsetzung folgt)<br />
selbstverständlich angesehen - liefert der nachfolgende<br />
Beitrag, der eine Episode aus dem Auftakt der Revolution<br />
1848 zum Inhalt hat. Geschehnisse der nachfolgend<br />
geschilderten Art sollten nicht in Vergessenheit geraten,<br />
außerdem erachte ich es als gerechtfertigtes Verlangen,<br />
wenn der Versuch gemacht wird, sie von dem Ballast einer<br />
völlig falschen Bewertung, besser gesagt von einer<br />
gedankenlos nachgeschwatzten Lächerlichmachung befreit<br />
werden, mit der sie in den ihnen nachfolgenden Zeiten<br />
aus Gründen politischer Opportunität bedacht worden<br />
waren. Was hat es nun mit diesem Franzosen-Samstag<br />
auf sich?<br />
Daraufhin angesprochen, reagieren die meisten Saulgauer<br />
- ob das bei unsern Nachbarn ähnlich ist, müßte festgestellt<br />
werden - mit jener Amüsiertheit, die der Hinweis<br />
auf etwas Komisches, Spaßiges üblicherweise hervorbringt.<br />
Daß dies nicht erst heutzutage so ist, beweist eine
Festschrift zur Fastnacht 1896, die der Saulgauer Johann<br />
Hummler im Druck herausgebracht hat und die gewissermaßen<br />
eine Beschreibung der Festzugsgruppen im<br />
Fastnachtsumzug jenes Jahres darstellt. Bei der Gelegenheit<br />
wurden nämlich seltsamerweise Episoden aus der<br />
Stadtgeschichte dargeboten wie heutigentags anläßlich<br />
des Bechtlefestes. Eine der Gruppen stellte den Ausmarsch<br />
der Saulgauer Bürgerwehr am 25. 3. 1848 dar, eines<br />
wilden Haufens, ausgestattet mit Sensen, Mistgabeln,<br />
Dreschflegeln und irgendwelchen Spießen, und es hat sich<br />
sogar eine Fotographie der Gruppe erhalten. Die abwertende<br />
Einschätzung eines von den damals Betroffenen<br />
durchaus ernsthaft aufgenommenen Ereignisses kommt<br />
nicht nur durch die Kostümierung zum Ausdruck, sie<br />
wird noch verstärkt durch die Knüppelverse, die den<br />
Vorgang zu schildern vorgeben:<br />
1848<br />
Der Franzosen-Samstag.<br />
Polizeidiener ausrufend:<br />
Es wird hiemit Allen bekannt gemacht,<br />
Daß vierzigtausend Franzosen heut' über Nacht<br />
Den Rhein überschritten und sengen und brennen,<br />
Und rauben und stehlen, so viel als sie können;<br />
Bald werden sie auch unsere Stadt überraschen,<br />
Denn Offenburg liege schon gänzlich in Aschen!<br />
Die Einwohner werden nun aufgefordert -<br />
Und Junge und Alte auf's Rathaus beordert -<br />
Zum Landsturm zu rüsten sich alle Mannen<br />
Mit Flinten und Säbeln und Sensen und Fahnen,<br />
Vereint sollen Alle nach Mengen marschieren,<br />
Wenn zum Abmarsch der Hauptmann wird kommandieren!<br />
Ein Tambour:<br />
Die Stafetten melden zum Schrecken hier Allen,<br />
Daß die Franzosen schon in Meßkirch eingefallen!<br />
Der Hauptmann:<br />
Hurrah in den Kampf für das Vaterland!<br />
Die Franzosen sollen ziehen mit Spott und Schand!<br />
Die Liebe zum Vaterland soll uns entflammen,<br />
Wir hauen sie alle zu Brei zusammen! -<br />
Ein Soldat:<br />
O weh, die haben heute Patronen gemacht,<br />
Die gehen nicht los, kaum daß es kracht'<br />
O Gott, ich zitt're am ganzen Leib! -<br />
Behüt meine Kinder, mein armes Weib!<br />
Welch' Schrecken, Nachts neun Uhr zu wandern im<br />
Dunkeln,<br />
Und durch den Wald! - kein Sternlein will funkeln!<br />
Wenn d' Franzosen uns treffen auf solchen Wegen,<br />
Dann geh'n wir dem sicheren Tode entgegen!<br />
Seine Frau:<br />
Mein lieber Basti, behüt' dich Gott<br />
Er schütz' dich vor Unglück, vor Kugeln und Tod!<br />
Der Hauptmann:<br />
Vorwärts marsch!<br />
1. Frau:<br />
O weh, wenn d' Franzosen erscheinen vor unseren Thoren,<br />
Ist Saulgau mit Katze und Maus verloren!<br />
2. Frau:<br />
Ich hab' meine Wertsachen alle gerettet,<br />
3. Frau:<br />
Und ich hab mein Geld in den Brodteig geknettet,<br />
4. Frau:<br />
Und ich hab' vor den französischen Raben,<br />
Mein Schmuck und mein Geld in den Keller vergraben!<br />
5. Frau:<br />
Und ich hab - ich wußte sonst nirgends hinan -<br />
Meine Gimpenkapp, in den Gansstall gethan.<br />
Alle:<br />
Adieu, lebt wohl, auf Wiedersehen!<br />
Die Rückkehr.<br />
Der Stadt-Vorstand:<br />
Wir sind gekommen, euch hier zu empfangen,<br />
Erzählt nun, wie ist es im Krieg euch ergangen?<br />
Der Hauptmann erzählt:<br />
Nun als wir die Galgensteig hinaufmarschieren,<br />
Da that der Fähnrich den Adler verlieren.<br />
Dieß deuteten Viel als ein schlimmes Zeichen,<br />
Lind manche davon wollten schon wieder weichen.<br />
Doch kamen wir alle in Herbertingen an.<br />
Aber da regte sich keine Maus und kein Mann,<br />
Wir glaubten, die gingen mit uns, Schritt an Schritt,<br />
Doch wollte von Allen nicht einer mit! -<br />
»Weg den Franzosen«, so sagten sie unverhohlen,<br />
»Zerreißt von uns keiner kein paar Sohlen!«<br />
Wir kommen nach Mengen auf friedlichen Wegen,<br />
Doch da kam uns die Polizei schon entgegen!<br />
»Pst, pst«, riefen sie, »was macht ihr für Lärmen!<br />
Die Bürgerschaft schlaft ja, was wollt ihr sie härmen!«<br />
»Ja, sind denn wohl keine Franzosen dahier?!« -<br />
»Was fällt euch denn ein, sucht ruhig Quartier!«<br />
Juhe, hurra hoch! der Krieg ist schon aus!<br />
Jetzt zechen wir tüchtig, dann zieh'n wir nach Haus!<br />
Und nun war es aus mit der Mengener Ruh',<br />
Sie kamen in's Wirtshaus und tranken uns zu.<br />
»Stoßt an! Es lebe das Vaterland!«<br />
Und manche bekamen nen landsknecht'schen Brand.<br />
Bald hätte uns nochmals ein Unheil betroffen,<br />
Die Fahne wär bald verbrannt hinter dem Ofen.<br />
Nun gings aber rückwärts Arm in Arm, Hand in Hand,<br />
Sonst kam noch die ganze Compagnie schier in Brand.<br />
In Herbertingen kriegten wir Suppe mit Wein,<br />
Das sollte zur Stärkung auf d'Strapazen hin sein.<br />
Nachdem wir marschierten, so etlich drei Stunden,<br />
Da wurde der Reichsadler wieder gefunden,<br />
Und so sind wir unversehrt all' wieder hier,<br />
Und freuen uns über das hübsche Plaisir!<br />
Der Stadt-Vorstand:<br />
Ihr Bürger, ihr zeigtet euch mutig halt doch,<br />
Die Saulgauer Tapferkeit, sie lebe Hoch!!! -<br />
Wer den Ereignissen des Revolutionsjahres 1848 hierzulande<br />
auf den Grund geht, kommt unschwer zu dem Ergebnis,<br />
daß zwar die Tatsache des Ausmarsches richtig<br />
ist und daß die Saulgauer - sie auch - einer Falschmeldung<br />
aufgesessen sind. Falsch ist 1896 Verhalten<br />
und Ausrüstung der Akteure dargestellt, unangebracht<br />
die Drolligkeit der Verse und die allzu deutlich erkennbare<br />
Absicht des »Dichters«, das Gewicht des Jahres<br />
1848 dadurch aufzuheben, daß Ereignisse und Akteure<br />
desselben der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Nicht<br />
umsonst gab es ja noch in unserem Jahrhundert Leute,<br />
die vom »Rummel des Jahres 1848« gesprochen haben.<br />
Dem entgegenzuwirken ist zweite Absicht dieser Darstellung.<br />
Zunächst ein Wort zur damaligen Saulgauer Bürgerwehr.<br />
Sie war mitnichten ein so verlorener Haufen, wie oben<br />
dargestellt worden ist. Sie war vielmehr eine eben neu<br />
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organisierte Truppe von 126 Mann, ordentlich mit Gewehr<br />
und Seitengewehr ausgestattet und kommandiert<br />
von einem Veteranen der Jahre 1809-1817, dem Stadtrat<br />
und Metzgermeister Mathäus Stützle. Er war als aktiver<br />
württembergischer Soldat sowohl auf französischer<br />
Seite ausgezeichnet worden - »Affaire bei Bautzen« am<br />
21. 5. 1813 - als auch seitens der nun gegen Napoleon<br />
Verbündeten für Kämpfe bei Brienne und Straßburg (silberne<br />
und goldene Militär-Verdienst-Medaille, österreichische<br />
goldene Tapferkeitsmedaille). Die von ihm 1823<br />
wieder ins Leben gerufene Saulgauer Bürgerwehr -<br />
1809, also im Jahre des Tiroler Aufstandes unter Andreas<br />
Hofer, hatte die gesamte Ausrüstung auf königlichen<br />
Befehl abgeliefert werden müssen - war in den Vierziger-Jahren<br />
tatsächlich in einen etwas desolaten Zustand<br />
abgerutscht, und seitens des Rates hatte man Überlegungen<br />
angestellt, wie dem Übel am besten abzuhelfen sei.<br />
Unerwartet schnell und auf ganz überraschende Weise<br />
brachte das Jahr 1847 die Lösung des Problems.<br />
Es ist ja bekannt, daß das Jahr 1847 sich auszeichnete<br />
durch eine Mißernte, die die Hungerjahre 1816/17 wieder<br />
im Bewußtsein der Menschen aufleben ließ. Es kam<br />
zu Hungerrevolten, Brotkrawallen, handgreiflichen Auseinandersetzungen<br />
auf Märkten und zu Überfällen auf<br />
Getreidetransporte. In vielen Gemeinden wurde amtlicherseits<br />
Getreide aufgekauft und an Bedürftige verteilt,<br />
die Getreidekäufe, Auswärtiger auf den Schrannen wurden<br />
kontingentiert, und es bestand ein landesweit wirksamer,<br />
zentral gelenkter Wohltätigkeitsverein, der Notspeisungen<br />
durchführte. Auch Handel und Handwerk<br />
waren in äußerster Bedrängnis. In der damaligen Saulgauer<br />
Lokalzeitung reißen die amtlichen Mitteilungen<br />
über Konkurse und Zwangsversteigerungen nicht ab (in<br />
und um Saulgau 67 Fälle für 1847, für Württemberg im<br />
1. Vierteljahr 1847 623 Fälle), dazu wird die Zahl der<br />
Auswanderer aus Württemberg seit 1842 jährlich mit<br />
10 000 angegeben. Die Unsicherheit auf den Straßen, die<br />
Gefahr auf Märkten und Schrannen war tatsächlich so<br />
groß geworden, daß auf königlichen Befehl vom<br />
13. 5. 1847 nicht nur die Bereitstellung aktiver Truppen<br />
zur Bereinigung solcher Vorfälle erfolgte, es sollten darüber<br />
hinaus in allen Städten und größeren Ortschaften<br />
Sicherheitswachen aufgestellt werden. Der Saulgauer Gemeinderat<br />
nutzte die Gunst der Stunde, erklärte die alte<br />
Bürgerwehr für aufgelöst, stellte sie gleichzeitig als Sicherheitswache<br />
wieder neu auf, rüstete sie mit Hilfe des<br />
königlichen Arsenals in Ludwigsburg neu aus und beließ<br />
sie unter dem Kommando ihres bisherigen Hauptmannes.<br />
So also sah die Truppe aus, die aufgrund des nachfolgenden<br />
Schreibens alarmiert wurde:<br />
»Nach einer zuverlässigen Nachricht sind die bei Wolfach<br />
eingedrungenen Franzosen mit Erfolg zurückgeschlagen<br />
worden, aber nun an der fürstlich Sigmaringenschen<br />
Grenze bei Haigerloch, 6000 Mann stark, eingebrochen<br />
und nehmen, wie die Anzeigen vermuten lassen,<br />
ihren verheerenden Zug durch das Lauchertal über Gammertingen<br />
und Sigmaringen in die hiesige Gegend.<br />
Wachsamkeit nicht nur, sondern schnelles Aufgebot tut<br />
not und zweckmäßig erscheint, daß sich die Wehrmannschaft<br />
aus hiesigem und dem Oberamtsbezirk Saulgau<br />
vorerst an die Militär- und Bürgerbewaffnung zu Sigmaringen<br />
anschließt.<br />
Ohne Verzug sind in jeder Gemeinde Wehrkompanien<br />
auszuziehen, und zwar die erste aus der waffenfähigen<br />
Klasse von 18-33 Jahren, soweit sie nicht schon in die<br />
Linie ausgehoben sind. Auf den ersten Ruf von hier oder<br />
Sigmaringen durch Estafette oder Sturmglocke hat diese<br />
Wehrmannschaft möglichst schnell, tunlichst auf Wagen,<br />
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hier oder da, wo sie hingerufen wird, pflichtmäßig und<br />
möglichst gut bewaffnet, sei es mit Flinten, Sensen oder<br />
Gabeln und Dreschflegeln, zu erscheinen.<br />
Die zweite Wehrklasse, bestehend aus dem Alter von<br />
33-55 Jahren, hat zunächst die Sicherheit des einzelnen<br />
Ortes zu handhaben und darum ebenfalls bewaffnet auf<br />
der Hut zu sein.<br />
Es wird ohne Zweifel dieser dringende Aufruf eine freiwillige<br />
Verteidigung nicht ausbleiben lassen, da es sich<br />
um Abwehr einer Horde Raubgesindels handelt.<br />
Mit der Sigmaringenschen Wehrmannschaft und dem<br />
dortigen Linienmilitär ist man über dieses Zusammenwirken<br />
verabredetermaßen im reinen. Die Einberufung<br />
wird ohne Zweifel heute abend noch erfolgen müssen.<br />
Mittags 12 Uhr<br />
Scheer, den 25. März 1848.<br />
Kgl. Fürstl. Amtsgericht und Bezirksamt<br />
Amtsrichter Amtmann<br />
Rom (?) für denselben Aktuar Dieterle«<br />
Auf der Rückseite des Schreibens sind auch die Schultheißenämter<br />
aufgezählt, die von der Stafette benachrichtigt<br />
werden sollten: Ennetach, Mengen, Beizkofen, ölkofen,<br />
Hohentengen, Eichen, Fulgenstadt, Bolstern, Wolfartsweiler,<br />
Friedberg, Günzkofen.<br />
Stadtschultheiß Kopp von Mengen versah das Schreiben<br />
mit einem Zusatz:<br />
»Den 25. 3. 1848 Mittags 1 Uhr.<br />
Ich sende dieses Schreiben unmittelbar an das K. Oberamt,<br />
um sogleich die Wehrmannschaft nach Mengen und<br />
Sigmaringen ausrücken zu lassen. Die Herbertinger und<br />
Mieterkinger wollen sogleich auf der Hut zum Abmarsch<br />
sein. Dieses nur schnell öffentlich zu verlesen<br />
und gleich weiter nach Saulgau zu befördern.<br />
Mengen, den 25. März 1848 mittags IV2 Uhr<br />
Stadtschultheißenamt<br />
Kopp.«<br />
Am 26. März erhielt Hauptmann Stützle vermutlich in<br />
Mengen eine Mitteilung des Scheerer Amtsrichters folgenden<br />
Inhalts:<br />
»Herr Hauptmann!<br />
Es ist im Augenblick keine Gefahr angezeigt, welche ein<br />
Zusammenbieten der Wehrmannschaft nötig machen<br />
sollte. Die Nachrichten von heute nachmittag lauten<br />
günstiger als von vormittag. Deshalb wurden die Mannschaften,<br />
die hierher kamen, entlassen, da ohnehin nur<br />
ein Parathalten auf ersten Wink, aber noch kein wirkliches<br />
Marschieren geboten war. Auch Sie können mit Ihrem<br />
Trupp vorerst zurück. Wenn der Ruf zum Einrükken<br />
hier herzu nötig wird, kommt eine Stafette an Sie.<br />
Übrigens ist zu empfehlen, stets wachsam zu sein, da das<br />
Gesindel unversehens da und dort einbrechen kann; namentlich<br />
halten Sie darauf, daß nächtliche Patroulle<br />
stattfindet, in und um Saulgau und jeden Ort.<br />
Ich danke Ihnen für ihre bereitwillige Hilfe.<br />
Scheer, den 26. März<br />
Namens des Amtes<br />
Amtsrichter Rom (?)«<br />
Den Schlußpunkt setzt eine vom Stadtschultheiß Kopp<br />
von Mengen beglaubigte Abschrift einer Mitteilung des<br />
Sigmaringer Oberamtes:
»Das Fürstl. Hohenzollersche Sigmaringensche Oberamt.<br />
Sigmaringen, den 26. März 1848<br />
nach 12 Uhr nachts.<br />
An das Kgl. Stadtschultheißenamt Mengen.<br />
Auf die gefällige Anfrage vom gestrigen beehrt man sich<br />
zu erwidern, daß auch hier sich gestern früh die Kunde<br />
verbreitet habe, daß das Oberamt Haigerloch von 6000<br />
Mann französischen Gesindels bedroht sei. Sogar amtlich<br />
kam diese Nachricht ein, es wurde um Hilfe gebeten. Allein<br />
die Sache scheint sich nicht zu bestätigen.<br />
MARC BUCKENMAIER<br />
Von alten zollerischen Wappen<br />
Im Münster zu Alpirsbach befindet sich unter andern<br />
Grabplatten ein schmuckloses Sandsteinepitaph, das weder<br />
Verzierungen noch Namen trägt, aber ein zollerisches<br />
Wappen aufweist. Der fast zwei Meter hohe Stein<br />
steht neben dem früheren Hochaltar im nördlichen Qua-<br />
Alpirsbach, Zoll. Epitaph Foto: Bessler, Alpirsbach<br />
Ein Bataillon Linientruppen wurde dahin abgesendet<br />
und voraus ging ein Kurier, allein der letztere wie die<br />
Bewohner jener Gegenden haben bis jetzt keine Hilfe<br />
mehr nachgesucht, woraus die größte Beruhigung hervorgeht.<br />
Wäre die Bedrohung ernstlicher gewesen, so hätte man<br />
gewiß weitere Hilfe gefordert.<br />
Die gewünschte öffentliche Beruhigung und Benachrichtigung<br />
wird erfolgen.<br />
Oberamtmann<br />
von Sallwirk.«<br />
(Fortsetzung folgt)<br />
drat des Querschiffes. Bevor das Münster errichtet wurde,<br />
befand sich an dieser Stelle eine Holzkapelle, die<br />
vom Bischof Gebhard III. von Konstanz am 16. Januar<br />
1095 geweiht wurde. Bei dieser Kapelle wurde von Benediktinermönchen<br />
aus dem Kloster St. Blasien die Abtei<br />
Alpirsbach gegründet. Den Grund und Boden zu dieser<br />
Gründung schenkten die Grafen von Calw. Sie hatten<br />
dort mit Ruotmann von Hausen (Neckarhausen), Adalbert<br />
von Zollern und Alwig von Sulz durch Erbschaft<br />
ein Hofgut bekommen, das nun der Grundstock für die<br />
zu errichtende Abtei werden sollte. Das heutige Münster<br />
dürfte um 1131 entstanden sein.<br />
Adalbert von Zollern, der Mitstifter von Kloster Alpirsbach,<br />
trat selbst in das Kloster ein und wurde auch dort<br />
bestattet.<br />
Wahrscheinlich ist dies die älteste Bestattung eines Zollergrafen,<br />
die bekannt ist und somit auch das älteste in<br />
Stein gehauene Wappen derer von Zollern.<br />
Weitere zollerische Wappen befinden sich als Schlußstein<br />
im Kreuzgang, auch über einem Portal, das in das Innere<br />
des Klosters führt. Letzteres Wappen ist in den zollerischen<br />
Farben gehalten. Auch an der Westseite des Klosters<br />
ist ein zollerisches Wappen in rotem Sandstein, wie<br />
er in der Gegend gefunden wird, angebracht. Diese verschiedenen<br />
Wappensteine weisen auf die Grafen von<br />
Zollern hin, die zeitweise die Schirmherrschaft als Vögte<br />
des Klosters Alpirsbach übernommen hatten.<br />
Weitere in Stein gemeißelte Wappen auf Epitaphien der<br />
Grafen von Zollern waren in dem um 1261 gegründeten<br />
Dominikanerinnenkloster zu Stetten im Gnadental (bei<br />
Hechingen) bis zur Aufhebung des zollerischen Hausklosters<br />
1802 vorhanden. Bei der Renovierung der Klosterkirche<br />
i. J. 1776 wurden die Steine verdeckt oder entfernt.<br />
Noch im Jahre 1835 wurden sie teilweise als Abdeckplatten<br />
auf dem Mühlkanal, der hinter der Kirche<br />
verlief, gefunden. Wenige Jahre später fanden diese Steine<br />
Verwendung beim Bau der Kaserne für das fürstlichhechingische<br />
Militär. Seit dem Brand des Klosters im<br />
Jahre 1898 sind auch diese Steine verschwunden, da<br />
Steine und Brandschutt verkauft wurden, teils an den<br />
Bauunternehmer, der die Klosterruinen beseitigte, der<br />
Brandschutt als Düngemittel teils an die Bauern des Ortes.<br />
11
JOHANN WANNENMACHER<br />
Von öllämpchen, vom Rapsanbau<br />
und alten Ölmühlen in Rangendingen<br />
Wenn man heute nach Eintritt der Dunkelheit durch das<br />
Dorf geht, und Straßen, Geschäfte und Wohnungen in<br />
beinahe tagehellem Lichte erstrahlen, so kann man hochbetagte<br />
Leute oft verwundert sagen hören: »O - wia<br />
ischt dees hell und wia hots friaher au ausgseah!« Ja, um<br />
die Jahrhundertwende und noch nahezu bis zu Beginn<br />
des 1. Weltkrieges gab es in Rangendingen noch zahlreiche<br />
Häuser, in denen das alte öllämpchen mit seinem<br />
Docht aus Wolle im Gebrauch war. In der Wohnstube<br />
stellte man es auf den »Liachtstock«, und um sein dürftiges<br />
Licht scharten sich am Abend die Hausbewohner.<br />
Der Vater las die Zeitung, die Schulkinder machten ihre<br />
Hausaufgaben, da sie tagsüber überall mitarbeiten mußten;<br />
die Frauen und Mädchen drehten das Spinnrad,<br />
strickten Strümpfe oder flickten Kleider und Wäsche.<br />
Und im »heimeligen« Dämmerschein dieser einfachen<br />
Lichtquelle versammelten sich an Winterabenden die<br />
»Liachtgänger«, erzählten von vergangenen guten und<br />
schlechten, Zeiten, wußten von Sagen und Geschichten<br />
aller Art, zauberten Schattenbilder an die weißgetünchten<br />
Wände oder sangen alte Volks- und Heimatlieder.<br />
So sah es damals noch in mancher Bauernstube aus.<br />
In der Küche wiederum war vielfach über dem Herd<br />
eine kleine Nische in die Wand eingelassen. Dort hinein<br />
legte man weit früher den Kienspan (harziges Holzstück),<br />
und später stellte man das öllämpchen an diesen<br />
Platz. Auch die Stallaterne wurde mit selbsterzeugtem<br />
öl gespeist, desgleichen diejenige des Fuhrmannes. Es<br />
war ein einfaches und nach unseren heutigen Begriffen<br />
ein ganz primitives Licht, das diese öllämpchen spendeten,<br />
aber auch ein sehr billiges Licht.<br />
Woher kam das öl für die öllämpchen, auch »Epale«<br />
(Ampeln) genannt. Nun - in der damaligen Zeit baute<br />
am Orte hier nahezu jeder Bauer noch Jahr für Jahr seine<br />
ein- bis zwei »Fendel« (je 10 ar) Raps an. Gleich im<br />
Herbst, wenn die Gerstenäcker abgeerntet waren, wurde<br />
er gesät. Der Raps kam ins Brachfeld. In früheren Zeiten<br />
baute man weit weniger Kartoffeln an als heute, und so<br />
blieben die besten Äcker frei für den Raps. Nach kräftiger<br />
Düngung wuchs er im Herbst rasch heran, und im<br />
Frühjahr schoß die Rapspflanze schnell in die Höhe<br />
Bald schimmerte das ganze Brachfeld in den gelben Farben<br />
der Rapsblüten. Jedem Bauersmann lachte das Herz,<br />
wenn er diese Pracht erblickte und den kommenden Segen<br />
ahnte! An warmen Tagen summten und surrten dann<br />
unzählige Bienen über den wohlig duftenden Rapsfeldern<br />
und holten den süßen Nektar, den gerade die Rapsblüten<br />
in so reichem Maße liefern. In den zahlreichen<br />
Schoten reiften dann die Rapskörner heran und zwischen<br />
Heuet und Getreideernte konnte die reife Frucht<br />
abgemäht und gedörrt werden. Die fetthaltigen Körner<br />
wurden darauf in der Scheune aus den Schoten gedroschen,<br />
das Ganze gereinigt und auf die Bühne (Speicher)<br />
gebracht. Je nach Bedarf holte man dann seinen Rapssack<br />
und die in jedem Hause vorhandene Ölkanne und<br />
brachte einen »Schlag« Raps in die Ölmühle. Dort kamen<br />
die Körner zunächst in die »Mahle« (Mahlwerk),<br />
wo sie zerrieben wurden, hernach in eine Trommel aus<br />
Kupferblech, die sich ständig über einem Feuer drehte.<br />
Wenn der Raps dann erwärmt und genügend weich geworden<br />
war, wurde er in eine Presse gebracht, die das<br />
12<br />
Öl aus den Körnern herausquetschte. Ein Schlag (etwa<br />
20 bis 22 Liter) Raps lieferte durchschnittlich vier bis<br />
fünf Liter gelbliches, schweres öl. Die ausgepreßten<br />
Körner bekam man in dem sogenannten Rapskuchen<br />
wieder zurück, der ein ausgezeichnetes Kraftfutter für<br />
das Vieh ergab. - Um die Jahrhundertwende gab es in<br />
Rangendingen noch zwei Ölmühlen. Die eine befand sich<br />
am Eingang zur Mühlgasse (Suppengasse) und war im<br />
Besitz von Sebastian Wannenmacher, im Volksmund<br />
kurz »ölerbäschel« genannt. Diese Ölmühle wurde im<br />
Jahre 1843 von Josef Wannenmacher erbaut. Urtümlich<br />
und einfach war ihre Einrichtung. Die Trommel zum Erwärmen<br />
und Aufweichen des Rapses wurde noch mit der<br />
Hand getrieben, die Mahle hingegen mittels Göpelbetrieb<br />
in Bewegung gesetzt. Den Göpel selbst zog ein<br />
Pferdchen, das mit verhüllten Augen innerhalb der Ölmühle<br />
im Kreise herumlief. Der düstere, verrußte Raum<br />
hatte für Kinder immer etwas Geheimnisvolles an sich,<br />
und wenn der öler am Werken war, versuchten sie stets<br />
so halb verstohlen in den Raum hinein zu schauen. Nach<br />
dem Tode von Sebastian Wannenmacher übernahm sein<br />
Sohn Josef Wannenmacher die Ölmühle, der sie noch bis<br />
kurz nach dem 1. Weltkrieg im Gange hielt. Hernach<br />
stellte dieser die Tätigkeit des »ölens« endgültig ein.<br />
Die zweite Ölmühle hatte der weitbekannte Gipsmüller<br />
Otto Dieringer in der Hechinger Straße zum Eigentum,<br />
dessen Vorfahren ebenfalls diesem Gewerbe oblagen.<br />
Otto Dieringer war ein markanter und geachteter Geschäftsmann.<br />
Seine Ölmühle wurde schon mit Wasserkraft<br />
betrieben. Sie ging dann im Jahre 1910 ein, als<br />
man die beiden Wehre in der Starzel entfernte und eine<br />
Umstellung und Modernisierung des Betriebes nicht vorgenommen<br />
wurde.<br />
Inzwischen war ein neues Zeitalter angebrochen. Das Petroleum<br />
(Erdöl) kam auf, das man überall in den örtlichen<br />
Geschäften zu annehmbaren Preis kaufen konnte.<br />
Es spendete ein helleres Licht als das Rapsöl und verdrängte<br />
daher schnell die alten öllämpchen. In den Jahren<br />
1911 und 1912 wurde dann noch die letzte große<br />
Errungenschaft - das »Elektrische« in Rangendingen<br />
eingerichtet. Eine neue Epoche der technischen Entwicklung<br />
setzte ein. Bald sah man in jedem Hause nur noch<br />
elektrisches Licht mit all seinen vielseitigen Verwendungsmöglichkeiten.<br />
Das Rapsöl war als Ölquelle überflüssig<br />
geworden. Darauf ging der Rapsanbau rasch zurück.<br />
Er beträgt heute nur noch einen Bruchteil von<br />
dem, was von dieser Fruchtart ehemals auf unserer Gemarkung<br />
angepflanzt worden war. Der Gebrauch von<br />
Rapsöl aber war und ist noch nicht verschwunden. Wie<br />
eh und je wurde es noch ausgiebig zum Backen und Braten<br />
verwendet. Allerdings hat man zu diesem Zweck das<br />
schwere öl schon etwas verfeinert, indem man es in einem<br />
Topf oder Pfanne erhitzte, immer wieder umrührte,<br />
bis es hell war und gleichzeitig mit Schweineschmalz<br />
vermengte. Aber dann konnte man in dieser »abgelöschten«<br />
Mischung unter anderem Kirbe- oder Fastnachtsküchle<br />
backen, so fein und so knusperig, wie es eben<br />
nur die Schwaben können und die zu allen Zeiten so<br />
vortrefflich mundeten, daß sie sogar in Liedern und<br />
Sprüchen Verherrlichung fanden und auch im alten<br />
Brauchtum da und dort eine besondere Rolle spielten.<br />
Wir sehen, alles ist dem Wechsel und der Veränderung<br />
unterworfen. Aber es ist interessant und zugleich lehrreich,<br />
sich die Entwicklung der Dinge und ihrer Zusammenhänge<br />
auf Einzelgebieten da und dort gründlich vor<br />
Augen zu führen, um nach einem Dichterwort: »rückwärtsblickend<br />
vorwärts schauen« zu können.
Nochmals:<br />
Um ein Schillerdenkmal<br />
Der obengenannte Artikel in der Hohenz. Heimat Nr. 3<br />
Seite 42 bedarf einer Ergänzung bzw. Berichtigung.<br />
Vorab: Das Schillerdenkmal auf dem »Bürgle« in Jungingen<br />
steht auch heute noch und ist von seinem Platz<br />
nicht wegzudenken. In seiner zugegebenermaßen schlichten<br />
Art paßt es sicher besser in die Naturlandschaft als<br />
ein protziges Monument. Jedenfalls ist es weder von der<br />
Ausführung, noch vom Standort her von der Bevölkerung<br />
jemals in Frage gestellt worden. Auch die zitierten<br />
Verse von Casimir Bumiller sind wohl weniger als Kritiü<br />
aufzufassen. Sie mögen vielmehr seiner Freude am fabulieren<br />
und reimen und aus Spaß am »foppen« entstanden<br />
sein. Letzteres war ja schon immer eine Stärke der Junginger.<br />
Früher war im Killertal der Neckvers zu hören:<br />
Wer dur Schlatt goht augfroget<br />
dur Junginga augfoppet<br />
dur Hausa augspottet<br />
dur Burladinga augschlaga<br />
ka z' Gauselfinga vu Wunder saga<br />
Zurück zu unserem Denkmal, für das nebenstehendes<br />
Bild sprechen soll. Der »Marterpfahl« ist eine massive<br />
Eichen-Säule mit Kupferabdeckung, gekrönt von einer<br />
Schillerbüste, die einst nach einem Gipsmodell von Hofbildhauer<br />
Schädler aus Karlsruhe im Hüttenwerk Lauchertal<br />
gegossen wurde. Un die »Wüste öd und kahl«<br />
entpuppt sich als eine der schönsten Landschaften unserer<br />
engeren Heimat. Hier könnte unser »Casse«, inspiriert<br />
von seinem Landsmann Schiller sein Heimatlied geschrieben<br />
haben:<br />
Umkränzt von Berg und bunter Waldespracht<br />
birgt sich ein Tal noch kaum erschlossen<br />
in Wiesengrund manch schönes Dörflein lacht<br />
von klaren Starzelbach durchflössen . . .<br />
Das Denkmal stammt nicht, wie später irrtümlich angenommen,<br />
vom früheren Leseverein. Es wurde vielmehr<br />
von der hiesigen Ortsgruppe des Schwäbischen Albvereins<br />
zum 100. Todestag Friedrich Schillers am 9. Mai<br />
1905 errichtet.<br />
Der Chronist schildert das festliche Ereignis, das mit<br />
Böllerschüssen und Fackelzug, mit Musik und Gesang,<br />
Reden und Rezitationen und einem Höhenfeuer begangen<br />
wurde. Fürst Wilhelm von Hohenzollern hat zu diesem<br />
Anlaß sogar eine Hohenzollernflagge gestiftet. Der<br />
Bericht schließt mit der Feststellung: »So hat nun der<br />
große schwäbische Dichter in seinem 100. Todesjahr wenigstens<br />
auf einer Stelle in Hohenzollern wenn auch nur<br />
ein schlichtes so doch ehrendes Denkmal erhalten.«<br />
Der Schwäbische Albverein hat auch im Jahre 1959 aus<br />
Anlaß des 200. Geburtstages des Dichters die altersschwache<br />
Eichensäule erneuert. Dabei fand sich hinter<br />
dem Relief eine interessante Urkunde, die im Stil der damaligen<br />
Zeit über die Geschichte des Denkmals berichtet.<br />
Sie wurde mit einem Nachwort wieder in den neuen<br />
Stamm eingefügt.<br />
Abschließend könnte man feststellen, daß Schiller auch<br />
in den Herzen der Talbewohner sein Denkmal hat. Sind<br />
doch in den vergangenen Jahrzehnten die meisten seiner<br />
Dramen - einzelne sogar mehrfach - über die Bretter<br />
der hiesigen Laienbühnen gegangen und im Bewußtsein<br />
der Bevölkerung lebendig geblieben. JS<br />
Zum Tod von<br />
H. H. Pfarrer Albert Waldenspul<br />
Am Rosen-Montag nahm eine große Gemeinde in der<br />
Pfarrkirche Melchingen (Stadt Burladingen) Abschied<br />
von einem überaus beliebten Seelsorger, Pfarrer Albert<br />
Waldenspul. Er war im patriarchalischen Alter von fast<br />
94 Jahren am Donnerstag, den 22. Februar 1979, um<br />
4 Uhr im Kreiskrankenhaus Hechingen gestorben. Dekan<br />
Eugen Wessner von Jungingen zeichnete in seiner Totenpredigt<br />
das Bild des tüchtigen Priesters, Geschichts- und<br />
Kunstfreundes, der nicht nur an seinen Wirkungsorten<br />
hoch geschätzt und geehrt wurde, sondern auch landauf,<br />
landab durch seine zahlreichen Kunstvorträge bekannt<br />
war. Jedem, der ihm begegnen durfte, ist wohl sein edles<br />
Haupt mit dem wehenden silbernen Haar unvergeßlich,<br />
viele waren beeindruckt durch sein menschliches,<br />
humorvolles Wesen, seine Bescheidenheit trotz eines umfangreichen<br />
Wissens. Auch der Hohenz. Geschichtsverein,<br />
vertreten durch seinen Vorsitzenden, Staatsarchivdirektor<br />
Dr. Gregor Richter, ehrte die Verdienste und<br />
nahm Abschied von seinem Ehrenmitglied.<br />
Das umfangreiche schriftliche Werk des Verstorbenen an<br />
dieser Stelle zu würdigen, erübrigt sich. Es ist anläßlich<br />
seines 90. Geburtstages geschehen (HH 1975, 29). Erwähnt<br />
sei nochmals sein grundlegendes Werk, die Bearbeitung<br />
der Kunstdenkmäler des ehem. Oberamtes Haigerloch<br />
in dem von Walther Genzmer herausgegebenen<br />
Kunstdenkmälerband des Kreises Hechingen (Hechingen<br />
1939). Eine weitere Arbeit sei erwähnt, das schmale<br />
Bändchen »Die gotische Holzplastik des Laucherttales in<br />
Hohenzollern«, erschienen als zweites Heft der Forschungen<br />
zur Kunstgeschichte Schwabens und des Oberrheins<br />
- herausgegeben von Prof. Georg Weise in Tübingen<br />
1923. Wir danken dem Verstorbenen für alles Wissen<br />
und die Schönheit unserer Kunstwerke. H.<br />
13
WALTHER FRICK<br />
Ein Wunder namens ZIP<br />
Investitionsgelder retten <strong>heimat</strong>liche Kleinodien<br />
Was heute unter dem Namen ZIP - Zukunfts-Investitionsprogramm<br />
geschieht, im Verein mit ähnlichen Investitionen<br />
unter den Titeln „Dorf- und Stadtsanierung"<br />
und „Strukturverbesserung schwacher Räume", mutet<br />
wie ein Wunder an. Plötzlich ist Geld da und zwar in<br />
Fülle, um geradezu haufenweise Vorhaben zu verwirklichen,<br />
an denen Heimatfreunde und Denkmalspflege bisher<br />
schier verzweifelten. Es ist nämlich selbst den Lesern<br />
der Tageszeitungen bisher nur vereinzelt aufgegangen,<br />
daß unter diesen Titeln sich nicht nur „moderne" Projekte<br />
finden, also Kläranlagen, Ringsammler, Wasserversorgungen<br />
und dergleichen, sondern daß mit solchen<br />
Geldern „altes Glump" wieder hergestellt wird. Abbruchreife<br />
Häuser von wertvoller Bausubstanz, Hindernisse<br />
für den Straßenbau noch gestern, Innenstadt-Häuser<br />
ohne Wasserspülung und Bäder, jetzt stehen sie<br />
plötzlich ganz vorne in der Liste des Erhaltenswerten<br />
und zu Schützenden und es ist das Geld da, sie wirklich<br />
zu retten.<br />
Wir wollen die beiden Hauptgründe - oder was wir<br />
vielleicht irrtümlich dafür halten - nur streifen: der<br />
eine ist, daß endlich die Idee in die breite Öffentlichkeit<br />
gedrungen ist, daß man alte Häuser und ganze Ortsteile<br />
erhalten muß, wenn man das erhalten will, was man<br />
heute Lebensqualität nennt. Der zweite Grund aber ist<br />
eine weitgehende Sättigung des Baumarktes; vor allem<br />
gibt es kaum noch öffentliche Gebäude zu erstellen, bei<br />
gleichzeitig (noch!) vollen Kassen von Bund und Ländern.<br />
So sind diese Programme entstanden. Wir wollen<br />
im Nachfolgenden ein paar Beispiele erwähnen, die im<br />
heutigen - größeren - Kreis Sigmaringen die Aufmerksamkeit<br />
auf sich ziehen. Fangen wir mit Pfullendorf<br />
an. Dort ist vor kurzem der „Schellenberger Hof"<br />
zu einem Gymnasium umgestaltet worden. Dieser einstige<br />
Adelssitz, der in seiner frühesten Bausubstanz in die<br />
Stauferzeit zurückgeht, war zuletzt ein liederlich verkommenes<br />
Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert und gehörte<br />
einst dem bekannten Adelsgeschlecht der Schellenberg,<br />
das im Linzgau saß. Zugleich aber hat Pfullendorf<br />
zwei weitere historische Gebäude zu Gymnasien gemacht,<br />
das graue und das weiße Kloster. Das sind zwei<br />
einstige Frauenklöster, die ihren Namen der Farbe der<br />
Ordensgewänder verdanken: grau waren Tertiarinnen,<br />
weiß Dominikanerinnen. Natürlich hätte Pufllendorf irgendwo<br />
am Stadtrand ein modernes Allerweltsgebäude<br />
von neuem Gymnasium bauen können, aber Stadtrat und<br />
Lehrerschaft waren sich einig darin, die Unbequemlichkeit<br />
in Kauf zu nehmen, die die Entfernung mit sich<br />
bringt: die Klöster liegen nahe beisammen, aber zum naturwissenschaftlichen<br />
Unterricht müssen die Schüler 200<br />
Meter weit zum Schellenberger Hof gehen. - Ihm benachbart<br />
wird derzeit das Obere Tor renoviert, Prachtstück<br />
eines mittelalterlichen Tors, würdiger Schmuck einer<br />
gewesenen Reichsstadt. Das „Bindhaus" ist derzeit<br />
an der Reihe (so genannt, weil dort die Küfer arbeiteten),<br />
und ebenso entsteht aus einer alten Gred, einem<br />
Getreidemagazin, jetzt ein Bürgersaal.<br />
Ein Prachtstück in dieser Hinsicht ist bekanntlich<br />
Veringenstadt geworden. Eben jetzt hat der Kreis Sigmaringen<br />
zu den bisherigen staatlichen Investitionen<br />
noch einen Betrag gegeben zur Renovierung der Stadtmauer.<br />
In Veringenstadt kam der glückliche Umstand<br />
hinzu, daß der Lauchertal-Verkehr durch die Umge-<br />
14<br />
hungsstraße weggenommen wurde; das hat der Freude<br />
der Bürger mächtigen Auftrieb gegeben, ihre Häuser<br />
nach einem gemeinschaftlichen Fahrplan farbig zu malen.<br />
Auch sind ganze Häuser hinten abgebrochen - nur<br />
die Fassade an der Hauptstraße blieb stehen - und neu<br />
aufgeführt worden, natürlich in genau denselben Abmessungen<br />
und mit dem gleichen Dach. Veringenstadt gilt<br />
inzwischen landesweit als ein geglücktes Beispiel, eine<br />
wirkliche kleine Stadt wieder erstehen zu lassen, wie sie<br />
einmal war. Wenn diese Zeilen den Leser erreichen, wird<br />
in Veringenstadt-Hermentingen noch etwas ganz Neues<br />
hinzugekommen sein: eine Gedenkstätte für den Heiligen<br />
Gallus. Die Gallus-Quelle in Hermentingen soll der Legende<br />
nach ihren Namen davon haben, daß der erste<br />
Alemannen-Apostel hier eine Zeitlang gelebt haben soll,<br />
ehe er sich am Bodensee niederließ, wo aus seiner Klostergründung<br />
die heutige Stadt Sankt Gallen erstand.<br />
Die Gallusquelle versorgt heute Balingen, Bitz und andere<br />
hochgelegene Gemeinden auf der Zollernalb mit Wasser.<br />
Für die Gedenkstätte vorgesehen ist eine Statue des<br />
Heiligen und eine kleine Anlage; und weil es so geschickt<br />
daneben steht, wird auch ein altes Gemeindebackhaus<br />
gleich mit renoviert.<br />
Oder in Mengen, um ein Letztes zu nennen: 80 Prozent<br />
der Bausubstanz der Altstadt steht unter Denkmalsschutz,<br />
und was in den letzten Jahren geleistet wurde,<br />
sieht jeder, der durch die Hauptstraße und ihre Parallelstraßen<br />
fährt. Derzeit kommt eine einstige Kerzengießerei<br />
an die Reihe, eigentlich ein Gartenhaus von nur fünf<br />
mal fünf Metern Grundriß, zweistöckig. Auch dazu gibt<br />
der Landkreis einen Zuschuß. - Die Reihe könnte über<br />
Dörfer hinweg fortgesetzt werden, es ZIP-t überall, und<br />
immer mehr Bürgermeister begreifen die Chance, über<br />
Dorfsanierungs- und Investitionsmittel ihren Gemeinden<br />
nach jahrzehntelanger Neuerungssucht wieder zu ihrem<br />
wahren, gewachsenen Gesicht zu verhelfen.<br />
„Dr Semmris^Krätten"<br />
Meine Nachbarin stammt aus einem Dorf bei Tübingen<br />
und ist schon vielfache Großmutter, hat auch alle Hoffnung<br />
- denn sie ist erst um sechzig - auch noch Urenkel<br />
zu sehen. Und sie stammt aus ländlicher Umgebung;<br />
dies vorweg, weil diese Umstände ein wenig das Thema<br />
beleuchten. Sie kam dieser Tage zu mir, weil sie irgendwo<br />
gehört habe, in Ablach gäbe es einen Korbmacher,<br />
und ob das stimme, denn sie brauche einen Semmris-<br />
Krätten. - Immer auf dem Sprung, aus einem kaum<br />
oder nie gehörten schwäbischen Wort den Kern herauszuschälen,<br />
ließ ich mir erzählen: der Korb muß aus ungeschälten<br />
Weidenruten sein, wie einst ein Holzkorb fürs<br />
Brennholz, nur mit etwas größerem Durchmesser und<br />
dafür mit etwas weniger hohen Seitenwänden. Die Frau<br />
konnte mir nicht sagen, woher der Name kommt, aber<br />
ich meine, darin steckt nichts anders als der oder das<br />
Simmri, das uns so oft als Hohlmaß in alten Urkunden<br />
auch auf diesen Seiten begegnet. Wieviele Male hat Herr<br />
Pfarrer Kraus bisher schon dieses Wort zitiert, wenn irgend<br />
eine Abgabe in Naturalien in Simmri aufgezählt<br />
wurde, vor allem Getreide. Meine Nachbarin braucht<br />
keine Naturalabgaben zu bezahlen, selbstverständlich;<br />
sie will den Korb ihrem Sohn nach Berlin schicken, der<br />
hat darum gebeten: „Wisset Se, der sammlet halt au so<br />
alts Glump, dees machetem Fraid!" Wichtiger war mir,<br />
daß die Frau mir erzählte, daß noch in ihrer Jugend, in<br />
den zwanziger Jahren, in der Tübinger Gegend das<br />
Simmri - sie spricht es als Semmre oder Semmris aus -
noch durchaus gebräuchlich war; nach ihrer Angabe ist<br />
es etwa ein Viertelzentner, denn ein halber Zentner<br />
habe alleweil als zwei Semmris und umgekehrt gegolten.<br />
Das war in der Tübinger Gegend, wie erwähnt. Meine<br />
Frage zum Schluß an die Leser: 1. Wird in Hohenzollern,<br />
etwa im Unterland, das nicht so weit von Tübingen<br />
ist, das Simmri noch gebraucht? 2. Wenn ja, welches Gewicht<br />
(oder Hohlmaß) vertritt es heute? Und schließlich<br />
eine Frage an die Fachleute: Was wog das „klassische"<br />
Simmri, also in frühen Jahrhunderten, als dieses Maß<br />
gang und gäbe war? Walther Frick<br />
JOHANN ADAM KRAUS<br />
Ringinger Burgbewohner<br />
Wie anderwärts hat auch auf der Burg Ringingen immer<br />
wieder ein Wechsel der Familien stattgefunden, sei es<br />
durch Erbschaft oder durch Kauf. Manchmal dürften<br />
auch mehrere zugleich dort heimisch gewesen sein. Aus<br />
den Angaben des Hohenzollerischen Jahresheftes 1964,<br />
345 f., entnehmen wir zunächst:<br />
Im J. 1180 erscheint als erster: Ritter Dietrich von Ringingen.<br />
Vor 1200 dann derselbe mit einem nahen Verwandten<br />
Otto v. R. Jedoch 1277-92 finden wir eine<br />
andere Familie aus dem Geschlecht derer von Entringen:<br />
„Eberhard von Ringingen." Er war wohl der Letzte seines<br />
Stammes. Bis um diese Zeit bezeichnete das „von"<br />
tatsächlich den Wohnsitz, nicht einen starren Namen,<br />
wie später. Im J. 1342 nennt sich Konrad, Truchsess von<br />
Urach, „zu Ringingen gesessen", der dann zusammen mit<br />
einem gleichnamigen Sohn daselbst 1349 vorkommt, die<br />
sich ab 1351 „Truchsess von Ringingen" nennen. 1375<br />
finden wir den Ritter Kun(rad) Tr. v. Ringingen mit<br />
den Söhnen Konrad und Jörg 1 . Zum gleichen Jahr aber<br />
erwähnt Gabelkofer in seinen Collekten einen zu Ringingen<br />
wohnhaften Eberhard von Grafeneck mit einer<br />
angeblichen Schwelherin als Frau. Wohnten also zwei<br />
Familien da? Am 28. Juli 1383 wird in einer Urkunde<br />
des Burkart von Holnstein betr. Kl. Pfullingen auf einmal<br />
als O r t s h e r r (ob auch Burgherr?) Heinrich von<br />
Killer, genannt Affenschmalz, angeführt 2 , und zwar mit<br />
der Bestimmung: „dessen Eigentum Ringingen ist". Acht<br />
Jahre zuvor war er als „Affesmalz" ein päpstlicher<br />
Söldnerführer in Italien gewesen, wo er sich einen gewissen<br />
Wohlstand verdiente 3 . Noch im Jahr 1406 bei Stiftung<br />
seines Jahrtages ist er Ringinger Ortsherr, dagegen<br />
1390 am 16. Oktober wohnte noch Georg Truchsess von<br />
Ringingen auf der Burg, später jedoch nicht mehr".<br />
Heinrich Affenschmalz hieß 1392 „von Ringingen", im<br />
Siegel aber immer noch „von Killer". Im J. 1403 taucht<br />
eine neue Familie hier auf: indem am 1. Mai Hans<br />
Schwelher der ältere „zu Ringingen seßhaft" erwähnt<br />
wird, vermutlich zusammen mit seinen Brüdern Mettelhans<br />
und Kleinhans. Der Ortsherr war somit nicht identisch<br />
mit dem Burgherrn bzw. Burgbewohner! Einzelne<br />
Güter und leibeigene Leute gehörten wieder anderen<br />
Herren, die manchmal lebhaften Handel trieben.<br />
Kleinhans Schwelher scheint durch seine Frau Anna von<br />
Freyberg in Besitz der Ringinger Burg und einzelner<br />
Ortsteile gekommen zu sein. Obiger Eberhard von Grafeneck<br />
war 1387 Schloßherr zu Seeburg bei Urach. Nach<br />
Urkunden des Benediktinerinnenklosters Urspring bei<br />
Schelklingen 5 kommt er 1370 bis 1419 vor und besaß<br />
den Rittertitel. Seine urkundliche (zweite?) Frau hieß<br />
Anastasia von Sulmetingen. Die Familie war mit einer<br />
Reihe Kinder gesegnet: Katharina, Dorothea, Margare-<br />
tha, Ursula (alle Nonnen zu Urspring), Hans und Agnes<br />
oder Nesa (diese 1420). Diese war vermutlich verehelicht<br />
mit Konrad von Freyberg, des Burkarts Sohn zu Neusteußlingen.<br />
Konrad ist ausdrücklich Tochtermann der<br />
obigen Anastasia von Grafeneck-Sulmetinen geheißen<br />
Konrads und Agnesens Tochter scheint die Gattin des<br />
Kleinhans Schwelher geworden zu sein 7 . Sie dürfte von<br />
ihrem Vater Konrad v. F. bzw. dem Großvater Eberhard<br />
von Freyberg Ringinger Güter dem Schwelher zugebracht<br />
haben. Anteil an Ortsrechten und am Kirchensatz<br />
besaß um 1460 auch ein Hans von Westernach.<br />
Möglicherweise war seine Mutter eine Anastasia von<br />
Grafeneck, eine weitere Tochter obigen Eberhards. Sie<br />
erscheint 1443 als Witwe eines älteren Hans von Westernach<br />
8 , der 1417 zusammen mit Konrad von Freyberg<br />
(des verstorb. Burkarts Sohn) urkundlich erwähnt<br />
wird 9 . Hans d. j. von Westernach von 1460 möchte ich<br />
als seinen Sohn und Erben ansehen. Nach Kleinhans<br />
Schwelhers Tod um 1450 wohnte 1455 sein Tochtermann<br />
Friedrich von Ow zu Ringingen auf der Burg 10<br />
samt seiner Schwiegermutter Anna von Freyberg, die unsere<br />
Kapelle der hl. Gallus und Othmar mit einem Sechstel<br />
des Ringinger Zehnten beschenkte 11 . Anna erhält<br />
noch 1466 vom Bischof von Konstanz die Zelebrationserlaubnis<br />
bzw. Benützung eines Altarsteins für Exequien.<br />
Im gleichen Jahr 1466 ist dann die Burg Ringingen in<br />
der unheilvollen Fehde des Hans von Rechberg, der in<br />
Salmendingen begütert war, in Trümmer gesunken.<br />
Nach der Zimmerischen Chronik von ca. 1566 stand damals<br />
noch der meiste Teil der Mauern, und es sei ein<br />
schöner und ansehnlicher Edelmannssitz gewesen.<br />
Neuestens wurde der noch 12 m hohe Bergfried konserviert<br />
und am Fuß ein Eingang geschaffen, so daß man<br />
auf einer stabilen Holztreppe ihn besteigen kann.<br />
1 3<br />
Hohz. JHeft 1952, 95.<br />
Wie 1: 1954, 109.<br />
2 4<br />
Staatsarch. Stuttg. A 514, No. 92. HJH 1964, 348.<br />
3<br />
Geschichte und Regesten des Benediktinerinnenklosters Urspring<br />
bei Schelklingen (je 400 Seiten), bearb. von Immo<br />
Eberl, 1978, Verlag Müller u. Graf, Stuttgart, mit guten Registern.<br />
8<br />
Wie 5: U 284 u. 290.<br />
9<br />
Ebenda: U 369.<br />
7<br />
Hohenz. Heimat 1954, 14.<br />
10<br />
HJH 1964, 352.<br />
8<br />
Wie 5: U 446 " Hohenz. Heimat 1954, 14.<br />
JOHANN ADAM KRAUS<br />
Letzte Herren von Benzingen<br />
In der Hohenzollerischen Heimat 1974, 40, wurden die<br />
bis dahin bekannten Glieder des Adels von Benzingen<br />
zusammengestellt. Nun sind durch die neu erschlossene<br />
Geschichte des ehemaligen Benediktinerinnen-Klosters<br />
Urspring bei Schelklingen 1 weitere Vertreter der Familie<br />
„von Benzingen" zutage gekommen, die hier nachgetragen<br />
seien 2 .<br />
Eine Sophie von Benzingen war 1360 und 1362 Nonne<br />
zu Urspring. Sie starb an einem 12. Januar. Vielleicht sei<br />
sie die Schwester Konrads v. Benzingen (G 233). Am<br />
1. Mai 1346 setzte Albrecht von Benzingen, Sohn des<br />
verstorbenen Konrad v. Benzingen, seiner Ehefrau Anna,<br />
Tochter des Johannes Faurer, seinen Hof zu Niederhofen<br />
3 als Pfand kraft Heimsteuerrechts für 20 Mark<br />
Silber ein, die er ihr von ihrer Morgengabe noch schuldete<br />
(U 35). Derselbe Albrecht verkaufte am 17. Oktober<br />
1356 an das Kloster Urspring seinen Niederhofer<br />
Hof, den Heinz Ochs bebaut, um 282 Pfund Heller.<br />
15
Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> Geschichtsverein<br />
Karlstraße 3, 7480 Sigmaringen<br />
W <strong>3828</strong> FX<br />
Postvertriebsstück. Gebühr bezahlt.<br />
Albrechts Ehefrau Anna verzichtet auf ihre Ansprüche<br />
(U 166, 167). Im Jahre 1359 bestätigten Albrecht von<br />
Benzingen und Hotz Braunber dem Kloster die Jahrtagsstiftung<br />
Gutas von Benzingen, Albrechts Schwester,<br />
für sich und ihre Schwester Beta (Elisabeth) aus den Einkünften<br />
des Hofes zu Hausen ob Urspring, die jährlich<br />
11 Schilling Heller Zins und 11 Hühner umfaßten<br />
(U 171). Nonnen waren offenbar die beiden Schwestern<br />
nicht, im Gegensatz zu obiger Sophie. Wohl derselbe Albrecht<br />
Benzinger (ohne „von"!) ist am 14. August 1363<br />
Bürge für Hans von Ehestetten und Heinz von Muschwang<br />
(U 183, 184). Den zu Schelklingen wohnhaften<br />
Albert (= Albrecht) Benzinger finden wir am 15. Oktober<br />
1363 als Bürgen für den Urspringer Kaplan Konrad<br />
Swäbli (U 185). Albrecht von Benzingen wird am<br />
12. Oktober 1374 erwähnt als Oheim der Anna von<br />
Nusplingen und ihres Mannes Nikolaus Arnold von<br />
Rottweil (U 223). Der gestiftete Jahrtag der obigen Beta<br />
von Benzingen wird 1409 auf 28. März erwähnt, wohl<br />
ihrem Todestag (U 340). Des „Benzingers Hof" zu Hausen<br />
ob Urspring erscheint noch am 2. Februar 1412 in<br />
der Urkunde Nr. 361, ohne daß damit gesagt ist, dieser<br />
Albrecht Benzinger sei noch am Leben. Weiteres verlautet<br />
über die Familie nichts mehr.<br />
1 Geschichte und Regesten (je 400 Seiten) des Benediktinerinnenklosters<br />
Urspring bei Schelklingen 1127-1806, bearbeitet<br />
von Immo Erberl; Verlag Müller u. Graf, Stuttgart, 197S.<br />
Beide Bände mit guten Registern.<br />
2 U = Urkunde oder Regest; G = Geschichte.<br />
3 Gemeinde Allmendingen im Alb-Donau-Kreis.<br />
Register 1978 Seite<br />
Hettingen, Blick auf die Flurkarte<br />
Seite<br />
43<br />
Beuron, St. Mauruskapelle (Bild) 17 Hospach Hans, »Ein vergessener Prophet<br />
Beuron, Das ehemalige Chorherrenstift aus dem Killertal« 27<br />
1077-1977 1 Inneringen, Seelsorger 60<br />
Bienen gehen ins Haus 63 Jungingen, Familienbibel 44<br />
Bisingen, Bericht über das KZ 55 Jungingen, Um ein Schillerdenkmal 42<br />
Burladingen-Hausen, Römisches Kastell 50 Kay, Teil einer Burgbefestigung? 7<br />
Burladingen 1200 Jahre, Killer, Schwelherbesitz 1488 57<br />
Festvortrag von Dr. Rettich 37 Lenz, P. Desiderius,<br />
Burladingen-Ringingen, St. Veit 48 Gedenkwort zum 50. Todestag 18<br />
Engstlatt, Werden einer Markung 11 Lenz, P. Desiderius,<br />
Erzgewinnung, Uralte Erzgewinnung 26 Ausstellung in Haigerloch 13<br />
Feldhausen, St. Sebastianskapelle 14 Lokomotiven, Museumslokomotiven<br />
Fehla, das Rätsel (des Namens) 27 in Hohenzollern 28<br />
Frundspürglin und Eineck 21 Pfullendorf im Spanischen Erbfolgekrieg 23<br />
Gammertingen, 50 Jahre Kreisaltersheim 54 Rangendingen, Gipsbrüche und Gipsmühlen 29<br />
Gruol, Gründung des Klosters vor 500 Jahren 46 Ringingen, Seemühle 1685-1937 31<br />
Haigerloch - St. Märgen-Hohenheim 42 Sprache unserer Vorfahren (Hettingen) 26<br />
Hausen i. K., Die Steimer 61 Stein - Hechingen, Römischer Gutshof entdeckt 8<br />
Hechingen, eine versteckte Miniaturvedute Stoi schla (Volkskundliches) 63<br />
aus dem 16. Jahrhundert 22 Trillfingen, 200 Jahre Schäferzunft 58<br />
Henselmann, Prof. Josef Henselmann Thanheim, Seelsorger 32<br />
80 Jahre 34 Wildenstein, Die Burg 4<br />
Henselmann, Kriegerdenkmal in Laiz (Bild) 33 Zürn Martin, Anbetung der Hirten (Bild) 49<br />
HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />
hrsggbn. vom Hohenz. Geschichtsverein.<br />
Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat«<br />
ist eine <strong>heimat</strong>kundliche Zeitschrift. Sie<br />
will besonders die Bevölkerung in Hohenzollern<br />
und der angrenzenden Landesteile<br />
mit der Geschichte ihrer Heimat vertraut<br />
machen. Sie bringt neben fachhistorischen<br />
auch populär gehaltene Beiträge.<br />
Bezungspreis: 6,00 DM jährlich.<br />
Konten der »Hohenzollerischen Heimat«:<br />
802 507 Hohenz. Landesbank Sigmaringen<br />
123 63-707 Postscheckamt Stuttgart<br />
Druck: M. Liehners Hofbuchdruckerei<br />
KG, 7480 Sigmaringen, Karlstraße 10.<br />
16<br />
Die Autoren dieser Nummer:<br />
Marc Buckenmaier<br />
Eichendorffstr. 6, 7703 Rielasingen<br />
Walther Frick, Journalist<br />
Hohe Tannen 4, 7480 Sigmaringen<br />
Prof. Dr. Josef Groner<br />
Adolf-Kolping-Str. 17, 7798 Pfullendorf<br />
Georg Hämmerle, Konrektor a. D.<br />
Lindenstr. 23, 7968 Saulgau<br />
Joh. Adam Kraus, Erzb. Archivar i. R.<br />
Badstr. 8, 7800 Freiburg/Br.<br />
Josef Mühlebach, Landesverw.-Rat a. D.<br />
Leopoldstr. 41, 7480 Sigmaringen<br />
Joh. Wannenmacher, Schulrat i. R.<br />
Goethestr. 19, 7487 Gammertingen<br />
Schriftleitung:<br />
Dr. med. Herbert Burkarth,<br />
7487 Gammertingen (Telefon 07574/329)<br />
Redaktionsausschuß:<br />
Walther Frick, Journalist,<br />
Hohe Tannen 4, 7480 Sigmaringen<br />
(Telefon 07571) 8341)<br />
Manfred Hermann, Pfarrer,<br />
7451 Neufra/Hohenz. (Tel. 07574/442)<br />
Die mit Namen versehenen Artikel geben<br />
die persönliche Meinung der Verfasser<br />
wieder; diese zeichnen für den Inhalt der<br />
Beiträge verantwortlich. Mitteilungen der<br />
Schriftleitung sind als solche gekennzeichnet.<br />
Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />
werden an die Adresse des Schriftleiters<br />
oder Redaktionsausschusses erbeten.<br />
Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />
Heimat« weiter zu empfehlen.
