Planung – eine Illusion im urbanen Raum Schaffhausen

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Planung - Eine Illusion im urbanen Raum Schaffhausen Individualthema Gestalterische Berufsmaturitätsschule Zürich - GBMS Julian Wäckerlin - Studierender Klasse GBM T3B Berufsbegleitender Studiengang GBMS II, Typus T, 2010/2012 Schriftliche Maturarbeit Studienbereich Allgemeinbildung Rahmenthema: „Illusion“ Leitfachdozent Herbert Birchler, lic. phil., dipl. ML Dozent für deutsche Sprache und Literatur an der GBMS Zürich August 2011

<strong>Planung</strong> -<br />

Eine <strong>Illusion</strong> <strong>im</strong> <strong>urbanen</strong> <strong>Raum</strong> <strong>Schaffhausen</strong><br />

Individualthema<br />

Gestalterische Berufsmaturitätsschule Zürich - GBMS<br />

Julian Wäckerlin - Studierender Klasse GBM T3B<br />

Berufsbegleitender Studiengang GBMS II, Typus T, 2010/2012<br />

Schriftliche Maturarbeit Studienbereich Allgemeinbildung<br />

Rahmenthema: „<strong>Illusion</strong>“<br />

Leitfachdozent<br />

Herbert Birchler, lic. phil., dipl. ML<br />

Dozent für deutsche Sprache und Literatur an der GBMS Zürich August 2011


11 Krusche, Jürgen / „Berlin ist hässlich - und das<br />

ist gut so! Der Wert des Hässlichen für den Urbanitätsdiskurs“<br />

/ In: ARCH+ Zeitschrift für Architektur<br />

und Städtebau, März 2011 / S.62<br />

Bild: Modell von „Plan Voisin“ in Paris<br />

Quelle: Vitra Design Museum / Le Corbusier -<br />

The Art of Architectur / 2007<br />

2<br />

2.1<br />

Individualthema:<br />

<strong>Planung</strong> - <strong>eine</strong> <strong>Illusion</strong> <strong>im</strong> <strong>urbanen</strong> <strong>Raum</strong><br />

<strong>Schaffhausen</strong><br />

Einleitung<br />

„Berlin ist hässlich - und das ist gut so!“ 11<br />

So lautet der Titel <strong>eine</strong>s Aufsatzes von Jürgen Krusche,<br />

<strong>eine</strong>m Stadtforscher, in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift<br />

für Architektur und Städtebau ARCH+. Darin wird<br />

die Lebendigkeit als viel zu wenig anerkannte Qualität in<br />

öffentlichen Stadträumen beschrieben. Best<strong>im</strong>mte Gebiete<br />

Berlins sind in dieser Hinsicht ein Paradebeispiel, und ich<br />

konnte dies bei <strong>eine</strong>m Abstecher selber sehen und erleben.<br />

Die Art und Weise, wie die Leute in Berlin mit den<br />

vorhandenen Strukturen umgehen, hat mich beeindruckt.<br />

Im Individualthema ist das Ziel pr<strong>im</strong>är, die Erkenntnisse<br />

aus der Recherche in <strong>eine</strong>n Bezug zu m<strong>eine</strong>r He<strong>im</strong>atstadt<br />

<strong>Schaffhausen</strong> zu setzen. Ausserdem versuche ich Möglichkeiten<br />

zu finden, wie lebendige Urbanität entstehen kann<br />

und welche Faktoren dabei <strong>eine</strong> Rolle spielen.<br />

2.2<br />

2.2.1<br />

Hauptteil<br />

Vorgeschichte<br />

Die Stadtplanung hat sich <strong>im</strong> 20. Jahrhundert drastisch<br />

verändert. Le Corbusier, <strong>eine</strong>r der Begründer solcher Veränderungen,<br />

vertrat die Idee <strong>eine</strong>r nach Funktionen organisierten<br />

Stadt. Sein radikaler städtebaulicher Entwurf für<br />

Paris, genannt „Plan Voisin“, sah <strong>eine</strong>n Ersatz für <strong>eine</strong>n<br />

grossen Teil des historischen Zentrums vor. Das ungeordnete<br />

öffentliche und private Leben in den engen Strassen<br />

und schattigen kleinräumigen Wohnungen sollte auf <strong>eine</strong>n<br />

Schlag entflechtet und in <strong>eine</strong>m Gebiet mit grosszügigen<br />

Verbindungsachsen, Grünflächen und einheitlichen,<br />

60stöckigen Hochhäusern mit Kreuzform <strong>im</strong> Grundriss<br />

geordnet werden. Dabei wäre jeder Quadratmeter präzise<br />

durchgeplant und die Nutzung vorbest<strong>im</strong>mt worden durch<br />

<strong>eine</strong>n übergeordneten Masterplan. Schlussendlich hätten<br />

die Leute isoliert in lichtdurchfluteten Hochhäusern zwar<br />

ein geordnetes, aber nur wenig lebendiges Leben geführt.<br />

Paris blieb von Le Corbusiers Vision verschont, s<strong>eine</strong> städtebauliche<br />

