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Globalisierung und kulturelle Vielfalt. Ein Vortrag.

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Prof. Dr. Marie-Theres AlbertSommersemester 2009Modul 37-2-01 Kulturelle Handlungsfähigkeit für Anfänger<strong>Globalisierung</strong> <strong>und</strong> <strong>kulturelle</strong> <strong>Vielfalt</strong>Ich möchte meinen <strong>Vortrag</strong> mit einem Zitat des bekannten uruguayischenSchriftstellers Eduardo Galeano beginnen, der in einem Interview mit dem UNESCO-Kurier einmal sagte:„Das Beste an der Welt ist die <strong>Vielfalt</strong> der darin enthaltenen Universen“. Und dieErhaltung dieser <strong>Vielfalt</strong> ist die Bedingung zur Gestaltung der Zukunft (EduardoGaleano, 2001:64). Wichtige Bestandteile der <strong>Vielfalt</strong> der Universen sind die Naturmit ihrer Biodiversität <strong>und</strong> die Kultur. Kultur ist dabei ganzheitlich als materiellestoffliche <strong>und</strong> als immaterielle geistige Kultur verstanden.Kulturelle <strong>Vielfalt</strong> repräsentiert dabei ein sehr breites Spektrum an unterschiedlichenLebensausdrücken <strong>und</strong> Bedürfnissen sowie einen ebenfalls sehr weit gefasstenUmgang mit vorhandenen <strong>kulturelle</strong>n <strong>und</strong> natürlichen Ressourcen. Kulturelle <strong>Vielfalt</strong>drückt sich ebenso aus in einer Vielzahl sub<strong>kulturelle</strong>r Milieus einschließlich ihrerjeweiligen Vorlieben für Traditionen, Kunst, Ökonomie oder Religion.Die je national oder regional, kulturell oder gesellschaftlich geprägtenLebensausdrücke <strong>und</strong> Bedürfnisse von Menschen ermöglichen ihnen, ihre eigeneVergangenheit zu verstehen <strong>und</strong> zu interpretieren. Und das erlaubt ihnen, dieGegenwart zu bewältigen <strong>und</strong> die Zukunft zu gestalten.Der Schutz dieser natürlichen <strong>und</strong> <strong>kulturelle</strong>n <strong>Vielfalt</strong> ist daher ein Anliegen derVölkergemeinschaft, ausgedrückt in einer Reihe von Erklärungen wie bspw. in der„Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“, der Millenniums Erklärung der UNoder auch in Konventionen, die sich die Weltgemeinschaft explizit zu diesem Zweckgegeben hat.1


Die jüngste dieser Konventionen ist die im Oktober 2005 von der UNESCOverabschiedeten Konvention zum Schutz <strong>und</strong> zur Förderung der <strong>Vielfalt</strong> <strong>kulturelle</strong>rAusdrucksformen. Mit dieser Konvention setzte die Weltgemeinschaft der weltweiten„Homogenisierung“ <strong>und</strong> „Kommerzialisierung“ von Kulturgütern eine Grenze <strong>und</strong>stoppte den Prozess ihrer weiteren Vermarktung.Die Besonderheiten nationaler <strong>kulturelle</strong>r Ausdrücke, so wie sie sich in der Kunst <strong>und</strong>im Film, in der Fotografie oder im Theater repräsentieren, sollten trotz WTO <strong>und</strong> trotzGATS entsprechend berücksichtigt werden.Der fortschreitende Liberalisierungsprozess, der eben auch die <strong>kulturelle</strong>n Ausdrückevon Menschen einbezieht, wurde mit dieser Konvention gebremst. DieVölkerrechtlerin aus Dresden, Sabine von Schorlemer, die auch von deutscher Seitean den Verhandlungen dieser Konvention beteiligt war, sagte dazu: „Im Kern geht esbeim UNESCO-Übereinkommen um das Verhältnis zwischen ‚Markt’ <strong>und</strong> ‚Staat’sowie um das Verhältnis zwischen Kulturindustrie <strong>und</strong> Kulturpolitik“.Facetten der <strong>Globalisierung</strong>Die Wahrnehmung von <strong>Vielfalt</strong> in der Welt beruht auf Erfahrung, <strong>und</strong> diese gewinntman u.a. durch Reisen. Noch in den 80er <strong>und</strong> 90er Jahren des 20ten Jahrh<strong>und</strong>ertsbedeutete Reisen unbegrenzte Möglichkeiten des Lebens <strong>und</strong> Erlebens von<strong>kulturelle</strong>r Andersartigkeit. Das galt selbst noch zu Beginn des entstehendenMassentourismus. Reisen erlaubte es, in jedem Land der Welt einzigartige materielle<strong>und</strong> immaterielle <strong>kulturelle</strong> Ausdrucksformen zu erleben.Auf lokalen Märkten konnte man Lebensausdrücke <strong>und</strong> die lokale Produktvielfaltsinnlich wahrnehmen. Man konnte Produkte durch handeln erwerben <strong>und</strong> damiteintauchen in lokale Traditionen. Es entspricht den <strong>kulturelle</strong>n Bedürfnissen derMenschen, <strong>kulturelle</strong> Ausdrücke als immaterielle Erinnerungen an Gerüche oderBilder, als immaterielle Güter wie Musik oder handwerkliche Techniken für sich zuvereinnahmen. Heute sind solche immateriellen Erfahrungen kaum noch zu machen.2


