den Kopf vom Leibe zu trennen. «Die Chatten sind da»,tönt es wie aus einem Munde, und Pfeile schwirren ingrosser Zahl durch die Luft. Nun entbrennt ein kurzer,heftiger Kampf zwischen den zahlenmässig stark unterlegenen und zudem schwach bewaffneten Chatten undden in ihrem Blutrausch nun gar keine Hemmungen mehrkennenden Alamannen. Er endet mit der völligen Vernichtung der tapferen Chattenschar. Sie waren gegenMittag von einem Knaben, der heimlich hinter denHecken zu fliehen vermochte, beim Fischen alarmiertworden, holten unverzüglich die Jagdwaffen ihres Gebieters aus dessen Waldhütte und schlichen auf leisenSohlen den Kampfplatz an. Nun haben sie endgültig ausgedient.Noch immer rauchen die Trümmerhaufen der zerstörtenHelvetiersiedlung. Die Luft ist von beissendem Raucherfüllt und es ist schwül, als die alamannischen Kriegerabgekämpft und blutverschmiert auf den Zweikampfplatzunter der Linde am Waldrand zurückkehren. Reginhart lebt noch, sein Blut ist aber nicht zu stillen, wiesehr sich auch Waltrud, die junge und überaus hübscheTochter des gefallenen~ Orgint bemüht, den roten Strahlzum Versiegen zu bringen. Erst hat sie ihre blaue Togaund dann ihr weisses Hemd in Streifen gerissen, um denverletzten Hals zu verbinden. Aber die Halsschiagaderwar geritzt worden, und nun liegt Reginhart mit bleichemAntlitz. auf seinem Schild und versucht den Ankömmlingen gerade noch mit letzter Kraft die Worte zuzurufen, sie sollten Regan, seinen Sohn, zum Huntarenführerwählen. Nur noch die ersten Worte bringt er mühsamhervor, dann stirbt er. Einer der umstehenden Alamannenwill sich unverzüglich an d~r Helvetierin rächen undhätte ihr beinahe seinen Speer.in die halbentblösst~ Brustgestosten, wenn nicht Regan im letzten Augenblick miteinem Fauststoss die Richtung abgelenkt hätte, so dass dieSpitze über der Schulter Waltruds in die Linde fährt. Miteinem stolzen, aber unsagbar hasserfüllten Blick danktsie dem kühnen Retter, der gerne etwas gesagt hätte, wenner nur ein einziges Wort keltisch oder römisch (lateinisch)verstanden hätte.Als der Abend hereinbricht, liegt nur noch ein schwacherDunst über dem Tal. der Furt, der sich mit den leichtenBodennebeln vermischt. Auf einem Hügel, nahe beim Seeder Chatten, deren Hütten inzwischen ebenfalls in Feuerund Rauch aufgegangenwaren, stehen auf einem freienPlatz grosse heilige Eichen. In deren Mitte erhebt sich einblutverscbmierter Opferaltar; Hier .hatteii offenbar dieHelvetier ihren Göttern gehuldigt. Nun wollen die neuenBesitzer des Tales hier eine erste Versammlung und einOpferfest abhalten. Als Opfertier wurde schon am Nachinittag vom Priester der Lieblingsschimmel des Helvetiers,eiii~ Prachtsstute von tadellosem Wuchs, ausersehen. DieSAlamannen haben ihre Wagenburg in der Nähe der zerstörten Siedlung aufgebaut. Die Freien unter ihnen undihre Familieji kleideten sich inzwischen in frische Felleuhd schmückten sich sehr zum Aerger der gefangenen Helvetier mit ihren geraubten Spangen, . Diademen und Gewandnadeln, die in der scheidendenAbendsonne wunderbar glitzerten und funkelten. In Rudeln marscbieren sienun auf den Hügel zu, voräus die Sippenführer mit denKriegern, dann der Priest& mit dem Opfertier; dahinterReginharts Söhne, die auf einer Bahre den toten Vater involler Rüstung tragen: Es folgen die Familien der Freien,nach Sippen gruppiert, begleitet von Pfeifern und Flötenspielern,dahinter die