Philosophie hat sich danach hingegen weltweit<br />

durch den Bau von Satelliten-Aussenstädten durchgesetzt,<br />

wenn auch nicht <strong>im</strong>mer so radikal, wie von ihm ursprünglich<br />

vorgesehen.<br />

Wie s<strong>eine</strong>rzeit Le Corbusier, bevorzugen auch die Politiker<br />

ein planbares System. Analog zum Städtebau sollen auch<br />

kl<strong>eine</strong> Details und Einrichtungen für die Gesellschaft in<br />

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12 Krusche, Jürgen / „Berlin ist hässlich - und das<br />

ist gut so! Der Wert des Hässlichen für den Urbanitätsdiskurs“<br />

/ In: ARCH+ Zeitschrift für Architektur<br />

und Städtebau, März 2011 / S.64<br />

Hier zit. nach:<br />

„Kampf gegen den Plastikstuhl und vieles mehr.<br />

Städtische Normen für den öffentlcihen <strong>Raum</strong><br />

und ihre Auswüchse“ / In: NZZ 9. August 2007<br />

Bild: Herrenacker in <strong>Schaffhausen</strong><br />

ein übergeordnetes Gesamtkonzept eingegliedert werden.<br />

Die Konsequenz dieser Idealvorstellung ist, dass alles<br />

Auffällige, ob es nun gut oder schlecht ist, nicht in das gesamtheitliche<br />

Erscheinungsbild passt und somit korrigiert<br />

werden muss. So kommt es zu <strong>eine</strong>r drastischen Zunahme<br />

von Regeln, Gesetzen und bürokratischen Reglementen,<br />

mit dem Ziel, alle Funktionen des öffentlichen Lebens zu<br />

reglementieren. Dadurch werden Planer zu Knechten <strong>eine</strong>r<br />

Regierung, die mit ihrer Macht alles kontrollieren und<br />

verordnen will.<br />

Ein gutes Beispiel dafür, wie weit dieser Prozess in der<br />

Schweiz schon fortgeschritten ist, zeigt das Plastikstuhl<br />

(auch bekannt als Monoblock-Stuhl) –Verbot, das Bern als<br />

erste Stadt der Welt einführte. Seit 2003 darf dieser nicht<br />

mehr <strong>im</strong> öffentlichen <strong>Raum</strong> aufgestellt werden, weil er als<br />

hässlich angesehen wird. 12 Für Städte, die grossen Wert<br />

auf Branding legen, ist dieser Stuhl deshalb inakzeptabel,<br />

ja er scheint <strong>eine</strong> regelrechte Bedrohung darzustellen.<br />

Dieses Beispiel zeigt das Dilemma, gegen das viele Städte<br />

ankämpfen. Sie wollen zwar <strong>eine</strong>n lebendigen Stadtraum,<br />

verhindern diesen aber durch Überorganisation und Überbest<strong>im</strong>mung.<br />

2.2.2<br />

Die Artenvielfalt<br />

Der Herrenacker ist der grösste, <strong>im</strong> Jahr 2006 neu gestaltete<br />

Platz in der Altstadt von <strong>Schaffhausen</strong>. Bänke, Bäume,<br />

ein Wasserspiel und die Beleuchtung sind Teile der<br />

Neugestaltung. Zudem ist der Bodenbelag in verschiedenfarbige,<br />

wasserdurchlässige Kiesflächen unterteilt.<br />

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13 Krusche, Jürgen / „Berlin ist hässlich - und das<br />

ist gut so! Der Wert des Hässlichen für den Urbanitätsdiskurs“<br />

/ In: ARCH+ Zeitschrift für Architektur<br />

und Städtebau, März 2011 / S.64<br />

Bild: Gartentische, Monoblocks und grüner Teppich<br />

in Berlin<br />

Quelle: Krusche, Jürgen / „Berlin ist hässlich<br />

- und das ist gut so! Der Wert des Hässlichen<br />

für den Urbanitätsdiskurs“ / In: ARCH+ Zeitschrift<br />

für Architektur und Städtebau<br />

14 Sennett, Richard / „Housing and Urban Neighbourhoods<br />

- The Opfen City“ / Urban Age<br />

newspaper essay November 2006 / S.2<br />

Der Platz wurde als öffentlicher <strong>Raum</strong> geplant und „aufgewertet“,<br />

jedoch spürt man <strong>im</strong> Alltag wenig Öffentlichkeit.<br />

Wenn sich zum Beispiel ein Obdachloser auf <strong>eine</strong> Bank<br />

setzt und sein Bier trinkt, dann entsprich das nicht den<br />

Vorstellungen der Planer, die <strong>eine</strong>n sauberen, durchgestylten<br />

