1. NEUE PERSÖNLICHE UND FACHLICHE ANFORDERUNGEN1819Die älteren <strong>Kinder</strong> werden möglicherweise nicht ausreichendgefördert, weil die jüngeren so viel Aufmerksamkeitvon den Erzieherinnen fordern.Die älteren <strong>Kinder</strong> werden vielleicht zu häufig durch dieKleinen gestört.Da die Gruppen kleiner sind und das Altersspektrumgrößer ist, haben die älteren Mädchen und Jungen zuwenige Möglichkeiten, Freunde und Freundinnen zufinden, weil zu wenig gleichaltrige <strong>Kinder</strong> desselbenGeschlechts in der Gruppe sind. Beeinträchtigt dasdie älteren <strong>Kinder</strong> in den Interaktionen, die ihrem Alterangemessen sind?Diese Bedenken lassen erkennen, dass die erweiterteAltersmischung mit besonderen pädagogischen Herausforderungenverbunden ist.Fachwissen, das weiterhilftDie erweiterte Altersmischung funktioniert –aber nicht von alleine. Inzwischen kann manfeststellen, dass jahrelange Erfahrungen dafürsprechen, alterserweiterte Gruppen für <strong>Kinder</strong> <strong>im</strong> Altervon wenigen Monaten bis zum Schuleintritt als Lernortemit erweiterten Chancen für das soziale Lernen sowiefür Erziehungs- und Bildungsmöglichkeiten zu betrachten.Den Erzieherinnen eröffnen sie andere Fördermöglichkeitenals in der traditionellen Altersmischung.Festzuhalten bleibt, dass allein die Aufnahme einzelnerjüngerer <strong>Kinder</strong> nicht automatisch die erweiterten Entwicklungs-und Bildungsmöglichkeiten mit sich bringt,sondern dass sich die pädagogische Vorgehensweiseändern, d. h. erweitern muss.Wie können ein- bis sechsjährige <strong>Kinder</strong> in einer gemischtenGruppe in ihren Kontakten und Interaktionenmit gleichaltrigen, jüngeren und älteren <strong>Kinder</strong>n <strong>unter</strong>stütztwerden? Im Rahmen einer umfassenden Studiezur Aufnahme <strong>unter</strong> <strong>drei</strong>jähriger <strong>Kinder</strong> in den <strong>Kinder</strong>gartenkommen Wiebke Wüstenberg und Ilka Riemann(2004) zu folgenden Ergebnissen:Es zeigte sich, dass die <strong>unter</strong>suchten <strong>Kinder</strong> häufiger inaltersgemischten Spielgruppen spielten, wobei sie <strong>im</strong>Spiel zu zweit eher altersgleiche Spielpartner bevorzugten.Dies bedeutet, dass bereits bei der Zusammensetzungder für <strong>Kinder</strong> <strong>unter</strong> <strong>drei</strong> <strong>Jahren</strong> geöffneten<strong>Kinder</strong>gartengruppe darauf zu achten ist, dass dieMischung von Alter und Geschlecht so ausgewogenist, dass sowohl altersgemischte Spielgruppen als auchaltersgleiche und geschlechtshomogene Spielpartnerschaftenmöglich sind. Hier bietet sich eine engeZusammenarbeit mit einer zweiten altersgemischtenGruppe oder einer halboffenen Krippengruppe an(vgl. Kapitel „So kann die altersgemischte Einrichtungfunktionieren“ ab S. 62).Wichtiger Bestandteil der pädagogischen Arbeit geradein altersgemischten Gruppen sind die systematischeBeobachtung und Dokumentation des kindlichen Spiels.Einzelspiele, Spielpartnerschaften und die Dynamik inder Gruppe geben wesentlichen Aufschluss über die Bedürfnisseund Interessen der <strong>Kinder</strong>. Auf dieser Grundlagekönnen eine entwicklungsförderliche Lernumgebunggeschaffen und angemessene Bildungsangeboteausgewählt und erweitert werden.Junge <strong>Kinder</strong> interagieren häufiger mit anderen <strong>Kinder</strong>nals mit Erzieherinnen. Im Parallelspiel verfolgt das Kindsein eigenes