gefangenen H~lvetier sowie dieHörigen und Unfreien. Den Schluss bilden wie immer dieBogenschützen. Inzwischen ist der bleiche Vollmond imOsten aufgegangen~ und wirft lange Schatten auf denfreien Platz, wo die ganze Schar sich lagert.Regan hatte noch einen kurzen Umritt getan. Jetzt steigter von seinem stämmigen Rappen, der als Beute aus einemKampf mit Zimbern stammt, und übergibt ihn einemSklaven in Obhut. Er setzt sich auf ein Bärenfell, siehtfinster in die Runde und spricht kein Wort zu seiner Umgebung. Ist er wohl misslaunig, weil seine neue Sklavenschardie kleinste ist? Er hatte bei der Zuteilung hartnäckig darauf bestanden, die Tochter des Orgint zu bekommen. Adalo und Blindin, die beide ebenfalls gernedieses rotblonde, junge Helvetierweib von prächtiger Gestalt mit dem tiefgründigen Blick aus seeblauen Augen besessen hätten, wollten sich nur dann zufrieden geben,wenn er ihnen je sieben andere Gefangene nach freierWahl übeiiliess. Kein Wunder, dass darob Regans Sippemurrte. Noch immer sitzt ihm der Trotz im Nacken. Erschaut stumm zu seinen Gefangenen hinüber, die im Kreiseum ihre ehemalige Herrin herumstehen. Man sieht es miteinem Blick, dass sie Waltrud noch immer verehren, ungeachtet ihrer eigenen verzweifelten Lage. Auch ärgerter sich von neuem, dass er kein Wort an sie richten kann.Hätte er doch heute morgen nicht zugelassen, dass deralamannische Aufseher getötet wurde, dann könnte erjetzt ihre Gefühle erforschen lassen.Ein langgezogener Hornstoss widerhallt in den nahenBaumwipfeln und lässt das laute Durcheinander der Stimmen schlagartig verstummen. Der Sippenälteste, ein magerer, baumlanger Mann mit wallenden weissen Haarenund widerborstigem Bart, erklettert den Opferstein undruft in die Runde: «Ich, Ruderich, rufe alle freien Männerzur Versammlung, wie es alter Sitte entspricht.» Die bewaffneten Alamannen besteigen ihre Pferde und bildeneinen Ring um den Alten, dann rufen sie im Chor: «DieVersammlung ist eröffnet». Gleichzeitig schlagen sie mitden Waffen an die Schilde. Ruderich holt tief Atem undbeginnt: «Reginhart, unser tapferer Huntarenführer, isteingetreten ins dunkle Reich der Geister, wir wollen ihnbegraben». Bereits haben Sklaven eine Grube ausgehoben,dann die erschlagenen Chatten und Helvetier hineingeworfen und mit Reisig zugedeckt. Nun bringen die Söhneihren Vater herbei und legen ihn sorgsam, das Gesichtnach Norden gerichtet, auf den Reisigboden. Ein Grüpplein Frauen bringt eilig Mus und Met in Schalen herbei,um es als Wegzehrung in das Geisterreich neben den Totenzu legen. Dann schütten sie die Gruke zu und schichtendarüber Steine zu einer kleinen runden Pyramide auf. DieKrieger summen dazu ein monotones, dumpfes Geisterlied,dessen Inhalt sie selber nicht recht zu deuten vermögen. Jetzt ergreift der Alte wieder das Wort und verkündet, dass man beschliessen sollte, keinen neuen Huntarenführer mehr zu wählen, da man sich hier niederlassenwolle und daher keinen Anführer und auch keinen Königmehr brauche. Er schlägt vor, die Götter zu befragen, inwelcher Richtung sich die verschiedenen Sippen ansiedelnsollten. Die drei Sippenführer reichen ihre Speere zurMitte. Der Oberpriester Ibor hebt sie mit beiden Armenwaagrecht empor und springt damit dreimal um dasfrische Grab. Dann wirft er sie in weitem Bogen ins Gras.Eine Speerspitze zeigt nach Westen, eine nach Nordwesten und eine nach Norden. Somit ist es beschlosseneSache, dass Blindin sich mit seiner Sippe im Norden(Watt), Adalo im Nordwesten (Adlikon) und Regan im9