Platz vorsahen, ebenso auch nicht den Vorstellungen<br />

der Behörden, die sich <strong>eine</strong>n aufgeräumten Platz<br />

wünschen, und schon gar nicht den kleinbürgerlichen<br />

Gedanken der Bevölkerung, die sich durch den Obdachlosen<br />

gestört fühlen. Allen ist der Obdachlose mit s<strong>eine</strong>m<br />

Bier ein Dorn <strong>im</strong> Auge und passt nicht in das gewünschte<br />

Erscheinungsbild.<br />

Nicht nur der Plastikstuhl wird aus dem öffentlichen Leben<br />

verbannt, sondern zunehmend auch unwillkommene<br />

Individuen aus sozialen Randgruppen. Unter der Flagge<br />

der ordentlichen und sauberen Stadt werden sie vermehrt<br />

aus den öffentlichen Räumen verdrängt und aufgrund<br />

gesetzlicher Best<strong>im</strong>mungen weggewiesen. 13<br />

Der Obdachlose stört also, obwohl er sich <strong>im</strong> öffentlichen<br />

<strong>Raum</strong> aufhält. Doch genau in diesem so aussergewöhnlichen<br />

Kontrast zwischen dem sauber gestalteten Herrenacker<br />

und dem Obdachlosen beginnt die anzustrebende<br />

Lebendigkeit.<br />

Jane Jacobs, ein krasser Gegenpart zu Le Corbusier und<br />

dessen Vorstellungen, setzte sich schon in den 60er Jahren<br />

gegen die zunehmende Beseitigung der vorhandenen,<br />

gemischt gewachsenen Bausubstanz gemäss dem Vorbild<br />

„Le Voisin“ in Paris ein.<br />

Der US-Amerikanische Soziologe Richard Sennett schreibt<br />

über Jane Jacobs:<br />

„She tried to understand what results when places<br />

become both dense and diverse, as in packed streets or<br />

squares, their functions both public and private; out of<br />

such conditions comes the unexpected encounter, the<br />

chance discovery, the innovation.“ 14<br />

Jacobs befürwortet urbane Räume die sowohl dicht als<br />

auch vielfältig sind. Unter diesen Bedingungen kann es<br />

zu unerwarteten Begegnungen, zufälligen Entdeckungen<br />

und Innovationen kommen. Sie glaubt, dass sich in der<br />

Stadt wie in der Natur, soziale und visuelle Formen durch<br />

Wechselschwankungen entwickeln. Die Leute können diese<br />

am besten absorbieren, an ihnen teilnehmen und sich<br />

anpassen, weil sie selbst als Menschen ein Teil der Natur<br />

sind. Mit dieser Theorie als Grundlage machte sie unter<br />

anderem den Vorschlag, ein AIDS-Spital mitten in <strong>eine</strong>r<br />

belebten Fussgängerzone zu planen. So würden sich Leute<br />

begegnen, die sich sonst nie begegnen würden. Weniger<br />

radikal und auf <strong>Schaffhausen</strong> bezogen heisst das: Wenn<br />

sich beispielsweise auf dem Herrenacker nur Cafés <strong>eine</strong>r<br />

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15 Krusche, Jürgen / In: Interview mit J.W, Zürich,<br />

22. Juli 2011<br />

16 Sennett, Richard / „Housing and Urban Neighbourhoods<br />

- The Opfen City“ / Urban Age<br />

newspaper essay November 2006 / S.4<br />

Bild: Charles Darwin <strong>im</strong> Alter von 51 Jahren<br />

Quelle: www.de.wikipedia.org/wiki/evolutionstheorie<br />

17 Krusche, Jürgen / „Berlin ist hässlich - und das<br />

ist gut so! Der Wert des Hässlichen für den Urbanitätsdiskurs“<br />

/ In: ARCH+ Zeitschrift für Architektur<br />

und Städtebau, März 2011 / S.64<br />

best<strong>im</strong>mten Art befinden, dann werden sich dort auch nur<br />

<strong>im</strong>mer die gleichen Leute aufhalten.<br />

Lebendigkeit entsteht dadurch, wenn ein <strong>Raum</strong> von möglichst<br />

vielen verschiedenen Nutzergruppen genutzt wird. 15<br />

Wenn man es ganz scharf formuliert, entsteht Lebendigkeit<br />

auch, wenn auf <strong>eine</strong>r Bank <strong>eine</strong>s durchgestylten Platzes<br />

ein verlumpter Obdachloser sein Bier trinkt.<br />

2.2.3<br />

Urbanität und die Evolutionstheorie<br />

Heute distanziert man sich wieder von der Idee <strong>eine</strong>r nach<br />

Funktionen organisierten Stadt. Der Drang, alles genau zu<br />

planen und nach Funktionen <strong>im</strong> Voraus zu best<strong>im</strong>men und<br />

zu reglementieren, hält sich aber hartnäckig.<br />

Es ist, als würde ein Schriftsteller zu Beginn <strong>eine</strong>r Geschichte<br />

verraten, was mit den einzelnen Charakteren<br />

geschieht und was die Geschichte beabsichtigt. In diesem<br />

Fall würden wir das Buch bereits zu Beginn auf die Seite<br />

legen. Jede Stadt hat ihre Geschichten, und diese können<br />

nicht von <strong>eine</strong>m Tag auf den anderen und unter dem Diktat<br />

von Stadtplanern entstehen. Im modernen Städtebau<br />

fehlt das Gefühl für die Zeit.<br />

Richard Sennett schreibt:<br />

„... we can define an open system as one in which<br />

growth admits conflict and dissonance. This definition<br />

is at the heart of Darwin‘s understanding of evolution;<br />

rather than the survival of the fittest (or the most beautiful),<br />

he emphasised the process of growth as a continual<br />

struggle between equilibrium and disequilibrium;<br />

an environment rigid in form, static in programme, is<br />

doomed in t<strong>im</strong>e; bio-diversity instead gives the natural<br />

world the resources to provision change.“ 16<br />

Er vergleicht in dieser Aussage die lebendige Stadt (open<br />

system) mit Darwins Evolutionstheorie. Sie soll Entwicklungen<br />

zulassen und Konflikte und Missklang ermöglichen.<br />

Eine Evolution ist ein fortlaufender Entwicklungsprozess<br />

und dieser ist dauernd <strong>im</strong> Konflikt zwischen Gleichgewicht<br />

und Ungleichgewicht. Die Artenvielfalt gibt der Natur die<br />

Möglichkeit für <strong>eine</strong>n provisorischen Wandel <strong>im</strong> Fluss der<br />