Spiel, hält aber gleichzeitig Blickkontakt zuden anderen <strong>Kinder</strong>n, um sich von ihrem Spiel anregenzu lassen oder Kontakt zu ihnen aufzunehmen. <strong>Kinder</strong><strong>unter</strong> <strong>drei</strong> <strong>Jahren</strong> zeigen ein hohes Aktivitätsniveau undbrauchen zeitliche Orientierungshilfen, um eine Balancezwischen Ruhe und Aktivität zu finden.Anregungen zur praktischenUmsetzungErstellen Sie persönliche Listen mit Erwartungenund Befürchtungen und diskutieren Siediese miteinander. Leiten Sie aus einer Liste, die sichaus der Diskussion <strong>im</strong> Team ergeben hat, die pädagogischenHerausforderungen ab, die Sie für die Zukunftsehen.Achten Sie ganz besonders auf sich daraus ergebendeFragestellungen, wenn Sie in Einrichtungen hospitieren,die schon seit längerer Zeit mit der erweiterten Altersmischungarbeiten.Ziehen Sie Fachliteratur (vgl. Literaturliste am Endedieser Han<strong>drei</strong>chung) zu Rate.Beziehen Sie den Träger Ihrer Einrichtung und die Elternin die Diskussion um die neuen pädagogischen Schwerpunkteein.Das sagt der Bayerische BildungsundErziehungsplan→ <strong>Kinder</strong> verschiedenen Alters (S. 129 ff)→ Mädchen und Jungen – geschlechtersensibleErziehung (S. 133 ff.)„<strong>Kinder</strong>tageseinrichtungen, die sich für eine Erweiterungihrer bestehenden Altersmischung entscheiden,bzw. Träger, die sich für die Inbetriebnahme eines<strong>Kinder</strong>hauses entscheiden, stehen vor komplexenReflexions- und Planungsprozessen, denn die erweiterteAltersmischung ist kein ‚pädagogischer Selbstläufer’.Voraussetzung für eine erfolgreiche pädagogische Arbeitsind Überlegungen, die sich mit Chancen und Risikenfür die verschiedenen Altersgruppen auseinandersetzen,um die pädagogische Herausforderung Heterogenität zumeistern.“ (S.131)Reflexion: Eine tragfähige Bildungs- undErziehungspartnerschaft mit allen ElternEltern sind die wichtigsten Bezugspersonen <strong>im</strong> Lebenihrer <strong>Kinder</strong>. Eine tragfähige und vertrauensvolleBildungs- und Erziehungspartnerschaft mit den Elternist von Anfang an notwendig für eine wirkungsvolleEntwicklungsbegleitung jedes Kindes. Sie trägt dazubei, dass sich Eltern und <strong>Kinder</strong> in der Einrichtung wohlfühlen.Eltern von Krippenkindern sind fester Bestandteilder elternbegleiteten und bezugspersonenorientiertenEingewöhnung.Überzeugen Sie den Träger Ihrer Einrichtung durchfachlich belegte Argumente von den erhöhten Anforderungenund den sich daraus ergebenden personellen,räumlichen und organisatorischen Erweiterungen.
1. NEUE PERSÖNLICHE UND FACHLICHE ANFORDERUNGEN2021Bisher wurde die Zusammenarbeit mit den Eltern meist„Elternarbeit“ genannt, d. h. man ging davon aus,dass die Einrichtung die Initiative ergreift, die Anlässebest<strong>im</strong>mt und auf die Eltern als Kunden zugeht. Nunwird zunehmend von einer „Erziehungs- und Bildungspartnerschaft“gesprochen. Damit wird Erziehungund Bildung des Kindes als gemeinsame Aufgabe vonEltern, Erzieherinnen und Kind verstanden (Textor, 2005).Maßgeblich für das Gelingen dieser Partnerschaft sinddie Beziehungen zwischen Erzieherin und Kind sowiezwischen Eltern und Erzieherin. Schließlich lassen sicherst auf der Grundlage einer tragfähigen BeziehungKonflikte und Probleme gemeinsam lösen. Oftmals wirddies in der Praxis übersehen und Elterngespräche werdenerst dann geführt, wenn den Eltern Probleme wieetwa aufgetretene