HÖH ENZOLLERISCHE<br />
HEIMAT<br />
Herausgegeben oom<br />
W <strong>3828</strong> FX<br />
Hohenzollerifchen Gefchichtsoerein<br />
29. Jahrgang Nr. 2/Juni 1979<br />
Kloster Hedingen vor dem Umbau 1889. Lithographie von Anton Eitelberger, Meßkirch. Aus einem Sigmaringer Sammelbild.<br />
Arch. Sig. Frick, Sigmaringen.<br />
GREGOR RICHTER<br />
Kirchliche und reditliche Verhältnisse in Sigmaringen<br />
am Ausgang des Mittelalters<br />
Die Einteilung des deutschsprachigen Abendlandes in<br />
Diözesen erfolgte schon im frühen Mittelalter. Wenn<br />
man die Grenzziehung zwischen den Bistümern Augsburg<br />
und Konstanz einerseits sowie den nördlich daran<br />
anstoßenden Bistümern andererseits betrachtet, so werden<br />
die Rücksichten erkennbar, die man dabei auf die<br />
Stammeszugehörigkeit der Bewohner genommen hat.<br />
Ähnlich früh müssen die Landkapitel als Vorläufer der<br />
heutigen Dekanate und die sogenannten Urpfarreien entstanden<br />
sein. In aller Regel fehlen darüber umfassende<br />
Nachrichten. Häufig ist deshalb die Forschung auf zufällige<br />
Nennungen angewiesen, wenn sie nicht gar lediglich<br />
aus den Namen der Heiligen, denen eine Pfarrkirche<br />
geweiht ist, und den Modeströmungen in der Heiligen-<br />
verehrung Rückschlüsse auf das Alter einer Pfarrei ziehen<br />
muß.<br />
Für das Bistum Konstanz betritt man bezüglich der Pfarreien<br />
sicheren Boden mit dem Jahr 1275. Damals wurde<br />
von allen Geistlichen eine auf sechs Jahre beschränkte<br />
Sondersteuer zur Finanzierung eines weiteren Kreuzzuges<br />
erhoben. Freigestellt waren lediglich diejenigen geistlichen<br />
Orden, die selbst die Befreiung des Heiligen Landes<br />
betrieben oder, so die Dominikaner und Franziskaner,<br />
den Kreuzugsgedanken förderten bzw. wie die Zisterzienser<br />
Feldprediger im Kreuzzugsheer stellten. Den<br />
Einzug dieser Steuer hatte die bischöfliche Kurie zu bewerkstelligen.<br />
Damit nachgeprüft werden konnte, wer<br />
schon bezahlt hatte und wer nicht, legte man ein »Ver-
zeichnis des von dem Konstanzer Klerus zu leistenden<br />
Papstzehnten«, den sogenannten »Liber decimationis cleri<br />
Constanciensis pro Papa de anno 1275« an 1 . Darin<br />
nun sind alle Pfarreien samt deren Jahreseinkünften aufgeführt,<br />
die Stadt Sigmaringen aber sucht man darunter<br />
vergebens, eine Stadtpfarrei gab es 1275 nämlich noch<br />
nicht. Dies traf auch noch zwei Jahrhunderte später zu.<br />
Denn 1444 entstand in unserer Stadt eine neue Johanneskapelle,<br />
wohl am selben Platz wie ein gleichnamiger<br />
älterer Bau, der sich schon zum Jahr 1359 nachweisen<br />
läßt. Hier kommt es auf den Ausdruck Kapelle an, die<br />
Bezeichnung für ein Gotteshaus ohne pfarrliche Rechte.<br />
Denn die Sigmaringer Pfarrkirche war damals und noch<br />
für lange Zeit die Kirche in Laiz. Sie blieb es sogar, als<br />
der Pfarrer längst in der Stadt wohnte, als 1464 die<br />
Stadtherrschaft beim Bischof durchsetzen konnte, den<br />
Pfarrgottesdienst in der Stadt abzuhalten. Die Verselbständigung<br />
der Johannespfarrei gelang erst im 18. Jahrhundert.<br />
Wir haben es hier keineswegs mit einem Einzelfall zu<br />
tun. Vielmehr läßt sich des öfteren beobachten, daß später<br />
gegründete oder stark gewachsene und zu Städten erhobene<br />
Orte über keine eigene Pfarrei verfügten. Sie<br />
blieben vielmehr in denjenigen Pfarrverband eingebunden,<br />
zu dem sie schon früher gehört hatten, vielleicht sogar<br />
samt ihrer Markung, die erst später neu abgegrenzt<br />
worden sein konnte. Ein solcher Fall findet sich beispielsweise<br />
ganz in der Nähe von Sigmaringen nochmals<br />
in Veringenstadt. Dieses gehörte pfarrlich sogar bis ins<br />
19. Jahrhundert zu Veringendorf.<br />
Im langen Festhalten an der überkommenen Pfarrorganisation<br />
zeigt sich ein gewisser Konservatismus, der<br />
durch die rechtlichen Begleitumstände begünstigt wurde.<br />
Denn gestiftete Pfründ- oder Heiligenvermögen, Jahrtage<br />
und andere Verpflichtungen fußten nicht selten auf<br />
urkundlichen Festlegungen, die man lange respektierte.<br />
Die sprichwörtliche Redewendung, man möge die Kirche<br />
im Dorf lassen, ist Ausdruck der traditionellen Beibehaltung<br />
älterer Pfarreiverbände.<br />
Im Verhältnis zwischen Laiz und Sigmaringen bestand<br />
der angedeutete Respekt des alten Zustandes eher formal<br />
als konsequent. Denn, wie erwähnt, 1464 bekam die<br />
Stadtherrschaft die Erlaubnis, in Sigmaringen selbst<br />
Pfarrgottesdienste abzuhalten 2 . Auch wohnte der Pfarrer<br />
bald in der Stadt, nicht mehr in Laiz. Formal gelang<br />
die endgültige Lösung von der Pfarrei Laiz jedoch erst<br />
im 18. Jahrhundert, als die Stadtpfarrei für sich das<br />
Recht auf Beerdigungen erhielt und einen eigenen Friedhof<br />
anlegte. Denn Taufen, Trauungen und Bestattungen<br />
sind pfarrliche Rechte, die im Regelfall in der Pfarrkirche<br />
bzw. auf deren Friedhof vollzogen werden mußten.<br />
Zu den kirchlichen Verhältnissen zählen die Beziehungen<br />
zu den Klöstern. In Sigmaringen waren diese im Mittelalter<br />
eng, bestand doch in Gorheim ein Franziskanerinnenkloster<br />
und in Hedingen hatten Dominikanerinnen<br />
ihren Sitz 3 .<br />
Die Geschichte des mittelalterlichen Klosterwesens wäre<br />
ein Thema für eine gesonderte Abhandlung. Ist es doch<br />
interessant und aufschlußreich zu sehen, wie in den Orden<br />
und Kongregationen sowie in deren Niederlassungen<br />
bestimmte Frömmigkeitsideale ihren Niederschlag fanden,<br />
wie nicht selten spätere Ausformungen der ursprünglichen<br />
Ideen zu geänderten Richtungen führten.<br />
Die vielen Neugründungen von Klostergemeinschaften<br />
sind Ausdruck einer gewissen Abkehr von allen bisherigen<br />
Orden, ja die Absichten älterer Gründungen wurden<br />
geradezu abgelehnt. Die als Bettelorden gestifteten Franziskanischen<br />
Gemeinschaften oder die vornehmlich für<br />
die städtische Seelsorge gedachten Dominikanischen Nie-<br />
18<br />
derlassungen waren von ihrer Anlage her gezwungen, die<br />
Klostermauern und -wände zu verlassen und unter das<br />
Volk zu gehen, was eine radikale Abkehr etwa von dem<br />
benediktinischen Ideal der stabilitas loci, von der Verpflichtung,<br />
an einem bestimmten Ort zu bleiben und der<br />
Regel gemäß dort zu beten und zu arbeiten. Sieht man<br />
die Ordensgeschichte so, dann erhält man Einblicke in<br />
die mittelalterliche kirchliche Wirklichkeit, die geprägt<br />
war von einer auffallenden Vielfalt, ja nicht selten von<br />
einer streitbaren Gegensätzlichkeit. Hier sollte man sich<br />
klarmachen, daß dies nur möglich war, wenn die Kirche<br />
und vorab das Papsttum das Maß an Duldsamkeit aufbrachte,<br />
das man benötigte, um die unterschiedlichsten<br />
Richtungen unter einem Dach zu vereinen. Vielleicht<br />
sollte unsere Zeit etwas mehr davon haben, um die Pluralität<br />
der Frömmigkeitsideale zu respektieren, ohne sogleich<br />
das Entweder - Oder zu verlangen. Zur Geschichte<br />
des Klosterwesens gehörte natürlich auch, wie<br />
dieses nicht selten in den Sog politischer Macht geriet,<br />
sei es, daß einzelne Klöster oder von Klöstern ausgehende<br />
Bewegungen selbst zu Machtfaktoren wurden, wie es<br />
bei den mittelalterlichen Reichsprälaturen oder bei den<br />
großen Reformbewegungen wie etwa der Hirsauer Bewegung<br />
der Fall war, sei es, daß Kaiser und Territorialherren<br />
die Klöster als politische Faktoren einsetzten.<br />
In Hedingen und Gorheim bestanden vergleichsweise unbedeutende<br />
Niederlassungen. Wir dürfen es jedoch als<br />
bezeichnend ansehen, daß innerhalb weniger Jahre gleich<br />
zwei Klausen oder Klösterlein in unmittelbarer Nähe<br />
entstanden. Darin liegt ohne Zweifel ein Element der geschilderten<br />
unterschiedlichen Frömmigkeitsideale. Denn<br />
die Klause Gorheim, die nach einer durch Urkunden allerdings<br />
nicht belegbaren späteren Notiz 1303 entstanden<br />
sein soll, diese Klause gehörte dem 3. Orden der<br />
Franziskanerinnen an. Die Anfänge müssen bescheiden<br />
gewesen sein, vermutlich lebten zunächst nur zwei -<br />
drei Frauen zusammen, um ein gottgefälliges Leben zu<br />
führen. 1347 erhielten die Gorheimer Klausnerinnen<br />
aber vom damaligen Pfarrer von Laiz sowie von den Familien<br />
des Gorheimer Müllers namens Werner und des<br />
Sigmaringer Waibels Benz Besitzungen übertragen, u. a.<br />
befand sich darunter der Platz, auf dem die Klause<br />
stand. Die Urkunde des Laizer Pfarrers v. Reischach 4<br />
erwähnt als Klausnerinnen Luggart, die Tochter Werners<br />
des Müllers, und Bethe, Tochter des Benz des Waibels,<br />
unter dem wir uns eine Art Gerichts- und Stadtdiener<br />
mit polizeilicher Befugnis vorzustellen haben. Vermutlich<br />
waren Luggart und Bethe die ersten Insassen der<br />
Klause, die der zuständige Pfarrer und ihre Familien<br />
durch Zuwendungen unterstützten. Die Gründung der<br />
Klause Gorheim wäre dann auf privater Basis erfolgt.<br />
Die Klause bzw. nach späterer Benennung das Kloster<br />
Gorheim blieb im Umfang wie in der Bedeutung bescheiden.<br />
Als Kaiser Josef II. Ende des 18. Jahrhunderts die<br />
kleinen Klöster aufheben ließ, gehörte Gorheim dazu,<br />
das bis dahin nicht bedeutend geworden war.<br />
Wie sich sein Vorhandensein dennoch auf Sigmaringen<br />
auswirkte, wird noch anzusprechen sein.<br />
Das Kloster Hedingen gehörte den Dominikanerinnen.<br />
Es verdankt seine Stiftung nicht bürgerlicher Initiative,<br />
sondern dem Willen des adligen Ortsherren Itel Folkwin,<br />
der 1338 eine entsprechende Schenkung machte.<br />
Beide Orden, die Franziskaner wie die Dominikaner,<br />
waren verhältnismäßig junge Orden, existierten sie doch<br />
erst seit dem 13. Jahrhundert, während die Benediktinter<br />
schon im 6. Jahrhundert entstanden waren, die Zisterzienser<br />
sich als reformierter Zweig davon 1098 abgespalten<br />
hatten und die Prämonstratenser 1120 gegründet<br />
wurden. So kann man annehmen, in Sigmaringen und
der nächsten Umgebung herrschte bezüglich der Frömmigkeitsideale<br />
in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts<br />
eine moderne Richtung vor. Daß sich die einen den Dominikanern,<br />
die anderen den Franziskanern zuwandten,<br />
mag einmal in der größeren Betonung des franziskanischen<br />
Armutsideals beim anderen in der Anhänglichkeit<br />
an den eher streitbaren Einsatz für die Kirche zu sehen<br />
sein, den der heilige Dominikus forderte. Im übrigen unterschieden<br />
sich die Terzianerinnen oder Drittorden für<br />
Frauen der Franziskaner und der Dominikaner nicht<br />
sehr wesentlich.<br />
Das Klosterschicksal von Hedingen nahm jedoch später<br />
eine andere Wendung als das von Gorheim. Denn wegen<br />
allzu großer Mißstände wurde das Hedinger Kloster<br />
schon 1597 aufgehoben, die Nonnen überwies man in das<br />
Kloster Inzigkofen. Später wagten Franziskaner in Hedingen<br />
eine Neugründung, doch der Niedergang der Dominikanerinnen<br />
wie der Neubeginn liegen bereits weit<br />
außerhalb des hier zu behandelnden Zeitraums.<br />
Die Klöster bei der Stadt bzw. seit der wohl im<br />
14. Jahrhundert erfolgten Aufgabe der Eigenständigkeit<br />
von Gorheim, Brenzkofen und Hedingen in der Stadt<br />
boten der Bürgerschaft in mehrfacher Hinsicht Gelegenheit<br />
zur Aufnahme von Beziehungen. Als erstes ist an die<br />
religiösen Beziehungen zu denken. Hier in die Klöster<br />
konnten Frauen und Mädchen eintreten, die sich einem<br />
klösterlichen Leben widmen wollten oder von ihren Eltern<br />
dazu bestimmt worden waren. Die im Zusammenhang<br />
mit den Stiftungen von 1347 genannten Gorheimer<br />
Klausnerinnen waren nicht von ungefähr Töchter eines<br />
ortsansässigen Müllers und des Sigmaringer Benz, des<br />
Waibels.<br />
So wie 1347 begegnen immer wieder Gorheimer und Sigmaringer<br />
Bürgerstöchter als Klausnerinnen in Gorheim.<br />
Eng verknüpft mit der Möglichkeit des Klostereintritts<br />
ist als zweite Beziehung zwischen Stadtbürgern und Klöstern<br />
diejenige der frommen Stiftung für die Ordensniederlassungen.<br />
Denn nicht selten vermachten Familien,<br />
deren Angehörige dort lebten, dem Kloster Liegenschaften,<br />
teils als Aussteuer, teils als Erbe der jeweiligen Klosterfrau.<br />
Bei Gorheim haben wir in der Urkunde von<br />
1347, die der Müller und der Waibel Benz ausstellten,<br />
schon ein diesbezügliches Beispiel kennen gelernt.<br />
Neben der Zuwendung für eine eigene Angehörige konnten<br />
aber auch den Klöstern Stiftungen zum Seelenheil<br />
der Spender, deren Vorfahren und Nachkommen gemacht<br />
werden.<br />
Ein einziges Beispiel mag genügen. Nach einer Urkunde<br />
vom 2. Januar 1449 5 vermachte Katharina Walz, die<br />
Witwe eines Mannes namens Locher, dem Konvent von<br />
Gorheim all ihr liegendes und fahrendes Gut. Zweck der<br />
Zuwendung sollte nach dem Wortlaut der Urkunde sein,<br />
daß die Klosterfrauen Gott und seine Mutter besser lobten<br />
und für die Seele der Witwe wie für alle Gläubigen<br />
beteten. Wie bei den vielen Jahrtagsstiftungen ging es<br />
also darum, durch materielle Zuwendung das fürbittende<br />
Gebet oder Eucharistiefeiern zu erwirken.<br />
Außer Klöstern erhielten Pfarreien, Kaplaneien oder einzelne<br />
Altarpfründen in Pfarrkirchen oder Kapellen derartige<br />
Stiftungen unter gleichfalls vereinbarten Auflagen,<br />
etwa der Feier eines Jahrtages mit Messen und Vigilien,<br />
wie es sich 1474 der Priester Werner Knapp gegenüber<br />
der Frühmeßpfründe in der Sigmaringer Kapelle<br />
ausbedungen hatte 6 .<br />
Die Schenkungen waren für Klöster und sonstige kirchliche<br />
Vermögensträger nur eine von mehreren Möglichkeiten,<br />
zu Besitz zu gelangen. Daneben stand die kaufsweise<br />
Erwerbung von Gütern. 1349 kaufte etwa die Kirchenfabrik<br />
der Kapelle zum heiligen Michael in Gorheim<br />
von Adelheid der Bernhartin, Bernharts Tochter aus Bingen,<br />
die Bürgerin von Sigmaringen war, eine Wiese unter<br />
dem Berg zu Gorheim 7 . Unter dem Begriff Kirchenfabrik<br />
versteht man das Vermögen, das für kirchliche Gebäude<br />
und anderen Bedarf an Dingen des kirchlichen<br />
Kultus wie Meßgewänder oder Hostien bestimmt ist. Die<br />
Kirchenfabrik war wie die zum Unterhalt von Geistlichen<br />
bestimmten Pfründen rechtsfähig, so daß sie Erwerbungen<br />
und Veräußerungen vornehmen konnte. Das<br />
Kloster Gorheim erwarb z. B. käuflich 1378 eine Wiese,<br />
die zuvor der Laizer Kirchenfabrik gehört hatte 8 . Weshalb<br />
zu dieser Transaktion unter zwei geistlichen Instituten<br />
die Bewilligung von Schultheiß und Rat der Stadt<br />
Sigmaringen erforderlich war, der nach dem Wortlaut<br />
der Urkunde erteilt wurde, ist unklar. Der Umstand<br />
zeigt immerhin, daß die Stadtverwaltung schon damals<br />
einen gewissen Einfluß in der Umgebung besaß. Wie es<br />
übrigens auch die beiden Sigmaringer Bürger Hans<br />
Stuffli und Frischhans waren, die als Pfleger der Kirchenfabrik<br />
Unserer Lieben Frau den Verkauf machten<br />
und nicht Bewohner von Laiz.<br />
Ein vielleicht merkwürdiges Kaufgeschäft vollzog 1478<br />
Meister Heinrich Schmid von Sigmaringen 9 . Er kaufte<br />
der Priorin und dem Konvent des Klosters Hedingen für<br />
12 Pfund Heller einen Hanfgarten an der Halde in Gorheim<br />
mit allem Zubehör ab. In der Nachbarschaft lag<br />
noch ein Garten von ihm. Dies erfährt man, weil zur<br />
örtlichen Fixierung in der damaligen Zeit, als es noch<br />
keine katastermäßige Einteilung mit Flurstücksnummern<br />
gab, zur lokalen Bestimmung die Nebenlieger der<br />
Grundstücke genannt wurden. Merkwürdigerweise verkaufte<br />
der gleiche Meister Heinrich Schmid wenige Monate<br />
später seinen Garten und seine Halde zu Gorheim<br />
für 16 Pfund Heller an das Kloster Gorheim.<br />
Als merkwürdig sind diese Geschäfte anzusehen, weil der<br />
Besitzwechsel der Wiese so rasch aufeinanderfolgte. Es<br />
bleibt unklar, ob hier ein Spekulationsgeschäft vorlag,<br />
weil der Wiederverkauf 4 Pfund Heller und damit Vs<br />
mehr einbrachte, ob es lediglich ein Mittelsmanngeschäft<br />
war, oder ob die Neuerwerbung erst durch die Vereinigung<br />
mit dem schon vorhandenen Garten des Meisters<br />
Schmid die Konventsfrauen zu Gorheim animierte, sich<br />
um den Kauf des Gartens zu bemühen.<br />
Wie so oft bei Fragen zur mittelalterlichen Geschichte<br />
müssen schlüssige Antworten aus Mangel an gesicherten<br />
Quellenzeugnissen unterbleiben. Festzuhalten aber dürfte<br />
sein, daß die geistlichen Institute in oder bei Sigmaringen<br />
eine wirtschaftliche Rolle zu spielen hatten, die sich<br />
auf die Stadt wie auf einzelne Bürger auswirkte. Dennoch<br />
beschränkte sich ein Kloster nicht auf die Stadt.<br />
Die Frauen von Hedingen hatten vielmehr nach einer<br />
Beschreibung von 1426 in Altensweiler bei Ursendorf in<br />
der Gemeinde Hohentengen zwei Höfe, ferner einen<br />
Weinberg in Sipplingen am Bodensee, eine Wiese oberhalb<br />
von Laiz an der Donau, einen Krautgarten am<br />
Schmidstor von Sigmaringen und schließlich ein halbes<br />
Haus in Sigmaringen bei der Stadtmauer nahe dem<br />
Mühltor 10 .<br />
Hatte Kloster Hedingen neben den innerörtlichen Liegenschaften<br />
Besitzschwerpunkte außerhalb der Stadt, so<br />
konzentrierten sich dagegen die Güter der ursprünglichen<br />
Frühmeß- und späteren Pfarrpfründe nach einer<br />
Beschreibung von 1497 hauptsächlich auf die Stadt samt<br />
Gorheim, Hedingen und Brenzkofen n . Immerhin besaß<br />
diese Pfründe einen Weinzins in Sipplingen. Möglicherweise<br />
war diese Kreditaufnahme durch Hedingen<br />
vermittelt worden, das ja auch in Sipplingen Rechte besaß.<br />
Um einen Kredit handelt es sich jedenfalls, was<br />
nicht als Ausnahme anzusehen ist. Denn die Klöster und<br />
19
sonstigen geistlichen Vermögensträger waren am Kreditgeschäft<br />
beteiligt. Hier in unserem Fall natürlich nur im<br />
bescheidenen Maße und keinesfalls vergleichbar den großen<br />
Handelsgesellschaften wie der von Ravensburg, die<br />
Kreditkäufe tätigten, oder wie das Handelshaus Fugger,<br />
das im 16. Jahrhundert als Geldgeber gegenüber Päpsten<br />
und Kaisern auftrat.<br />
Aber bei aller Bescheidenheit der Ausmaße ist doch die<br />
Tatsache als solche festzuhalten, daß auch in Sigmaringen<br />
geistliche Institute Kredite gewährten.<br />
Der rechtliche Ablauf der Kreditaufnahmen ist im<br />
Wortlaut der Urkunden selbst irreführend für unser Verständnis<br />
formuliert, spricht man doch vom Gültkauf und<br />
-verkauf. Dabei tritt der Schuldner als Verkäufer auf,<br />
der seine Gült, d. h. seine Zinsleistung, veräußerte. So<br />
»verkaufte« etwa 1453 Jörg Müller zu Süssen bei Sipplingen<br />
am Bodensee der Pfründe im Kloster Hedingen<br />
den jährlichen Zins von 7 Eimer guten Weißweins. Er<br />
erhielt dafür 35 Pfund Heller 12 . Daß es sich um einen<br />
Kredit handelt, deutet lediglich der Zusatz an, der Verkäufer<br />
könne gegen 35 Pfund Heller den Zins wieder<br />
ablösen. Analog war es, als 1516 der Sigmaringer Bürger<br />
Ulrich Bürcklin für 20 Pfund Heller 1 Pfund Heller<br />
Zins an die Kapelle Unserer lieben Frau an der Straße<br />
zu Laiz verkaufte und sich die Ablösung vorbehielt 13 .<br />
Hier ist nun auch der Zinssatz von 5 °/o genannt, der allgemein<br />
üblich war und ebenso in Verträgen zwischen<br />
Bürgern untereinander oder mit der Stadt begegnet.<br />
Als Beispiel für solche Geschäfte von Bürgern unter sich<br />
sei der Gültverkauf des Hans Buol, Bürger zu Sigmaringen,<br />
an seinen Mitbürger Albrecht den Suner von 1419<br />
erwähnt, bei dem der Gläubiger oder nach damaligem<br />
Begriff, der Verkäufer, 30 Pfund Heller erhielt und eine<br />
Wiese dafür verpfändete 14 . Wie hier sind in anderen<br />
Fällen von den Gläubigern in der Regel Liegenschaften,<br />
also Gärten, wiesen oder Äcker zum Pfand gesetzt worden.<br />
Zum Verhältnis der Stadt bzw. der Bürger von Sigmaringen<br />
zu den geistlichen Instituten gehören noch die<br />
Streitigkeiten, die in den Urkunden festgehalten sind.<br />
Der Deutung bedarf wohl die urkundliche Verfügung<br />
des Grafen Eberhard von Württemberg von 1369 15 als<br />
dem damaligen Stadtherren über die Steuerpflichtigkeit<br />
und die Dienstpflichtigkeit der Güter des Klosters Hedingen.<br />
Nach dem Inhalt der Urkunde gewährte der<br />
Graf der Stadt die Gnade, alles bisher Steuer- und<br />
dienstpflichtige Gut des Klosters an Äckern, Wiesen,<br />
Häusern, Gärten, Hofstätten und Gülten auch künftig<br />
als Steuer- und dienstpflichtig zu betrachten. Offensichtlich<br />
blockte der Stadtherr damit Bestrebungen des Klosters<br />
ab, die Steuer- und Dienstfreiheit für seine Besitzungen<br />
zu erlangen. Hier stand im Konfliktfall folglich<br />
der Landes- und Stadtherr auf Seiten der Stadt. Wenn<br />
neben den Steuern die Dienste erwähnt sind, so ist vornehmlich<br />
an Wachdienste an bzw. auf der Stadtmauer<br />
und andere Auflagen für die Gemeinschaft zu denken,<br />
die an den Liegenschaften hafteten.<br />
Zu einem Streit zwischen der Stadt und wieder dem<br />
Kloster Hedingen war es etwa 100 Jahre später um einen<br />
Wald, um das Holz Aspach, gekommen 16 . Diesmal<br />
mußte wiederum der Landes- und Stadtherr eingreifen,<br />
es war Graf Jörg von Werdenberg, den beide Parteien<br />
als Vermittler anerkannten. In dieser Rolle setzte der<br />
Graf 1470 fest, die Klosterfrauen hätten auf den Wald<br />
zu verzichten, sie erhielten dafür einen Acker, außerdem<br />
wurde noch der Tausch zweier Waldstücke auferlegt.<br />
Als dritten Streitfall zwischen Stadt und Kloster Hedingen<br />
läßt sich der 1488 vom herrschaftlichen Obervogt<br />
beigelegte nennen, der sich um Steuern aus einem Acker<br />
20<br />
auf dem Schönenberg drehte und damit endete, daß die<br />
Nonnen die Steuer zu entrichten hatten 17 .<br />
So läßt sich zusammenfassend über die Beziehungen zwischen<br />
der Stadt und den Klöstern oder den sonstigen<br />
geistlichen Rechtsträgern sagen, daß die geistlichen Institute<br />
erstens die Gelegenheit gaben, Frauen und Töchtern<br />
Aufnahme zu gewähren oder aber fromme Stiftungen zu<br />
machen. Zum zweiten haben wir sie als wirtschaftliche<br />
Faktoren zu sehen, traten sie doch als Partner bei Grundstücksgeschäften<br />
oder bei Schuldaufnahmen auf. Schließlich<br />
begegnen sie als Kontrahenten und Rivalen, was<br />
nicht ohne Konflikt geblieben ist. Auch die mittelalterliche<br />
Welt war nicht durchweg als heile Welt konstruiert.<br />
Dies gilt nicht nur für die Beziehungen zu kirchlichen<br />
Instituten. Denn Streit brach auch zwischen Bürgern unter<br />
sich, zwischen verschiedenen Gemeinden und zwischen<br />
Bürgern und der Stadt aus.<br />
Bei den Beispielen zu Differenzen zwischen den Klöstern<br />
und der Stadt Sigmaringen traten uns bisher als Schiedsleute<br />
die Landesherren oder deren Beamte entgegen. Da<br />
die Stadt selbst beteiligt war, konnte es nicht anders gehandhabt<br />
werden. In anderen Fällen übernahm die Stadt<br />
die Urteilsfindung. Natürlich nicht in ihrer Gesamtheit,<br />
sondern in ihrer Repräsentation von Schultheiß und Gericht.<br />
Wie dies vor sich ging und wie das Recht gesprochen<br />
wurde, mag an zwei Beispielen erläutert werden:<br />
1455 bekundete der Sigmaringer Schultheiß Konrad<br />
Steiger 1S , vor ihn und das Gericht seien der ehrbare<br />
Hans Suener und Konrad Sulger als Pfleger der Kirchenfabrik<br />
der Johanneskapelle gekommen und hätten<br />
durch ihren Fürsprecher oder Advokaten Klage gegen<br />
den ehrbaren Andreas Koch erhoben. Dieser sollte einen<br />
Garten besitzen, aus dem die Kirchenfabrik eine Gült<br />
beanspruchte. Koch wollte die Gült nur aus dem halben<br />
Garten zahlen, weil er die andere Hälfte verkauft hatte.<br />
Das Gericht ließ den Schultheißen und zwei weitere Personen<br />
zur Sache vernehmen und entschied, Koch müsse<br />
die Gült wieder aus beiden Teilen des Gartens entrichten.<br />
Das Gericht stellte darüber ein Urteil aus.<br />
Im zweiten Fall ging es um ein Zufahrts- bzw. ein Überfahrtsrecht.<br />
1513 bekundete der Schultheiß Gallin Beck<br />
von Sigmaringen 19 , vor ihn und das Gericht seien vier<br />
Bürger gekommen, unter ihnen Meister Konrad Lentzin.<br />
Lentzin ließ durch seinen Fürsprecher erklären, er habe<br />
in Zyern oder Zeuren, dem Flurstück also zwischen<br />
Hohkreuz und Laizer Markung, eine Wiese gekauft, er<br />
besitze aber keinen Weg zu seiner Wiese. Die drei anderen<br />
Bürger, die er mitbrachte, sollten ihm vor Gericht<br />
die Wahrheit über sein Recht bekunden, wie er auf die<br />
Wiese gelangen könnte. Sie taten es und versicherten,<br />
durch einen Acker, der einem Hans Lüpfried gehörte,<br />
und durch eine Wiese des Grafen von Werdenberg gehe<br />
ein Weg, auf dem man Reiten und Fahren dürfe. Die<br />
Richter entschieden, die Aussagen sollten als Wahrheit<br />
gelten und rechtskräftige Wirkung haben.<br />
Auch hierüber wurde eine Urkunde ausgestellt. Wichtiger<br />
als der Streitpunkt ist es, für das hier darzustellende<br />
Rechtsverhältnis, daß das Stadtgericht Angelegenheiten<br />
seiner Bürger regelte, nicht nach Gutdünken, sondern<br />
nach Prüfung des Sachverhalts. Dabei ist etwas von der<br />
Achtung des Rechts zu spüren.<br />
Natürlich gab es nicht nur Streit zu behandeln, sondern<br />
wurden auch Kaufverträge gerichtlich geschlossen und<br />
Dokumente legitimiert. Das Rechts- und Wirtschaftsleben<br />
der Stadt verlangte viele Aktivitäten des Gerichts.<br />
Es dürfte interessant sein, weiteren derartigen Verhältnissen<br />
nachzugehen und die Inhalte der Auseinandersetzungen<br />
sowie andere Dinge zu verfolgen, die sich spurenhaft<br />
in den Quellen finden, sei es die Nachricht über
einen Brand im Kloster Hedingen, der nach einer Notiz<br />
von 142 6 20 dort alle Urkunden vernichtet hatte, sei es<br />
über das Umgeld, eine Verbrauchssteuer auf Getränken,<br />
die der Stadtherr der Stadt 1459 21 überließ, damit sie<br />
den Bau der Stadtmauer finanzieren konnte, sei es die<br />
1498 geäußerte Furcht vor »der Schlechtigkeit der Menschen<br />
und . . . (vor) gefährlichen Zeiten«. Diese Furcht<br />
ließ den Grafen von Werdenberg das bischöfliche Generalvikariat<br />
um Zustimmung bitten, Mitternachtsmessen<br />
in der Karwoche schon beim Aveläuten beginnen zu lassen,<br />
damit die Stadttore des nachts verschlossen gehalten<br />
werden konnten 22 . Dies hielt man, wie erwähnt, der unsicheren<br />
Zeiten wegen für erforderlich. Da der Pfarrgottesdienst<br />
in der Stadt und nicht mehr in Laiz stattfand,<br />
mußten die Laizer Kirchgänger nach Sigmaringen gehen<br />
und waren für sie die Stadttore offenzuhalten.<br />
Die Rechtsverhältnisse einer mittelalterlichen Stadt wie<br />
Sigmaringen sind naturgemäß wesentlich geformt worden<br />
von den Rechten und Pflichten, die das Stadtrecht<br />
den Bürgern gewährte bzw. auferlegte. Darauf braucht<br />
nun aber hier nicht näher eingegangen zu werden, weil<br />
in der 1977 anläßlich des Stadtjubiläums veröffentlichten<br />
Festschrift gerade dazu ein Uberblick gegeben wor-<br />
1 Vgl. Gregor Richter, Der Konstanzer Liber decimationis<br />
von 1275. Ein Beitrag zur Problematik ortsgeschichtlicher<br />
Quellen und -Jubiläen in: Beiträge zur Landeskunde Nr.<br />
6/1975, S. 12 ff.<br />
2 Vgl. Maren Kuhn-Rehfus, Sigmaringen 1077-1977. Ein<br />
Abriß seiner Geschichte, in: 900 Jahre Sigmaringen, 1977,<br />
S. 23, und Alex Frick, Entstehung und Entwicklung des<br />
Stadtbildes von Sigmaringen, in: ebenda, S. 70.<br />
3 Zur Literatur über Hedingen und Gorheim vgl. Bernhardt/<br />
Seigel, Bibliographie der Hohenz. Geschichte, S. 148 f.<br />
4 StA Sig. Ho 80 Urk. 1347 Mai 20.<br />
5 Ebenda.<br />
6 Ebenda 1474 Dez. 12.<br />
7 Ebenda 1349 September 22.<br />
8 Ebenda 1378 Oktober 18.<br />
JOSEF GRONER<br />
den ist 23 . Vorstehend sollte vielmehr ein Eindruck von<br />
den bestehenden Zuständen und davon gegeben werden,<br />
wie komplex auch die mittelalterliche Geschichte betrachtet<br />
werden muß. Zwei Schlußfolgerungen bieten<br />
sich an:<br />
1. Die kirchlichen Verhältnisse waren sowohl in religiöser<br />
als auch in wirtschaftlicher Hinsicht von Belang. Die<br />
formale Bindung der Stadtbevölkerung an die Pfarrkirche<br />
in Laiz entsprach dem Zuge der Zeit, die Klostergründungen<br />
in Hedingen und Gorheim ebenso. Insbesondere<br />
die Klöster waren wirtschaftliche Faktoren.<br />
2. In Streitfragen suchte man gewöhnlich nach objektivem<br />
Recht zu entscheiden. War die Stadt beteiligt, entschieden<br />
oder verglichen die Landesherren bzw. ihre Beamten,<br />
gegenüber den Bürgern fällten Schultheiß und<br />
Gericht der Stadt Sigmaringen ihre Urteile.<br />
So dürftig unsere Quellenzeugnisse sind, sie lassen doch<br />
erkennen, daß es wechselnde Schicksale gegeben hat, daß<br />
Formen der Verwaltung und Rechtssprechung gefunden<br />
wurden, die das Zusammenleben in der städtischen Gemeinschaft<br />
ermöglichten, und daß uns das Mittelalter um<br />
so weniger finster vorkommen wird, je mehr wir darüber<br />
wissen.<br />
9<br />
Ebenda 1478 Juni 8.<br />
10<br />
Ebenda 1426 März 7.<br />
11<br />
Ebenda, Dep. 1 (Stadtarchiv Sigmaringen) Urk. Nr. 31.<br />
12<br />
Ebenda, Ho 80 Urk. 1453 Februar 12.<br />
13<br />
Ebenda 1516 November 18.<br />
14<br />
Ebenda 1419 September 23.<br />
15<br />
Ebenda, Dep. 1 Urk. Nr. 5.<br />
16<br />
Ebenda Nr. 21.<br />
17<br />
Ebenda Nr. 28.<br />
18<br />
Ebenda, Ho 80 Urk. 1455 November 17.<br />
19 Ebenda 1513 August 5.<br />
20 Wie Anm. 10.<br />
21 StA Sigm., Dep. 1 Urk. Nr. 15.<br />
22 Ebenda, Ho 80 Urk. 1498 April 2.<br />
23 Kuhn-Rehfus, wie Anm. 2, hier S. 20 ff.<br />
Die Freiherren von Schellenberg in der Reidisstadt Pfullendorf<br />
(Fortsetzung)<br />
Maria Anna von Schellenberg zu Pfullendorf<br />
Freiherr Sigmund Regnat konnte es sich leisten, seinem<br />
einzigen Kind, der Tochter Maria Anna, eine gute Erziehung<br />
angedeihen zu lassen. Er schickte sie zu den Englischen<br />
Fräulein nach München, doch da zeigte sich schon<br />
die fragwürdige Veranlagung der Kleinen. Sie sah sich<br />
von bösen Geistern verfolgt und konnte nur durch ein<br />
»Wunder« von ihnen befreit werden. Der Vater nahm<br />
sie daher nach Bräunlingen zu sich, doch das Vergnügen<br />
an ihr sollte ihm bald vergehen. Schon als 14/15-Jährige<br />
begründete Maria Anna durch Geschichten mit Roßbuben<br />
und Bauernknechten ihren zweifelhaften Ruf. Prügel<br />
des Vaters nützten nichts, zumal sich Mutter und Stiefbruder<br />
auf ihre Seite stellten. Sie ging sogar so weit, ihren<br />
Vater der Blutschande anzuklagen und behauptete,<br />
ein Kind von ihm zu haben. Obgleich das »Kind« bei<br />
Gelegenheit in Form eines Kissens unter ihrem Rock herausfiel,<br />
hetzte sie von Sigmaringen aus, wo sie bei der<br />
Fürstin von Hohenzollern, ihrer Taufpatin, Unterschlupf<br />
gefunden hatte, weiter gegen ihren Vater. Sigmund Re-<br />
gnat wurde daraufhin tatsächlich von seinem Wohnsitz<br />
weggelockt und in Hechingen zunächst einmal nobel zurückgehalten.<br />
Dann aber, nachdem die Angelegenheit bei<br />
der oberösterreichischen Regierung in Innsbruck anhängig<br />
gemacht worden war, richtig festgesetzt, während<br />
seine Tochter nach Rottenburg ins Gefängnis wanderte.<br />
Nach langwieriger Untersuchung und sogar Drohung<br />
mit der Folter wurde der Freiherr zu lebenslanger Haft<br />
verurteilt, allerdings nach 4 Jahren freigelassen, nachdem<br />
sich Innsbruck eines anderen besonnen hatte.<br />
Während seiner Gefangenschaft hatte Maria Anna in<br />
Rothenburg ihren Prinzen gefunden, und zwar einen<br />
sonst nicht näher bekannten Johann Heinrich von Kern.<br />
Auf rätselhafte Weise gelang es ihm, die gefangene<br />
Schellenbergerin zu befreien und zu heiraten (Balzer 90).<br />
Die Wirkung dieses abenteuerlichen Vorgangs war andererseits,<br />
daß Sigmund Regnats Haft aus unerklärlichen<br />
Gründen verschärft wurde, während Maria Anna österreichisches<br />
Landesverbot erhielt. Ihr Stiefbruder Franz<br />
v. Hafner benützte die günstige Gelegenheit, um seines<br />
21
Stiefvaters Sigmund Regnats Gut zu Wülflingen auszuräubern,<br />
die Sachen in der Schweiz zu verkaufen und<br />
den Erlös mit seinem Schwager Johann Heinrich v. Kern<br />
zu teilen. Als der Freiherr nach seiner Entlassung aus<br />
dem Gefängnis tatsächlich wieder frei war, hatte er nach<br />
eigenen Worten nichts mehr als »einen Stecken in der<br />
Hand, 1 Gulden bares Geld und ein alt, zerrissenes<br />
Hemd, worin 7 Katzen würden keine Maus erwischt haben«.<br />
Durch Vermittlung und Geld war es v. Kern gelungen,<br />
die Landesverweisung seiner Frau aufheben zu lassen,<br />
und so zog das Paar in den »Schellenberger Hof« nach<br />
Pfullendorf, wo sich denn auch Sigmund Regnat mit seiner<br />
Frau Elisabeth einstellte. Das gemeinsame Leben dort<br />
oben muß allerdings bisweilen wenig erfreulich gewesen<br />
sein, nicht verwunderlich nach derlei bisherigen Lebensläufen.<br />
Der Freiherr beklagt sich in einem Schreiben bitter<br />
über die schlechte Behandlung durch seinen Schwiegersohn,<br />
auch will er heimlich ausgelauscht haben, wie<br />
die beiden Jungen durch Wiederaufwärmen des Inzestprozesses<br />
in Innsbruck sich seiner entledigen wollten.<br />
Nachdem seine Frau 1703 gestorben war und ihm auch<br />
sein Enkel Konstantin Heinrich Eugen (geb. 1706) keine<br />
Großvaterfreude zu machen schien, entfernte sich Sigmund<br />
Regnat fluchtartig aus Pfullendorf, wohl zusammen<br />
mit seiner 2. Ehefrau, einer geborenen von der<br />
Lipp, um in Wien am 10. Januar 1711 sein abwechslungsreiches<br />
Leben zu beschließen.<br />
Damit war dieser Zweig am Baum der Bräunlinger<br />
Schellenberger ausgestorben. Der Letzte der Bräunlinger<br />
Linie überhaupt, Sigmund Regnats Vetter Franz Sigmund,<br />
starb 1727. Von anderen Linien lebten indes immer<br />
noch Nachkommen, doch auch bei ihnen setzten<br />
Unfruchtbarkeit und Tod bald den endgültigen Schlußpunkt.<br />
Der Letzte des Stammes, Johann Joseph Anton<br />
Freiherr von Schellenberg, ging, von seiner Frau getrennt,<br />
mit sich und der Welt uneins und völlig verarmt,<br />
im ehemals Schellenbergischen Haus in Hüfingen heim zu<br />
seinen Vätern am 8. Oktober 1812.<br />
Eine erfreuliche Hinterlassenschaft<br />
Bei den Eingeweihten weckt der »Schellenberger Hof«<br />
trotz seines wohlklingenden Namens nach all dem Erzählten<br />
nicht unbedingt besonders erhebende Gefühle.<br />
Andererseits gibt es in Pfullendorf doch auch ein Erinnerungsstück<br />
an diese Adelsfamilie, dem man Bewunderung<br />
nicht versagen kann. Es handelt sich um einen in hochbarocker<br />
Form getriebenen, silbervergoldeten Meßkelch,<br />
eine nicht gerade üppige, aber dennoch schöne und gediegene<br />
Augsburger Goldschmiedearbeit aus dem Anfang<br />
des 18. Jahrhunderts. Im Kelchfuß ist auf den Kopf der<br />
Schraube, welche die drei Teile des Gefäßes zusammenhält,<br />
eine goldene Plakette gelötet, die in meisterhafter<br />
Ziselierarbeit ein Wappen mit einer mehr oder weniger<br />
verständlichen Umschrift enthält. Der untere Teil läßt<br />
sich leicht lesen: »Sacerdos dei Memendo Mei« = Priester<br />
Gottes gedenke meiner. Daß von diesen 4 Wörtern ausgerechnet<br />
das Wort »Gottes« klein geschrieben ist, mag<br />
etwas befremden, doch zu jener Zeit machte die Rechtschreibung<br />
noch keine Sorgen. Der Graveur muß auch<br />
nicht gerade sehr gelehrt gewesen sein, denn sonst hätte<br />
er Memento statt Memendo geschrieben, vielleicht stand<br />
es aber schon falsch auf dem Auftragszettel. Aus dem<br />
Spruch geht jedenfalls hervor, daß es sich um das Geschenk<br />
einer Laienperson an einen Priester handeln muß.<br />
Doch wer war diese Person? Das Wappen bietet uns die<br />
Richtung, in der man suchen muß. Dabei handelt es sich<br />
um eine Kombination aus zwei längs aneinandergefügten<br />
22<br />
gestifteten Kelches.<br />
Einzelwappen, wobei die rechte Seite (vom Beschauer<br />
aus gesehen) das schwarz-goldene Balkenwappen (abwechselnd<br />
2 schwarze und 2 goldene Querbalken) der<br />
alten Schellenberger Ritter zeigt. Soweit könnte man an<br />
unseren Sigmund Regnat denken, allerdings hatte seine<br />
Linie zu den schwarz-roten Balken im Lauf der Zeit den<br />
roten Löwenkopf der angeheirateten Familie derer von<br />
Randegg hinzugenommen, er kommt also als Stifter des<br />
Kelches nicht in Frage. Vielmehr wird man auf die Linie<br />
Schellenberg-Kißlegg verwiesen, denn zum Balkenmotiv<br />
gesellt sich der steigende gehörnte schwarze Panter der<br />
ehemaligen Grafen von Kißlegg. Dieses Wappentier auf<br />
goldenem Grund, das auf dem Kopf Ochsenhörner trägt<br />
und aus dessen aufgerissenem Rachen drei rote Flammen<br />
herausschlagen, wurde den Kißlegger Schellenbergern<br />
1545 von Karl V. verliehen. Die linke Hälfte des Wappens<br />
zeigt auf goldenem Feld übereinander drei schwarze<br />
laufende Löwen, auf blauem Grund 3 goldene Tannenzapfen,<br />
ebenfalls auf blauem Grund eine goldene<br />
Sonne über drei goldenen Bergen, dazu befindet sich in<br />
der Mitte noch ein kleiner Schild mit einem goldenen<br />
Reichsapfel auf rotem Feld. Das Wappen weist also eindeutig<br />
nach Schwaben wegen der drei schwarzen Löwen<br />
(wie sie sich heute wieder im Hoheitswappen von Baden-Württemberg<br />
finden), genauer auf die Truchsessen<br />
von Waldburg, die sich ursprünglich »von Tanne« nannten<br />
(daher die drei Tannenzapfen), vorübergehend auch<br />
die Herrschaft Sonnenberg innehatten und nach dem<br />
Wegzug Friedrichs II. nach Italien 1220 Reichsfunktionen<br />
ausübten, indem sie auf ihrer Waldburg in der heute<br />
noch bestehenden Kapelle die Reichskleinodien aufzubewahren<br />
hatten 16 (daher der Reichsapfel) und überhaupt<br />
das Reichstruchsessenamt erblich ausübten. Die Kombination<br />
der beiden Wappen entstand nun dadurch, daß<br />
die Letzte aus dem Hause Schellenberg-Kißlegg, die bereits<br />
erwähnte Maria Anna, 1699 den Reichserbtruchsessen<br />
Grafen Ferdinand Ludwig von Wolfegg heiratete.<br />
Ihre Namensbuchstaben befinden sich denn auch im oberen<br />
Teil der Wappenumschrift: »M. A. E. R. T. g. v. W.<br />
g. v. Schell.«. Stellt man die in falscher Reihenfolge eingravierten<br />
Buchstaben E. R. um, dann ergibt sich ausgeschrieben<br />
richtig: Maria Anna. £rb .Reichs Truchsessin<br />
Gräfin von Wolfegg geborene fon Schellenberg. Damit
ist das Geheimnis der Stifterin gelüftet. Sie war übrigens<br />
eine Dame, die dem Hause Schellenberg alle Ehre<br />
machte und zusammen mit ihrem Mann auch vieles für<br />
fromme Kunst getan hat. Aus diesem Grunde sieht man<br />
ihr Wappen, d. h. das Schellenberg-Waldburgische Doppelwappen,<br />
genau so wie es in unserer Kelchplakette<br />
dargestellt ist, am Triumphbogen der prachtvollen<br />
Pfarrkirche von Wolfegg, die durch ihre und ihres Mannes<br />
Initiative von 1733-1742 errichtet worden ist 17 .<br />
Ungeklärt bleibt freilich die Frage, wieso und auf welchem<br />
Weg der Schellenberg-Kelch nach Pfullendorf<br />
kam. Die Reichsstädter hatten mit den Grafen von Wolfegg<br />
nichts zu tun, Beziehungen zwischen ihnen und der<br />
Pfullendorfer Geistlichkeit sind unbekannt, im Pfarrar-<br />
16<br />
Groner, Josef F.: Pfullendorf, königlich ,staufische Stadt.<br />
S. 74 ff.<br />
17<br />
Freundliche Mitteilung Sr. Durchlaucht Franz Ludwig<br />
Fürst zu Waldburg-Wolfegg in Waldsee.<br />
Hinweise:<br />
Balzer, Eugen: Die Herren von Schellenberg in der Baar.<br />
Schriften des Vereins für Geschichte und Naturgeschichte<br />
der Baar und der angrenzenden Landesteile 11 (1904). -<br />
Zitierung: Balzer I.<br />
Balzer, Eugen: Überblick über die Geschichte der Stadt<br />
Bräunlingen. Ein Beitrag zur Geschichte Vorderösterreichs.<br />
Donaueschingen 1903. - Zitierung: Balzer II.<br />
Büchel, Johann Bapt.: Geschichte der Herren von Schellenberg.<br />
Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum<br />
H. BURKARTH - B. WALLDORF<br />
chiv ließ sich bis jetzt nichts Zweckdienliches auffinden<br />
und um ein Säkularisationsgut aus einem der städtischen<br />
oder umliegenden Klöster handelt es sich offenbar nicht,<br />
da auf der Unterseite des Kelchrandes sonst die üblichen<br />
Säkularisierungszacken eingraviert sein müßten. Man<br />
könnte sich allerdings vorstellen, daß die fromme Maria<br />
Anna von Wolfegg mit ihrer Kelchstiftung im schmerzlichen<br />
Gedanken an ihre schlimme Pfullendorfer Verwandtschaft<br />
eine sühnende und versöhnliche Geste machen<br />
wollte. Trotz der fehlenden Sicherheit in diesem<br />
Punkt bleibt auf jeden Fall die Freude, daß sich in der<br />
Stadt ein Kunstwerk befindet, das die Schellenberger<br />
Epoche von einer freundlichen Seite in dauernde Erinnerung<br />
ruft.<br />
Liechtenstein 7 (1907) 5-101, 8 (1908) 1-103, 9 (1909)<br />
27-99.<br />
Falke, Jacob von: Geschichte des Fürstlichen Hauses von<br />
Liechtenstein, 3 Bde. Wien 1868-1882.<br />
Groner, Josef F.: Pfullendorf, königlich-staufische Stadt.<br />
Konstanz 1971.<br />
Schmid, Otto: Pfarrkirche Wolfegg. Kunstführer 937, München-Zürich<br />
1971.<br />
Schupp, Johann: Die ehmals Freie Reichsstadt Pfullendorf<br />
und ihre Geschlechter. Pfullendorf 1964. - Zitierung: Geschlechterbuch.<br />
Vochezer, Josef (- Sproll): Geschichte des Fürstlichen Hauses<br />
Waldburg in Schwaben, 3 Bde. Kempten u. München<br />
1880-1907.<br />
Bild des Freiherrn von Schellenberg: Foto Grill, Donaueschingen.<br />
Das mittelalterliche, vorreformatorische Pfarrhaus von Kettenacker<br />
Im Jahre 1534 rückte Herzog Ulrich von Württemberg<br />
in die Besitzungen seines Erzfeindes, des bisherigen<br />
Obervogtes von Urach, Dietrich von Speth ein. Dieser<br />
hatte 10 Jahre vorher die Herrschaft Gammertingen-<br />
Hettingen von den Bubenhofern gekauft. Wie in ganz<br />
Württemberg, führte Herzog Ulrich auch im neu gebildeten<br />
Amt Hettingen die Reformation ein. Die zahlreichen<br />
Kaplaneien wurden abgeschafft, auch zwei Pfarreien,<br />
Hermentingen und Kettenacker wurden aufgehoben.<br />
Daß diese beiden Pfarreien aufgehoben wurden, war<br />
kein Zufall. Beide waren schlecht dotiert. Der Pfarrer<br />
von Hermentingen war schlechter gestellt, als ein Kaplan<br />
in Hettingen oder Veringen. Bei Kettenacker lag der<br />
Fall etwas anders. Die Pfarrei war an sich recht und<br />
schlecht lebensfähig. Aber durch die Zusammenlegung<br />
mit einer anderen Pfarrei konnte ein Pfarreinkommen<br />
eingespart werden (Es ist mir nicht bekannt, ob Kettenacker<br />
während der Reformation zu Feldhausen oder Ittenhausen<br />
gehörte).<br />
In den Pfarreien wurden evangelische Prädikanten eingesetzt.<br />
Diese lebten nicht vom örtlichen Pfarreinkommen,<br />
sondern wurden vom Herzog besoldet. Nur die katholischen<br />
Pfarrer, welche evangelisch wurden und in ihrer<br />
alten Gemeinde blieben, konnten ihre Pfründe behalten.<br />
Der einzige katholische Pfarrer, der im Amt Hettingen<br />
blieb, war Kaplan Johannes Müller in Ittenhausen.<br />
Die württembergische Verwaltung zog das kirchliche<br />
Vermögen an sich. Was man nicht brauchen konnte,<br />
wurde verkauft. Nach Aufhebung der Pfarrei Kettenakker<br />
war das Pfarrhaus überflüssig geworden, also wurde<br />
es verkauft.<br />
Das Amt Hettingen wurde 13 Jahre später, 1547 von<br />
kaiserlichen Truppen besetzt und wechselte wieder zum<br />
katholischen Glauben über. Der Verkauf des Pfarrhauses<br />
von Kettenacker wurde aber nicht rückgängig gemacht.<br />
Dies ist kein Ausnahmefall, denn es wurde überhaupt<br />
nichts rückgängig gemacht. Die evangelischen Prädikanten<br />
wurden durch katholische Pfarrer ersetzt, es wurde<br />
aber nicht eine der alten Kaplaneien wieder errichtet.<br />
Auch die Aufhebung der Pfarrei Hermentingen war endgültig.<br />
Man übernahm die Verhältnisse, wie sie die Reformation<br />
hinterlassen hatte. Aus gutem Grund natürlich,<br />
denn die Pfarreien zogen nun sämtliche kirchlichen<br />
Einkünfte und Vermögen innerhalb ihrer Gemeinde an<br />
sich.<br />
Kettenacker wurde wieder als katholische Pfarrei geführt,<br />
bekam aber keinen Pfarrer. Der jeweilige Pfarrer<br />
von Feldhausen betreute auch Kettenacker. Erst 1603<br />
finden wir wieder einen Pfarrer in Kettenacker. Ob damals<br />
ein Pfarrhaus gebaut wurde, ist mir nicht bekannt.<br />
Das Pfarrhaus von Kettenacker brannte vor über 20<br />
Jahren ab. Soweit ich mich erinnere, war es kein richtiges<br />
»Pfarrhaus«, sondern eher ein Bauernhaus, das später<br />
erworben wurde. Am Giebel stand die Jahreszahl 1753.<br />
Es lag zwar in der Nähe der Kirche, war aber ebenso,<br />
wie das jetzige Pfarrhaus ein Haus im Dorf, wie alle<br />
anderen Häuser.<br />
Erst die Beschäftigung mit der Geschichte der Reformation<br />
und deren Auswirkungen in der Herrschaft Gammertingen-Hettingen,<br />
löste Überlegungen aus, wo sich<br />
das damals verkaufte Pfarrhaus wohl befand. Auf den<br />
23
Gedanken, daß das Haus im Jahre 1979 noch am gleichen<br />
Platz stehen könnte, kam ich zunächst allerdings<br />
nicht. Die Kirche liegt an der östlichen Seite des Dorfes.<br />
Die heutige, 1955 erbaute Kirche hat am gleichen Platz<br />
mindestens zwei Vorgängerinnen. 1467 bekam der Kettenacker<br />
Pfarrer Johannes Klötzlin die Genehmigung,<br />
für seine ruinöse Kirche zu sammeln. Ob damals eine<br />
neue Kirche gebaut, oder die alte Kirche renoviert wurde,<br />
ist nicht bekannt. Die Kirche, welche 1955 abgerissen<br />
wurde, stammte aus dem Jahr 1628 (An diese Datierung<br />
kann ich nicht recht glauben, da um diese Zeit, im Dreißigjährigen<br />
Krieg, bitterste Not herrschte. Wer sollte damals<br />
eine neue Kirche bauen?). Ich möchte eher annehmen,<br />
daß die Kirche in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts<br />
entstand. 1955 wurde diese Kirche abgebrochen<br />
und die heutige Kirche gebaut. Um die Kirche befindet<br />
sich auch heute noch der Kirchhof. Kirche, Kirchhof<br />
und Pfarrhaus lagen in den Dörfern meistens auf einem<br />
Grundstück. Tatsächlich lag direkt am Kirchhof ein<br />
Haus, das alle Merkmale eines alten Pfarrhauses aufwies.<br />
Es war das Wohnhaus des Landwirtes Jakob Volk<br />
(Dorfname „der hintere Gluitz").<br />
Dieses Haus unterschied sich von den alten Häusern des<br />
Dorfes vor allem dadurch, daß es keinen Stall hatte. Es<br />
war offensichtlich nicht als Bauernhaus gebaut worden.<br />
Das Erdgeschoß war ziemlich niedrig und hatte nur nach<br />
der Hofseite hin Fenster. Das Treppenhaus war eng und<br />
die Räume im Obergeschoß ebenfalls ziemlich klein. Das<br />
Haus lag an einem rechteckigen Hof. Am der Friedhofmauer<br />
befindet sich ein Stallgebäude und dem Wohnhaus<br />
gegenüber eine Scheuer. Der jetzige Besitzer ließ das<br />
Haus im März 1979 abbrechen, um ein neues Wohnhaus<br />
zu erstellen. Herr Botho Walldorf aus Gammertingen<br />
sah beim Abbruch zu und schrieb seine Beobachtungen<br />
nieder:<br />
Das Haus befand sich etwa 20 m gegenüber dem Westportal<br />
der 1955 abgebrochenen Pfarrkirche St. Martin.<br />
Es diente bis kum Abbruch als Wohnhaus und war in einem<br />
verhältnismäßig guten baulichen Zustand.<br />
Keller: Rechts vom Hauseingang geht man eine Treppe<br />
hinunter und kommt in einen geräumigen gewölbten<br />
Keller aus Bruchsteinmauerwerk. Der Keller liegt an der<br />
Ostseite des Hauses.<br />
Erdgeschoß: Die Decke des Erdgeschosses wird längs von<br />
einem mächtigen Eichenbalken durchbogen (Querschnitt<br />
etwa 40 cm). Der Balken ruht auf 3, etwa 1 m hohen<br />
Ständern, die auf einem Steinsockel stehen. Die Ständer<br />
und der Balken sind die tragenden Teile des Hauses, das<br />
sonst kein Fundament hat. Die Außenmauern des Erdgeschosses<br />
sind etwa 80 cm stark und aus Bruchsteinen aufgeführt.<br />
Die Zwischenräume der Ständer wurden, vielleicht<br />
später, mit Ziegeln ausgemauert. In die westliche<br />
Außenmauer wurde ein Abort eingebaut. Ein Raum im<br />
Erdgeschoß (links von der Haustüre) wurde jetzt und<br />
wohl schon längere Zeit früher, als Küche benützt. An<br />
der Ostseite über dem Keller sind zwei Räume, die sich<br />
wohl noch ganz im alten Zustand befinden. Über die ursprüngliche<br />
Verwendung der Räume im Erdgeschoß ist<br />
nichts bekannt. Wahrscheinlich dienten sie als Abstellräume,<br />
vielleicht auch als Kleintierställe. Auf dem großen<br />
Tragebalken, der das Haus längs durchzieht, befinden<br />
sich im Abstand von ca. 80 cm Deckenbalken, welche<br />
an der Hofseite etwa 30 cm überstehen. Die Balkenköpfe<br />
weisen Spuren alter roter Farbe auf und wurden in neuerer<br />
Zeit verändert.<br />
24<br />
Obergeschoß: Das Obergeschoß enthält vier Räume. Die<br />
südliche Mauer, sowie die nicht tragenden Zwischenwände,<br />
bestehen aus Fachwerk, ausgeriegelt mit Haselnußfaschinen<br />
und Lehm. Darauf befanden sich mehrere Putzschichten.<br />
Zwei kleinere Fenster nach der Kirche hin<br />
waren zugemauert. Sie dürften noch aus der Erbauungszeit<br />
stammen. Das Fachwerk zeigt überall eine alte rote<br />
Farbschicht („Ochsenblut"). Es ist später mit Nägeln<br />
und einem Drahtgeflecht versehen und verputzt worden.<br />
Da es sich um handgeschmiedete Nägel handelt, muß der<br />
Verputz schon im 18. oder frühen 19. Jahrhundert angebracht<br />
worden sein. Auch die untere Putzschicht war bemalt.<br />
Dachstuhl: Die Dachsparren, welche ganz von Rauch<br />
geschwärzt sind, weisen alle 20 cm durchgehende, ca.<br />
2 cm starke Löcher auf. Sie sollen (nach mündlicher<br />
Überlieferung) zum Befestigen von Strohbüscheln für<br />
das Strohdach gedient haben. Dabei soll die Frage offen<br />
bleiben, ob die mittelalterlichen Pfarrhäuser wie die<br />
Bauernhäuser mit Stroh gedeckt waren, oder ob ein späterer<br />
Besitzer das Haus mit Stroh deckte. Auch die Frage,<br />
ob das Haus kaminlos war, wofür die stark geschwärzten<br />
Dachsparren sprechen, läßt sich nicht entscheiden.<br />
Sicher erscheint aber, daß auch die städtischen<br />
Häuser in Gammertingen im 15. Jahrhundert kaminlos<br />
waren.<br />
Da auch im 18. Jahrhundert die Pfarrhäuser der Umgebung<br />
nach einem einheitlichen Schema gebaut wurden,<br />
ist die Annahme berechtigt, daß das ehemalige Pfarrhaus<br />
von Kettenacker eine Anschauung davon gibt, wie ein<br />
dörfliches Pfarrhaus im ausgehenden Mittelalter aussah.<br />
Wir kennen die Erbauungszeit nicht, sondern nur das<br />
Jahr, in dem es verkauft wurde. Es ist durchaus möglich,<br />
daß das Haus schon im 15. Jahrhundert gebaut<br />
wurde. Die Pfarrhäuser von Gammertingen und Neufra<br />
aus dem 18. Jahrhundert sind noch vorhanden, werden<br />
aber nicht mehr als Pfarrhäuser benützt. Das Pfarrhaus<br />
von Feldhausen wurde um 1960 abgebrochen; es war<br />
ähnlich gebaut. Typisch ist eine große Diele mit einer<br />
breiten Eichentreppe, welche dem Haus eine gewisse<br />
Würde verlieh. Der »hauswirtschaftliche« Bereich war<br />
im Erdgeschoß, das Amtszimmer, Wohn- und Schlafräume<br />
des Pfarrers befanden sich im Obergeschoß. Demgegenüber<br />
nimmt sich das alte Kettenacker Pfarrhaus recht<br />
bescheiden aus. Es hatte nur einen bewohnbaren Raum<br />
im Erdgeschoß, in dem sich vermutlich auch früher<br />
schon die Küche befand. Der Pfarrer hatte 4 Zimmer<br />
zur Verfügung, von denen nur eines nach heutigen Begriffen<br />
wohnlich war.<br />
Um den Wert des Pfarrhauses richtig einzuschätzen,<br />
muß man es jedoch mit den damaligen Bauernhäusern<br />
vergleichen. Diese waren ebenerdige Holzbauten. Die<br />
Fußböden bestanden aus gestampftem Lehm. Durch die<br />
kleinen Fenster kam kaum Licht in das Innere der Räume,<br />
die zudem ständig vom Herdfeuer verraucht waren.<br />
Demgegenüber war das Pfarrhaus doch ein stattliches,<br />
zweistöckiges Haus, das einen Wohnwert hatte, welcher<br />
mit den damaligen städtischen Bürgerhäusern zu vergleichen<br />
ist.<br />
Quellen: Türkensteuerlisten des Herzogtums Württemberg im<br />
Hauptstaatsarchiv Stuttgart. Urbarium sämtlicher Gotteshäuser<br />
in den Herrschaften Gammertingen und Hettingen von<br />
1547 im Fürstl. Archiv Sigmaringen. J. Wiest, Geschichte der<br />
Stadt Gammertingen. Die Kunstdenkmäler Hohenzollerns,<br />
Bd. II.