Zeit.<br />

Wir finden also in der Evolutionstheorie die Inspiration, wie<br />

wir unsere Städte bauen könnten. Dazu schreibt Krusche:<br />

„Wir brauchen Lücken und Zerfall. Die Spuren der Zeit<br />

sind wichtig, weil sie gesellschaftliche wie individuelle<br />

Erinnerungsräume bilden, die zum Leben jeder Stadt<br />

gehören. Stattdessen wird alles vermeintlich Unschöne,<br />

Gebrauchte und Rohe nach und nach el<strong>im</strong>iniert und<br />

durch das Glatte und Neue ersetzt.“ 17<br />

Seite 14 von 27


Bild: Sich gegenüberliegende Fassaden an der<br />

Fischerhäuserstrasse <strong>Schaffhausen</strong><br />

Diese Feststellung kam mir in den Sinn, als ich in <strong>Schaffhausen</strong><br />

den Zwischenraum an der Fischerhäuserstrasse,<br />

gebildet durch zwei sich gegenüberliegende Fassaden<br />

entdeckte.<br />

Auf der <strong>eine</strong>n Seite ist da <strong>eine</strong> altgewachsene Häuserzeile,<br />

die teilweise renoviert aber auch kurz vor dem Zerfall<br />

steht. Vis-à-vis strahlt <strong>eine</strong> neue Wohnüberbauung, die<br />

erst vor kurzem realisiert wurde. Dieser extreme Kontrast<br />

erzeugt gesamtheitlich <strong>eine</strong> urbane Situation, vor allem<br />

wegen der Spannung zwischen dem Rohen und Gealterten<br />

und dem Glatten, Neuen. Hätten beide Seiten den gleichen<br />

Charakter, wäre die Situation langweilig. Ausserdem<br />

ist es faszinierend, wenn auch baufällige Objekte in <strong>eine</strong>r<br />

Stadt <strong>eine</strong> zeitlang erhalten bleiben, weil so die Geschichte<br />

sehr gut nachvollziehbar ist.<br />

Doch ich kenne <strong>Schaffhausen</strong> und für mich ist es nur <strong>eine</strong><br />

Frage der Zeit, bis genau der oben zitierte Schluss von<br />

Krusche eintrifft. Die alte Fassadenzeile wird herausgeputzt,<br />

alles Hässliche el<strong>im</strong>iniert, nur das Schöne bleibt<br />

erhalten. Bald sieht es aus, wie auf der gegenüberliegenden<br />

Fassade: glatt und neu.<br />

Auch in diesem Fall müssten sich die Planer für die Zeit<br />

sensibilisieren lassen und von den Schriftstellern lernen<br />

und nicht den Clou schon zu Beginn <strong>eine</strong>r Geschichte<br />

ausplaudern. So sollte auf k<strong>eine</strong>n Fall das Ganze auf<br />

<strong>eine</strong>n Schlag herausgeputzt werden. Viel mehr muss die<br />

Geschichte collageartig Schritt für Schritt angegangen werden<br />

und sanfte Renovationen und Ersatzneubauten situativ<br />

vornehmen. Es darf natürlich auch nicht romantisiert werden,<br />

indem alles <strong>im</strong>mer wieder in <strong>eine</strong>n früheren Originalzustand<br />

gebracht wird und dann die Altstadt <strong>Schaffhausen</strong><br />

in 500 Jahren <strong>im</strong>mer noch genau gleich aussieht wie vor<br />

500 Jahren. Wenn ein Haus kaputt ist, dann ist es kaputt<br />

und es kann durch <strong>eine</strong>n Neubau ersetzt werden. Im Laufe<br />

Seite 15 von 27


18 Sennett, Richard / „Housing and Urban Neighbourhoods<br />

- The Opfen City“ / Urban Age<br />

newspaper essay November 2006 / S.1<br />

Bild: Platz unter der N4 Autobahnbrücke in<br />

<strong>Schaffhausen</strong>, mit Radweg und Skaterbereich,<br />

dazwischen die Abschrankung<br />

der Zeit führt das zu <strong>eine</strong>m ständigen Spiel zwischen Alt<br />

und Neu und somit auch, wie jetzt an der Fischerhäuserstrasse,<br />

zu lebendigen Kontrasten. Etwas Altes, dass kaputt<br />

geht, und etwas Neues, das entsteht, gibt das Gefühl von<br />

Urbanität.<br />

Es ist, wie Sennett schreibt: it is a matter of evolution<br />

rather than erasure 18 , also mehr <strong>eine</strong> Frage der Entwicklung,<br />