Inzwischen sind wir lt. Spiegel: „mehr oder weniger alle Touristen in Hawaihemden“geworden. Reisende also, die heute angesichts der Möglichkeit der <strong>Globalisierung</strong>die <strong>Vielfalt</strong> der Welt besser denn je physisch für sich erschließen könnten, die diese<strong>Vielfalt</strong> aber meistens nur noch auf Produkte reduzieren.Produkte der <strong>Vielfalt</strong> sind nicht mehr die erlebnisreiche Welt selber, sondernImitationen von <strong>kulturelle</strong>n Ausdrücken in Form von Animationen in Hotelketten oderInterpretationen von <strong>kulturelle</strong>n Gütern hergestellt als Massenprodukte, wie die vomSpiegel benannten Hawaihemden oder andere die „weite Ferne“ suggerierendeProdukte. Auf lokalen Märkten finden sich die immer gleichen, industriell erzeugtenFiguren, Gefäße oder sonstiger Kitsch.Insofern ist auch international <strong>Vielfalt</strong> zu einer besonderen <strong>Ein</strong>falt mutiert, die mit fastfood beginnt <strong>und</strong> bei einem <strong>Ein</strong>heitsoutfit endet. Es wird weltweit getragen <strong>und</strong>unterscheidet nur noch nach Alter <strong>und</strong> Größe. Diese <strong>Ein</strong>falt setzt sich fort in Formvon Haarschnitten <strong>und</strong> Frisuren, die den Schauspielern der TV Serien abgeschautsind, <strong>und</strong> die sich bis hin zu den uniformierten Musik-, Literatur- <strong>und</strong> Kunststilenerstreckt.Die globale Verbrauchs-, Konsum-, <strong>und</strong> Vergnügungsindustrie ist zum Standard fürmenschliche Bedürfnisse <strong>und</strong> ihre Befriedigung geworden <strong>und</strong> hat lokale Produktevon lokalen Märkten <strong>und</strong> nationale Produkte von nationalen Märkten verdrängt. Der<strong>Globalisierung</strong>sprozess hat damit nicht nur die ökonomische Entwicklung vielernationaler Volkswirtschaften hart in ihrer Entwicklung beeinträchtigt, sondern dieseEntwicklung selbst hat <strong>Vielfalt</strong> reduziert.Mit anderen Worten, in gleicher Weise wie Teile der Weltgesellschaft von der<strong>Globalisierung</strong> profitiert haben, sind andere zu Verlierern geworden.Beispielsweise weisen Joseph Stiglitz schon 2002 <strong>und</strong> Amartya Sen 2007, beideNobelpreisträger für Wirtschaft, darauf hin, dass die Schere zwischen Reichen andArmen weiter auseinander gegangen ist. Die Gegensätze der ökonomischenEntwicklung in der <strong>Globalisierung</strong> finden sich zwischen armen <strong>und</strong> reichen Nationen.3