Westen (<strong>Regensdorf</strong>) ansiedeln sollen. Die kurze, abereindrucksvolle Zeremonie wird begleitet von einem dumpfen Donnerrollen, wie wenn Donar seine Zustimmunghierzu geben wollte. Ruderich ruft in die Runde: «DieVersammlung ist zu Ende». Zum Zeichen des Einverständnisses steigen die Krieger von ihren Pferden undübergeben sie den Knechten.Die Krieger eilen zu ihren Pferden, und das Fussvolkstiebt schreckensbleich davon.Regan ist einer der wenigen, die kaltes Blut bewahren.Er hat bemerkt, wie Waltrud zusammensank. Die furchtbaren Erlebnisse des Tages und der soeben in sie gefahreneSchreck waren zuviel für sie. Ein gnädiger Gott nahm ihrdas Bewusstsein. Regan tritt herzu, fasst sie sachte an undlegt sie über seine breiten Schultern. Die zu seiner Sippegehörenden gefangenen Helvetier trotten ergeben hinterihm her.Auf dem Lagerplatz angekommen, legt Regan Waltrudin einen unversehrt gebliebenen Blachenwagen, dann begibt er sich zu seinen Leuten, die schwatzend und gestikulierend die verbrannten Bennen umstehen und das erschlagene Vieh betasten, das überall herumliegt. Zweifellos steht Donar auf derSeite der Helvetier und hat ihrenHäuptling Orgint gerächt. Man wird ihn mit Opfergabenbesänftigen müssen.Wie Regan die eroberte Siedlung auf- und ausbaut, werden wir später vernehmen.Albert KuhnNun ist die Opferung des edlen Pferdes an der Reihe.Noch einmal wirft der stolze Schimmel den Kopf hoch,als spürte er des Helvetiers straffe Zügel, dann stösst ihmder Priester blitzschnell einen Dolch in die Seite. Das Tiergeht hoch, wiehert ganz kurz und sinkt dann in die Knie.Der Priester packt ein Gefäss und versucht, den dampfenden Blutstrahl einzufangen, um damit die Sippen zu besprengen, die dadurch Kraft bekommen sollten. Alsdanntrennt er dem Pferd den Kopf vom Leibe und befiehltden Sklaven, das Tier auszuweiden. Inzwischen habendie Sippen Kreise gebildet und kleine Feuer angezündet,und zwar noch im richtigen Augenblick, denn der Mondverkriecht sich soeben hinter den Wolken, und immerhäufiger richtet Donar sein zuckendes Auge ins neue Alamannenrevier. Leichte Windstösse kommen auf. Währenddas Pferd bereits zerlegt ist und sein Fleisch über denverschiedenen Feuern brät, stimmen die an ihren Händen immer noch gebundenen Helvetier hinter den flakkernden Schatten ein leises Klagelied an.Immer näher hört man das rasselnde Gespann Donarsheranrollen. Grimmig stampfen die wilden Ziegenböckeauf dem Grat der schwarzen Wolkenwand heran. Derzürnende Gott zeigt in kurzen Intervallen sein rötlichesBarthaar, und dazwischen schleudert er seinen funkensprühendenHammer an alle möglichen Felswände unterseinem Gezelt. Die Alamannen haben begonnen, die umihre Hälse gebundenen Würzelchen in die Hände zu nehmen und kleine Runenverse zu stammeln, als Donar plötzlich sein giftgelbes Auge voll aufreisst und die ganzeHuntare einen Moment geblendet wird. Im gleichenAugenblick erzittert die Erde; Ein unheimliches Krachenlässt die Wucht des Hammers erahnen, mit dem der blindwütige Gott zugeschlagen hat. Wahrlich, mit dem ist nichtzu spassen, denn kaum kann das geblendete Auge wiederUmrisse wahrnehmen, sieht man auch schon rote Feuerlohe über den Baumkronen auflodern. Der alte Ruderichstösst einen Schrei aus und ruft: «Die Wagenburg brennt!»