als der El<strong>im</strong>inierung.<br />

2.2.4<br />

Shared Spaces<br />

Räume des Dazwischen und Zonen des Übergangs sind<br />

wichtige Bedingungen für die Entwicklung von Urbanität.<br />

Dies betont Jürgen Krusche in s<strong>eine</strong>m Aufsatz über Berlin.<br />

Dazu gibt es ein gutes Schaffhauser Beispiel, wo diese<br />

Entwicklung durch die Trennung zweier Funktionen unterbunden<br />

wird.<br />

Ein freier Platz unter der N4 Autobahnbrücke am Rhein,<br />

den Skater sich für ihren Sport angeeignet haben. Über<br />

diesen verläuft aber auch seit längerer Zeit schon der internationale<br />

Radweg Bodensee-Rheinfall. Kürzlich liessen<br />

die Behörden <strong>eine</strong> Abschrankung errichten, um den Radweg<br />

vom Skaterbereich abzugrenzen. Die Verkehrsplaner<br />

beachteten dabei nicht, dass dieser <strong>Raum</strong> von verschiedene<br />

Nutzern genutzt wird und genau dadurch <strong>eine</strong> Qualität<br />

und zudem <strong>eine</strong> soziale Funktion hat. Diese haben die<br />

Planer mit dem Trenngeländer quer über den Platz zerstört.<br />

Es ist ein Paradebeispiel für das Nichtfunktionieren<br />

der <strong>Planung</strong>, wie man Urbanität unterbindet, die Jugend<br />

Seite 16 von 27


Bild: Fussgänger und Velofahrer <strong>im</strong> gegenseitigen<br />

Einvernehmen, Tokio<br />

Quelle: Titelbild vom Buch / Krusche,<br />

Jürgen / „Der <strong>Raum</strong> der Stadt„ / 2008<br />

19 Sennett, Richard / „Housing and Urban Neighbourhoods<br />

- The Opfen City“ / Urban Age<br />

newspaper essay November 2006 / S.3<br />

zähmt und den Stadtraum überreguliert. Der Radweg<br />

musste geschützt werden und alles andere war nicht <strong>im</strong><br />

Fokus der Entscheidung. Die Planer kümmerten sich in<br />

diesem Fall nur um die Funktionen und vernachlässigte<br />

die Qualität des <strong>Raum</strong>es. Hätten sie mit <strong>eine</strong>m Soziologen<br />

zusammen gearbeitet, wären sie nicht zu dieser Entscheidung<br />

gekommen. Ein Soziologe hätte sich in dieser Situation<br />

für die Jugendlichen eingesetzt.<br />

In der Altstadt <strong>Schaffhausen</strong> ist das Velofahren verboten.<br />

Dadurch wird <strong>eine</strong> direkte Konfrontation zwischen Velofahrern<br />

und Fussgängern verhindert. Auch da zeigt es<br />

sich, dass die Planer des öffentlichen <strong>Raum</strong>es eindeutig<br />

in ihrer Auffassung rückständig sind. Es sind schon seit<br />

einiger Zeit Versuche und auch konkrete Umsetzungen von<br />

sogenannten „Shared Spaces“ bekannt. Im übertragenen<br />

Sinn heisst dieser Begriff „gemeinsam genutzter <strong>Raum</strong>“<br />

und bezeichnet <strong>eine</strong> <strong>Planung</strong>sphilosophie, nach der der<br />

öffentliche Strassenraum lebenswerter, sicherer sowie <strong>im</strong><br />

Verkehrsfluss verbessert werden soll. Es gibt verschiedene<br />

Tools, mit denen gearbeitet werden könnte, und<br />

am Schluss resultiert ein <strong>Raum</strong>, in dem sich wesentlich<br />

weniger Schilder und Signale befinden. Es ist viel weniger<br />

fix reglementiert, wo gefahren und wo die Leute gehen<br />

können. Ein Beispiel für <strong>eine</strong>n äusserst gut funktionierenden<br />

„Shared Space“ ist Tokio. Dort sind die Velofahrer<br />

schon seit langem überall unterwegs. Auch in den engsten<br />

Gassen trifft man sie an, <strong>im</strong>mer mit vorbildlicher Rücksichtsnahme<br />

auf die Fussgänger.<br />

2.2.5<br />

Shared Spaces <strong>im</strong> Erdgeschoss<br />

Bei der Entstehung der Räume des Dazwischen und Zonen<br />

des Übergangs kommt es auch stark darauf an, was in den<br />

Erdgeschossen der Gebäude stattfindet. Sind da beispielsweise<br />

nur Banken mit geschlossenen Fassaden, können<br />

diese negative Auswirkungen auf den Aussenraum haben.<br />

Richard Sennett schreibt diesbezüglich:<br />

„... on the ground plane you see what‘s inside the<br />

building, but you can‘t touch, smell, or hear anything<br />

within. The plates are usually rigidly fixed so that there<br />

is only one, regulated, entrance within. The result is<br />

that nothing much develops on either side of these<br />

transparent walls.“ 19<br />

Wir sehen, was sich <strong>im</strong> Innern des Erdgeschosses abspielt,<br />

doch unsere vier weiteren Sinnesorgane können mit <strong>eine</strong>r<br />

geschlossenen Glasfassade nichts anfangen. Aus diesem<br />

Grund ist es für <strong>eine</strong>n Menschen völlig uninteressant, sich<br />