GEORG HÄMMERLE<br />
Das vorreformatorische Pfarrhaus von Kettenacker. 1534 verkauft und bis 1979 als Wohnhaus<br />
benützt. (Foto: H. Burkarth)<br />
Am 25. März 1848 - Franzosen-Samstag in Saulgau<br />
(Fortsetzung)<br />
Im Stadtarchiv Saulgau fand sich eine weitere Bestätigung<br />
sowohl der angesprochenen Ereignisse als auch der<br />
allgemeinen Befürchtung eines Einfall fremder Truppen<br />
oder Frei-Corps. Aus diesem Grunde hatte sich in Sigmaringen,<br />
und zwar muß dies mindestens Anfang März<br />
geschehen sein, ein Bewaffnungskommitee konstituiert,<br />
dem neben den Offizieren der dortigen Bürgerwehr auch<br />
2 Offiziere der Linientruppen angehörten. Dieses Kommitee<br />
ließ am 31.3. 1848 im Druck den Plan einer Landesverteidigung<br />
erscheinen, gedacht für das Hohenzollerische<br />
Gebiet und die angrenzende württembergische<br />
Nachbarschaft.<br />
Danach sollte durch Aufgebot des Landsturms eine<br />
Hauptverteidigunslinie bezogen werden, ausgehend von<br />
Pfullendorf, über Krauchenwies, Sigmaringen, entlang<br />
der Laudiert und fortgesetzt bis Gammertingen, Hechingen,<br />
Haigerloch. Die Mannschaften der einzelnen Orte<br />
werden darin den verschiedenen Stützpunkten zugeordnet<br />
und mit ganz allgemein gehaltenen Kampfaufträgen<br />
versehen. Es ist darin weiter die Rede von einer Reservelinie,<br />
in die auch Riedlingen, Herbertingen und Saulgau<br />
einbezogen sind.<br />
Grundsätzlich war also eine Abwehrstellung nach Westen<br />
ins Auge gefaßt. Sollte aber ein Angriff von Osten<br />
erfolgen, so sollte diese Reservelinie als vordere Kampflinie<br />
in Aktion treten. Die Schrift verweist auf die<br />
Möglichkeit einer Alarmierung: Läuten der Sturmglokken,<br />
Benachrichtigung durch reitende Boten, Feuerzeichen<br />
bei Nacht und Rauchsignale bei Tag.<br />
Die Verfasser geben Hinweise auf die Möglichkeit,<br />
durch partisanenartige Einzelaktionen, den Nachschub<br />
des Gegners zu stören. Außerdem rechnen sie mit Zuzug<br />
aus der württembergischen Nachbarschaft, und hier<br />
kommt es auch zum Hinweis auf die Ereignisse am Franzosen-Samstag:<br />
». . . wie dies auch schon bei dem Alarm<br />
am 24. 3. 1848 der Fall gewesen ist, an welchem Tag aus<br />
Scheer, Mengen und selbst Saulgau 400 Bewaffnete sich<br />
zur Hilfeleistung angeboten haben.«<br />
In einem Nachsatz wird die Bereitschaft der Sigmaringer<br />
zu jeder Hilfe ausgesprochen für den Fall, daß die württembergische<br />
oder badische Landwehr ein Ausrücken als<br />
notwendig ansehe, um »die Fortsetzung unserer errungenen<br />
Freiheit« sicherzustellen. Die Verteilung der Druckschrift<br />
erging an die Städte des genannten Gebietes von<br />
Sulz und Horb am Neckar bis Saulgau und Altshausen.<br />
Selbst übergeordnete amtliche Stellen haben also an die<br />
Richtigkeit dieser Alarmmeldung geglaubt. Erst mit einer<br />
Verlautbarung des Saulgauer Oberamtmannes Kunradi<br />
im »Intelligenzblatt für den Oberamtsbezirk Saulgau«<br />
vom 1.4. 1848 wurde amtlicherseits festgestellt,<br />
daß es sich um eine Falschmeldung gehandelt hatte:<br />
»Nach einem Erlaß des K. Ministeriums des Innern vom<br />
gestrigen Tage haben die an verschiedenen Orten verbreiteten<br />
Gerüchte über das Eindringen französischer<br />
Horden nach den jetzt eingelaufenen Nachrichten sämtlich<br />
als unbegründet sich erwiesen, und daß ein solcher<br />
Einfall vorerst auch nicht zu befürchten sei, da nach den<br />
Mitteilungen badenscher Behörden an allen Übergangspunkten<br />
an der Grenze von Frankreich Truppen aufgestellt<br />
seien.«<br />
Die Sache mit dem Franzosen-Samstag war also weder<br />
eine bierselige Narretei noch die gekonnte Erfindung eines<br />
Spaßvogels, der den Saulgauern (und natürlich auch<br />
noch anderen) etwas Ähnliches anhängen wollte wie es<br />
die Riedlinger einstmals erfahren hatten mit dem Übernamen<br />
»Mohrenwäscher« und die Ehinger, die als »Muk-<br />
25
kenspritzer« im Lande verschrien waren. Es war eine<br />
von den Zeitgenossen als durchaus möglich, sogar als<br />
wahrscheinlich erachtete Gefahr. Auch in den Ratsprotokollen<br />
hat sich die Sache niedergeschlagen. Am<br />
25.3.1848 heißt es da: »Aus Veranlassung der heute<br />
eingelaufenen Nachrichten von dem Einfall französischen<br />
Gesindels ins Badensche hat man in gemeinsamer Beratung<br />
des Stadtrates und Bürgerausschusses zunächst für<br />
gehörige Bewaffnung der Bürgerschaft, Wachen, Vorposten<br />
usw. Vorsorge getroffen. Daneben wurde beschlossen,<br />
für mögliche Einquartierungen Quartiermeister aufzustellen:<br />
Ignaz Hepp, Schreiner Aßling, Stadtrat Feger,<br />
Ratschreiber Hoch, Obmann des Bürgerausschusses Kleber,<br />
Stadtrat Fuchs, Stadtpfleger Gnant, Verwaltungsaktuar<br />
Josse.«<br />
Eine weitere Maßnahme des Stadtrates mag dazu geführt<br />
haben, daß späterhin die Saulgauer Bürgerwehr in<br />
der oben beschriebenen Form dargestellt wurde. Laut<br />
Ratsprotokoll vom 31. 3. 1848 sollten nicht nur alle Gewehre<br />
in der Stadt aufgenommen werden, sondern es<br />
sollten, da letztere natürlich nicht für die gesamte Bürgerschaft<br />
ausgereicht hätten, Sensen umgeschmiedet und<br />
für den neuen Gebrauch hergerichtet werden. Am<br />
6. 4. 1848 heißt es: Auf kommenden Samstag (8. 4. 1848)<br />
ist bereits bayrisches Militär zur Einquartierung angesagt,<br />
wofür Quartiermeister bestimmt werden, außerdem<br />
wird der Stadtpfleger am 10.4. 1848 ermächtigt,<br />
1000-1200 Gulden aufzunehmen, um die für Einquartierungskosten<br />
zu leistenden Vergütungen an die Bürger<br />
auszahlen zu können.<br />
Man muß weiter in Betracht ziehen, daß seit Beginn der<br />
Revolution in Württemberg (Märzministerium am<br />
11. 3. 1848) ein Gesetzentwurf zur Volksbewaffnung in<br />
Beratung und natürlich auch in der öffentlichen Diskussion<br />
war (verkündet am 1. 4. 1848). Man mag dabei zunächst<br />
versucht sein, anzunehmen, dieser Volkssturm solle<br />
zur endgültigen Umwandlung der politischen Landschaft<br />
und zur Sicherung dieser Umwandlung mit Waffengewalt<br />
ins Leben gerufen werden. Das trifft jedoch<br />
mit Sicherheit nicht zu; denn einmal mußte ein entsprechendes<br />
Gesetz nach der immer noch gültigen Verfassung<br />
vom König selbst verkündet werden, zum andern aber<br />
macht die mehrheitliche Loyalität gegenüber dem Königshaus,<br />
dem sich ja auch das Märzministerium verpflichtet<br />
fühlte, diese Annahme unmöglich. Die Erklärung<br />
für die Forderung nach Volksbewaffnung kann nur<br />
in der allgemein herrschenden Überzeugung davon gesehen<br />
werden, daß Revolutionen kontinentalen Ausmaßes<br />
- und dies trifft ja für 1848 zu - unweigerlich das Erscheinen<br />
fremder Revolutionsheere herbeiführen müsse,<br />
daß wieder einmal fremde Soldatenhaufen, getarnt als<br />
»Befreier« und unter beschönigenden Losungen wie<br />
»Friede den Hütten, Krieg den Palästen« ins Land eindringen<br />
könnten.<br />
Die offizielle Beruhigung, die der Oberamtmann Kunradi<br />
in der Zeitung vom 1.4.1848 hatte veröffentlichen<br />
lassen, scheint nicht genügend gewirkt zu haben. Am<br />
8. 4. 1848 erschien daher eine weitere Mitteilung unter<br />
der Überschrift »Erneuerte Bekanntmachung in Betreff<br />
der Sicherstellung der diesseitigen Landesgrenze gegen<br />
den Einfall der deutschen Legion und französischer Arbeiter«.<br />
Darin heißt es, »daß die Regierung zum vollständigen<br />
Schutze des diesseitigen Gebiets alle erforderlichen<br />
Maßregeln getroffen habe, welche zwar der Natur der<br />
Sache nach sich im Augenblick nicht zur Veröffentlichung<br />
eignen, die jedoch in den nächsten Tagen jedem in<br />
die Augen fallen werden.«<br />
Hier ist zum erstenmal die Rede von einer Angelegenheit,<br />
die vermutlich die ganze Aufregung ausgelöst hat,<br />
26<br />
die sog. deutsche Legion um den Dichter Georg Herwegh,<br />
der mit seinen Leuten in Straßburg anscheinend<br />
darauf gewartet hat, vom badischen Revolutionshelden<br />
Hecker zum Einmarsch in Baden aufgefordert zu werden.<br />
Ein Bild davon gibt der Bericht eines Deutschen,<br />
der aus Lyon zu dieser Gruppe gestoßen war, aus der<br />
Saulgauer Lokalzeitung vom 15. 4. 1848:<br />
Die deutsche Legion.<br />
Erklärung eines deutschen Arbeiters.<br />
Als vor 6 Wochen die glorreiche Revolution in Frankreich<br />
ausbrach, wurden auch wir Deutsche von der Begeisterung,<br />
die sich überall und aus jedem Munde aussprach,<br />
hingerissen, ähnliche Umwälzungen unserem Vaterlande<br />
zu wünschen, und wir fühlten in diesem Sinne<br />
stärker als je die Nothwendigkeit, Alle zusammen uns zu<br />
vereinigen, um erfahren zu können, welchen Eindruck<br />
erwähnte Revolution auf das übrige Europa, zunächst<br />
aber auf unser deutsches Vaterland hervorbringen werde.<br />
Da erscholl auf einmal von Paris aus der Ruf an alle<br />
deutschen Arbeiter, die in Frankreich sind, mit Herwegh<br />
an der Spitze in unser deutsches Vaterland zu marschiren,<br />
um vereint mit unsern Gesinnungsverwandten daselbst<br />
die Republik zu proklamiren und sie mit unserem<br />
Arme zu unterstützen. Zu diesem Schritte wurden wir<br />
durch folgende Thatsachen aufgefordert und aufgemuntert,<br />
nämlich: Der König von Preußen sei strangulirt;<br />
Fürst Metternich geköpft; Rheinpreußen habe sich von<br />
Preußen losgesagt, und vereint mit Rheinbaiern die Republik<br />
proklamirt; die Festungen Rastatt, Germersheim,<br />
Landau seien in den Händen der Bürger, das Militär, mit<br />
Ausnahme des badischen, in starkem Kampfe mit den<br />
Bürgern und man verlange schnell die Hilfe der deutschen<br />
Arbeiter, um die Bürger zu unterstützen. Dieß<br />
und noch tausende von Ereignissen wurden uns theils<br />
durch Briefe, theils durch Zeitungen und von Durchreisenden<br />
bekräftigt, und wer konnte noch länger säumen,<br />
dem sein Vaterland noch lieb und theuer ist, und im<br />
Auslande verbleiben, während ihm der klägliche Hilferuf<br />
seiner Brüder das Herz durchschnitt? Von diesen Gefühlen<br />
durchdrungen, beschlossen wir alsbald aufzubrechen.<br />
Bei unserem Abmärsche wurde unserem Komite<br />
mitgetheilt, daß von dem demokratischen Vereine von<br />
Paris in Straßburg für Alles gesorgt sei: da lägen Waffen,<br />
Gelder, so viel man brauche, auch exerzire man daselbst<br />
schon und erwarte nur noch die Andern. Nach wahrhaft<br />
mühseligem Marsche langten wir sofort in Straßburg an.<br />
Gleich nach unserer Ankunft suchten wir den Abgesandten<br />
des demokratischen Vereins, einen gewissen Herrn<br />
Fuhrmann, auf, fanden ihn jedoch zwei Tage nicht.<br />
Endlich erfuhren wir, daß derselbe im Gasthause zum<br />
tiefen Keller logire. Wir forderten ihn auf, uns sogleich<br />
die vom Pariser Centralcomite versprochenen Waffen<br />
und Gelder zu übergeben. Herr Fuhrmann gab uns die<br />
schönsten Hoffnungen und machte uns die großartigsten<br />
Versprechungen, jedoch nicht wie Don Quixote seinem<br />
Sancho Pansa eine Insel, sondern auf das badische Land,<br />
aber gab uns weder Waffen noch Geld. Indessen wurde<br />
unsere Lage jeden Tag bedenklicher; denn von dem immerwährenden<br />
Versprechen hatten unsere 50 Mann, der<br />
Waffen nicht eingedenk, nicht gegessen. Mit was wollten<br />
wir uns nun begnügen? Wir lasen die Zeitungen, und, o<br />
Himmel! zu unserer Entrüstung sahen wir, daß wir belogen<br />
und betrogen worden sind. Was blieb uns nun übrig<br />
zu denken und zu thun? Nichts Anders, als die hier in<br />
Straßburg wohnenden deutschen Brüder aufzusuchen.<br />
Uneingedenk des hier bestandenen deutschen demokratischen<br />
Vereins, der uns in seinen Verhandlungen nicht<br />
nur müde, noch helfen wollte und konnte, wandten wir<br />
uns, Dank sei es dem Himmel! an Männer, die uns offen
und vor aller Welt erklärten, an welchem Abgrunde wir<br />
stehen. An Konspirationen von Seiten der Herwegh'schen<br />
Partei fehlte es nicht; allein in der Hauptsache<br />
einmal belogen und betrogen, konnten wir denselben<br />
wenig Glauben mehr beimessen. Und in der That, wir<br />
täuschten uns nicht, indem wir in Gesellschaft oben erwähnter<br />
Männer uns in Kehl von dem wahren Sachverhalt<br />
vergewisserten. Darum Dank Euch biedern deutschen<br />
Männern, Dank Euch Brüdern Stamm, Doktor,<br />
Adelmann, Maitre, Riz, Contremaitre, Kölbling, Holzhändler,<br />
und Schindler, Fabrikant, die Ihr Euch mit<br />
Brüderlichkeit, wie es ächten deutschen Brüdern zusteht,<br />
unserer annahmet. Wir machen Dieß hiermit öffentlich<br />
bekannt, daß es unsere Brüder baldigst erfahren mögen,<br />
wie es ihren Vorgängern ergangen. Wer in aller Welt<br />
wird jetzt die Verantwortung auf sich nehmen, der uns<br />
so schmählich, ja gottesvergessen, über 100 Stunden<br />
Wegs herlockte, und wir jetzt von unsern Brüdern daheim<br />
wie Feinde und Verräther am Vaterlande betrachtet<br />
werden? —<br />
Der Obmann der ersten Lyoner Kolonne:<br />
Fischer, Charcutier (Schweinemezger.)<br />
In welchem Ausmaß diese deutsche Legion als tatsächliche<br />
und ernsthafte Bedrohung für Baden oder Württemberg<br />
angesehen werden muß, ist aus hiesigen Quellen<br />
nicht zu ermitteln. Möglicherweise war nur mangelhafte<br />
Organisation schuld daran, daß dieser Versuch zu keinem<br />
Ergebnis geführt hat. Daß ein ernsthafter Hintergrund<br />
gegeben war, erweist eine amtliche Bekanntmachung<br />
vom 18. 4. 1848:<br />
Polizeiliche Bekanntmachung, betreffend das hinsichtlich<br />
der aus Frankreich zurückkehrenden deutschen Arbeiter<br />
einzuhaltende Verfahren.<br />
Da zu erwarten ist, daß die in Frankreich entlassenen<br />
Arbeiter in größerer Zahl sich an der Landesgrenze einfinden<br />
werden, so werden die Ortsvorsteher der Grenzorte<br />
hierdurch angewiesen:<br />
1) jeden solchen Arbeiter, der sich nicht durch Paß, oder<br />
Wanderbuch, über seine Person auszuweisen vermag,<br />
über die Grenze wieder zurückzuweisen;<br />
2) dergleichen Leute, welche einem nicht deutschen Lande<br />
angehören, dürfen nur dann über die Grenze gelassen<br />
werden, wenn sie unbewaffnet und einzeln erscheinen,<br />
durch Paß oder Wanderbuch sich über ihre Person ausweisen<br />
können, und einen bestimmten Reisezweck nach<br />
einem bestimmten Orte haben, in welchem Fall sie zur<br />
Visirung und Bestimmung der weiteren Wegrichtung an<br />
das hiesige Oberamt zu verweisen sind;<br />
3) württembergische aus Frankreich zurückkehrende Arbeiter,<br />
sind mit Eintragung einer Marschroute in den<br />
Paß, oder das Wanderbuch in ihre Heimathgemeinde zu<br />
verweisen, wenn sie nicht glaubhaft zu bescheinigen vermögen,<br />
daß sie anderwärts auf Arbeit rechnen dürfen.<br />
Die Waffen, welche sie bei sich führen, sind ihnen abzunehmen<br />
und mit einem Verzeichniß über den Namen des<br />
Inhabers und seiner Heimathgemeinde hierher abzuliefern;<br />
Sollten sich größere Abtheilungen solcher württembergischen<br />
Arbeiter zu gleicher Zeit einstellen, so ist ihnen<br />
die Gesammtfortsetzung der Reise nicht zu gestatten,<br />
sondern es sind dieselbe ebenfalls an das Oberamt hierher<br />
zu schicken;<br />
4) Letzteres hat ebenso, und unter allen Umständen bei<br />
den — anderen deutschen Staaten angehörenden Handwerkspurschen,<br />
unter gleichzeitiger Abnahme und wohlverwahrter<br />
Uebersendung ihrer etwa bei sich führenden<br />
Waffen zu geschehen;<br />
5) wenn dergleichen deutsche Arbeiter, von den zur<br />
Weiterreise erforderlichen Mitteln entblöst sind, und aus<br />
öffentlichen Cassen, oder durch Gaben von Mitbürgern<br />
nicht so viel erhalten, als zu ihrer Heimreise unumgänglich<br />
erforderlich ist, so wird die unterzeichnete Stelle für<br />
einen mäßigen Reise-Kostens-Beitrag Sorge tragen.<br />
Im Uebrigen wird den Ortsvorstehern eine schonende<br />
und humane Behandlung dieser zu bemitleidenden Personen,<br />
auch freundlicher Empfang und Berathung über ihr<br />
weiteres Fortkommen ganz besonders anempfohlen.<br />
Saulgau den 15. April 1848.<br />
Königl. Oberamt. Cunradi.<br />
Die letzte Nachricht in dieser Angelegenheit bringt die<br />
Saulgauer Zeitung am 29. 4. 1848:<br />
Straßburg den 16. April. Gestern ist hier durch einige<br />
hundert Maueranschläge, so wie durch Vertheilung besonderer<br />
Abdrücke in mehreren tausend Exemplaren,<br />
folgender Aufruf bekannt gemacht worden: »An die<br />
deutschen Arbeiter, welche in ihr Vaterland zurückkehren<br />
wollen. Die Noth der Zeit drängt Euch. Kehret<br />
friedlich zurück, das Vaterland hält seine Arme für Euch<br />
offen. Wir haben gehört, daß Viele unter Euch sich in<br />
bedrängten Umständen befinden. Deßhalb ist nicht nur<br />
von den Regierungen Vorsorge getroffen, daß Ihr unentgeldlich<br />
von der Grenze an in Eure Heimath reisen könnet,<br />
sondern es hat sich auch ein Verein unter Euern<br />
Mitbürgern gebildet, welcher sich es zur Aufgabe gemacht<br />
hat, Euch mit Rath und That zu unterstützen.<br />
Deutsche Mitbürger! Es sind viele patriotisch-gesinnte<br />
Männer unter Euch, welche mit dem Entschlüsse gekommen<br />
sind, dem Vaterland eine republikanische Verfassung<br />
zu erkämpfen. Ihr seid aber in einem Irrthume. Die<br />
Republik in Deutschland wird, wenn sie kommen soll,<br />
nicht mit den Waffen aufgedrungen, sondern sie muß<br />
aus dem Willen der Nation hervorwachsen. Das deutsche<br />
Volk will seine Freiheit, und keine Macht in der Welt ist<br />
im Stande, sie ihm vorzuenthalten. Aber seinem eigenen<br />
Ermessen muß es anheimgestellt seyn, welche Form der<br />
Verfassung es dazu unter den jetzigen Verhältnissen als<br />
die angemessenste betrachtet. Deßhalb ernennt gegenwärtig<br />
das ganze deutsche Volk in freier Wahl seine<br />
Vertreter, welche in wenigen Wochen zu einer konstituirenden<br />
National-Versammlung zusammentreten und alsdann<br />
die künftige Verfassung Deutschlands festsetzen.<br />
Das ist dann der ausgesprochene Wille des souveränen<br />
deutschen Volkes, und jeder Patriot hat die heilige<br />
Pflicht, sich demselben zu unterwerfen. Deutsche Brüder!<br />
das werdet auch Ihr thun. Kehret zurück ohne die<br />
Besorgniß, daß Euch in Eurem Vaterlande Unangenehmes<br />
begegne. Die Revolution hat allen Polizeiplackereien<br />
ein Ende gemacht. Alle frühern politischen Vergehen,<br />
ausgenommen Landesverrath, sind vergessen. Auch Denen,<br />
welche als Soldaten ihre Fahnen verlassen haben,<br />
wird Begnadigung zu Theil, wenn sie friedlich zurückkehren.<br />
Alle Diejenigen unter Euch, welche den Rath<br />
und die Hilfe ihrer Mitbürger in Anspruch nehmen wollen,<br />
mögen sich an Herrn Kölblin, Holzhändler in<br />
Straßburg, wenden, wo sie weitere Auskunft erhalten<br />
werden. Karlsruhe den 14. April 1848.<br />
Der Verein zur Unterstützung deutscher Arbeiter.«<br />
Aufgrund der letzten Informationen kann man wenigstens<br />
vermuten, wie es zu dem Gerücht und dem falschen<br />
Alarm gekommen sein mag, eine schlüssige Erklärung<br />
hat sich allerdings nirgendwo gefunden. Daß die Zeitgenossen<br />
auch danach gesucht haben, beweist ein Artikel in<br />
der Saulgauer Zeitung vom 20. 3. 1852, der über Vermutungen<br />
hinaus einige interessante Informationen liefert.<br />
Unter der Überschrift »Die Franzosen-Nacht vom<br />
27
22.-23. März 1848« (Nachdruck aus der Gratzer Zeitung)<br />
berichtet ein ehemaliger Freiburger Student über<br />
eine dortige Parallele zum Saulgauer Franzosen-Samstag.<br />
Er schildert darin, wie er in der angegebenen Nacht von<br />
seinem Hausherrn geweckt worden sei mit der Schrekkensmeldung,<br />
die Franzosen seien bei Breisach über den<br />
Rhein vorgedrungen und könnten schon in einer Stunde<br />
in Freiburg sein. An der Stelle läßt er dann einfließen,<br />
daß sich gleich nach Ausbruch der Februar-Revolution<br />
in Paris französisches Gesindel herumgetrieben und Unsicherheit<br />
verbreitet habe, weshalb man sich sowohl zum<br />
persönlichen Schutz als auch angeregt durch die Aufregung<br />
auf der politischen Bühne bewaffnet habe. Man<br />
kann an der Stelle das Ende der Schilderung vorwegnehmen:<br />
In Breisach war »alles so still und nirgends ein<br />
Sansculot, der ganze Schwarzwald, ganz Schwaben zum<br />
Narren gehalten, was aber das sonderbarste war: im Elsaß<br />
stürmte es und die Leute flohen zum Gebirge, weil<br />
die Deutschen kämen.«<br />
STEPHAN WIEST<br />
Es folgt nun der Versuch einer Erklärung:<br />
»Wie dieser Franzosenlärm entstand und so schnell die<br />
Bevölkerung des ganzen Südwestens alarmieren konnte,<br />
ist bis jetzt ein Geheimnis. Man sagt, der Bundestag<br />
(Versammlung der deutschen souveränen Fürsten, die<br />
sich im Deutschen Bund, dem Ersatz für das zusammengebrochene<br />
Heilige Römische Reich deutscher Nation,<br />
zusammengeschlossen hatten) habe es veranstaltet, um<br />
die Leute in Schrecken zu setzen und ein Armeecorps in<br />
das aufgeregte Grenzland versetzen zu können. Wenn<br />
dem so wäre, so hätte diese Maßregel das Gegenteil bewirkt<br />
von dem, was sie sollte. Denn das Volk bewaffnete<br />
sich unmittelbar darauf. Andere, gewiß bessere Rechner<br />
behaupteten, es sei der Franzosenlärm von den demokratischen<br />
Clubs ausgegangen, welche das Volk unter<br />
die Waffen bringen wollten. Jedenfalls kam die Sache<br />
der Bewegungspartei zugute, und in der Politik schließt<br />
man bei derartigen Ereignissen stets: Cui commodum, is<br />
fecit.«<br />
Monsignore Carl Vogel - eine beispielhafte Persönlichkeit für die<br />
politisdie Vergangenheit Hohenzollerns. Ein Gedenken zu seinem einhundertsten Geburtstag<br />
Der äußere Ablauf dieses Priesterlebens entsprach dem<br />
aller <strong>hohenzollerische</strong>n Geistlichen seiner Generation:<br />
Am 18. März 1879 als Lehrerssohn im Schulhaus in<br />
Frohnstetten geboren und dort aufgewachsen, empfing er<br />
nach dem Gymnasialbesuch in Sigmaringen und Rottweil<br />
und dem Theologiestudium in Freiburg dort im Jahre<br />
1902 die Priesterweihe. Nach Tätigkeit als Vikar und<br />
Kaplan in Gammertingen, Inneringen, Hechingen, Breisach<br />
und Sigmaringen und als Pfarrverweser in Krauchenwies<br />
bezog er 1906 die weitverzeigte Pfarrei Wald<br />
mit mehreren Filialen und damals vier Schulorten. Nach<br />
zwölf Jahren wechselte er nach Straßberg als Nachfolger<br />
des verstorbenen Pfarrers Otto Frank Freiherr von<br />
Fürstenwerth. Seine Tätigkeit dort, zeitweise auch als<br />
Kammerer des Kapitels, fand in der Ernennung zum<br />
Erzbischöflichen Geistlichen Rat und zum Monsignore<br />
und Päpstlichen Geheimkämmerer im Jahre 1949 die<br />
Anerkennung der Kirchenbehörde. Seine Ruhejahre nach<br />
1951 verbrachte er in Owingen; nach kurzem Aufenthalt<br />
im Hechinger Altersheim verstarb er dort am<br />
13. Mai 1968 und wurde drei Tage später in Straßberg<br />
beigesetzt. Diese Gemeinde hatte ihrem ehemaligen Pfarrer<br />
aus Anlaß seines goldenen Priesterjubiläums im Jahre<br />
1952 »in Anerkennung seines über zweiunddreißigjährigen<br />
segensreichen Wirkens in der Gemeinde das Ehrenbürgerrecht<br />
verliehen«. In anerkennenswerter Weise betreut<br />
die Gemeinde pietätvoll seine Grabstätte.<br />
Mit dem Abriß dieses Lebenslaufs ist aber nur ein Teil<br />
seiner Persönlichkeit erfaßt; zeitlebens nahm er am politischen<br />
Geschehen regen Anteil und war jahrelang dabei<br />
führend und gestaltend beteiligt. Seine fast neunzig Lebensjahre<br />
spiegeln geradezu beispielhaft die politischen<br />
Verhältnisse und Wandlungen in seiner <strong>hohenzollerische</strong>n<br />
Heimat wider, vom Kaiserreich und Königreich<br />
Preußen über die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus<br />
zur Bundesrepublik und zum Bundesland Baden-Württemberg.<br />
In den Monarchien befand er sich mit<br />
der Zentrumspartei in Opposition und auf der Seite derer,<br />
die in dem aus rein dynastischen Gründen ohne An-<br />
28<br />
hören der Volksmeinung erfolgten zwangsweisen Anschluß<br />
Hohenzollerns an Preußen keine befriedigende<br />
Lösung sahen und mit den Maßnahmen im fernen Berlin<br />
vielfach nicht einverstanden waren; sie schienen ihm zu<br />
wenig auf die geschichtlich gewordenen, landsmannschaftlich<br />
und konfessionell bedingten Bedürfnisse der<br />
Bevölkerung Rücksicht zu nehmen. Diese seine politische<br />
Einstellung war gekennzeichnet durch ein Abonnement<br />
der »Augsburger Tagespost«, einer im Kaiserreich oppositionellen<br />
»schwarzen« Zeitung.<br />
Mit dem Ende der Monarchie infolge des verlorenen Ersten<br />
Weltkrieges schien zunächst der Fortbestand des<br />
Landes Preußen fragwürdig, außerdem waren die bisherigen<br />
landesherrlichen Bindungen weggefallen. Damals,<br />
besonders als Vorsitzender der Hohenzollerischen Zentrumspartei<br />
seit 1920, setzte sich Carl Vogel mit dem ersten<br />
republikanischen Regierungspräsidenten Dr. Emil<br />
Beizer in Wort und Schrift kraftvoll für die Bildung eines<br />
Südweststaates aus Baden und Württemberg mit Einschluß<br />
Hohenzollerns ein, in dem er die beste Zukunftsmöglichkeit<br />
für seine Heimat erblickte. Die <strong>hohenzollerische</strong>n<br />
Vorkämpfer dafür befanden sich übrigens in guter<br />
Gesellschaft. Dazu nur ein namhafter Kronzeuge:<br />
»Es könnte auch bei uns im Süden manches geändert<br />
werden. Ich könnte mir gut vorstellen, daß Württemberg<br />
und Baden einen anständigen Staat zusammen gäben,<br />
denn vor der Territorialgeschichte dieser beiden Staaten<br />
brauchen wir wirklich keine Ehrfurcht zu haben — die<br />
Ämter, Abteien, Städte wurden zwischen 1802 und 1810<br />
in Versailles, bei Napoleons Staatssekretär Caulaincourt,<br />
zusammengebettelt, und an den Grenzen wußte man<br />
durch Jahre nicht, ob auf die Dauer das angestammte<br />
Herrscherhaus< in Stuttgart oder in Karlsruhe zu verehren<br />
sei. . . . Die schwierige Frage in diesem Zusammenhang<br />
ist Preußens künftige Staatlichkeit. Soll das künftige<br />
Deutschland einigermaßen ein inneres Gleichgewicht<br />
finden, dann muß Preußen aufgelöst werden«<br />
Die Politik ging danach andere Wege, und die Zeit für<br />
einen größeren Südweststaat war noch nicht reif. Vogel
war mit seinen Gesinnungsfreunden enttäuscht darüber,<br />
daß die Revolution von 1918 der deutschen Uneinigkeit<br />
keineswegs ein Ende zu bereiten vermocht hatte und enger<br />
Lokalpatriotismus die Bildung eines leistungsfähigen<br />
Landes verhinderte. Energisch aber wehrte er sich gegen<br />
die von Nachbarn zeitweise entwickelten Pläne, Hohenzollern<br />
aufzuteilen, wobei das Unterland Württemberg<br />
und das Oberland Baden zugeschlagen werden sollte. Im<br />
Kampf gegen eine solche Spaltung des in fast einhundert<br />
Jahren zusammengewachsenen <strong>heimat</strong>lichen Raumes gab<br />
ihm seine Stellung als Vorsitzender des Hohenzollerischen<br />
Kommunallandtages und des Landesausschusses,<br />
wozu er im Jahre 1922 gewählt worden war, eine wirkungsvolle<br />
Position. Dadurch war er zugleich Leiter des<br />
für Hohenzollern nach der »Hohenzollerischen Amtsund<br />
Landesordnung« vom 2. April 1873 gebildeten »mit<br />
den Rechten einer Korporation ausgestatteten Landeskommunalverbandes<br />
zur Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten«<br />
2 . Statt einer Teilung Hohenzollerns hielt er<br />
den Verbleib bei Preußen immer noch für den besseren<br />
politischen Zustand, zumal mit der demokratischen Regierung<br />
für Hohenzollern eine freiheitlichere, großzügigere<br />
und auf die Mentalität der Bevölkerung mehr<br />
Rücksicht nehmende Verwaltung zu spüren war. So<br />
klang aus den Reden bei der Festsitzung des Kommunallandtags<br />
anläßlich der fünfundsiebzigjährigen Zugehörigkeit<br />
zu Preußen am 4. Mai 1925 eine verstandesmäßig<br />
zu erklärende Zustimmung zur gegebenen politischen<br />
Ordnung, etwas überschwänglich beim Grußwort von<br />
Regierungspräsident Dr. Beizer: »Ich bin überzeugt, daß,<br />
wenn auch die dynastischen Bande gefallen sind und wir<br />
vor allem in wirtschaftlicher Beziehung von unseren<br />
stammverwandten Nachbarstaaten abhängig sind, die<br />
stete Rücksichtnahme Preußens auf unsere besonderen<br />
Verhältnisse, gerade auf finanziellem Gebiete, uns Preußen<br />
immer näher gebracht und Preußen unseren unauslöschlichen<br />
Dank gesichert hat« 3 . Reservierter, verhalten<br />
und abwägend erinnerte der Vorsitzende Vogel anschließend<br />
an verschiedene, auch unliebsame Epochen<br />
und kennzeichnete nochmals die Situation bei der Übergabe<br />
mit dem lapidaren Satz: »Der Hohenzollerische<br />
Landtag, der letztmals 1845 getagt hatte, wurde nicht<br />
befragt« 4 . Als günstige Rückwirkung auf unsere Heimat<br />
bezeichnete er die Einführung der Landeskommunalverwaltung<br />
und bedauerte, »daß man in Preußen teilweise<br />
einen starken Zentralismus auf Kosten der provinziellen<br />
Selbstverwaltung zu begünstigen beginnt. Das Rütteln<br />
an historisch Gewordenem wäre um so bedauerlicher, je<br />
eigenartiger die Verhältnisse bei uns liegen.« Nachdem er<br />
nochmals ein Auseinanderreißen Hohenzollerns mit<br />
Nachdruck abgelehnt hatte, stellte er sachlich, fast resignierend<br />
fest: »So bleibt uns, realpolitisch gesehen, als<br />
beste Lösung das Verbleiben im Verband des preußischen<br />
Staates übrig. Die besonnenen Elemente werden sich,<br />
vielleicht unter Zurückstellung ihrer gefühlsmäßigen<br />
Einstellung, immer mehr auf dieser Plattform sammeln.<br />
Sie bitten aber die Staatsregierung eindringlich und bestimmt,<br />
besonders im gegenwärtigen Augenblick, quieta<br />
non movere« 5 , also an den bestehenden Zuständen und<br />
Befugnissen nichts zu ändern.<br />
In dieser realistischen Haltung führte Carl Vogel elf<br />
Jahre lang die Geschäfte der Landeskommunalverwaltung,<br />
in die er sich mit Einfühlungsvermögen, Fleiß und<br />
Geschick rasch eingearbeitet hatte. »Die ersten Jahre seiner<br />
Amtsführung waren überschattet von der Inflation<br />
mit der Ausgabe von Notgeld und nach deren Überwindung<br />
von einer solchen Verknappung der finanziellen<br />
Mittel, daß die Verwaltungsführung zunächst ganz dar-<br />
auf abgestellt werden mußte, den Landeskommunalverband<br />
glücklich durch diese Schwierigkeiten hindurch zu<br />
bringen und die Finanzwirtschaft allmählich wieder auf<br />
eine gesicherte Grundlage zu stellen. Dabei stellte sich<br />
dem Vorsitzenden eine Fülle von Aufgaben für den Landeskommunalverband<br />
und seine Anstalten. Die Hauptanliegen<br />
des Vorsitzenden Vogel waren die Ausgestaltung<br />
des Fürsorgewesens, der Ausbau der Landstraßen,<br />
die Entfaltung der Hohenzollerischen Landesbank, der<br />
weitere Ausbau des Fürst-Carl-Landeskrankenhauses und<br />
die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung auf<br />
Grund der von der preußischen Regierung gegebenen<br />
Richtlinien« Anläßlich der Ernennung zum Monsignore<br />
erinnerte die <strong>heimat</strong>liche Presse an die persönlichen<br />
Leistungen des ehemaligen Landesdirektors: »Klar und<br />
besonnen im Urteil, von sachlichen Beweggründen geleitet,<br />
jedem gesunden Fortschritt aufgeschlossen, allen unsicheren<br />
Versuchen abgeneigt, ein Mann des Maßes und<br />
der Mitte, wußte er in klugen und sicheren Verhandlungen<br />
die wesentlichen Belange der Selbstverwaltung zu<br />
wahren« Bei der Wiedereröffnung des Hohenzollerischen<br />
Kommunallandtages nach der nationalsozialistischen<br />
Epoche, am 21. November 1950, erinnerte Alterspräsident<br />
Emil Straub an den Vorsitzenden Vogel als<br />
»eine Persönlichkeit, die durch ihre hervorragenden parlamentarischen<br />
Fähigkeiten sowohl als Leiter der Verhandlungen<br />
des Kommunallandtags wie auch als Vorsitzender<br />
des Landesausschusses bei der Führung der Geschäfte<br />
der Landeskommunalverwaltung in allen Kreisen<br />
der Bevölkerung im höchsten Ansehen stand. Seine<br />
Amtstätigkeit hat durch die nationalsozialistische Machtübernahme<br />
im April 1933 ein bedauerlich rasches Ende<br />
gefunden«, denn jetzt waren Persönlichkeiten dieser Art<br />
im öffentlichen Leben nicht mehr gefragt! So räumte<br />
Vogel seinen Platz im Landeshaus, nachdem er noch eine<br />
von einer braunen Gruppe widerrechtlich dort gehißte<br />
Hakenkreuzfahne herunterholen ließ.<br />
Nun widmete er sich ganz seinem Amt als Pfarrer und<br />
Kammerer; für die würdige Gestaltung der Kirche wie<br />
für soziale Zwecke stiftete er laufend namhafte Beträge.<br />
Seine vielfach bewiesene soziale Gesinnung und Hilfsbereitschaft<br />
mußte selbst das Stuttgarter Sondergericht unter<br />
dem Vorsitzenden Richter Cuhorst im Jahre 1940 anerkennen,<br />
als es den Priester und Mann des öffentlichen<br />
Vertrauens unter nichtigen Vorwänden zu zehn Monaten<br />
Gefängnis verurteilte; den größten Teil davon mußte er<br />
in der Strafanstalt Rottenburg absitzen. Von dort<br />
schrieb der Gefängnisgeistliche Dr. Hufnagel an den zuständigen<br />
Generalvikar Dr. Rösch in Freiburg über den<br />
Sträfling Vogel: »Er fügt sich selbstverständlich tadellos<br />
in die Ordnung und leistet, was er leisten kann« - nämlich<br />
im Kleben von Briefumschlägen!<br />
Nach dem Zusammenbruch von 1945 bekannte sich Vogel<br />
erneut zur Demokratie und trat wiederum für seinen<br />
alten Lieblingsgedanken eines größeren leistungsfähigen<br />
Landes im Südwesten unter Einschluß Hohenzollerns<br />
ein. Er verhielt sich daher sehr reserviert gegenüber Bestrebungen<br />
um die Erhaltung <strong>hohenzollerische</strong>r Selbständigkeit<br />
und Sonderrechte und begrüßte sehr befriedigt<br />
die Bildung des Landes Baden-Württemberg im Jahre<br />
1952; dabei war er fest überzeugt, daß der neue Staat<br />
bald, schon etwa nach einer halben Generation, auch für<br />
die Bewohner Hohenzollerns eine echte Heimstätte werden<br />
wird. Bei der infolge des Flüchtlingszustroms völlig<br />
geänderten Bevölkerungsstruktur, dem Heranwachsen einer<br />
neuen politischen Führungsschicht und in dem von<br />
ihm sehr geförderten ökumenischen Geiste hielt er es für<br />
29
tunlich, daß sich Geistliche nicht mehr parteipolitisch<br />
betätigen. Daher stellte er sich, obwohl wiederholt dazu<br />
aufgefordert, politischem Wirken nicht mehr zur Verfügung,<br />
verfolgte aber alles öffentliche Geschehen mit wachem<br />
Sinn. Die seltener gewordenen Besucher in seinem<br />
Alterssitz in Owingen staunten bei den lebhaften Gesprächen<br />
immer wieder, wie gründlich er bis in seine<br />
letzten Lebensjahre hinein über politisches Geschehen<br />
unterrichtet war, wie er öffentliche Entwicklungen verfolgte<br />
und aus den reichen Erfahrungen eines fast neunzigjährigen<br />
Lebens abgeklärt beurteilte. Solange es sein<br />
1 Theodor Heuss, »Deutschlands Zukunft 1919« in »Die großen<br />
Reden — Der Staatsmann«. 1965, Rainer Wunderlich<br />
Verlag Tübingen, S. 23 f.<br />
2 Handbuch für den Hohenzollerischen Landeskommunalverband.<br />
1907, M. Liehner's Hofbuchdruckerei G.m.b.H. S. 19.<br />
3 Sonderdruck »1850-1925« - »Fünfundsiebzig-Jahr-Feier<br />
Hohenzollern-Preußen«. Festbericht über den feierlichen<br />
Akt aus Anlaß der Eröffnung des 58. Hohenzollerischen<br />
JOHANN WANNENMACHER<br />
So sagt es die heimische Mundart in Rangendingen.<br />
Althergebrachte Ausdrücke und Redewendungen<br />
Man liest und spricht heute wieder viel von Heimatverbundenheit<br />
und Pflege des Volkstums. Das mit Recht!<br />
Sicherlich ist mit diesen Begriffen in der Vergangenheit<br />
unverzeihlicher Mißbrauch getrieben worden. Doch Erkenntnisse<br />
und Erfahrung haben eindringlich gezeigt,<br />
daß die Heimat eine Realität ist, die nie aus der Entwicklung<br />
des Menschen herausgenommen werden kann.<br />
Von dort empfangen alle seine Sinne, die ersten und<br />
dauerhaftesten Eindrücke und Anregungen. Sie gibt ihm<br />
einen unverlierbaren seelischen und geistigen Reichtum<br />
mit auf den Lebensweg.<br />
Die Mundart ist ein Kernstück unserer Heimat. Jedes<br />
Wort stammt aus ihrem Untergrund, ist umwoben von<br />
Geist- und Gemütswerten, die mit dem seelischen Inhalt<br />
in den Menschen hineinwachsen. Dies beweisen auch<br />
nachstehende alte Ausdrücke und Redewendungen:<br />
Wenn beispielsweise einer allzulange mit der Begleichung<br />
von Schuldigkeiten aller Art wartet, dann bleibt dem<br />
Gläubiger zuletzt nichts anderes übrig, als den Schuldner<br />
anzumahnen. Dafür gebraucht man in der Mundart das<br />
Wort »oascha«. In diesem uralten Wort liegt die ganze<br />
Vorsicht und Taktik einer unauffälligen, nicht verletzenden<br />
Mahnung. Hat einer eine Schwellung am Kopfe, die<br />
ihre Ursache in einem Stoß oder Wurf haben kann, so<br />
nennt man diese einen »Burren«. Wer an allem herumnörgelt<br />
und dabei oft wenig positiv eingestellt ist, der<br />
ischt a »Bruttier« — oder a baiser »Muddle«. Ist einer<br />
oder eine im Aussehen und Gebahren wenig mit Schönheit<br />
gesegnet, dann ist er »aschantleger« Denger und sie<br />
»aschantleger« - Dengen. Auch wer sich ungehobelt,<br />
rücksichtslos und frech benimmt, ist a schantleger Kerle<br />
und die Frau a schantlegs Luader. Wer etwas nur so gelegentlich<br />
probiert, mit der Zeit aber Geschmack daran<br />
findet, immer mehr und regelmäßig davon kostet, dear<br />
hot diea Sach »verliggeret«. Wenn eine Schraube nicht<br />
mehr hält, dann ist das Gewinde meistens »ausgleirat«<br />
- abgenutzt. Der Hausflur wurde ehemals »Hausöhre«<br />
genannt. Sie war früher oft recht einfach und dürftig ge-<br />
30<br />
Gesundheitszustand zuließ, übernahm er bei den Zusammenkünften<br />
seiner geistlichen Mitbrüder in Haigerloch<br />
kurze Vorträge, die Exhorten, die als sehr geistvoll und<br />
praxisnah dankbar aufgenommen wurden. Die Bundesrepublik,<br />
als vierte von Carl Vogel erlebte Staatsform,<br />
ehrte sein Wirken für die Heimat durch die Auszeichnung<br />
mit dem Verdienstkreuz des Verdienstordens.«<br />
Landrat Dr. Speidel bezeichnete bei der Verleihung am<br />
Vorabend des fünfundsiebzigsten Geburtstages im Owinger<br />
Rathaus in seiner Laudatio Feier und Orden »als<br />
eine Ehrung für Arbeit und Lebenswerk!«<br />
Kommunallandtages zu Sigmaringen am 4. Mai 1925. Buchdruckerei<br />
Chr. Daikeler, Sigmaringen. S. 3.<br />
4<br />
Sonderdruck a. a. O. S. 5.<br />
5<br />
Sonderdruck a. a. O. S. 6 ff.<br />
6<br />
Josef Mühlebach, »Der Landeskommunalverband des Hohenzollerischen<br />
Landes« Heft 10 der »Arbeiten zur Landeskunde<br />
Hohenzollerns« M. Liehners Hofbuchdruckerei KG Sigmaringen<br />
1965 S. 106.<br />
7<br />
Schwäbisches Tagblatt Nr. 47 vom 23. 4. 1949.<br />
halten. In alten Bauernhäusern gab es in der Hausöhre<br />
nur einen Lehm- oder Steinboden, sowie kahle, geweißelte<br />
Wände. Die Holzstiege heißt in der Mundart »Schteagund<br />
die Steintreppe wird mit dem auch klanglich<br />
schon härteren Wort »Schtepfel« bezeichnet. Sollen kleine<br />
Kinder ruhig sein und sich artig verhalten, so hört<br />
man ihnen zurufen: »Send ihr grieabegl« Das Brot durfte<br />
man nicht unnötig »vermudera«, d. h. zerkrümeln<br />
oder achtlos mit ihm umgehn. Das Brot schätzte man als<br />
eine heilige Gabe. Wenn Lebensmittel beim Kochen oder<br />
Einmachen sich setzen und immer geringer werden, dann<br />
»schmudderet« se zemma. Im übertragenen Sinn wird<br />
das Wort »schmuddera« auch auf alte und kranke Leute<br />
angewendet, wenn sie immer mehr abnehmen und<br />
schwächer werden. Da heißt es dann: »Diea (dear) ischt<br />
no bais zemma gschmudderat!« Sind Lebensmittel ungenießbar<br />
oder Sachen unbrauchbar geworden, dann sind<br />
sie »heineg«. Die Erbsen im Garten werden »bröcklet«,<br />
- aus den Schoten genommen und die Bohnen »zopf<br />
/ei« - gepflückt, gesammelt. Ein entzündeter Finger<br />
kann mitunter klopfende Schmerzen bereiten und<br />
»klotzget«. Hat jemand einen schweren Schädel, so kann<br />
es ihm »tremmleg« werden. Die frisch gesetzten Pflanzen<br />
muß man in der Mundart »gschbreeza« = gießen, das<br />
alte Wort »beareg« = soeben, gerade wird auch in vielen<br />
Verbindungen gebraucht. Da hört man: »Dear ischt beareg<br />
fort, komma, ganga, vorbeiglaufa usf.«<br />
Auch die Feldfrüchte haben in der Mundart teilweise<br />
ihre besonderen Namen. So sind Erbsen »Äscha«, Linsen<br />
»Leisa«, Kartoffeln »Grumbira«, dicke Rüben für das<br />
Vieh »Bugonter«, Gurken »Guckgommer«. Weizen nennt<br />
man »Woaßa« und Gerste »Gäascbda«. Die Mahden<br />
vom Heugras muß man »warba«, d. h. auseinanderstreuen,<br />
damit das Gras leicht dörren kann. Wenn kleine Kinder<br />
früher im Kaufladen etwas für den Haushalt holten,<br />
bekamen sie als Dreingabe ein paar erbsengroße »Fuuschtoale«,<br />
d. h. Bonbons. Muß man bei der Arbeit gefaßt<br />
sein und Überraschungen mit in Kauf nehmen, so
wird das oft mit dem Spruch ausgedrückt: »Vorsicht, ma<br />
waßt (weißt) niea, mo Gott hogget!« Kinder sind<br />
manchmal ungezogen und »dont (tun), wiea de abglauna<br />
(losgelassenen) Hond«. Wer keine Geduld aufbringt und<br />
wertvolle Sachen und Gegenstände lieblos behandelt<br />
oder rücksichtslos entfernt, der bekommt zu hören: »Mit<br />
Gwalt lupft ma Goaß (Geiß) am Schwanz nomm!«<br />
Die Mundart führt zusammen. Ihre trefflichen Worte<br />
und Redewendungen strahlen Vertrauen aus, öffnen sofort<br />
Herz und Geist und stellen den Sprecher ganz auf<br />
den sicheren Boden der Heimat. Dort findet man auch<br />
noch in unseren Tagen Halt, Hoffnung und unvergängliche<br />
Werte.<br />
JOHANN ADAM KRAUS<br />
Die Familiennamen Flad, Lorch,<br />
Maier, Speidel, Viesel<br />
Die Familie Flad sitzt im Killertal schon über 500 Jahre.<br />
Wenigstens wird in Jungingen im J. 1442 schon ein<br />
Mann namens Fladenmul (-maul) genannt, später zu<br />
Flad (auch Fladt) verkürzt, so 1548 (Hohz. JHeft 1935,<br />
124). Schon früher findet sich anderwärts einer »genannt<br />
Vlade«. Der Name dürfte ziemlich sicher mit den Fladen<br />
oder flachen Kuchen zusammenhängen, die auch als Honigkuchen<br />
erscheinen. Flädlesuppen aus geschnittenen<br />
Fladen sind sehr beliebt. Im Althochdeutschen war flade<br />
ein Opferkuchen; germanisch wird der Stamm<br />
»plat« = »breit und flach« als Grundform angenommen.<br />
Aber wie wurde Flad zum Familiennamen? Brechenmacher<br />
bringt aus Esslingen zum Jahr 1386 das »Haus eines<br />
Fladenessers« bei. Die Form Fladenmaul in Jungingen<br />
scheint dasselbe zu besagen, wenn nicht gar ein Mann<br />
mit einem auffallend breiten Mund damit charakterisiert<br />
gewesen sein soll, so daß es ein Übername war. Flad saßen<br />
1548 in Starzein und in Jungingen (Hohz. JHeft<br />
