4. SO KANN DIE ALTERSGEMISCHTE EINRICHTUNG FUNKTIONIEREN6667Konsequenzen für die PraxisDie GruppenzusammensetzungbedenkenEine Gruppe zusammenzufügen, in der <strong>Kinder</strong> dieVorteile der erweiterten Altersmischung erleben undgleichzeitig ihr Bedürfnis nach Freundschaften mitähnlich alten <strong>Kinder</strong>n beiderlei Geschlechts verwirklichenkönnen, ist nicht einfach, da in Gruppen miterweiterter Altersmischung automatisch wenigerAuswahl an ähnlich alten <strong>Kinder</strong>n jeden Geschlechtsvorhanden ist.Die so genannte „innere Öffnung“ bietet sich an, umallen <strong>Kinder</strong>n gerecht werden zu können. GenaueDefinitionen gibt es nicht, jede Einrichtung muss diefür sich passende Form finden.Modelle zur Integration von <strong>Kinder</strong>n <strong>unter</strong><strong>drei</strong> <strong>Jahren</strong>Für die Integration von <strong>Kinder</strong>n <strong>unter</strong> <strong>drei</strong> <strong>Jahren</strong> in einenRegelkindergarten bieten sich folgende Möglichkeitenan (Haug-Schnabel & Bensel, 2006, S. 55f.):1. Modell: zwei kooperierende GruppenIn zwei Gruppen, die ihren pädagogischen Alltag in enger(auch räumlicher) Zusammenarbeit gestalten, werden<strong>Kinder</strong> von 1–6 oder 2–6 <strong>Jahren</strong> aufgenommen.So ist neben der Altersmischung auch der Wunschnach gleichaltrigen und gleichgeschlechtlichen Spielpartnernfür alle Altersgruppen am ehesten gewährleistet.Die vorhandenen Räumlichkeiten können gezieltnach verschiedenen Themenschwerpunkten für beideGruppen gemeinsam gestaltet werden und nicht jedeGruppe muss jeweils Platz und Ausstattung für alleAngebote vorhalten. Die enge Kooperation erleichtertdie Umsetzung altersspezifischer und geschlechtsspezifischerAngebote.2. Modell: Halb offenes Konzept mit StammgruppenDie <strong>Kinder</strong> spielen außerhalb ihrer Stammgruppenzeitenin „Funktionsräumen“. Unter Dreijährige werden in diesenZeiten anfangs in „Nestgruppen“ betreut, d. h. sieerhalten von ihrer Bezugserzieherin spezielle Angeboteund werden, von ihr begleitet, langsam mit den weiterenSpiel- und Aktionsmöglichkeiten und mit den älteren <strong>Kinder</strong>nder Einrichtung vertraut gemacht. Durch geschickteAngebotsauswahl müssen die Erzieherinnen dazu beitragen,altersgemischte Interaktionen zu ermöglichen.3. Modell: Offene Arbeit mit <strong>Kinder</strong>n von 1 oder 2 bis 6oder 12Auch bei einem offenen Konzept wird für <strong>Kinder</strong> <strong>unter</strong><strong>drei</strong> <strong>Jahren</strong> eine nestgruppenähnliche Anfangsbetreuungvorausgesetzt, da jedes Kind mit seiner Bezugserzieherinam bekannten Ort startet und in ihrer Begleitung Exkursionenin die anderen Bereiche und zu den größeren<strong>Kinder</strong>n <strong>unter</strong>n<strong>im</strong>mt. Meist brauchen die <strong>unter</strong> Dreijährigenandere Essens-, Schlafens- sowie Pflegezeiten,die organisiert werden müssen. Für jedes ihrer <strong>Kinder</strong>muss die Bezugserzieherin prüfen, ob und wann es inder Lage ist, sich in dem größeren Angebotsrahmen zuorientieren. Das erfordert eine hohe Flexibilität.4. Modell: Krabbelgruppe innerhalb der KitaAuf den ersten Blick ist es organisatorisch (und oft auchfinanziell) am einfachsten, eine Krabbel- oder Kleinstkindgruppeneu zu schaffen und in die bestehende