auf der Aussenseite <strong>eine</strong>r solchen Fassade aufzuhalten.<br />

Da könnten „Shared Spaces“ die „toten“ Räume <strong>im</strong><br />

Seite 17 von 27


Bild: Historische Aufnahme von der Kramgasse in Bern<br />

Quelle: www.g26.blogspot.com<br />

20 Krusche, Jürgen / „Berlin ist hässlich - und das<br />

ist gut so! Der Wert des Hässlichen für den Urbanitätsdiskurs“<br />

/ In: ARCH+ Zeitschrift für Architektur<br />

und Städtebau, März 2011 / S.62<br />

Hier: Häussermann, Hartmut und Siebel Walter /<br />

Stadt und Urbanität<br />

zit. nach:<br />

Martina Löw, Silke Steets, Sergej Stoetzer /<br />

Einführung in die Stadt- und <strong>Raum</strong>soziologie,<br />

Opladen, Farmington Hills 2007 / S. 139<br />

Bild: Ein „non finito“ von Auguste Rodin, „Der Gedanke“<br />

(„La pensée“) um 1895<br />

Quelle: www.de.wikipedia.org/wiki/Non-finito<br />

Bereich der Erdgeschosse lebendiger gestalten. Die gemeinsame<br />

Nutzung soll dabei gleichzeitig ein Teil des<br />

Innenraumes und auch des Aussenraumes sein. Richard<br />

Sennett erwähnt das Funktionsprinzip von Zellmembranen<br />

als Vorbild. Diese sind <strong>eine</strong>rseits geschlossen aber auch<br />

porös, um den Stoffaustausch zwischen dem Zellinneren-<br />

und äusseren zu gewährleisten. Wir brauchen also <strong>eine</strong><br />

Fassade, bei der die Unterscheidung zwischen Innen- und<br />

Aussenraum grenzenlos ist, um dem „Stoff“, in diesem<br />

Fall den Menschen, lebendige Übergänge zu ermöglichen.<br />

Ich frage mich, wie das architektonisch umgesetzt werden<br />

könnte.<br />

Lösungsansätze sind bereits seit längerer Zeit vorhanden.<br />

In Bern schon seit dem 14. Jahrhundert in Form der weltberühmten<br />

Laubengänge in der Altstadt. Das Erdgeschoss<br />

ist zurückgesetzt und durch Schaufenster oder Cafés <strong>im</strong><br />

Inneren genutzt. Aussen befindet sich die durchgängige<br />

„Zellenwand“ in Form von Stützen, die das Obergeschoss<br />

tragen. So entwickelt sich ein äusserst lebendig erlebbarer<br />

Zwischenraum.<br />

2.2.6<br />

Urbanität durch Unvollständigkeit und<br />

Zweckentfremdung<br />

Jürgen Krusche zitiert in s<strong>eine</strong>m Aufsatz für ARCH+ die<br />

Stadtsoziologen Hartmut Häussermann und Walter Siebel:<br />

“Urbanität kann man nicht bauen, sie widersetzt sich<br />

der zweckvollen Inszenierung und sie entsteht nicht<br />

von heute auf morgen. Aber doch hat sie ihre Orte, an<br />

denen sie gleichsam materielle Gestalt gewinnt und<br />

erlebbar wird. Solche Orte sind oft Ergebnis des Alterns<br />

der Stadt, des Zerfalls, der Lücken hinterlässt, in denen<br />

urbanes Leben sich breitmachen kann. Die <strong>Planung</strong><br />

kann solche Prozesse nur zulassen, aber nur allzu oft<br />

verbaut sie sie. Räume des Dazwischen und Zonen der<br />

Übergans zulassen und Architekturen zu bauen, die<br />

altern können, die Lücken, Zerfall und Zweckentfremdung<br />

vertragen, ist das Beste, was die <strong>Planung</strong> für den<br />

Erhalt der <strong>urbanen</strong> Stadt tun kann“ 20<br />

In der Krummgasse existiert genau <strong>eine</strong> solche Lücke, wo<br />

sich urbanes Leben entfalten könnte. Stattdessen sind<br />

dort 6 Autoparkplätze.<br />

Solche Baulücken gibt es in der Altstadt <strong>Schaffhausen</strong>s<br />

nur sehr selten. Sobald ein Haus abgerissen wird, wird es<br />

wieder neu gebaut, und so wirken die Zeilen bis ins letzte<br />

ausgefeilt und vervollständigt. Etwas, was unvollständig<br />

ist, tanzt aus der Reihe und ist der Feind aller Strukturen<br />

wie die offene Ecke an der Krummgasse.<br />

Doch Unvollständigkeit hat durchaus Qualitäten. In der<br />

Kunst wird sie sogar als ein kreatives Credo angesehen.<br />

Seite 18 von 27


Bild: Baulücke in der Krummgasse, Altstadt<br />

<strong>Schaffhausen</strong><br />

Das sogenannte „non finito“, dass erstmals von Michelangelo<br />

und Leonardo in der Renaissance bewusst praktiziert<br />

wurde, ermöglicht es jedem Betrachter, das Kunstwerk<br />

individuell für sich fertig zu sehen. So, wie ein Betrachter<br />

<strong>eine</strong>s „non finito“ das Kunstwerk zu Ende sehen kann,<br />

kann auch ein Bewohner <strong>eine</strong>r Stadt <strong>eine</strong> Baulücke als<br />

Möglichkeit für s<strong>eine</strong> Selbstverwirklichung sehen.<br />

Zu Gunsten <strong>eine</strong>r lebendigen Urbanität gäbe es auch<br />

andere Lösungen, welche ohne die „Füllung“ von Lücken<br />

auskommen.<br />

Da könnte man von Berlin lernen. Berlin wäre nicht Berlin,<br />

wenn es nicht überall diese Baulücken gäbe. In den<br />

80er Jahren schlossen sich dort Anwohner zusammen und<br />

wendeten sich mit dem Anliegen an die Behörden, Baulücken<br />

temporär nutzen zu dürfen. Sie waren erfolgreich<br />

und legten Gärten an, pflanzten Büsche und Beeren und<br />

bauten kl<strong>eine</strong> Holzhäuschen, um sich zu treffen oder um<br />

zu grillieren. Wie kl<strong>eine</strong> Oasen schmücken und belebten<br />

diese Baulücken heute die ganze Stadt.<br />

In <strong>Schaffhausen</strong>, wo es in der Altstadt ohnehin schon<br />

wenig Platz für Gärten hat, könnte die Baulücke den<br />

Anwohnern temporär <strong>eine</strong> ähnliche Möglichkeit bieten.<br />

Die Parkplätze könnten aufgehoben, die Erde umgegraben<br />

werden und den Anwohnern müsste kommuniziert werden,<br />

dass der Freiraum durch sie individuell genutzt werden<br />

kann. Es wäre interessant zu beobachten, was dann passieren<br />

würde.<br />

Im oben erwähnten Zitat geht es auch um Zweckentfrem-<br />

Seite 19 von 27


dung. Es ist wichtig, dass Stadtplaner erkennen, dass<br />

sie nicht jede Funktion genau vorbest<strong>im</strong>men können. Es<br />

braucht die Möglichkeit, in gewissen Situationen den<br />

Zweck zu entfremden. Das wird <strong>im</strong> öffentlichen <strong>Raum</strong> aber<br />