1935, 126 u. 124). Von letzterem Ort zog einer nach<br />
Tailfingen, ein anderer nach Stetten b. Hech.<br />
Dir Lorch in Killer kamen über Gauselfingen, wo einer<br />
1544 Ortsvogt war, von Hausen an der Lauchert, wo als<br />
erster 1454 ein Hans von Lorch saß. Er war aus einem<br />
der beiden Ortschaften Lorch zugezogen.<br />
Die Maier (auch anderwärts Meier, Meyer usw.) bezeichneten<br />
ursprünglich die Vorsteher oder majores (vgl.<br />
fränkische Hausmaier), später die Aufseher über herrschaftliche<br />
Höfe: Lehnhöfe. Noch 1530 mußte in Ringingen<br />
jeder Maier, d. h. Bauer, dem Mesner einen Laib<br />
Brot pro Jahr stiften. Schon 1545 erscheint dort auch<br />
der Familienname Maier, wie heute.<br />
Die Speidel 1548 in Boll und Grosselfingen, Spidelin in<br />
Ringingen, sind nach dem wohlbekannten Holzstück<br />
oder dünnen Holzkeil benannt. Rudolf Kapff bringt<br />
eine Menge ähnlicher Gegenstände in seinem Schwäbischen<br />
Geschlechtsnamen-Büchlein von 1927, 499 f., die<br />
alle namengebend wurden.<br />
Die schon im 16. Jahrhundert in Melchingen seßhaften<br />
Viesel (Visel) (1540 auch in Ringingen, und dann von<br />
1788 bis 1978), 1422 in Steinhilben, 1548 Viselin in<br />
Burladingen (aus Ringingen: Hohz. JHeft 1935), sind<br />
auch in Freiburg, sonst in Baden und Württemberg verbreitet.<br />
Auch die Fiseler, Visel, Vissel, Viser, Füßer, Viselli,<br />
vielleicht die ßiselli auf der Beuroner Mühle um<br />
1918, und selbst Füß, Vitz und ähnliche gehören zu dieser<br />
Gruppe. Um 1500 gab es bei Ravensburg eine örtlichkeit<br />
Visel, vielleicht nach dem Bewohner benannt.<br />
Der Ringinger Pfarrer schrieb um 1790 den aus Melchingen<br />
gekommenen Namen sogar Füessel. Während Edmund<br />
Nied in seinem 1924 erschienenen »Familienbuch<br />
von Freiburg« ohne Begründung meint, der Name sei ein<br />
unschöner Übername und besage bildlich ein »Schmächtiges<br />
Geschöpf«, indem er vermutlich an das mittelhochdeutsch<br />
Wort visel = männliches Glied dachte, ist festzustellen:<br />
Schon im Jahr 817 nennt das Urkundenbuch von<br />
St. Gallen (Bd. I, 223) einen Zeugen Fizil(inus) zu Ebingen<br />
betr. Rechtssache in Vilsingen. Visel ist ein uralter<br />
Personenname, der zu unverstandenem Familienname<br />
wurde, wie es auch sonst oft vorkam.<br />
JOHANN ADAM KRAUS<br />
Zu Imme bzw. Biene<br />
Der Bienenbericht W. Fricks Seite 63 des Jahrgangs 1978<br />
dieser Zeitschrift weckte alte Kindheitserinnerungen.<br />
Damals hatte der alte Freudemann unterm Hohlweg in<br />
Ringingen noch in seinem Immenstand (man spricht das<br />
I lang unter Ausstoßung des zweiten M also Ime) seine<br />
altertümlichen Körbe aus geflochtenen Strohzöpfen nebeneinander<br />
in seiner Holzhütte aufgereiht. Die Hütte<br />
ist längst verschwunden und neuestens folgte ihr auch<br />
das altersschwache Haus Nr. 88. Wir Kinder fertigten<br />
aus weichgeknetetem Lehm (Loi, also urspr. Leim!) nicht<br />
etwa korbförmige, sondern topfgroße eckige Behälter<br />
mit einem kleinen Seitenloch. Von oben gewährte eine<br />
kleine Glasscheibe die gewünschte Einsicht zum Inhalt<br />
der aus Gras oder Laub bestand. Wir nannten unser<br />
Werk nach uraltem merkwürdigem Brauch einen Imenbinker,<br />
was mir noch lange ein Rätselwort darstellte.<br />
Wir planten ihn als Behälter für eine oder mehrere zu<br />
fangende Bienen. Daraus wurde natürlich nichts und<br />
zwar aus praktischen Gründen, nämlich der Stechgefahr<br />
und des Verbots durch Erwachsene, die unser Tun beobachteten.<br />
Es hätte ja nur eine Tierquälerei ergeben.<br />
Höchst beachtlich scheint jedoch die Tatsache: In diesem<br />
alten Wort Imenbinker steckt ein Stück Bienenkunde.<br />
Daß der Imen (ahd. imbi oder imbe) seit über 1000 Jahren<br />
einen Bienenschwarm, die Im aber das Einzeltierchen,<br />
bzw. Insekt, bezeichnet, erfuhren wir erst später.<br />
Doch was bedeutet Binker? Schon als man das Wort<br />
Imen davorsetzte, verstand man den Sinn nicht mehr.<br />
Denn die erste Silbe Bin ist zweifellos Biene. Die zweite<br />
Silbe Kar dagegen ist bei uns sonst völlig unbekannt.<br />
Nach Kluge-Mitzkas Etymologischem Wörterbuch der<br />
deutschen Sprache bezeichnet Kar in den Alpenländern<br />
eine Mulde oder einen Gebirgskessel und ist gleichbedeutend<br />
mit dem alt- und mittelhochdeutschen Kar = Gefäß,<br />
wozu mhd. ~binenkar = Bienenkorb und der aus dem<br />
sächsischen Sprachbereich stammende Im-ker (Imkar-<br />
Bienenzüchter) gehört, den man anderwärts auch Zeidler<br />
nennt. Ein Imenstock erinnert an frühere Zeiten, in denen<br />
man statt der späteren Strohkörbe die Bienen in ausgehöhlten<br />
Holzstöcken hielt. In beiden Fällen war bis<br />
zur Erfindung der sog. Beuten oder Kästen zur Gewinnung<br />
des Honigs und Wachses die Zerstörung des Bienenkorbes<br />
bzw. des Schwarms nötig, falls letzterer nicht<br />
von selbst »starb«. (Das Wort verrecken verbot die Ehrfurcht<br />
vor den Gottesgaben Honig und Wachs). Das<br />
Wort Biene erwuchs aus der indogermanischen Wurzel<br />
bhi = beben, schwirren. Aus dem 10. Jahrhundert ist ein<br />
Bienensegen im Vatikan erhalten, der aus Lorsch stammt<br />
und mit dem Satz beginnt: »Krist, imbi ist husse« (Christus,<br />
der Im ist rauß!). Der Segen soll die nützlichen<br />
Tierlein vor dem Verirren bewahren.<br />
31
Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> Geschichtsverein<br />
Karlstr. 3, 7480 Sigmaringen<br />
W <strong>3828</strong> FX<br />
Postvertriebsstück. Gebühr bezahlt.<br />
WALTHER FRICK<br />
Zum zweitenmal: Semmris-Krätta<br />
Meine Anfrage im letzten Heft, das »Simmri« Semmri,<br />
Semmris angehend, hat aus der Leserschaft mehrere Beiträge<br />
erbracht, wofür allen Einsendern Dank gesagt sei.<br />
Es ergibt sich daraus, daß das Maß bis vor wenigen<br />
Jahrzehnten auch in Hohenzollern gängig war, und daß<br />
der Begriff noch immer lebendig ist.<br />
Herr Pfarrer Johann Adam Kraus schreibt u. a., Simere<br />
(wie er das Wort darstellt) seien um 1934 noch in Burladingen<br />
hergestellt worden. Ein telefonischer Anrufer,<br />
dessen Name ich leider nicht behielt, erweiterte das noch<br />
bis in den zweiten Weltkrieg. Es habe damals in Burladingen<br />
noch mindestens einen Korbflechter gegeben,<br />
der diese Körbe herstellte. Kraus beziffert den Inhalt<br />
auf 20 lt. Das Wort komme vom ahd. »sumber oder<br />
sumbir = Handtrommel, Gefäß, Korb. Acht Simmri ergaben<br />
einen Scheffel = einen Sack. Nach Kraus hießen<br />
die Burladinger Flechter »Meßmacher«. Er fügt hinzu,<br />
daß im alten Hohenzollern das oft genannte »Viertel«<br />
(oder »Viendel«) Getreide gleich einem solchen Simmri<br />
war. Der »Krätta« für Korb kommt, immer nach Kraus,<br />
vom lateinischen »Cratus« = Geflecht.<br />
Herr Franz Thomma in Sigmaringen, der in seiner Kindheit<br />
zwischen 1898 und 1908 oft bei den Großeltern in<br />
Dettingen zu Besuch war, wo sein Großvater Hierwirt,<br />
Bierbraucher, Landwirt und Abgeordneter im Kommunallandtag<br />
war, steuert bei: die Simmri habe auch<br />
»Schiede« geheißen und habe 22 lt. gefaßt (also mehr als<br />
Kraus angibt). Man habe Kartoffeln auf dem Feld immer<br />
simmris-weise gelesen und auch so verkauft. Interessant<br />
ist Thommas Hinweis darauf, daß man im <strong>hohenzollerische</strong>n<br />
Unterland um die Jahrhundertwende noch<br />
viel Hopfen angebaut und auch den simmris-weise gebrockt<br />
habe. Dafür gab es zehn Pfennige! Man bezog die<br />
zweigehenkelten Simmris-Körbe von Hausierern, die<br />
HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />
hrsggbn. vom Hohenz. Geschichtsverein.<br />
Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat«<br />
ist eine <strong>heimat</strong>kundliche Zeitschrift. Sie<br />
will besonders die Bevölkerung in Hohenzollern<br />
und der angrenzenden Landesteile<br />
mit der Geschichte ihrer Heimat vertraut<br />
machen. Sie bringt neben fachhistorischen<br />
auch populär gehaltene Beiträge.<br />
Bezungspreis: 6,00 DM jährlich.<br />
Konten der »Hohenzollerischen Heimat«:<br />
802 507 Hohenz. Landesbank Sigmaringen<br />
123 63-707 Postscheckamt Stuttgart<br />
Druck: M. Liehners Hofbuchdruckerei<br />
KG, 7480 Sigmaringen, KarLstraße 10.<br />
32<br />
Die Autoren dieser Nummer:<br />
nannte man »Krattenmacher«. - Ich füge als Gedankenverbindung<br />
hinzu, daß es im Hohenfelsischen einen<br />
Weiler gibt namens »Krattenloch«; ob der etwas mit solchen<br />
Körben zu tun hat, oder vielleicht einmal »Krötenloch<br />
- Krottenloch« hieß, sei dahingestellt.<br />
Zur Geschichte Südwestdeutschlands<br />
Ein Ferienkurs des Volkshochschulheims Inzigkofen<br />
In der Zeit vom 22. bis 27. Oktober 1979 veranstaltet<br />
das Volkshochschulheim Inzigkofen einen Ferienkurs zur<br />
Geschichte Südwestdeutschlands (territoriale Strukturen<br />
und Entwicklungen am Beispiel des heutigen Kreisgebiets<br />
von Sigmaringen). Die wissenschaftliche Leitung hat<br />
Staatsarchivdirektor Dr. Richter. Über die vor- und<br />
frühgeschichtliche Besiedlung referiert Dr. Hermann<br />
Reim vom Landesdenkmalamt Tübingen. Weitere Referenten<br />
sind Frau Dr. Kuhn-Refus, Dr. Becker und Claus<br />
Grawe. Neben den Vorträgen sind 4 Exkursionen vorgesehen:<br />
Wilflingen-Scheer-Pfullendorf,<br />
Das Laucherttal bis Trochtelfingen,<br />
Staatsarchiv Sigmaringen,<br />
Obermarchtal-Sießen-Heiligkreuztal-Wald.<br />
Das Programm ist erhältlich beim Volkshochschulheim<br />
Inzigkofen, 7483 Inzigkofen 1 (Telefon 07571/5851). B.<br />
An unsere Leser!<br />
Dr. med. Herbert Burkarth,<br />
Eichertstr. 6, 7487 Gammertingen<br />
Walther Frick, Journalist<br />
Hohe Tannen 4, 7480 Sigmaringen<br />
Prof. Dr. Josef Groner<br />
Adolf-Kolping-Str. 17, 7798 Pfullendorf<br />
Georg Hämmerle, Konrektor a. D.<br />
Lindenstr. 23, 7968 Saulgau<br />
Joh. Adam Kraus, Erzb. Archivar i. R.<br />
Badstr. 8, 7800 Freiburg/Br.<br />
Dr. Gregor Richter, Staatsarchiv-Dir.<br />
Karlstr. 3, 7480 Sigmaringen<br />
Joh. Wannenmacher, Schulrat a. D.<br />
Goethestr. 19, 7487 Gammertingen<br />
Stephan Wiest, Oberstudiendirektor a. D.<br />
Ludwig-Egler-Str. 12, 7450 Hechingen<br />
Leider dauerte es sehr lange, bis Sie die Nummer<br />
1/1979 zugestellt bekamen. Dies lag an der neuen<br />
Art des Postversandes. Wir hoffen, daß das Verfahren<br />
sich einspielt und Sie in Zukunft wieder<br />
rechtzeitig in Besitz der »Hohenzollerischen Heimat«<br />
kommen. Die Schriftleitung.<br />
Schriftleitung:<br />
Dr. med. Herbert Burkarth,<br />
7487 Gammertingen (Telefon 07574/329)<br />
Redaktionsausschuß:<br />
Walther Frick, Journalist,<br />
Hohe Tannen 4, 7480 Sigmaringen<br />
(Telefon 07571) 8341)<br />
Manfred Hermann, Pfarrer,<br />
7451 Neufra/Hohenz. (Tel. 07574/442)<br />
Die mit Namen versehenen Artikel geben<br />
die persönliche Meinung der Verfasser<br />
wieder; diese zeichnen für den Inhalt der<br />
Beiträge verantwortlich. Mitteilungen der<br />
Schriftleitung sind als solche gekennzeichnet.<br />
Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />
werden an die Adresse des Schriftleiters<br />
oder Redaktionsausschusses erbeten.<br />
Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />
Heimat« weiter zu empfehlen.
Die Obere Mühle von Trochtelfingen<br />
JAKOB BIZER<br />
HOHENZOLLERISCHE<br />
HEIMAT<br />
Von Mühlen und Müllern an der Seckach<br />
Trochtelfingen hatte einst vier Mühlen<br />
Die Bundesstraße 313, von Großengstingen über die<br />
Haid führend, senkt sich bei der Hinteren Burg (Haideck)<br />
hinunter in ein trockenes Hochtal mit einem sich<br />
nach und nach bildenden kleinen Wasserlauf, der dann<br />
oberhalb Trochtelfingen zwischen der Burg und dem<br />
Burgstall überraschend schnell zu der aus feuchtem<br />
Grund kräftig quellenden Seckach wird. Kaum hundert<br />
Meter weiter steht die erste der vier einstigen Trochtelfinger<br />
Mahlmühlen, die Obere oder Äußere Mühle. Die<br />
Räder stehen still wie bei allen ehemaligen Seckachmühlen.<br />
Noch rauscht der Mühlbach an ihnen vorbei, noch<br />
weisen Straßen- und Gassennamen den Weg zu ihnen,<br />
Herausgegeben oom<br />
W <strong>3828</strong> FX<br />
Hohenzollerifchen Gefchichtooerein<br />
29. Jahrgang Nr. 3/September 1979<br />
Foto: Burkarth<br />
noch zeugen alte Flurnamen und schriftliche Urkunden<br />
von ihrem einstigen Dasein.<br />
Als im Jahr 1316 Trochtelfingen, damals schon ummauert<br />
und Mittelpunkt einer gleichnamigen Herrschaft, aus<br />
württembergischem Besitz an das Haus Werdenberg<br />
kam, blieben die Obere und die Untere Mühle, beide<br />
weit außerhalb der Stadt auf der linken Seckachseite gelegen,<br />
in württembergischer Hand. Anno 1442 wurden sie<br />
als Erblehen an den Trochtelfinger Schultheißen Bentz<br />
Uelin gegeben gegen 20 Pfund Hellerzins, zahlbar an die<br />
Kellerei in Urach. Über Generationen hinweg blieben<br />
die Uelin im werdenbergischen, ab 1534 fürstenbergi-
sehen Trochtelfingen Leheninhaber der dortigen württembergischen<br />
Herrschaftsmühlen, bis diese dann im<br />
16. Jahrhundert als Lehen geteilt wurden . . .<br />
Die Obere Mühle kam damals, wie aus einem späteren<br />
Schreiben hervorgeht, an Familie Klingenstein, in deren<br />
Händen sie bis vor wenigen Jahrzehnten verblieb. 1618<br />
war die Stadt Leheninhaber der Mühle, Johannes Klingenstein<br />
trieb sie um.<br />
Die württembergischen Meidelstetter benutzten diese<br />
Mühle von altersher, in der frühesten Zeit wahrscheinlich<br />
als Bannmühle. Im Jahr 1761 wurde ihnen von ihrem<br />
Schultheißen das „uralte" Mahlen in derselben verboten.<br />
Das sture Verbot war nicht durchzusetzen. Ein<br />
Jahr danach wurde den Bürgern von Meidelstetten auf<br />
Befehl des württ. Herzogs Carl Eugen das fernere Mahlen<br />
in der Oberen Mühle wieder erlaubt.<br />
Das Dorf Großengstingen kam 1750 aus Zwiefalter Klosterbesitz<br />
an Württemberg. In einem Bannbrief vom<br />
14. 3. 1754 wurde seinen Bewohnern auferlegt, in Hönau<br />
und nicht in Trochtelfingen zu mahlen. Sie brachten dagegen<br />
vor, der Weg hinunter ins Honauer Tal sei so beschwerlich,<br />
daß sie, ungeachtet der größeren Entfernung,<br />
den besseren Weg zur Oberen Mühle in Trochtelfingen<br />
vorzögen, um so mehr als sie dort besser bedient würden.<br />
Zudem liege die Mühle am Wege nach Überlingen, wohin<br />
sie ihre Frucht auf den Markt bringen.<br />
Die Untere Mühle war anno 1502 als württembergisches<br />
Lehen in Händen von Hans Weißhar. 1558 verkaufte<br />
dessen Enkel gleichen Namens die Mühle mit Zustimmung<br />
Herzog Christophs für 920 Gulden (fl) an die<br />
Stadt, die dann die Mühle verpachtete. Diese brachte der<br />
Stadt wöchentlich 3 Viertel Kernen und an Geld 2 fl<br />
15 kr. Von den jährlich eingehenden 156 Vierteln bekamen<br />
der Schulmeister, der Nachtwächter und der Torwart<br />
28 Viertel; der Rest diente zur Instandhaltung der<br />
Mühle. - Die Fruchtmaße unterlagen von Ort zu Ort<br />
großen Schwankungen: der Scheffel faßte meist 4 Viertel,<br />
wobei man zwischen glatter (enthülster) und rauher<br />
Frucht unterschied. Das Reutlinger Scheffelmeß<br />
schwankte zwischen 153 und 220 Liter, der württembergische<br />
Scheffel stand bei 177.- Der Mühlepächter<br />
hatte auch die Lehenabgaben an Württemberg zu übernehmen:<br />
15 Pfund 12 Schilling (1 Pfd. = 20 Schllg = 240<br />
Heller), an Kernen 1 Schffl. 2Va Vrtl., an gestampfter<br />
Gerste 3 Vrtl., an Musmehl 3 Vrtl. und 120 Eier. Noch<br />
1802 waren es die gleichen Beträge. Bei jeder Regierungsveränderung<br />
in Württbg. mußte auch um eine neue<br />
Verleihung der Mühle nachgesucht werden.<br />
Berichten zufolge machte die Stadt mit dieser Verpachtung<br />
keine guten Geschäfte, und so verkaufte sie im<br />
Jahr 1802 ihre Lehenmühle mit Scheuer und Hofraite<br />
um 4000 fl an den Müller Johann Stumpp. So oft die<br />
Mühle in andere Hände kam, waren 100 fl Ehrenschatz,<br />
d. h. Aufzug- oder Lehengeld zu zahlen. Mit der Ablösung<br />
der Lehenzinsen im Jahr 1848 ging die Mühle in<br />
freies Eigentum des Besitzers über. Ihr Triebwerk, auch<br />
das der angebauten Säge, ruht. Das klare Wasser der<br />
Seckach speist heute die Forellenteiche im dortigen Mühlengrund.<br />
Zwischen der Oberen und der Unteren Mühle liegen auf<br />
der rechten Seckachseite die beiden ehedem fürstenbergischen<br />
Herrschaftsmühlen: die Stadtmühle in der Südostecke<br />
des Mauerrings und die „ein paar Büchsenschuß<br />
weit vor dem unteren Stadttor stehende, sogenannte<br />
Mittlere Mühle". Die Stadtmühle wird um 1500, die<br />
Mittlere (Hintere) erstmalig 1671 erwähnt. Fürstenberg<br />
gab seine Mühlen lange Zeit nicht zu Lehen, sondern<br />
34<br />
verpachtete sie auf eine Reihe von Jahren. Als im Jahr<br />
1718 die Verbständung (= Verpachtung) der beiden<br />
Mühlinnen anstand, bat der Bürger und äußere Müller<br />
Philipp Klingenstein für seine zwei Söhne, die das Müllerhandwerk<br />
bei ihm nicht nur redlich erlernet, sondern<br />
darauf auch etliche Jahre lang gewandert, dem einen<br />
oder andern oder beiden die herrschaftlichen Mühlen in<br />
Gnaden anzuvertrauen, um dieselben besser zu betreiben<br />
und besser zu erhalten. Um seinem wiederholten untertänigsten<br />
Bitten Nachdruck zu verleihen, schreibt er, daß<br />
„sowohl ich als meine Eltern und Voreltern vor mehr als<br />
200 Jahren verburgert und Müller zu Trochtelfingen gewesen".<br />
Sein Bitten wurde ausgeschlagen. Die Stadtmühle<br />
ging für jährlich 14 Scheffel 3 Vrtl. Mühlkern Trochtelfinger<br />
Meß an den Müller Joseph zu der Ohl. Dazuhin<br />
hatte er der Trochtelfinger Priesterschaft des Jahres<br />
16 Vrtl. Mühlfrucht zu geben. Die Mittlere Mühle wurde<br />
für jährlich 17 Schffl. 3 Vrtl. dem Müller Johannes<br />
Weinzieher verpachtet (Der Müller Caspar Weinzieher<br />
war um 1670 von Überlingen zugezogen.).<br />
Im November 1723 ersucht die Herrschaft in Mößkirch<br />
um einen genauen Bericht über ihre zwei Mühlen: was<br />
sie an Geld und Frucht im Jahr bringen, was zu jeder<br />
derselben an Garten und Feldern gehört, in was für einem<br />
Zustand sie sich befinden und was eine Instandsetzung<br />
kosten möge; schließlich, wie es kam, daß Ringingen<br />
und Salmendingen sich des Mahlens in besagten<br />
Mühlen entledigten. - So erfahren wir, daß zu den<br />
Mühlen lediglich ein Krautgärtie gehört, daß der Wassergang<br />
und anderes der Mittleren Mühle „zimblich zerfallen<br />
und unter hundert Taler nicht zu reparieren", die<br />
Stadtmühle aber „um die Hälfte weniger zur Perfection"<br />
erfordere.<br />
Über die Befreiung der beiden Orte Ringingen und Salmendingen<br />
vom Mühlbann berichtet der Vogt nach<br />
Mößkirch: . . . „Diese zwei Ort, dritthalb und drei Stunden<br />
von hier entlegen, hauptsächlichen aber zu gar vielen<br />
Zeiten das Wasser bei allhiesigen Mühlen so klein<br />
und gering, daß man diesseitige Inwohner mit fürderen<br />
kann, mithin diese armen auswärtigen Leut gar oft ohnverrichteter<br />
Dinge einen weiten Weg wieder nach Hause<br />
machen müssen bei heutig allzu populoser Welt."<br />
Die Nichtbeachtung des Mühlbanns wurde trotzdem hart<br />
bestraft, so z. B. Hans Alber von Ringingen 1606 um 15<br />
Pfund Heller, weil er in Dreivierteljahr nur zweimal<br />
nach Trochtelfingen, sonst aber in fremde Mühlen gefahren<br />
war. Kein Wunder, das Bemühen der beiden Flecken<br />
um Dispens von diesem Ärgernis! Für acht Scheffel Kernen<br />
jährlich wurden sie ihres Mühlbanns ledig.<br />
Angesichts des Zustandes ihrer Mühlen erschien es der<br />
Herrschaft ratsam, „pro futuro dieselben als Erblehen zu<br />
vergeben mit der Auflage, daß die Inhaber selbige<br />
gleichjetzo auf eigene Kosten ohne Entgelt der Herrschaft<br />
vollkommen herzustellen und zu erhalten haben,<br />
hingegen derentwillen von den öffentlichen Lasten (oneribus<br />
publicii) ausgenommen bleiben, auch von Fronfuhren.<br />
Bei Reparationen soll jedoch jedesmal das Fronbrot<br />
gegeben werden".<br />
Die beiden Pächter, Weinzieher und zu der öhl baten,<br />
die Mühlen erblehenweis zu den gestellten Bedingungen<br />
übernehmen zu dürfen: für die Mittlere Mühle pro Laudemio<br />
(Aufzuggeld) 200 fl, pro annüo canone (jährlicher<br />
Erbzins) 22 Scheffel (Ys Korn, 2 /s Mühlkern), eine Fastnachtshenn<br />
mit 12 krz, den Grundzins mit 50 krz und<br />
bei jedesmaligem Abänderungsfall 100 fl. Für die Stadtmühle<br />
wurden angeboten: Aufzuggeld 150 fl, jährlicher<br />
Erbzins 18 Scheffel (Ys Korn, % Mühlkern), eine F"hen-
ne, den Grundzins mit 40 krz und beim Abänderungsfall<br />
75 fl. Am 15. Januar 1724 wurde dann den beiden Mühlepächtern<br />
ihre Mühle als Erblehen übergeben gegen ein<br />
Aufzuggeld von 500 fl für die Mittlere - und 300 fl für<br />
die Stadtmühle.<br />
Im Jahr 1785 bitten die beiden Erblehenmüller Matth.<br />
Weinzieher und Joseph zu der öhl (der Jüngere) um<br />
Nachlaß des Mühlzinses. 1802 veräußerte Joh. Weinzieher<br />
seine Mittlere Mühle mit herrschaftlicher Bewilligung<br />
an Bernhard Klingenstein. Die Bitten um Nachlaß<br />
des Mühlzinses wiederholen sich. Andererseits beschweren<br />
sich die in die Mittlere Mühle gebannten Steinhilber Lehenbauern<br />
über ihres Müllers zu hohen Gerblohn.<br />
1835 übernahm Josef Klingenstein die Mühle von seinen<br />
Eltern mit folgenden Lasten: 150 fl Ehrschatz, 11 Scheffel<br />
6 Simri Mühlfrucht und 5 Scheffel Kernen. Schon im<br />
Jahr darauf bittet er um Nachlaß des bei der Übernahme<br />
schuldig gewordenen Aufzuggeldes . . .<br />
Die von Ringingen und Salmendingen für den aufgehobenen<br />
Mühlbann zu entrichtende Mühlfrucht wurde<br />
zwischen 1838 und 1843 abgelöst. Den Zustand der<br />
Mühlen hatten die herrschaftlich bestellten Mühlenschauer<br />
zu überwachen. 1814 waren als solche tätig:<br />
Millermeister Ambro Auer aus Jungnau, Schaumeister<br />
Anton Braun, Schultheiß, Zimmermeister Konrad Sigg<br />
und Kastenknecht Sigg. Und hier der Visitationsbericht<br />
vom 9. März über eine der vier Mühlen:<br />
1. Ein ganz schaufälliger Mühlboden.<br />
2. Ein äußerst schadhafter Mehlkasten an der Weißmühle.<br />
3. Ein schadhafter Gerbkasten am Rohr, dann am untern<br />
Rohr die Gegenzungen.<br />
4. Ein schadhaftes Wasserrad mit fehlenden fünf Schaufeln.<br />
5. Ein in der Mühl befindlicher Hühnerstall (!).<br />
6. Unreinlichkeit in der Mühl, fehlende und schadhafte<br />
Fenster, ausgebliebenes Eichen der Meß seit acht Jahren.<br />
Strafe nach der Verordnung vom 1. 12. 1754: 5 fl 55 krz.<br />
Auch die Zunftordnung der Müller wurde in Trochtelfingen<br />
bis zu deren Aufhebung streng eingehalten. So<br />
wird 1843 ein Gesuch des Müllers Friedrich Klingenstein<br />
um Wanderschaftsdispens und Aufnahme in die Zunft<br />
abgewiesen, obwohl ihm der Zunftmeister Ambros Eisele<br />
ein gutes Zeugnis ausstellt, dasselbe auch von zwei Ladenmeistern<br />
unterschrieben und von Obervogt Stelzer legalisiert<br />
wird. Bei der Berufung an die fürstl. Landesregierung<br />
treten vier Müllermeister des Amtsbezirks<br />
Trochtelfingen für ihn ein. Umsonst. Obwohl er das<br />
Müllerhandwerk bei seinem Vater Anton Klingenstein<br />
gründlich erlernt und viele Jahre ausgeübt hat, wird sein<br />
Gesuch abgewiesen. Begründung: Dem Bittsteller fehlt<br />
die gesetzlich vorgeschriebene Wanderzeit von drei Jahren<br />
. . .<br />
1806 verliert Fürstenberg seine Landeshoheit in Trochtelfingen<br />
an das Haus Sigmaringen. Bei dem Gefällaustausch<br />
mit Württemberg sind die zwei württ. Lehenmühlen<br />
in Trochtelfingen an das fürstliche Haus Sigmaringen<br />
übergegangen. Die jährlichen Lehenabgaben daraus<br />
sind an das zuständige Rentamt Gammertingen zu entrichten.<br />
Es sind noch dieselben, wie sie das Pfullinger<br />
Lagerbuch de 1680 ausweist:<br />
aus der Oberen Mühle 5 fl 8 krz + 1 Schffl 2 Jmi Kernen,<br />
aus der Untern Mühle 12 fl 56 kr + 1 Schffl 2 Jmi<br />
Kernen.<br />
Das Laufenlassen eines Mühlwagens war dem Rentamt<br />
zu melden. Sigmaringer Müller dürfen in keinem württembergischen<br />
Nachbarort Früchte zum Mahlen abholen<br />
außer in Meidelstetten, Oberstetten und Wilsingen. Bauern<br />
mit eigenem Zug dürfen nichts aufladen<br />
. . . Anderseits beschweren sich die Trochtelfinger<br />
Müller über den Müller von Mariaberg (württ.), daß<br />
dieser nicht berechtigt sei, in einem Orte des Fürstentums<br />
Sigmaringen einen Mühlwagen laufen zu lassen, da er ihres<br />
Wissens keine Abgaben hiewegen entrichte. Es solle<br />
gegen ihn verfügt werden. Das sei nichts anderes als ein<br />
verbotener Hausierhandel. Die beschwerdeführenden<br />
Müller werden vom Oberamt Trochtelfingen dahin beschieden,<br />
man könne dem Müller von Mariaberg nichts<br />
in den Weg legen, wenn er angegangen werde, die<br />
Früchte zum Mahlen abzuholen.<br />
1847 bittet der Stadtmüller um Allodifikation seiner Lehenmühle,<br />
d. h. Umwandlung des Lehens in Eigenbesitz.<br />
Mit Erfolg. Die Zeit der Lehensherrschaften war abgelaufen.<br />
- In der Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg stellte die Stadtmühle ihren<br />
Betrieb ein, nicht sehr lange danach gab auch der<br />
Mittlere Müller auf. So erinnern an die vier Trochtelfinger<br />
Mühlen bald nur noch die alten Gebäudenamen sowie<br />
die Straßenbezeichnungen Mühlgasse und Mühltalstraße.<br />
Neben den Mahlmühlen gab es in Trochtelfingen eine<br />
obere und eine untere Ölmühle, letztere in der Nähe der<br />
Unteren Mühle. Weiter gab es schon im Jahr 1609 am<br />
Fuß der Hennensteinhalde eine Walkmühle, die der<br />
Herrschaft jährlich 5 fl 20 krz brachte. Später, 1760,<br />
wird die „Walken- und Ölmühle" als städtischer Besitz<br />
um 40 fl verpachtet. . .<br />
Unweit davon, talabwärts, an der ehemaligen Markungsund<br />
Herrschaftsgrenze, die hier das verengte Tal der<br />
Seckach quert, stand einst eine weitere Walkmühle, die<br />
1702 auch als Pulvermühle und vor ihrem Abbruch im<br />
Jahr 1740 äls Erzwäsche diente. Der alte Mägerkinger<br />
Fleckenrodel führt uns beim Grenzumgang über Marckstein<br />
und Loochen „bey der Walckhmühlen durch das<br />
Wasßer".<br />
Wegen des Wässerungsrechts in der „Walke" gab es 1763<br />
einen Rechtsstreit zwischen den Mägerkinger Wiesenbesitzern<br />
und dem ölmüller Ludwig Clavel: Eigenmächtig<br />
hatte dieser die seit alters feststehende Höhe der Stellfallen<br />
an seinem Wasserwerk abgeändert. Er mußte den alten<br />
Wasserlauf wiederherstellen und 6 Pfund Hllr Strafe<br />
bezahlen Das Wässerungsrecht wurde daraufhin genau<br />
geregelt. Die Wiesenbesitzer bezahlten dafür jährlich 1 fl<br />
50 krz Rekognitionszins (Anerkennungsgebühr) an das<br />
fürstl. Fürstenbergische Rentamt Trochtelfingen. Kaum<br />
einen km von der „Walke" talwärts, beim Mägerkinger<br />
Ortsteil Ziegelhütte öffnet sich das enge Wickental<br />
zur Seckach hin. Vor einigen Jahren fanden sich beim<br />
Ausheben einer Grube am dortigen Seckachufer in anderthalb<br />
Meter Tiefe eichene, zum Teil verkohlte Balkenreste.<br />
Das verschiedentlich bezeugte Gehöft Wickental<br />
muß hier gelegen haben. 1331 wurde Dietrich von<br />
Lichtenstein vom Kloster Zwiefalten auf Lebenszeit die<br />
Vogtei über die Mühle in Wickental verliehen. Nach seinem<br />
Tod soll sie an das Kloster zurückfallen. Ein altes<br />
Zins- und Gültbuch des Klosters vermerkt über Wickental,<br />
daß es um 1440 abgegangen ist, daß dritthalb<br />
Mannsmahd Wiesen an der dortigen Mühlstatt liegen,<br />
daß sie Lehen von uns sein soll und sie ein Abt und Convent<br />
vor langen Jahren hingegeben hat.<br />
Von der angenommenen Mühlstatt ziehen seckachtalaufwärts<br />
die Schleifwiesen, heute wie ehedem. In einer alten<br />
Urkunde: „Eine Mannsmahd auf der Schleifmühlin<br />
. . . diese Wiese stand in keiner Steuer und war schon<br />
vor unvordenklichen Zeiten in Vergessenheit geraten."<br />
35
Beide Mühlen, vielleicht identisch oder auch nacheinander<br />
auf demselben Grund erbaut, hatten eine verhältnismäßig<br />
kurze Lebensdauer.<br />
Für das Gehöft Wickental, zu Füßen des kleinen Herrensitzes<br />
(Heute R. Hielock), dürfen wir annehmen, daß<br />
seine Lage an der Seckach dem Kloster Zwiefalten einst<br />
geeignet schien zum Bau einer Mühle, um seinen Ort<br />
Wilsingen zu bedienen. Für Mägerkingen und Trochtelfingen<br />
konnte diese Klostermühle nicht gedacht sein,<br />
eher noch für den Burgherrn über ihnen. Ein guter Weg<br />
führte von Wilsingen ostwärts durch das „Mägerkinger<br />
Tal", am „Mägerkinger Häule" vorbei, über den Eselsberg<br />
zum Dürrbuch als „Wilsinger Weg" auf Mägerkinger<br />
Markung ins Wickental herüber . . . Später war auf<br />
diesem Weg die im Flecken Mägerkingen gelegene Sekkachmühle<br />
für die Wilsinger ebenso leicht zu erreichen<br />
wie vordem die Mühle in Wickental . . . Zudem konnten<br />
die Mühlekunden ihre Tragtiere auf den bei der Mühle<br />
liegenden „Eselwasen" treiben.<br />
Im Lagerbuch der Kellerei Urach vom Jahr 1454 -<br />
kurz vorher muß Mägerkingen an Württemberg gekommen<br />
sein - lesen wir: „Ulrich Miller git Järlich 4 Pfd.<br />
hlr Zins uß der milin mägriching, lviertel Ayer (120), 4<br />
Käs, 2 Herbsthiner, 1 Vasnachthun, 2 Schultern / ist im<br />
zu Erbgut gelihen, git 4 Pfd. Weglösin und 4 Pfd. Hantlohn,<br />
wenn es zu Vellen kompt. Darzu gehört 1 Juchert<br />
ackerß . . . item IV2 Tagwerk wysen . . . item ain gart by<br />
der milin, item ain gart by der brugg, auch git der Miller<br />
3 Schilling hlr us ame garten . . ."<br />
Anno 1522, in der österreichischen Zeit - Herzog Ulrich<br />
war außer Landes - wurde das Lagerbuch erneuert<br />
und nur wenig verändert. Ein alter Mägerkinger Flekkenrodel<br />
enthält die „Ordnung der Miller deß Fleckhens<br />
allda". Ihr Wortlaut:<br />
„Zuewisßen und Kund seye Allermönniglich, daß deß<br />
Fleckhen Megerkingen allt Herkommen und Gerechtigkeit<br />
ist, und hinführo in künfftig Zeit seyn und bleiben<br />
soll, daß alle und Jede Miller, so zue disen Zeiten daselbst<br />
seynd, und in künfftigen Zeiten daselbst seyn werden,<br />
mit Bawung der Mühlinen, Model und Meß der<br />
Mühlstein und Zargen, mit Eych der Mühlmeß, empfahung<br />
deß Millerlohns mit Gerben und Mahlen, mit<br />
Hallttung der Schwein, Hennen, Gänß, Enten und anderm,<br />
verpflicht und verbunden seyn sollen, sich allermaßen<br />
und Gestallt, in allen und Jeden puncten und<br />
Stuckhen, diser MillerOrdnung gemäß und gleichförmig<br />
zue hallten, und darwider nit zuethun, Bey poen, Bußen<br />
und Strafen, wie underschiedlich hernach beschrieben<br />
folget:<br />
Erstlich sollen die Miller zue Megerkingen die Mühlinen,<br />
ob und underthalb Wassers in wesentlichen Bäwen und<br />
Ehren, unzergänglich hallten und haben, mit allen<br />
Haubt-Bäwen, in Ihren selbs aigenen Costen, ohne alle<br />
entgellttung deß Fleckhen Megerkingen, Trewlich und<br />
ohngefährlich.<br />
Am Andern sollen Sie haben guet Mühlstain, in Rechter<br />
dickin, nach deß Dorfs Model und Zargen, nit zue hoch,<br />
sondern in Rechtmäßiger zimblicher Höhin, und in der<br />
Weittin, auch nach deß Dorfs Model und Meß.<br />
Zum Dritten sollen Sie Ihre Mühlmeß haben, nach Uracher<br />
Eych, gerecht, wie die in Anno Acht und Fünfzig<br />
durch Heinrich Schwänzen und Jacoben Kümppeln die<br />
Geschworenen Eycher zue Urach, geeychet seynd worden.<br />
Zum Vierdten sollen Sie sich mit nemmung und Empfahung<br />
deß MillerLohns, dergestallt und allso hallten, daß<br />
ein Miller mehr nit nennen: oder empfahen soll, denn<br />
den Zweinzigsten Theil, nemblich wie Folget:<br />
36<br />
Von vier Simeri Kernen, allwegen ein Imi nennen, deren<br />
derselben Fünfe ein Simeri Thuen. Und von zweyen Simeri<br />
Kernen, ein halb Imi, deren Zehne ein Simeri Thuen.<br />
Und von Einem Simeri Kernen, ein Viertentheylen,<br />
deren Zwein-Zige Ein Simeri Thuen. Dergleichen von<br />
Haberkern, Mueßmeel, Schweinen u. Hunden mahlen,<br />
auch mehr nit zu Lohn nennen denn nach Anzahl deß<br />
Meß, den Zweinzigsten Theil, wie vorgeschrieben stehet.<br />
Es sollen auch die Miller, alles das Jenig, so zu der Mühlin<br />
gehört, nach Nothdurft zurichten und ferttigen, damit<br />
Sie einem Jeden das Seine wohl gerben und Mahlen<br />
können, umb den Vorbestimbten Lohn.<br />
Und welcher vor dem Andern mit Korn in die Mühlin<br />
kombt, daß Er gerben und Mahlen will laßen, demselbigen<br />
soll der Miller gerben und Mahlen, vor Allermönniglichs.<br />
Item, wann ein Miller gebillet hat, so soll die Mahlmühlin<br />
mit deß Millers aigenem Korn zuevor erschütt und<br />
ermahlen werden, ehe Er einem andern mahlen Thuet.<br />
Es soll auch kein Miller über Zweinzig und Vier Henna<br />
haben, auch weder Gänß noch Enten hallten, es wäre<br />
dann Sach, daß Ihme die von Megerkingen daßelbig sonderlich<br />
vergünnten und zueließen, und änderst nit, dann<br />
uf wider abkünden, allß Lang es Ihnen von Megerkingen<br />
geliebte.<br />
Es soll auch ein Miller mehr nit hallten und haben denn<br />
zwey Äßschwein, es wär dann Acht: oder Vierzehen<br />
Tag ohngefährlich, daß einer Zwey Gangschwein hätt,<br />
zwo Wochen, biß daß Er die Zwey Äßschwein verkauft.<br />
All ander Ding, wie das Nahmen haben mag,<br />
und schädlich, ist einem Jeden Miller zue hallten und<br />
zue haben verbotten."<br />
Nimmt der Müller einen höheren Lohn als das vorgeschriebene<br />
Zwanzigstel, so hat jeder Zeit ein Ambtmann<br />
zu Megerkingen Macht und Gewalt, den Müller zu strafen.<br />
Desgleichen, wenn dieser den rechten Model und<br />
Meß der Mühlstein und Zargen nicht hält oder die<br />
Mühlmeß die rechte Eych nicht haben, ist er zu fünf<br />
Pfund hlr Straf verfallen. Hält er zuviel Schweine, Hennen<br />
oder was ihm sonst zu halten verboten, wird er für<br />
jedes überzählige Stück um ein Pfund hlr bestraft.<br />
Obige Ordnung soll einem jeden Müller des Jahrs zweimal<br />
vor Schultheiß, Gericht und Gemeind zu Megerkingen<br />
verkündt und vorgelesen werden, darmit sich jeder<br />
Müller darnach wisse zu halten, ihm selbst und den gemeinen<br />
Mann vor Schaden zu sein.<br />
Die ganzen Mühlstrafen standen anfänglich der Herrschaft<br />
zu. So geschehen noch im Jahr 1570. Deren von<br />
Mägerkingen untertäniges Suppliciren um den halben<br />
Teil derselben fand 1584 endlich Gehör: . . . „Aber dieweyhl<br />
Sie Arm und von deß Gemeinen Fleckhen wegen<br />
ein geringes Einkommen ... So wollen Wir Ihnen hiemit<br />
in Gnaden bewilligen . . ., daß Halbtheil einzuenemmen<br />
und zue deß Fleckhen nuzen zue verwenden."<br />
Im Pfullinger Kellerei-Lagerbuch von 1680 lesen wir auf<br />
Blatt 633 unter Mägrigkingen: „Ludwig Bez, Schultheiß<br />
et Consorten haben innen die Mühlin zu Mägr ... ist<br />
meines gnädigsten Fürsten und Herrn Eigenthumb und<br />
ihr Erbgut, . . . hat drei Räder . . ." Dann folgt, was sie<br />
jährlich auf Martini zinsen, was Handlohn und Weglösin<br />
ausmachen . . . (s. oben!). Die Mühle muß damals eine<br />
Quelle des Wohlstands gewesen sein. Ihr Hauptinhaber,<br />
von 1653 bis 1694 auch Schultheiß, besaß neben fünf<br />
Häusern, darunter den „Hirsch", über hundert Morgen<br />
Ackers und über zwanzig Mannsmahd Wiesen, dazuhin<br />
„die sehr einträgliche Mühle".<br />
Der Mühle fehlte es nie an Wasser. Dazu mag eine Stauanlage,<br />
bestehend aus Weiher, Wehr und Mühlgraben,<br />
beigetragen haben. Der Weiher ist schon lange ver-
schwunden, auch aus dem Gedächtnis der Einwohnerschaft.<br />
Urkundlich aber hat er sich als Flurname bis ins<br />
18. Jahrhundert hinein gehalten: „der Weyher, wodurch<br />
der Trochtelfinger Fußsteig gehet", „beim Weyher oder<br />
Schützenrain" oder „in Gärten beim Weyher".<br />
Die übliche Erbteilung führte auch zur Zerstückelung<br />
des Mühlelehens, so daß sich die Zahl der Teilhaber an<br />
der Mühle, die Consorten - zu einem großen Teil<br />
Nachkommen und Anverwandte des Hauptinhabers oder<br />
Trägers - mit Anteilen verschiedenster Größe, bis hin<br />
zu 16teln und 32teln anerbten bzw. einkauften. Ein Beispiel:<br />
Anno 1748 verkaufte Michel Bez, der ein Viertel<br />
der hiesigen Mahlmühle besaß, an seinen Sohn- Michel<br />
Bez, Müller, den achten Teil der Mühle um 330 Gulden.<br />
Zu der Zeit möchte der 32ste Teil der Mühle den Zins<br />
von 100 Gulden (fl) abwerfen.<br />
Das 19. Jahrhundert machte bei uns Schluß mit der alten<br />
Lehensherrlichkeit und gab dem Bürger seinen Besitz als<br />
freies Eigentum zurück. 1829 wurde die Uracher Zunftlade,<br />
der auch Mägerkingen angehörte, aufgelöst. Bei der<br />
Verteilung des Vermögens erhielt der hiesige Müller<br />
Ludwig Bez (Schultheiß von 1829-1835) 15 fl 19 kr. Er<br />
übergab das Geld der Stiftungspflege mit der Bestimmung,<br />
damit hilfsbedürftige Müller zu unterstützen.<br />
In den folgenden Jahren wechselt die Mühle verschiedentlich<br />
ihre Eigentümer, bis der Müller Joh. Martin Bez<br />
sie samt Liegenschaften im Jahr 1845 um 14 100 fl an<br />
den Müller Johannes Mader verkauft. Dessen Schwiegersohn<br />
Johs. Müllerschön übernahm in den Jahren 1858/<br />
59 um insgesamt 17 300 fl.<br />
Im Jahr 1843 hatte J. M. Bez zur Verbesserung seines<br />
Mühlwerks um den Bau eines vierten Wasserrades nachgesucht.<br />
Der Schrotgang war seither zusammen mit dem<br />
Gerbgang nur von einem Wasserrad getrieben worden.<br />
Das war hinderlich und nachteilig. Die talaufwärts gelegenen<br />
Wiesen brauchten aber das Seckachwasser auch.<br />
Der Verlust des Wässerungsrechts würde die Wiesenbesitzer<br />
schwer schädigen. Eine Verhandlung über diese<br />
strittige Sache zwischen dem Gemeinderat und dem<br />
Müller führte zu einer gütlichen Ubereinkunft: Der Müller<br />
anerkennt das seither bestehende Wässerungsrecht der<br />
oberen Wiesenbesitzer für die Zukunft. Unter dieser Bedingung<br />
wird ihm der Bau eines vierten Wasserrades gestattet.<br />
Dies war nicht der letzte Streit um das Seckachwasser.<br />
Am 31.3. 1877 wurden vom Stauwehr auf der letzten<br />
Trochtelfinger Parzelle vor der Markungsgrenze zwei<br />
hölzerne Staubretter nebst Ketten und Hebel im Wert<br />
von 20 fl durch den Müller Müllerschön und einen vom<br />
Schultheiß beauftragten Helfer eigenmächtig ausgehoben<br />
und die Seckach hinuntergeflößt. Der Schultheiß verweigerte<br />
die Herausgabe und wurde deshalb verklagt beim<br />
Amtsgericht in Reutlingen. Der Klagewert lautete auf<br />
20 fl = 34 Mark 29 Pf. und für den verlorenen Heugrasnachwuchs<br />
auf 60 Mark. Die Gerichtsverhandlung vor<br />
dem Amtsgericht Reutlingen fand am 1. November statt.<br />
Gerichtsakten fehlen.<br />
1894 übernimmt Johannes Speidel auf dem Tauschweg<br />
die Mühle samt Einrichtung und Nebengebäuden gegen<br />
ein Haus in der Wikgasse und 22 500 Mark Aufgeld.<br />
Aber schon 1898 wird das ganze Mühleanwesen um<br />
46 100 Mark an den Müller Georg Möck aus Hopfau<br />
weiterverkauft. 1907 verunglückt Möck tödlich. Die<br />
Müllerswitwe führt den Mühlebetrieb weiter, bis in den<br />
20er Jahren ihr Sohn Gustav die Mühle übernimmt, sie<br />
„mit den neuesten Maschinen" (Turbinen) einrichtet und<br />
sich seiner Kundschaft zur „Herstellung bester Qualitätsware"<br />
empfiehlt. So seine Geschäftsempfehlung vom<br />
September 1927 im Reutlinger Generalanzeiger . . . Am<br />
1. Juli 1972 hat diese uralte Mahlmühle ihren Betrieb als<br />
letzte der fünf Seckachmühlen eingestellt. Ihre Wasserkraft<br />
aber wird weiterhin genutzt zur Stromerzeugung<br />
in das Netz der EVS.<br />
Im Jahr 1807 erhielt Joh. Martin Hipp die Erlaubnis<br />
zum Bau einer neuen öl-, Ips- und Sägmühle. Diese erstand<br />
an der Wikgasse, zu Füßen der R. Hielock (1824<br />
„unterm Schlößle"), unweit der einstigen zwiefaltischen<br />
Mühlstatt Wikental. Der Lauf der Seckach mußte verlegt,<br />
ein neuer Wassergraben ausgesteckt, das Gefäll<br />
nicht durch ein einzulegendes Wehr (oder Fangbaum),<br />
sondern durch Tieferlegung des alten Grabens mit einem<br />
doppelten Fallengestell ob dem Räderwerk erreicht werden.<br />
In der Folge ergaben sich immer wieder Streitigkeiten<br />
zwischen den dortigen Wiesenbesitzern und dem<br />
Sägmüller wegen seines hohen Wasserschwellens. Es wurde<br />
ihm bedeutet, er könne seinen Säggang doch ohngeschwellt<br />
laufen und den Abiaufgraben offen lassen. Da<br />
sich nirgends ein Eichpfahl befand, konnte der Sägmüller<br />
nicht zur Ordnung gerufen werden. Der Schultheiß<br />
berichtete deshalb 1824 u.a. an das Oberamt: „...Es<br />
scheint mir, als sei die Sägmühle nur nach Gunst hingebaut<br />
worden ..."<br />
1865 wurde das Gebäu abgebrochen und größer als dreistockigtes<br />
Wohngebäude mit allen Zubehörden zur Sägmühle,<br />
zur Ölmühle und zur Hanfreibe aufgebaut. Als<br />
dann der Anbau von Hanf und Reps bei uns aufgegeben<br />
wurde, stellten Hanfreibe und Ölmühle ihren Betrieb<br />
ein. Dafür wurde 1895 neben der Säg- noch eine Mahlmühle<br />
eingerichtet. Der zweite Weltkrieg brachte beiden<br />
das Ende. Übrig blieb das große Wohnhaus mit einem<br />
kleinen landwirtschaftlichen Betrieb. An der Nordseite<br />
des Hauses, der Straße abgewandt, erinnert heute noch<br />
ein großes altes Wasserrad an die einstige Mühlenzeit.<br />
Wie die „Säge" am oberen, so steht die „Ipsmühle" am<br />
unteren Ortsende, auch auf der linken Seckachseite. Seit<br />
„Urdenklichen Zeiten" (so belegt 1783) stand dort eine<br />
Ölmühle, später als Gipsmühle ausgewiesen. Ihr Stampfwerk<br />
arbeitete „mit kleiner Wasserkraft". Das Material,<br />
Gipssteine, wurde bis zur Bahneröffnung mit Pferd und<br />
Wagen von einem Gipskeuperbruch aus der Gegend um<br />
Haigerloch hierhergebracht. Der gemahlene Gips wurde<br />
als begehrter Dünger in die umliegenden Alborte verkauft<br />
aber mehr und mehr von Guano (Seevögelmist aus<br />
Chile u. Peru) und künstlichen Düngemitteln verdrängt,<br />
so daß nach dem Tod des letzten Gipsmüllers (Wilhelm<br />
Graner) während des ersten Weltkrieges seine Nachkommen<br />
sich einem andern Erwerb zuwandten. Der Hausname<br />
aber hat sich bis heute erhalten.<br />
Quellen (gedruckte): Friedrich Eisele. Zur Geschichte Trochtelfingens<br />
(S. 59-62); Joh. Adam Kraus. Aus Zwiefalter Urkunden<br />
(H.H. 1967 S. 37); Lagerbuch der Kellerei Urach<br />
(„Achalmisches Salbuch") v. 1522 Magrichingen S. 723.; Beschreibung<br />
des OA Reutlingen v. 1893 (K. Stat. Landesamt).<br />
- (Handgeschrieben:) Matth.' Holzhäuer. Ortschronik von<br />
Mägerkingen (angelegt 1913); Regierungsprotokolle für die 3<br />
mägerkinger Wassertriebwerke Nr. 90, 92 und 93 (bei Möck)<br />
1908-23; Gemd. Archiv B 393. Fleckenrodel zu Mägk. mit<br />
Ordnung der Miller des Fleckens allda . . . v. 1584; Gemd. Archiv<br />