Je komplexer <strong>und</strong> damit unübersichtlicher die gesellschaftlichen Strukturen werden,um so mehr sucht der <strong>Ein</strong>zelne nach Orientierungshilfen. Und es wird immerdeutlicher, dass diese Suche grenz-, kultur- <strong>und</strong> situationsübergreifendvorgenommen wird. Weltweit ist zu beobachten, dass jahrh<strong>und</strong>ertealte <strong>kulturelle</strong>Prägungen von Völkern in Auflösungsprozessen begriffen sind. NeueIdentifikationsmuster scheinen nicht bereitgestellt zu werden.Im Gegenteil: in der globalen Welt bleibt es dem <strong>Ein</strong>zelnen überlassen, ob er sich deruniformen McDonalds, der Coca Cola, Handy, Laptop oder der Jeanskulturanschließt. Es bleibt dem <strong>Ein</strong>zelnen überlassen, ob er seine Identität aus demProvinzialismus <strong>und</strong> dem Kleinbürgertum ethnischer Bewegungen bezieht oder ob esihm gelingt, Partikularität <strong>und</strong> Globalität in die individuelle <strong>und</strong> kollektive Identität zuintegrieren.Werteerziehung <strong>und</strong> inter<strong>kulturelle</strong> KompetenzDem Anpassungs- <strong>und</strong> Uniformierungsdruck, den die <strong>Globalisierung</strong> auf dieIndividuen <strong>und</strong> die Gesellschaften ausübt, müssen sich daher zunächst dieAusbildungssysteme stellen. Sie müssen sowohl mehr Fachkenntnisse vermitteln, alsauch die affektiven Bereiche der menschlichen Persönlichkeitsstrukturen stärken,denn die Anforderungen an den einzelnen <strong>und</strong> die Gruppe gehen weit über denErwerb kognitiver Kompetenzen hinaus. Insofern sind Aus- <strong>und</strong>Weiterbildungsprozesse auch als multidimensionale Lernprozesse zu initiieren, dieauch die psychosozialen Ressourcen des <strong>Ein</strong>zelnen mobilisieren können.Jeder einzelne muss befähigt werden, dem wachsenden Leistungsdruck, denwechselnden Anforderungen <strong>und</strong> nicht zuletzt der größeren Unsicherheit desArbeitsplatzes stand zu halten bzw. sich zu widersetzen <strong>und</strong> zu wehren. Und dazu istdie Herausbildung von Inter<strong>kulturelle</strong>r Kompetenz als einer gr<strong>und</strong>legendeninterpersonalen <strong>und</strong> sozialen Kompetenz erforderlich. Inter<strong>kulturelle</strong> Kompetenzbeinhaltet die Fähigkeit kulturübergreifend zu Denken <strong>und</strong> zu Handeln <strong>und</strong> imUmgang mit den Konfliktfeldern in der <strong>Globalisierung</strong> zu vermitteln.5


Die <strong>Globalisierung</strong>sprozesse erschütterten tradierte Wertsysteme. Jedoch zerstörtensie sie nicht gänzlich. Auch konnten sie <strong>kulturelle</strong> <strong>Vielfalt</strong> als ein Merkmal des<strong>kulturelle</strong>n Reichtums unserer Welt nur bedingt durch etwas neues gemeinsamesersetzen. Vielmehr wurde der Wert der <strong>Vielfalt</strong> erst durch dieVereinheitlichungstendenzen in der <strong>Globalisierung</strong> geschärft <strong>und</strong> damit die Fähigkeitzur Inter<strong>kulturelle</strong>n Kompetenz unterstrichen.Inter<strong>kulturelle</strong> Kompetenz als die Fähigkeit, kultur- subkultur- <strong>und</strong>wertsystemübergreifend zu kommunizieren <strong>und</strong> zu agieren, ist deswegen geradejetzt, wo tradierte Werte nicht mehr identitäts- <strong>und</strong> handlungsleitend sind, zu einerunersetzbaren Schlüsselqualifikation geworden. Angesichts der Alltäglichkeitinternationaler Kontakte in allen Bereichen <strong>und</strong> Arbeitsfeldern ist sie wichtiger als jezuvor.6

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