Verhaltensauffälligkeiten der <strong>Kinder</strong>mitgeteilt werden sollen (Gruber & Schnabel, 2007).Eine solche Vorgehensweise erweist sich als großeBelastung für die Erziehungspartnerschaft, da vor allemMütter in solchen Situationen in einer Abwehrreaktiondazu neigen, die Kompetenz der Erzieherin abzuwerten(Peitz, 2004). Als Folge davon kann die Zusammenarbeitgerade mit den Eltern blockiert werden, deren <strong>Kinder</strong> siein besonderem Maße bräuchten.Eine positive und tragfähige Beziehung zwischen Elternund Erzieherin kann gelingen, wenn sie grundsätzlichgeprägt ist von_ Vertrauen und Wertschätzung für einander und denBeitrag des anderen zur Entwicklungsbegleitung,auch angesichts verschiedener Wahrnehmungen undDenkweisen,_ Transparenz der pädagogischen Arbeit, indem denEltern fortlaufend Einblick in den Alltag der Einrichtungermöglicht wird,_ Dialog und Offenheit <strong>im</strong> kurzen Austausch zwischenTür und Angel, aber auch in regelmäßigen längerenEntwicklungsgesprächen, in welchen die kindliche Entwicklung<strong>im</strong> Mittelpunkt steht und die Beobachtungender Erzieherin mit den Eltern geteilt werden.Bildungspartnerschaft ist eng verknüpft mit der Erziehungspartnerschaftund kann verwirklicht werden,indem Eltern die Möglichkeit haben, in die pädagogischeArbeit mit einbezogen zu werden. So können Eltern undErzieherinnen einzelne Bildungsangebote gemeinsamplanen und durchführen, andererseits können Elterndazu angeregt werden, Bildungsinhalte zu Hause aufzugreifenund zu vertiefen. Auch für die Bildungspartnerschaftist es wesentlich, dass Eltern mitbest<strong>im</strong>men undMitverantwortung übernehmen können, sinnvolle undnicht überfordernde Aufgaben übernehmen, Anerkennungfür ihr Engagement erhalten und davon überzeugtsind, dass ihre Aktivitäten ihren <strong>Kinder</strong>n zugute kommen(Textor, 2006a).Fachwissen, das weiterhilftWas brauchen Eltern der <strong>unter</strong>Dreijährigen?Im Zusammenhang mit der Altersöffnung ist es wichtig,dass die Eltern hinter der Entscheidung stehen, ihr Kindeiner altersgemischten <strong>Kinder</strong>tageseinrichtung anzuvertrauen.Schließlich können nur überzeugte Eltern ihremKind die nötige Sicherheit für diesen Übergang vermitteln,vor allem dann, wenn die Eltern zu Beginn der Eingewöhnungsphaseden Trennungsschmerz ihrer <strong>Kinder</strong>aushalten müssen (Haug-Schnabel, 2005). Geht es umdie Eingewöhnung, so ist zu bedenken, dass auch dieEltern begleitet werden müssen. Schließlich müssensich auch die Eltern erstmals für längere Zeit in eineraußerfamiliären Umgebung von ihrem Kind trennen.Ist für die Familie alles neu, so kommen die Eltern mitbest<strong>im</strong>mten Vorstellungen, Wünschen, Befürchtungenund Vorerfahrungen. Nicht <strong>im</strong>mer überwiegen diepositiven Gefühle, so dass die ersten Erfahrungen undEindrücke in der neuen Umgebung darüber entscheiden,ob Zweifel und Ängste zunehmen oder die Freude undNeugier über die neuen Möglichkeiten überwiegen.Doch ist gerade die Zeit der Eingewöhnung gut geeignet,einen partnerschaftlichen Kontakt zu den Elternaufzubauen, da sie in dieser Phase besonders offen undgesprächsbereit sind (Griebel & Niesel, 2006). So könneneinfühlsame Gespräche <strong>im</strong> Vorfeld, während undzum Abschluss der Eingewöhnungsphase die gedanklichenund emotionalen Prozesse von Eltern, Kind undErzieherin thematisieren und die Beziehungen stärken.