B 457. Brandschadenvers.-Consignation ... 1808 ff.;<br />
Staats- Archiv Stuttg. Kellerei-Lagerbuch Urach v. 1454;<br />
Staats-Archiv Stuttg. Das Mühlenwesen in Mägerkingen (A<br />
413, A 206, A 211-213); Staats-Archiv Sigmg. Mühlen im<br />
Seckachtal bei Trochtelfingen (Ho 197 u. 199); F. Fürstl. Archiv<br />
Donauesch. Die zwei Trochtelfinger Herrschaftsmühlen<br />
(Abt. 3 - Vol. II).<br />
37
KARL WERNER STEIM<br />
Vor 150 Jahren erschien die erste Hechinger Zeitung<br />
Am 3. Oktober 1829 erschien die erste Zeitung in Hechingen,<br />
das „Wochenblatt für das Fürstenthum Hohenzollern-Hechingen".<br />
Zwar war schon im Jahre 1728, somit<br />
gerade 100 Jahre früher, eine „Hof- und Kanzlei-<br />
Buchdruckerei" errichtet worden, sie konnte sich jedoch<br />
nicht halten. Im Jahre 1809 hatte im benachbarten Sigmaringer<br />
Fürstentum Bartholomäus Herder das „Wochenblatt<br />
für das Fürstenthum Hohenzollern-Sigmaringen"<br />
gegründet. Hohenzollern war also mit einer periodischen<br />
Presse viel später an der Reihe als die meisten<br />
anderen deutschen Länder. Dieser Beitrag kann die Geschichte<br />
des Wochenblattes freilich nur skizzieren.<br />
Mit fürstlicher Genehmigung gründete im Jahre 1829 der<br />
Schulinspektor Franz Xaver Ribler eine Buchdruckerei<br />
in Hechingen (in der nach der Zeitung später benannten<br />
Gutenbergstraße), wobei ihm vom Fürsten die ausschließliche<br />
Lieferung aller Druckgegenstände zugesichert<br />
wurde. Das Wochenblatt war 20 auf 16 cm groß,<br />
hatte meistens nur vier Seiten, erschien wöchentlich einmal<br />
und kostete 1 Gulden und 30 Kreuzer im Jahr.<br />
Vom Intelligenzblatt zur Zeitung<br />
Franz Xaver Ribler wollte, daß durch die Gründung des<br />
Blattes „einem schon lange und vielfältig gefühlten Bedürfnisse<br />
abgeholfen werde". Das Wochenblatt gehörte<br />
zur damals üblichen Gattung der „Intelligenzblätter",<br />
das von bestimmten Stellen bezogen werden mußte.<br />
Mehr als das Sigmaringer Intelligenzblatt versuchte Ribler,<br />
seiner Zeitung ein eigenes redaktionelles Gepräge<br />
zu geben. Dennoch enthielt sich das Blatt - in der Regel<br />
- vor dem Revolutionsjahr 1848 der Erörterung innenpolitischer<br />
Angelegenheiten, veröffentliche aber gelegentlich<br />
unter der Rubrik „Eingesandt" kritische Äußerungen<br />
aus dem Leserkreis über kommunale Frage. Auch<br />
in der Lokalberichterstattung versuchte Ribler eine lebendigere<br />
Sprache als das Sigmaringer Wochenblatt.<br />
Vorwiegend wurden aber Ratschläge für die Haus- und<br />
Landwirtschaft, Gesetze und Verordnungen der Fürstlichen<br />
Regierung abgedruckt.<br />
Der Zeitungsgründer Franz Xaver Ribler wurde 1783 in<br />
Billenhausen/Bayern geboren. Nach dem Studium war<br />
er als Novize in das Minoritenkloster in Überlingen eingetreten,<br />
nach der Säkularisation des Klosters 1807 erlernte<br />
er den Kaufmannsberuf und kam als Kaufmann<br />
auch nach Hechingen. Hier wirkte er mit großem Erfolg<br />
zugleich als Privatlehrer, so daß er von der fürstlichen<br />
Regierung 1809 in das Lehrerseminar nach Rastatt geschickt<br />
wurde. Nach der Ausbildung wurde er als Oberlehrer<br />
an der Stadtschule Hechingen angestellt und sollte<br />
in der Folgezeit das gesamte Volksschul-Bildungswesen<br />
des Hechinger Fürstentums ordnen.<br />
Organ der Aufklärung<br />
Weltanschaulich war Franz Xaver Ribler der Aufklärung<br />
zugetan und galt als Anhänger des Wessenbergianismus.<br />
Die Aufklärung sollte in den siebziger und<br />
achtziger Jahren auch Hohenzollern - und vor allem<br />
seine Presse - erschüttern.<br />
Das Jahr 1837 brachte dem Wochenblatt den neuen Titel<br />
„Verordnungs- und Intelligenzblatt für das Fürstenthum<br />
Hohenzollern-Hechingen". Begründet wurde dies von<br />
Ribler so: „da der bisherige dem vermehrten und verschiedenartigen<br />
Inhalte nicht mehr entspreche". Das Format<br />
wurde auf 24 mal 20 cm vergrößert, der Umfang<br />
38<br />
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9iro. i. ©nrnftiig bett 3. October 1829.<br />
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neue Zählung. Nachdem die Preußische Regierung 1852<br />
in Hechingen aufgelöst und der Sitz der Preußischen Regierung<br />
für ganz Hohenzollern in Sigmaringen genommen<br />
wurde, nannte man das Blatt in ein „Amtsblatt des<br />
Königlich Preußischen Kreisgerichts und Oberamtsbezirkes<br />
zu Hechingen" um.<br />
So sehr sich die Zeitung in Hechingen für den Anschluß<br />
Hohenzollerns an Preußen eingesetzt hatte, so sehr litt<br />
man bald unter der strafferen preußischen Verwaltung.<br />
1853 wurde das Blatt beispielsweise der Stempelsteuer<br />
unterworfen.<br />
Von Preußen subventioniert<br />
Mit dem Jahre 1854 geriet die Hechinger Zeitung in eine<br />
finanzielle Abhängigkeit von der Preußischen Regierung<br />
in Berlin, die gelegentlich ausführlich dargestellt zu werden<br />
verdient. Kurz sei hier nur erwähnt, daß im April<br />
1854 zwischen Franz Xaver Ribler und der Preußischen<br />
Regierung in Sigmaringen eine Verabredung getroffen<br />
wurde, wonach Ribler zwar formal als verantwortlicher<br />
Redakteur fungierte, das Blatt aber unter die Leitung eines<br />
vom Sigmaringer Regierungspräsidenten bestellten<br />
Redakteurs gestellt wurde, der von der Regierung bezahlt<br />
wurde. Der Vertrag wurde vom Ministerpräsidenten<br />
in Berlin gebilligt. 300 Taler stellte die Regierung<br />
jährlich für die Hechinger Zeitung bereit. Diese Regelung<br />
hielt bis zum Jahre 1864 an. Es gab aber auch später<br />
noch Subventionen, die Hechinger Zeitung gehörte<br />
zur „Reptilienpresse".<br />
Am 5. Juli 1854 - gleichzeitig mit Beginn der Subventionierung<br />
- erschien das Blatt unter dem neuen Titel<br />
„Hohenzollernsches Wochen-Blatt", im Format 35 auf<br />
24 cm. Es gab im wesentlichen die Rubriken Inland,<br />
Deutschland, Ausland, Amtliche- und Privat-Anzeigen.<br />
Als Erscheinungsorte wurden Hechingen und Sigmaringen<br />
angegeben. Es versteht sich, daß von nun an echte<br />
preußische „Hofberichterstattung" betrieben wurde. Unabhängig<br />
davon ist festzuhalten, daß das Blatt qualitativ<br />
wesentlich verbesert wurde. Der Anzeigenteil wurde<br />
jetzt hinter dem redaktionellen Teil gebracht. Die politischen<br />
Tagesereignise sollten, so heißt es in der Ankündigung,<br />
„möglichst kurz und bündig, aber durchaus vollständig"<br />
mitgeteilt werden. Von Neujahr 1855 an erschien<br />
das Blatt sogar dreimal wöchentlich.<br />
Anweisungen der Regierung<br />
Vom Jahre 1856 an kam an die Spitze des Blattes eine<br />
„Hohenzollerische Chronik", die entsprechende Nachrichten<br />
aus Hohenzollern enthalten sollte, die freilich oft<br />
nur sehr spärlich waren. Wiederholt wurde von der Regierung<br />
in Sigmaringen kritisiert, daß das Hohenz. Wochenblatt<br />
zu wenig eine „Hohenz." Zeitung sei und daß<br />
die Konkurrenz, der Schwarzwälder Bote, viel interessantere<br />
Nachrichten enthalte. Systematisch wurden historische<br />
Romane sowie umständliche Erläuterungen<br />
über die Verwaltung usw. gebracht. Immer wieder erläuterte<br />
das Blatt in Rubriken wie „Was wir wollen" Aufgaben<br />
und Ziele, ohne sie freilich entsprechend zu verwirklichen.<br />
Immer wieder mußte sich das Hohenz. Wochenblatt gegen<br />
Angriffe anderer Zeitungen wehren, daß es von<br />
Preußens Regierung unterstützt werde und man ins Ausland<br />
gehen müse, um etwas in der Prese zu kritisieren.<br />
Beharrlich bestritt man - jedoch wenig glaubhaft -<br />
die erhaltenen Subventionen.<br />
Am 10. Januar 1862 starb der Gründer des Blattes, Xaver<br />
Ribler, der freilich zuletzt kaum mehr für die Zeitung<br />
tätig war. Außerdem war er in den letzten Jahren<br />
fast ständig ans Krankenbett gefeselt.<br />
Adolph Ribler<br />
Major a. D. Adolph Ribler erwarb die Ribler'sche Hofbuchdruckerei<br />
zum 1. April 1864 und nahm auch die<br />
Leitung der Redaktion in die Hand, nachdem er den<br />
Subventionsvertrag mit der Regierung gekündigt hatte.<br />
Jetzt erschien das Wochenblatt viermal wöchentlich.<br />
1865 wurde die Druckerei von der Gutenbergstraße in<br />
das Alte Schloß verlegt.<br />
Mit Beginn des Jahres 1867 nahm die Zeitung den Titel<br />
an, den sie bis zum Schluß behielt: „Hohenzollernsche<br />
Blätter", im Jahre 1900 wurde lediglich ein „hohenzollerisch"<br />
daraus. Wiederum wurde das Format vergrößert:<br />
auf 35 mal 23 cm.<br />
Auf den Kulturkampf kann hier aus Platzgründen nicht<br />
näher eingegangen werden, doch soll das Thema „Presse<br />
und Kulturkampf" später ausführlich gewürdigt werden.<br />
Adolph Ribler verkaufte sein Unternehmen Ende 1870<br />
an Theodor Bosch und Schriftsetzer Kleinmaier. Theodor<br />
Bosch übernahm die Redaktion des Blattes, das er<br />
nur noch dreimal wöchentlich erscheinen ließ. Um die<br />
Jahresmitte 1871 starb Bosch. Der bekannte Hechinger<br />
Heimatdichter Ludwig Egler, der hier nicht weiter gewürdigt<br />
zu werden braucht, da dies an anderen Stellen<br />
schon häufig erfolgt ist, wurde verantwortlicher Redakteur.<br />
Ab April 1871 erschienen die Hohenz. Blätter wieder<br />
viermal wöchentlich. Ludwig Egler leitete das Blatt<br />
bis zu seinem Tode im Jahre 1898.<br />
Zeitungstreit<br />
Vom Jahre 1873 an, dem Erscheinen der Zeitung „Der<br />
Zoller" in Hechingen, waren beide Zeitungen vom gegenseitigen<br />
Streit geprägt. Das Hohenz. Wochenblatt<br />
war Parteiblatt der Liberalen, der Zoller wurde vom<br />
Zentrum herausgegeben. Der Streit wurde in zahlreichen<br />
„Preßprozesen" ausgetragen<br />
1876 zog die Hofbuchdruckerei in das Kaufhaus in der<br />
Franz Xaver Ribler (1783-1862), Gründer des Hohenz. Wochenblattes,<br />
der ersten Hechinger Zeitung<br />
39
Schrannenstraße um, ein Jahr später wurde sie in das<br />
Jordansche Haus in der Goldschmiedstraße verlegt.<br />
Im Jahre 1884 übernahm der bisherige Teilhaber Robert<br />
Kleinmaier allein den Verlag.<br />
Für das Jahr 1889 ist der berühmte „Gießkännchenstreit"<br />
zu erwähnen, der schon ausreichend behandelt ist.<br />
Die Aufnahme eines Inserates führte zu einem lange andauernden<br />
Prozeßverfahren, das vor dem Reichsgericht<br />
endete. Robert Kleinmaier starb im Jahre 1895, seine<br />
Witwe Amalie übernahm den Verlag. Im April 1900<br />
verkaufte sie ihn für 64 500 Mark an Friedrich Wallishauser,<br />
der auch als verantwortlicher Redakteur zeichnete.<br />
Er vergrößerte das Format und im Jahre 1904 nochmals<br />
geringfügig. Wallishauser sorgte für einen modernen<br />
Maschinenpark, 1904 wurde eine Schnellpresse aufgeteilt,<br />
1911 wurde eine Linotype-Setzmaschine angeschafft.<br />
JOSEF MÜHLEB ACH<br />
Konkurs 1930/31<br />
Im Laufe der Jahre geriet Friedrich Wallishauser -<br />
trotz des großen Aufschwunges, den sein Blatt genommen<br />
hatte - in Zahlungsschwierigkeiten. Der Konkurs<br />
wurde im September 1930 eröffnet, die Zeitung vom<br />
Konkursverwalter jedoch weitergeführt. Am 1. Februar<br />
1931 übernahm Fritz Holzinger aus Stuttgart Druckerei<br />
und Verlag. Die Hohenzollerischen Blätter blieben bis<br />
zum Jahre 1933 eine liberal-demokratische Zeitung.<br />
Die Hohenzollerischen Blätter wurden dann am 1. Juli<br />
1933 „Nationalsozialistiche Landeszeitung" und „Amtsblatt<br />
für Hohenzollern". Mit dem Verbot der Zentrumszeitung<br />
„Der Zoller" konnten die Hohenz. Blätter auch<br />
deren Abonnenten übernehmen. Verantwortlich für den<br />
gesamten Inhalt war Rolf Johannsen, für den Lokalteil<br />
Walter Sauter. Die Zeitung erschien bis Kriegsende.<br />
Zur Geschichte des katholischen Kirchenchores St. Johann, Sigmaringen<br />
Ein Abriß<br />
Für den katholischen Kirchenchor St. Johann in Sigmaringen<br />
hat vor zwei Jahren, am 1. Juli 1977, eine neue<br />
Ära seines Wirkens begonnen. Bis dahin hat sich eine<br />
Jahrhunderte alte Tradition in der Leitung des Chores<br />
fortgesetzt, die nun von einer neuen Form der Organisation<br />
in der Chorleitung abgelöst wurde. Der Wechsel<br />
darf mit Recht zum Anlaß genommen werden, in einem<br />
Rückblick die Geschichte des Kirchenchores in einem<br />
knappen Abriß darzustellen.<br />
Will man den Anfängen des Kirchenchores St. Johann<br />
nachspüren, so muß man berechtigterweise von der Entstehung<br />
der Pfarrei St. Johann ausgehen. Sigmaringen<br />
teilte mit anderen Städten das Geschick, daß es längere<br />
Zeit einer eigenen Pfarrei entbehrte. 1077 wird erstmals<br />
die Burg Sigmaringen als „castellum, quod dicitur Sigmaringin"<br />
erwähnt. Von einem Ort um die Burg ist aber<br />
nicht die Rede, wenn auch einige Wohnhäuser von Eigenleuten<br />
sich daselbst befunden haben mögen. Die Siedlung<br />
war aber noch so klein, daß für die Errichtung einer<br />
Pfarrei noch kein Bedürfnis vorlag. So kam es, daß<br />
der Burgflecken Sigmaringen in das nahe gelegene Laiz<br />
eingepfarrt wurde. Die urkundlichen Nachrichten über<br />
Laiz gehen nur bis ins 13. Jahrhundert zurück. Zur<br />
Pfarrgemeinde Laiz gehörten auch Hedingen, Brenzkofen,<br />
Gorheim, Boll (Pauker Hof), Inzigkofen, Oberschmeien<br />
und Unterschmeien. Als dann die Siedlung größer<br />
wurde, ergab sich das Bedürfnis, Sigmaringen von<br />
Laiz zu lösen und den Burgflecken kirchlich selbständig<br />
zu machen, zumal der Besuch des Gottesdienstes in Laiz<br />
von Sigmaringen aus doch beschwerlich war. Vermutlich<br />
wird auch der Burgherr von Sigmaringen auf die Errichtung<br />
einer eigenen Pfarrei Wert gelegt haben.<br />
Schon 1353 war bei der Burg Sigmaringen eine romanische<br />
Johanneskapelle errichtet worden, die 1444 von einer<br />
spätgotischen Kapelle abgelöst wurde. 1580 ist unter<br />
Graf Karl von Zollern-Sigmaringen ein neues Gotteshaus<br />
errichtet worden, das 1605 konsecriert worden ist. An<br />
dessen Stelle ist 1756 bis 1758 die heutige Stadtpfarrkirche<br />
getreten. Mit der Erbauung der spätgotischen Kapelle<br />
waren die Voraussetzungen für die Errichtung einer<br />
eigenen Pfarrei für Sigmaringen gegeben. Es kam dann<br />
40<br />
auch 1464 zu einer weitgehenden Lösung von Laiz, und<br />
nun wurde - etwa ab 1480 nachdem der damalige<br />
Pfarrer von Laiz seinen Wohnsitz nach Sigmaringen verlegt<br />
hatte, praktisch Laiz Filialort von Sigmaringen,<br />
wenn formal auch noch eine Zeitlang Laiz als Hauptkirche<br />
galt. Erst 1864 erfolgte die Anerkennung von Laiz<br />
als Pfarrkuratie, die in den siebziger Jahren zur Pfarrei<br />
erhoben wurde.<br />
Die Nachrichten über das kirchenmusikalische Leben in<br />
der Anfangszeit der Pfarrei St. Johann sind recht dürftig,<br />
vor allem weil die Heiligenfondsrechnungen aus der<br />
Frühzeit der Pfarrei einem Pfarrhausbrand zum Opfer<br />
gefallen sind. Die erste überlieferte Aufzeichnung über<br />
eine kirchenmusikalische Betätigung bietet die Stiftungsurkunde<br />
der Sebastianbruderschaft aus dem Jahr 1483.<br />
Nach diesem archivalischen Hinweis war für den<br />
„Schulmeister" wegen der zwei Ämter an den Fronfasten<br />
ein böhmischer Schilling bestimmt. Fronfasten war eine<br />
gewohnte Abgabe zu den Quatembertagen für kirchliche<br />
Zwecke, in diesem Fall wegen der Nennung des „Schulmeisters"<br />
für den Kirchengesang. Spätere Heiligenrechnungen<br />
- von 1578/79 - enthalten eine Aufzeichnung<br />
über die Vergütung des Kantors Lorenz Geigern. Dieser<br />
hat an Geld das halbe Jahr 20 fl. an Veesen für das ganze<br />
Jahr 8 Malter und an Haber für das ganze Jahr 2<br />
Malter erhalten. Neben dem Kantor amtete als Organist<br />
im Jahr 1583/84 Melchior Schramm.<br />
Graf Karl 1. (1558-1576) und Graf Karl II.<br />
(1576-1606) zu Zollern-Sigmaringen stifteten für den<br />
Fürstlichen sog. „Großen Jahrtag" 400 fl. und 600 fl.<br />
mit der Bestimmung, daß im Gegensatz zu dem einstimmigen<br />
Chorgesang unter Verstärkung durch musikalische<br />
Priester mehrstimmig - vermutlich nach dem Geschmack<br />
jener Zeit mit Instrumentalbegleitung - gesungen<br />
werden sollte Jedenfalls ist hier erstmals der Kirchenchor<br />
als solcher genannt. Die mehrstimmige Singweise<br />
wird nicht nur an den Fürstlichen Jahrtagen, sondern<br />
auch bei anderen Anlässen gepflegt worden sein.<br />
Spätere Aufzeichnungen über die Erhöhung der Besoldung<br />
des Kantors lassen erkennen, daß das Wirken des<br />
Kirchenchores beachtliche Fortschritte machte und daß
sich eine ständige Aufwärtsentwicklung abzeichnete. Die<br />
steigenden Leistungen des Chores sind auch aus den im<br />
Verlaufe der Zeit verschärften Bestimmungen über die<br />
Organistentätigkeit - dazu gehörte auch die Kantortätigkeit<br />
- zu ersehen. So wurden dem Kantor u. a. Auflagen<br />
über die Gestaltung des Großen Fürstlichen Jahrtages<br />
gemacht. Der Kantor mußte auch ein Instrumentarium<br />
von allen Musikalien und Instrumenten anfertigen<br />
und weiterführen. Es mußte also schon damals ein beachtlicher<br />
Bestand vorhanden gewesen sein. Weiter mußte<br />
der Kantor zwei Knaben in der Musik gratis instruieren.<br />
Hier erfahren wir auch, daß Sopran und Alt von<br />
Knaben gesungen wurde und daß die Knaben nicht nur<br />
Choral-, sondern auch Figuralgesang (mehrstimmiger<br />
Gesang) pflegen mußten. Im Laufe der Zeit entwickelte<br />
sich wahrscheinlich aus dem Organisten der Chorregent,<br />
der als Organist eine kleine Entschädigung erhielt, die<br />
Stelle des Chorregenten aber ehrenamtlich, d. h. unentgeltlich<br />
versah.<br />
Als Kantoren aus jener Zeit seien genannt: Gall Schreiber,<br />
erster Kantor 1627/28; Schulmeister und Kantor<br />
Halm um 1628; Joachim Roresch, Organist um 1630;<br />
Joachim Kolbinger, Schulmeister und Kantor, Student<br />
aus Stetten akM. 1663; Johann Konrad Schmidt aus<br />
Buchhorn, gewester Schulmeister zu Hagnau am Bodensee,<br />
hier angestellt als Kantor und Schulmeister in einer<br />
Person 1698.<br />
In einer von Schultheiß, Bürgermeister und Rat der<br />
Stadt Sigmaringen am 12. März 1704 erlassenen eigenen<br />
Instruktion sind die umfangreichen Obliegenheiten und<br />
Pflichten des Organisten, Kantors und Schulmeisters Johann<br />
Konrad Schmidt bis ins einzelne beschrieben.<br />
Nachfolger von Johann Konrad Schmidt wurde im Jahr<br />
1714 Johann Baptist Höltzle aus dem Rheintal, der nun<br />
51 Jahre lang bis 1765 den Kantor-, Organisten- und<br />
Lehrer-Dienst versah. Nach einem im Jahr 1717 erstellten<br />
Instrumentarium über die Heiligenfabrik zu Sigmaringen<br />
waren damals etwa 37 Musikalien des Chores<br />
vorhanden, ein Bestand, der für jene Zeit den hohen<br />
Leistungstand des Kirchenchores erkennen läßt<br />
Die achttägige Feier der Heiligsprechung des Heiligen<br />
Fidelis, die in Sigmaringen vom 22. bis 28. April 1847<br />
würdig begangen wurde, gab dem Kirchenchor<br />
Gelegenheit, sein hohes Können und seine überdurchschnittlichen<br />
Leistungen der mitfeiernden Pfarrgemeinde<br />
und den sontigen Festbesuchern zu zeigen. Die<br />
Zeitungsberichte über die gesanglichen Darbietungen bei<br />
der Festfeier sind voll des Lobes über den Kirchenchor.<br />
1765 bekam Johann Baptist Aicheier die Kantorstelle<br />
verliehen; er behielt diese nur drei Jahre. Nach einer in<br />
seine Amtszeit fallenden Neuregelung der Besoldung erhielt<br />
der Kantor nunmehr aus der Heiligenpflege an<br />
Geld und an Gegenwert für Früchte zusammen 202 fl<br />
46 hlr.<br />
Von 1768 bis 1818, also fünfzig Jahre lang, war Anton<br />
Stocker Kantor unseres Kirchenchores. Er hatte - und<br />
das war erstmalig in der Geschichte des Chores - nicht<br />
auch die Schulmeisterstelle zu versehen. Von dieser Zeit<br />
an wurden beide Stellen, die Kantorstelle und die Schulmeisterstelle,<br />
getrennt besetzt.<br />
Nachfolger des Kantors Anton Stocker wurde am<br />
10. Dezember 1818 dessen Schwiegersohn Konrad Siebenrock<br />
aus Langenenslingen. Er versah die Kantorstelle<br />
bis zu seinem Tod am 25. April 1856. Leider verhinderte<br />
ihn eine schwere Krankheit, in den letzten drei Jahren<br />
seinen Beruf auszuüben. In dieser Zeit besorgte sein<br />
Sohn, der Benefiziat J. F. Siebenrock, die Aufgaben des<br />
Kantors, unterstützt von Chorregent Feßler.<br />
Bis dahin hatte außer dem Kantor immer ein Musikdirektor,<br />
Chorregent genannt, die Oberleitung der Kirchenmusik<br />
unentgeltlich wahrzunehmen. Diese Funktion,<br />
in etwa dem späteren Präses im Cäcilienverein vergleichbar,<br />
ist, weil sie damals als entbehrlich galt, 1856 aufgegeben<br />
worden<br />
Am 9. September 1856 erhielt Josef Burtscher, Musiklehrer<br />
am Kgl. Preußischen Gymnasium Hedingen, die<br />
Kantorstelle übertragen. Mit dieser Neubesetzung war<br />
eine Umwandlung der zum Diensteinkommen gehörenden<br />
Naturalien in Geld verbunden.<br />
Josef Burtscher blieb nur 10 Jahre im Amt. Ihm folgte<br />
am 13. Mai 1866 als Kantor Johann Baptist Molitor. Er<br />
hatte vorher an der Benediktiner-Abtei St. Maurus in<br />
Beuron als Organist gewirkt, wo er sich besonders der<br />
Pflege des Gregorianischen Chorgesanges gewidmet hat.<br />
Unter ihm erlangte der Kirchenchor einen sehr hohen<br />
Leistungsstand. J. B. Molitor gründete im August 1871<br />
den Hohenzollerischen Cäcilienverein, übernahm als erster<br />
Präsident dessen Leitung und veranstaltete bis 1882<br />
unter Beteiligung des Kirchenchores, der inzwischen auf<br />
etwa 40 Mitglieder angewachsen war, mehrere Gesangsund<br />
Musikfeste. Vermutlich war ihm aber die Kantorbesoldung<br />
- sie betrug zuletzt 700 Mark -, zu klein und<br />
so schied er am 15. August 1882 von Sigmaringen, um<br />
die ungleich besser dotierte Münsterkapellmeisterstelle in<br />
Konstanz zu übernehmen. (Der benediktinische Ordensmann<br />
Prior Gregor Molitor war ein Sohn des Chordirektors<br />
Johann Baptist Molitor. Gregor Molitor hat als<br />
Kirchenmusiker mit seinen Kompositionen, die im Bereich<br />
des kirchlichen Chorgesanges viel gesungen wurden,<br />
einen hohen Rang erreicht. Eine Sammlung vierstimmiger<br />
Kirchengesänge hat ihn in weiten Bereichen<br />
bekannt gemacht.)<br />
Nachfolger von J B. Molitor als Chorregent war Karl<br />
Hirsch, vorher Chorregent an der Stadtpfarrkirche zu<br />
Erding (Bayern). Er war mit Eifer bemüht, den hohen<br />
Leistungsstand unseres Kirchenchores zu erhalten. Er<br />
wirkte als Chorregent aber nur vom 24. August 1882 bis<br />
zum 31. März 1884. Sein Verdienst ist die Gründung der<br />
städtischen Musik- und Gesangsschule, die weit in die<br />
Zukunft hinein erfolgreich der Heranbildung vieler Sängerinnen,<br />
Sänger und Musiker diente und heute noch<br />
dient. Karl Hirsch hat als Komponist eine Anzahl kirchenmusikalischer<br />
Werke, später auch Kompositionen<br />
mehrstimmiger Männerchöre, geschaffen. Auf Karl<br />
Hirsch folgte Karl Boos, zuvor Organist unnd Chordirigent<br />
an der damals neuen Synagoge in Bruchsal. Er bekam<br />
sein Amt am 25. Juni 1884 übertragen, mußte es<br />
aber schon zum 30. November 1885 wieder aufgeben,<br />
weil er infolge eines Schlaganfalles gelähmt war.<br />
Zwischenzeitlich übernahm Oberamtssekretär, später<br />
Landrentmeister Nikolaus Bachmann vertretungsweise<br />
die Leitung des Chores. Auch er war mit Eifer um die<br />
Erhaltung des Leistungsstandes des Kirchenchores bemüht.<br />
Eine wesentliche Verbesserung der Besoldung des<br />
Chordirektors, so wurde der Chorleiter nunmehr genannt,<br />
ergab sich dadurch, daß Fürst Leopold am<br />
21. Oktober 1885, am Jahrestag der goldenen Hochzeit<br />
seiner Eltern, 5000 Mark zur Verbesserung der Einkünfte<br />
des Chordirektors stiftete. So konnte die Stelle mit einem<br />
Einkommen von 1000 Mark ausgeschrieben werden.<br />
Auf Grund des neuen Ausschreibens konnte Hermann<br />
Ruoff, Lehrer am Kgl. Schullehrer-Seminar in Saulgau,<br />
am 22. April 1886 als Kantor und Chordirektor gewonnen<br />
werden. Unter Ruoff hat der Chor nach dem mehrfachen<br />
beeinträchtigenden Wechsel der Chorleiter wieder<br />
seinen früheren Leistungsstand erreicht Die Chronisten<br />
würdigen nicht nur die hohen gesanglichen Leistungen<br />
41
des Chores, sondern auch die Vielseitigkeit des musikalischen<br />
Leiters. So hat der Kirchenchor unter Ruoff zum<br />
ersten Mal sich mit vollem Erfolg an die Aufführung<br />
kirchenmusikalischer Chorwerke und Oratorien von<br />
Haydn und Händel gewagt. Es war eine große Enttäuschung<br />
für den Chor und die Pfarrgemeinde, daß<br />
H. Ruoff im Oktober 1903 sein Amt niederlegte, um einen<br />
neuen Wirkungskreis in München zu übernehmen.<br />
Ruoffs Nachfolger, Josef Keinradl, war als Chordirektor<br />
nur vom 1. Januar 1904 bis Ende Juli 1904 im Amt.<br />
Unter ihm wurde erstmals bei der Auferstehungsfeier an<br />
Stelle des bis dahin üblichen „Halleluja" von Händel<br />
das Chorwerk „Attollite portas" von Ett, das dann<br />
Jahrzehnte lang seinen Platz in der Osterliturgie behauptete,<br />
zur Aufführung gebracht.<br />
Nachfolger von Keinradl war Domorganist Richard<br />
Hoff aus Fünfkirchen (Ungarn), geboren am 10. Mai<br />
1875 in der Nähe von Mönchen-Gladbach (Niederrhein),<br />
und zwar ab 15. September 1904. Richard Hoff hat als<br />
Chordirektor und als Musikdirektor dank seiner hohen<br />
musikalischen Begabung und seiner virtuosen Beherrschung<br />
mehrerer Musikinstrumente bedeutungsvolles, hohes<br />
musikalisches Wirken entfaltet. Nach seiner Ausbildung<br />
in der Musik war er 4 1 /* Jahre als Organist an der<br />
Pfarrkirche in Mönchen-Gladbach tätig, um 1896 die<br />
Stelle des ersten Domorganisten in Fünfkirchen anzutreten.<br />
Ab 1904 war Hoff Chordirektor des Kirchenchores<br />
St. Johann. Neben der Leitung des Chores betätigte er<br />
sich mit größtem Erfolg als Leiter verschiedener musikalischer<br />
und gesanglicher Vereine und Vereinigungen -<br />
in einer betont musikfreundlichen und gesangsfreudigen<br />
Zeit. Ihm war die Goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft<br />
verliehen worden. Es ist, wie bei seinen beiden<br />
Nachfolgern nicht möglich, auf die Aufführung bedeutender<br />
Chorwerke einzugehen. Richard Hoff ist mit hohem<br />
Rang in die Geschichte unseres Kirchenchores eingegangen.<br />
Er ist am 24. Oktober 1940 gestorben<br />
Ihm folgte Dr. Johannes Maier, geboren am 13. April<br />
1902 in Inneringen, Chordirektor an der Herz-Jesu-<br />
Pfarrei Regensburg. Auch Dr. Maier hat sich seinem<br />
Amt als Chordirektor mit ganzer Hingabe und hohem<br />
musikalischen Können gewidmet.<br />
Seine kirchenmusikalischen Aufführungen reihten sich<br />
würdig an die seines Vorgängers Hoff an. Hohe Verdienste<br />
hat sich Dr. Maier auch durch seine literarischen<br />
Arbeiten als Musikberichterstatter, durch seine Tätigkeit<br />
als Erzbischöflicher Orgelrevisor und Glockeninspekteur<br />
erworben. Einen würdigenden Hinweis verdient seine<br />
Dissertation „Studien zur Geschichte der Marianischen<br />
Antiphon ,Salve Regina'" (Pustet Regensburg 1938).<br />
Von seinen größeren Aufführungen sei als Beispiel die e-<br />
Moll-Messe von Anton Bruckner genannt. Förderlich für<br />
seine literarisch geschichtliche Tätigkeit war seine Anstellung<br />
als Archivar beim Fürstlich Hohenzollernschen<br />
Haus- und Domänenarchiv in Sigmaringen. Johannes<br />
Maier ist, 58 Jahre alt, am 9. Juli 1960 gestorben.<br />
Durch Beschluß des Kirchenvorstandes der Pfarrei<br />
St. Johann vom 21. September 1960 wurde als Nachfolger<br />
von Dr. Johannes Maier Karl Failer, geboren am<br />
27. Januar 1915 in Bingen-Hohenzollern, als neuer<br />
Chordirektor angestellt K. Failer hat vor seiner Berufung<br />
als Leiter von mehreren Kirchenchören im <strong>hohenzollerische</strong>n<br />
Raum und als Dirigent von weltlichen Chören<br />
u. a. als stellvertretender Gauchormeister des Zollern-Alb-Gaues<br />
gewirkt. Für seine Tätigkeit im weltlichen<br />
Chorgesang hat er die Goldene Ehrennadel des<br />
Deutschen Sängerbundes und die Silberne Dirigentennadel<br />
ebenfalls des Deutschen Sängerbundes verliehen bekommen.<br />
Zuletzt war Failer nach längerer behördlicher<br />
42<br />
Anstellung als Geschäftsführer des Deutschen Volksmusiker-Bundes<br />
tätig. Auch er hat durch die Aufführung einer<br />
Vielzahl von kirchenmusikalischen Chorwerken dem<br />
Kirchenchor seine eigene Prägung gegeben. Karl Failer<br />
ist, 60 Jahre alt, am 14. Februar 1976 gestorben.<br />
Immer wieder, so vor allem zwischenzeitlich beim<br />
Wechsel von Chordirektoren oder bei deren gelegentlicher<br />
Abwesenheit oder Verhinderung haben sich dankenswerterweise<br />
geeignete Kräfte zur Wahrnehmung der<br />
Chorleitung zur Verfügung gestellt. So haben, um nur<br />
einige wenige Namen zu nennen, in den letzten Jahrzehnten<br />
aushilfsweise den Chor geleitet Gymnasiallehrer<br />
Fridolin Gelle, Konrektor Friederich Lorch, Rektor, später<br />
Schulamtsdirektor Wilhelm Hoch, und Richter Franz<br />
Josef Burger. Als Organistin haben sich verdienstvoll betätigt<br />
u. a. Fräulein Maria Miller (ein Leben lang an der<br />
Orgel), Oberlehrer Sebastian Heck und bis in die Gegenwart<br />
Frau Gertrud Schäfer.<br />
Jahrhundertelang hat der Kirchenchor seitens des Hauses<br />
der Fürsten von Hohenzollern-Sigmaringen dank der<br />
musikfreundlichen Einstellung der ehemals regierenden<br />
Fürsten zur profanen und kirchlichen Musik verständnisvolle,<br />
finanzielle Förderung erfahren dürfen. Das Fürstenhaus<br />
selbst unterhielt bis ins 19. Jahrhundert lang,<br />
allerdings mit Unterbrechungen, eine eigene höfische<br />
Musikkapelle. Dieser kurze Rückblick auf die Geschichte<br />
des Kirchenchores St. Johann läßt erkennen, daß die Anstellungsverhältnisse<br />
des Chordirektors immer und immer<br />
wieder Sorge bereiteten. So fügte es sich günstig,<br />
daß das Erzbischöfliche Ordinariat Freiburg eine grundsätzliche<br />
Neuregelung der Chorleiterangelegenheit angestrebt<br />
hat. Die Lösung besteht darin, daß zum 1. Juli<br />
1977 vom Ordinariat und der Pfarrgemeinde nunmehr<br />
ein vollamtlich tätiger Bezirksmusiker angestellt wird.<br />
Sein Arbeitsbereich beschränkt sich also nicht auf die<br />
Pfarrei St. Johann, sondern umfaßt die Region Hohenzollern-Meßkirch.<br />
In diesem Bereich veranstaltet der Bezirksmusiker<br />
- neben seiner Chorleitertätigkeit in Sigmaringen<br />
- an verschiedenen Orten Fortbildungskurse<br />
und Seminare für Organisten und Chorleiter, auch für<br />
Bewerber einer solchen Funktion; er fördert den Nachwuchs<br />
und bereitet diesen auf das C-Examen vor. Ein<br />
Schwerpunkt seiner Aufgabe liegt darin, die musikalischen<br />
Kräfte im chorischen und instrumentalen Bereich<br />
so zu fördern, daß sie beispielgebend für die ganze Region<br />
sind.<br />
Auf die neue Stelle wurde Albrecht Schumacher, Chorleiter<br />
des Kirchenchores der Stadt Zwiesel in Bayern und<br />
Regionalkantor der Diözese Passau, geboren am 14. Mai<br />
1930 in Laucherthal, als Bezirksmusiker berufen. Mit ein<br />
Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt mehr als bisher neben<br />
dem traditionellen Chorgesang und dem vorstehend dargelegten<br />
Aufgabenbereich die eigenschöpferische musikalische<br />
Gestaltung kirchlicher Veranstaltungen.<br />
Es ist ein langer Weg, den der Kirchenchor St. Johann<br />
seit seiner Gründung im ausgehenden Mittelalter bis in<br />
die nachkonziliäre Zeit der Gegenwart gegangen ist. Viel<br />
Rühmliches ist geleistet worden, immer aber war der<br />
Chor auch den Zeitströmungen der Musikgeschichte ausgesetzt.<br />
Geblieben aber ist für jede Ära der Anruf, das<br />
Lob Gottes in Gesang und Musik zu verkünden. Diesen<br />
Ruf haben die schöpferischen Kräfte des Abendlandes<br />
durch die Jahrhunderte hindurch bis in die Gegenwart<br />
gehört und ernstgenommen. Dafür stehen zeitlose Meisterwerke<br />
verschiedenster Art vom Gregorianischen<br />
Choral ausgehend über die erste Blüte der Polyphonie zu<br />
Palestrina, Schütz, Bach, Händel, von der Wiener Klassik<br />
über die Romantik und den Cäcilianismus bis zu den
Meistern des 20. Jahrhunderts. Von der Vergangenheit<br />
her bleibt auch für die Gegenwart und die Zukunft der<br />
letzte Sinn des Kirchengesanges und der Kirchenmusik<br />
der Ruf des 150. Psalmes nach dem Lob Gottes: „Alles<br />
was Odem hat, lobe den Herrn".<br />
Schrifttum<br />
1. Zur Geschichte der katholischen Stadtpfarrei Sigmaringen.<br />
KARL WERNER STEIM<br />
Die Suspension des Pfarrers Josef Sprißler in Empfingen<br />
Eine Erinnerung zu seinem 100. Todestag<br />
In diesem Jahr war der 100. Todestag - am 17. Juni -<br />
des aus Inneringen stammenden Pfarrers Josef Sprißler.<br />
Er war Mitglied im Landtag des Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen<br />
und Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung<br />
1848. Als Anhänger Wessenbergs trat er<br />
für dessen Auffassungen uneingeschränkt ein, und zwar<br />
wegen den liturgischen Reformen vor allem für eine größere<br />
Freiheit von Rom und für eine demokratische Kirchenverfassung.<br />
In vielem war er seinem Amtsbruder Josef<br />
Blumenstetter verwandt, mit ihm zusammen saß er<br />
auch in der Frankfurter Paulskirche. Wegen eines Antrages<br />
in der Frankfurter Nationalversammlung und einer<br />
Trauerrede auf den Revolutionär Robert Blum wurde<br />
Sprißler - damals Pfarrverweser von Empfingen - suspendiert.<br />
Josef Sprißler wurde am 6. März 1795 in Inneringen geboren.<br />
Er wurde am 3. Januar 1818 zum Priester geweiht.<br />
Schon sehr früh wurde er ein Anhänger der Ideen<br />
des Konstanzer Generalvikars Freiherr von Wessenberg<br />
und der eifrigste, freilich nicht der diplomatischste, Vorkämpfer<br />
im Sigmaringer Fürstentum für kirchliche Reformen.<br />
Nachhaltig trat er für die Beseitigung des Zölibats<br />
ein.<br />
Stadtpfarrer von Veringenstadt<br />
Von 1821 bis 1834 war Josef Sprißler Stadtpfarrer von<br />
Veringenstadt. Weil er im Jahre 1832 dem Freiburger<br />
Professor Amann zum Dank für sein Eintreten um Aufhebung<br />
des Zölibats in der Badischen Kammer eine<br />
„Dankadresse" und einen Ehrenpokal überreichte, wurde<br />
er vom Ordinariat Freiburg 1834 nach Empfingen praktisch<br />
„strafversetzt". Dem Ordinariat gegenüber hatte<br />
Sprißler beharrt: „Das Zölibat ist längst und allgemein<br />
als ein Verderben in der heiligen Kirche Gottes erkannt<br />
. . . Ich gehorche dem Rufe meines Gewissens,<br />
mein Streben ist redlich; ich kann nicht anders."<br />
Um die Gemeinde Empfingen hat sich Pfarrer Sprißler<br />
- formell war er Pfarrverweser, eine offizielle Amtseinsetzung<br />
unterblieb - in vielfältiger Weise verdient gemacht,<br />
vor allem im sozialen Sektor. Dieser Bereich verdient<br />
gelegentlich eine eigene Darstellung.<br />
Im Frankfurter Parlament<br />
Wegen seiner politischen Regsamkeit, seiner hinreißenden<br />
Redegewandtheit und seines unerschrockenen Eintretens<br />
für die Rechte des Volkes wurde er im Revolutionsjahr<br />
1848 in die Nationalversammlung als Abgeordneter<br />
des Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen gewählt. Ein<br />
Hauptführer der Linken in der Paulskirche war Robert<br />
Blum, der am 9. November 1848 in Wien standrechtlich<br />
erschossen wurde. Als Pfarrer Sprißler in Frankfurt bei<br />
Von Pfarrer Friedrich Eisele. Hohenz. Mitteilungen. 58. Jahrgang<br />
1924 S. 1.<br />
2. Pfarrei und mittelalterliche Stadt zwischen oberem Neckar<br />
und Donau. Von Walter Stettner. Zeitschrift für Württbg.<br />
Landesgeschichte 1966. S. 131.<br />
3. Beitrag zur Geschichte des katholischen Kirchenchores und<br />
seiner Dirigenten von Ben;. Pfaff (C). Hohenzollerische<br />
Volkszeitung Sigmaringen Nr. 71, 72, 81, 82 und 83/1932.<br />
4. Pfarrarchiv St. Johann Sigmaringen.<br />
Pfarrer Josef Sprißler<br />
der Beratung der Grundrechte den Antrag stellte: „Niemand<br />
darf zur Erfüllung religiöser Pflichten gezwungen,<br />
und niemand kann wegen Nichterfüllung oder Verletzung<br />
derselben mit weltlichen Strafen bedroht werden"<br />
und diesem Antrag noch eine von aufklärerischem und<br />
liberalem Geist durchdrungene Begründung gab, fiel er<br />
in Freiburg vollends in Ungnade (Hans Speidel: Pfarrer<br />
Josef Blumenstetter, Zeitschrift für Hohenzollerische<br />
Geschichte, 1970).<br />
Die am 27. November 1848 in der evangelischen Kirche<br />
in Sulz gehaltene Trauerrede für den befreundeten Robert<br />
Blum gab Freiburg den letzten Anstoß, ihn seines<br />
Amtes zu entsetzen. Die Suspension bedeutet eine Amtsenthebung<br />
auf Zeit; sie kann sich auf das kirchliche Amt<br />
oder auf die Pfründe, die die materielle Basis eines<br />
kirchlichen Amtes darstellt, beziehen, oder auf beides,<br />
wie bei Sprißler.<br />
Die Suspension<br />
Das umständliche Verfahren der Suspension, das - wie<br />
sich später herausstellen sollte - keineswegs richtig war,<br />
läßt sich anhand der Personalakten Sprißlers und der<br />
43
einschlägigen Akten im Staatsarchiv genau nachempfinden.<br />
Der Vorgang muß aber hier aus Platzgründen zusammengedrängt<br />
werden.<br />
Pfarrer Sprißlers Rede erschien bald im Druck, allerdings<br />
ohne sein Zutun, wie er dem anfragenden Ordinariat<br />
gegenüber erklärte. Er habe die Rede auf Aufforderung<br />
„einer Deputation von Stadt und Oberamtsbezirk<br />
Sulz" nachträglich schriftlich abgefaßt. Sprißler hatte in<br />
der Rede Robert Blum u. a. als seinen Freund und<br />
Kampfgenossen, als „Märtyrer für unseres Volkes Freiheit<br />
und Größe und edelsten Freiheitskämpfer" bezeichnet.<br />
Im Zusammenhang mit Blums Geburtstag am<br />
10. November unterlief Sprißler mit den Worten: „Das<br />
war auch der Geburtstag eines anderen Mannes, der sein<br />
Jahrhundert, das sechszehnte, mächtig bewegt hat und<br />
dessen Name nie aus der Geschichte verschwinden wird«,<br />
auch eine Verherrlichung Martin Luthers, die ihm in<br />
Freiburg besonders übel genommen wurde.<br />
Rascher Entschluß des Ordinariats<br />
Beim Ordinariat schien der Krug Pfarrer Sprißlers übergelaufen<br />
zu sein. Ohne größere Untersuchung verhängte<br />
es schon am 23. Februar 1849 die Suspension. Sprißler<br />
bescheinigte das Suspensionsdekret und erklärte, er habe<br />
sich zwar dem Faktum der Suspension unterzogen, aber<br />
er anerkenne sie nicht zu Recht. Ferner protestierte er<br />
feierlich dagegen. Als Grund erkenne er einzig die Ausübung<br />
der bürgerlichen und politischen Rechte, die er<br />
sich nicht abstreiten lasse. Die Suspension sei ein Attentat<br />
auf das Grundrecht freier Volksversammlung, freier<br />
Meinungsäußerung und unverletztlicher Volksvertretung.<br />
Sprißler dachte aber in Wirklichkeit nicht daran, sich<br />
der Suspension zu unterwerfen. Schon am 26. März ging<br />
von ihm beim Dekanat Haigerloch eine Erklärung ein,<br />
daß er auf Andrang seiner Gemeinde wieder in die Pastoration<br />
eintrete und keine Pfarrverwesung anerkenne.<br />
Postwendend kam am 30. März aus Freiburg die Antwort:<br />
„Ein Priester, der trotz Suspension fortfährt zu<br />
pastorieren, verfällt der Sünde der Irregularität, von der<br />
er nur durch den Papst losgespochen werden kann. Eine<br />
Gemeinde, die einen solchen Pfarrer unterstützt, macht<br />
sich jener schweren Sünde teilhaftig." Irregularität bedeutet<br />
in diesem Fall soviel wie: Es fehlt ihm eine wesentliche<br />
Voraussetzung - gegeben mit seinem Ungehorsam<br />
gegen die zuständige kirchliche Obrigkeit, bestehend<br />
aus seiner Weigerung, auf die Ausübung seines Amtes zu<br />
verzichten - für die Ausübung einer kirchlichen Funktion<br />
bzw. eines kirchlichen Amtes.<br />
Sympathie-Kundgebungen<br />
Das Ordinariat sprach mit dem Hinweis auf die Gemeinde<br />
die Sympathie-Kundgebungen an, die Pfarrer Sprißler<br />
aus Empfingen und ganz Hohenzollern entgegenkamen.<br />
Die Märzvereine sandten einen mit 2500 Unterschriften<br />
versehenen Protest nach Freiburg, der aber wie die zahlreichen<br />
weiteren ohne Erfolg blieb. Unterschriften-Listen<br />
kamen aus zahlreichen Orten Hohenzollerns.<br />
Die eingesetzten Pfarrverweser Pfeffer und Schnell wurden<br />
von der Empfingener Bevölkerung offen angefeindet<br />
und zogen sich „der Gewalt weichend" wieder zurück,<br />
wie es in einem Schreiben hieß.<br />
Pfarrer Sprißler schien zu glauben, wenn ihn die Mehrheit<br />
des Volkes unterstütze, werde auch das Ordinariat<br />
nachgeben. Am 26. März ließ er sich feierlich in die<br />
Kirche einführen und legte vor ihr das Glaubensbekenntnis<br />
ab. Die Wiederaufnahme der Seelsorge meldete er<br />
auch der Fürstlichen Regierung in Sigmaringen. Er kündigte<br />
an, daß er gegen die kanonische Irregularität und<br />
die angedrohte Temporaliensperre (= Einbehaltung der<br />
Einkünfte eines Geistlichen) notfalls den Rechtsweg be-<br />
44<br />
Pfarrer Josef Sprißler<br />
schreiten und Erzbischof und Ordinariat auf Verleumdung<br />
verklagen werde. „Ich rufe den Schutz des Staates<br />
gegen das Attentat einer Temporaliensperre hiemit förmlich<br />
an", schrieb er.<br />
Hartnäckige Haltung Sprißlers<br />
Die Sigmaringer Regierung stellte sich teilweise auf<br />
Sprißlers Seite und bedauerte dem Ordinariat gegenüber,<br />
daß es „eine so tief eingreifende Einschreitung gegen<br />
Pfarrer Sprißler erkannt hat." Die Fürstliche Geheime<br />
Konferenz schrieb gar, eine Glaubensuntersuchung wegen<br />
Meinungsäußerungen, die Pfarrer Sprißler als<br />
Reichstagsabgeordneter in Frankfurt und als politischer<br />
Redner gemacht habe, „finden wir nicht nur an sich<br />
kaum gerechtfertigt, sondern wir sehen darin einen entschiedenen<br />
Mißgriff, einen Verstoß gegen die öffentliche<br />
Ordnung, gegen das Recht der Redefreiheit, insbesondere<br />
bei der Nationalversammlung." Damit hatte die Regierung<br />
einen Großteil von Sprißlers Argumenten übernommen.<br />
Weiter hieß es, das Ordinariat habe zwar das<br />
Recht, die Suspension von geistlichen Verrichtungen zu<br />
verfügen, „obwohl wir im Falle Sprißlers von Zweckmäßigkeit<br />
oder Notwendigkeit dieser Maßregel nie überzeugt<br />
werden können." Schließlich wurde angekündigt,<br />
daß man die Zustimmung zur Temporaliensperre nicht<br />
erteilen werde.<br />
Josef Sprißler nützte diesen Aufwind und schrieb dem<br />
Ordinariat, er sei für weitere Untersuchungen bereit,<br />
wenn die voreilig verhängte Suspension aufgehoben, die<br />
Untersuchung unter völliger Beseitigung seines Antrages<br />
im Frankfurter Parlament und seiner Rede auf Blum geführt<br />
werde. Außerdem sei die Untersuchung in Empfingen<br />
zu führen. Allerdings hätten damit praktisch alle gegen<br />
ihn erhobenen Vorwürfe fallengelassen werden müssen.