Einrichtungzu integrieren. Erst auf den zweiten Blick wirdklar, dass hier viel Planung nötig ist, um die beiden „Krippenerzieherinnen“innerhalb des Gesamtteams nicht zuisolieren und den Kleinen nicht nur sporadisch Kontaktemit den Großen und den <strong>Kinder</strong>gartenaktivitäten zuermöglichen, was zu unnötigen Übergangsproblemenund einer zweiten Eingewöhnung führen würde, wenndiese <strong>Kinder</strong> mit <strong>drei</strong> <strong>Jahren</strong> in die <strong>Kinder</strong>gartengruppewechseln müssen.In eingruppigen Einrichtungen oder in einer einzigenaltersgemischten Gruppe sind entwicklungsgleiche undalters<strong>unter</strong>schiedliche Spiele und Freundschaften mit<strong>Kinder</strong>n des eigenen oder des anderen Geschlechtskaum für alle <strong>Kinder</strong> zu gewährleisten und werden dahernicht empfohlen.Jedes einzelne Kind wahrnehmen und fördernNeben dem Gemeinschaftsgefühl und der Gruppenzugehörigkeitgilt es – wie in jeder anderen <strong>Kinder</strong>tageseinrichtung– den Interessen und Fähigkeiten jedes einzelnenKindes <strong>im</strong> Rahmen des Bildungsauftrages gerechtzu werden. Systematisches Beobachten, Dokumentierenund Auswerten ist dafür ebenso Voraussetzungwie regelmäßige Gespräche mit den Eltern über dieEntwicklung ihres Kindes. Die Partizipation der <strong>Kinder</strong>,gerade auch dann, wenn die vertraute Konzeption durchAufnahme der jüngeren <strong>Kinder</strong> überdacht und überarbeitetwerden muss, trägt ebenfalls dazu bei.Anregungen zur praktischenUmsetzungFlexibilität <strong>im</strong> verlässlichen RahmenDer Tageslauf muss für alle <strong>Kinder</strong> ausreichende Flexibilitätin einem verlässlichen Rahmen ermöglichen. DieFixpunkte <strong>im</strong> Tagesablauf, häufig verbunden mit vertrautenRitualen, sind nicht nur für die Jüngsten wichtigeOrientierungen und Hilfen <strong>im</strong> Alltag der <strong>Kinder</strong>tageseinrichtungen,der auch für <strong>Kinder</strong>, die bereits ihren drittenGeburtstag gefeiert haben, anstrengend, manchmal zulaut und unübersichtlich sein kann. Ganz wichtig ist zubedenken, dass die erweiterte Altersmischung nicht un<strong>unter</strong>brochen,d. h. über den ganzen Tag hinweg, praktiziertwerden kann, sondern dass bewusst durchgeführteTrennungen der Altersgruppen mit separaten Angebotenden altersspezifischen Bedürfnissen Rechnung tragen.
4. SO KANN DIE ALTERSGEMISCHTE EINRICHTUNG FUNKTIONIEREN6869Erzieherinnen, die bereits mit der erweiterten Altersmischungmit <strong>Kinder</strong>n von einem Jahr bis zum Schuleintrittarbeiten, sprechen häufig davon, dass sie für die Kleinenund die Großen zwei parallele Tagesverläufe haben,die den Bedürfnissen der jungen <strong>Kinder</strong> nach flexiblenEssens- und Ruhezeiten und älteren nach ungestörtenanspruchsvolleren Tätigkeiten mit ähnlich alten <strong>Kinder</strong>nRechnung tragen. Aber jeden Tag gibt es Fixpunkte, zudenen sich die ganze Gruppe trifft, und regelmäßig gibtes Projekte, zu denen alle <strong>Kinder</strong> ihren altersgemäßenBeitrag leisten. Positive Entwicklungsmöglichkeiten inden verschiedenen Alterskonstellationen ergeben sichalso nicht von allein durch die Gruppenzusammensetzung,sondern sind davon abhängig, wie Erwachseneihre Erziehungsaufgabe verstehen und