nicht toleriert. Ein gutes Bespiel dafür sind die Noppen<br />

die auf öffentlichen Sitzbänken, die Skater davon abhalten,<br />

die Sitzbank für ihre Tricks zu missbrauchen.<br />

Diese Benutzergruppe beantwortet individuell die Frage<br />

für sich, welchen Nutzen <strong>eine</strong> Sitzbank für sie hat. So ist<br />

es für Skater viel interessanter, auf der Sitzbankfläche<br />

ihre Tricks zu üben. Es sind Bedürfnisse, die sich melden<br />

und diese sollen Planer nicht unterbinden, sondern darauf<br />

eingehen.<br />

2.2.7<br />

Aktivierung der Urbanität durch die Bewohner der<br />

Stadt<br />

Auch bei diesem Thema will ich auf den Herrenackerplatz<br />

in <strong>Schaffhausen</strong> Bezug nehmen. Dieser wird während<br />

Stadtfesten, Märkten und Kulturevents jeweils temporär<br />

bespielt, was für <strong>eine</strong> lebendige Nutzung des Platzes<br />

durchaus positiv ist. Es finden dort aber fast ausschliesslich<br />

grosse Events statt. So wie beispielsweise diesen<br />

Sommer der Konzertevent „das Festival“, der auch von<br />

grossen Sponsoren wie Migros, Swisscom usw. getragen<br />

wird. Kl<strong>eine</strong>re Events oder spontane Ideen der Bevölkerung<br />

haben auf diesem öffentlichen Platz leider k<strong>eine</strong> Chance<br />

zur Umsetzung. Da er viel zu sauber und organisiert wirkt,<br />

scheint er sich dafür auch nicht anzubieten.<br />

Dem Kammgarnhof, heute als Parkplatz genutzt, steht in<br />

naher Zukunft <strong>eine</strong> Neugestaltung bevor. Wie zuvor schon<br />

öfters erwähnt, kommt man in der <strong>Planung</strong> von Urbanität<br />

in <strong>Schaffhausen</strong> bisher zu k<strong>eine</strong>n befriedigen Resultaten.<br />

Die Planer müssen hier also nach anderen Mitteln und<br />

Wegen suchen und deshalb fragte ich Jürgen Krusche in<br />

<strong>eine</strong>m Interview: Was würde geschehen, wenn man die<br />

Parkplätze aufheben würde und der Bevölkerung sagt:<br />

„Der Kammgarnhof gehört euch. Macht was ihr wollt“?<br />

Das heisst, dass man auf dem Kammgarnhof nicht zu<br />

planen beginnt, sondern versucht, den Platz durch die<br />

Bevölkerung selbst aktivieren zu lassen. Krusche betonte,<br />

dass wenn man einfach nur sagt, „Macht was ihr wollt“,<br />

die Leute vielleicht mit der plötzlich so grossen Freiheit<br />

überfordert wären.<br />

Um das zu verhindern, braucht es <strong>eine</strong> Person, welche<br />

die Bedürfnisse der Bevölkerung und der ortsansässigen<br />

Institutionen aufn<strong>im</strong>mt, ihre Ideen mit Hilfsangeboten unterstützt,<br />

sodass sich die erarbeiteten Ideen anschliessend<br />

erfolgreich auf dem Platz umsetzen lassen.<br />

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Bild: Kammgarnhof, heute als Parkplatz genutzt<br />

Für <strong>eine</strong> erfolgreiche Belebung spielt auch die Kommunikation<br />

<strong>eine</strong> wichtige Rolle.<br />

Es ist heute klar definiert, was <strong>im</strong> öffentlichen <strong>Raum</strong><br />

erlaubt ist und was nicht. Man kann heute nicht den Grill<br />

nehmen und auf den Herrenacker <strong>eine</strong>n Cervelat braten.<br />

Wenn das jetzt plötzlich stillschweigend auf dem Kammgarnhof<br />

möglich wäre, würden logischerweise k<strong>eine</strong> Leute<br />

mit dem Grill auftauchen, weil sie schlicht und einfach<br />

nicht wissen, dass grillieren an diesem öffentlichen Ort erlaubt<br />

ist. Es ist also sehr wichtig, dass über verschiedene<br />

Medien möglichst breit den Leuten vermittelt wird, dass<br />

sie sich frei auf dem Kammgarnhof verwirklichen können.<br />

Konkret könnte dieser Kommunikator <strong>eine</strong> 50%-Bürostelle<br />

der Stadt besetzen und das Projekt betreuen und bekannt<br />

machen. Dies wäre dann auch die einzige finanzielle Investition<br />

der Stadt – also „Peanuts“ <strong>im</strong> Gegensatz zu <strong>eine</strong>r<br />

planerischen Gestaltung des Platzes.<br />

In dieser Art könnte <strong>eine</strong> Belebung des Kammgarnhofes<br />

in enger Zusammenarbeit mit der Bevölkerung als Exper<strong>im</strong>ent<br />