Versetzung<br />
Nach langem Schriftwechsel erklärte Ende des Jahres<br />
1849 das Ordinariat, man sei bereit „zur alsbaldigen Beendigung<br />
des traurigen Zustandes in Empfingen alles nur<br />
mögliche zu tun." Sprißler solle das Glaubensbekenntnis<br />
(Professio fidei) vor Zeugen ablegen und dann in einer<br />
lateinischen Bittschrift an den Papst um Aufhebung der<br />
Irregularität bitten. Am l.Juni 1850 legte Pfarrer<br />
Sprißler im Pfarrhaus in Empfingen vor drei Geistlichen<br />
des Dekanates Haigerloch das Glaubensbekenntnis ab,<br />
wie Dekan Engst bescheinigte. Am gleichen Tag suchte<br />
Sprißler beim Ordinariat erneut um Aufhebung der Suspension<br />
nach, betonte aber gleichzeitig, er habe das<br />
Glaubensbekenntnis „niemals an und für sich, sondern<br />
bloß aus äußeren, formalen, juristischen Gründen abgelegt."<br />
Die „Königliche Immédiat-Commission" in Sigmaringen<br />
faßte am 12. Februar 1851 den Beschluß - auf Vorschlag<br />
Freiburgs -, daß Sprißler Empfingen im Umkreis<br />
von 8 bis 10 Stunden innerhalb 30 Tagen zu verlassen<br />
habe. Sprißler suchte um Verlängerung bis l.Mai nach,<br />
was genehmigt wurde.<br />
In Bad Imnau<br />
Inzwischen zog Pfarrer Sprißler nach Bad Imnau zu einer<br />
„Trink- und Badekur". Er machte keine Anstalten,<br />
nach Albauf der Frist das Pfarrhaus in Empfingen zu<br />
räumen und auch Imnau zu verlassen. Im Oktober 1852<br />
vermutete das Ordinariat, wenn Sprißler noch länger in<br />
Imnau bleibe, dann unterwühle er auch diese Gemeinde,<br />
„denn er ist und bleibt ein ingrimmiger Feind der Kirche."<br />
Als letzten Ausweg, den Widerstand Sprißlers zu brechen,<br />
sah das Ordinariat die Versetzung auf den Tischtitel<br />
an. Der Tischtitel ist ein Rechtsanspruch auf standesgemäßen<br />
Unterhalt, gegeben mit der Priesterweihe. Danach<br />
hat eine Diözese die Pflicht, einen solchen Unterhalt<br />
in jedem Fall zu gewähren. Freilich ist der Tischtitel<br />
ein „Existenzminimum". Anstatt seines bisherigen<br />
Einkommens von 700 Gulden erhielt Sprißler nur noch<br />
300 Gulden. Als künftigen Aufenthaltsort für Sprißler<br />
schlug die Sigmaringer Regierung Trochtelfingen oder<br />
Hechingen vor, da die dortigen Pfarrer die „nötige<br />
Bürgschaft für gesetzesmäßiges Verhalten" Sprißlers bieten<br />
würden. Das Ordinariat war einverstanden.<br />
Streit um Tischtitel<br />
Um die Versetzung auf den Tischtitel gab es einen lange<br />
andauernden Streit Sprißlers mit dem Ordinariat. Auch<br />
die Gemeinde Empfingen und viele seiner Freunde verwandten<br />
sich - vergeblich - für ihn. Im Januar 1853<br />
erklärte Sprißler, er habe zwar Rechtsverwahrung gegen<br />
den Tisch-Titel-Erlaß eingelegt, wolle sich aber allem<br />
unterwerfen, wenn er ein „anständiges Gehalt bekomme,<br />
von dem er leben" könne. Auch Dekan Engst befürwortete<br />
Sprißlers Gesuch und verwies darauf, daß 300 Gulden<br />
für einen Priester mit 33 Priesterjahren zu wenig sei.<br />
Sprißlers Name habe früher einen guten Klang gehabt.<br />
Fast pathetisch endet das Schreiben: „Er hat gefehlt, er<br />
sieht es ein, er hat gebüßt, viel gebüßt, ist bereit noch<br />
mehr zu büßen, wenn es ihm nur vergönnt wird, schuldfrei<br />
zu leben."<br />
Das Ordinariat antwortete „scheinheilig", es habe selbst<br />
bei der Sigmaringer Regierung beantragt, ihn mit 700<br />
Gulden zu pensionieren, doch sei die Regierung auf diesen<br />
Antrag nicht eingegangen. Inzwischen schlug Sigmaringen<br />
vor, man solle Sprißler nicht nach Hechingen<br />
versetzen, sondern nach Trochtelfingen anweisen. „Dort<br />
würde er für den Fall der Neigung zu einer wühlerischen<br />
Tätigkeit weniger Spielraum finden." Darauf wies<br />
das Ordinariat Sprißler entsprechend an. Pfarrer Sprißler<br />
war aber inzwischen nach Hechingen gezogen und<br />
begründete dies mit dem milderen Klima und der dortigen<br />
Heilquelle, die er aufsuche. Regierung und Ordinariat<br />
stimmten schließlich zu.<br />
Sprißler in Hechingen<br />
Auf Anfrage, was ihm über Sprißler in Hechingen bekannt<br />
sei, teilte Dekan Bulach Ende 1854 dem Ordinariat<br />
mit, er kenne ihn zwar persönlich nicht, Sprißler<br />
komme auch nie zur Kirche, solle aber regelmäßig mit<br />
seiner Haushälterin eine Wirtschaft besuchen und mit ihr<br />
Spaziergänge machen. Die Anwort aus Freiburg: angesichts<br />
dieser Umstände könne man sich nicht in Rom für<br />
Sprißler verwenden.<br />
Anfangs 1855 schrieb Pfarrer Sprißler dem Ordinariat,<br />
Fürst Karl Anton habe seiner „traurigen Lage sich erbarmend,<br />
geruht, mir in Straßberg eine Wohnung anzuweisen."<br />
Das Ordinariat stimmte dem Umzug zu. Sprißler<br />
betreute die Filiale Kaiseringen. Sein Tischtitelgehalt<br />
war inzwischen von 300 auf 400 Gulden erhöht worden.<br />
Es scheinen sich keine neuen Schwierigkeiten ergeben zu<br />
haben, denn die Akten schweigen fünf Jahre.<br />
Erneutes Gesuch<br />
Im Jahre 1860 unternahm Sprißler wieder einmal einen<br />
Anlauf, sich mit dem Ordinariat auszusöhnen. Außerdem<br />
bat er darum, sein Gehalt von 400 auf 700 Gulden zu<br />
erhöhen und ihm rückwirkend 300 Gulden jährlich seit<br />
seiner Suspension nachzuzahlen. Das Ordinariat bezweifelte,<br />
ob Sprißlers Uberzeugung und Sinnesänderung<br />
echt seien oder nur die „Folge seiner mißlichen Lage".<br />
Einstweilen wurden ihm aber 50 Gulden aus dem allgemeinen<br />
Kirchenfond Sigmaringen bewilligt. Sprißler<br />
wurde aufgefordert, beim Papst um Aufhebung der Irregularität<br />
nachzusuchen, „dann wollen wir das Vergangene<br />
auf sich beruhen lassen". Das Ordinariat verweigerte<br />
im übrigen selbstverständlich die benatragte Nachzahlung.<br />
Für das Jahr 1861 erhielt Sprißler eine außerordentliche<br />
Zahlung von 100 Gulden bewilligt.<br />
Sprißler hatte erfahren, daß sich die Regierung in Sigmaringen<br />
früher gegen seine Pensionierung mit 700 Gulden<br />
Gehalt gewandt hatte. Jetzt forderte er die Regierung<br />
auf, diesen Einspruch zurückzunehmen.<br />
Überraschendes Ergebnis<br />
In einem Schreiben an das Ordinariat kam die Regierung<br />
zu dem überraschenden Ergebnis, „daß das gegen<br />
Pfarrer Sprißler, und zwar nicht ohne unsere Schuld eingeschlagene<br />
Verfahren dem strengen Recht nicht entspricht".<br />
Man hätte entweder Sprißler pensionieren müssen<br />
oder ein förmliches Disziplinarverfahren gegen ihn<br />
betreiben und abschließen. Die Art, wie gegen Sprißler<br />
vorgegangen worden sei, trage den Charakter der Willkür.<br />
Man schlage daher vor, Sprißler ab Jahresanfang<br />
700 Gulden Pension zu gewähren.<br />
Jetzt stimmte auch das Ordinariat zu und bot Sprißler<br />
700 Gulden Pension an und schrieb gleichzeitig, man<br />
wolle auf die früheren Vorkommnisse nicht wieder zurückkommen,<br />
falls er erkläre, daß er sich damit begnüge<br />
und auf alle Rechtsansprüche verzichten wolle. Sprißler<br />
erklärte sich mit diesen Bedingungen einverstanden,<br />
stellte aber den - sicher wieder einmal - undiplomatischen<br />
Antrag, die Pension auf jährlich 800 Gulden zu<br />
erhöhen. Das Ordinariat bewilligte aber nur die 700<br />
Gulden.<br />
Die Eingaben Sprißlers an den Papst um Aufhebung der<br />
Irregularität wollte das Ordinariat so nicht weiterreichen,<br />
da sie widersprüchlich seien. Sprißler wurde aufgefordert,<br />
die lateinische Bittschrift an den Papst neu zu<br />
fassen. Weiteres hierüber fand sich nicht in den Akten.<br />
45
Tod in Stetten bei Hechingen<br />
Am 11. November 1861 verließ Sprißler sein Domizil in<br />
Kaiseringen und zog in den Weiler Friedrichstraße bei<br />
Hechingen. Wie aus einem Schreiben des Dekanates Veringen<br />
hervorgeht, erfolgte dies „dem kundgegebenen<br />
Wunsche hoher Stelle gemäß". 1873 wohnte Sprißler<br />
dann in Stetten bei Hechingen, wo er am 17. Juni 1879<br />
- „mit der Kirche versöhnt" - starb.<br />
Während die katholischen Zeitungen in Hechingen und<br />
Sigmaringen nur eine kurze Personalnotiz veröffentlichten,<br />
würdigten die liberalen „Hohenz. Blätter" in Hechingen<br />
den Verstorbenen ausführlich: „Seine außergewöhnliche<br />
geistige Begabung aber, sein ebenso gründliches<br />
als vielseitiges Wissen und ganz besonders seine<br />
auch im Unglück bewahrte überzeugungstreue Charakterfestigkeit<br />
haben ihm die Hochachtung all derjenigen<br />
erworben, welche bei Beurtheilung Anderer nicht einer<br />
schwarzgefärbten Brille sich bedienen." Sprißler wurde<br />
ferner als „letzter hervorragender Schüler Wessenbergs"<br />
bezeichnet. Die Gemeinde Stetten bereitete Sprißler nach<br />
dem Zeitungsbericht ein feierliches Begräbnis. Dekan<br />
WALTHER FRICK<br />
Scheer war die kleinste Fürstenstadt<br />
Stiftung der Gräfin Anna Monica wurde aufgelöst<br />
Anläßlich der Auflösung der Gräfin Monica-Stiftung in<br />
Scheer - über die nachstehend Genaueres zu lesen ist -<br />
und angesichts des Umstandes, daß dieses Donaustädtchen<br />
seit der Kreisreform zum Kreis Sigmaringen gehört,<br />
dürfen ihm an dieser Stelle einmal ein paar Zeilen gewidmet<br />
werden.<br />
Zunächst zu der Stiftung: wie der Redaktionsleiter der<br />
Schwäbischen Zeitung in Sigmaringen, Herr Gerd Bantle,<br />
in Nr. 127 des Blattes mitteilt, ist die Stiftung jetzt<br />
aufgehoben worden, fast genau nach 204 Jahren, denn<br />
Maria Anna Monica, Gattin des Grafen Leopold-August<br />
zu Friedberg und Trauchburg, hat sie am Tag ihres Todes<br />
in Kraft treten lassen; das war am 17. Juni 1775.<br />
Die Gräfin war eine Enkelin des Generalfeldmarschalls<br />
Franz Anton Graf von Hohenzollern-Sigmaringen und<br />
Schwiegertochter von Wilhelm Josef Eusebius, der den<br />
Titel eines Erbtruchsessen innehatte. Eigentlich sind es<br />
zwei Stiftungen, denn die Erblasserin setzte einen »landschaftlichen<br />
Hausarmen- und Schulfonds« ein, Erbe war<br />
die Grafschaft Friedberg-Scheer, einschließlich der Herrschaft<br />
Dürmentingen. Das ursprüngliche Vermögen betrug<br />
44 600 Gulden, wovon nur die Zinsen zu verzehren<br />
waren. 1919 betrug das Vermögen fast 50 000 Mark, im<br />
gegenwärtigen Jahr aber nur noch knapp 4000. Das<br />
lohnte nicht mehr, nach Ansicht der Stiftungsverwaltung,<br />
und von Pietätlosigkeit kann hier sicher keine<br />
Rede sein, denn der Sigmaringer Landrat Dietmar Schlee<br />
als Vorsitzender der Verwaltungsbehörde ist immerhin<br />
ein Scheerer Kind. Für den Rest des Vermögens aber<br />
wird - ein lobenswerter Entschluß - eine Schrift des<br />
fürstlich hohenzollernschen Archivdirektors Eugen<br />
Schnell (nach dem in Sigmaringen die Schnellstraße genannt<br />
ist) wieder aufgelegt. Schnell hatte im hundertsten<br />
Jahr, 1875, der Stiftung diese Schrift gewidmet. Außerdem<br />
erwägt der Landkreis zur Erinnerung an die mildtätige<br />
Gräfin einen »Anna Monica-Taler« zu schaffen, für<br />
soziale Verdienste von Bürgern aus der genannten Landschaft.<br />
46<br />
Häuse nahm selbst die Einsegnung vor. Auch die Beteiligung<br />
aus Hechingen war sehr stark, ein Männerchor<br />
sang einige Choräle. Sprißler wurde an der Seite seines<br />
alten Freundes Josef Blumenstetter beerdigt.<br />
Quellen und Literatur<br />
Quellen: Erzb. Archiv Freiburg, Personalakte Josef Sprißler. -<br />
Staatsarchiv Sigmaringen, Ho 202, Preuß. Oberamt Haigerloch,<br />
Nr. 2237.<br />
Literaturauswahl: Die Suspension des Pfarrers J. Sprißler in<br />
Empfingen, früherer Reichstagsabgeordneter für Hohenzollern-<br />
Sigmaringen. Oberndorf: Brandecker 1849.<br />
Drei Beiträge zu den Vereinsblättern. Hechingen: Egersdorf<br />
1849.<br />
Eberhard Gönner: Die Revolution von 1848/49 in den <strong>hohenzollerische</strong>n<br />
Fürstentümern und deren Anschluß an Preußen.<br />
Hechingen: A. Pretzl 1952.<br />
Rösch, Adolf: Das religiöse Leben in Hohenzollern unter dem<br />
Einfluß des Wessenbergianismus 1800-1850. Köln 1908.<br />
Speidel, Hans: Pfarrer Josef Blumenstetter. Seelsorger und<br />
Volksmann 1807-1885. In: Zeitschrift für Hohenzollerische<br />
Geschichte. 6. Band. 1970.<br />
Die Erbtruchsessen von Waldburg-Sonnenberg waren<br />
nicht die ersten und nicht die letzten Besitzer der Herrschaft<br />
Friedberg-Scheer. Das Städtchen könnte - so<br />
wird vermutet - Unterbezirks-Mittelpunkt eines Teils<br />
des Scherra-Gaus gewesen sein. Es gehörte später den<br />
Tübinger Pfalzgrafen, weshalb deren Herrenberger Nebenlinie<br />
»die Scheerer« hießen. Die Montfort zogen<br />
dann ein und sie verkauften Scheer und die Grafschaft<br />
Friedberg (Friedberg ist ein Dorf zwischen Mengen und<br />
Saulgau) anno 1290 an Habsburg; Österreich verkaufte<br />
wieder weiter an die Sonnenberger, und jedermann<br />
kennt ja die berühmte Mordgeschichte des Felix von<br />
Werdenberg zu Sigmaringen an dem Andreas von Sonnenberg<br />
zu Scheer, an die das steinerne Eingangsbild<br />
über dem Sigmaringer Schloßportal erinnert. 1786 kam<br />
die Grafschaft an Thum und Taxis, das Schloß Scheer<br />
gehört heute der Witwe des früheren Mitglieds des Geschichtsvereins,<br />
Dr. Erich Schneider-Leyer.<br />
In der Anlage erinnert Scheer sehr an Veringenstadt:<br />
hier wie dort ein Bergsporn, von einem Fluß umflossen,<br />
mit wehrhafter Burg und unten zwischen Felsen und<br />
Fluß hineingedrängt die kleine Stadt. Scheer war mit<br />
rund 900 Einwohnern übrigens am Ende des Alten Reiches<br />
die kleinste Reichsfürstenstadt überhaupt. Der Wehr-<br />
Charakter ist unübersehbar, dem jede andere Rücksicht<br />
geopfert wurde, man betrachte nur das kalte, schattige<br />
Gewinkel der zusammengepferchten Häuser direkt unter<br />
dem Schloß. Dieses selber ist eines der schönsten dreigiebeligen<br />
spätgotischen Häuser dieser Art. Der Zweck ist<br />
klar: zusammen mit dem Schlößchen Bartelstein auf der<br />
anderen Donauseite wirkte es wie ein Sperrfort an der<br />
Donau. — Der vor wenigen Jahren verstorbene Dr.<br />
Schneider-Leyer, weltweit bekannter Hundefachmann,<br />
dessen Bücher sogar in Japan übersetzt und gedruckt<br />
werden, hat zusammen mit seiner Frau jahrelang in eigener<br />
Arbeit das riesige Schloß zum Teil instand gesetzt.<br />
Mehr noch: den Rittersaal stellt die Familie Scheerer
Vereinen bei Festen zur Verfügung. Bei der Restaurierung<br />
kamen schöne, versteckte Details zum Vorschein<br />
aus verschiedenen Jahrhunderten: ein hölzerner Türbogen<br />
der Gotik, bemalte französische Tapeten, Wappen,<br />
Holzsäulen. - Zum Schloß gehört eine Art barockes<br />
Dienst-Wohnhaus, in dem Schillers Sohn Karl eine Zeitlang<br />
als Forstmann amtierte. Eduard Mörikes Bruder<br />
war etwa zur gleichen Zeit Rentamtmann der Thum<br />
und Taxis und wurde von seinem Dichterbruder 1828<br />
und 29 besucht, der hier einige seiner schönsten Gedichte<br />
geschrieben haben soll.<br />
Das berühmteste freilich, was Scheer aufzuweisen hat,<br />
sind die goldenen Kopf-Reliquien der Geschwister Wunibald,<br />
Willibald und Walpurgis. Sie sollen zum Besten<br />
gehören, was es aus karolingischer (?) Zeit an Goldschmiedearbeiten<br />
gibt, und sie werden jährlich am 1. Mai<br />
in Prozession durch die Stadt getragen. Alle drei Geschwister<br />
waren Mitarbeiter des heiligen Bonifatius, der<br />
der Vetter der drei war, also alles Engländer. Wunibald<br />
JOHANN ADAM KRAUS<br />
Vom Dreschen einst und jetzt<br />
Im Buch des Propheten Isaias, der ums Jahr 740 vor<br />
Christus schrieb, ist im Kapitel 41,15 die bildliche Rede<br />
von einem Dreschschlitten, der mit scharfen und schneidenden<br />
Kufen die Hügel zu Streu zermahlt. Diese werde<br />
man gegen den Wind werfen, der die schwer niederfallenden<br />
Körner von den leicht verfliegenden Hülsen<br />
trennt: eine uralte Art des Dreschens. Bei uns redet man<br />
beim Korn (Vesen oder Dinkel) von »Spruier und Keanna<br />
(Körnern), beim Haber aber von Healba. Ähnliche<br />
Dreschsitten finden sich noch heute bei primitiven Völkern<br />
in Missionsländern. Die Schlitten werden von Menschen<br />
oder Tieren auf dem ausgebreiteten Getreide hin<br />
und her gezogen und drücken die Körner von den Halmen.<br />
Ähnlich hat man noch in unserer Jugend das Korn<br />
(Vesen) durch die hin und hergezogenen schweren und<br />
mit tiefen Längsrillen versehenen Eisenwalzen von dem<br />
Stroh befreit. Die Körner wurden anschließend mittels<br />
handgetriebene Säuber- oder Putzmühlen mit Windrädchen<br />
gereinigt. Noch vor der genannten Walze bei größeren<br />
Bauern war das Dreschen mit dem Dreschpflegel<br />
allgemein üblich: in melodischem Dreier- oder gar Sechsertakt,<br />
je nach eigenen oder gemieteten Teilnehmern,<br />
hörte man fast ins Frühjahr hinein den Klang der Drescher<br />
aus den Scheuertoren. Die Flegel bzw. »Pflegel«<br />
bestanden aus dem langen handgerechten Stiel, an dessen<br />
oberem Ende ein schweres Schlagholz mittels Riemen am<br />
Pflegelhaupt befestigt war. Sowohl beim Handdreschen<br />
als beim »Walzen« mußten die auseinandergelegten Garben<br />
mehrmals gedreht und aufgeschüttelt werden, daß<br />
die begehrten Körner herausfielen. Vesenkörner ohne<br />
Hüllen, letztere Spreuer genannt, heißt man Kernen.<br />
Das gerade gebliebene ungebrochene Stroh hieß Schaub.<br />
Der Schaub von Roggen wurde um 1900 noch in Ringingen<br />
zu einem Strohdach verwendet, sonst meist zur<br />
Verlängerung der (Holz-) Wieden zum Garben- und<br />
Reisigbinden verwendet, oder zu Streu im Stall mittels<br />
einer zwischen zwei Balken befestigten Sense (Seages)<br />
klein geschnitten. Das Wort Dreschen bedeutet ursprünglich<br />
übrigens nicht schlagen oder klopfen, sondern »treten«.<br />
Man ließ nämlich seit uralter Zeit auch die Körner<br />
durch Menschen oder Tiere vom Stroh wegtreten. In<br />
ist 701 in Wessex geboren und gründete das Kloster am<br />
Hahnenkamm bei Heidenheim in Bayern, wo er auch<br />
begraben liegt. Willibald war der erste Bischof von Eichstätt,<br />
und Walburga, deren Tag der l.Mai ist, lebt in<br />
der Walpurgisnacht fort. Der Zusammenhang mit dieser<br />
Hexennacht ist aber - jedenfalls mir - nicht klar. Die<br />
wundervollen romanischen Köpfe jedenfalls nehmen jeden<br />
gefangen, der sie zum erstenmal sieht. Wie sie nach<br />
Scheer kamen, ist eine eigene Geschichte: aus einem nicht<br />
bekannten Grund fühlte sich der Truchseß Christoph,<br />
der Scheer in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts innehatte,<br />
dem heiligen Wunibald verbunden und bat den<br />
Markgrafen von Ansbach um die Überlassung eben dieser<br />
Büste. Der Markgraf, dessen Haus lutherisch geworden<br />
war, schien seinerseits kein großes Interesse an den<br />
Reliquien gehabt zu haben und schenkte alle drei nach<br />
Scheer. Daher kommt es, daß seither so auffallend viele<br />
Buben in Scheer Wunibald heißen; es gibt heute noch einige<br />
davon.<br />
meiner Jugend war noch das »Tretten« üblich neben den<br />
andern Drescharten. Über die dicht auf der Tenne ausgelegten<br />
geöffneten Garben jagte man das noch nüchterne<br />
Vieh im Kreis herum zum Abtreten der Körner. Daher<br />
kommt auch der Bibelspruch: Einem dreschenden Ochsen<br />
sollst Du das Maul nicht verbinden. Tretten war besonders<br />
beliebt zur schnellen Gewinnung von Saatfrucht,<br />
wenn man nicht gerade »baußen« wollte. Beim letzterem<br />
schlug man (baußen-bossen, vgl. Amboß) mit dem Pfleger<br />
nur kurz an ungeöffneten, vom Barn auf den »Schuirtenna«<br />
herabgeworfene Garben die Ähren ab. Beim<br />
Tretten mußte für Notfälle, d. h. um etwaige Zugaben<br />
aus dem Darm der Tiere abzufangen, immer ein handliches<br />
Kübele bereitstehen.<br />
Dann kamen Maschinen in Mode, erst mit Hand- dann<br />
mit Göpelantrieb. Der Name des letzteren scheint der<br />
des Erfinders zu sein. Im Kreis laufende Tiere setzten<br />
ein Räderwerk in Bewegung, das mittels Riemen oder<br />
Transmission auf die Dreschmaschine übertragen wurde.<br />
Ums Jahr 1910 kamen bei uns durch die Gebrüder Dorn<br />
vom Weiler Haid die mit Dampfkraft getriebene fahrbare<br />
große Dreschmaschine auf, die in einem Zug drosch<br />
und säuberte, aber die ganze Nachbarschaft oder Verwandtschaft<br />
mit in Anspruch nahm, und in 1-2 Tagen<br />
bei ungeheurer Staubentwicklung in der Scheuer die<br />
Ernte eines mittleren oder größeren Bauern erledigte.<br />
Für uns Kinder war der qualmende Dampfkessel vor<br />
dem Haus, die »Dampfede« (man nannte das Ganze<br />
auch »Dampfen«, statt dreschen), ein höchst interessanter<br />
Gegenstand. Einmal erzeugten fliegende Funken<br />
dann noch zum Überfluß einen Scheunenbrand in der<br />
»Sonne«. Vielerorts, besonders im Badischen hat man<br />
diese Dreschmaschinen unter offenen Schuppen aufgestellt,<br />
wo aber die Witterung auch große Schwierigkeiten<br />
bereiten konnte bei Kälte und Sturm. Als ab 1914 die<br />
Elektrizität aufkam, schafften im Lauf der Jahre die<br />
größeren Bauern eigene kleine Dreschmaschinen an, bei<br />
denen man sich je nach Arbeits- und Wetterlage mehr<br />
Zeit lassen konnte.<br />
Erst durch die Mähdrescher nach dem zweiten Weltkrieg<br />
kam eine grundlegende Änderung: Man schnitt und sor-<br />
47
Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> Geschiehtsverein<br />
Karlstr. 3, 7480 Sigmaringen<br />
W <strong>3828</strong> FX<br />
Postvertriebsstück. Gebühr bezahlt.<br />
tierte das Getreide nun direkt auf dem Acker. Ist die<br />
Ernte im Unterland beendet, so ziehen die Inhaber dieser<br />
Mähdrescher auch auf die hohe Alb zur Arbeit und unterstützen<br />
seitdem die auch dort eingebürgerten bei der<br />
naturbedingten späteren Ernte. Der Scheuerstaub, dieser<br />
tückische Feind des Landwirts, ist damit fast ausgeschaltet<br />
und 2-3 Männer leisten mithilfe der Maschine die<br />
ganze Erntearbeit, ähnlich wie bei der Heu- und Oehmd-<br />
Ergänzungen zu Simmri und Kratten<br />
Im Bericht des letzten Heftes Seite 32 scheinen zwei verschiedene<br />
Dinge verwechselt zu sein. Ein Simmri ist niemals<br />
ein Kratten oder Korb. Auf der Alb bedeutet Krätten<br />
die Mehrzahlform von Kratten, dem das lateinische<br />
crates (nicht cratus!) zugrunde liegt, in der Bedeutung<br />
„Geflecht". Die anfragende Frau aus der Tübinger Gegend<br />
meinte einen Krätten bzw. Kratten mit Fassungsvermögen<br />
eines Simmri. Dieses ist niemals aus Ruten<br />
oder schwilkenen Weiden geflochten, da es für Getreide<br />
völlig unbrauchbar wäre, weil nicht dicht! Es wird vielmehr<br />
aus einem sehr dünn gehobelten frischen Holzbrett<br />
zu einer Trommel oder kleinen Tonne zusammengebogen<br />
mit Boden versehen und verleimt, auch an den Rändern<br />
mittels Eisenblech verstärkt und hat über der Öffnung<br />
oben einen eisernen Steg, der als Handhabe dient. Die<br />
Burladinger „Meßmacher" waren somit beileibe keine<br />
Krattenmacher. Mit „Meß" war ein Hohlmaß, mit<br />
„Maß" aber ein Längenmaß gemeint, wie das Ringinger<br />
Fleckenbüchle von 1530 ausdrücklich sagt (Mitt. Hohz.<br />
HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />
hrsggbn. vom Hohenz. Geschichtsverein.<br />
Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat«<br />
ist eine <strong>heimat</strong>kundliche Zeitschrift. Sie<br />
will besonders die Bevölkerung in Hohenzollern<br />
und der angrenzenden Landesteile<br />
mit der Geschichte ihrer Heimat vertraut<br />
machen. Sie bringt neben fachhistorischen<br />
auch populär gehaltene Beiträge.<br />
Bezungspreis: 6,00 DM jährlich.<br />
Konten der »Hohenzollerischen Heimat«:<br />
802 507 Hohenz. Landesbank Sigmaringen<br />
123 63-707 Postscheckamt Stuttgart<br />
Die Autoren dieser Nummer:<br />
Jakob Bizer, Oberlehrer a. D.<br />
7411 Trochtelfingen-Mägerkingen<br />
Karl Werner Steim, Redakteur<br />
Dürerstraße 5, 7481 Bingen 1<br />
Josef Mühlebach, Landesverw.-Rat a. D.<br />
Leopoldstraße 41, 7480 Sigmaringen<br />
Walther trick, Journalist<br />
Hohe Tannen 4, 7480 Sigmaringen<br />
Druck: M. Liehners Hofbuchdruckerei Joh. Adam Kraus, Erzb. Archivar i. R.<br />
KG, 7480 Sigmaringen, Karlstraße 10. Badstraße 8, 7800 Freiburg<br />
48<br />
ernte, wo die neu entwickelten Ladewägen, Heuwender<br />
usf. einen schnellen Umschwung brachten. Freilich, die<br />
naturgemäß damit herbeigeführten soziologischen Folgen<br />
dieser Entwicklung von der Familienarbeit zur Arbeit einiger<br />
Wenigen sind noch nicht abzusehen. Man denke<br />
nur an die Entwurzelung der Landjugend, die schon mit<br />
der Fortnahme in auswärtige Schulen (auch der Erstkläßler!)<br />
ihren Anfang nimmt.<br />
1924). Der Inhalt eines Simmri und der übrigen Maße,<br />
auch Längenmaße früherer Zeit, waren je nach Landstrich<br />
verschieden, wie im „Hohenzollerischen Jahresheft"<br />
1936, 120-179 und Nachtrag daselbst 1962,<br />
228-230 ausführlich dargetan ist („Ehemalige Maße<br />
und Gewichte in Hohenzollern und Umgebung"). Seit<br />
der Neuordnung und Vereinheitlichung des Maßwesens<br />
um 1870 schufen die Burladinger Meßmacher ihr Viertel<br />
oder Simmri mit 20 Liter, vorher faßte es im Zollerischen<br />
23,27 Liter. Auf einfachste Weise hat Meßmacher<br />
Heim in der Burladinger Pfarrgasse um 1934 durch einen<br />
schräg vom oberen Rand zum entgegengesetzen Boden<br />
gesteckten Stab den Inhalt kontrolliert bzw. justifiziert,<br />
da ja damals kein Eichzwang mehr bestand, die<br />
Simmri aber beim Fruchtmessen sehr beliebt blieben. Das<br />
Gewicht des Inhalts eines Simmri oder Viertels ließ nach<br />
mit dem natürlichen Feuchtigkeitsschwund („die Frucht<br />
schweint") des gelagerten Getreides, entsprechend auch<br />
das eines Scheffelsackes mit acht Simmri. Kr.<br />
Schriftleitung:<br />
Dr. med. Herbert Burkarth,<br />
7487 Gammertingen (Telefon 07574/2329)<br />
Redaktionsausschuß:<br />
Walther Frick, Journalist,<br />
Hohe Tannen 4, 7480 Sigmaringen<br />
(Telefon (07571/8341)<br />
Manfred Hermann, Pfarrer,<br />
7451 Neufra/Hohenz. (Tel. 07574/442)<br />
Die mit Namen versehenen Artikel geben<br />
die persönliche Meinung der Verfasser<br />
wieder; diese zeichnen für den Inhalt der<br />
Beiträge verantwortlich. Mitteilungen der<br />
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Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />
werden an die Adresse des Schriftleiters<br />
oder Redaktionsausschusses erbeten.<br />
Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />
Heimat« weiter zu empfehlen.
HOHENZOLLERISCHE<br />
HEIMAT<br />
Herausgegeben oom<br />
W <strong>3828</strong> FX<br />
Hohenzollerlfchen Gefchlchteoercln<br />
29. Jahrgang Nr. 4/Dezember 1979<br />
»Anbetung der Hirten«, Relief vom Hochaltar der Schloßkirche Haigerloch. Der Hochaltar wurde im Jahre 1609<br />
geweiht. Er gehörte zu jener Gruppe reicher architektonischer Altarbauten, als deren glänzendste Vertreter der<br />
Hochaltar zu Überlingen und die Choraltäre zu St. Ulrich in Augsburg gelten. Das Relief der Anbetung der Hirten<br />
befindet sich im Hochaltar auf bau zwischen den Heiligen Christophorus und Sebastian. Es ist voll Leben und Bewegung<br />
und von packendem Realismus. Leider ist der Künstler nicht bekannt. Mehrere Plastiken des Hochaltars<br />
stammen aber von Virgilius Moll.<br />
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# Eine gesegnete Weihnacht und, ein gutes neues Jahr 0<br />
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I wünscht ihren Lesern die „Hohenzollerische Heimat" J<br />
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WILHELM HAASE<br />
100 Jahre Landgericht Hechingen<br />
Am 1. Oktober 1879, also vor 100 Jahren, traten die sogenannten<br />
»Reichsjustizgesetze«, u. a. das Gerichtsverfassungsgesetz,<br />
die Zivilprozeßordnung und die Strafprozeßordnung,<br />
in Kraft. Mit ihnen schuf sich das damals<br />
junge Deutsche Reich eine einheitliche Gerichtsorganisation<br />
und ein einheitliches Verfahren in bürgerlichen<br />
Rechtsstreitigkeiten und in Strafsachen. Die Einführung<br />
eines das ganze Reichsgebiet umfassenden Strafrechts<br />
war 1872 vorausgegangen. Das einheitliche Bürgerliche<br />
Recht sollte ab 1. Januar 1900 folgen. Seit dem 1. Oktober<br />
1879 gibt es in Hechingen ein »Landgericht« und ein<br />
»Amtsgericht« unter diesen Bezeichnungen. Im folgenden<br />
soll der Versuch unternommen werden, Vorgeschichte<br />
und Geschichte des Landgerichts Hechingen auf<br />
dem Hintergrund der staatsrechtlichen Entwicklung<br />
nachzuzeichnen.<br />
Trennung von Justiz und Verwaltung<br />
Das Revolutionsjahr 1848 brachte mit der damals publizierten<br />
Landesverfassung 1 des Fürstentums Hohenzollern-Hechingen<br />
den Anfang einer Entwicklung, die sich<br />
in der Bundesrepublik Deutschland erst in der zweiten<br />
Hälfte unseres Jahrhunderts vollendet hat: Die Trennung<br />
von Justiz und Verwaltung und die Unabhängigkeit<br />
der Richter. In der Höchsten Verfügung vom<br />
14. Juli 1848 heißt 2 es:<br />
»Seine Hochfürstliche Durchlaucht haben durch Höchstes<br />
Reskript vom 13. dieses gnädigst angeordnet, daß<br />
die zugesicherte Trennung der Justiz von der Verwaltung<br />
nunmehr vollzogen werde und daher die Errichtung<br />
eines Oberamtsgerichts als Justizbehörde und eines<br />
Oberamts als Verwaltungsbehörde beschlossen.«<br />
Der Justizrat Werner wurde unter Beibehaltung dieses<br />
Titels zum Oberamtsrichter in Hechingen ernannt. Weitere<br />
Richter wurden berufen. Man muß also davon ausgehen,<br />
daß sie die ersten mit richterlicher Unabhängigkeit<br />
ausgestatteten Richter in Hechingen waren. Denn<br />
§ 20 der Landesverfassung für Hohenzollern-Hechingen<br />
vom 16. Mai 1848 3 besagte:<br />
»Kein Staatsdiener, der ein Richteramt bekleidet, kann<br />
aus irgend einer Ursache ohne richterliches Erkenntnis<br />
seiner Stellung entsetzt, entlassen oder auf eine geringere<br />
Dienststelle versetzt werden.«<br />
Ein Fürstliches Appellationsgericht, bei dem aber die<br />
Trennung von Justiz und Verwaltung noch nicht vollzogen<br />
war, bestand in Hechingen weiter 4 . Gericht der 3.<br />
Instanz war damals nach einem schon älteren Staatsvertrag<br />
5 das Königlich Württembergische Obertribunal in<br />
Stuttgart.<br />
Diese Verhältnisse sollten sich jedoch bald ändern. Wurden<br />
doch schon im März 1850 die beiden Hohenzollernschen<br />
Fürstentümer aufgrund Vertrages vom Dezember<br />
1849 6 mit dem Königreich Preußen vereinigt und die<br />
Preußische Staatsverfassung in den neuen Landesteilen<br />
eingeführt 7 . Das bisherige »Fürstliche Oberamtsgericht«<br />
nannte sich von da ab »Königliches Oberamtsgericht«.<br />
»Königliches Oberamtsgericht«-<br />
Von dieser Äußerlichkeit abgesehen, mußte es der preußische<br />
Staat als seine Aufgabe ansehen, die Verhältnisse<br />
in Hohenzollern den preußischen unter Beachtung der<br />
hiesigen Gegebenheiten anzupassen. So wurden schon im<br />
Juli 1850 8 das Preußische Appellationsgericht in Arnsberg<br />
(Westfalen) in gewissem Umfange in Zivilsachen<br />
50<br />
zum Gericht 2. Instanz, das Preußische Obertribunal in<br />
Berlin zum Gericht 3. Instanz für die »Hohenzollerischen<br />
Lande«, wie die amtliche Bezeichnung damals lautete,<br />
bestellt. Das Appellationsgericht in Hechingen bestand<br />
indes daneben bis zum 31. Dezember 1851 weiter.<br />
Am 1. Januar 1852 9 trat nämlich in Hohenzollern die<br />
Gerichtsorganisation in Kraft, wie sie Preußen seit dem<br />
1. April 1848 hatte, freilich mit einigen, die besondere<br />
Lage Hohenzollerns berücksichtigenden Abänderungen.<br />
Aus dem Oberamtsgericht Hechingen wurde das Kreisgericht<br />
Hechingen. Dies war jedoch bedeutend mehr, als<br />
nur der Austausch einer Bezeichnung. Die frühere Residenz<br />
Hechingen wurde Sitz dieser das ganze <strong>hohenzollerische</strong>-Gebiet<br />
umfassenden Gerichtsbehörde. So fand man<br />
einen Ausgleich dafür, daß die frühere Residenz Sigmaringen<br />
das Regierungspräsidium erhielt. Schon damals<br />
war der Sitz einer Staatsbehörde für eine Stadt eine bedeutende<br />
Sache.<br />
Zum ersten Kreisgerichtsdirektor in Hechingen wurde<br />
der Kreisgerichtsrat Fischer aus Coesfeld in Westfalen<br />
berufen, der dieses Amt bis zum Beginn seines Ruhestandes<br />
im Jahre 1869 versehen hat. Im Dezember 1851 wies<br />
ihn das Preußische Justizministerium an 10 :<br />
». . . Sie haben sich angesichts dieses nach den Hohenzollernschen<br />
Landen hinzubegeben, um, womit Sie hiermit<br />
zugleich beauftragt werden, die nötigen Vorbereitungen<br />
zu der am 1. Januar k. J. durch Sie zu bewirkenden Installierung<br />
der Gerichtsbehörden schleunigst zu treffen.«<br />
Im übrigen wurden »in den Hohenzollernschen Landen<br />
vorgefundene Beamte« dem Kreisgericht bzw. den Kreisgerichtsbehörden<br />
zugewiesen, darunter der bereits erwähnte<br />
Justizrat Werner aus Hechingen. Der neue<br />
Kreisgerichtsdirektor muß für damalige Verhältnisse (die<br />
Bahn erreichte Hechingen erst viel später) schnell gereist<br />
sein, der vom Justizministerium im Sommer 1851 nach<br />
Hechingen zu diesem Zweck entsandte Staatsanwalt<br />
Gieseke aus Potsdam gute Vorarbeit geleistet haben.<br />
Denn nach einer am 27. Dezember 1851 veröffentlichten<br />
Bekanntmachung 11 des Kreisgerichtsdirektors Fischer bestand<br />
das Kreisgericht für die Hohenzollernschen Lande<br />
aus<br />
»1.) dem Kreisgerichtskollegium zu Hechingen<br />
2.) aus folgenden, von dem Kreisgerichte ressortierenden<br />
Kommissionen<br />
a) einem Einzelrichter zu Gammertingen<br />
b) einem Einzelrichter zu Wald<br />
c) zweien Einzelrichtern zu Sigmaringen.«<br />
Hofgericht Sigmaringen aufgehoben<br />
Damit entfiel u. a. auch das bisherige Hofgericht zu Sigmaringen.<br />
Zu dem unmittelbaren Kreisgerichtsbezirk gehörten<br />
die Oberamtsbezirke Hechingen, Haigerloch und<br />
Glatt, ferner aus dem Oberamt Trochtelfingen die Ortschaften<br />
Salmendingen, Melchingen und Ringingen. Für<br />
verschiedene Orte war die Abhaltung von Gerichtstagen<br />
vorgesehen. Bürgernähe war also schon damals gefragt.<br />
Man denke auch an die damaligen, mit den heutigen<br />
nicht vergleichbaren Verkehrsverhältnissen. Insgesamt<br />
wohnten in den Hohenzollernschen Landen und damit<br />
im gesamten Bezirk des Kreisgerichts damals rund<br />
67 000 Seelen 12 .<br />
An dieser Einteilung ist auffällig, daß es für das gesamte<br />
Unterland des früheren Fürstentums Hohenzollern-Sigmaringen<br />
nur das Kreisgerichtskollegium in Hechingen
als Gericht gab. Die insbesondere in Glatt und Haigerloch<br />
vorgesehenen Gerichtstage boten keinen ausreichenden<br />
Ersatz dafür, daß es bislang in beiden Orten eigene<br />
Justizämter gegeben hatte. Vorstellungen führten dann<br />
auch dazu, daß bereits am 1. September 1854 13 sowohl in<br />
Haigerloch als auch in Glatt Gerichtskommissionen mit<br />
Einzelrichtern eingesetzt wurden. Da sich auch Sigmaringen,<br />
wie man heute sagen würde, »unterrepräsentiert«<br />
fühlte, gab es vom gleichen Zeitpunkt ab in dieser früheren<br />
Residenz eine »beständige kollegialische Gerichtsdeputation«<br />
mit nahezu voller Zuständigkeit eines Kreisgerichts.<br />
Man sieht also, daß König, Regierung und Parlament<br />
in Preußen anpassungsfähig genug waren, um eigene<br />
frühere Entscheidungen zu korrigieren und die besonderen<br />
Gegebenheiten des weit entfernt liegenden Hohenzollerns<br />
zu berücksichtigen.<br />
Organisation<br />
Ein kurzes Wort über die uns heute eigenartig anmutende<br />
Organisation des damaligen Preußischen Kreisgerichts<br />
scheint angebracht zu sein 14 . Bei den Kreisgerichten handelte<br />
es sich um kollegiale, in Abteilungen gegliederte<br />
Behörden in Verbindung mit Einzelrichtern. Wenn die<br />
Struktur eines Gerichtssprengeis es erforderte, sah das<br />
Gesetz die Möglichkeit vor, Bezirksrichter oder Gerichtskommissionen<br />
(z. B. Haigerloch, Gammertingen),<br />
ggf. sogar kollegiale Gerichtsdeputationen (z. B. Sigmaringen)<br />
an anderen Orten des Gerichtssprengeis einzurichten.<br />
Sie sind vergleichbar etwa dem, was wir heute<br />
als Zweigstelle eines Gerichts zu bezeichnen pflegen, wobei<br />
die Zweigstelle allerdings unterschiedliche Struktur<br />
und Zuständigkeiten (Einzelrichter oder Kollegium) haben<br />
konnte. Das Kreisgericht hatte Zivil-, Strafsachen<br />
und Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit zu<br />
behandeln. Für das Kreisgericht Hechingen galt - offensichtlich<br />
wegen der weiten Entfernung zum Appellationsgericht<br />
Arnsberg -, daß das Kreisgerichtskollegium<br />
in gewissem Umfange an die Stelle des Appellationsgerichts<br />
in Arnsberg trat. Die für Strafsachen 2. Instanz<br />
gebildete besondere Abteilung des Kreisgerichts Hechingen<br />
konnte nicht entscheiden, wenn nicht wenigstens 5<br />
Mitglieder anwesend waren 15 . Wir haben also die Eigentümlichkeit<br />
zu verzeichnen, daß ein Urteil des Kreisgerichts<br />
Hechingen im Rechtsmittelzug wiederum an das<br />
Kreisgericht Hechingen (natürlich in anderer Besetzung<br />
der Richterbank) gelangen konnte. Ein Umstand, der<br />
unseren heutigen Vorstellungen nicht mehr entspricht.<br />
Für die Veröffentlichungen des Kreisgerichts (z. B.<br />
Zwangsversteigerungen, Entmündigungen, für die man<br />
damals freilich andere Bezeichnungen hatte) gab es im<br />
Jahre 1852 ein von der Ribler'schen Hofbuchdruckerei<br />
gedrucktes » Amtsblatt für das Königliche Kreisgericht<br />
und Oberamt zu Böbingen«.<br />
Das Kreisgericht \rr zunächst im Dikasterialgebäude<br />
(griechisch: Dikastenon = Gerichtshof) in der früheren<br />
Schrannenstraße, jei-t Kaufhausstraße, in Hechingen<br />
untergebracht. An der Sv-.we des inzwischen abgerissenen<br />
Gebäudes befindet sich heute ein Parkplatz. Das<br />
Schwurgericht tagte zunächst im Koller'schen Badehaus.<br />
Im Jahre 1876 konnte dann der Neubau in der Heiligkreuzstraße<br />
bezogen werden (vgl. hierzu Hohenzollerische<br />
Zeitung vom 9. 8. 1979), der heute noch der - freilich<br />
inzwischen längst nicht mehr ausreichende - Sitz<br />
der Hechinger Justiz ist. Die Durchsicht alter Akten<br />
vermittelt die auch für heutige Behördenleiter im gewisen<br />
Sinne tröstliche Erkenntnis, daß die Sorge um Personal<br />
und Ausstattung (z, B. Räume, Bibliothek) ständige<br />
Begleiterin des neuen Kreisgerichtsdirektors war.<br />
Landgericht gebildet<br />
Die Umgestaltung der politischen und staatlichen Verhältnisse<br />
durch die Gründung des Deutschen Kaiserreiches<br />
im Jahre 1871 führte dann zur Vereinheitlichung<br />
des Gerichtswesens im ganzen Reiche. Das umfangreiche,<br />
vor 100 Jahren in Kraft getretene Gesetzgebungswerk<br />
brachte nicht nur die Umbildung des Kreisgerichts in das<br />
heutige Landgericht, sondern machte auch aus den bisherigen<br />
unselbständigen Gerichtskommissionen und aus der<br />
bisherigen unselbständigen Gerichtsdeputation zwar der<br />
Dienstaufsicht des nunmehrigen Landgerichtspräsidenten<br />
unterstehende, aber organisatorisch gelöste, also selbständige<br />
Gerichte, nämlich die Amtsgerichte. Für den Landgerichtsbezirk<br />
Hechingen waren dies die Amtsgerichte<br />
Gammertingen, Haigerloch, Hechingen, Sigmaringen<br />
und Wald. Die Gerichtsbehörde in Glatt ging ein. Die<br />
Amtsgerichte Gammertingen und Wald wurden im Jahre<br />
1932 Opfer von Sparmaßnahmen und aufgehoben lc . Die<br />
Geschichte des Amtsgerichts Hechingen beginnt also am<br />
1. 10. 1879. Seither gibt es auch beim Amtsgericht ein<br />
51
Schöffengericht in Hechingen. Das Landgericht war damals<br />
mit einem Präsidenten, einem Direktor und 6 Richtern<br />
besetzt, während das Amtsgericht 3 Richter hatte.<br />
Der für die ordentliche Gerichtsbarkeit gültige vierstufige<br />
Aufbau in Amtsgerichte, Landgerichte, Oberlandesgerichte<br />
und Reichsgericht ist seitdem im Gebiet der Bundesrepublik<br />
Deutschland unverändert geblieben. Lediglich<br />
trat an die Stelle des 1945 eingegangenen Reichsgerichts<br />
in Leipzig im Jahre 1950 der Bundesgerichtshof in<br />
Karlsruhe. Das für den Landgerichtsbezirk Hechingen<br />
zuständige Oberlandesgericht war ab 1. Oktober 1879 in<br />
der 1866 preußisch gewordenen früheren Reichsstadt<br />
Frankfurt/Main zu finden, die immerhin näher zu Hechingen<br />
als Arnsberg liegt.<br />
Als ein für die Rechtspflege epochales Ereignis, wie es<br />
sich uns heute darstellt, hat man die Einführung der<br />
Reichsjustizgesetze damals in Hechingen wohl nicht<br />
empfunden. Schließlich hatte es in den vorangegangenen<br />
30 Jahren manche Änderung auf dem Gebiete der<br />
Rechtspflege gegeben und war Hechingen als Gerichtssitz<br />
erhalten worden! So befaßte sich die Presse mehr<br />
mit Einzelheiten. Es wird z. B. hervorgehoben, daß die<br />
neue Zivilprozeßordnung »oft ungeheuerliche Kunstausdrücke«<br />
abschafft. Man brauche z. B. nicht mehr »civiliter<br />
zu prozessieren«, sondern werde künftig eine »bürgerliche<br />
Rechtsstreitigkeit« anhängig machen. Auch werde<br />
die Klage dem Beklagten nicht mehr »insinuiert«,<br />
sondern »zugestellt«. Eine Pfändung durch den neugeschaffenen<br />
Gerichtsvollzieher werde »sich in Zukunft<br />
nicht in der früheren gemütlichen Art und Weise abmachen<br />
lassen.« Es gebe Grund für den Schuldner, »nach<br />
ergangenem Urteil die Befriedigung des Gläubigers tunlichst<br />
bald zu bewirken.« »Zahlen muß er schließlich<br />
doch, deshalb zahle er möglichst rasch.« Ob sich der<br />
letzte Satz wohl immer bewahrheitet hat?! Zum Verständnis<br />
sei hinzugefügt, daß »Exekutionen«, also<br />
Zwangsvollstreckungen, bis dahin Sache der Gemeindebehörden<br />
waren.<br />
Amtsgerichtsbezirke<br />
Wenn sich auch die Gerichtsstruktur selbst bei uns in den<br />
letzten 100 Jahren erhalten hat, so verdeutlicht dem<br />
heutigen Betrachter der Inhalt der an sich nur Äußerlichkeiten<br />
regelnden Bestimmungen der Jahre 1878 und<br />
1879 über die Bildung der Gerichte und Gerichtsbezirke<br />
im Königreich Preußen die seitherigen großen politischen<br />
Veränderungen. Allein die Verordnung über die Bildung<br />
der Amtsgerichtsbezirke umfaßt in der Gesetzessammlung<br />
171 Seiten. Damals gab es preußische Oberlandesgerichte<br />
in Königsberg, Marienwerder, Berlin, Stettin,<br />
Posen, Breslau, Naumburg, Kiel, Celle, Hamm, Kassel,<br />
Frankfurt/Main und Köln. Diese einer Verordnung vom<br />
Juli 1879 17 entnommene Reihenfolge verdeutlicht das<br />
damals in seinen östlichen Provinzen liegende Schwergewicht<br />
des preußischen Staates. So war auch auf Wandflächen<br />
im Treppenhaus des heutigen Landgerichtsgebäudes<br />
in Hechingen früher neben der Burg Hohenzollern<br />
das Schloß zu Königsberg abgebildet. Daraus ergibt sich<br />
weiter, welche Möglichkeiten sich den Einwohnern Hohenzollerns<br />
durch die Aufnahme in den großen preußischen<br />
Staatsverband boten. Zum Oberlandesgerichtsbezirk<br />
Frankfurt gehörten damals außer dem Landgerichtsbezirk<br />
Hechingen die Landgerichtsbezirke Frankfurt,<br />
Limburg a. d. Lahn, Neuwied und Wiesbaden.<br />