umsetzen. Inaltersgleichen, altersähnlichen und altersfernen Spielpartnerschaftenstecken spezifische Erfahrungsmöglichkeiten,die entdeckt und gefördert werden müssen.Um den Bedürfnissen der verschiedenen Altersgruppengerecht zu werden, sind Differenzierungen <strong>im</strong> Tages-,Wochen- und Jahresverlauf nötig.Das Ziel: Qualitätsgewinn für alleDie Erfahrungen aus den Anfängen der Praxis mit der erweitertenAltersmischung haben den Blick auf folgendekritische Punkte gelenkt:Die pädagogischen Fachkräfte benötigen ein breiteresFachwissen und eine hohe pädagogische Aufmerksamkeit,damit das positive Potenzial dieser Strukturausgeschöpft werden kann.Die pädagogischen Fachkräfte, die <strong>Kinder</strong> und auch dieEltern brauchen ein gewisses Maß an Erfahrung mitdieser Struktur, um die positiven Möglichkeiten für dasLeben in der Tageseinrichtung umsetzen zu können.Das Wohlbefinden jedes einzelnen Kindes ist einwichtiger Gradmesser dafür, dass es die EntwicklungsundBildungschancen seiner Umgebung bestmöglichnutzen kann.Mädchen und Jungen wollen nicht nur zu deutlich jüngerenoder älteren <strong>Kinder</strong>n Kontakte und Beziehungenhaben, sondern vor allem auch zu gleichaltrigen <strong>Kinder</strong>nihres Geschlechts. Daher ist die Öffnung der Gruppenein wichtiges Mittel, um diesem Bedürfnis gerecht zuwerden.Das Zusammengehörigkeitsgefühl der <strong>Kinder</strong> einerGruppe und einer Einrichtung wird durch gemeinsameTätigkeiten und Angebote angeregt, zu denen alle<strong>Kinder</strong> entsprechend ihres Entwicklungsstandes einenBeitrag leisten.Eine offene Kommunikation ist erforderlich, um dieWünsche und Bedürfnisse der Eltern wahrzunehmenund mit ihnen abzust<strong>im</strong>men. Dies gilt besonders da, woneue Angebotsformen auch für die Eltern mit Unsicherheitenverbunden sind.Für die <strong>Kinder</strong>, die bereits in der Tageseinrichtung sind,ändert sich vieles. Gibt es ein Forum (z. B. eine <strong>Kinder</strong>konferenz),in dem die <strong>Kinder</strong> regelmäßig Mitspracheund Beteiligung (aus)üben können? Gibt es neueRegeln, die mit den <strong>Kinder</strong>n gemeinsam festgelegtwerden sollten? Können sie bei der Umgestaltung ihreWünsche äußern?Die Einstellungen aller Beteiligten – Träger, Fachberater,Leitungen, Gruppenleitungen und Eltern – spielen beiEinführung und Durchführung der erweiterten Altersmischungeine entscheidende Rolle.Die Arbeits- und Rahmenbedingungen müssenden veränderten pädagogischen Anforderungen angepasstwerden.Das sagt der Bayerische BildungsundErziehungsplan→ Kapitel 6.2.1 <strong>Kinder</strong> verschiedenenAlters (S. 129ff.)„Schärfung des pädagogischen Blicks: Aus der Sicht derjüngeren <strong>Kinder</strong> scheint es offensichtlich zu sein, warumältere Spielkameraden attraktive Partner sind – aber wasgenau sind ihre Motive? Und was macht jüngere <strong>Kinder</strong>für die älteren in Spiel- und Lernsituationen attraktiv? Woliegen die Motive der älteren <strong>Kinder</strong>, die sich jüngerenzuwenden? Durch gezielte Beobachtungen … lassensich gelungene und weniger gelungene Situationensammeln, anhand derer die pädagogischen Fachkräfteerkennen können, was für die Älteren und was für dieJüngeren der Gewinn an der jeweiligen Situation ist undwie dieses Miteinander pädagogisch weiter entwickeltwerden kann.“ (S. 131f.)