über zwei Jahren durchgeführt werden.<br />

Carl Fingerhuth, ein Schweizer Architekt, Stadtplaner und<br />

Autor sagt, es gehe in der Zukunft der Stadtplanung gar<br />

nicht mehr um die <strong>Planung</strong>, sondern um die Begleitung<br />

von Stadtentwicklungen. Viele Dinge entwickeln sich von<br />

all<strong>eine</strong> oder geschehen von all<strong>eine</strong>. Etwas zu begleiten,<br />

was in der Stadt entsteht, ist viel wichtiger als zu planen.<br />

Auf dem Kammgarnhof kann man Aktivität nicht planen,<br />

sondern man muss dafür den Anreiz bieten, Aktionen zulassen<br />

und dabei begleitend mithelfen und ermöglichen.<br />

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2.2.8<br />

Urbanität und Geld<br />

Die Stadt <strong>Schaffhausen</strong> gibt jährlich viel Geld für die<br />

Gestaltung des öffentlichen <strong>Raum</strong>es aus. Je mehr Geld da<br />

ist, desto geschliffener wirkt der öffentliche <strong>Raum</strong>. Viel<br />

Geld führt dazu, dass man lebendige Urbanität verbaut<br />

und unterdrückt.<br />

Lebendige Urbanität braucht kaum Geld, damit sie sich<br />

entwickeln kann, umso mehr aber Ideen und soziales Engagement<br />

von Menschen, die sich aktiv daran beteiligen.<br />

2.3<br />

Schlusswort<br />

In der Einleitung m<strong>eine</strong>s Individualthemas fragte ich mich,<br />

wie lebendige Urbanität entstehen kann und welche Faktoren<br />

dabei <strong>eine</strong> Rolle spielen.<br />

Mir scheint, dass dort, wo in <strong>Schaffhausen</strong> geplant wird,<br />

<strong>im</strong>mer auch lebendiges urbanes Leben unterdrückt wird.<br />

Es ist <strong>eine</strong> <strong>Illusion</strong>, dass lebendige Urbanität mach- oder<br />

planbar ist. Diese entsteht viel mehr durch die Leute,<br />

die die Stadt bewohnen. Sie entsteht dadurch, wenn der<br />

Stadtraum von möglichst vielen verschiedenen Nutzergruppen<br />

genutzt wird, wenn Räume des Dazwischen und<br />

Zonen des Übergangs zugelassen werden, Lücken und<br />

Unvollständigkeiten in der Stadtstruktur erhalten bleiben<br />

und Zweckentfremdung toleriert wird. Es gibt nicht <strong>eine</strong><br />

sofortige Lösung, wie sie Planer der Moderne oft in ihren<br />

Stadtvisionen suchten. Die Lösung findet sich in der Entwicklung<br />

und in der Geduld <strong>im</strong> Umgang mit dem stetigen<br />

Wandel der Zeit.<br />

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Literatur- und Quellenverzeichnis<br />

1.2 Gesellschaft und Wirtschaft: Desillusion auf dem<br />

Mond<br />

Leitenberger, Bernd / „Das wichtigste Bild der Weltraumforschung“<br />

/ www.bernd-leitenberger.de<br />

Rühle, Alex „Mondblick auf die Erde - Ein kosmisches<br />

Minderwertigkeitsgefühl“ / In: www.sueddeutsche.de 17.<br />

Juli. 2009<br />

Wenzel, Uwe Justus / „Eine Selbstbegegnung der Menschheit“<br />

/ In: NZZ 20. Juli 2009<br />

1.3 Arbeit und Beruf: <strong>Illusion</strong>en des CAD <strong>im</strong><br />

Architekturbüro<br />

Aicher, Otl / analog und digital / Berlin: Ernst und Sohn<br />

1991<br />

1.4 Kultur und Kunst: Antiillusionistischer<br />

<strong>Illusion</strong>ismus – Die Bühnenbilder von Anna<br />

Viebrock<br />

Architekturmuseum SAM in Basel / Ausstellungskatalog,<br />

Anna Viebrock Im <strong>Raum</strong> und aus der Zeit - Bühnenbild als<br />

Architektur / 2010<br />

1.5 Wissenschaft: Mittelalterliches Weltbild - <strong>Illusion</strong><br />

der <strong>Illusion</strong> in der Wissenschaftsgeschichte<br />

Wolff, Philip / „Mittelalter und Moderne: Wie die Erde zur<br />

Scheibe wurde“ / In: www.spiegel.de/wissenschaft/weltall,<br />

2. November 2005<br />

2 Individualthema: <strong>Planung</strong> - Eine <strong>Illusion</strong> <strong>im</strong><br />

<strong>urbanen</strong> <strong>Raum</strong> <strong>Schaffhausen</strong><br />

Krusche, Jürgen / „Berlin ist hässlich - und das ist gut so!<br />

Der Wert des Hässlichen für den Urbanitätsdiskurs“ / In:<br />

ARCH+ Zeitschrift für Architektur und Städtebau, März<br />

2011<br />

Krusche, Jürgen / In: Interview mit J.W, Zürich, 22. Juli<br />

2011<br />

Sennett, Richard / „Housing and Urban Neighbourhoods -<br />

The Opfen City“ / Urban Age newspaper essay November<br />

2006<br />

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