Manchem älteren Hohenzollern mögen diese Namen<br />
noch in den Ohren klingen. Die verwaltungsmäßige Unterstellung<br />
des Landgerichtsbezirks Hechingen unter den<br />
Oberlandesgerichtsbezirk Frankfurt endete erst im Dritten<br />
Reich.<br />
52<br />
Erster Landgerichtspräsident in Hechingen wurde der<br />
bisherige Kreisgerichtsdirektor und spätere Geheime<br />
Oberjustizrat Evelt. Er genoß über sein richterliches<br />
Amt hinaus im öffentlichen Leben, z. B. als Abgeordneter<br />
in Reichstag und Landtag großes Ansehen und wurde<br />
Ehrenbürger der Stadt Hechingen. Seinen Namen trägt<br />
bis heute eine in unmittelbarer Nähe des Landgerichtsgebäudes<br />
liegende Straße.<br />
Ausdehnung auf den Bezirk Balingen<br />
Die nächste für das Landgericht Hechingen und die Einwohnerschaft<br />
einschneidende größere Veränderung ergab<br />
sich durch den Gerichtsgemeinschaftsvertrag zwischen<br />
Preußen und Württemberg des Jahres 1922 18 . Ab 1. April<br />
1923 bestellte er das Preußische Landgericht Hechingen<br />
zum Landgericht für den württembergischen Landgerichtsbezirk<br />
Balingen und das Württembergische Oberlandesgericht<br />
Stuttgart zum Oberlandesgericht für den<br />
preußischen Landgerichtsbezirk Hechingen. Ein großer<br />
Schritt zur Vereinfachung der Rechtspflege und damit<br />
zur Erleichterung für den Bürger war getan! Mancherlei,<br />
bis ins einzelne gehende Reglung, wurde für notwendig<br />
gehalten. So waren die Stelle eines Oberlandesgerichtsrats<br />
in Stuttgart auf Vorschlag des Preußischen Justizministeriums<br />
und die folgenden Stellen beim Landgericht<br />
Hechingen auf Vorschlag des Württembergischen Justizministeriums<br />
zu besetzen: Ein Landgerichtsdirektor, ein<br />
Landgerichtsrat, ein Staatsanwaltschaftsrat, ein Justizobersekretär,<br />
ein Kanzleibeamter und ein Justizwachtmeister.<br />
Als unmittelbare Folge des genannten Vertrages<br />
wurde beim Landgericht Hechingen der Plan der Errichtung<br />
einer Kammer für Handelssachen verwirklicht.<br />
Ganz unangefochten blieb dieser Vertrag freilich nicht.<br />
In einem damals in den Hohenzollernschen Blättern veröffentlichten<br />
Leserbrief kommt deutlich die Befürchtung<br />
zum Ausdruck, der Vertrag werde der erste Schritt zur<br />
Einverleibung Hohenzollerns in Württemberg sein! Diese<br />
»Befürchtung« sollte sich freilich erst im Jahre 1945 erfüllen!<br />
Mit dem Einmarsch französischer Truppen im Jahre<br />
1945 endete zunächst die Tätigkeit des Landgerichts Hechingen<br />
(Plakatanschlag vom 5. 5. 1945), bis es am<br />
25. 10. 1945 seine Tätigkeit wieder aufnehmen konnte 19 .<br />
Die Besatzungsrechtliche und später staatsrechtliche<br />
Neugliederung (Gründung des Landes Württemberg-Hohenzollern)<br />
ließ Mitte des Jahres 1946 die Errichtung eines<br />
Oberlandesgerichts Tübingen angezeigt erscheinen,<br />
dem der Landgerichtsbezirk Hechingen zugeordnet wurde<br />
20 . Der Gründung des Bundeslandes Baden-Württemberg<br />
folgten am 1. Juli 1953 die Auflösung des Oberlandesgerichts<br />
Tübingen und die Rückkehr des Landgerichtsbezirks<br />
Hechingen in den Bezirk des Oberlandesgerichts<br />
Stuttgart 21 .<br />
Veränderungen nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
Auch bezüglich der dem Landgericht Hechingen nachgeordneten<br />
Amtsgerichte ergaben sich nach Kriegsende -<br />
teilweise nicht unerhebliche - Veränderungen. Nach<br />
Wiedereröffnung der Gerichte fungierten folgende Amtsgerichte:<br />
Balingen mit Zweigstelle Ebingen, Hechingen<br />
mit Zweigstelle Haigerloch und Sigmaringen mit Zweigstelle<br />
Gammertingen. Im Jahre 1951 wurden die Zweigstellen<br />
Ebingen und Haigerloch selbständige Amtsgerichte<br />
22 .<br />
Die Gemeinde- und Kreisreform zu Beginn dieses Jahrzehnts<br />
schloß eine Änderung der Gerichtsbezirke in sich.<br />
So wurde das Amtsgericht Haigerloch als sogenanntes<br />
»Ein-Mann-Gericht« (Gericht mit nur einem Amtsrichter)<br />
am 1. Juli 1974 aufgehoben, wobei die Gemeinden
seines Bezirks auf die Amtsgerichtsbezirke Balingen,<br />
Horb und Oberndorf aufgeteilt wurden 23 . Hier und an<br />
anderen Stellen verlor der Landgerichtsbezirk Hechingen<br />
Gemeinden an benachbarte Landgerichtsbezirke. Andererseits<br />
wurde ein Teil der Gemeinden der damals ebenfalls<br />
aufgelösten (badischen) Amtsgerichte Meßkirch und<br />
Pfuilendorf, darunter die Städte Meßkirch und Pfullendorf<br />
selbst, den Amtsgerichtsbezirken Ebingen (jetzt<br />
Albstadt) und Sigmaringen eingegliedert und damit dem<br />
Landgerichtsbezirk Hechingen zugeteilt.<br />
Somit erstreckt sich der Landgerichtsbezirk Hechingen<br />
mit (im Jahr 1978) rund 246 000 Gerichtseingesessenen<br />
heute auf Rechtsgebiete früheren Hohenzollerischen,<br />
Preußischen, Württembergischen und Badischen Rechts.<br />
Eine Kuriosität, die - wenn auch natürlich in abnehmendem<br />
Umfang - noch hin und wieder von aktueller<br />
rechtlicher Bedeutsamkeit ist.<br />
In den letzten 100 Jahren sind die Reichsjustizgesetze<br />
selbstverständlich in vielerlei Hinsicht und sehr häufig<br />
geändert worden. Ihre Grundstruktur jedoch, zu der<br />
auch der viergliedrige Aufbau der Gerichte der ordentlichen<br />
Gerichtsbarkeit (Amtsgericht - Landgericht -<br />
Oberlandesgericht - Bundesgerichtshof) gehört, ist bisher<br />
erhalten geblieben. Weitere Reformbestrebungen hat<br />
es gegeben und gibt es. Besonders erwog man, Amtsgericht<br />
und Landgericht zu einem (erstinstanzlichen) Gericht<br />
zusammenzufassen. Dieser Gedanke ist sicherlich<br />
noch nicht endgültig aufgegeben worden. Es ist hier<br />
nicht die Stelle, Vorteile und Nachteile einer solchen Regelung<br />
gegeneinander abzuwägen. Mit Sicherheit läßt<br />
sich sagen, daß seine Verwirklichung der Stadt Hechingen<br />
einen weiteren »Zentralitätsverlust« bringen würde.<br />
Eigenheiten und Entwicklungen<br />
Die Geschichte des Landgerichts Hechingen und seiner<br />
Vorgänger zeigt Eigenheiten und Entwicklungen, wie sie<br />
die Mehrzahl aller sonstigen Landgerichte kaum kennen<br />
dürfte. Sie beruhen darauf, daß die Hohenzollerischen<br />
Fürstentümer nach Einwohnerzahl und Gebietsumfang<br />
sehr klein, daß sie nach Eingliederung in Preußen zwar<br />
Teil einer deutschen und europäischen Großmacht geworden,<br />
aber als Exklave sehr weit vom übrigen Staatsgebiet<br />
entfernt waren. Eine den sich verstärkenden An-<br />
HANS PETER MÜLLER<br />
Berthold Auerbadi und Hechingen<br />
Berthold Auerbach wurde am 28. 2. 1812 in Nordstetten<br />
bei Horb als Kind eines jüdischen Kaufmannes geboren.<br />
Nach dem Besuch der Talmudschule in Hechingen studierte<br />
er in Tübingen, München und Heidelberg. In<br />
Bonn faßte er 1840, nach dem Tode seines Vaters, den<br />
Plan zu einer Reihe von Dorfgeschichten, die er in den<br />
darauffolgenden Jahren in Mainz niederschrieb. Die<br />
1843 erschienenen „Schwarzwälder Dorfgeschichten"<br />
fanden weite Verbreitung und begründeten Auerbachs literarischen<br />
Ruhm. Bis 1854 folgten drei weitere Bände<br />
Dorfgeschichten. Auerbachs unstetes Wanderleben führte<br />
ihn seit 1844 in mehrere Städte Norddeutschlands. Nach<br />
seiner 2. Ehe ließ er sich 1849 in Leipzig nieder und lebte<br />
seit 1859 in Berlin. Von seinen späteren Werken sind<br />
die Erzählung „Barfüßele" (1854) und der Roman „Auf<br />
der Höhe" (1865) die bekanntesten. Am 8. 2. 1882, wenige<br />
Tage vor seinem 70. Geburtstag, ist Auerbach in<br />
Cannes gestorben. Seinem Wunsch gemäß wurde er auf<br />
dem Nordstetter Judenfriedhof begraben.<br />
forderungen genügende Rechtspflege, zu der auch ein Instanzenzug<br />
gehört, ließ sich daher nur mit Hilfe des benachbarten<br />
Württemberg verwirklichen. Die Voraussetzungen<br />
für eine nicht mehr auf Staatsverträgen beruhende<br />
Änderung ergaben sich erst, als sich im Jahre 1935<br />
beispielsweise die am Albtrauf zwischen Boll und Onstmettingen<br />
verlaufende oder die die heutige Bundesstraße<br />
27 kreuzende Grenze zwischen Sickingen und Bodelshausen<br />
von Staatsgrenzen in bloße Verwaltungsgrenzen<br />
verwandelten.<br />
Abkürzungen und Anmerkungen<br />
Ges.S. = Preußische Gesetzessammlung, StAS = Akten des<br />
Staatsarchivs Sigmaringen, VO = Verordnung, VOB1. Ho-He =<br />
Verordnungs- und Anzeigeblatt für das Fürstentum Hohenzollern-Hechingen,<br />
VOB1. Reg. He = Verordnungs- und<br />
Anzeigeblatt der königlich preußischen Regierung zu Hechingen.<br />
1<br />
VOB1. Ho-He 1848 S. 205.<br />
2<br />
a. a. O. S. 263.<br />
3<br />
a. a. O. S. 206.<br />
4<br />
StAS Ho 235 A Nr. I 320 /104.<br />
5<br />
vom Mai 1825 StAS Ho 6 Nr. 329-330.<br />
6<br />
Ges.S. 1850 S. 289, 295.<br />
7<br />
VOB1. Reg. He 1850 S. 3.<br />
8<br />
VO vom 4. 7. 1850 (Ges.S. S. 347).<br />
9<br />
Gesetz vom 30. 4. 1851 (Ges.S. S. 188), VO vom 2. 1. 1849<br />
(Ges.S. S. 1).<br />
10<br />
StAS Ho 235 A Nr. I 319, Nr. I 320, insbesondere H8.<br />
11<br />
VOB1. Reg. He 1851 S. 551.<br />
12<br />
StAS Ho 235 A Nr. I 320 /165 ff., 150, 155, 156.<br />
13<br />
Amtsblatt der kgl. preußischen Regierung zu Sigmaringen<br />
1854 S. 282.<br />
14<br />
VO vom 2. 1. 1849 (Ges.S. S. 1).<br />
15<br />
§ 4 des Gesetzes vom 30. 4. 1851 (Ges.S. S. 188/189).<br />
16<br />
Ges.S. 1932 S. 253.<br />
17<br />
VO vom 5. 7. 1879 (Ges.S. S. 393).<br />
18<br />
Gesetz vom 12. 3. 1923 (Ges.S. S. 60).<br />
19<br />
Nachrichtenblatt des Kreises Hechingen vom 26. 10. 1945.<br />
20<br />
Amtsblatt des Staatssekretariats für das französisch besetzte<br />
Gebiet Württembergs und Hohenzollerns 1946 S. 77, 92.<br />
21<br />
Gesetz vom 27.4. 1953 (Gesetzblatt für Baden-Württemberg<br />
S. 31).<br />
22<br />
Gesetz vom 17. 10. 1951 (Regierungsblatt für das Land<br />
Württemberg-Hohenzollern S. 107).<br />
23<br />
Gesetzblatt für Baden-Württemberg 1974 S. 25.<br />
Im Spätsommer des Jahres 1881, während einer Kur in<br />
Bad Niedernau, begann der damals 69jährige Berthold<br />
Auerbach mit der Niederschrift seiner Lebensgeschichte.<br />
Von den vier geplanten Bänden kam aber nur der erste<br />
über die Kindheit in Nordstetten zur Ausführung, ehe<br />
der Tod dem Dichter am 8. Februar 1882 die Feder aus<br />
der Hand nahm Der 2. Band mit dem Titel »Der Talmudschüler«<br />
sollte den Aufenthalt in der Hechinger Talmudschule<br />
von 1825 bis 1827 umfassen. Was uns die Beschreibung<br />
der Hechinger Zeit gebracht hätte, läßt das<br />
Schlußkapitel des 1. Erinnerungsbandes erahnen, das die<br />
Reise des damals 13jährigen nach Hechingen schildert: 2<br />
»Mein Bruder Maier kutschierte, ich saß neben ihm, hinter<br />
uns mein Vater und der Lehrer. Wir fuhren nicht<br />
über Mühringen, sondern über Empfingen. Mein Bruder<br />
vermied den Ort Mühringen, denn dort in dem Hause<br />
nicht weit von der Eyachbrücke lebte seine ehemalige<br />
Braut, die, wie es hieß, ihn noch liebte, obgleich sie sich<br />
bald entschlossen, sich mit ihres Nachbars Sohn, dem Ladenbesitzer<br />
Bietigheimer, zu verloben.<br />
53
Wir fuhren die Friedrichstadt vorüber, ich hörte, daß da<br />
nur Juden wohnen. Das erschien mir als ein wahres Paradies.<br />
Keinem Spott und keinem Haß ausgesetzt, unter<br />
lauter Juden wohnen, wie herrlich muß das sein. Wir<br />
kehrten in der unteren Stadt beim Rößle ein und verzehrten<br />
die mitgebrachten Fleischspeisen. Wir gingen<br />
bald nach der oberen Stadt am Schlosse vorüber, wo eine<br />
Wache stand, auf der anderen Seite war ein unausgebauter<br />
Schloßflügel, dessen Fenster mit Brettern verstellt<br />
waren. Auch hier wurden wir im Vorübergehen begrüßt,<br />
an der Ecke wohnte der Kaufmann, dessen Frau eine<br />
Schwester von Samuel Roihschild in Nordstetten war.<br />
Und weiter stand auf den steinernen Stufen seines Hauses<br />
der Moses Neuwied, genannt Bacher, und grüßte meinen<br />
Vater als alten Freund und Verwandten, und da<br />
hörte ich, daß man die Frau des Reb Nate das Schmusgitele<br />
nannte.<br />
Wir gingen nach dem Beth-Hamidrasch, es liegt ganz<br />
abseits an der Straße und bildet eine Sackgasse, über der<br />
Tür war in Stein gehauen die Jahrzahl seiner Errichtung.<br />
Reb Nate war ein behaglicher kleiner Mann mit einem<br />
Spitzbart am Kinn, den er beständig durch die Hand<br />
zog. Er sprach nicht viel, desto mehr aber seine Frau,<br />
eine zierliche, bewegliche Erscheinung mit Eidechsenaugen.<br />
Ich hörte, daß mein Vater die Pensionsbedingungen<br />
noch nicht fest geordnet hatte, es wurde vorgehalten,<br />
daß ein Enkel des Kiefe von Baisingen viel höhere Pension<br />
bezahle, und mein Vater versprach noch halbjährlich<br />
zwei Malter Korn dreinzugeben.<br />
Ein Kalfaktor des Hauses, der eine Art Diener und religiöser<br />
Verehrer war, zeigte uns die Wohnung. Auf der<br />
Rückseite des Hauses war eine glasgedeckte Veranda, aus<br />
der man den fürstlichen Garten sah, es wurde aber sofort<br />
bemerkt, daß man den fürstlichen Garten nie betreten<br />
dürfe. Auf der Veranda stand ein Mann, über und<br />
über mit dem schmutzigen weißen Betmantel bedeckt,<br />
und sah uns blöde aus seinem verkümmerten, mit weißen<br />
Stoppeln bedeckten Gesichte an, nickte und betete weiter,<br />
indem er sich auf und nieder beugte. Der Kalfaktor<br />
erklärte uns, der Mann hieße Jule, sei ein Bruder des<br />
Reb Nate, ein furchtsamer, stiller Wahnsinniger, der niemand<br />
was zuleide tue, das ganze Jahr die Gebete des<br />
Versöhnungstags spreche und vom Morgen bis in die<br />
Nacht faste, nur manchmal gehe er aus, um in das Zahlenlotto<br />
zu setzen. Mir war angst und bange vor dem<br />
Mann, obgleich er sich nicht um uns kümmerte.<br />
Ich sah auch Mitschüler, besonders den vierschrötigen<br />
Maier Hilb von Haigerloch, er versprach meinem Bruder,<br />
ein Auge auf mich zu haben, und er hat es redlich<br />
gehalten, denn von all den guten Sachen, die mir meine<br />
Mutter später schickte, hat er den größten Teil verzehrt.<br />
Ich durfte noch bei den Meinigen im Rößle übernachten,<br />
und wir waren noch sehr munter. Mein Vater sang noch<br />
dem Lehrer und dem Bruder eine neue Melodie vor, die<br />
er am Laubhüttenfest setzen wolle. Diese Melodie ist mir<br />
für mein ganzes Leben zu einer besonderen Herzbewegung<br />
im Gedächtnis. Ich habe erst viel später erfahren,<br />
woher sie stammt. Sie war aus dem Duette aus Titus von<br />
Mozart auf die Worte gesetzt: Laß Glück und Schmerz<br />
uns teilen. Am Morgen beteten wir noch gemeinsam,<br />
nachdem wir die Gebetriemen angelegt hatten, und nach<br />
dem Frühstück, es gab hier ein wunderschönes Weißbrot,<br />
gingen wir gemeinsam nach der oberen Stadt, uns voran<br />
der Hausknecht, der meinen Koffer trug.<br />
Wir kamen in das Beth-Hamidrasch. Die alte Polakin,<br />
die im Erdgeschosse wohnte, begrüßte uns im Hausflur.<br />
Mein Bruder Maier schenkte ihr eine Gabe, wofür sie<br />
uns Glück und Segen wünschte. Wir gingen die Treppe<br />
hinan, und nun wurde mir mein Zimmer angewiesen, in<br />
54<br />
dem mein Bett stand. Ich saß auf meinem Koffer, während<br />
der Vater mit Bruder und Lehrer alles festmachten<br />
im anderen Zimmer mit dem Rabbi. Eine schöne Magd<br />
kam; sie sagte aber sofort, sie sei die Nichte des Rabbi,<br />
und fragte mich, ob ich auch Lesebücher in meinem Koffer<br />
habe, sie lese gerne Bücher, namentlich Romane. Ich<br />
wußte nicht, was Romane sind, und kannte nur Carl<br />
von Carlsberg über das menschliche Elend und den dritten<br />
Teil des Rinaldo Rinaldini, der im Dorfe kursierte.<br />
Mein Vater führte mich noch zu einem alten Kriegskameraden,<br />
der mit uns verwandt war. Ich hatte gehört,<br />
wie Bruder Maier Einspruch gegen diese Einführung erhob,<br />
er sprach dann leise und heftig, aber der Vater achtete<br />
nicht darauf. Von dem Manne wurde Wunderliches<br />
erzählt. Er hieß mit Namen Itzig Löb und bewohnte für<br />
sich allein das stattliche Eckhaus, wo er mehrere Dienstboten<br />
hielt und üppig lebte. Er lag den ganzen Tag auf<br />
einem türkischen Diwan, der aus lauter weichen Kissen<br />
bestand. Er trug einen goldgelben seidenen Schlafrock<br />
und dazu rote Saffianstiefel. Da lag er auf dem Diwan<br />
und las den ganzen Tag Romane. Neben dem Diwan<br />
hatte er eine große Fuhrmannspeitsche, die er von Zeit<br />
zu Zeit in die Hand nahm und damit knallte. Wenn die<br />
Herde am Abend in die Stadt zurückkehrte, legte er sich<br />
mit einer noch längeren Peitsche unter das Fenster und<br />
gab jedem vorübergehenden einen Schmitz. Dann ging er<br />
schön gekleidet nach dem Museum vor dem Tor der oberen<br />
Stadt, kegelte dort im Sommer mit den Honoratioren,<br />
wozu auch der Fürst gehörte. Im Winter spielte er<br />
mit derselben Gesellschaft Whist, bis ihn die Magd, ein<br />
schönes großes Mädchen, die Tochter des Hirten, abrief.<br />
Sie trug ihm eine breite Laterne voran, in der drei Lichter<br />
brannten. Man fabelte geheimnisvoll von den großen<br />
und verborgenen Reichtümern des Mannes. Er hatte eine<br />
einzige Tochter, die an den einzigen in Donaueschingen<br />
lebenden Juden verheiratet war.<br />
Itzig Löb hatte gar keine Gemeinschaft mit den Juden in<br />
Hechingen. Er besuchte nie eine Synagoge, und das einzige,<br />
woran man erkannte, daß er noch ein Jude war,<br />
abgesehen von seiner koscheren Wirtschaft, bestand darin,<br />
daß er am Versöhnungstage sich nicht am Fenster sehen<br />
ließ. Jeden Tag, so erzählte man mit einem gewissen<br />
Schauder, jeden Tag ging Itzig Löb in eine neben seinem<br />
Speisezimmer befindliche dunkle Kammer; dort wurde<br />
nie ein Fensterladen aufgemacht und nie durfte ein<br />
Dienstbote in das geheimnisvolle Gemach eintreten, so<br />
daß niemals drin gescheuert oder geputzt wurde.<br />
Ich hatte von allem diesem schon im Dorfe gehört, und<br />
als wir in das Haus eintraten, war mir's umsomehr, als<br />
käme ich leibhaftig in ein Märchen, da uns eine kleine,<br />
bucklige, weißhaarige Frau im Flur begrüßte und uns bei<br />
Namen nannte. Es war aber keine Zaubergestalt, sondern<br />
das Minkele von Mühringen, das selbstverständlich<br />
auch weitläufig mit uns verwandt war, früher bei uns<br />
gedient hatte und jetzt Köchin bei Itzig Löb war. Wir<br />
kamen in den großen Ecksaal im ersten Stock. Da lag<br />
der Vielgenannte im goldgelben Schlafrock auf dem<br />
Sofa. Vor ihm saß in einem Lehnstuhl eine üppige Frauengestalt.<br />
Er sagte ihr: Du kannst jetzt gehen. Sie ging<br />
ohne weiteres fort. Itzig Löb richtete sich auf, reichte<br />
meinem Vater die Hand, dann nahm er die Peitsche und<br />
knallte leise damit, während er mit meinem Vater<br />
Kriegserinnerungen austauschte, die ich nicht verstand.<br />
Als mein Vater mich ihm empfahl, sagte er: Du kannst<br />
jeden Freitag Abend bei mir essen; komm gleich heute.<br />
Kannst du auch so schön singen, wie dein Vater? Mein<br />
Vater bejahte für mich. Itzig Löb wollte nun, daß ich<br />
ihm gleich singe; aber mir war so bange, als wäre ich<br />
vom Elternhause verstoßen, in die weite Welt hinausge-
setzt. Wieder auf dem Hausflur, versprach das Minkele<br />
meinem Vater, auf mich acht zu geben, und die große<br />
Hirtentochter streichelte mir die Wangen und sagte: Du<br />
bist ein ganz hübscher Bub.<br />
Auf der Straße sagte mir mein Vater, daß er nicht mehr<br />
mit mir in das Beth-Hamidrasch zurückkehre, er habe<br />
dort schon Adieu gesagt und drunten im Rößle warteten<br />
der Bruder Maier und der Lehrer. Man müsse eilen, um<br />
noch zeitig heimzukommen. Mein Vater führte mich an<br />
der Hand die Steige hinab. Drunten am Rößle war das<br />
Pferd schon vorgespannt. Die Wartenden sagten ihm,<br />
man müsse eilen. Sie reichten mir kurz die Hand. Der<br />
Vater legte mir noch die Rechte auf den Kopf und<br />
benschte mich, dann fuhr er mir nach seiner Art mit der<br />
Hand über das Haar und sagte: ,Hab keinen Jammer;<br />
du hast ja selber gewollt.' - ,Und auf die Feiertage<br />
kannst du ja wieder heim', rief noch der Maier vom<br />
Bock, als der Vater aufstieg.<br />
Fort rollte das Bernerwägelein und wirbelte eine Staubwolke<br />
auf, ich rannte ihm nach. Dann stand ich still und<br />
sah der verfliegenden Staubwolke nach und weinte bitterlich.<br />
Ich fühlte es, ich war dem Elternhause, dem Heimatorte<br />
entrissen, ich war in der Fremde allein, meine<br />
Kindheit war dahin."<br />
Das Hechinger „Lehrhaus" war im Jahre 1803 gegründet<br />
worden aufgrund einer Stiftung des Hoflieferanten<br />
Raphael I. Kauila. Es war in einem alten Gebäude in der<br />
Oberstadt, der ehemaligen „Münz" untergebracht. Nach<br />
dem Übergang Hohenzollerns an Preußen im Jahre 1850<br />
wurde die Hechinger Talmudschule aufgehoben.<br />
Auerbach hat während seiner Studentenzeit in Tübingen<br />
(1832/33) die <strong>hohenzollerische</strong> Residenzstadt wiederbesucht<br />
und ein letztes Mal im Jahre 1873 während einer<br />
Kur in Bad Imnau.<br />
Im Völkskalender von 1863 veröffentlichte Auerbach<br />
ein „Gespräch" mit dem Titel „Hechingen und Florenz".<br />
Angespielt wird darin auf das gemeinsame Schicksal der<br />
beiden ehemaligen Residenzstädte, die nur noch „werkeltägige<br />
Provinzialstädte" waren. Doch hätten sich die<br />
Hechinger leichter damit abgefunden, keine „Residenzler"<br />
mehr zu sein: 3<br />
JOHANN ADAM KRAUS<br />
Bildschnitzer Josef Rifesser und Hohenzollern<br />
Die 1890-1895 in Ringingen angeschafften neun Heiligenfiguren<br />
(Guter Hirt, Martin, Gallus, Madonna, Josef,<br />
Anna, Sebastian, Lorenz, Barbara) der drei Altäre, die<br />
laut Pfarrchronik des Pfarrers Engelb. Schon vom Hechinger<br />
Bildhauer Fidelis Schäfer erstellt wurden, stammen<br />
nicht von letzterem, (wohl auch nicht die Altarentwürfe)<br />
sondern aus der Werkstatt des damals weitbekannten<br />
Bildhauers Josef Rifesser aus St. Ulrich im Grödener<br />
Tal (Tirol). Den älteren Ringingern hatten die bisherigen<br />
barocken Altäre besser gefallen, als die neuen<br />
»aus Kistenbrittle«, wie sie sagten. Die Figuren standen<br />
jeweils in einzelnen Häuslein, die Pfarrer K. Heinzelmann<br />
im J. 1958 wieder entfernen und den Hochaltar<br />
mittels des gotischen »Schächerkreuzes« von ca. 1500 erstellen<br />
ließ. Zu diesem schuf Bildhauer Volk-Jungnau<br />
nach alten Sigmaringer Vorbildern die Begleitfiguren<br />
Maria und Johannes als Stiftung eines gebürtigen Ringingers.<br />
Mir fiel vor Jahren einmal in einem <strong>hohenzollerische</strong>n<br />
Pfarrhaus ein um 1890 erschienener bebildertet Katalog<br />
der Werkstätte aus St. Ulrich in die Hand, der eine Un-<br />
„Die Hechinger wie die ganzen hohenzollernschen Lande<br />
haben's verwunden, daß sie nichts Besonderes mehr für<br />
sich sind; sie bleiben Schwaben, behalten das, was man<br />
Stammeseigenschaft nennt, und sind schon fast stolz darauf,<br />
schwäbische Preußen zu sein, oder besse, schwäbische<br />
Deutsche."<br />
Damals in den 60er Jahren suchte Auerbach in Berlin<br />
und Düsseldorf Kontakt zum Fürsten Karl Anton von<br />
Hohenzollern, dem damaligen preußischen Ministerpräsidenten.<br />
Ein jahrelanger Briefwechsel zeugt von der<br />
Freundschaft zwischen dem Dichter und dem Fürsten 4 .<br />
Als Auerbach im Spätsommer 1873 zur Kur in Bad Imnau<br />
weilte, unternahm er einen Ausflug nach Hechingen.<br />
Über diese „Erinnerungswallfahrt" schrieb er am 21. August<br />
an seinen Freund Jakob Auerbach: 5<br />
„Ich fuhr gestern mit Jeannette im offenen Wagen nach<br />
Hechingen. Ich hatte diesen Weg seit dem Jahre 1827<br />
nicht mehr gesehen und doch kannte ich noch Alles; nur<br />
schien mir der Ausblick auf die rauhe Alb viel schöner.<br />
Vierzig Jahre sind es, seit ich in Hechingen war, von<br />
Tübingen aus als Student, und ich kannte noch jedes<br />
Haus und wußte, wer darin gewohnt hat. Ich ging durch<br />
die Judengasse, hielt mich lange bei der Witwe Reichenberger<br />
auf und habe viel, unsäglich viel Altes neu belebt.<br />
Ich ging in die Synagoge, ich begrüßte viel Nachkommen<br />
alter Bekannten, und endlich suchte ich das ,Lehrhaus'<br />
auf, wo ich anderthalb Jahre in Klausur gelebt<br />
habe. Es ist jetzt eine Baumwollspinnerei darin. Da, wo<br />
ich geschlafen hatte, ist jetzt eine Maschine aufgestellt,<br />
und in unserm Studierzimmer drehen sich die Spindeln."<br />
Anmerkungen:<br />
1<br />
A. Bettelheim, Der Nachlaß Berthold Auerbachs, in: Deutsche<br />
und Franzosen, Wien 1895, S. 203.<br />
2<br />
Zitiert nach: A. Bettelheim,<br />
1907, S. 37-40.<br />
Berthold Auerbach, Stuttgart<br />
3<br />
Deutsche Illustrierte Volksbücher, 2. Bd., Karlsruhe 1881,<br />
S. 285 f.<br />
4<br />
K. Th. Zingeler, Karl Anton von Hohenzollern und Berthold<br />
Auerbach, in: Deutsche Revue (1910), 2. Bd.,<br />
S. 309-328.<br />
5<br />
Berthold Auerbach, Briefe an seinen Freund Jakob Auer-<br />
bach, 2. Bd., Frankfurt 1884, Nr. 486.<br />
menge von Heiligenstatuen aller Gattungen und eine<br />
große Anzahl neuromanischer und neugotischer und anderer<br />
Altäre enthielt, unter denen man mühelos die Ringinger<br />
Altäre und Figuren herausfinden konnte. Inzwischen<br />
sah ich auch in vielen (auch nicht<strong>hohenzollerische</strong>n)<br />
Kirchen ähnliche Altäre und Statuen, die entweder<br />
von Rifesser (mit seinen gut 20 Gesellen und Lehrlingen!)<br />
stammten, oder mindestens von seiner Werkstatt<br />
beeinfluß sind. Auch die Statuen der Seitenaltäre von<br />
Steinhilben haben sehr große Ähnlichkeit mit denen Rifessers.<br />
Es wäre eine reizende Aufgabe für einen jungen<br />
Heimatfreund, die Einzelnachweise hierfür beizubringen.<br />
Leider nahm man sich um 1900 oft nicht die Zeit, um<br />
die Nachweise in der Pfarrchronik oder im Archiv zu<br />
deponieren, und wenn dann später ein Interessent den<br />
Vorgängen nachgehen will, findet er meist so gut wie<br />
nichts mehr vor. Die Altäre und Statuen um 1900 sind<br />
zudem nicht für würdig befunden worden, im »Denkmälerwerk<br />
Hohenzollerns« genannt zu werden und sind so<br />
der modernen Verschleuderung und Wegschaffung leicht<br />
ausgesetzt. Was die neue sogenannte moderne Kunst al-<br />
55
lerdings an die Stelle solcher immerhin würdiger Werke<br />
zu setzen vermag, oft - wie man vor allem im Badischen<br />
beobachten kann - eine beklagenswerte Mißgeburt,<br />
die voraussichtlich kein halbes Jahrhundert überleben<br />
wird. An die frommen und würdigen Werke Rifessers<br />
reicht das Moderne bei weitem nicht heran.<br />
Übrigens lebte vor etwa 20 Jahren (und wohl noch<br />
jetzt) in St. Ulrich ein jüngerer hochbegabter Schnitzer<br />
Josef Rifesser, der wohl ein Enkel des Meisters von 1890<br />
sein mochte. Er bzw. eine seiner neugeschnitzten Statuen<br />
»Maria mit der Traube« stand damals im Mittelpunkt<br />
eines Antiquitätenskandals. Er hatte diese neue in gotischem<br />
Stil gefertigte Holzstatue ahnungslos einem<br />
Händler verkauft, der sie als Altertum um ein Sünden-<br />
CASIMIR BUMILLER<br />
Die Familie Hospach im Killertal<br />
Der kürzlich in der Hohenzollerischen Heimat 1978,<br />
Nr. 2, erschienene Beitrag »Hans Hospach - ein vergessener<br />
Prophet aus dem Killertal« hat mich daran erinnert,<br />
daß sich in meinen Notizen zu früheren Forschungen<br />
- quasi als Abfallprodukte - einige Belege zum<br />
Familiennamen Hospach befinden. Mit diesen und weiteren<br />
im Domänenarchiv und Staatsarchiv Sigmaringen<br />
gefundenen Nachweisen möchte ich versuchen, die frühe<br />
Geschichte der Familie Hospach nachzuzeichnen. Zugleich<br />
kann ich damit die Möglichkeiten und Grenzen<br />
der Genealogie für die ländliche Bevölkerung im Mittelalter<br />
aufzeigen.<br />
Man kann sich im Mittelalter nicht auf Kirchenbücher<br />
berufen, die möglicherweise das Leben einer Person von<br />
der Geburt bis zum Tod belegen. Auch auf Urbare und<br />
verwandte Quellen, die in der frühen Neuzeit oft sehr<br />
genau die Generationsfolge von Familien nachbilden,<br />
kann man sich für die Grafschaft Zollern im Mittelalter<br />
nicht verlassen (es gibt hier nur das Bickelspergsche Lagerbuch<br />
von 1435). Also sind wir in der Familienforschung<br />
auf andere sehr verstreute Quellen wie Urkunden<br />
/fr. Hochspach7 © Auen (?) /N. Hochspach7 ocdie Schülerin<br />
1344 Schlatt ^1344 Schlatt,<br />
Hans Hochspach<br />
1439. 147Ö<br />
Bürger zu Hechingen<br />
Hans Hospach<br />
1473 Schlatt<br />
/N. iiochspach7<br />
Haintz Hochspach<br />
13Ö7. 1+33<br />
Schlatt<br />
Adelheid Hochspach<br />
1434 Killer<br />
(evtl. ident. mit "die<br />
Hochspachin zu Uinpinpen"<br />
Symon Hochspach es. 1U70)<br />
1466 (Jungiiigen)<br />
um 1470 Killer<br />
Heintz Hochspach Caspar Hochspach<br />
56<br />
1490 Schlatt 1466 (Jungingen,<br />
um 1?00 Vogt, Killer<br />
/<br />
Hans Hochspach cd i-largret<br />
1544 Killer_(Schrift steiler?)<br />
Hans Hochspach der jung oo Brigita Anna H.<br />
1544 Killer 1344 Killer<br />
Johans Hochspach<br />
1344 Killer<br />
Anna H.<br />
1544 Killer<br />
geld der Kunstabteilung des Dorotheums, der Staatlichen<br />
Wiener Leih- und Auktionsanstalt, veräußerte. Deren<br />
Direktor konnte zunächst mit keinem Mittel von der<br />
»Fälschung« überzeugt werden, auch nicht, als man ihm<br />
sagte, die Statue trage auf der Rückseite das Geheimzeichen<br />
des Schnitzers. Dieser erbot sich dann schließlich,<br />
ohne weitere Vorlagen mit freier Hand eine solche gotische<br />
Statue innerhalb weniger Stunden in Gegenwart<br />
von Sachverständigen zu schaffen. Er sollte zu diesem<br />
Zwecke extra nach Wien gerufen werden. Die fragliche<br />
Figur wurde aber dann doch als neues Werk Rifessers erwiesen<br />
und der so geschäftstüchtige Zwischenhändler<br />
wird seiner Bestrafung nicht entgangen sein.<br />
angewiesen, um vereinzelte und oft ungenaue Belege für<br />
Familiennamen zu gewinnen. Trotz dieser Arbeit, die einem<br />
Puzzle-Spiel gleicht, ist man zeitweilig über die Belegfülle<br />
überrascht: man findet mit etwas Phantasie häufig<br />
mehr und weiter zurück reichendes Material als man<br />
erwartet hätte. So komme ich zu folgender Belegreihe<br />
für den Familiennamen Hospach im späten Mittelalter<br />
und der frühen Neuzeit.<br />
1344 »die zwen Höhspach, nämlich Anen (?) und die<br />
Schülerin« (Urkunden des Dominikanerinnenklosters<br />
Stetten im Gnadental, 1268-1802, ihrem Inhalt<br />
nach dargeboten von Dr. Franz Haug und<br />
J. A. Kraus. Beilage zum Hohenz. Jahresheft 1955;<br />
(im folg. UDS)<br />
1387 Haintz Hochspach, Schlatt (DAH, HH U 578;<br />
UDS)<br />
1396 Hochspachen Wiesen (DAH 56, 339)<br />
1431 der Höhspach von Schlatt (StA Sig, Ho 1 - 1431<br />
Juli 22)<br />
1435 Haintz Hochspach (F. Herberhold: Das Bickelspergsche<br />
Lagerbuch der Grafschaft Zollern von<br />
1435. Sigmaringen 1941, S. 23)<br />
1435 der jung Hochspach (Das Bickelspergsche Lagerbuch,<br />
S. 23)<br />
1439 Hans Hochspach, Bürger zu Hechingen (StA Sig,<br />
Ho 1 - 1439 Mai 2)<br />
1449 Hans Hochspach (StA Sig, Ho 1 - 1449 Febr. 1)<br />
1454 Adelheid Hochspach (J. A. Kraus: Kirchliches aus<br />
dem Killertal, H. H. 1951 Nr. 4)<br />
1466 Symon und Caspar Hochspach, Jungingen<br />
(F. Staudacher: Das Heiligeneinkommen zu Jungingen<br />
1466. In: Hohz. Jahreshefte 1957)<br />
ca. 1470 - Symon Hochspach, Killer (Das Bickelspergsche<br />
Lagerbuch, S. 96)<br />
ca. 1470 die Hochspachin zu Ringingen (Das Bickelspergsche<br />
Lagerbuch, S. 96)<br />
1473 Hans Höspach, Schlatt (DAH 75, 334)<br />
1478 Hans Hochspach d. Ä., Bürger zu Hechingen (StA<br />
Sig, Ho 1 - 1478 März 2)<br />
1490 Heinz Hochspach, Schlatt (StA Sig, Ho 1-1490<br />
Dez. 11)<br />
nach 1500 Caspar Hochspach, »der alt Vogt«, Killer<br />
(Das Bickelspergsche Lagerbuch, S. 96)<br />
1544 1.) Hans Hochspach (zoll.) GD Margret (württ.);<br />
Killer Kinder: Johans und Anna (DAH Sig, Hagens<br />
Lagerbuch)<br />
2.) Hans Hochspach der jung OD Brigita (beide
zoll.) Kinder: Johans und Anna; Killer (DAH Sig,<br />
Hagens Lagerbuch)<br />
1564 Hans Hochspach, »Vogts Hans« aus Killer, autor<br />
des Buches »Ein Newer Luoginsland« (H. H. 1978,<br />
Nr. 2)<br />
Diese Serie von 19 Belegen (ich möchte jedoch keine<br />
Vollständigkeit behaupten) ist nur auf den ersten Blick<br />
überwältigend. Versucht man aus diesen Nachweisen<br />
eine Stammtafel für die Familie Hospach herzustellen,<br />
sieht man sich gleich vor größere Schwierigkeiten gestellt:<br />
Ist der Haintz Hochspach von 1435 noch dieselbe<br />
Person wie der von 1387 (dazwischen liegen immerhin<br />
48 Jahre)? Hier helfen uns auch die Belege von 1396<br />
und 1431 nicht, da dort keine klärenden Vornamen mitgeteilt<br />
werden. Leichter fällt die Gleichsetzung bei Hans<br />
Hochspach (1439 und 1478) durch die nähere Kennzeichnung<br />
als Bürger zu Hechingen. Schwierigkeiten, die<br />
bei den Einträgen von 1544 auftreten könnten, werden<br />
durch den Zusatz Hans Hochspach »der jung« unter 2.)<br />
ausgeräumt; aber welcher von den beiden ist der Schriftsteller<br />
von 1564? Hier hilft das Attribut »Vogts Hans«<br />
weiter: da Caspar Hochspach nach 1500 »der alt Vogt«<br />
genannt wird, könnte der unter 1.) genannte Hans unser<br />
Buchautor und sein Sohn Johans identisch mit dem unter<br />
2.) aufgeführten Hans Hochspach sein, der aber wiederum<br />
einen Sohn namens Johans hat.<br />
Bei den jeweils nur einmal belegten Gliedern der Familie<br />
ist natürlich eine eindeutige verwandtschaftliche Zuordnung<br />
noch viel schwieriger, so daß der genealogischen<br />
Deutung dieser Belegreihe von vornherein nur der Charakter<br />
eines Vorschlags zukommt. Die graphische Anordnung<br />
als Stammtafel macht allerdings die verwirrende<br />
Materialfülle übersichtlicher und kann der weiteren<br />
familiengeschichtlichen Forschung zunächst einmal als<br />
vorläufige Grundlage dienen.<br />
Den ersten Eintrag »die zwen Höhspach, nämlich Anen<br />
(?) und die Schülerin« (1344) deute ich so, daß es sich<br />
um die Ehefrauen zweier Hospach handelt, von denen<br />
die eine Anna heißt (allerdings ist sich auch Kraus bei<br />
der Lesung des Namens nicht sicher) und die andere von<br />
einem Schuler abstammt (dieser Eintrag ist zugleich der<br />
erste Beleg für die ebenfalls aus Schlatt stammende Familie<br />
Schuler). Da ich die Haintz Hochspach von 1387<br />
und 1435 als eine Person ansehe, muß ich zwischen ihn<br />
und die Frauen von 1344 noch einen erschlossenen, nicht<br />
nachgewiesenen [N. Hochspach] als Sohn der einen<br />
Hochspachin und Vater des Haintz Hochspach einfügen.<br />
Obwohl mir die Fragwürdigkeit dieser Konstruktion bewußt<br />
ist, möchte ich damit folgende Stammtafel der Familie<br />
Hospach zur Diskussion stellen.<br />
Die beiden 1466 genannten Symon und Caspar Hochspach<br />
brauchen, weil sie im Junginger Heiligeneinkommen<br />
verzeichnet sind, keine Junginger zu sein; sie können<br />
auch als Killemer in die benachbarte Heiligenpflege<br />
Abgaben gemacht haben, sofern sie deren Güter bearbeiteten.<br />
Daß ich den Symon zum Vater des Caspar Hochspach<br />
mache, beruht auf der Tatsache, daß Caspar in<br />
Bickelspergs Lagerbuch als Nachtrag G (nach 1500) an<br />
die Stelle des Symon Hochspach tritt, der für ca. 1470<br />
eingetragen ist.<br />
Was sich nach unseren Quellen zur Sozialgeschichte der<br />
untersuchten Familie sagen läßt, ist wenig und doch<br />
schon viel. Die Hospach waren wie alle ländlichen Familien<br />
Bauern: sie haben Äcker und Wiesen in Schlatt<br />
als Lehen, die teilweise von reichen Hechinger Bürgern<br />
herrühren (vor 1387 Teil eines Hofes von Dietz Bronber<br />
in Hechingen). Selbst Bürger einer Stadt zu werden,<br />
wird wegen lockender Privilegien und sozialen Auf-<br />
stiegschancen zum Ziel vieler Landbewohner. So ist es<br />
auch nicht verwunderlich, daß uns Hans Hochspach<br />
1439 und 1478 als Bürger zu Hechingen entgegentritt.<br />
Allerdings scheint die starke Landflucht des frühen<br />
15. Jahrhunderts und dadurch entstehende Konkurrenz<br />
in der Stadt Hechingen seinen Nachkommen keine Aussicht<br />
auf soziales Fortkommen geboten zu haben, so daß<br />
sie wieder zurück aufs Land gehen (Schlatt und Killer).<br />
Die Berührung mit dem städtischen Leben scheint jedoch<br />
den Standard und die soziale Stellung der Familie ausgebaut<br />
zu haben: Caspar Hochspach wird Vogt in Killer<br />
und vermutlich sein Sohn widmet sich sogar den Geheimwissenschaften<br />
und wird Schriftsteller.<br />
Noch einige Bemerkungen zu Hans Hochspach, dem Autor<br />
des 1564 erschienenen Buches »Ein Newer Luoginsland«.<br />
Dieses Werkchen, das Vorhersagen über die Weltereignisse<br />
bis 1613 unternimmt, weist den Verfasser vom<br />
Grundtenor als Anhänger der Lutherischen Lehre aus.<br />
Evtl. besteht hier ein Zusammenhang mit der Tatsache,<br />
daß Hochspachs Frau Margret württembergische Leibeigene<br />
war. Seine Schriftstellerei könnte auch darauf hinweisen,<br />
daß er studiert hätte und an der Universität mit<br />
der dort überall verbreiteten neuen Lehre bekannt geworden<br />
war. Allerdings konnte ich ihn nirgends auf den<br />
in Frage kommenden Universitäten entdecken, so daß<br />
seine Schreibkunst nur noch als autodidaktische Leistung<br />
erklärt werden kann. Allein - weder seine schriftstellerischen<br />
noch seine präcognitiven Fähigkeiten scheinen<br />
groß gewesen zu sein. Obwohl er nur für 47 Jahre Voraussagen<br />
machen will, traf nachträglich betrachtet keine<br />
zu. Hierin war er also wesentlich weniger glücklich als<br />
sein großer französischer Zeitgenosse Nostradamus<br />
(1505-1566), dessen 1555 veröffentlichte Prophezeiungen<br />
bis heute eine hohe »Trefferquote« aufweisen.<br />
Daß die Antiquare den Druckort »Erdpfort« als Erfurt<br />
mißverstehen, ist für Fachleute mehr als peinlich. Hans<br />
Hochspach steht selbstverständlich völlig in der Tradition<br />
der geheimwissenschaftlichen Schriften und ihrer<br />
ganzen Symbolik und Metaphorik. Da muß man den<br />
Namen »Erdpfort« eben wörtlich nehmen als Eingang in<br />
die Erde, die als Sinnbild für die große, alles gebärende<br />
Mutter steht, Zentrum aller Weisheit (sophia). »Erdfort«<br />
ist also sicher ein - allerdings beziehungsreicher -<br />
Deckname für den Druckort, wie Kraus richtig schreibt,<br />
und der dahinter stehende Symbolgehalt läßt sich in der<br />
gesamten magischen, alchimischen und astrologischen Literatur<br />
nachweisen, auch in der evangelisch-pietistisch<br />
beeinflußten, etwa noch im Roman »Die chymische<br />
Hochzeit Christiani Rosenkreutz« (1623) des später berühmten<br />
württembergischen Theologen Joh. Val. Andreae.<br />
Es läßt sich also über die Einordnung des Buches »Ein<br />
Newer Luoginsland« mehr aussagen als über die Person<br />
des Autors Hans Hochspach. Nur einige Rückschlüsse<br />
bleiben übrig. Wenn er tatsächlich der unter 1544 1.)<br />
Sohn des Caspar H. ist, muß er sein Buch in sehr hohem<br />
Alter veröffentlicht haben, denn in diesem Fall ist er<br />
lange vor 1500 geboren. Dies könnte dann eher für den<br />
unter 2.) genannten Hans Hochspach als unseren Autor<br />
sprechen; letztlich käme sogar dessen gleichnamiger<br />
Sohn als Verfasser des Buches in Frage. Das würde allerdings<br />
voraussetzen, daß ein Hans H. in Killer ebenfalls<br />
Vogt gewesen wäre, welcher Nachweis mir nicht gelungen<br />
ist. Mit dieser zweiten Möglichkeit ließe sich aber<br />
erklären, weshalb die Familie Hospach in der zweiten<br />
Hälfte des 16. Jahrhunderts nicht mehr zu finden ist (sie<br />
ist weder in Rammingens Lagerbuch von 1580 noch in<br />
Pfeffers Lagerbuch von 1598/99 verzeichnet). Der<br />
Schluß liegt nämlich nahe, daß der Autor mit seiner<br />
57
Schrift, die eher als Luterhisches Pamphlet denn als<br />
ernstzunehmende Prophezeiung zu verstehen ist, nicht<br />
länger im katholisch gebliebenen Hohenzollern weilen<br />
wollte und mit seiner ganzen Familie irgendwohin ins<br />
Württembergische verzogen ist.<br />
JOHANN ADAM KRAUS<br />
Namenrätsel: Katzenbeere und Micke<br />
A. Die um den Johannistag reifenden roten Gartenbeeren,<br />
die daher Johannesbeeren heißen (rubes rubrum),<br />
sind wohl allgemein bekannt. Weniger scheint dies mit<br />
der schwarzen Sorte (rubes nigrum) der Fall zu sein.<br />
Diese wird wegen des auffallenden Geruches von manchen<br />
gemieden, von andern mit Vorliebe gegessen oder<br />
zu Gsälz eingekocht oder auch zur Likörbereitung verwendet.<br />
Auf der <strong>hohenzollerische</strong>n Alb, z. B. in Ringingen<br />
(und wohl auch in der Umgebung), nennt man diese<br />
schwarzen Johannesbeeren merkwürdigerweise Katzebeeren.<br />
Jemand meinte wegwerfend und stark übertrieben, der<br />
Geruch gleiche dem von Katzendreck. Viele Jahre grübelte<br />
der Berichterstatter über diesen sonderbaren Namen,<br />
bis ein befreundeter Ruheständler, der sich mit<br />
Gartenbau und Französisch befaßt, dem Rätsel auf die<br />
Spur half. In unserem Nachbarland über dem Rhein<br />
heißt die Schwarze Johannesbeere und der daraus bereitete<br />
Likör nämlich cassis. Da das Schluß-S nicht ausgesprochen<br />
wird, bildeten unsere Vorfahren (ich weiß<br />
nicht wann; vielleicht kann dies ein Leser sagen?) die<br />
Wortform Kassi- oder Kassebeeren. Weil sie aber mit<br />
»Kasse« in diesem Zusammenhang nichts anzufangen<br />
wußten, wurde eben Katzenbeeren daraus.<br />
Wie das französiche Wort zu uns auf die Alb kam, wo<br />
man ja auch statt hochdeutschem Tunnel nur von Tunell<br />
(Ton auf dem e) redet, mögen Interessenten erforschen.<br />
Ein Anfrage in der Tageszeitung, wieweit wohl die<br />
Katzenbeere sonst bekannt sei, blieb ohne Echo.<br />
B. Ein ganz anderes Gebiet betrifft die Micke. Es handelt<br />
sich um die Bremse an den Fuhrwerken (natürlich<br />
nicht an Autos!). Die Bezeichnung ist sowohl im Schwäbischen,<br />
im Alemannischen um Freiburg, als auch im<br />
Kraichgau (Baden) und bis ins Allgäu, kurz im oberdeutschen<br />
Raum gebräuchlich. Sehr alt dürfte der Begriff<br />
kaum sein. In Ringingen sei die Micke um 1890<br />
aufgekommen. Noch um 1912 pflegten die Zigeuner ihre<br />
JOHANN ADAM KRAUS<br />
Zu Namen von Beeren und Früditen<br />
Manche Bezeichnungen der bekanntesten Beeren und<br />
Früchte benötigen keine Erklärung, so die einzelstehende<br />
Einbeere, die Moosbeere, die niedrig an der Erde wachsende<br />
Erdbeere, bei uns zu Aibber fortgebildet, eigentlich<br />
Aidbeere (vgl. Aidfall = Erdfall). Die Heidelbeere wuchs<br />
ursprünglich auf der Heide, heute meist im Wald. Die<br />
auf Bäumen zu findende rote Mehlbeere zeichnet sich<br />
aus durch ihren mehligen Inhalt. Die Kirsche oder Kriese<br />
entstand aus lateinischem ceresia, althochdeutsch Kirse.<br />
Die Schlehe, schwäb. Schlaia, hieß ahd (althochdeutsch)<br />
sleha, mhd siehe. Die Hagebutten (Hegen) setzen<br />
sich zusammen aus Hag und Butte oder Butzen, d. h.<br />
Kerngehäuse. Die gelbe Zipper kam aus Zypern, die<br />
58<br />
Heute sind Vertreter der alten Familie Hospach wieder<br />
(oder immer noch) in der alten Heimat ansässig. Kundige<br />
Leser, die über den Verbleib der Hospach zwischen<br />
dem 16. und 19. Jahrhundert Näheres wissen, möchte ich<br />
um entsprechende Hinweise bitten.<br />
damaligen armseligen Planwägen dadurch zu bremsen,<br />
daß sie von seitwärts einen Bengel ins Rad hielten, und<br />
damit sperrten. Bei schweren Holzfuhrwerken benutzte<br />
man in den steilabfallenden Staigen zusätzlich einen<br />
Radschuh, der »gretzte«, aber natürlich für Teerstraßen<br />
unmöglich war. Solche Wagen hatten manchmal auch<br />
hinten noch eine zusätzliche Micke für die Hinterräder.<br />
In der Freiburger Gegend kann man statt Micke auch<br />
Striicke (Streiche) hören, anderwärts Wicke. Nach<br />
Jos. K. Brechenmacher (schwäbische Sprachkunde 1925,<br />
S. 237) bedeute Micke im Mittelhochdeutschen ein kleines<br />
Brot (lat. mica). Der Mocke ist ein (Holz-)Brocken.<br />
Tatsächlich werden ja durch einen Mechanismus die beiden<br />
Micke-Köpfe gegen die Radfelgen gepreßt. Muck<br />
heißt mancherorts das stechende Insekt Bremse, bzw. die<br />
kleine Stechmücke. Als Zeitwort ist »zuomicka« und<br />
»aufmicka« gebräuchlich. Wer vorne hoch über dem Laiterbaum<br />
auf einem Brett saß, benutzte einen Holzstab,<br />
der vorn eine Öse besaß, mittels der man den Micketriebel<br />
zu- oder aufdrehen konnte: und den man Faulenzer<br />
nannte. Während Fischers »Schwäbisches Wörterbuch« in<br />
der Micke einen Holzbengel oder ein Gabelholz sieht,<br />
redet Brechenmacher a. a. O. von einem Sperrklotz, was<br />
dafür spreche, daß das Wort Micke mit der »Mikke<br />
= spitziger Brotlaib« zusammenhänge. Dies überzeugt<br />
jedoch nicht, wohl aber seine weitere Aussage: Vom selten<br />
aufgezeichneten Wort Micke habe sich bis jetzt keine<br />
eigentliche Wurzel feststellen lassen. Dagegen sagt ein<br />
1893 im Elsaß erschienenes Wörterbuch: Micke komme<br />
von Mekanik und Brechenmacher gibt selber zu, daß im<br />
westlichen Schwaben weniger mehr lebende Formen<br />
»Mickenie« und »Mekenie« bezeugt seien. So wunderte<br />
es eigentlich nicht sehr, als neulich (im Februar 1979)<br />
Univ. Prof. Dr. Eugen Gabriel (aus Vorarlberg) an der<br />
Universität Freiburg mir sehr bestimmt bestätigte: »Der<br />
verhältnismäßig neuen Micke liegt das Wort Mechanik<br />
zu Grunde«.<br />
blaue Griechel aus Griechenland, sind aber fast wieder<br />
verschwunden. Die aus der Römerzeit stammende Pflaume<br />
hieß lat. prunum, ahd phruma und phluma und wurde<br />
mhd zu plume. Die Stachelbeere wächst bekanntlich<br />
an stacheligen Sträuchern. Die Frucht des Weißdorns<br />
nannten wir Kinder Buebanägele. Aber warum Bueba?<br />
Die Brombeere, bei uns Braobeer (obwohl schwarz!) hieß<br />
alt bramoberi, wobei bei uns das M ausfiel. Bramo bedeutete<br />
ahd Dornstrauch. Die Himbeeren, bei uns<br />
Hei(n)dala genannt, leiten sich vom ahd hintberi ab.<br />
Nach R. Loewe wurde der schwachdornige Himbeerstrauch<br />
mit der gehörnlosen Hindin (Hirschkuh) verglichen,<br />
der starkdornige Brombeerstrauch dagegen mit
dem geweihtragenden Hirsch. (Das Eigenschaftswort<br />
hinten könnte »gehörnlos« bedeuten!) Unser D in<br />
Hei(n)dala ist somit wohl begründet. Die Preiselbeere<br />
hat den Namen vom tschechischen bruslina, das slovenisch<br />
zu brsali = abstreifen gehört. Die roten Beeren werden<br />
abgestreift (M. Hohnerlein, Deutscher Sprachschatz).<br />
Wer die Johannisbeeren mit den Jakobi-Aepfeln<br />
vergleicht, wird leicht finden, daß der Name wegen der<br />
Reifungszeit (um Sommerjohanni) gewählt wurde, Ein<br />
lange Jahre mich beschäftigendes Rätsel war die<br />
Schwarze Johannisbeere, die man bei uns Katzabeer<br />
nennt. Jemand wollte sie wegen des eigenartigen Geruchs<br />
stark übertreibend mit Katzendreck zusammen-<br />
JOHANN ADAM KRAUS<br />
Rangenclinger Seelsorger<br />
Vorbemerkung: Das ins 5./6. Jahrhundert zurückreichende<br />
Dorf Rangendingen taucht erstmals in einer Urkunde<br />
des Klosters St. Gallen (Schweiz) aus dem Jahr<br />
795 (vielleicht 793) als Rangodinga auf. Der Name<br />
dürfte auf einen Personennamen Raginod oder Rangod<br />
führen Diese Urkunde ist wohl nach der vom<br />
Jahr 731 betr. Glatt - das älteste nachweisbare Schriftstück,<br />
das in Hohenzollern ausgestellt wurde. Der lateinische<br />
Text s ist für einen nur des klassischen Lateins<br />
kundigen Heimatfreund nicht leicht verständlich. Er<br />
enthält die erste Nachricht über eine Kirche und einen<br />
Geistlichen am Ort, und schon 802 folgt eine zweite Urkunde<br />
desselben Klosters, die wieder einen Geistlichen<br />
nennt und zugleich erkennen läßt, warum der hl. Gallus<br />
Kirchenpatron in Rangendingen ist. Sie seien darum der<br />
Pfarrliste vorangestellt.<br />
»Im Namen Gottes. Ich Heriker habe den Plan gefaßt,<br />
aus Liebe zu Gott und zu meinem Seelenheil mein Eigentum<br />
hinzugeben. Und zwar übergebe ich es an die Kirche,<br />
die im Dorfe Rangodinga mit dem Patrozinium des<br />
hl. Petrus erbaut ist. Folgendes schenke ich auf der Gemarkung<br />
Rangedingas, was ich eigen besitze und erworben<br />
habe, mit Ausnahme des vierten Teils, Ich übermache<br />
es an die genannte Kirche des Hl. Petrus: Äcker,<br />
Wiesen, Weiden, Felder, Wälder, Wasser, Wasserläufe,<br />
daß die Kirche dies alles in Besitz nehme und behalte,<br />
oder damit auch nach freiem Willen handle. Falls aber,<br />
was hoffentlich nicht eintritt, ich selber oder einer meiner<br />
Erben und Nacherben gegen diese Übergabe angehen<br />
wollte, soll er zunächst den Zorn Gottes erfahren, dann<br />
muß er der zuständigen Staatskasse (Fiskus) Strafe zahlen,<br />
nämlich drei Pfund Gold und fünf Pfund Silber.<br />
Zudem soll er, was er genommen, nicht behalten dürfen.<br />
Vielmehr muß diese Urkunde (epistola) mit förmlicher<br />
Bestätigung (stipulatione subnixa) für alle Zeiten gelten<br />
und fest bleiben. Öffentlich geschehen im Dorfe Rangodinga.<br />
(Es unterzeichnen je mit einem Kreuzlein:) Heriger,<br />
der diese Schenkungsurkunde veranlasste, Rihpert,<br />
Hrodhoh, Wioland, Witfried, Gisalpert, Erpho, Wolfhoh,<br />
Toato, Anno und Teoto. Im 25. Jahr der Regierung<br />
unseres Königs Karl (des Großen), an den 5. Nonen des<br />
Monats Mai (d. i. 3. Mai). Notiert habe ichs am Sonntag.<br />
Ich der Priester Audadcar habe es geschrieben. (Ein »et<br />
subscripsit«, das Wartmann anfügt, fehlt in der Ablichtung<br />
des Originals!) (Nachschrift mit anderer Feder aber<br />
von gleicher Hand:) Und dieser Priester schenkt dem genannten<br />
Heriger vom Kirchengut leinene Kleider auf ein<br />
Jahr, wollene Kleider auf zwei Jahre und Getreide im<br />
Wert von zwei Drittelsschillingen auf drei Jahre, dazu<br />
bringen. Die überraschende Lösung brachte mit ein befreundeter<br />
Oberlehrer, der sich im Ruhestand mit Gartenbau<br />
und französischer Sprache beschäftigt. Er wies<br />
mich auf die französische Bezeichnung cassis = schwarze<br />
Johannisbeere hin. Mit »Kassebeera« konnten natürlich<br />
unsere Vorfahren nichts anfangen und bildeten das Wort<br />
einfach um zu Katzabeere. Zum Schluß sei noch ein stacheliges<br />
Ackerunkraut genannt, für das Fischers Schwäbisches<br />
Wörterbuch keine Erklärung angibt: der Fuudigel,<br />
Furtigel oder Pfurtigel. Der zweite Teil dürfte auf<br />
das bekannte Stacheltier, den Igel, hinweisen, aber was<br />
soll Fuud oder Furt oder Pfuud bedeuten? Furt wäre<br />
eine Durchfahrt, oder vielleicht Ackerfurche?<br />
Speise, falls er will. Alles aus Liebe zu Gott und dem hl.<br />
Petrus. Er darf wählen, wohin man diese Dinge liefern<br />
und die Speisung gewähren solle«.<br />
Karl der Große regierte seit Oktober 768, was nach 25<br />
Jahren 793 ergäbe. Da aber erst im Jahr 795 der Sonntag<br />
auf einen dritten Mai fällt, nahm Wartmann an, der<br />
Schreiber habe sich im Regierungsjahr geirrt, es müsse<br />
heißen: »im 27. Jahr der Regierung«. Da jedoch im Original<br />
vor dem Wort »Notiert« deutlich ein Punkt zu erkennen<br />
ist, könnte man vermuten, die Urkunde sei am<br />
3. Mai 793 verfaßt und am folgenden Sonntag den 5.<br />
Mai ins Reine geschrieben worden, also zwei Jahre früher,<br />
als bisher angenommen. Da die Urkunde im Stiftsarchiv<br />
von St. Gallen liegt und in einem weiteren Urkunden-Fragment<br />
daselbst die Rede ist von einer Schenkung<br />
von Gütern und einer Kirche zu Rangendingen ans<br />
genannte Kloster (unterm 19. August 802), die der Priester<br />
Tachari zu Rangendingen tätigt, muß man annehmen,<br />
dieser als Besitzer der Kirche habe sie samt den<br />
Gütern nach St. Gallen tradiert. Daher wird es kommen,<br />
daß in der Folge in Rangendingen nicht mehr der hl. Petrus,<br />
sondern der hl. Gallus als Kirchenpatron erscheint<br />
4 .<br />
Die Pfarrer:<br />
1. 795 (793?) Priester Audadcar an der Peterskirche<br />
Rangadinga.<br />
2. 802 der Priester Tachari schenkt die Peterskirche an<br />
St. Gallen.<br />
2a 1274 der nicht genannte Rektor der Kirche residiert<br />
am Ort und hat als Jahreseinkommen 5 Mark Silber<br />
(der von Zell hat 10 Mark).<br />
3. 1323 März 1: Kirchherr Marquard Pfinneblater.<br />
4. 1419 Ulrich Klüpfel, Kirchrektor, zahlt 26 fl Erstfrüchte<br />
nach Konstanz.<br />
5. 1436 Nikolaus N. wegen Verletzung der Residenzpflicht<br />
nach Konstanz zitiert: 19. III. 1438.<br />
5a 1437 Verweser N.<br />
6. 1453-69 Michael von Gärtringen (adelig).<br />
7. bis 1480 f Ludwig Schmid aus Hechingen, tot 1480.<br />
8. 1480-88 Johannes Kredler aus Neuffen, prokl.<br />
15. III. präs durch Pfalzgräfin Mechthild, invest.<br />
11. IV. 1480, nimmt schon 12. V. 80 für 1 Jahr Absenz.<br />
Verzichtet 1488.<br />
9. 1488-1514 f Johannes Bader prokl. 25. VII.<br />
10. 1531-50 Wolfgang Mene (Man), invest. 13. VI. 50,<br />
Dekan, ist 1550 tot.<br />
11. 1550-1602 f Konrad Strobel, Kammerer, 1599 Dekan.<br />
59
12. 1602-10 t Daniel Eschay aus Munderkingen, starb<br />
als Kammerer 19. XI. 10.<br />
13. 1610-49 f Leonhard Mock aus Sigmaringen; f<br />
17. II. 49, lange krank.<br />
14. 1643-56 Michael Agrikola, Aushelfer bis 1649,<br />
dann Pfarrer, resignierte 1656 (vgl. Grosselfingen)<br />
15. 1656-67 Johann Christoph Mager aus Rottenburg,<br />
invest. 14. 12. 56 starb ca. 1680 in Rottenburg.<br />
16. 1667-68 Johann Konrad Saile (Saylin) aus Hechingen,<br />
invest. 25. X.<br />
17. 1668-70 Johann Wilhelm Fischbach aus Villingen,<br />
invest. 14. IX. 68. schuldet im J. 1681 als Kaplan in<br />
Hundersingen dem Bischof noch 8 fl.<br />
18. 1670-72 Michael Aichgasser aus Hechingen, invest.<br />
22. I. 71.<br />
19. 1672-1714 Johann Bapt. Pflaum aus Zimmern, invest.<br />
28. 6. 72.<br />
20. 1715-58 Johann Christoph Mang aus Ehingen, gb.<br />
21. VII. 1683 (war 1711 in Jungingen).<br />
21. 1759-92 f Johann Bapt. Schetter, gb. Hechingen<br />
30. V. 19, bisher in Stein, starb 24. III. 1792.<br />
22.1792-1819 f Karl Kolb aus Buchau, gb. 25.11.45,<br />
Pr. 1770, t 8. XII. 1819. War vorher in Stein gewesen.<br />
23. 1821-31 Meinrad Ertle aus Söflingen, gb.<br />
13. VI. 66; Pr. 11. VII. 1790 als Franziskaner in<br />
St. Luzen, was bisher in Stein; in Rangend. seit<br />
23.1.1820, ging 1831 nach Grosselfingen, dort t<br />
27. III. 1845.<br />
24. 1831-51 f J ose f Ant. Maier aus Hechingen, gb.<br />
13. III. 97; Pr. 1821, war seit 1821 in Thanheim, seit<br />
1826 in Jungingen, starb in Rangd. 24. V. 51.<br />
25. 1847 Vikar Josef Baur, gb. Hechingen 20. IX. 22, Pr.<br />
1846; später 1864 Pfr. i. Dietershofen, 1887 Veringendorf;<br />
t 2. II. 1893.<br />
26. 1851-57 Verw. Raphael Bumiller aus Jungingen,<br />
gb. 1823, Pr. 49; f 7. V. 94.<br />
26a Aushelfer: Wilhelm Bosch, geb. Jungingen<br />
5. VII. 19; Pr. 1844, t 24. VII. 66.<br />
26b 1852-56 Friedrich Saile aus Beuren, gb. 22. X. 20,<br />
Pr. 1847; t 6. VI. 1900 als Kaplan in Straßberg.<br />
26c 1856 Huber Honorius aus Littenweiler, gb.<br />
13. XI. 1816; Pr. 1842; 1857 Pfr. in Diessen, 1887<br />
Esseratsweiler; f 25. IV. 94.<br />
27. 1857-67 Bernhard Pfeffer aus Rottweil, gb.<br />
9. IV. 1816, Pr. 1844; invest. 19. II. 57. Nahm 1867<br />
Absenz nach Siberatsweiler, 1873 Pfr. Bisingen bis<br />
1901; t Sigmaringen 2. VII. 1905.<br />
28. 1867-86 Eugen Brucker aus Straßberg, geb.<br />
4.9.1841, Pr. 1865; invest. 17. V. 73. Ging nach<br />
Harthausen/Scher, 1895-1916 Dekan; f 25. V. 1920.<br />
29. 1887-90 t Friedrich Mayer aus Hechingen, gb.<br />
7. V. 1841, Pr. 1867, bisher in Boll, invest. 8. II. 88; f<br />
7. 1.90.<br />
30.1890-91: Nach Aushilfe durch Pfr. Hch. Hutmacher<br />
zu Hart (gb. Haigerl. 3. X. 40, Pr. 1868;<br />
1891-1914 Pfr. in Gruol; dort t 13- HI. 15) kam<br />
am 20. Aug. als Verw. Carl Haiß, gb. Jungingen<br />
2. I. 54; Pr. 1880; kam 1891 als Pfr. nach Feldhausen,<br />
1911 mit Absenz ins Waisenhaus Nazareth i.<br />
Sigmaringen, resig. 1916; f dort 10. III. 1917.<br />
31.1891-1902 Josef Pfister aus Gruol, gb. 21. III. 43;<br />
Pr. 1871, invest. (nach bisherigem Wirken in Fischingen)<br />
4. VIII. 91, ging nach Dettlingen, pens. 1910;<br />
t Gruol 15. VII. 1929.<br />
32.1902 Juni 12: Verw .Johann Nep. Steinhart, bisher<br />
Weildorf, gb. Inzigkofen 26. IV. 1873; Kr. 1897.<br />
Kam 1903 als Kapl. nach Ostrach, 1907 Pfr. in Betra;<br />
t 29. VI. 27.<br />
60<br />
33.1903-12 Oskar Witz, gb. Höfendorf 28. VII. 1868,<br />
Pr. 1892; Aufzug 11. Aug. Invest. 18. VIII. 03; lange<br />
krank; f Rottenmünster 18. X. 25; beerd. Rangdg.<br />
34.1912: Ver. seit l.Aug. Karl Miller, geb. Bingen<br />
26. II. 86, Pr. 1911; bisher in Wald; 1929 Pfr. in<br />
Harthausen/Sch. f Sigmarg. 14. IV. 1940.<br />
35.1913 31. Aug.: Vik. Karl Kreidler, gb. Dießen<br />
2. VI. 89, später Pfr. in Walbertsweiler; verungl. bei<br />
Dürrheim 18. V. 1962.<br />
36. 1914 6. Novb.: Vik. Otto Freitag, bisher Achkarren,<br />
später Pfr. in Winzenhofen, t 12. III. 1965.<br />
37.1915 9. Aug. Vik. Max Schlenk, gb. Rust<br />
14. VII. 1890, Pr. 1915; starb als Pfr. in Leipferdingen<br />
30. V. 1944. Aushilfe durch Gorheimer Pater.<br />
38. 1920 15. Jan. Aushilfe durch Peter Sickler, bisher Bisingen,<br />
ab 1925 hier Pfarrer.<br />
39. 1920 4. Aug. Fidelis Wieland, gb. Bernweiler<br />
5. XI. 88. Wurde 1922 Vikar in Stein, am 2. VI. 1929<br />
Pfr. in Thalheim, Ruhestand 1. Aug. 70 in Allmandingen;<br />
t 15.1. 1972.<br />
40. 1922 Juli 12: Martin Stadler, gb. Rast 6. II. 96, Pr.<br />
1922, später Pfr. in Aach, t 27. V. 1963.<br />
41. 1923 Aug. 1.: Peter Heinzelmann, gb. Melchingen<br />
1897, später Pfr. i. Mindersdorf, dann Ringingen.<br />
Gest. in der Heimat 30. VI. 1973.<br />
42. Sept. 9.: Bernhard Merkel, gb. Reichental 10. IV. 88,<br />
Pr. 1914, später Ballrechten, 1926 Pfr. Hartheim,<br />
1933 Beuren a. d. Aach; f 2. XII. 1933.<br />
43.1925-45 Peter Sickler, gb. Dettingen 25. X. 1890,<br />
Pr. 1915. Aufzug 22. Dez. invest. 27. Dez. 1945<br />
Schlaganfall, f 18. IV. 46.<br />
44. 1945 Verw. Augustin Mayer, gb. Oberwolfach<br />
5. X. 97; Pr. 1924. Bisher pens. als Naziverfolgter in<br />
Burladingen; starb 1962 als Pfr. von Hügelsheim.<br />
45. 1946- Stephan Gauggel, gb. Benzingen 4. I. 05, Pr.<br />
1931, bisher Fischingen, hier seit 19. Dez. 46, invest.<br />
19. I. 47, seit 16. I. 64 Dekan.<br />
Rangendinger Frühmesser<br />
Zustiftung zur Frühmesspfründe: Hohz. Heimt 1961,<br />
9-11.<br />
1428 Okt. 21.: Hans Wilhamer, zugleich Kirchherr zu<br />
Weildorf!<br />
1442 Jan. 16.: Johannes Schmid, Frühmesser in Rangend.,<br />
wird wegen homicidium seiner Pfründe und<br />
Habe beraubt, ein Laie aber wegen Gefangennahme<br />
des Kirchherrn von der Zensur freigesprochen.<br />
1464 Michael Husner, resigniert u. geht als Kapl. nach<br />
Killer.<br />
1464 Okt. 15.: Johannes Kymerlin aus Hechingen, alias<br />
aus Beuren, bisher in Killer, wird Frühmesser in Rangendingen,<br />
resign. aber schon 1465. Ist ca. 1480<br />
Kapl. am Laurentiusaltar in St. Luzen-Hechingen.<br />
1465 Dez. 19. wird eingesetzt Michael Betz aus Balingen,<br />
resign. 1466.<br />
1466 Okt. 4.: Konrad Kotz, auch 13. Okt. als Frühmesser<br />
erwähnt.<br />
bis 1483 Martin Guttbrot, wo er stirbt.<br />
bis 1490 Dietricus N., primissarius in Rangendingen.<br />
1519 Johannes N. Frühmesser in R.<br />
1532 Laurentius Werner, (1531 Pfarrer in Dusslingen) ist<br />
Frühmesser in Rang.<br />
1593 Der Pfarrer Christoph Härlin in Stein versieht<br />
auch die Frühmesspfr. in Rangendingen bzw. bezieht<br />
die Einkünfte.<br />
1599 der Pfarrer Mathäus Rausch in Stein ebenso.<br />
1<br />
Mitt. Hohz. 31, 1897, 96.<br />
2<br />
Hohz. Heimat 1959, 11.<br />
3<br />
Wartmann UB von St. Gallen I, 131 und Mitt, Hohz. 31,<br />
1877, 22.<br />
4 Mitt. Hohz. 31, 1877, 25 26.
JOHANN ADAM KRAUS<br />
Ringinger Feuerversicherung 1788<br />
Im Jubiläumsbericht der 30jährigen Freiwilligen Feuerwehr<br />
Ringingen in Nr. 126 der Hohenzollerischen Zeitung<br />
1977 wurde erwähnt: auf dem hiesigen Rathaus<br />
habe sich bis zu den Kriegseinwirkungen 1945 eine Liste<br />
»Einzugsrodel zu denen Brandbeyträgen für Ringingen<br />
1788-1793« befunden, von der in den »Notizen zur<br />
Ortsgeschichte« im fürstlichen Archiv Sigmaringen noch<br />
eine Abschrift erhalten ist. Darin sind alle Häuser, die<br />
Wohnungen und 20 separate Scheunen, darunter die<br />
herrschaftlich fürstenbergische Zehntscheuer und die<br />
Schafscheuer (Nr. 81 und 82 oben im Dorf beim ehemaligen<br />
Viechbrunnen) mit ihren Schätzungswerten 800<br />
und 900 fl aufgeführt. Es waren 118 Familien mit eigenem<br />
Haus. Vier Gebäude beherbergten je 2 Familien bei<br />
insgesamt 640 Einwohnern. Die totale Schätzungssumme<br />
betrug 55200 fl (Gulden), wobei ein Gulden damals in<br />
einem Wert von etwa 4 Goldmark (um 1900) anzusetzen<br />
ist.<br />
Für die Kirche waren 6000 fl, fürs Pfarrhaus 1200 und<br />
die Pfarrscheuer dahinter 600 fl angesetzt. In dem Verzeichnis<br />
sind vom Kopisten die heutigen Hausnummern<br />
mitvermerkt und auch im Häuserbuch des Rathauses notiert,<br />
was einen Vergleich mit jetzigen Verhältnissen zuläßt.<br />
Die 3 Kapellen zu ULb. Frau, St. Gallus und den<br />
Schachern waren nicht taxiert. Das heutige Gebäude der<br />
ehemaligen »Sonne« (Familie Unmuth), damals Johann<br />
Mich. Heinrich, war zu 1200 fl, seine Scheuer zu 400 fl<br />
taxiert. Gleich oberhalb (jetziges sog. Schulthessen Haus<br />
JOHANN WANNENMACHER<br />
Aus unserer heimischen Mundart<br />
Sinnträchtige Redewendungen und Ausdrücke<br />
Mehr als in den vergangenen Jahren wird zur Zeit immer<br />
wieder von maßgeblichen Stellen der Wert der Verbundenheit<br />
mit der Heimat herausgestellt, die Pflege des<br />
guten Alten betont, das als Grundlage für das gegenwärtige<br />
und zukünftige Schaffen angesehen wird. »Heimat<br />
hat man nur da, wo man mit dem Naturhaft-Geistigen,<br />
das diesem Raum entsprossen ist, innerlich verwachsen<br />
ist«, sagt Eduard Spranger. - Die Mundart ist geistigseelisch<br />
echte Urnatur der Heimat. Deswegen ihre so<br />
eigenen Wortprägungen, in denen die ganze Volksseele<br />
mit ihrer Innerlichkeit eingeschlossen ist. Da hört man<br />
beispielweise: »Jetzt muaß i g a u g a u !« d. h.<br />
gleich gehen. Die Klanghöhe der beiden »gau gau« ist<br />
verschieden, was zu ihrem doppelten Sinn und ihrer Gemütlichkeit<br />
wesentlich beiträgt. - Ähnlich ist es bei<br />
der Redewendung: »Jetzt geischt (gibst) noo<br />
n o o ! « = dann nach. Wenn sich Kinder zanken und<br />
streiten oder gegenseitig immer belästigen, so kann man<br />
obige Aufforderung zur Beendigung des unguten Tuns<br />
hören. In der gleichen Lage, oder wenn auch Erwachsene<br />
mit irgend etwas zu lange und zu hart bedrückt werden,<br />
gebraucht man die Wendung: »Aber jetzt ischt no<br />
gnuag Hai (Heu) honna!« = unten. Wird man zu häufig<br />
mit etwas angegangen, so heißt es: »Dear (diea) kommt<br />
äll >Häck< mit ebbes drhear!«<br />
Die Glieder und Teile des menschlichen Körpers haben<br />
in der Mundart auch ihre eigenen Namen. Da gibt es<br />
kein Knie, sondern das »Knuub«. Und in der Kirche tut<br />
Nr. 57 samt Platz der heutigen Häuser 58 = Gastwirtschaft<br />
»Adler« und Nr. 149) stand das »Lamm« des Fidelis<br />
Stelzle, zu 2150 fl, genau gegenüber auf der südlichen<br />
Straßenseite (jetzt Nr. 60 Bailer), die zu 850 geschätzte<br />
Scheuer. Johann Bailers (des alten) Haus (jetzt<br />
Christian Emele Nr. 106, wohl noch das heutige) ist mit<br />
1200 fl angegeben. Ganz niedrig sind die Häuslein des<br />
Bruno Stelzle (Zuggasse Nr. 26) und Veit Dietz (Kreben<br />
Nr. 21), dejj Norbert Buck (Hälschloch Nr. 3) und Josef<br />
Pfister (Bach Nr. 64), Kaspar Freudemann (Hohlweg<br />
Nr. 88), Josef Beck (dabei Nr. 90) mit jeweils nur 150 fl<br />
angeschlagen, die armselige Hütte des als »Geisterseher«<br />
bekannten Vinzens Diebold (dabei Nr. 89) mit nur<br />
100 fl taxiert, ebenso eines Marzeil Holzers Erben (abgeg.<br />
Nr. 94a). Die Brandbeiträge der Einwohner des<br />
Jahres 1788 betrugen pro 100 fl jährlich 3 Kreuzer, 1789<br />
sieben, 1790 fünf und 1793 wieder 3 Kreuzer, offenbar<br />
berechnet nach den vorgekommenen Brandschäden im<br />
Amt Trochtelfingen (und Jungnau?). Die Fürsorge der<br />
fürstenbergischen Regierung für die Untertanen bzw. in<br />
unserem Fall für die evtl. Brandgeschädigten ist zweifellos<br />
hoch anzuschlagen, mag auch bei der damaligen<br />
Geldknappheit der Jahresbeitrag die Einwohner hart genug<br />
gedrückt haben. Beim Haus Nr. 63 des Seb. Rueß<br />
(jetzt Ott am Bach) ist notiert, die zu 200 fl angesetzte<br />
Scheuer sei vor 61 Jahren abgebrochen worden. Dies beweist<br />
das Bestehen der Feuerversicherung schon im Jahre<br />
1727!<br />
man »naknuubla« = hinknien. Der Nacken ist der<br />
»Nauuba«. Hat man in den Kniegelenken Schmerzen, so<br />
hat man es in »Da Gääder« drin. Die Leistengegend<br />
nennt man in der Mundart »'s- Gmäch«. Hat einer recht<br />
große und ungepflegte Hände, so sind das recht<br />
»wüaschte Gloopa« Fällt Jemand durch sein böses<br />
Mundwerk auf, so bescheinigt man ihm dies mit den<br />
Worten: »Dear (Diea) hotnoo a frecha >Gosch
ist er halt ein »oafälteger« Kerle. Sind Kleider oder Gegenstände<br />
aller Art etwas zu knapp geraten, dann passen<br />
sie grad noch so leidlich, sind aber »bschnotta« oder<br />
»bhääb«. Auch Menschen können beim Geben »bhääb«<br />
sei. Hatte früher eine Hose oder ein Rock ein Loch, so<br />
setzte man einen »Blätz« darauf. Reisigwellen vor dem<br />
Hause hatte man früher mit der »Hoop« zu Kleinholz<br />
gemacht. Die »Hoop« war ein starkes, vorne nach oben<br />
JOHANN ADAM KRAUS<br />
Zu unserer Mundart<br />
Nur in den Städten und bei starkem Zuzug von Landfremden<br />
sei die Mundart stärker gefährdet, meint der<br />
Freiburger Dialektforscher Univ. Prof. Dr. Eugen Gabriel.<br />
Er äußerte sich anläßlich einer Vortragsreihe des<br />
dortigen Alemannischen Instituts (Mozartstr. 30, ein paralleles<br />
Institut besteht an der Universität Tübingen)<br />
über die Landschaft, Geschichte und Kultur des Bodenseeraums,<br />
die später im Druck erscheinen soll, wie schon<br />
früher über den Schwarzwald. Professor Gabriel stammt<br />
aus Vorarlberg und erforscht die einzelnen Mundarten<br />
rund um den Bodensee, nämlich die seines Heimatgebiets,<br />
der Schweiz, Badens und Württembergs. Der Vortrag verglich<br />
das schweizerische Idiom mit dem südalemannischen<br />
und südschwäbischen und zeigte, wie es nicht anders<br />
zu erwarten war, die ungemein großen Mannigfaltigkeiten<br />
und Verschiedenheiten von Gegend zu Gegend, ja<br />
von Dorf zu Dorf, wie sie auch bei uns jedem leicht erkennbar<br />
sind.<br />
1. Aus den vielen beigezogenen Beispielen sei nur ein uralter<br />
Ausdruck, das Zeitwort färben (firben) erwähnt.<br />
Firben heißt bei uns auf der Alb und nach Josef Karl<br />
Brechenmachers Schwäbischer Sprachkunde (Stuttg.<br />
1925, 920) wohl nur noch in der südwestlichen Ecke des<br />
schwäbischen Gebiets (früher weitverbreitet) soviel wie<br />
reinigen, fegen, putzen, kehren, meines Wissens in Ringingen<br />
aber nur »reinigen mit dem Besen«. Man firbt<br />
also die Stube, den Hof, die Stiege, den Weg usw. Bereits<br />
im Althochdeutschen um 850 n. Chr. kommt das<br />
Wort vor als furapjan und furpan. Mittelhochdeutsch<br />
lautete die Form vürben und fürwen. Otfried von Weißenburg<br />
i. Elsaß benützt es in seinem Evangeliengedicht<br />
»Krist« in der Bedeutung »die Seele reinigen von Sünden«,<br />
was aber nicht heißen soll, es sei bloß auf religiösem<br />
Gebiet gebraucht worden. Schade, daß dieses urtümliche<br />
Wort firben weithin in Abgang kam, denn das heute<br />
dafür benützte auch alte »kehren« bedeutet sowohl<br />
umkehren, umdrehen, als auch reinigen. Es ist also zweideutig.<br />
Auch dieses Wort findet sich, wohl aus späterer<br />
Entwicklung, in Ringingen im Wort Kehrwisch (Kairwisch)<br />
= Handbesen aus Haaren (nicht Reisigbesen).<br />
Übrigens sagt man in Eschbach bei Freiburg statt firben:<br />
schwaifen. Nebenher darf noch hingewiesen werden, daß<br />
vor Jahrhunderten auch bei uns das Wort Matte für<br />
Wiese üblich gewesen zu sein scheint, das doch heute nur<br />
im Alemannischen gebraucht wird. Im Jahre 1545 hieß<br />
ein Feld in Ringingen Breinismatt, das im Lauf der Zeit<br />
zu Bräunschmack verderbt wurde, als man den Sinn<br />
nicht mehr kannte. Ähnlich ging es mit dem 1524<br />
wähnten Feld Bürtestal (Tal des Burte) am Ringinger<br />
Ortsrand, das zu unsinnigem Birenstall verballhornt ist.<br />
2. Die Baufalla war in unserer Jugend vor über 65 Jahren<br />
in Ringingen ein meist kleiner Kinderspielball aus<br />
Tuch oder ähnlichem Stoff, sehr selten schon aus elastischem<br />
Gummi. In dem Maße, in dem der nach dem 1.<br />
Weltkrieg aus England zu uns gekommene Fußball sich bei<br />
62<br />
gekrümmtes Messer mit einem Holzgriff. - Einer, der<br />
alles bis ins Kleinste ausdenkt, ausprobiert und es mit allem<br />
sehr genau nimmt, ist »difftleg« oder a »Difftler«.<br />
Wortschatz und Klangfarbe sind im Schwäbischen oft<br />
von Ortschaft zu Ortschaft etwas verschieden. Aber gerade<br />
darin zeigt sich die wunderbare Vielfalt und Gestaltungskraft<br />
unserer schwäbischen Heimat und Landschaft.<br />
der Jugend durchsetzte zum fast unumschränkten Sport,<br />
ging auch die Baufalla zurück, so daß heute selbst der<br />
Name so gut wie ausgelöscht erscheint. Man redet nur<br />
noch vom Ball oder Balla. Fischers Schwäbisches Wörterbuch<br />
kennt die Baufalla nur in der Bedeutung Tannenzapfen<br />
von Meßstetten (HJHeft 1953, 124). Uber<br />
die Erklärung des Wortes konnte ich nichts ganz Befriedigendes<br />
finden. Man hörte beispielsweise in Burladingen<br />
auch die Form Bauballa oder in direkter Umkehrung<br />
Fauballa, wobei die erste Silbe ebenfalls unerklärlich ist,<br />
die zweite und dritte aber offensichtlich eine Erklärung<br />
darstellt. Es steht eben das ganze Wort in Frage. Buf<br />
hieß im Mittelhochdeutschen ein Brett-Spiel. Man mag<br />
annehmen, das Wort gehöre ursprünglich zu puffen oder<br />
stoßen und sei im Schwäbischen zu Bauf geworden, wie<br />
ruff zu rauf. Die Lateiner kannten den Ball als follis<br />
und der englische puffball ist ein Bovist(Pilz), während<br />
das Eigenschaftswort puffy auf der Insel als aufgeblasen<br />
oder bauschig gilt. Ob bei uns nicht englische Einflüsse<br />
vorliegen? Es müßte nur das b von puffball weggefallen<br />
sein, woraus dann Baufalla wurde, eben unser ehemaliger<br />
Kinderspielball. Erwähnenswert erscheint die Äußerung<br />
eines Landfremden: In Burladingen hätten die Kinder<br />
ehemals nicht Baufalla, sonder Baufarla gesagt. Dies war<br />
bestimmt jedoch ein Fehlschluß, nicht bezüglich der<br />
Sprache, sondern der Schreibung! Denn noch vor 40<br />
Jahren haben bejahrte Einheimische im heutigen Zentralort<br />
Burladingen fast alle das L in englischer Weise<br />
mit einem unwillkürlich eingeschobenen R zu einem neuen<br />
Laut umgebildet, was übrigens auch von den alten<br />
Tailfingern behauptet wird. So klang z. B. das Wort<br />
Halde wie Harlde und Baufalla wie Baufarla, genau wie<br />
im Dorfnamen Burladingen. Es könnten viele Beispiele<br />
angeführt werden. Ich nenne nur Horlz, Fearld, Warld,<br />
Fer/sen usw. Einem damals schon alten Burladinger<br />
Händler und Hausierer Jonas wurde von anderwärts der<br />
Spruch in den Mund gelegt: »S Burladinger Horlz isch s<br />
beseht Horlz, s brennt wie an Zindhor/z«. Doch schon<br />
vor 40 Jahren mit immer stärker aufkommender Industrie<br />
und dem Zuzug vieler Fremder kam die rl-Form<br />
besonders bei der jungen Generation immer mehr in Abgang,<br />
so daß sie heute praktisch der Vergangenheit angehören<br />
dürfte.<br />
JOHANN ADAM KRAUS<br />
Es gibt keinen Bach Killer<br />
In Aufsätzen der Tagespresse findet man immer wieder,<br />
wie übrigens schon im Jahre 1940 1 gerügt werden mußte,<br />
im oberen Killertal einen unmöglichen Bach Killer<br />
verzeichnet. Unmöglich: wegen des angeblichen Laufes<br />
vom Weilertal ob Hausen nur bis zum Dorfe Starzein,<br />
während das Dorf Killer unterhalb liegt, unmöglich aber
auch, weil der Name Killer ja aus dem früheren Dorfbzw.<br />
Pfarreinamen Kilchwiler zu Kilwiler und dann<br />
Killer wurde, was niemals ein Gewässer bezeichnen<br />
kann. Das Killertal umfaßte genau den Umfang der ehemaligen<br />
Pfarrei, nämlich Hausen, Starzein, Killer und<br />
Jungingen. Die Ursache der Fehlbezeichnung lag in den<br />
Landkarten vor dem Jahr 1946, die den „Bach Killer"<br />
vom Weilertal ausgehen aber ausgerechnet in Starzlen<br />
enden ließen, während das Dorf Killer doch weiter talabwärts<br />
liegt. Größere Flüsse sind bekanntlich nicht vom<br />
Ursprung her benannt, sondern von der Mündung her:<br />
„Brigach und Breg bringen die Donau zuweg" sagt der<br />
Volksmund. Ähnlich verhält es sich mit der Starzel (Bedeutung:<br />
Sturzbach), die man nach vielfach geäußerter<br />
Ansicht beim Dorf Starzel entstehend ansah. Neuestens<br />
meinte ein „hab" in einem sonst sehr ansprechenden Bericht<br />
„Die Starzel vom Ursprung bis zur Mündung" 2 irrig,<br />
der Starzelbach komme aus Richtung Onstmettingen,<br />
weil er offenbar nicht weiß, daß seit mindestens 400<br />
Jahren dieser Zufluß aus dem Starzler Loch (1740<br />
Nockental!) Scharlenbach heißt. Im Urbar des Klosters<br />
Beuron von 1559 3 , das mindestens seit dem 14. Jahrhundert<br />
als Grundbesitzer im Killertal sich wohl auskannte,<br />
heißt dieser von Westen kommende Zufluß Scharlachbach,<br />
vielleicht nach den gelegentlich dort vorkommenden<br />
roten Algen benannt. Um 1733/40 4 trägt dieser<br />
Bach die Bezeichnung Charlen- oder Scharlenbach, wie<br />
noch heute! Das genannte Urbar enthält einen Hinweis:<br />
im Dorfe Hausen stoße ein bestimmter Acker „auf die<br />
Starzel hinab", die also damals schon in Hausen und<br />
nicht erst in Starzein ihren Namen hatte, folglich aus<br />
dem Weilertal herab (von Gemarkung Tailfingen) kam.<br />
Dort muß also die eigentlich Starzelquelle liegen. Frei-<br />
Abschied von Pfarrer Hermann<br />
Ein Unglück kommt selten allein, könnte man fast sagen.<br />
Der Hohenzollerische Geschichtsverein hatte eben die<br />
Versetzung seines Vorsitzenden, Dr. Richter, zur Kenntnis<br />
genommen, als die zweite Hiobsbotschaft eintraf:<br />
Pfarrer Manfred Hermann verläßt Neufra und bekommt<br />
eine Pfarrei im Breisgau.<br />
In der Mitgliederversammlung des Geschichtsvereins am<br />
1. Dezember 1979 in Stein hat Dr. Richter Pfarrer Hermann<br />
verabschiedet und ihm im Namen aller Mitglieder<br />
für seine vielfältige Tätigkeit gedankt. Pfarrer Hermann<br />
ist es vor allem zu danken, wenn in den vergangenen<br />
Jahren »Schwung« in den Geschichtsverein kam. Er hat<br />
Exkursionen angeregt, diese oft selbst geführt und Einführungsvorträge<br />
gehalten. Von seinen zahlreichen Entdeckungen<br />
auf dem Gebiet der Kunstgeschichte in Hohenzollern<br />
hat er in vielen Vorträgen, auch außerhalb<br />
des Geschichtsvereins, berichtet.<br />
Was Pfarrer Hermann für die Kunstgeschichte in Hohenzollern<br />
geleistet hat, könnte man fast schon als »Lebenswerk«<br />
bezeichnen; dabei war es kaum das Werk eines<br />
Jahrzehnts. Unbekannte oder wenig bekannte Bildhauer<br />
und Maler hat er reihenweise ans Licht gezogen.<br />
Zahlreiche Kunstwerke in unserer näheren Umgebung<br />
konnte er einem bestimmten Meister zuweisen. Meßkelche<br />
und Monstranzen unbekannter Herkunft nimmt er<br />
nur in die Hand: Hier Meisterzeichen, da Beschlagzeichen,<br />
stammt von Meister X aus Y. So einfach ist das -<br />
wenn man es kann.<br />
Pfarrer Hermann interessiert sich nicht nur für die »große<br />
Kunst«. Auch in die heimische Volkskunst konnte er<br />
viel Licht bringen. Ein bleibendes Geschenk für uns alle<br />
ist sein Buch »Volkskunst auf dem Hochberg«. Zuletzt<br />
hat er sich mit der Maler- und Bildhauerfamilie Strüb<br />
lieh auf der Freusberger zollerischen Forstkarte um 1733<br />
und einem Fischwässerverzeichnis von ca. 1740 4 sind<br />
folgende winzige Wässerlein aufgeführt: Weilertalbächle<br />
und dann von links zufließend: Schwarzer Brunnen,<br />
Abentalbrunnen, Daubenbrunnen, endlich der besagte<br />
Scharlenbach bei Starzein. Auf der rechten Seite fließen<br />
zu der Uscherbrunnen, der Neubrunnen von der Schlichte<br />
und unterhalb Killer das Gerstenbächle (das jedoch im<br />
Oberlauf bei der Ringinger Mühle Buchenbach heißt).<br />
Man hat somit den Weilertalbach (jetzt stark geschröpft<br />
durch Brunnenleitungen) als die eigentliche Starzelquelle<br />
anzusprechen! Wenn aber auf Landkarten vom Weilertal<br />
bis Starzein ein Bach Killer eingetragen war, so kann<br />
man dies nicht anders als Unsinn bezeichnen, der immer<br />
wieder die Heimatfreunde irreführt. Nebenbei ist zu<br />
„hab" zu bemerken: Es gibt unterhalb von Stein-Hechingen<br />
links der Starzel im Pfarrwald keine Volksoder<br />
Fluchtburg, sondern die bescheidenen Reste einer<br />
ehemaligen Ritterburg, die gelegentlich Mus- oder Miesburg<br />
genannt wurde, über die jedoch nicht das Geringste<br />
bekannt ist.<br />
Anmerkungen:<br />
1 Zoller<strong>heimat</strong> 1940, 21.<br />
2 Hohenzollerische Zeitung vom 13. Oktober 1978.<br />
3 Beuroner Besitz im Killertal 1559: wie Note 1: 1937,<br />
46-47.<br />
4 Forstkarte 1733 von Freusberg: Anhang zu Jul. Cramers<br />
„Grafschaft Hohenzollern", 1873: Zollerische Fischwässer<br />
1740 in Note 1: 1939, 73. Nach Mitteilung des Landesvermessungsamts<br />
Baden-Württemberg (Stuttgart, Büchsenstr.<br />
54) wurde im Jahre 1946 in den amtlichen Karten<br />
der Name Killer im Weilertal in „Starzel" umgeändert. Leider<br />
sind dadurch frühere Karten nicht berührt!<br />
von Veringen befaßt. Ob da noch vom Breisgau herüber<br />
eines Tages etwas Neues kommen wird? Wer schon einmal<br />
einen Lichtbildervortrag von Pfarrer Hermann miterlebt<br />
hat, weiß, daß er ein hervorragender Fotograf ist.<br />
Zahlreiche Kunstwerke in Kirchen, Kapellen und Pfarrhäusern<br />
hat er in den vergangenen Jahren fotografiert<br />
und inventarisiert.<br />
Wer ihn nicht kennt, wird es kaum glauben: er ist keineswegs<br />
auf Kunstgeschichte fixiert. Pfarrer Hermann<br />
ist z. B. ein Experte für Postgeschichte. Wer einmal das<br />
Ticken zahlreicher Uhren im Pfarrhaus von Neufra gehört<br />
hat, ahnt es. Er ist auch ein Uhrenliebhaber. Das<br />
bedeutet bei ihm, daß er sich auf dem Gebiet mit wissenschaftlicher<br />
Akribie betätigt. So ist er an dem grundlegenden<br />
Werk von Bender »Die Uhrenmacher des hohen<br />
Schwarzwaldes und ihre Werke« beteiligt. Wenn wir<br />
schon im Schwarzwald, Pfarrer Hermanns Heimat sind,<br />
dann könnte man z. B. den Bildhauer Mathias Faller erwähnen,<br />
dessen Werk und Leben er erforscht hat. Oder<br />
Kirchenführer (im Verlag Schnell und Steiner), die von<br />
ihm verfaßt wurden.<br />
Seit sechs Jahren erschienen in der »Hohenzollerischen<br />
Heimat« viele Arbeiten zu kunstgeschichtlichen Themen<br />
aus seiner Feder. Noch mehr müssen wir ihm jedoch für<br />
die selbstlose Arbeit an unserer Zeitschrift danken. Für<br />
die Zusammenstellung vieler Nummern, Fahrten zur<br />
Druckerei und Kleben von Satzspiegeln. Bescheiden wie<br />
er ist, wehrte er sich lange Zeit gegen das Erscheinen seines<br />
Namens im Impressum. Leser und Schriftleitung hoffen,<br />
daß auch in Zukunft noch ab und zu einmal etwas<br />
von Pfarrer Hermann in unserem Blatt erscheinen wird.<br />
Doch zunächst müssen wir Abschied nehmen und uns<br />
herzlich für alles bedanken. H. Burkarth<br />
63
Verlag: <strong>Hohenzollerischer</strong> Geschichtsverein<br />
Karlstr. 3, 7480 Sigmaringen<br />
W <strong>3828</strong> FX<br />
Postvertriebsstück. Gebühr bezahlt.<br />
Dank an Walther Frick<br />
1969/70 stand es schlecht um die »Hohenzollerische<br />
Heimat«. Die Buchdruckerei Acker, welche von der ersten<br />
Nummer an das finanzielle Risiko des Blattes getragen<br />
hatte, kündigte. Der damalige Schriftleiter legte sein<br />
Amt nieder. Um den Fortbestand zu sichern, mußte der<br />
Hohenzollerische Geschichtsverein den Verlag übernehmen.<br />
Herr Dr. Stemmler tat dies in dankenswerter Weise.<br />
Er stellte auch die Nummer 1/1970 zusammen, die<br />
erstmals bei Liehner in Sigmaringen gedruckt wurde.<br />
In dieser Lage stellte sich Walther Frick, <strong>heimat</strong>- und<br />
volkskundlich interessierter Journalist, zur Verfügung.<br />
Er war fachkundig und hatte Kontakt zur Druckerei.<br />
Schon die Nr. 2/1970 trug deutlich seine Handschrift.<br />
»Wie steht es um Hohenzollern?« Die Kreisreform stand<br />
vor der Tür und damit das Ende Hohenzollerns. »Wir<br />
nehmen Abschied vom politischen Begriff Hohenzollern,<br />
aber keineswegs von Hohenzollern«, so schrieb er ein<br />
Jahr später. In allen Nummern der »Hohenzollerischen<br />
Heimat« finden wir um diese Zeit größere und kleinere,<br />
meist aktuelle Beiträge von Walther Frick. Frau Leonie<br />
Frick stellte als Pressefotografin zahlreiche Fotos und<br />
Reproduktionen zur Verfügung. Auch ihr an dieser Stelle<br />
herzlichen Dank.<br />
Walther Frick war nicht nur bestrebt, Beiträge über<br />
»Alt-Hohenzollern« zu bringen, er versuchte auch die<br />
Umgebung miteinzubeziehen. Mühsam, mit Schere und<br />
Kleister, machte er Jahr für Jahr den Satzspiegel für unser<br />
Blatt. Berufliche Beanspruchung und angeschlagene<br />
Gesundheit zwangen ihn, im Lauf der Zeit die Mitarbeit<br />
einzuschränken. Nun scheidet er auf eigenen Wunsch aus<br />
der Redaktion der »Hohenzollerischen Heimat« aus. Er<br />
wird uns jedoch weiter treu bleiben und hoffentlich noch<br />
viele interessante Beiträge liefern. So bleibt mir nur, ihm<br />
für alle Mühe und Arbeit in den vergangenen Jahren<br />
recht herzlich zu danken. H. Burkarth<br />
Buchbesprechung<br />
Bilderatlas zur Geschichte<br />
Die Besprechung des »Bilderatlas zur Badisch-Pfälzischen<br />
Geschichte« muß mit einem »leider« beginnen: leider<br />
gibt es so etwas (noch?) nicht für die Hohenzolleri-<br />
HOHENZOLLERISCHE HEIMAT<br />
hrsggbn. vom Hohenz. Geschichtsverein.<br />
Die Zeitschrift »Hohenzollerische Heimat«<br />
ist eine <strong>heimat</strong>kundliche Zeitschrift. Sie<br />
will besonders die Bevölkerung in Hohenzollern<br />
und der angrenzenden Landesteile<br />
mit der Geschichte ihrer Heimat vertraut<br />
machen. Sie bringt neben fachhistorischen<br />
auch populär gehaltene Beiträge.<br />
Bezugspreis: 6,00 DM jährlich.<br />
Konten der »Hohenzollerischen Heimat«:<br />
802 507 Hohenz. Landesbank Sigmaringen<br />
123 63-707 Postscheckamt Stuttgart<br />
Druck: M. Liehners Hofbuchdruckerei<br />
KG, 7480 Sigmaringen, Karlstraße 10.<br />
64<br />
Die Autoren dieser Nummer:<br />
Casimir Bumiller<br />
7455 Jungingen<br />
Dr. med. Herbert Burkarth<br />
Eichertstraße 6, 7487 Gammertingen<br />
Walther Frick, Journalist<br />
Hohe Tannen 4, 7480 Sigmaringen<br />
Dr. Wilhelm Haase, Vizepräsident a. D.<br />
Kärntner Straße 32, 7450 Hechingen<br />
Pfr. ]. A. Kraus, Erzb. Archivar i. R.<br />
Badstraße 8, 7800 Freiburg<br />
Hans Peter Müller<br />
Weiherplatz 7, 7241 Empfingen<br />
sche Geschichte; und genau das ist es, was uns fehlt. Das<br />
Buch ist ein »Reprint«, eine unveränderte Nachdrucksausgabe<br />
des gleichnamigen Werkes von Professor Dr.<br />
Karl Wild aus dem Jahre 1904. Diese Besprechung verdient<br />
aber dennoch hier einen Platz, auch wenn badischpfälzische<br />
Geschichte für Hohenzollern, von einigen dynastischen<br />
Verbindungen abgesehen, in einiger Ferne<br />
liegt, und zwar aus zwei Gründen.<br />
Der eine ist, daß Beschäftigung mit der Heimatgeschichte<br />
ja nie direkt an den Grenzen Halt macht, sondern es<br />
liefen ja in den <strong>hohenzollerische</strong>n Fürstentümern und<br />
späteren Landen viele Fäden von überall her ein, wurden<br />
verknüpft, gingen wieder hinaus und mündeten in die<br />
allgemeine südwestdeutsche Geschichte - und das ist<br />
nicht nur politisch gemeint - ein. Geschichte, wie dieser<br />
Bilderatlas sie vermittelt, beginnt mit der Steinzeit und<br />
endet mit dem Bild des letzten Großherzogspaars von<br />
Baden. Und aus diesem weiten Rahmen leitet sich der<br />
zweite Grund her. Die 329 Abbildungen, Wiedergaben<br />
von Zeichnungen, Kostümmodellen, Landkarten, Holzschnitten,<br />
Kupferstichen und Fotografien geben, über die<br />
Landesgrenzen Badens und der Pfalz hinaus, südwestdeutsche<br />
Geschichte wieder. Insofern ersetzen sie auf<br />
eine weite Strecke und über viele Gebiete hin unser »leider«<br />
in der ersten Zeile. Walther Frick<br />
Nachweis: »Bilderatlas zur Badisch-Pfälzischen Geschichte«,<br />
Verlag Mohnkopf Reprints Wolfgang Weidlich,<br />
Savignystraße 61, 6000 Frankfurt. DM 85.-.<br />
Nachdruck des Hechinger<br />
Wochenblattes 1829(1 .Jg.)erschienen<br />
Von der Druckerei Glückler in Hechingen wurde ein unveränderter<br />
photomechanischer Nachdruck des 1. Jahrganges<br />
(Oktober bis Dezember 1829) des »Wochenblatt<br />
für das Fürstenthum Hohenzollern-Hechingen« (52 Seiten)<br />
hergestellt. In diesem Zusammenhang sei auf die<br />
Arbeit über die älteste Hechinger Zeitung, die am 3. Oktober<br />
vor 150 Jahren erschienen ist, hingewiesen (s. Hohenz.<br />
Heimat Nr. 3/1979). Der Nachdruck kann zum<br />
Stückpreis von 10 DM bei K. W. Steim, Dürerstraße 5,<br />
7481 Bingen, bestellt werden.<br />
Schriftleitung:<br />
Dr. med. Herbert Burkarth,<br />
7487 Gammertingen (Telefon 07574/2329)<br />
Die mit Namen versehenen Artikel geben<br />
die persönliche Meinung der Verfasser<br />
wieder; diese zeichnen für den Inhalt der<br />
Beiträge verantwortlich. Mitteilungen der<br />
Schriftleitung sind als solche gekennzeichnet.<br />
Manuskripte und Besprechungsexemplare<br />
werden an die Adresse des Schriftleiters<br />
oder Redaktionsausschusses erbeten.<br />
Wir bitten unsere Leser, die »Hohenzollerische<br />
Heimat« weiter zu empfehlen.